Monat: August 2009

Dieter Althaus – oder: warum es manchmal keine Affäre gibt

Dieser Beitrag ist etwas off-topic. keimform konzentriert sich normalerweise aufs Neue und wie man da hinkommt, statt das Alte zu kritisieren. Aber am Wahltag kann ich mich dem Politikrummel nicht ganz entziehen und richte daher den Blick auf die Powers that be, die nicht zu feiern verstehen und zum Machterhalt ziemlich unschöne Sachen machen. Gähnst du, liebe Leserin? Natürlich, es ist das alte Lied, aber die singen sich ja manchmal am besten …

Dieter Althaus hat sich mit Hilfe der Lotto-Treuhandgesellschaft Thüringen ein Heft drucken und an die Haushalte des Landes versenden lassen, in dem die CDU seit 19 Jahren regiert. Die Jungle World schreibt: „Es tritt auf als unabhängiges journalistisches Erzeugnis. Umrahmt von Berichten, die ihr Land als eines der Superlative schildern, können sie darin auch die glückliche Ehe-Story der Familie Althaus nachlesen sowie sämtliche Kandidaten der CDU für die Landtags- und Bundestagswahlen bestaunen.“ Finanziert hat das Blatt der Geschäftsführer der Lotto-Treuhandgesellschaft, Jörg Schwäblein, der fast vier Wahlperioden für die CDU im Thüringer Landtag saß und dann Anfang 2009 den attraktiven Geschäftsführerposten erhielt. Dafür hat er sich nun offenbar revanchiert.

Das Heft ist Betrug in mehr als einem Sinn: (mehr …)

Krise und Kommunikation

Kann die Wirtschaftskrise der Linken helfen, ihre Analysen und Konzepte zu vermitteln? Dazu habe ich mir einige Gedanken gemacht und in Form von fünf Thesen gefasst, die in Unterpunkten erläutert werden. Hier geht es nicht darum, wie man mit der Krise umgeht (vgl. auch hier) oder sie analysiert (vgl. auch hier), sondern was sich durch die Krise für die ändert, die über Alternativen zum Kapitalismus nachdenken und reden. Die Thesen sind provisorisch und als Denkanstöße gemeint. Über Korrekturen, Ergänzungen, Widerspruch freue ich mich!

  1. Das Ende des Kapitalismus kann leichter gedacht werden.

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14 Thesen zum Urheberrecht

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  1. Musiker, Texter, Filmschaffende und andere Kreative sind auf ihr Publikum angewiesen. Ohne ihr Publikum wären sie nichts. Unter kapitalistischen Bedingungen sind sie aber ebenso darauf angewiesen ihr Publikum selektiv auszuschließen, wenn sie von ihrem Schaffen leben wollen – was sie müssen, wenn sie sich ganz auf ihr Schaffen konzentrieren wollen. Dabei handelt es sich um eine grundsätzliche Selbstfeindschaft der professionellen Kreativen, die unter kapitalistischen Bedingungen nicht zu verhindern ist. Diese Selbstfeindschaft ist dem Leben im Kapitalismus generell eigen, doch ist sie selten so unmittelbar wirksam wie bei den professionell Kreativen.

  2. In der industriellen Periode war es die Aufgabe von Verwertungsgesellschaften und Verwertungsindustrien diese Selbstfeindschaft zu organisieren. Der massenhafte Verkauf von Tonträgern und ähnliches ermöglichte es den Kreativen mit der Masse zu kommunizieren und trotzdem zu selektieren. Durch diese Versöhnung der Selbstfeindschaft konnte der weiterbestehende Widerspruch zwischen dem notwendigen Wunsch der Kreativen nach Publikum und dem ebenso notwendigen Ausschluss von Teilen des Publikums verdeckt werden. (mehr …)

Gegen Markt, radikal!?

GEGEN MARKT RADIKALAber hallo, das verblüfft mich ja nun doch! Ver.di tritt mit dem Slogan GEGEN MARKT RADIKAL zur Bundestagswahl auf. Eine bewusste Wortspielerei, die im Vorübergehen den Markt komplett in Frage stellt: RADIKAL GEGEN MARKT. Gemeint ist wohl eher gegen einen radikalisierten Markt, also GEGEN RADIKAL-MARKT.

Denn ver.di ist so treu wie alle anderen Gewerkschaften für den Markt. Alles andere ist denkunmöglich. In den Siebzigern hätten die ver.di-Vorläufer etwa texten können MARKT GEGEN RADIKALE. Aber heute? Liegt die naheliegende Lösung der Losung GEGEN MARKT, RADIKAL! so ganz außerhalb des Denkrahmens? Ist der Slogan also nur so raus- und durchgerutscht? Eine Freudsche Fehllosung? Ein unterbewusstes »endlich raus aus dem Scheiss«?

Jedenfalls konnte ich noch nie so fröhlich dazu stehen, dass ich ver.di-Mitglied bin (nicht nur das: ich lohnarbeite sogar dort — das als Disclaimer).

Commons als strategische Perspektive für soziale Bewegungen

Die Stärke von sozialen Bewegungen ist ihre Heterogenität. Das macht sie für langfristige und grundsätzliche Veränderungen effektiver als andere gesellschaftliche Akteure. Das macht sie aber auch unübersichtlich. Sie kämpfen nicht nur für eine Veränderung der Welt und neue Sichten auf die Wirklichkeit, sie sind selbst ein Kampffeld in dem sich die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Akteure tummeln. Von Parteien über NGOs bis zu Gewerkschaften und Kirchen mischen alle mit.soziale_bewegungen_heute

Ein bisschen Ordnung in dieses Chaos kann man bringen, wenn man sich das V erhältnis von  Weltanschauungen, Strategien und Taktiken der beteiligten Akteure anschaut. Meistens werden Strategien passend zu einer Weltanschauung verfolgt (zB. die Strategie der demokratischen Eroberung der Staatsmacht und Abschwächung der Zumutungen des Kapitalismus als sozialdemokratische Strategie einer sozialistischen Weltanschauung oder die Strategie der Einforderung von wertekompatiblem Handeln als Ausdruck einer konservativen Weltanschauung). Darin zeigt sich die Auffassung über den Charakter von gesellschaftlicher Veränderung. Erfahrungsgemäß ist die Kommunikation über weltanschauliche Grenzen hinweg fast unmöglich und über strategische Grenzen hinweg schwierig, das macht auch oft die Kommunikation in sozialen Bewegungen strukturell anstrengend.

Gesellschaftliche Veränderung funktioniert (meiner Weltanschauung nach) über ein dialektisches Verhältnis von Theorie und Praxis. Das bedeutet, dass beide sich gegenseitig bedingen. Man kann also nicht eine Theorie entwickeln wie die Welt ist und wie sie sein soll und daraus dann einseitig eine Praxis ableiten. Der umgekehrte Weg ist genauso wichtig: Theorie muss die Erfahrungen der Praxis immer wieder neu aufnehmen. Es braucht also eine ständige Kommunikation zwischen theoretischen und praktischen Akteuren (Personalunion ist zwar wünschenswert aber oft nur zum kleinsten Teil gegeben) um Gesellschaft zu verändern. Außerdem sollte dies ein zumindest der Tendenz nach gesamtgesellschaftlicher Prozess sein, der nicht in Nischen verhaftet bleibt, weil die heutigen multiplen Krisen zeigen, dass es einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung bedarf.

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Kulturflatrate – oder, die Norm muss legal sein

Die Argumente für die Kulturflatrate haben einiges für sich. Zu Recht wird betont, dass die Kreativen ja auch im Kapitalismus von etwas leben müssen, und die Kulturflatrate erscheint vielen als ein akzeptables Modell, um dies mit der freien Nutzung von Inhalten zu verbinden. Ich möchte sie hier auch nicht insgesamt beurteilen, aber einmal auf eine wenig beachtete Seite der Kulturflatrate und des sie umgebenden Diskurses aufmerksam machen. Dieser Beitrag ergänzt auch meine Überlegungen zu Selektion und Normierung im Kapitalismus.

Eine häufig vorgebrachte Argumentation für die Kulturflatrate könnte man so zusammenfassen: „Die Gesellschaft hat sich verändert; heute laden alle jungen Leute ohne Rücksicht auf Copyright herunter und finden das ganz normal. Wir können nicht die ganze nächste Generation kriminalisieren. Langfristig gesehen wird es eh geändert werden, wenn die an der Macht sind, für die Filesharing so normal ist wie atmen. Die Gewohnheiten haben sich geändert, daher müssen die Gesetze angepasst werden.“ (vgl. z.B. Argumentationen von Lawrence Lessig)

Konservative und Gesetzeshüter sehen dies natürlich erstmal überhaupt nicht ein (ich erinnere mich an die moralischen Ermahnungen meiner Schulzeit, damals hieß es, „Dass die anderen es auch tun, ist kein Argument“). Sie werden aber durch die (implizite) Folgerung „Wenn ihr die Mehrheit kriminalisiert, wird sie eure Gesetze nicht mehr akzeptieren“ zum Nachdenken gebracht. Denn was könnte schlimmer sein, als eine Delegitimierung der Justiz und der allgegenwärtigen Bestrafung, ohne die moderne kapitalistische Nationalstaaten offenbar nicht auskommen und an die wir uns längst ebenso gewöhnt haben wie an das unvermeidliche Moralgedöns?

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Factor E Farm: Beginn einer Klärung

In Anschluss an die Projektkrise wie sie im letzten Post von StefanMz beschrieben wurde hat Marcin begonnen, seine Kommunikationspolitik zu verändern. Besucher auf der Farm – sofern sie nicht einfach sich umsehen wollen, sondern wirklich Projektarbeit machen wollen – müssen einen schriftlichen Proposal liefern der dann begutachtet wird. So denkt er Streitigkeiten von vorneherein vermeiden zu können. Dazu hat er auch dankenswerterweise nochmal seine Prinzipien in einem Mission Statement zusammengefasst, das es leichter macht Stellung zu nehmen.

Ich habe das getan und gebe die Passage aus meiner mail hier wieder:

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Projektkrisen — am Beispiel von »Factor E Farm«

Open Source Ecology[There is an english version of this article]

Shit happens. Immer wieder. Wir machen Fehler, wir schaffen unsere eigenen Krisen in unseren Projekten. Frustration und Lern-Chance liegen dann eng beieinander. Die Frage ist nicht, wie wir Krisen vermeiden können, denn wir können nun mal nicht die Zukunft schauen. Die wichtigere Frage ist, wie wir mit Krisen umgehen, wenn sie denn mal da sind. Denn entweder unterscheidet sich ein commons-basiertes Peer-Projekt von proprietären Projekten gerade auch an dieser Stelle oder es hat eben doch keine andere Qualität.

Das ist deswegen so entscheidend, weil commons-basierte Peer-Projekte davon leben, dass sie möglichst die Beiträge aller beteiligten Menschen in das Projekt zu integrieren verstehen — anstatt per Exklusionskonkurrenz einen beträchtlichen Teil hinauszuselektieren, wie Martin zutreffend herausgearbeitet hat. Doch das »Ende von Selektion und Normierung« kommt nicht einfach nur deswegen, weil wir es so sehr wollen, sondern weil und nur wenn Peer-Projekte strukturell so angelegt sind, dass sie zur Integration und Konfliktlösung fähig sind.

Im Projekt »Factor E Farm« (FeF, auch »Open Source Ecology«, OSE) hat es jetzt geknallt. Öffentlich, das ist schon mal gut.

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Projects in crisis — for example »Factor E Farm«

Open Source Ecology[Es gibt eine deutsche Version dieses Textes]

Shit happens. Again and again. We make faults, we create our own crisis in our projects. Frustrations and chances of learning are close together. The question is not how to avoid crisis, because we can’t look into the future. The more important question is, how to deal with crisis once they are there. Either commons-based peer projects distinguish from proprietary projects especially at this point or there is no other quality.

This is so crucial, because commons-based peer projects live from the contributions of the participating people to be integrated into the project — instead of out-competing an enormous part of the people as Martin has well shown (german). But the »end of selection and normalization« does not only occur, because we wish it so much, but only because peer projekts are structurally designed in a way, that integration and conflict resolution is possible.

The project »Factor E Farm« (FeF, also »Open Source Ecology«, OSE) has crashed now. Publicly, which is good.

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Pat Mooney: Privatization of Chemical Elements

Pat Mooney (Foto: Wikipedia, Lizenz GFDL)This is a reference to an article by Silke Helfrich maintaining the great CommonsBlog. Silke did a transcription of a spontaneous presentation by Pat Mooney given at the international commons meeting in Crottorf in June. Due to having a lot of english-only readers here, I want to point you to the orginal english transcription in Silke’s post starting after some introductory words in german with the headline »New technologies and new enclosures of the commons«.

A very interesting and somewhat disturbing presentation by Pat Mooney (Alternative Nobel Prize in 1985) about the dangers of nanotech and the like.