Einschluss statt Ausschluss
[Vgl. dazu auch: »Which Commons Sense?«]
In der entwicklungspolitischen wie in der linken Szene ranken sich die Diskussionen oft entlang griffiger Begriffe. Nach Nachhaltigkeit, Neoliberalismus, Globalisierung und Multitude geht ein weiteres Zauberwort herum: die Commons. Und schon haben die Stars der Globalisierungskritik, Antonio Negri und Michael Hardt, mit „Common Wealth“ den Bestseller zur Debatte veröffentlicht (siehe iz3w 319).
Doch was sind die „Commons“ eigentlich? Sind dabei vor allem Gemeingüter wie Wasser und Boden gemeint, die allen gehören sollen? Geht es um frei verfügbare Dienstleistungen wie z.B. Freie Software oder Bildung für alle? Was ist am Gemeinschafts-Konzept der Commons kapitalismuskritisch, was nicht?
Einschluss statt Ausschluss — Commons jenseits des Kapitalismus
Von Stefan Meretz
Der Kapitalismus hat mit seinen Imperativen erfolgreich Handeln, Denken und Fühlen der Menschen besetzt – weltweit. Seine unerbittliche Logik gibt sich wie ein natürlicher Zusammenhang. So erscheint auch den kritischsten KritikerInnen »Wirtschaft« als das Selbstverständlichste von der Welt. Gleichzeitig ist der Kapitalismus in einer ökonomischen Krise, und auch seine Akzeptanz schwindet. Dies allerdings bedeutet nicht, dass seine Imperative zur Disposition stehen. Die scheinbar in Beton gegossene Unhinterfragbarkeit seiner grundlegenden Mechanismen wurde und wird immer wieder auch durch antikapitalistische Ansätze bestätigt. Alle Erzählungen sind erzählt und probiert: Die Linke in ihrem Lauf hält den Kapitalismus dennoch nicht auf.
Frech aber freundlich kommt nun ein neuer alter Ansatz daher, der provoziert: die Commons, zu deutsch: Gemeingüter. Das hört sich zunächst dröge und angestaubt an, haben doch schon vor hunderten Jahren die Bauern ihre Tiere gemeinsam auf Allmende-Wiesen weiden lassen. Und außerdem erhalten die Commons sogar von Grünen und Konservativen Unterstützung. Da kann doch nichts Emanzipatorisches oder gar den Kapitalismus überwindendes dran sein. Oder doch?
Treten wir einen Schritt zurück. Die antikapitalistischen Erzählungen beginnen meist damit, dass der Kapitalismus auf Ausbeutung beruhe und den Reichtum ungerecht verteile. Der einfache Umkehrschluss, dass abgeschaffte Ausbeutung und anders verteilter Reichtum kein Kapitalismus mehr sei, kann als historisch widerlegt gelten. Auch die aktuellen staatskapitalistischen Versuche in Südamerika verlieren an Anziehungskraft und werden mit einer Fülle von Sachzwängen konfrontiert. Das Pendel kann weiter zwischen »Staat« und »Markt« hin- und her- und an den wesentlichen Problemen der Menschen vorbei pendeln.
Was sind Commons?
Jenseits von Markt und Staat machen nun die Commons etwas Schlichtes: Sie holen die Produktion und Pflege nützlicher Güter zurück in die Gesellschaft. Oder sie belassen sie dort, denn Commons sind in vielen Teilen der Welt überhaupt nichts Neues. Silke Helfrich, Commons-Aktivistin und Mitglied der Commons Strategies Group, schätzt die Anzahl der Menschen, deren Existenz unmittelbar von den Commons abhängt, weltweit auf 2,5 Milliarden. Auch im globalen Norden, wo sehr viele Commons im aufstrebenden Kapitalismus gewaltsam zerstört wurden, ist es keinesfalls die »Wirtschaft«, die die meisten benötigten Güter herstellt. Zwei Drittel aller gesellschaftlich erforderlichen Tätigkeiten werden unbezahlt getan.1
Nach dem Versagen von Markt- und Staatswirtschaft ist es an der Zeit, jenseits dieser Dichotomie zu denken. Dazu ist es jedoch erforderlich, das Paradigma der »Wirtschaft« selbst in Frage zu stellen. Wirtschaft, so die von links bis rechts geteilte Meinung, sei der Ort, an dem die Güter zur »planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs«2 hergestellt und verteilt werden. Wobei »Bedarf« in der Wirtschaftswissenschaft »ein mit Kaufkraft ausgestattetes Bedürfnis« ist. Zwei grundlegende Dogmen liegen dem zu Grunde: Erstens sei Wirtschaft der »rationale Umgang mit Gütern, die nur beschränkt verfügbar sind« (Knappheit), und zweitens sei der Mensch ein rational handelnder, individueller »Nutzenmaximierer« (homo oeconomicus).
Die Commons stellen all dies praktisch in Frage. Commons sind die Praxen der Menschen, die sich um die Herstellung und Pflege gemeinsam verfügbarer Ressourcen kümmern. Sie vereinbaren dabei, wie dies zu geschehen hat, wer sich worum kümmert, wer wieviel nutzen kann und wie mit Konflikten umgegangen wird. Commons sind also nicht die Ressource selbst, aber ohne Ressourcen (von Land über Produktionsmittel bis Wissen) geht es nicht. Commons sind auch nicht nur die soziale Interaktion (das Commoning), aber ohne Commoning keine Commons. Commons sind alles zusammengenommen: Ressourcen, Commoners, Commoning und schließlich die Ergebnisse aus all dem. Commons sind ein bestimmte Art und Weise, die Lebensbedingungen – im umfassenden Sinne verstanden – herzustellen. Man könnte sagen, dass Commons das ist, was »Ökonomie« einmal war, bevor sie aus der Gesellschaft »entbettet« (Karl Polanyi) wurde: eine »Haushaltung« (von griech. οἶκος/oíkos »Haus« und νόμος/nomos »Gesetz«), in der Leben und Produzieren nicht getrennt voneinander sind.
Die historische Entfaltung des Kapitalismus führte zu einer gesellschaftliche Sphärentrennung. Ein Ort der Privat-Produktion, wo die Geldvermehrungs- und Zeiteinsparlogik herrscht, und ein Privat-Ort der Reproduktion, der von einer Geldverbrauchs- und Zeitverausgabungslogik bestimmt wird, stehen sich gegenüber. Mit dem modernen Staat entstand eine Instanz, die soziale Konflikte zwischen den Privaten reguliert – und mit ihm ein von ihm verwalteter Raum jenseits der Privaten: das Öffentliche. Commons kennen diese Trennung nicht. Zwar gibt es das Persönliche, das aber kein Privates auf Kosten anderer Privater ist. Und es gibt das Gemeinschaftliche, das aber kein von den Einzelnen getrennter Raum ist, sondern im Wortsinne von allen Commonern »besessen«, also genutzt wird.
Bedürfnisse statt bare Zahlung
An dieser Stelle wird der Unterschied von bloßen Verteilungs- und Aneignungskämpfen deutlich. Verteilungskämpfe, etwa um öffentliche Güter, gehen vom »so sein« der Güter als Waren aus, sie stellen die Fragen nach der Produktionsweise nicht. Ihr Einflusspunkt ist der Staat, in dessen Zuständigkeit die Verfügung über öffentliche Güter und aus Abgaben stammende Finanzmittel liegen. Der Staat hängt direkt vom Funktionieren der Wirtschaft ab und muss bei Gefahr des Verlustes der eigenen Handlungsfähigkeit deren Imperativen nachkommen. Das auf die Spitze getriebene Programm dieser immanent notwendigen Unterordnung ist der Neoliberalismus. Andere politisch gewollte Verteilungsweisen stehen dazu nicht in Opposition, sondern können einzig kleine Spielräume ausnutzen, um zu anderen Verteilungen zu kommen.
Völlig anders sieht die Herangehensweise der Commons aus. Commons repräsentieren eine eigene generative Logik, die direkt von den Bedürfnissen der Menschen ausgeht. Sie akzeptieren weder ein paternalistisches Gewährungsverhältnis, das Staaten gegenüber ihren Bürgern einnehmen, sondern sie nehmen die eigenen Angelegenheiten auch in die eigenen Hände. In unterschiedlich großem Ausmaß reduzieren sie durch Eigenproduktion die Marktabhängigkeit. Und anders als der Markt, der am Ende »kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übrig gelassen (hat) als das nackte Interesse, als die gefühllose ›bare Zahlung‹«3, sind Commons überhaupt erst wieder in der Lage, zu verantwortungsvollem Handeln zu kommen – gegenüber Mensch und Umwelt.
Ein Beispiel: In Flores Rancho, Bolivien, betreibt eine Gemeinschaft von 120 Familien ihr eigenes Wassersystem. Alle üblichen Wartungs- und Betriebsaufgaben werden von den Community-Mitgliedern erledigt, notwendige Ausgaben werden aufgeteilt. In Fores Rancho wird diese Art des Commoning umaraqa genannt. Es werden keine Wasserüberschüsse erzeugt, etwa um sie auf dem Markt zu verkaufen, sondern nur soviel Wasser gefördert, dass eine nachhaltige Versorgung der Community sicher gestellt ist. Das Commons-Wasser kostet nur ein Achtel des staatlichen Gemeindewassers im nahen Cochabamba. Damit ist die Höhe des Einkommens, das notwendig ist, um eine Familie zu versorgen, gesunken und die Lebensqualität insgesamt gestiegen.
Versöhnung mit Markt und Staat?
Die Selbstbewusstwerdung der Commons als globale Bewegung hat erst begonnen. Es liegt nicht auf der Hand, dass Freie Software, die Verfügung über das eigene Wasser, Wikipedia und der Kampf gegen die Patentierung von Medikamenten prinzipiell die gleichen Anliegen haben: die Verfügung über die eigenen Angelegenheiten und Produktionsmöglichkeiten für die eigenen Bedürfnisse. Weil dieser Prozess im Kapitalismus stattfindet, ist es nachvollziehbar, dass auch die Commons zunächst selbst in der Logik von Markt und Staat gedacht werden. Der Drang auch der Commoners selbst, die Commons mit dem Markt und Staat zu versöhnen, ist enorm groß. Sie akzeptieren die grundsätzliche Unvereinbarkeit der Logiken von Commons und Markt oder Staat nicht. Es würde ihnen den Boden unter den Füßen wegziehen.
Die Überschreitung der Denkgrenzen wird erst in dem Maße möglich sein, wie Commoners tatsächlich auch die praktische Erfahrung machen, dass die Commons in »unökonomischer« Weise die Lebensbedingungen schaffen, die sie sich wünschen. Diesen Erkenntnis- und Reflexionsprozess zu befördern, könnte eine Aufgabe linker Ansätze sein. Dazu muss sie sich jedoch von ihrer mentalen und theoretischen Orientierung auf Politik und Staat erst noch emanzipieren.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Commons heute nicht das bestimmende gesellschaftliche Paradigma sind. Sie sind geduldeter Randbestand und für viele Menschen die letzte Möglichkeit, ihre Existenz auf geringem Niveau zu sichern. Commons sind reale Existenz neben Markt und Staat, aber jenseits ihrer beider Logiken – mit allen Widersprüchen, die das »neben« mit sich bringt. Commons stehen in einem permanenten Konflikt sowohl mit Markt wie mit Staat. Dort wo Commons sind, kann ein Markt sich nicht ausdehnen, dort wo die Commons ihre eigene Konflikte regeln, kann der Staat draußen bleiben. Es ist kein gedeihliches Miteinander, das sich manche wünschen, eine Art befruchtender Kooperation zwischen Markt, Staat und Commons, sondern es ist ein Kampf um Fremd- und Selbstbestimmung, zwischen Eigenversorgung und künstlicher Knappheit. Die von Karl Marx so eindrücklich beschriebene »sogenannte ursprüngliche Akkumulation« der gewaltsamen Enteignung der Commons ist ein fortlaufender Prozess.
Die Perspektive der Commons ist eine commons-basierte Gesellschaft, die Exklusion als soziale Form der (Un-) Kooperation ausschließt – Exklusion von den Möglichkeiten, an der gesellschaftlichen Produktion teilzuhaben, Exklusion vom gesellschaftlichen Reichtum, aber auch Exklusion Anderer entlang herrschaftsförmig konstruierter Gender-, Hautfarben-, Kultur- und anderer Grenzen, auf deren Kosten das eigene Erheben und Fortkommen aufgebaut wird. Nichts geschieht von allein, aber die Commons haben gute Voraussetzungen, einer allgemeinen Emanzipation Vorschub zu leisten, denn sie basieren auf einer Inklusionslogik. Die eigene Entfaltung setzt die Entfaltung der Anderen voraus – und umgekehrt. Diese Inklusionslogik im globalen gesellschaftlichen Maßstab zu verallgemeinern, ist Perspektive der Commons. Kapitalismus brauchen wir dann nicht mehr.
Anmerkungen
1. Stefan Meretz (2010), Produktive Schweine und unproduktive Kinder, http://is.gd/gcORg
2. Sofern nicht anders angegeben entstammen alle Zitate der Commons-Enzyklopädie Wikipedia.
3. Karl Marx, Friedrich Engels (1848), Manifest der Kommunistischen Partei.
Stefan Meretz ist Informatiker und Ingenieur und bloggt auf keimform.de.
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Erschienen in: »iz3w — Zeitschrift zwischen Nord und Süd«, Nr. 322
Einzelhefte können auf der Website vom iz3w für 5,30 € bestellt werden (Papier oder als Download).
Lieber Stefan, was mich an der commons-Thematik stört, ist die großtheoretische Wucht, mit der sie als DIE Alternative zum Kapitalismus behandelt wird. Die Zuschreibungen vermischen für mich Analysen oder Beobachtungen und normative Aussagen. SOLL der Eindruck der paradigmatischen Lösung erweckt werden? Und muss dann mit diesem Ziel alles mögliche subsumiert und zusammengemixt werden? Was heißt das zB, dass „die Anzahl der Menschen, deren Existenz unmittelbar von den Commons abhängt, weltweit auf 2,5 Milliarden“ geschätzt wird? IST das bereits die neue commons-Welt? Warum dann aber immer wieder dieselben spärlichen Beispiele? Oder reicht es, wenn hier und da sich genossenschaftliche Strukturen als billiger erweisen? Was heißt das, wenn „Zwei Drittel aller gesellschaftlich erforderlichen Tätigkeiten … unbezahlt getan [werden]?“ Ist das das Neue?
Diese neue Qualität, die die Kraft haben soll, den Kapitalismus (oder die unerbittliche Verwertungslogik des neuzeitlichen Weltsystems) abzulösen, ist das eine Konstruktion, die begeistern und für sich Werbung machen will oder analysierbar als reale Bewegung? Diese von mir befürchtete Vermischung bzw. Unklarheit (als mobilisierend gemeinte Selbsttäuschung) könnte gerade den gegenteiligen Effekt haben und uns als Spinner oder Illusionisten erscheinen lassen.
Schon in den Anfängen von Ökonux hatte ich dasselbe mulmige Gefühl, dass der Wunsch (auch meiner natürlich) nach Überwindung des Kapitalismus etwas vorschnell dazu verführte, DAS Lösungsparadigma zu konstruieren.
Ich finde z.B. die Kritik der „Arbeit“ oder der „Geldlogik“ noch immer mindestens ebenso sinnvoll wie die aktuelle Fokussierung auf den „commons“- Begriff.
Liebe Grüße von Uli
Lieber Uli, dieser Artikel steht in dem iz3w-Heft nicht allein, sondern hat einen Partner-Artikel, der den Commons-Ansatz als »rückwärtsgewandt« kritisiert. Wenn ich die Erlaubnis und den Text von der Redaktion bekomme, dann werde ich diesen Artikel veröffentlichen. Wir haben die Gegenüberstellung also bewusst so konzipiert.
Ich schreibe allerdings tatsächlich auch gerne auf der Möglichkeitsseite, weil ich finde, dass überhaupt noch gar nicht ausreichend verstanden wurde, dass der Commons-Ansatz sehr weitreichend ist. Als »die Alternative« würde ich ihn aber nicht setzen, sondern ihn als Teil eines weltweiten Umbruchsprozesses ansehen. Zu deinen konkreten Fragen:
Nein, die dürfte komplexer aussehen (zumal: »Lösung wovon?« — es kommt ja sehr darauf an, was man als Problem formuliert). Meine Absicht war zunächst (wie ich das auch in einem Vortrag gemacht habe), die Commons als allgegenwärtige Form des (wie auch immer prekären) Überlebens sichtbar zu machen, denen gegenüber der Kapitalismus als historische Anormalität erscheint. Das ist auch eine Absetzung von der Linken, die stets die Commons als den »Rest« des noch nicht vom »Fortschritt« erfassten »Rückständigen« angesehen hat. Stattdessen ist zu begreifen, dass ohne die Commons Kapitalismus nicht geht und das die »sogenannte ursprüngliche Akkumulation« gar keine »ursprüngliche« war, sondern eine permanente ist.
Das heißt, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die Existenz für alle Menschen zu sichern, und das diese Menschen schlicht verhungern würden gäbe es die Commons nicht. Das ist eine Kritik am Kapitalismus — ist das nicht deutlich geworden? Keine Reform und keine Revolution wird das ändern (siehe die einleitende Kritik an den traditionellen linken Ansätzen). Das Zusammengemixte sind die Fakten, die in der Regel unsichtbar sind. Da muss ich nix künstlich subsummieren, das ist schlicht der Fall.
Nein, das ist eher die alte Commons-Welt, die jedoch ein paar Eigenschaften hat, die — zusammen mit »neuen« Commons — ein transformatorisches Potenzial haben (Produktion jenseits von Markt und Staat, Bedürfnisorientierung, Inklusionslogik). Das sind Elemente einer anderen Form von Vergesellschaftung so man sie verallgemeinert — aber nicht »rückwärts«.
Welche meinst du jetzt? Ich habe eigentlich nur ein Beispiel verwendet — das mit dem Commons-Wasser in Bolivien. Dazu muss man als Hintergrund eigentlich noch erklären, dass Cochabamba durch die »Wasserrevolten« gegen die Privatisierung bekannt geworden ist. Doch die kommunale Wasserverwaltung läuft auch schlecht, weshalb Gemeinden die Wasserversorgung in ihre eigenen Hände genommen haben (weil man auf den Staat eben nicht vertrauen kann).
Welche Genossenschaften meinst du? Ich halte Genossenschaften für keine Commons (das sehen andere anders).
Das heißt, dass der Kapitalismus nur in der Lage ist, ein Drittel der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten über die Warenform zu organisieren — und zwei Drittel eben nicht. Daraus ziehe ich den Schluss, dass das Paradigma der »Wirtschaft« insgesamt in Frage zu stellen ist (anstatt etwa die noch nicht verwarenformten zwei Drittel in die Wertlogik zu ziehen).
Nein, es ist Teil des Alten, denn die Sphärenspaltung ist Merkmal des Alten schlechthin, das aufzuheben ist. Die Commons kennen diese Sphärenspaltung zunächst nicht. Allerdings sind sie permanent davon bedroht, insofern die Marktgläubigen sie wieder in die alte Logik ziehen wollen. Es gilt stattdessen, sie als »unökonomische« Produktionsweise zu begreifen und auszubauen.
In der Regel verbinde ich das (was mir in der Commons-Szenerie schon den Ruf als »Radikalen« eingetragen hat, wobei das ja auch stimmt: mir geht’s um die »Wurzeln«). Für den Artikel hatte ich jedoch nur eine arg begrenzte Zeichenanzahl zur Verfügung (ich habe auch Teile streichen müssen).
Mich irritiert, wie du den Artikel gelesen hast. Konnten meine Antworten da etwas klären?
Lieber Stefan, danke für die ausführliche Antwort! Deine auch hier skizzierte Kritik am Kapitalismus teile ich ja vollständig (auch gegenüber anderen linken Positionen). Wenn „commons“ der Joker (das „x“, der Hilfsbegriff) für das Andere, den Rest, die Möglichkeit sein soll, verstehe ich die Argumentation.
Mein Problem ist die „nominalistische“ Vorgehensweise: Es gibt also empirisch gesellschaftliche Bereiche und Praxen, die die kapitalistische Wirtschaft (noch?) nicht subsumiert hat oder die seiner Logik nicht entsprechen. Gut und wichtig, das zu dokumentieren und zu analysieren!
Dann gibt es auch Menschen/ Gruppen/ Bewegungen, die (wahrscheinlich themenbezogen) die herrschende Logik mehr oder weniger radikal unterlaufen, ignorieren, konterkarieren. Gut und wichtig, das zu dokumentieren und zu analysieren!
Und dann gibt es noch Theoretiker, die das Gewusel systematisieren, interpretieren, Zusammenhänge herstellen, benennen usw. Auch gut!
Aber wenn diese Interpretationsversuche den Eindruck erwecken, ein empirisches Phänomen zu beschreiben, das bereits Gestalt angenommen hat, dann halte ich das für gefährlich, weil der Blick getrübt werden könnte, vorschnelle Aussagen, Konstruktionen, Illusionen naheliegen. „Nominal“ (also mit einem begrifflichen Phänomen) läßt sich nämlich vieles machen: Definieren, logische Schlussfolgerungen ziehen, Systematisierungen versuchen, theoretische Möglichkeiten hochrechnen usw.
Meine Enwände bezogen sich weniger auf deinen Artikel (auch wenn ich dazu einige Fragen stellte, die Du mir dankenswerterweise beantwortet hast) als auf den hohen Anspruch, mit dem „griffigen Begriff“ commons jetzt alles im Griff zu haben – wie Du am Anfang selber kritisch einführst. Der Aufwand, den Du selber betreiben musst, um Missverständnisse zu korrigieren (einschließlich meiner Fragen) zeigt doch, wie wenig mit diesem Begriff geklärt ist. Warum also diese (für ich vorschnelle) Vereinheitlichung und begriffliche Festlegung eines eher widersprüchlichen , diffizilen und noch sehr keimförmigen Prozesses?
Deine differenzierenden Antworten zB. empfinde ich als genau die Vorgehensweise, die mir z.Zt. angemessen erscheint!!!
Uli
Der Commons-Begriff ist einer der umstrittensten und unklarsten Begriffe, die ich kenne, und regelmäßig (z.B. bei Konferenzen) fühlen sich die einen von den anderen in irgendeiner Hinsicht mißverstanden. Das hat mit den vielen Dimensionen und Aspekten zu tun, die mit dem Begriff verbunden sind. Das habe ich versucht in den zehn Thesen zu skizzieren.
Dazu kommt, dass unterschiedliche Interessen mit den Commons verbunden werden und dass sich politisch sehr unterschiedliche Bewegungen auf die Commons beziehen. Benni hat das ganz gut dargestellt, warum die Commons eine neue strategische Möglichkeit darstellen.
In diesen Gewusel versuche ich nun bestimmte Aspekte stark zu machen, die üblicherweise in der Debatte untergehen. Mein wichtigster Punkt ist dabei, die Produziertheit der Commons zu begreifen — gegen den traditionellen Commons-Begriff, der Commons nur als Verwaltung von Ressourcen ansieht. Meine These ist, dass es sich bei den Commons im Kern um eine Produktionsweise und nicht nur um eine Managementform handelt. Partiell schimmert die Handlungsmacht, die darin liegt, manchmal durch, etwa wenn davon gesprochen wird, das Commons bedeutet, die eigenen Angelegenheiten auch tatsächlich in die eigenen Hände zu nehmen. Allerdings kann man auch hier wieder zurecht darauf verweisen, dass die Eigenaktivität ein neoliberale Denkfigur ist. Wieder nichts eindeutiges, aber so ist das.
Trotzdem halte ich es für einen Fehler, wenn die Uneindeutigkeit die Traditionslinke dazubringt, die Commons als »rückwärtsgewandt« abzutun und stattdessen auf die alten überholten Verteilungskonzepte zu setzen, deren Kern darin besteht, die Menschen per Stellvertretung ihrer Handlungsmächtigkeit zu berauben — auch das ist ein anhaltender Enclosure-Prozess. Und mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie die tonangebenden Aktivist_innen die Commons kaum entdeckt gleich wieder mit Staat und Markt versöhnen wollen und dafür sich sogar schönfärberische Begriffe ausdenken (»Partnerstaat«, »ethisches Wirtschaften« etc.). Auch diese Tendenz kann ich jedoch verstehen — Stockholm-Syndrom wäre zu negativ und psychologisierend, aber in die Richtung geht es, denn da wirkt »die unerbittliche Verwertungslogik des neuzeitlichen Weltsystems« wie du das ausdrückst.
Wenn ich nun in dieser Gemengelage in einem knappen Artikel recht eindeutig schreibe, dann hat das damit zu tun, dass ich die Sichtweise auf die Commons in einer bestimmten Weise beeinflussen will. Dass das nicht mit einem Artikel gelingen kann, ist mir schon auch klar. Vielleicht will ich ja nur zu viel auf einmal rüberbringen, worunter die Differenziertheit leidet. Deswegen ist es gut, wenn du intervenierst — vielen Dank dafür 🙂
Schon bald kann es so weit sein. Die Grünen werden in Umfragen immer beliebter und vielleicht gibt es nach schwarz-gelb ja nicht schwarz-grün, sondern wieder mal rot-grün bzw. diesmal grün-rot. Die Grünen sind ja arg innovativ wie z. B. die grüne Funktionärin Silke Helfrich, die auch hier schreibt. Nein, die Grünen sind keine verbissenen Traditionslinken mit ihren altmodischen Forderungen nach sozialer Absicherung der Menschen! Schließlich haben die Grünen ganz wichtige Reformen (Hartz IV usw.) mit auf den Weg gebracht!
Was erwartet uns wohl beim nächsten „öko-sozialen Projekt“ ?
In der aktuellen „Titanic“ dazu ein „politisches Gedicht“:
Träume von Grün-Rot
In Umfragen zeigt sich die Mehrheit
Fürs öko-soziale Projekt
Teil 2 soll dem Land endlich zeigen
Was Spannendes in ihm steckt.
Doch sah’n wir in Hollywoodfilmen:
Die Fortsetzung ist oft sehr trist,
Und wird auch der Koch plötzlich Kellner
So schauen wir trotzdem nur Mist.
Die Grünen entstammen der Venus
Die Roten, sie kommen vom Mars.
Geschichte ereignet sich zweimal:
Als Tragödie erst, dann als Farce.
So stellt sich dem Bündnis die Frage
Die bald um die Ohren ihm fliegt:
Wen werden sie künftig bekriegen
Da Serben und Arme besiegt?
@MachtsNochmal: Den Zusammenhang zum Artikel kann ich nicht so ganz erkennen, aber sei’s drum.
Nur eine Legendenbildung muss nicht sein: Silke Helfrich ist keine grüne Funktionärin, auch nicht Mitglied der Grünen, sondern Freelancerin, Betreiberin des CommonsBlogs und Mitglied des Commons Strategies Group. Hier schreibt sie nur selten, worüber wir uns aber jedes mal freuen.