Simon Sutterlütti: Drei Formen der Vergesellschaftung

Marktsozialistisches Vergemeinschaften, kommandosozialistisches Verstaatlichen oder kommunistisch / anarchistisches Vergesellschaften

Innerhalb der sozialökologischen Bewegung existieren drei Strömungen mit jeweils unterschiedlichen Praktiken von Vergesellschaftung. Marktsozialist*innen wollen vor allem Produktionsmittel innerhalb der Betriebe vergemeinschaften. Kommandosozialist*innen wollen sie verstaatlichen. Kommunist*innen und Anarchist*innen wollen Geld und Lohnarbeit abschaffen, Reichtum nach Bedürfnissen und nicht nach Leistung oder Macht verteilen und so Produktions- und Konsumtionsmittel vergesellschaften. Dieser Beitrag stellt die verschiedenen Strömungen dar und argumentiert, dass nur die kommunistisch/anarchistische Strömung eine realistische Antwort auf die sozialen und ökologischen Krisen der heutigen Zeit bietet.

Der Text ist ein Beitrag im Sammelband »Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage« von Tino Pfaff (Herausgeber). Die Veröffentlichung als Druck sowie die zusätzliche Freigabe unter einer Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0) ging mit erheblichen Kosten einher. Falls Du die Möglichkeit hast, bitten wir Dich die Crowdfunding-Kampagne zur Finanzierung des Projektes zu unterstützen: https://www.startnext.com/vergesellschaftungs-sammelband

Die drei linken Utopien

Linke Politik will den Kapitalismus überwinden, dabei hat sie jedoch sehr unterschiedliche Analysen, was Kapitalismus eigentlich ist, und somit auch, wie eine Alternative aussehen könnte. Heute lassen sich drei große linke Strömungen (Marktsozialismus, Kommandosozialismus und Kommunismus / Anarchismus) aufzeigen. Jede dieser Strömungen hat eine andere Vorstellung von Vergesellschaftung, die dieser Beitrag darstellt. Schlussendlich wird argumentiert, dass nur die kommunistisch/anarchistische Strömung echte Vergesellschaftung anstrebt, während der Marktsozialismus lediglich vergemeinschaftet und der Kommandosozialismus nur verstaatlicht, während eine sozialökologische Gesellschaft aber anarchistisch-kommunistisch sein muss.

Wie eine Strömung Vergesellschaftung anstrebt, versteht man am besten über ihre Vorstellung einer postkapitalistischen Alternative – also wie Vergesellschaftung gesamtgesellschaftlich umgesetzt werden soll –, und diese Perspektive basiert wiederum auf ihrer Kapitalismuskritik. Kapitalismus lässt sich durch drei Elemente charakterisieren, wobei jede Strömung eines dieser Elemente für die Essenz des Kapitalismus hält:

  1. Privateigentum an Produktionsmitteln: Im Kapitalismus besitzt eine gesellschaftliche Minderheit den Großteil der Produktionsmittel und damit des gesellschaftlichen Reichtums. Diese Kapitalismuskritik fokussiert sich auf Ausbeutung und Klasse.
  2. Markt: Im Kapitalismus dominiert der Markt die Wirtschaft, die meisten ökonomischen Entscheidungen fällen private Unternehmen, die in Konkurrenz zueinander stehen. Diese Kritik fokussiert sich auf den daraus entstehenden Profit- und Wachstumszwang sowie auf die Herrschaft des Marktes über den Staat.
  3. Arbeitszwang / Lohnarbeit: Menschen müssen ihre Arbeitskraft für Geld verkaufen, um Güter zu erhalten. Kritik hieran ist auf Unfreiheit, eine disziplinarisch-konsumistische Subjektivierung, Abspaltung von Sorgearbeit und die Herrschaft des Tauschwerts über den Gebrauchswert fokussiert.

Marktsozialist*innen wollen Klassenverhältnisse beseitigen, Marktsozialismus aufbauen und verstehen unter Vergesellschaftung vor allem Vergemeinschaftung. Kommandosozialist*innen wollen Klassenverhältnisse und Markt beseitigen, eine lohnarbeitsbasierte Planwirtschaft schaffen und streben Vergesellschaftung vor allem als Verstaatlichung an. Kommunist*innen und Anarchist*innen hingegen wollen alle drei kapitalistischen Elemente beseitigen, eine Verteilung und Arbeit nach Bedürfnissen schaffen und so die Gesellschaft tatsächlich vergesellschaften.

Sozialökologische Marktwirtschaft – Kapitalismus als Neoliberalismus: Markt staatlich einhegen

Für Vertreter*innen einer sozialökologischen Marktwirtschaft ist der Hauptgegner weder das Klassenverhältnis noch die Marktwirtschaft und schon gar nicht der Arbeitszwang, sondern der Neoliberalismus. Politisch wollen sie die Marktwirtschaft mittels des Staates sozialökologisch einhegen. Die sozialökologische Marktwirtschaft ist eine sozialdemokratische Strömung und findet sich bei der SPD oder dem Bündnis 90 / Die Grünen; Letztere wollen »eine sozialökologische Neubegründung unserer Marktwirtschaft«. Aber selbst weiter links, beispielsweise bei Maja Göpel, findet sich keine Absage an die Marktwirtschaft, sondern bloß das Ziel ihrer verstärkten Regulierung. Vergesellschaftung bedeutet in dieser Strömung maximal Teilverstaatlichung beispielsweise der Energieinfrastruktur, aber Vergesellschaftung als eine grundsätzliche »Eroberung der Produktion« und Neugestaltung der gesamten Wirtschaft werden in dieser Strömung keineswegs angestrebt.

Marktsozialismus – Kapitalismus als Klassenverhältnis: Vergemeinschaften

Folgen wir dem Verlauf von grün-sozialdemokratischer Regulierung weiter nach links, erreichen wir den Marktsozialismus. Der Marktsozialismus gehört zur Strömung der sozialökologischen Marktwirtschaft und wird innerhalb dieser vom linken Flügel vertreten. Die Ineffizienz und der Autoritarismus der Kommandowirtschaften des 20. Jahrhunderts haben die Marktsozialist*innen davon überzeugt, dass Marktwirtschaft effizienter und freiheitlicher ist als Planwirtschaft.

Marktsozialist*innen wollen das Privateigentum an Produktionsmitteln und damit die Ausbeutung der Arbeiter*innen durch Kapitalist*innen beenden. Deshalb soll nicht nur ein starker Staat den Markt regulieren, sondern zusätzlich sollen den Arbeiter*innen die Produktionsmittel ihres Betriebs genossenschaftlich gehören. Den Markt behalten sie als nützliches Werkzeug, die Genossenschaften produzieren weiter in Konkurrenz zueinander Waren. So wollen die Marktsozialist*innen die positiven Aspekte der Konkurrenz nutzen und die negativen durch starke staatliche Eingriffe eindämmen. Unter Kapitalismus verstehen sie vor allem Klassenverhältnis und Ausbeutung – eine heute verbreitete Definition von Kapitalismus, die den Markt eher als neutrales, demokratisch gestaltbares Instrument ansieht.

Der Marxist Karl Korsch unterschied in seiner Schrift Was ist Sozialisierung? zwei Vergesellschaftungsideen: Verstaatlichung, wobei eine zentrale Institution über die Produktion, Güterverteilung und Produktionsmittel bestimmt, und Vergemeinschaftung, wobei die Arbeiter*innen eines Betriebes selbst genossenschaftlich entscheiden. Diese beiden Sozialisierungsideen könnten sogar tendenziell den beiden großen Strömungen der Arbeiter*innenbewegung zugeordnet werden: Für Kommunist*innen sollen die Arbeiter*innen in gemeinsamer Organisation als Partei bzw. Staat entscheiden, Anarchist*innen legen die Macht stärker in die Hände arbeitergeführter Betriebe. Verbindet sich nun die Vergemeinschaftung mit Markt, entsteht der Marktsozialismus.

Soll bei Vergesellschaftung die »Wirtschaft der Gesellschaft gehören« bzw. diese über die Ziele der (Re-)Produktion entscheiden, lässt sich beim Marktsozialismus kaum von Vergesellschaftung sprechen. Marktsozialismus reduziert Vergesellschaftung. Erstens indem die Arbeiter*innen des Betriebs autonom gegenüber der Gesellschaft über ›ihre‹ Produktionsmittel verfügen. Zweitens können die Arbeiter*innen aber keineswegs autonom handeln, denn sie müssen sich auf dem Markt in der Konkurrenz bewähren. Den Arbeiter*innen muss es weiter primär um den Tauschwert ihrer Arbeit – ihren Lohn – gehen, nicht um ihren Gebrauchswert: gute und ökologisch produzierte Produkte. So handelten die selbstverwalteten Betriebe im jugoslawischen Marktsozialismus völlig rational, wenn galt: »Zielgröße ist für die jugoslawischen ›Kollektivunternehmer‹ das höchstmögliche Einkommen je Arbeiter.« Hierbei kann es betrieblich rational sein, Umwelt und Mensch auszubeuten, Kosten zu externalisieren und Arbeitsdruck zu steigern. Der Marktsozialismus verändert Beziehungen im Betrieb, nicht aber die Beziehungen der Betriebe zueinander. Die innerjugoslawische Debatte sprach dabei von »Anarcholiberalismus selbstverwalteter Gruppen«, die versuchten, ihr Einzelinteresse gegen gesellschaftliche Ziele durchzusetzen. Diesen Widerspruch von Einzel- und Gesamtinteressen muss der Marktsozialismus wie auch die Marktwirtschaft über staatliche Regeln einzufangen versuchen.

Nicht nur ist die Vergesellschaftung hier deutlich mangelhaft in ihrem Wirken, Kritiker*innen halten diese Position für ein linkskapitalistisches Märchen. Der Staat ist auf funktionierende Kapitalvermehrung bzw. Verwertung angewiesen, um seine Steuern und Kreditwürdigkeit zu erhalten. Deshalb ist es höchst fraglich, ob der Staat zu größeren Reformen innerhalb des Kapitalismus überhaupt fähig ist – wie die frustrierenden Erfahrungen linker Regierungen der letzten Jahr(zehnt)e in Südamerika (bspw. MAS in Bolivien), Griechenland (Syriza) und Spanien (Podemos) gezeigt haben. Marktsozialismus könnte etwas anstreben, was die Marktwirtschaft nicht leisten kann, und sie so als Märchen, als bloß scheinbar demokratische und flexible Gesellschaft stabilisieren: »Die Marktwirtschaft könnte so viel, wenn wir an der Macht wären.« Stimmt diese Analyse, ist eine grundlegende Veränderung der Wirtschaftsweise realistischer als die ökosoziale Reform des Marktes.

Kommandosozialismus – Kapitalismus als Marktwirtschaft: Verstaatlichen

Kommandosozialist*innen wollen sowohl Privateigentum an Produktionsmitteln als auch den Markt überwinden, aber an der Entlohnung der Arbeit festhalten. Sie argumentieren, dass der Markt nicht ausreichend reguliert werden kann beziehungsweise dass Staaten innerhalb einer globalen Marktwirtschaft zu schwach dazu sind. Die meisten Kommandosozialist*innen wollen keine genossenschaftliche Verfügung über die Produktionsmittel – dies führe nur zu »Betriebsegoismus«. Der Theorie nach sollen die Arbeiter*innen gemeinsam als »Arbeiterstaat« über alle Produktionsmittel verfügen und die Produktion planen – Verstaatlichung statt Vergemeinschaftung. Im 20. Jahrhundert ist die Kommandowirtschaft autoritär und ineffizient gescheitert, aber diesmal soll es mit Computer, Demokratie, Internet und manchmal einigen Marktelementen besser werden.

Kommandosozialist*innen kritisieren den Realsozialismus weniger politökonomisch, sondern vor allem politisch: »Hier herrschte die Partei, nicht die Bevölkerung.« Sie wollen eine staatliche Lenkung der Wirtschaft, die wirklich die Gesellschaft repräsentiert. Aber der Realsozialismus scheiterte bisher nicht nur wegen autoritärer oder inkompetenter Führung (oder auch schwacher Anreize, Auslandsboykott oder fehlender Rechenpower): Nach antiautoritären Kommunist*innen und Anarchist*innen scheiterte er, weil er im Kern kapitalistisch war, da er weiter Arbeit durch Lohn erzwang. Er war eine kapitalistische Planwirtschaft. Die fortgesetzte Lohnarbeit scheint nur ein kleiner Fehler, bei Karl Marx ein »Muttermal« der alten Gesellschaft, ein unbeliebtes, aber unvermeidliches Zugeständnis an die kapitalistische Subjektivierung. Aber Lohnarbeit ist nicht das Muttermal, sondern die Lunge des Kapitalismus.

Mit dem Beibehalten der Lohnarbeit herrschte im Realsozialismus nicht die Partei, sondern weiter der (Tausch-)Wert. Der Realsozialismus schaffte die betriebliche Konkurrenz – und damit den Profitzwang – ab, aber nicht die kapitalistische Basis; die beherrschte weiter das Handeln der Subjekte. In einer Kommandowirtschaft mag Arbeitenden und Betrieben der Gebrauchswert von Produkten und Dienstleistungen persönlich am Herz liegen, aber sie müssen sich am Tauschwert orientieren. Arbeit dient vorrangig dem Lohnerwerb. Deshalb stritten die Lohnarbeitenden im Realsozialismus sehr vernünftig für Lohnsteigerung, Minimierung der Arbeitslast und hohe Boni. Der Gebrauchswert der hergestellten Güter, fristgerechte Lieferung und Produktivitätssteigerung waren sekundär. Ihnen gegenüber stand der Planstaat, der gute Produkte, ehrliche Zahlen und Produktivitätssteigerung forderte. Aber ohne die Disziplinierung der Konkurrenz verschleierten kommandosozialistische Betriebsdirektor*innen in der DDR oder der Sowjetunion mit offenbar beträchtlichem Erfolg ihre Leistungsfähigkeit und gewannen weiche Pläne, das heißt Pläne, die keine Höchstleittung der Betriebe erforderten.

Unter der Herrschaft der Lohnarbeit sind unter anderem Maschinen, Wohnraum oder Nahrungsmittel nicht vergesellschaftet. Ihre Eigentümer*innen versuchen damit möglichst viel Tauschwert für sich herauszuschlagen. Die Betriebe produzieren meist schlechte Ware, zerstören außerdem die Umwelt und verkaufen Güter auf dem illegalen Schwarzmarkt. Die Arbeitenden liefern schlechte Arbeit und betrügen völlig rational den universellen Arbeitgeber – den Staat. Dieser versucht wiederum seine eigenen Interessen durchzusetzen.

So beendet die kommandowirtschaftliche Verstaatlichung keineswegs das gesellschaftliche Gegeneinander, sondern lenkt es nur in neue Bahnen. Auch hier gehört die Wirtschaft nicht der Gesellschaft, und Bedürfnisse lassen sich weiterhin am besten auf Kosten anderer befriedigen.

Die meisten Kommando- und auch Marktsozialist*innen wollen irgendwann den Arbeitszwang beseitigen, nach Bedürfnissen verteilen und damit Kommunismus erreichen. Sie sind nur davon überzeugt, dass es eine Übergangsgesellschaft benötigt. Das Problem liegt darin, dass Markt- und Kommandosozialismus als kapitalistische Gesellschaften keine grundlegende Veränderung zur Marktwirtschaft darstellen. Denn eine bezahlte, produktive Sphäre existiert ebenso weiter wie eine abgespaltene, abgewertete – und patriarchal feminisierte – unbezahlte Sphäre. Noch immer disziplinieren sich Menschen für die Arbeit und erwarten als Kompensation möglichst hohe materielle Konsumoptionen – eine Subjektform, die kaum zu ökologischer Begrenzung oder globaler Angleichung von Wohlstand passt. Deshalb braucht die Linke eine neue Vision jenseits dieser sozialistischen Varianten des Kapitalismus.

Anarchismus & Kommunismus – Kapitalismus als Lohnarbeitsgesellschaft: Vergesellschaften

Laut Anarchist*innen und Kommunist*innen betrifft Vergesellschaftung die Produktionsmittel ebenso wie die Konsumtionsmittel: Der Reichtum wird gerecht geteilt. Das bedeutet das kommunistische »jede nach ihren Bedürfnissen« – nicht das realsozialistische »jede nach ihrer Leistung« – und damit das Ende der Lohnarbeit.

Dieses Wissen findet sich auch heute in der Vergesellschaftungsbewegung, so fordert beispielsweise die Bewegung »Deutsche Wohnen & Co enteignen« (DWE): »Nicht die Zahlungsfähigkeit, sondern der Bedarf entscheidet.« Vergesellschaftete Wohnungen will DWE nach einem gewichteten Losverfahren verteilen, indem unterversorgte und bedürftige Gruppen zusätzliche Lose und damit eine höhere Chance erhalten. Mit dem Ende der Verteilung nach Macht und Arbeitsleistung regiert nur ein Prinzip: der Gebrauchswert. Der einzige Grund für Menschen, zu arbeiten oder zu verfügen, ist der Gebrauchswert, egal ob Fahrräder, Pflege oder erneuerbare Energien. Nicht mehr der Tauschwert beziehungsweise der Lohn beherrscht die Arbeit, sondern Arbeiter*innen haben gute Gründe, umweltverträglich, effizient, ausgelastet und gut zu (re-)produzieren. Die Bedürfnisse regieren die Wirtschaft. Damit wären alle drei Elemente des Kapitalismus beseitigt, aber keineswegs alle Konflikte, denn Bedürfnisse widersprechen sich. Viel Zeit für Muße oder viel materieller Wohlstand? Viel Arbeit und Ressourcen für erneuerbare Energien oder menschenwürdiges Wohnen?

Zur Aushandlung dieser Konflikte existieren zwei große Modelle einer Postarbeitszwanggesellschaft, die Korschs Gedanken und den Markt- beziehungsweise Kommandosozialismus widerspiegeln. Für zentralistische Kommunist*innen wie beispielsweise Rätekommunist*innen braucht es eine zentrale Institution, die Bedürfnisse aufnimmt, Pläne zur Abstimmung stellt oder ökologische Normen durchsetzt. Viele Anarchist*innen und dezentrale Kommunist*innen halten es mit Korsch: »Die Durchführung der ›Sozialisierung‹ denkt sich der Unkundige gewöhnlich in der Form der einfachen Verstaatlichung.« Aber keine einzelne Institution kann die Gesellschaft repräsentieren, Gesellschaft ist nicht monoinstitutionalisierbar. Solch eine Institution würde zu viel Macht anhäufen, sich verkrusten und abdichten, sich vielleicht immer weiter ausdehnen oder sogar zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen wieder Geld und Lohn einführen. Nur eine Vielzahl von Institutionen könnte die Bedürfnisse der Menschen herrschaftsarm in sich aufnehmen und repräsentieren. Hierzu würde der Ansatz des Commonismus tendieren. Dagegen wenden die Zentralist*innen allerdings ein, dass ein dezentraler Ansatz unklare Entscheidungsprozesse, informelle Hierarchien und Ineffizienz produziere.

Unabhängig davon, ob eine kommunistisch / anarchistische Vergesellschaftungsbewegung nun zentraler oder dezentraler Koordination zuneigen würde, in ihrem Kern hat sie eine grundlegend andere linke Erzählung, ein anderes linkes Versprechen als die anderen beiden Strömungen. Kommando- und Marktsozialismus versprechen vor allem Gerechtigkeit sowie (häufig sekundär) Ökologie und Zukunftsfähigkeit, aber Gerechtigkeit ist global zu denken und nicht nur national. Deshalb verlangt die kommunistisch / anarchistische Vergesellschaftungsbewegung eine enorme Umverteilung des Reichtums vom Globalen Norden in Regionen und Länder des Globalen Südens. Auch eine ökologische Gesellschaft braucht trotz allem public luxury and private sufficiency Konsumreduktion im Globalen Norden. Diese notwendige Reduktion beziehungsweise Verlagerung trifft aber nun auf kapitalistische Subjekte, die Konsum als Kompensation für jene Gewalt erfahren, die sie sich in der Lohnarbeit antun. Eine Gewalt und Subjektivität, die Markt- und Kommandosozialismus zwar abschwächen, aber auch verlängern. Genau diese Subjektivität und diesen konsumistisch reduzierten Wohlstand mobilisiert die Rechte so erfolgreich – und teilweise mit Recht – gegen die Grünen.

Die ökologisch und sozial notwendige Konsumreduktion ist nur tragbar bei radikaler Gerechtigkeit – alles nach Bedürfnissen – und damit einem Ende für die Quelle der Konsumfixierung: die Arbeitsgewalt. Solch eine Gesellschaft könnte auch eine Freiheit anbieten, die die gegenwärtige Klassengesellschaft nur ihrer Elite anbietet: über die eigene Zeit frei verfügen zu können. Mit dem Ende der Lohnarbeit entsteht nicht nur eine neue Praxis des Reichtums, sondern fällt auch die Abspaltung der Sorgearbeit. Wir müssen sie nicht mehr der Herrschaft des Geldverdienens unterwerfen und sie in Nischen prekär und ständig beschleunigt erledigen, sondern den Kindern, Alten und Kranken die Zeit und Energie geben, die sie tatsächlich benötigen und verdienen. Wir würden nicht mehr erschöpfen, sondern regenerieren wie Eva von Redecker schreibt.

Schlussendlich bedeutet das Einstehen für Verteilung nach Bedürfnissen und – was dasselbe ist – motivierte Tätigkeit nur ein Ernstnehmen der eigenen linken Praxis. Denn die Linke organisiert sich zentral auf kommunistisch / anarchistischer Basis von Freiwilligkeit und kollektiver Verfügung, die wir »Commons« nennen würden. Wir würden nicht mehr antreten mit dem Märchen einer Reform des Marktes oder einer erneuten Kommandoplanung, nicht mehr mit der gleichmäßigen Unterwerfung der Gesellschaft unter die Lohnsklaverei, sondern mit der Praxis und Idee einer Gesellschaft nach dem Geld, in der Menschen echte Freie und Gleiche sind.

Simon Sutterlütti forscht und publiziert zum Thema gesellschaftliche Trans- formation und postkapitalistische Gesellschaften. Er ist aktiv im Commons- Institut und arbeitet in dem Verbundprojekt »Gesellschaft nach dem Geld«. Er ist Co-Autor von Kapitalismus aufheben. Dieser Text ist ein Beitrag im Sammelband »Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage« von Tino Pfaff (Herausgeber). Der Sammelband steht zur freien Verfügung und enthält sämtliche Fußnoten und Querverweise, die in der WordPress-Veröffentlichung nicht übertragen wurden. Weiterhin bitten wir darum – insofern es finanziell möglich ist – das Crowdfunding zur Abzahlung der durch die Veröffentlichung entstandenen Kosten zu unterstützen: https://www.startnext.com/vergesellschaftungs-sammelband

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