Monat: November 2006

Web-2.0 in echt?

Spiegel-Online interviewt den Open-Source-Papst Tim O’Reilly zu Web-2.0. Sein Neues Projekt: Eine Zeitschrift names make mit dem Fokus auf 3-D-Drucker:

SPIEGEL ONLINE: Ihr Name ist mit zwei Trendbegriffen unserer Zeit aufs Engste verknüpft: Open Source und Web 2.0. Welches Buzzword denken Sie sich als nächstes aus?

O’Reilly: Unser nächstes großes Projekt steckt in einem neuen Magazin, das wir herausbringen. Es heißt „Make“. Wir konzentrieren uns darauf, wie Computer beginnen, mit der physikalischen Welt zu interagieren – wie beim Custom Manufacturing, der Maßanfertigung von Produkten. Gerade ist zu beobachten, dass viele Hacker Dinge herstellen: Die Leute haben ihre dritte oder vierte Digitalkamera, und was machen sie mit der alten? Sie können sie für Basteleien wiederverwenden. Inzwischen gibt es alle möglichen Geräte für derlei Maßproduktion, Laser-Schneidegeräte und 3D-Drucker, und sie kosten heute etwa so viel wie eine Schriftsatz-Maschine zur Zeit der Desktop-Publishing-Revolution.

SPIEGEL ONLINE: Der Fokus verschiebt sich also von der Software zurück in die wirkliche Welt?

O’Reilly: Ja. Wir treten ein in das Zeitalter der Maßfertigung. Nehmen Sie den Bereich der synthetischen Biologie, wo sich diese Maßfertigung bis hinunter auf die Ebene der chemischen Prozesse und Stoffe erstrecken wird. Ganz zu schweigen davon, dass wir heute Dinge in relativ kleiner Stückzahl herstellen lassen können, in Ländern mit relativ niedrigen Lohnkosten. Es gibt immer ausgefeiltere Simulations- und Entwurfwerkzeuge. Leute konstruieren Dinge in „Second Life“ oder mit Sketchup von Google. Solche Werkzeuge zur Gestaltung virtueller Objekte sind heute viel stärker demokratisiert, viel weiter verbreitet als je zuvor. Es gibt zum Beispiel Dienste, über die man sich seinen Avatar aus „Second Life“ als 3D-Modell ausdrucken lassen kann. Das ist ein Aufbruch in neue Welten.

Quelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,451248,00.html

Streifzug-Review 4: »Wissensallmende«

Antipolitk: Gegen-Politik.Die vierte Ausgabe der Kolumne »Immaterial World« in der Wiener Zeitschrift »Streifzüge« schien ziemlich langweilig gewesen zu sein: Niemand hat einen Kommentar geschrieben. Vielleicht auch deswegen, weil besprochene das Attac-Büchlein »Wissensallmende. Gegen die Privatisierung des Wissens der Welt durch ‚geistige Eigentumsrechte’« langweilig ist? Oder weil es einfach langweilig ist, durch Attac immer wieder auf den Staat als Retter in der Not verwiesen zu werden? Wer weiss das schon. Es lohnt sich trotzdem, das Buch zu lesen:-)

Macht, Wahnsinn und Struktur

Dank einem Hinweis von Christine bin ich auf folgendes gestoßen: Leute aus Köln haben ein sehr interessantes Planspiel durchgeführt. Ausgehend von Focaultscher Theorie über die Konstruktion von Normaität und Wahnsinn haben sie einen Tag in einer Psychatrie nachgestellt. Die „Patienten“ wussten nichts davon, haben aber nach kurzer Eingewöhnung prima mitgespielt:
http://www.uni-koeln.de/ew-fak/konstrukt/texte/download/psychiatriespiel.pdf

Der Geist des Kopierens

In einem schon etwas älteren – August 2006, also ewig her -, aber immer noch onlinigen Text schreibt Peter Glaser über die „Zivilisationsstrategie“ des Kopierens und gibt zu bedenken, dass die digitale Kopie ja eigentlich keine mehr sei, da sie „den Unterschied zwischen Original und Kopie auslöscht“. – Noch nie was von Remix gehört, Peter? (Danke an Heike für den Hinweis!)

Thesen, die Dritte

Nach den Hamburger »Thesen für eine solidarische Ökonomie« und Bennis »Thesen zur Transformation« gibt es nun eine Wortmeldung aus Bremen, die sich direkt auf die Hamburger Thesen bezieht: »Thesen für eine solidarische Ökonomie – eine Antwort aus Bremen«. Herausheben möchte ich die Bremer Forderung nach einem »bedingungslosen Grundeinkommen«, aber nicht – Staat-hilf-uns – für alle, sondern »im selbstorganisierten Innenraum« als materielle Basis für die praktische Solidarität im Alltag. Wird der großenteils reichlich bescheuerte Kongress »Wie wollen wir wirtschaften? Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus« eine Diskussion in dem einen oder anderen Workshop ermöglichen?

Die Wikipedia ist besser als ihr Ruf

Im der aktuellen First Monday ist ein Artikel über Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Wikipedia erschienen: An empirical examination of Wikipedia’s credibilit. Das interessante (wenn auch nicht wirklich überraschende) Ergebnis:

  1. Die Zuverlässigkeit der Wikipedia ist hoch – Expert/innen fanden jeweils nur wenige Fehler.
  2. Die Wikipedia ist besser als ihr Ruf – Leser/innen ohne einschlägige Erfahrung hielten Artikel tendenziell für weniger glaubwürdig als Expert/innen aus dem jeweiligen Fachgebiet.

Aus dem Abstract:

This short study examines Wikipedia’s credibility by asking 258 research staff with a response rate of 21 percent, to read an article and assess its credibility, the credibility of its author and the credibility of Wikipedia as a whole. Staff were either given an article in their own expert domain or a random article. No difference was found between the two group in terms of their perceived credibility of Wikipedia or of the articles’ authors, but a difference was found in the credibility of the articles — the experts found Wikipedia’s articles to be more credible than the non–experts. This suggests that the accuracy of Wikipedia is high. However, the results should not be seen as support for Wikipedia as a totally reliable resource as, according to the experts, 13 percent of the articles contain mistakes.

Der Autor warnt allerdings, dass die unterschiedlichen Einschätzungen der Glaubwürdigkeit nur mit 90% Wahrscheinlichkeit signifikant sind (nicht mit 95%, was üblicherweise der höchste Standard ist) und man diese Ergebnisse in größeren Studien überprüfen sollte. Und die Tatsache, dass in 13 Prozent der Artikel Fehler gefunden wurden, zeigt natürlich, dass ein „gesundes Misstrauen” gegenüber Informationen, die man nicht beurteilen kann, durchaus angebracht ist – aber das gilt nicht nur für die Wikipedia, sondern generell.

Hoffentlich ist er der Presse nicht gelungen, den Ruf der Wikipedia mit den regelmäßig hochkochenden Skandälchen dauerhaft anzukratzen. Verdient hätte sie das, wie sich hier auch wieder zeigt, nicht.

Interview mit Jaron Lanier im Spiegel

Der Spiegel hat (für zwei Wochen kostenlos) ein Interview mit Jaron_Lanier im Netz, mit kritischen Bemerkungen zur „Weisheit der Massen“:

Lanier: Die schlimmste ist der Glaube an die sogenannte Weisheit der Massen, die im Internet ihre Vollendung finde.

… Mir bereitet die Vision Sorgen, nur das große Ganze, das Kollektiv sei real und wichtig – nicht aber der einzelne Mensch. Das war der Fehler in allen totalitären Ideologien, vom Nazi-Regime über Pol Pot bis zu den Islamisten.
… Schnell wird der Einzelne Opfer des Mobs; die Gefahr von Wiki-Lynchjustiz halte ich für sehr real. In der Wikipedia-Welt bestimmen jene die Wahrheit, die am stärksten besessen sind. Dahinter steckt der Narzissmus all dieser kleinen Jungs, die der Welt ihren Stempel aufdrücken wollen, ihre Initialen an die Mauer sprayen, aber gleichzeitig zu feige sind, ihr Gesicht zu zeigen.

Bemerkenswert finde ich Laniers Idee von „Digitaler Eingeschlossenheit:“ :

Leider durchlaufen digitale Strukturen, im Gegensatz zur menschlichen Kultur, keine Evolution. Sie werden gleichsam eingeschlossen.

Nehmen Sie die Geschichte von Midi. Das ist ein technischer Standard, wie der Computer Musik beschreibt. Den hat vor 25 Jahren mein Freund Dave Smith entwickelt, als Wochenendprojekt, gedacht dafür, zwei Synthesizer miteinander zu verbinden. Aber wie es so geht, wurde es der universale Standard für musikalische Klänge. Der steckt auch in Ihren Handys und lässt sie klingeln. Praktisch jeder Musiker findet Midi unangemessen, es gab endlose Kongresse, die es überarbeiten wollten. Aber das geht nun nicht mehr.

Midi ist einer der Gründe dafür, dass sich unsere Musik heute so mechanisch anhört: Club-Music, HipHop und so weiter – das ist genau das, was Midi gut kann. Viele meiner Kollegen in der Computerwelt wollen die antievolutionären Eigenschaften digitaler Techniken nicht wahrhaben. Sie erliegen dem Trugschluss, Computersysteme entwickelten sich und Software würde besser und besser.

Seine Ideen das ganze besser zu machen scheinen mir allerdings kaum Richtungsweisend:

Ich würde eine Technik erfinden, wie man im Internet unmittelbar mit Inhalten Geld einnehmen kann. Das wäre für viele Menschen der Anreiz, anspruchsvolle Dinge im Internet zu veranstalten und zu veröffentlichen. Sofort gäbe es eine Fülle unterschiedlichster ernstzunehmender Stimmen – und dem Kollektivismus wäre die Grundlage entzogen.

Einen weiterer Kommentar dazu findet sich auch bei commonspage.