Monat: Januar 2016

Unsere NK-Projekte sind die Keimform einer utopischen Gesellschaft – sind sie das?

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]

Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"Es tut gut, sich in einem solidarischen Netzwerk zu begegnen, d.h. mit Menschen in einem Zusammenhang zu sein, in dem alle geben und nehmen, ohne zu tauschen, ohne aufzurechnen, einfach weil es menschliche Gesten sind. Geld und Besitz sind unwichtig.

Es ist eine Vision, wie die Welt anders aussehen könnte – keine Konkurrenz, kein Raub, keine Ausbeutung. Wie schön, dies im Kleinen zu leben und damit die Vision zu haben, dass dies eine Keimform[1] ist, aus der sich andere gesellschaftliche, antikapitalistische Verhältnisse entwickeln können.

Aber dann kommen meine Zweifel. Und ich frage mich, ob unsere NK-Experimente wirklich eine emanzipative Ausrichtung haben oder ob sie nur Lückenbüßer sind, die Defizite kompensieren, die die Umbrüche in der gegenwärtigen kapitalistischen Neuausrichtung mit sich bringen. Wir erleben alle, wie die soziale Versorgung abgebaut oder in profitorientierte Unternehmen übergeben wird, die Löhne weiter sinken, Verarmung und Ausgrenzung auch hier zunehmen.

(mehr …)

Nicht-Kommerziell oder Abgespalten? – Wert-Abspaltung, Nicht-Kommerzialität und die Gefahren vereinseitigender Kritik und Praxis

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"

Sind die ‚gallischen Dörfer‘ in der total durchkommerzialisierten Welt immer fortschrittlich?

Wenn wir die Welt von heute betrachten, so scheint sie von vorne bis hinten ‚durchkommerzialisiert‘ zu sein. An jeder Ecke die Möglichkeit, für Geld zu konsumieren, jegliche Tätigkeit zumindest potentiell als ‚Arbeit‘ zu kaufen und ein immer größer werdender Berg an Waren, der den Markt füttert. Das Ziel all dessen, was als ‚Kommerz‘ verstanden wird, ist dabei die Erwirtschaftung eines Gewinns. Dass dieses Gewinnstreben nicht nur auf persönlicher Gier beruht oder eine einfach zu ändernde Facette der Wirtschaftsform darstellt, sondern auf einem versteckten und unbewussten Impuls der Mehrwertproduktion beruht, haben andere Beiträge bereits gezeigt[1]. Hieraus ist die Konsequenz zu ziehen, dass Versuche, nicht-kommerzielle Räume zu schaffen, mit zahlreichen ‚systemischen‘ Schwierigkeiten konfrontiert sind. Eine Welt ohne Geld und Gewinnstreben im Kleinen zu schaffen ist mehr als schwierig, wenn rundherum zahlreiche Sachzwänge existieren, die in die entgegengesetzte Richtung führen.

Eine Welt ohne Geld und Gewinnstreben im Kleinen zu schaffen ist mehr als schwierig, wenn rundherum zahlreiche Sachzwänge existieren, die in die entgegengesetzte Richtung führen.

(mehr …)

Wie(so) ich mich an die NKL ranrobbte

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]

Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"Im April 2013 bin ich zusammen mit anderen Verrückten auf den Karlshof in der Uckermark gezogen mit der recht vagen Idee, einen gemeinschaftlichen, nicht-kommerziellen Initiativen-Hof[1] zu organisieren.

Mit der Idee der Nicht-kommerziellen Landwirtschaft bin ich selbst 2006/2007 das erste Mal in Berührung gekommen, durch Besuche der damaligen Gruppe auf dem Karlshof. Später war ich hin & wieder bei den monatlichen Kartoffelcafés[2] in Berlin und backte mit der damaligen Berliner NK-Backgruppe.

Was mensch sucht…

Meine Motivationen, auf den Hof zu gehen, waren ganz vielfältig und nicht (nur) weil ich unbedingt ein nicht-kommerzielles Projekt aufbauen wollte.

Ich hatte wenig Erfahrung und viel Lust auf das Leben in und mit einer Gruppe, war sehr abgegessen von dem anstrengenden Aufbau einer Firma – die, wie ich lernen musste, wirtschaftlich nur erfolgreich sein oder bestehen konnte, wenn wir den ganzen Scheiß[3] selbst reproduzierten, den ich selbst am Kapitalismus kritisierte. Ich hatte Lust, aus der Stadt wegzuziehen, Lust auf Landleben und Landwirtschaft.

(mehr …)

Stuttgart Open Fair Forum 2016

stuttgart-open-fair-2016Stuttgart Open Fair (SOFa) versteht sich als Vernetzungsplattform für Projekte und Initiativen der Stadtentwicklung und lädt alljährlich zu einem Forum, dieses Jahr vom 29. bis 31. Januar unter dem Motto „Säen für die Stadt von morgen“. Hier das Programm.

Ich werde mich an drei Workshops und Podien beteiligen:

  • Sa, 10:00 – 11:30 Uhr, Workshop 1: Wo stehen wir?: „Was heißt hier Transformation? Drei Konzepte im Vergleich“ mit Stefan Meretz, Keimform
  • Sa, 14:30 – 16:00 Uhr: Podium: Strategien für Akteure des Wandels, mit Katja Maurer (medico international), ­Fabian Scheidler (Kontext TV) und Stefan Meretz (Keimform)
  • Sa, 16:30 – 18:00 Uhr, Workshop 2: Wie können wir die Welt verändern? Bewegungsspielräume global und lokal: „Zur Entstehung und Überwindung des Geldes“ mit Stefan Meretz, Keimform und Fabian Scheidler, Kontext TV

„Zwei machen sich Gedanken…“ – Ein Gespräch über NK & Charity

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]
Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"

Sag mal, meinst du nicht, dass diese nicht-kommerziellen Formen von Ökonomie wie die NKL letztlich einfach eine Art von Charity sind?

Was meinst du mit Charity?

Damit meine ich Formen von Hilfeleistungen, bei denen die, die relativ gesehen im Überfluss leben, denen abgeben, die nicht genug haben. Also was man im klassischen Sinn als Mildtätigkeit oder Almosen geben bezeichnet, aber auch ehrenamtliche Tätigkeiten.

Dann kann man die nicht-kommerzielle Landwirtschaft ganz sicher nicht dazu zählen. Denn alle Formen von ehrenamtlicher Hilfe schaffen ja ein Gefälle zwischen denen, die etwas brauchen, und denen, die in der Lage sind, es zu geben. Sie schaffen es bzw. sie bringen es zum Ausdruck. Wobei, genau genommen, der Abstand durch diese Form der Unterstützung noch größer wird. Denn durch die Mildtätigkeit, wie du es ausdrückst, kann z.B. auch so etwas wie kulturelles Kapital[1] angehäuft werden, das sich indirekt und längerfristig auch in finanzielle Vorteile umwandeln lässt.

Handelt es sich denn bei nicht-kommerzieller Landwirtschaft überhaupt um eine Form der Ökonomie? Oder beschreibt der Begriff eine soziale Struktur, also einfach eine bestimmte Form, zusammen zu leben und sich aufeinander zu beziehen?

(mehr …)

„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile oder: Die Revolution beginnt im Garten“

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]
Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"

Kondensat aus einem Gespräch zwischen den vier Menschen aus der Garten-Initiative, geführt im Juli 2014

Seit Anfang 2014 sind wir zu viert in der Garten-Initiative am Karlshof[1]. Einmal in der Woche haben wir einen gemeinsamen Gartentag. Während der verbleibenden Tage werkeln wir auch im Garten, entweder zusammen oder auch jede für sich. Regelmäßige Arbeiten, wie etwa das Gießen, teilen wir untereinander auf. Der Garten erfordert von uns sowohl eine kontinuierliche Präsenz als auch einen zugewandten Kontakt zu lebendigen Prozessen. Außerdem konfrontiert uns die feinteilige Arbeit im Garten, wie etwa das Vereinzeln kleiner Jungpflanzen und das Hacken der Beete per Hand, mit einer ungewohnten Langsamkeit. Sie bringt uns dazu, uns in der Pflege, Achtsamkeit, Fürsorglichkeit und Verantwortung für die Prozesse im Garten und auch mit uns selbst zu üben.

Zu Beginn der Gartensaison 2014 haben wir einen Garten-Ini-Fanclub ins Leben gerufen (den 1. FC GINI), um den Garten für gemeinschaftliche Gestaltung zu öffnen, ihn zu teilen und auch weil wir insgesamt auf Unterstützung angewiesen sind. Der Fanclub besteht aus Personen, die in einer persönlichen Beziehung zu uns stehen. Zu Beginn luden wir garteninteressierte Freund*innen von uns dazu ein, die nach und nach wiederum weitere Freund*innen mitbrachten.

Einmal im Monat laden wir unseren Fanclub zu einem gemeinsamen Garten-Wochenende auf den Karlshof ein und erfahren dadurch nicht nur tatkräftige Mithilfe bei kleineren und größeren Gartenaktionen, sondern es hat sich durch die regelmäßigen Treffen ein verbindliches, aufeinander bezogenes Unterstützer*innen-Netzwerk von ca. 10 Personen gebildet. Eines der besonderen Merkmale der Garten-Wochenenden ist, dass sie einen geschützten Raum für eine Haltung der expliziten Wertschätzung von Bezogenheit bieten, in dem es um ein kooperatives, empathisches Miteinander geht, den es unserer Meinung nach in den meisten gesellschaftlichen (Arbeits-)Zusammenhängen eher nicht gibt.

… sich gegenseitig die Anerkennung und Autorität dazu zu geben, so im Leben tätig zu sein, wie es eine Person glücklich macht oder wo eine was sucht

(mehr …)

NK-Projekte – aus chinesischer Sicht

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"

Bei meiner letzten China-Reise 2011 habe ich mit alten und neuen Bekannten viel über sie und China gelernt. Wenn sie etwas über mich wissen wollten, habe ich auch etwas über unsere Projekte erzählt (NK-Kartoffel, Sissi/Lernwerkstatt, Anfänge der Kaskade)[1] und um Reaktionen gebeten. Hier einige Kommenare:

Q.W. (31, Dr.d.Mathmatik, IT-Ingenieur): Niemand wird Euch hindern, ins Mittelalter zurückzukehren – aber die globale Entwicklung wird exakt in die Gegenrichtung gehen.

Li S. (68, Rentner, ehemals Metall-Facharbeiter): In meiner Jugend haben wir in unserer Volkskommune versucht, fast alles neu zu gestalten: solidarische Arbeitsteilung, Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit, gleichberechtigte Beziehung von Frauen und Männern, gemeinsame Kindererziehung in kleinen Gruppen, gemeinsame Großküchen. Das war ein abenteuerliches Leben – viele Bedenken in uns mussten überwunden werden. Das fand aber bald ein Ende, als es nicht mehr freiwillig war: die Partei hat das befohlen und gelenkt – selbst ich ging bald in passive Opposition.

Wenn Ihr jetzt etwas ähnliches unter völlig anderen Bedingung versucht, wünsche ich Euch viel Glück! Berichtet, wie es bei Euch weiter geht.

(mehr …)

Bedürfnisse

Die Frage danach, was eigentlich Bedürfnisse sind, hat sich als seltsamer Attraktor recht vieler Diskussionen erwiesen. Deswegen möchte ich der Sache hier mal etwas auf den Grund gehen. Es gibt dabei recht viele Definitionen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Diejenige, die ich hier vorstelle, ist daran orientiert, ob sie hilfreich ist für die Fragen, die uns hier im Blog interessieren, letzten Endes also um die Frage zu beantworten, was das eigentlich ist, was alle kriegen sollen, wenn alle kriegen, was sie brauchen. Es geht also nicht darum ein für alle Mal festzuhalten, welcher Bedürfnisbegriff nun der einzig wahre und richtige ist, sondern darum einen Begriff zu finden, der für unsere Diskussionen auf der Suche nach Keimformen einer neuen Gesellschaft, in der gilt: jede*r nach ihren Bedürfnissen, jede*r nach ihren Fähigkeiten, funktional ist.

Wie so oft, ist es hilfreich für Definitionen mit Abgrenzungen zu beginnen. Was genau sind Bedürfnisse also nicht?

(mehr …)

Welcher Bruch mit welchen Verhältnissen? Über Begrenzungen und Perspektiven alternativökonomischer und nicht-kommerzieller Praxen

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]

Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"Für die Entwicklung einer emanzipativen Praxis ist Wissen und Reflexion über die gesellschaftlichen Strukturen von entscheidender Bedeutung. Denn sie geben das Handlungsfeld vor, auf dem wir uns bewegen. Ein Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse hilft, Fallstricke zu vermeiden, Widersprüche zu begreifen und sie damit prozessierbar zu machen. Davon ausgehend hilft ein solches Strukturwissen auch, emanzipative Potentiale oder Beschränkungen von Praxen zu reflektieren und zu entschlüsseln:

  • In welchen Bereichen gibt es einen fundamentalen Bruch mit den gängigen Logiken und Strukturen, so dass Denkmöglichkeiten, Handlungsperspektiven und Wege für eine ganz andere Vergesellschaftung eröffnet werden?
  • Wo werden gesellschaftliche Strukturen und Handlungslogiken nicht hinterfragt, werden nur Teilaspekte kritisiert (wie bspw. der Zins, die Finanzspekulation, der Zwischenhandel oder die Marktmacht von multinationalen Konzernen), die für das wirkliche Problem gehalten und damit (unbewusst) Bestehendes fortgesetzt werden oder sogar eine Praxis entwickelt, die emanzipativen Veränderungen letztlich im Wege steht?

In einem ersten Schritt werden wir kurz unsere theoretische Perspektive vorstellen, um darauf aufbauend ein grobes Raster zur Bewertung alternativer gesellschaftlicher Praxen zu entwerfen. In einem zweiten Schritt werden wir ausgewählte alternative Praxen – fokussiert auf den Bereich der Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln – anhand dieses Schemas beurteilen. Wir wollen hierbei sowohl zeigen, was wir gut finden, als auch, was uns zu kurz kommt bzw. für uns unzulänglich bleibt. Daraus ergibt sich für uns, dass im Vergleich gerade nicht-kommerzielle Handlungsansätze ein größeres emanzipatives Potential aufweisen als andere alternative Praxen.

(mehr …)

Zur gesellschaftlichen Wirkung von NK-Projekten – einige Zweifel, Fragen und kritische Anmerkungen

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]

Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"Meine Ausgangsfragen: Sind unsere bescheidenen Experimente Keimformen einer anderen, nicht-kapitalistischen Gesellschaft? Sind in ihnen also wesentliche Potentiale für eine Transformation angelegt? Oder sind sie eher Nischen von einigen wenigen, letztlich privilegierten Menschen, die sich etwas abseits von den herrschenden Lebensformen ihren Bedürfnissen entsprechend organisieren?

Angesichts eines gegenwärtig übermächtig erscheinenden Kapitalismus, seiner allerorts sichtbaren zerstörerischen Kraft sowie seiner sehr zaghaften Infragestellung in unseren Breitengraden, fällt es mir schwer, mich Fragen einer Transformation der Gesellschaft zu widmen. Es scheint fast müßig. Doch dann bringen ein gewisser Trotz, meine Lust an Zuspitzungen, sicher die Wut über immer neue Schweinereien, die dieses System produziert – in den letzten Monaten gespeist durch meine Beziehungen zu den afrikanischen Refugees vom Oranienplatz[1] – mich wieder dazu, diese Fragen nicht aus den Augen zu verlieren.

Blicke über den Tellerrand, ob nach Indien oder Lateinamerika, zeigen, dass oft überraschend Machtverhältnisse erodieren und sich neue Räume für gesellschaftliche Veränderungen eröffnen.

(mehr …)