Der partizipatorische Wertekapitalismus
[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]
Im zweiten Teil der kleinen Serie über gesellschaftliche Planung wende ich mich einem alten anarchistisch motivierten Modell zu, der Partizipatorischen Ökonomie, kurz: Parecon. Nach einer kurzen Skizze folgt eine ausgewählte Kritik in neun Punkten.
Das Parecon-Modell legt fünf Werte zugrunde: Selbstverwaltung, Gerechtigkeit, Solidarität, Vielfalt und Öko-Nachhaltigkeit. Es gibt keine Privateigentümer:innen von Produktionsmitteln, keine Chef:innen, keinen Marktwettbewerb und keine zentrale Planung, allerdings Staat, Geld, Preise, Tausch, Lohnarbeit und Privateigentum an Konsummitteln. Die Betriebe werden von Arbeiter:innenräten geführt (AR), die in hierarchischen Branchenföderationen organisiert sind. Auf der Konsumseite gibt es ebenso hierarchisch organisierte Verbraucher:innenräte (VR) sowie dezentrale Nachbarschafts- und Betroffenengruppen (CAPs). Entlohnt wird nicht der Wert der Arbeitskraft, sondern die Opferbereitschaft, hart zu arbeiten. Jene, die nicht arbeiten können, bekommen ein durchschnittliches Ersatzgeld. „Ausbalancierte Jobs“ sollen dafür sorgen, dass „befähigende“ und „entmündigende“ Tätigkeitsanteile gleichermaßen vorhanden sind.
Kernstück ist der jährliche Prozess der partizipatorischen Planung. Darin legen AR und VR ihre Produktions- und Konsumziele vor. Vom zentralen Iteration Facilitation Board (IFB) werden Externalitäten (Umweltschäden etc.) eingepreist, um daraus soziale Kosten und Nutzen und schließlich Preise für Waren und Arbeitskräfte zu berechnen. Diese Daten werden von unten nach oben in mehreren Runden aggregiert, verglichen, angepasst und verfeinert, bis Nachfrage und Angebot annähernd in einem Gleichgewicht stehen und der Plan fixiert werden kann. – Zur Kritik.
(1) Parecon ist ein moralisches Sollensmodell. Die Menschen sollen sich so-und-so verhalten, damit die Gesellschaft funktioniert – paraphrasierte Beispiele: „Wir sollten so handeln, dass alle profitieren“; „Wir sollten uns für den Nachbarn interessieren“; „In Fragen der Migration sollten die Menschen eine solidarische Politik bevorzugen“ etc. Doch wie werden die Menschen zu dem, was das Modell voraussetzt?
(2) Parecon behauptet mit Klassen gebrochen zu haben. So gäbe es keine Chef:innen mehr. Das ist ein Klassiker der Verwechselung von Funktion und Person wie er nicht nur im Anarchismus zu finden ist. Sobald Güter als Waren produziert werden, gibt es die Verdopplung in Gebrauchswert und Wert bzw. Geld. Die Verwertungslogik besteht darin, das eingesetzte Geld unter Ausbeutung von Arbeitskraft zu vermehren. Das sind die Funktionen von Kapital und Arbeit. Im Kapitalismus sind diese Funktionen mit Kapitalist:innen und Arbeiter:innen personal direkt besetzt. Schafft man die Kapitalist:innen ab, bleibt die Kapitalfunktion solange bestehen wie auch die Basis, die Warenproduktion, erhalten bleibt. Die Kapitalfunktion wird dann von anderen Personen exekutiert, z.B. paradoxerweise von den Arbeiter:innen selbst.
(3) Parecon erliegt der Illusion, dass eine gute Politik das Wirken der Kapitalfunktion ersetzen könne. Das wird auch Voluntarismus genannt. Es ist eine Folge der Verwechselung von Funktion und Person: Keine Kapitalist:innen mehr, keine Kapitalfunktion mehr, freie Bahn für die Politik – so der Fehlschluss. Dieser Voluntarismus ist aus dem Realsozialismus bekannt. Auch dort sollte Politik zum Besten der Menschen gegen die hinterrücks wirkende Verwertungslogik verwirklicht werden. Das geht solange gut, bis sich schließlich der Wert „als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt“ – so Karl Marx in passender Voraussicht.
(4) Parecon schreibt den Arbeitszwang fort. Lohn wird an Leistung, gar Opferbereitschaft, gekoppelt. Ohne „materielle Interessiertheit“, so hieß das im Realsozialismus, keine Leistung. Leistung gibt es nur mit Zuckerbrot und Peitsche. Die darf zwar kleiner und weniger brutal sein, als im reinen Kapitalismus, aber verzichten will Parecon darauf nicht.
(5) Der Voluntarismus findet sich auch beim Wert der Ware Arbeitskraft. Moralisch motiviert wird besonders knechtende Arbeit höher entlohnt als etwa qualifizierte Arbeit. Qualifikation lohnt sich im konsumerischen Sinne damit nicht, auch das gab es im Realsozialismus. Die Folgen sind Schattenmärkte, in denen für qualifizierte Arbeiten außerhalb des Plans mehr Geld zu erlangen ist. Solche Arbeiten und überproportionale Entnahmen aus dem Konsumfond führen dann zu ökonomischen Verzerrungen, denen die Planer:innen wiederum gegenzusteuern versuchen, was weitere Ausweichbewegungen hervorbringt etc.
(6) Entgegen ihres Selbstbildes ist Parecon ein zentral koordiniertes Modell. Zwar wird bottom-up geplant, doch die gesellschaftliche Koordination erfolgt von einem zentralen Punkt aus, dem IFB. Es liefert die (Preis-) Daten, an denen sich die Planungsebenen orientieren müssen, um gesellschaftlich zu einer ökonomischen Kohärenz zu kommen. Partizipatorisch dürfen AR und VR die weiter wirkende Wertlogik der Kapitalfunktion – modifiziert durch die moralisch-politischen Imperative – umsetzen.
(7) Parecon simuliert eine Marktwirtschaft. Die iterativen Planungsrunden dienen dazu, die bottom-up gemeldeten und aggregierten Produktionskapazitäten der AR wie die entsprechenden Konsumwünsche der VR in eine Balance zu bringen, wobei Preise als Indikatoren dienen. Der Marktaustausch wird vorab simuliert und dann als Snapshot, dem Plan, eingefroren. Wie alle Modelle, die auf Konsumanmeldungen basieren, bestehen zwischen den Planzyklen wenig Anpassungsmöglichkeiten.
(8) Es gibt eine branchenbezogene Koordination, aber keine entlang der Produktionsketten vom Rohstoff zum Endprodukt. Implizit muss das IFB diese Aufgabe übernehmen, obwohl es eigentlich nur Datenlieferant sein soll. Diese Unklarheit findet sind sich in vielen Modellen, die sich als dezentral ausgeben, aber dennoch implizit eine zentrale Koordination voraussetzen.
(9) Wie in allen Warenmodellen führt die Entlohnung im Produktionsbereich zur Abwertung und Abspaltung von Care-Tätigkeiten. Dem soll mit „Zuschüssen“ für Care-Arbeit und moralischen „Prinzipien“ entgegengewirkt werden. Doch die Erfolgswahrscheinlichkeit ist gering – obsiegt materielle Macht doch stets über die Moral.
In diesem Zusammenhang vielleicht interessant, an die Diskussion zu erinnern, die ich vor über 10 Jahren mit Michael Albert über sein Parecon-Modell und peercommonistische Alternativen geführt habe. Auf deutsch in gekürzter Fassung erschienen in der Contraste und auch hier im Blog (Teil 1, Teil 2) zu finden. Bei einigem, was ich damals schrieb, wäre ich heute vorsichtiger, aber viele meiner Kritikpunkte an Parecon würde ich weiterhin für berechtigt halten.
Was ich damals nicht gesagt habe und auch an deiner Kritik nicht überzeugend finde, ist die Idee, Parecon wäre selbst eine Spielart des Kapitalismus, die du spöttisch „partizipatorischer Wertekapitalismus“ nennst. Das wird nicht begründet und wird dem Modell auch nicht gerecht. Anders als im Kapitalismus ist dort die Geldvermehrung (Wertverwertung) ja gerade nicht mehr das wesentliche Ziel fast aller Produktion. Soviel muss man Albert schon zugestehen.
Ich verweise stattdessen darauf, dass Parecon wie der Kapitalismus auf Lohnarbeit basiert, was allerlei Probleme mit sich bringen kann. Aber nicht jedes Lohnarbeits-basierte System ist kapitalistisch, auch wenn das bei manchen (lohn)arbeitskritischen Linken eine beliebte Unterstellung zu sein scheint. So leicht sollte die Kritik es sich aber nicht machen, wenn sie zum Erkenntnisgewinn beitragen möchte.
@Christian: Danke für deinen Hinweis auf dein Gespräch mit Michael Albert, das ich in Vorbereitung auf die Kolumne noch mal gelesen habe (viele gute Argumente). Eine zweite Quelle war das Buch Anarchistische Gesellschaftsentwürfe, in dem sich viele Artikel zu unterschiedlichen Aspekten von Parecon finden. Ich war doch einigermaßen erstaunt, wie sehr der Kern von Parecon leider in der kapitalistischen Denke verhaftet ist, wie sehr die ganze Modellökonomie mit kapitalistischen Kategorien operiert – von Opportunitätskosten, Arbeitskosten, Preise, Kapital, etc. Als ich las, dass die ursprünglichen Autoren (alles Männer) in ihrer eigenen Profession, den Wirtschaftswissenschaften, wenigstens als diskutierbar anerkannt sein wollten, war ich nicht mehr so verwundert. Ich kann das Modell leider nicht anders bewerten als wie von mir getan. Ein leichter spöttischer Unterton kommt eher aus dem virtuellen Kopfschütteln über das Moralfundament, während ich dachte, dass antikapitalistische Modelle stets materialistisch fundiert sein sollten.
Die Frage, ob nicht in der Tat jedes lohnarbeitsbasierte System am Ende doch kapitalistisch ist, würde ich bejahen. Nicht allein wegen der der Lohnarbeit, sondern weil es Güter als Waren produziert und folgerichtig auch die Arbeit als Ware behandelt. Doch ich nenne solche Modelle (wie Parecon) „kapitalistisch, aber nicht voll entfaltet“, da es ja tatsächlich einige gut klingende Einschränkungen gibt (keine Ausbeutung etc.). Aber wenn einmal in der Realität implementiert (mal angenommen), dann führen die Widersprüche der Warenform auf kürzere oder längere Sicht zu ihrer Entfaltung (davon handelt aus meiner Sicht das „Kapital“ von Karl Marx). In Praxi haben wir das beim warenproduzierenden und lohnarbeitsbasierten Realsozialismus live erleben können.
Die geäußerste Kritik entbehrt leider jeglicher Grundlage und stellt die zentralen Aspekte einer Partizipatorischen Ökonomie fundamental falsch dar.
Behauptung: Es gibt in einer partizipatorischen Ökonomie „Geld“
In einer PE (Partizipatorischen Ökonomie) von „Geld“ zu sprechen ist schon ziemlich fragwürdig, da es kein frei zirkulierendes Zahlungsmittel, sondern lediglich quantifizierte Konsumanteile gibt, die aber nicht übertragen werden können. Außerdem: Preise sind nicht gleich Geld! (und eine numerische Größe zur Quantifizierung von Opportunitätskosten – also Preise – braucht es nunmal, wenn eine – wie auch immer geartete – komplexere Allokation einigermaßen effizient/nachhaltig funkionieren soll)
Falschbehauptung: Es gibt „Tausch“
Es gibt keinen Tausch, da es keinen Markt gibt! Die Produzent_innen (organisiert in selbstverwalteten Arbeiterinnenräten) aquirieren von der Gesellschaft befristet Produktionsmittel und versprechen dafür eine gewisse Menge Güter herzustellen. Es wäre aber vollkommen verfehlt, hierbei von einem „Tausch“ zu sprechen, weil die Produzent*innen keine Produkte verkaufen und dafür Geld einstreichen, sondern für ihren Aufwand gemäß ihres Einsatzes/erbrachten Opfern/der Lästigkeit ihrer Arbeit entschädigt werden (sie erhalten schlicht Konsumanteile, wenn sie etwas nützliches für die Gesellschaft herstellen und die soziale Kosten/Nutzen-Balance dabei positiv ist). Entsprechend würde es in einer PE auch keinen „Wert“, sondern nur noch Gebrauchswerte geben. Gleichermaßen gibt es in diesem Modell auch keine „Waren“.
Falschbehauptung: Es gib „Lohnarbeit“
Die Produzentinnen sind nicht bei irgendjemandem lohnangestellt, sondern arbeiten in selbstverwalteten Betrieben (Arbeiter*innenräten) und bekommen, wenn sie eine gesellschaftlich nützliche Arbeit erbringen eine Entschädigung von der Gesellschaft (also Konsumrechte), welche sich am Aufwand/den erbrachten Opfern/der Lästigkeit der Arbeit ausrichtet (s.o.).
Falschbehauptung: Es gibt „Privateigentum an Produktionsmitteln“
Die Produktionsmittel sind in einer PE ganz klar vergesellschaftete Commons, wie auch die natürlichen Ressourcen, und werden im Planungsverfahren an diejenigen Arbeiterinnenräte ausgeliehen, deren Produktionsvorschlag (im Regelfall) die beste (mindestens mal positive) soziale Kosten/Nutzen-Bilanz aufweisen.
Falschbehauptung: „Parecon ist ein moralisches Sollensmodell“
In Publikationen zu PE wird immer wieder explizit auf das Defizit in anderen Modellen hingewiesen, dass hierbei die Menschen ständig einschätzen sollten, was ‚richtiges‘, gesellschaftlich vertretbares, oder moralisches Handeln sei, ohne dafür konkrete Anhaltspunkte zu haben (was man m.E. übrigens als Kritik genau so an ‚Commonismus‘ richten kann). Hingegen befördere eine partizipatorische Ökonomie solidarisches Handeln gerade automatisch durch das spezifische Set an Institutionen: Individuell nutzenmaximierendes Verhalten und gesellschaftlich sinnvolles Verhalten werden hierdurch zusammengebracht. Das eine befördert das andere und umgekehrt. Ich könnte außerdem, so ich das denn wollte, mich nicht im Geringsten für meine Nachbarn interessieren. Partizpation ist keine Pflicht!
Falschbehauptung: „Klassengesellschaft“
Hier wird es jetzt besonders diffus. Aufbauend auf den vorherigen gravierenden Fehlannahmen (es gäbe Wert, Kapitalakkumulation, Tausch) wird jetzt deduktiv darauf geschlossen, dass es gemäß dieser Prämissen ja auch Klassen geben würde, wobei nur die Arbeiter*innenklasse (wozu ja alle in dieser Ökonomie gehören würden, bis auf die, die nicht arbeiten können) genannt wird. (???)
Falschbehauptung: „Parecon schreibt den Arbeitszwang fort“
Ob es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt, oder nur diejenigen ein Durchschnittsgehalt bekommen, die nachweislich nicht arbeiten können, wird von PE nicht festgelegt, sondern ganz bewusst der demokratischen Willensbildung in einer zukünftigen Ökonomie überlassen.
Falschbehauptung: „Moralisch motiviert wird besonders knechtende Arbeit höher entlohnt als etwa qualifizierte Arbeit.“
Ob eine Arbeit mit höheren Konsumrechten entschädigt wird, hängt davon ab, ob sie höhere Opfer erfordert/anstrengender ist – ganz unabhängig davon, ob es sich dabei um qualifizierte Arbeite oder ‚einfache‘ Arbeit handelt. Wenn ich in einer PE (was nicht passieren würde, weil es ja Balanced-Job-Complexes gebe würde, die die Anstrengung/intellektuelle Befähigung möglichst nivellieren) den ganzen Tag an einem Fließband schuften würde und eine andere Person entspannt in ihrem klimatisierten Massage-Sessel sitzt und ledlich eine Stunde täglich qualifizierte IT-Arbeit verrichetet (und dabei die einzige Person ist, die das kann), die Arbeit als solche aber deutlich weniger antrengend ist/Opfer abverlangt als meine, ja, dann würde ich mehr bekommen. Das hochgradig ungerechte entgegengesetzte Modell findet unter kapitalistischen Bedingungen statt.
Falschbehauptung: „Entgegen ihres Selbstbildes ist Parecon ein zentral koordiniertes Modell. Zwar wird bottom-up geplant, doch die gesellschaftliche Koordination erfolgt von einem zentralen Punkt aus, dem IFB.“
Stimmt nicht! Das IFB aggregiert nur Angebot und Nachfrage und hat keinerlei weitere Kompetenzen, also keinen politischen Einfluss auf die Planung oder sonstige Entscheidungen. Von hier aus kann dementsprechend keine Manipulation/politische Agenda verfolgt werden. Die Planung erfolgt dezentral über die Eingaben der Arbeiter_innen und Konsument_innenräte. Man könnte das nach Hahnel auch durch einen Algorithmus machen lassen, was aber vermutlich etwas länger dauern würde (also mehr Iterationen bräuchte).
Falschbehauptung: „Wie alle Modelle, die auf Konsumanmeldungen basieren, bestehen zwischen den Planzyklen wenig Anpassungsmöglichkeiten.“
Während des Jahres gibt es vielfache Möglichkeiten, den Plan flexibel anzupassen. Zum einen werden sich viele Schwankungen ohnehin über die Räte-Ebenen hinaus ausgleichen. Die Arbeiter_innenräte sind ohnehin selbst bestrebt, möglichst entsprechend der gesellschaftlichen Nachfrage zu produzieren, um ihre versprochene SB/SC-Ratio (Soziale Kosten/Sozialer Nutzen-Bilanz) einzuhalten. Falls dann doch die Kapazitäten auf höherer Ebene umgeschichtet werden müssen, wird dies über den Austausch zwischen Kosumföderationen und Arbeiter_innenföderationen arrangiert.
Falschbehauptung: „Es gibt eine branchenbezogene Koordination, aber keine entlang der Produktionsketten vom Rohstoff zum Endprodukt. Implizit muss das IFB diese Aufgabe übernehmen, obwohl es eigentlich nur Datenlieferant sein soll.“
Schwer begreiflich, was hiermit gemeint sein soll. Die Koordination ‚vom Rohstoff zum Endprodukt‘ findet im Planungsprozess dadurch statt, dass die Arbeiter_innenräte natürlich wissen müssen, welchen Input (Produktionsfaktoren) sie benötigen, um einen gewissen Output zur Verfügung zu stellen und es eine Datenbank geben würde, in der alle Akteuere Einsicht zu Produkten/Produktionsmitteln/Ressourcen/Produktionsketten vornehmen könnten. Außerdem optiert Albert dafür, dass den preislichen auch qualitative Informationen hinzugefügt würden. Die Produktionskette wäre demnach vollkommen transparent.
Falschbehauptung: „Wie in allen Warenmodellen führt die Entlohnung im Produktionsbereich zur Abwertung und Abspaltung von Care-Tätigkeiten. Dem soll mit „Zuschüssen“ für Care-Arbeit und moralischen „Prinzipien“ entgegengewirkt werden.“
Robin Hahnel und Savvina Chowdhury haben angeregt, dass auch häusliche Care-/Reproduktions-Arbeit in einer PE entschädigt wird (nach Durchschnitts-Vergütung).
Insgesamt bin ich ziemlich fassungslos, wie vollkommen verkehrt das Modell hier portraitiert wird und würde mir im Interesse eines fruchtbaren Austauschs wirklich wünschen, dass das Konzept künftig zumindest in den Grundzügen einigermaßen korrekt rezipiert wird.
@Stefan Meretz Um nochmal auf Ihren Kommentar zur angeblich „kapitalistisch verhafteten Denke“ von PE Stellung zu nehmen:
Opportunitätskosten gibt es in jeder Ökonomie und impliziert keineswegs kapitalistische Denke. Im Interesse einer ressourcenschonenden/nachhaltigen Produktion ist es vielmehr absolut zentral, Opportunitätskosten in der Allokation zu berücksichtigen.
Von ‚Kapital‘ wird durch Vertreter_innen von PE nicht im marxistischen Sinne (’sich selbst verwertender Wert‘) gesprochen, sondern im Sinne der Mainstream-Ökonomie lediglich als Maschinen/Produktionsmittel. Das ist ein fundamentaler Unterschied!
Nur weil es nicht mit marxistischer Terminologie operiert, heißt dies nicht, dass das Modell nicht ‚materialistisch‘ fundiert wäre.
Und nochmal (s.o.): Partizipatorische Ökonomie umfasst keinen Markt, keinen Warentausch, keine Privatproduktion, kein Privateigentum an Produktionsmitteln, keine Lohnarbeit und keinen Zwang zu Kapitalakkumulation (und in der marxistischen Terminologie auch überhaupt kein Kapital (’sich selbst verwertender Wert‘), da es überhaupt keinen ‚Wert‘ mehr, sondern nur noch ‚Gebrauchswerte‘ geben würde.
Plädoyer für eine konstruktive Umgangsweise: Den „spöttischen Unterton“ sollte man sich m.E. verkneifen, wenn man tatsächlich an einer fruchtbaren Debatte interessiert ist.
@A.D.: Danke für deine Kritik. Ich habe keine Quellen angegeben (ist ja nur eine kurze Kolumne), was ich nun nachholen werde (wo ich gerade was finde, nicht vollständig), da ich viele meiner Aussagen nicht aus dem Ärmel getätigt habe, sondern auf Basis der mir vorliegenden Texte. Ich stütze mich vor allem auf die Texte in dem Buch „Anarchistische Gesellschaftsentwürfe“. Tatsächlich war auch ich ziemlich ungläubig, was da lesen musste. Manchmal mache ich es kurz und gebe nur die Seiten an, ggf. mit einem Zitat und Kommentar, wenn es sich um eine Interpretation meinerseits handelt.
(1) Geld: Es ist durchgängig die Rede von Preisen für Güter, die mit Löhnen bezahlt werden (auf sehr vielen Seiten), ebenso auch von Kapital, Zinsen, Kosten und Buchführung (S. 119-136). Nur weil das Geld nicht zirkuliert, ihm also einige im Kapitalismus wichtige Funktionen fehlen, ist es dennoch Geld. Preise sind nicht gleich Geld, sondern der numerische Ausdruck des Werts/Gelds. Dass es in einem Modell mit Kostenrechnung (via Opportunitätskosten) eine Wert-/Preisbasis braucht, liegt auf der Hand, dass nur so „nunmal … eine … komplexere Allokation funktionieren“ kann, würde ich allerdings bestreiten.
(2) Tausch/Waren/Wert: Von Waren ist explizit die Rede (S. 126, 128 etc.). Gibt es Waren, gibt es Wert. Muss es auch, denn es gibt auch Preise, die den Wert ausdrücken und mit denen die Buchhaltung betrieben wird. Vom Lohn kaufen die Arbeiter:innen Konsummittel – das ist Tausch, was sonst. Ähnlich wie im Realsozialismus.
(3) Lohnarbeit: S. 42, 43, 51, 57, usw. usf.
(4) Privateigentum an Produktionsmittel: Ein Lesefehler? Ich schreibe von „Privateigentum an Konsummitteln“.
(5) Moralisches Sollensmodell: S. 39-45, 87, 122. Das sind drei Artikel, da stehen immer die „Werte“ am Anfang, das nenne ich „moralisches Sollensmodell“. Du bestreitest das auch gar nicht, sondern antwortest mit „Institutionen“. Ja, so würde ich auch herangehen: materialistisch. Dass die Menschen in einer wie auch immer gestalteten emanzipatorischen (gerne commonistischen) Gesellschaft zu dumm sein sollen, einzuschätzen, was „richtiges“ Verhalten sei, wenn man ihnen das nicht vorher moralisch beibiegt, würde ich deutlich bestreiten. Mit schüttelt es ein wenig, weil das wieder leider dem Realsozialismus sehr ähnlich ist, wo den Leuten nichts zugetraut wurde, sondern sie erstmal eine sozialistische Moral anerzogen bekommen sollten.
(6) Arbeitszwang: Da bringst du kein prinzipielles Gegenargument. Auch Albert eiert auf S. 42 beim BGE rum und legt sich letztlich auf eine „gerechte Entlohnung als Norm“ fest. Muss er auch, denn ohne ein gewisses Zwangselement geht das Modell nicht auf. Hahnel rechtfertigt auf S. 230-237 explizit, dass es dieses Element geben muss, weil anders gesellschaftliche Notwendigkeiten (Unspassige Arbeit, Ökologie) nicht erledigt werden würden. Nur nennen es beide nicht Zwang, klingt auch nicht gut, ist es aber im Kern.
(7) Entlohnung knechtender Arbeit: Du bestätigst nur, was ich auch aussage. Damit gilt meine Argumentation der Folgen (Schattenmärkte etc.).
(8) Zentrale Koordination: Du schreibst „Das IFB aggregiert nur Angebot und Nachfrage“ – zu Zwecken der gesellschaftlichen Koordination, wozu sonst? Dabei geht es nicht um „politischen Einfluss“, sondern schlicht um die ökonomische Kohärenz, ob im gesellschaftlichen Produktionsapparat alles aufgeht. Nur das IFB hat die aggregierten Informationen dazu. Ja, das könntest du im Prinzip einem Algorithmus übergeben (so passiert es ja auch in einigen Modellen).
(9) Anpassungsmöglichkeiten: Danke für die erneute Erklärung. Siehe (8): Weil zumindest größere Änderungen die gesamtgesellschaftliche Koordination betrifft (Ressourcen- und Produktflüsse müssen neu justiert werden), ist das nach meiner Einschätzung schwer bis gar nicht möglich, weil faktisch eine Neuplanung nötig ist. Kleinere Änderungen, die über Puffer abgewickelt werden können, sind sicher drin.
(10) Produktionsketten: Dazu habe ich schlicht keine Aussagen gefunden. Der Planungsprozess durch die Arbeiter:innenräte findet sektoral oder branchenbezogen und nicht entlang der Produktionsketten statt. So habe ich es verstanden. Also Stahl-lokal => Stahl-regional => Stahl-kontinental => Stahl-global. So funktioniert die Stahlplanung, aber nicht die Produktionskettenplanung. Da reicht es nicht aus, „dass die Arbeiter_innenräte natürlich wissen müssen, welchen Input (Produktionsfaktoren) sie benötigen, um einen gewissen Output zur Verfügung zu stellen“. Sie müssen wissen oder vertrauen, dass die ganze Kette upstream kohärent funktioniert (wofür m.E. das IFB sorgen muss, was du bestreitest), damit ihr Input auch produktionssynchron (dann, wenn es gebraucht wird) kommt. Sie auf eine Datenbank zu verweisen, ist eine Idee, aber heißt letztlich nur, dass jeder einzelne Betrieb sich informationell um die ganze Kette kümmern muss – unmöglich. Ich verweise zu dieser Problematik auf einen Artikel von Max Grünberg, der in der neuen PROKLA erschienen ist und dabei (zurecht) auch den Commonismus kritisiert (wir haben das zuerst auch unterschätzt). Das ist ein Knackpunkt aller nicht-zentralen Modelle.
(11) Care-Abspaltung: Ja, darauf beziehe ich mich. Genau das schreibe ich aber auch.
„Falschaussagen“ hört sich gewaltig an, und ich war erst erschrocken, dass ich mich da so vertan haben sollte. Tatsächlich sehe ich keine falschen Aussagen, sondern unterschiedliche Interpretationen und sogar viele zustimmende Erläuterungen. Am Ende ist es mir auch egal, ob du den Lohn (aus meiner Sicht beschönigend) als „Konsumanteil“ oder „Entschädigung“ bezeichnest (könnte man beim kapitalistischen Lohn genau so tun), um zu vermeiden, vom Geld zu reden. Dann nenne es „Geldfunktion“ oder wie Ökonom:innen es tun „unit of account“. Die UoA ist da, muss da sein, weil du sonst nicht uniform rechnen kannst. Wir sollten viel lieber darüber streiten, ob nur so eine gesellschaftliche Koordination gehen kann: Das ist „nunmal“ eben nicht so – meiner Meinung nach.
Update: Ich meinte keine meiner Aussagen spöttisch, sondern ernst. Und Opportunitätskosten gibt es nicht in jeder Ökonomie, sondern nur in jenen, die mit UoAs rechnen. Das ist für mich „kapitalistische Denke“ (aber kein Kapitalismus). Gleichwohl gibt es unterschiedliche Opportunitäten, Dinge so oder so zu machen, was immer Implikationen hat, was man stattdessen nicht mehr machen kann. Tatsächlich beobachte ich mit Sorge, wie schnell Modelle mit antikapitalistischen Anspruch mit kapitalistischen Kategorien operieren.
@ Stefan Merez: Vielen Dank für deine schnelle Rückmeldung!
Ich beziehe mich hier vor allem auf die ausführlichere Literatur zu Partizipatorischer Ökonomie: ‚Democratic Economic Planning‘ (Hahnel, 2022), Anarchist Accounting (Sandström, 2021) und ‚No Bosses‘ (Albert, 2022).
Wie ich schon habe anklingen lassen, liegen hier m.E. neben unmittelbaren Fehlannahmen verschiedenste Begriffsverwirrungen aufgrund unterschiedlicher theoretischer Traditionen vor, die die gleichen Begriffe semantisch anders besetzen – woraus wiederum Fehlannahmen resultieren.
2. Tausch/Waren/Wert:
Um einmal direkt Marx zu Wort kommen zu lassen: „Die Waren sind unmittelbar Produkte vereinzelter unabhängiger Privatarbeiten, die sich durch ihre Entäußerung im Prozeß des Privataustausches als allgemeine gesellschaftliche Arbeit bestätigen müssen“ (MEW 13, S. 67)
In einer PE findet keine Privatproduktion und kein Tausch auf einem Markt statt, sondern die Produktion wie auch die geschaffenen Güter sind unmittelbar vergeselleschaftet qua Planungsprozess. Entsprechend gibt es auch keinen ‚Wert‘, da sich dieser nur im Tausch realisiert und damit auch keine ‚Waren‘. Kein Arbeiter_innenrat tauscht seine Produkte gegen einen Warenwert (den diese Produkte auch gar nicht besitzen können s.u.) ein. Wenn also im Kontext von PE von ‚Waren‘ gesprochen wird, ist dies im marxistischen Sinne unzutreffend.
Demnach ist es eine Verkehrung, wenn „von Waren […] explizit die Rede“ ist, deduktiv darauf zu schließen, dass es doch auch „Wert“ und damit „Tausch“ geben müsse. Umgekehrt wird vielmehr ein Schuh draus: Wenn man der marxschen Theorie folgt, gibt es aufgrund dessen, dass es in einer Partizipatorischen Ökonomie keine marktvermittelte Privatproduktion gibt auch keine ‚Waren‘ und somit keinen ‚Wert‘ (sondern lediglich Gebrauchswerte).
1. Geld und Preis:
„Da alle andren Waren nur besondre Äquivalente des Geldes, das Geld ihr allgemeines Äquivalent, verhalten sie sich als besondre Waren zum Geld als der allgemeinen Ware.“ (MEW 23, S. 104) In einer PE kann der Konsumbon/das Zahlungsmittel, welches den Anspruch auf einen bestimmten Anteil des gesellschaftlichen Reichtums darstellt, nicht übertragen werden, ist also nicht handelbar und damit – folgt man Marx -, würde ich schlussfolgern: Kein Tausch, keine allgemeine Ware, kein Geld.
„Geld als Wertmaß ist notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitszeit.“ (MEW 23, S. 109) Kurz gefasst lässt sich sagen, dass es in einer PE keine (Tausch-)Werte/Waren gibt und damit auch kein allgemeines Wertäquivalent (Geld) – so man denn analytisch von der marxschen Theorie ausgeht. Die Produktpreise in einer partizipatorischen Ökonomie reflektieren hingegen die Sozialen Kosten (inkl. Opportunitätskosten), welche die Produktion eines bestimmten Gutes mit sich bringen: „Wenn eine produktive Ressource knapp ist, sollten wir sie so nutzen, dass sie den größten Nutzen für die Gesellschaft bringt, anstatt sie auf eine Weise zu nutzen, die weniger Nutzen bringt.“ (Hahnel, anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 65 Fn. 2) Opportunitätskosten quantifizieren also entgangene Alternativen zur Nutzung vorhandener Ressourcen, was einen wichtigen Maßstab darstellt, um knappe Ressourcen sinnvoll zu allozieren und damit nachhaltig/effizient (soll heißen nicht verschwenderisch) zu wirtschaften. Hahnel zu Sozialen Kosten: „Die sozialen Kosten der Produktion eines Produkts sind die Gesamtkosten, die der Gesellschaft durch die Produktion des Produkts entstehen. Dazu gehören nicht nur die Opportunitätskosten für die Nutzung der knappen Arbeitskräfte, natürlichen Ressourcen und Investittionsgüter, die für die Produktion notwendig sind, sondern auch alle ‚externen Kosten‘, wie z.B. Schäden durch Schadstoffe, die bei der Produktion entstehen.“ (Hahnel, anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 65 Fn. 3)
3. Lohnarbeit:
Bei den von Dir angegebenen Seitenangaben ist kein einziges Mal von ‚Lohnarbeit‘ die Rede, sondern von „Entlohnung“, womit schlicht die Kompensation für geleistete gesellschaftlich nützliche Arbeit als individueller Konsumanteil gemeint ist. Meines Dafürhaltens bedient sich Albert strenggenommen einer irreführenden Terminologie (oder es hakt and er Übersetzung). Hahnel verwendet den Begriff („wages“) in ‚Democratic Economic Planning‘ im Kontext von PE nur einmal und dort, um herauszustellen, dass in PE eben nicht ein Lohn (wie in einer kapitalistischen Ökonomie bei Anstellung) ausgehandelt wird, sondern sich das Konsumrecht gemäß der erbrachten ’sacrifices’/Anstrengungen bemisst (vgl. Hahnel, Democratic Economic Planning, S. 118) (mit Ausnahmen für Alte/Kinder/Arbeitsunfähige, und – aber das ist wie gesagt nicht festgelegt, sondern unterliegt der demokratischen Willensbildung in einer zukünftigen PE – ggf. auch Arbeitsunwillige – Stichwort BGE (vgl. Albert/Shaner, anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 42).
4. Privateigentum an Konsummitteln/Produktionsmitteln:
Da du davon gesprochen hast, dass es Kapital(-akkumulation) in einer PE geben würde, bin ich davon ausgegangen, dass du damit auch unterstellst, dass es private/betriebseigene Produktionmittel geben müsse. Oder um es umzukehren: Da es in PE keine Marktkonkurrenz, keinen Tauschhandel und kein Privateigentum an Produktionsmitteln (sondern eben nur vergesellschaftete Commons) gibt, existiert auch kein Kapital (als sich selbst verwertender Wert). Wie schon angeklungen: Wenn Vertreter_innen von PE in Bezug auf PE von ‚Kapital‘ sprechen, meinen sie nur einen Produktionsfaktor (Gebäude, Maschinen, Anlagen, Werkzeuge etc.), keinen Prozess (wie es sich bei ‚Kapital als sich selbst verwertendem Wert‘ darstellt).
Bei der durchaus korrekten Behauptung, in einer partizipatorischen Ökonomie gebe es auch „Privateigentum an Konsummitteln“ kann ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen, warum du das so selektiv hervorhebst. Ja, ich könnte mir in einer PE von meinem Konsumanteil ein Handy kaufen und das würde dann mir gehören (ich hätte also ausschließliches/privates Nutzungsrecht). Ich kann aber auch in meinem Nachbarschaftsrat – oder dem übergeordneten Stadtteilrat – beantragen, dass wir uns gemeinsam einen Spielplatz anlegen. Wenn das vom betreffenden Rat (der Repräsentation aller Mitglieder) genehmigt würde, hätten wir ein kollektives Gut, wofür alle Mitglieder des entsprechenden Rates das Nutzungsrecht innehätten usw. Gesundheitsvorsorge und Bildung stünden (unentgeltlich) für alle zur freien Nutzung zur Verfügung (und wären damit gleichsam ein öffentliches Gut auf der höchsten Räteebene). Es ist vielmehr so, dass kollektiver Konsum deurlich einfacher implementiert werden könnte als in einer Marktwirtschaft.
5. Moralisches Sollensmodell:
Hier liegt m.E. eine eklatante Fehlannahme vor. Die Werte, die formuliert werden dienen als Richtschnur, um einmal Transparenz über die Prämissen zu schaffen und zugleich dazu passende Institutionen zu begründen, die gewährleisten, dass eine zukünftige Gesellschaft nicht strukturell widersprüchlich ist, sondern aus sich selbst heraus Solidarität, Vielfalt, ökonomische Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Selbstverwaltung und Wirtschaftsdemokratie befördert. Wo liegt dabei das Problem? Hast Du nicht selbst mit Simon Sutterlütti im Buch ‚Kapitalismus aufheben‘ derlei Explizierung als wichtiges Kriterium einer ‚kategorischen Utopie‘ richtiger Weise gefordert?: Demnach treffe viele heutige utopische Konzepte ein „gemeinsames Problem: Sie beruhen auf bestimmten Vorstellungen und Theorien über Menschen und die Gesellschaft – und bestimmten Kritiken an der bestehenden Gesellschaft. Auf Basis dieser Theorien und Kritiken kommen sie zu ihren Moralregeln oder zur [sic!] ihrer Idee einer algorithmischen Arbeitsteilung mittels Computern o.ä. Weder Theorien noch Kritiken sind offen benannt, sie bleiben implizit. […] Viele theoretische Vorannahmen bleiben im Dunkeln, unklar und unhinterfragbar. […] Wir behaupten, dass alle Utopien eine theoretische und kritische Fundierung haben. Jede Utopie entsteht innerhalb einer bestimmten Weltvorstellung. Sie leben von einem bestimmten kategorialen Rahmen. Mit der kategorialen Utopie fordern wir eine offene Benennung und Prüfung dieses Rahmens und seines Zusammenhangs mit der Utopie ein.“ (Sutterlütti/Meretz, Kapitalismus aufheben, S. 108)
6. Arbeitszwang:
In der Tat sehen es Hahnel und Albert als Anmaßung an, festzulegen, dass eine künftige Gesellschaft ihren Mitgliedern ein BGE auszahlen müsse und formulieren daher einen Grundmodus, falls sich herausstellt, dass gewisse notwendige Arbeiten nicht erledigt werden, da Anreize fehlen. Falls dem nicht so sein sollte, wäre die Option für ein BGE sowie die Maxime ‚Jeder nach seinen Bedürfnissen‘ aber problemlos implementiertbar, auch wenn man da m.E. zu Recht skeptisch sein kann (in der Zukunft kann sich das sicherlich ändern, eine essenziellen Widerspruch zu PE stellt ein BGE sowie die Maxime ‚Jeder nach seinen Bedürfnissen‘ jedoch m.E nicht dar – zumindest nicht mehr als in anderen postkapitalistischen Alternativkonzepten).
7. Entlohnung knechtender Arbeit:
Hier habe ich meines Dafürhaltens ziemlich deutlich der Behauptung widersprochen „knechtende Arbeit“ würde besser kompensiert als „qualifizierte Arbeit“. Gemäß der Balanced-Job-Complexes (ausgeglichene Arbeitsbündel) würde es so etwas wie monopolisierte „qualifizierte Arbeit“ und „knechtende Arbeit“ überhaupt nicht mehr geben – bzw. diese Disparität auf ein Geringstmaß reduziert werden. Für die Fälle in denen es tatsächlich Unterschiede hinsichtlich der gestätigten Anstrengung/der erbrachten Opfer für eine gesellschaftlich erwünschte Arbeit gibt – bspw. weil ich unter sonst gleichen Bedingungen (Intensität etc.) durchschnittlich länger gearbeitet habe oder weil das Job-Balancing sektoral nicht vollkommen aufgeht und ich eine durchschnittlich mühsamere Arbeit verrichte – ja, dann bekomme ich eine höhere Kompensation als es der jeweilige Durchschnitt festlegen würde. Warum soll ich für erfüllendere Arbeit, nur weil sie „qualitiziert“ ist, mehr bekommen, als für weniger erfüllende Arbeit?
8. Zentrale Koordination:
„Nur das IFB hat die aggregierten Informationen dazu.“ Ich sehe nicht, inwiefern das nicht transparent vonstatten gehen sollte und wo sich da das ‚zentrale‘ in der Koordination verstecken soll. Es bestehen keine nachvollziehbaren Anreize, die Planung zu manipulieren und des Weiteren verfügt das Unterstützungsbüro über „keinerlei Ermessensspielraum“ (Hahnel, Alternativen zum Kapitalismus, S. 200) um politische Macht auszuüben. (Vgl. Albert, Parecon, S. 262-265; Vgl. Sandström, Anarchist Accounting, S. 20, S. 24, S. 29; Vgl. Hahnel, Democratic Economic Planning, S. 157f., S. 187f.)
9. Anpassungsmöglichkeiten: Sandström meint zu größeren Nachjustierungen des Plans folgendes: „In cases where this [– die gegenseitige Verrechnung der Deviation auf den Räte-Ebenen –, A.D.] is not possible and when big unforeseen events occur that demand adjustments in production, necessary adjustments need to be negotiated by representatives from affected consumer and worker federations. Some adjustments in the plan may need only small changes in the capacity utilisation in the production units in one industry, while other adjustments could be more far reaching and affect more workplaces and require a redistribution of resources between industries.“ (Sandström, Anarchist Accounting, S. 24)
10. Produktionsketten: Die Arbeiterinnenföderationen haben die Aufgabe die ihnen angehörigen Arbeiterinnenräte über potenzielle Probleme in der Produktionskette zu informieren (damit könnte bspw. eine eigener Arbeiterinnenrat, beauftragt durch die jeweilige Arbeiterinnenföderation, befasst sein). Das IFB hat da nichts mitzureden, sondern liefert nur Daten hinsichtlich der Veränderung von Preissignalen: „„The IFB is an actor with no decision-making power. Its main task is to update the indicative prices for all categories of capital, resources, labour, goods, and services, and for emissions of different categories of pollutants before each new iteration during the annual planning procedure and also during the year in cases when the annual plan must be updated. The updates of the indicative prices are based on the excess supply or demand that emerges through the actors’ proposals for production and consumption and can, for the most part, be performed by mathematical algorithms. By analysing historical data and statistics, the IFB can estimate how actors will respond to price changes for different products, i.e. different products price elasticity. “ (Sandström, Anarchist Accounting, S. 24)
11. Nochmal Opportunitätskosten:
Opportunitätskosten (Alternativkosten) gibt es in jeder Ökonomie, nämlich in allen Fällen, in dem man sich entscheiden muss, ob produktive Ressourcen für dieses oder jenes Gut aufgewendet werden – also man entgangenen Nutzen hat. Die Frage ist nur ob sie erhoben/dargestellt werden.
Ich bin grundsätzlich nicht der Meinung, dass „nur so eine gesellschaftliche Koordination gehen kann“, das wäre reiner Dogmatismus und davon würden sich mit Sicherheit auch alle genannten Vertreter_innen von PE distanzieren. Die Frage ist doch (um mit Erik Olin Wright zu sprechen) was im offenen Vergleich eine ‚wünschbarere‘, ‚gangbarere‘ und ‚erreichbarere‘ Alternative ist (vgl. Wright, Reale Utopien, S. 63-70). Für mein Befinden hat sich PE bisher sehr offen und mit starken Argumenten ihren Kritiken gestellt.
@Stefan Meretz Kleiner Nachtrag zu 5. Moralisches Sollensmodell:
Partizipatorische Ökonomie folgt mit ihrer Konkretisierung/Offenlegung der ihr zugrundeliegenden Prinzipien und Werte am Anfang ziemlich genau dem, was Erik Olin Wright als die Aufgaben einer „emanzipatorische Sozialwissenschaft“ konzeptionalisiert hat:
Wright zufolge hat eine emanzipatorische Sozialwissenschaft vier wesentliche Aufgaben
zu erfüllen, um Transformation nach klaren Kriterien, konsistent und kohärent, sowie Transparent denkbar, analysierbar und diskutierbar zu machen:
(1) die Spezifizierung der moralischen Prinzipien der Bewertung von gesellschaftlichen Institutionen
(2) die Nutzung dieser moralischen Prinzipien als Standards für die Diagnose und Kritik existierender Institutionen
(3) die Entwicklung eines Sets von lebensfähigen Alternativen als Antwort auf die Kritik
3.1 Wünschbarkeit: rekurriert nochmal auf den allerersten Punkt, also die Formulierung von abstrakten Werten und Prinzipien, die der künftigen Gesellschaft zugrunde liegen sollen.
3.2 Gangbarkeit
3.3 Erreichbarkeit
(4) die Ausarbeitung einer Transformationsstrategie zur Realisierung dieser Alternativen.
(Vgl. Wright, Durch Realutopien den Kapitalismus transformieren, S. 63)
Strukturen und Systeme legen nunmal gewisse Handlungslogiken und Rationalitäten nahe bzw. verstärken jene und schwächen andere. Ein Modell so zu entwerfen, dass gewünschte Prinzipien und Werte strukturell befördert werden, während unerwünschte Verhaltensweisen (Konkurrenz, Naturzerstörung, Exklusion, Autoritarismus etc.) gehemmt werden, hat m.E. nichts mit einem bevormundenden „vorher moralisch beibiegen“ zu tun.
Unterstellt man dem Konzept einer Partizipatorischen Ökonomie (das hier Wrights Vorschlag konzeptionell paradigmatisch erfüllt, die zugrundeliegenden Prinzipien und Werte offenzulegen und zu konkretisieren – Solidarität, Vielfalt, ökonomische Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Selbstverwaltung und Wirtschaftsdemokratie – und hiervon ausgehend das Konzept mit den Institutionen und Strukturen zu modellieren) Nähe zum Realsozialismus (was ich für überaus abwegig halte) muss dieser Vorwurf automatisch auch an Wright selbst ergehen.
@A.D.: Zunächst sorry, dass ich so spät antworte, aber ich war mit Carearbeit eingedeckt (kleines Kind). Das kann noch öfter passieren.
„Fehl“interpretationen liegen dann vor, wenn die eigene Interpretation die „richtige“ ist. Meine Interpretation von Marx ist vermutlich eine andere als deine, was dann zu „anderen“ Interpretationen führt. Wie du nehme auch ich an, dass meine die „richtige“ ist, halte aber für möglich, dass ich mich irre. Das macht Diskussion aus. Ich gehe die Punkte durch (danke für deine Antwort schon mal!).
Genau diese Fehlinterpretation von Marx sehe ich in der PE am Werk, nur dass hier (durch dich) bestritten wird, dass es sich überhaupt um Waren handelt. Lustig, dass du hier die PE korrigieren möchtest, doch ich glaube, Hahnel und Co haben da einfach Recht. Auch die PE will die Ware-Geld-Beziehungen anders regeln. Und (Pseudo-)Märkte gibt es in der PE sehr wohl, sie werden als Mittel der Planapproximation simuliert (mein Punkt (7) im Ausgangstext).
Privateigentum an Konsummitteln: Ich hebe das hervor, weil auch das wie im Realsozialismus ist. Die Folgen sind eine bestimmte (Waren-)Subjektivität mit dem Streben nach Habseligkeiten und nicht zuletzt ein Staat samt Rechtsform, der dieses Eigentum garantieren muss. Ziemlich unanarchistisch.
Moralisches Sollensmodell: Du versuchst mal eben die Richtung umzudrehen: Aus der Struktur mögen sich Wertvorstellungen ergeben (was ja schlechterdings gar nicht zu verhindern ist). Die Richtung bei Hahnel ist aber umgekehrt, dort sind es Sollensanforderungen und Spekulationen, wie sich die Menschen wohl hoffentlich verhalten werden. In „Kapitalismus aufheben“ kritisieren wir das (z.B. mit den von dir zitierten Sätzen): Theorien und Kritiken sind nicht offengelegt, und Moral oder Algorithmik treten unüberprüfbar an die Stelle der Kategorien.
Arbeitszwang: Wer Leute zur Arbeit bringen (aka zwingen) will, der muss über Anreize nachdenken. Das ist halt die übliche bürgerlich-kapitalistische Logik, die du jeden Tag in den Nachrichten vernehmen kannst. Ein BGE für alle löst das Problem übrigens auch nicht (der Zwang fällt nur individuell weg).
Entlohnung: Warum „ich für erfüllendere Arbeit, nur weil sie „qualitiziert“ ist, mehr bekommen [soll], als für weniger erfüllende Arbeit“ ist eine moralische Frage. Lese ich sie nicht-moralisch und beantworte sie logisch, dann deswegen, weil sonst Schattenmärkte entstehen werden, wo ich für meine qualifizierte Arbeit eben mehr bekomme und damit mein Privateigentum an Konsummitteln zu erhöhen (siehe Waren-Subjektivität). So war das in der DDR, und ich sehe keinen (logischen) Grund, warum es in der PE anders laufen sollte. Daher ergibt es schon Sinn, moralische Sollensforderungen (siehe 5) voranzustellen (was die DDR auch versuchte und scheiterte, sorry).
Zentrale Koordination: Ich habe fehlende Transparenz gar nicht erwähnt. Der Punkt ist allein: Das IFB ist defacto eine zentrale Planbehörde. Wenn sie keine Durchsetzungsmacht hat (was ich dir glaube), dann wirft das aber die Frage auf, wie die Erkenntnisse des IFB durchgesetzt werden. Denn das müssen sie, weil sonst Inkohärenz entsteht. Auch das ist keine moralische Frage, sondern eine logische.
Plananpassung: Okay.
Produktionsketten: Der Punkt ist, das es keine Produktionskettenplanung in der PE gibt (jedenfalls kenne ich keine und du konntest auch keine benennen). Ist halt eine Lücke, shit happens. Gäbe es Produktionsketten, würde die Zentralität des IFB deutlich in Erscheinung treten, weil dann die Lokalität der Entscheidungen nicht mehr gegeben ist. Bei Produktionsketten entscheidet sich, ob Modelle etwas taugen oder nicht.
Opportunitätskosten: Hab schon geschrieben, dass es zwar immer Opportunitäten gibt, aber Opportunitätskosten nur in solchen Gesellschaften, die über eine unit of account eine Reduktion/Abstraktion bereitstellen, um die Kosten zu quantifizieren. Bei einer mediation in kind (Sachvermittlung) gibt es das nicht.
Ich kann nachvollziehen, warum viele Modelle die Auffassung vertreten, dass sie einfach bestimmte Aspekte der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus modifizieren, und dann kommt was ganz anderes heraus. Mein basales Argument ist hier, dass man nicht einfach ein solches „Rosinenpicken“ betreiben kann und dann hoffen, dass das Resultat schon kein Kapitalismus mehr sein werde. Am Realsozialismus war sehr viel Kapitalismus und an der PE leider auch. Da hilft die Umdefinition von Kategorien eben nicht.
Nachtrag: Ja, E.O.Wrights Herangehen halte ich für falsch. Eine Kritik an EOW, die es nicht mehr ins Buch geschafft hat, kannst du hier nachlesen: https://commonism.us/files/Kapitalismus-aufheben-Bonuskapitel.pdf
@Stefan Meretz Vielen Dank für deine Nachricht!
Im Folgenden versuche ich mal näher zu begründen, warum ich denke, dass meine Marx-Interpretation tatsächlich die richtige(re) ist, was das für eine adäquate Analyse von PE bedeutet und gehe dabei vor allem noch einmal auf die Aspekte ein, die von mir bisher noch nicht angerissen oder zumindest nicht tiefergehend erörtert wurden. Generell finde ich es hilfreich, wenn sich beim Argumentationsgang nah an der jeweils rezipierten Literaturgrundlage orientiert wird – so könnte ich selbst nochmal direkt nachsehen, worauf du dich vor allem bei Marx konkret beziehst.
1. Tausch/Waren/Wert:
Zu deinem Argument: ‚Aus meiner Sicht ist es nicht zulässig, ex negativo abzuleiten, dass andere Koordinationsformen nicht auch Waren und Co produzieren.‘ Wenn Marx, wie von mir oben angeführt, den Begriff der ‚Ware‘ so definiert, dass diese „unmittelbar Produkte vereinzelter unabhängiger Privatarbeiten [darstellen], die sich durch ihre Entäußerung im Prozeß des Privataustausches als allgemeine gesellschaftliche Arbeit bestätigen müssen“ (MEW 13, S. 67), dann gibt es tatsächlich nur dann Waren, wenn Güter getauscht werden – kategorisch. Ich denke, du liegst falsch, wenn du meinst, dass sich die darin vorhandene Grundannahme des Konnex von Ware–Austausch nur auf den Kapitalismus bezieht (hast du dafür einen Beleg/Verweis auf Marx, wenn du hier auf ihn rekurrierst?). Frühere Gesellschaften haben auch Waren produziert, nämlich dann, wenn Produkte getauscht wurden bzw. maßgeblich zu Tauschzwecken produziert wurden. Von daher kann es durchaus andere Gesellschaftsformen/Reproduktionsweisen geben, als kapitalistische, welche Warenproduktion beinhalten (und hat es historisch auch gegeben), jedoch muss dem immer der Tausch zugrunde liegen. Institutionalisieren sich Tauschverhältnisse/-praktiken, dann wäre von der Herausbildung/Implementierung eines Marktes zu sprechen.
Dazu Marx:
„Ein Ding kann nützlich und Produkt menschlicher Arbeit sein, ohne Ware zu sein. Wer durch sein Produkt sein eigenes Bedürfnis befriedigt, schafft zwar Gebrauchswert, aber nicht Ware. Um Ware zu produzieren, muß er nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andre, gesellschaftlichen Gebrauchswert. Und nicht nur für andre schlechthin. Der mittelalterliche Bauer produzierte das Zinskorn für den Feudalherrn, das Zehntkorn für den Pfaffen. Aber weder Zinskorn noch Zehntkorn wurden dadurch Ware, daß sie für andre produziert waren. Um Ware zu werden, muß das Produkt dem andern, dem es als Gebrauchswert dient, durch den Austausch übertragen werden.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 55)
Oder nochmal Engels:
„Wir bezeichnen als ‚Warenproduktion‘ diejenige ökonomische Phase, in welcher die Gegenstände nicht nur für den Gebrauch der Produzenten, sondern auch für Zwecke des Austausches produziert werden, d.h. als Waren, nicht als Gebrauchswerte. Diese Phase reicht von den ersten Anfängen der Produktion für den Austausch bis herab in unsere gegenwärtige Zeit; sie erlangt ihre volle Entwicklung erst unter der kapitalistischen Produktion, d.h. unter Bedingungen, wo der Kapitalist, der Eigentümer der Produktionsmittel, gegen Lohn Arbeiter beschäftigt, Leute, die aller Produktionsmittel, ihre eigene Arbeitskraft ausgenommen, beraubt sind, und den Überschuss des Verkaufspreises der Produkte über seine Auslagen einsteckt.“ (F. Engels, Einleitung (1892) zu ‚Entwicklung des Sozialismus‘, MEW 19, S. 526.)
Von daher bin ich vollstens davon überzeugt, dass es durchweg unzutreffend ist, wenn du PE unterstellst, dass hier Waren produziert würden. Nochmal: Im Konzept von PE existiert schlicht und ergreifen kein Tausch! (a) Kein Arbeiter_innenrat/Betrieb tauscht Produkte mit irgendjemandem, auch nicht mit einem anderen Arbeiter_innenrat/Betrieb, sowie auch (b) kein_e Konsument_in den Preis ihrer Arbeitskraft (der im Kompensations-/Konsumcreditmodell eben gerade keine Rolle spielt) gegen Produkte eintauscht.
Zu (a): Die Arbeiter_innenräte fordern von der Gesellschaft Ressourcen (bspw. Maschinen) an und bekommen diese ausgeliehen, genauso, wie sie auch Vorprodukte, natürliche Ressourcen und Arbeitskräfte von der Gesellschaft beziehen und versprechen dafür, eine entsprechende Produktion (Güter, Dienstleistungen) zu erbringen, die eine positive soziale Bilanz aufweist, was durch das spezifische Planungsverfahren und die daraus hervorgehende Bepreisung gewährleistet wird. Zu (b): Die Konsument_innen erhalten ihre Konsumrechte nicht anhand des Wertes ihrer Arbeitskraft, sondern gemäß der Beschwerlichkeit ihrer Arbeit. Sie erwerben ihre Konsumgüter nicht im Tausch von einem Arbeiter_innenrat, der somit auch keinen Profit generieren kann (so was gibt es schlicht und ergreifen nicht), sondern direkt von der Gesellschaft, welche über die vom Arbeiter_innenrat geschaffenen Produkte unmittelbar verfügt.
Zentralplanung kann und sollte man aus guten Gründen kritisieren. Was man ihr m.E. aber prinzipiell nicht vorwerfen kann, zumindest mit Bezugnahme auf die marx’sche Theorie, ist, dass hier Waren produziert würden (solange die gefertigen Produkte eben nicht ausgetauscht werden). Dazu nochmal Engels: „Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation.“ (Engels, Anti-Dühring, S. 264)
Der Punkt ist also, dass Planwirtschaften (die intern über keinen Markt verfügen und somit keinen Austausch gewährleisten) keine Waren produzieren, zumindest solange sie nicht nach außen hin in (globale) Handelsbeziehungen verwickelt sind. Und genau da wird es m.E. erst wirklich spannend und diskutabel: Kann es überhaupt eine postkapitalistische Alternative geben (selbst wenn sie intern über keine Tauschbeziehungen verfügt), solange eine wie auch immer geartete Wirtschaft noch in globale Handelsbeziehungen involviert ist? Da sehe ich auch das größte Problempotenzial: Solange eine Partizipatorische Ökonomie nicht in bedeutendem Maße global verallgemeinert ist, muss abgewogen werden, ob man sich auf Subsistenz zurückzieht – wo aus guten Gründen angenommen werde könnte, dass das demokratisch schwerlich durchgehen würde – oder ob man dann auf globaler Ebene in den internationalen Austausch tritt, folglich Waren produziert und damit Gefahr läuft, dass Marktlogiken das Konzept infiltrieren/unterminieren. (Das ist aber das Problem eines jeden mir bekannten postkapitalistischen Modells, nicht nur von PE).
Und nochmal zu Hahnel et al: Die liege tatsächlich nicht im Geringsten im Widerspruch zu dem von mir aus marxistischer Perspektive dargelegten, was sich eben daraus ergibt, dass sich Hahnel/Albert keiner marxistischen Terminologie bedienen, wenn bspw. von Produktionsfaktoren (Arbeit/Kapital/Boden) die Rede ist (andernfalls würden sie hinsichtlich der Beschreibung von PE in der Tat falsch liegen). Entsprechend ist also gerade keine Korrektur des von PE-Vertreter_innen gebrauchten Jargons notwendig ist, sondern Aufklärung über die mehrdeutige Semantik von Begrifflichkeiten gemäß unterschiedlicher Traditionen. Also: anderes Vokabular, andere Semantik, selbe Analyse und sich daraus ergebende Schlussfolgerungen. Das ist für die fachgerechte Evaluation des Modells zwingend notwendig (→ s.o. zu unterschiedlichen Theorietraditionen und demgemäß disparaten Bedeutungen derselben Begrifflichkeiten). Die Verwendung des Begriffs der ‚Ware‘ im von dir genannten Buch ‚Anarchistische Gesellschaftsentwürfe‘, auf das du dich bisher ausschließlich explizit bezogen hast, ist meiner Vermutung nach einfach einer überaus schlechten Übersetzung geschuldet: Im englischen Original wird bei Hahnel von „commodity“ (Ware) nur pejorativ, auf den Kapitalismus bezogen, gesprochen (Vgl. Hahnel, Democratic Economic Planning, S. 43, S. 98). Hinsichtlich PE wird dort lediglich von „goods“ gesprochen, und müsste daher korrekter Weise mit ‚Gütern‘ übersetzt werden.
Vorwurf: ‚simulierte Pseudo-Märkte‘
Nur weil das PE-Planungsverfahren über einen dezentralen Allokations-Mechanismus verfügt, welcher Angebot und Nachfrage mittels Preisen ins Gleichgewicht bringen soll und der Markt diesen grundlegenden Mechanismus ebenfalls zu erfüllen beansprucht, handelt es sich bei ersterem trotzdem noch lange nicht um einen Markt. Für einen Markt ist der Tauschprozess konstitutiv. Es gibt in einer PE keine Tauschprozesse (s.o.) und ergo somit keinen Markt. Was mit dem diffusen Begriff ‚Pseudo-Markt‘ gemeint sein soll, erschließt sich mir daher nicht: Entweder es gibt einen Markt oder es gibt keinen Markt. Letzteres ist betreffend des Konzeptes einer Partizipatorischen Ökonomie der Fall.
2. (früher 1) Geld/Preis:
Deine an dieser Stelle erfolgte Argumentationslinie baut allein auf der unzutreffenden Annahme auf, dass es in einer PE Tausch und Markt gibt, was – wie oben ausführlich dargelegt – schlichtweg falsch ist, und erweist sich damit als inkorrekt (sobald man die oberen Argumente anerkennt): Keine Waren, kein Tausch, kein Tauschäquivalent. Nochmal zum Begriff des ‚Preises‘: Du hast geschrieben; ‚Was anderes als Preise sind Kosten?‘ – dem stimme ich zu – ‚Was anderes als Geldausdrücke sind Preise?‘ – dem möchte ich eindringlich widersprechen, zumindest in dieser Pauschalität. Warum ‚Preise‘ (UOA) nicht notwendigerweise ‚Geld‘ (allgemeines Tauschmittel) sind, habe ich oben schon ausführlich und m.E. zu Genüge ausgeführt (siehe 1. im vorhergenden Kommentar). Noch mal verkürzt runtergebrochen: Fällt die unzutreffende Prämisse, dass es in einer PE Tausch und damit Waren gibt, halte ich das Argument für widerlegt, dass es damit auch ‚Geld‘ (allgemeines Tauschmittel) gibt. Versteht man jedoch unter ‚Geld‘ – entgegen Marx – nicht notwendigerweise eine Ware – „Das Geld ist aber selbst Ware“ (MEW 23, S. 146) –, sondern lediglich ein allgemeinen, nicht-übertragbaren Konsumcredit, welcher einen Anspruch auf den gesellschaftlich geschaffenen Reichtum darstellt, dann sehe ich in der Tat auch keinerlei Problem mit ‚Geld‘ in einer postkapitalistischen Ökonomie, auch wenn ich denke, dass diese Definition problematisch ist.
Am wichtigsten finde ich jedoch, dass deine Kritik an PE, die – wie ich oben dargelegt habe m.E auf sachlich und theoretisch falschen Annahmen beruht – nicht ein einziges Mal den Vorwurf, tatsächlich kapitalistisch zu sein, substanziell untermauert. Marx hat in seiner Kritik der politischen Ökonomie und des Kapitalismus nicht einzelne Dinge wie den Tausch und den Wert kritisiert (weshalb die Spielarten einer religiös verklärten, pseudo-marxistischen ‚Wertkritik‘ m.E. auch nichts taugen), er hat das Kapital(-verhältnis) kritisiert (und die Unfähigkeit der bürgerlichen Ökonomie dies zu ergründen). Wenn du also PE vorwirfst, Kapitalismus zu sein, dann müsstest du, ganz materialistisch und nicht durch deduktive Ableitung, begründen, wo es denn Kapital in einer PE gibt, denn: Kein Kapital → kein Kapitalismus. ‚Kapital‘ ist nicht ‚Wert‘, sondern der Prozesses eines ‚sich selbst verwertenden Werts‘, kurz: G-W-G’.
Hierzu Michael Heinrich: „Eine Wertsumme, die diese Bewegung vollzieht, ist Kapital. Eine bloße Wertsumme für sich genommen, sei es nun in Gestalt von Geld oder in Gestalt von Waren, ist noch nicht Kapital. Auch ein einzelner Austauschprozess macht aus einer Wertsumme noch nicht Kapital. Erst die Verkettung von Austauschprozessen mit dem Zweck, die ursprüngliche Wertsumme zu vermehren, liefert uns die typische Kapitalbewegung: Kapital ist nicht einfach Wert sondern sich verwertender Wert, d.h. eine Wertsumme, die die Bewegung G-W-G’ vollzieht. […] Im Unterschied zur einfachen Warenzirkulation W-G-W, die auf einen außerhalb der Zirkulation liegenden Zweck zielt (Aneignung von Gebrauchswerten zur Bedürfnisbefriedigung) und die ihr Maß am Bedürfnis und ihr Ende an der Befriedigung findet, ist die Kapitalbewegung ein Selbstzweck, sie ist maßlos und endlos.“ (Heinrich, Kritik der politischen Ökonomie, S. 83f.)
Kapitalakkumulation, und damit die Existenz von Kapital, basiert darauf, dass es eine entwickelte/verallgemeinerte Marktwirtschaft gibt, auf deren Grundlage die vereinzelten Privatproduzenten in Konkurrenz miteinander stehen und sich zwecks Kapitalakkumulation den durch die Arbeitskräfte geschaffenen Mehrwert aneignen und (re-)investieren können.
In einer Partizipatorischen Ökonomie ist dies kategorisch ausgeschlossen: Es kann in einer PE kein Kapital geben, weil die selbstverwalteten Betriebe über keinerlei Eigentum an Produktionsmitteln verfügen und sich auch keinen Mehrwert aneignen können (weil diese Betriebe weder tauschen, noch über zum Tausch benötigtes Geld verfügen), den sie dann wieder in neues konstantes/variables Kapital investieren könnten. Die Betriebe erhalten von der Gesellschaft Ressourcen ausgeliehen und versprechen im Gegenzug dafür, Güter zu liefern. Also: Kein Tausch, kein Markt – Kein Kapital, kein Kapitalismus.
3. Lohnarbeit:
Du kannst zwar behaupten, dass jede Kompensation für geleistet Arbeit (in Form von Konsumrechten) Lohn ist und dementsprechend Lohnarbeit voraussetzt, jedoch stellst du dich damit außerhalb der marxistischen Theorie. Kapital und Lohnarbeit sind für Marx zwei Seiten der selben Medaille, das eine existiert nicht ohne das andere. Hier mal einige Ausschnitte aus der Schrift ‚Lohn und Kapital‘:
„Das Kapital besteht nicht darin, dass aufgehäufte Arbeit der lebendigen Arbeit als Mittel zu neuer Produktion dient. Es besteht darin, dass die lebendige Arbeit der aufgehäuften Arbeit als Mittel dient, ihren Tauschwert zu erhalten und zu vermehren.“ (MEW 6, S. 409)
„Das Kapital kann sich nur vermehren, indem es sich gegen Arbeitskraft austauscht, indem es Lohnarbeit ins Leben ruft. Die Arbeitskraft des Lohnarbeiters kann sich nur gegen Kapital austauschen, indem sie das Kapital vermehrt, indem sie die Macht verstärkt, deren Sklavin sie ist. Vermehrung des Kapitals ist daher Vermehrung des Proletariats, d. h. der Arbeiterklasse“ (MEW 6, S. 410)
„Das Kapital setzt also die Lohnarbeit, die Lohnarbeit setzt das Kapital voraus. Sie bedingen sich wechselseitig; sie bringen sich wechselseitig hervor.“ (MEW 6, S. 410)
„Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten eines und desselben Verhältnisses. Die eine bedingt die andre, wie der Wucherer und Verschwender sich wechselseitig bedingen.“ (MEW 6, S. 411)
Marx setzt Kapital und Lohnarbeit also in einen komplementären Zusammenhang. Daher lautet die Schlussfolgerung, dass die Abwesenheit von Kapital (wie es auf PE faktisch zutrifft) auch eine Abwesenheit von Lohnarbeit im marxschen Sinne zur Folge hat. Wer PE unterstellen möchte, dass sie auf Lohnarbeit basiert, müsste ihr erstmal konkret die Existenz von Kapital nachweisen – das wie gesagt im marxschen Sinne nicht vorhanden ist: Kein Kapital → keine Lohnarbeit.
4. Privateigentum an Konsummitteln:
Hier verstehe ich nicht so recht, was du mit deiner Entgegnung zu kritisieren versuchst, bzw. welchen Punkt du konkret machen möchtest. Deinem pauschal formulierten Vorwurf, dass jede postkapitalistische Wirtschaft, die noch Privateigentum an Konsummitteln (Handy, Bücher, Schuhe, Fernseher etc.) toleriert, irgendwie problematisch sein soll, kann ich nicht folgen (und btw. finde ich die pauschale Empörungs-Kritik ‚sowas hat es im Realsozialismus auch gegeben‘ ziemlich undifferenziert und ermüdend). Was soll ‚(Waren-)Subjektivität‘ überhaupt bedeuten (der marxsche Begriff des ‚Warenftisch‘ lässt sich hier auf jeden Fall nicht anwenden)? Und warum soll aus Privateigentum an Konsummitteln automatisch ein Streben nach Habseligkeiten resultieren, wenn es doch – wie oben gezeigt – keinen Zwang zur Kapitalakkumulation mehr gibt und damit der Wachstumszwang gebrochen wurde? Hier verwechselst du m.E. ‚Form‘ und ‚Erscheinung‘. Dass es zur Gewährleistung privater Konsummittel eine Rechtsform braucht und damit auch einen Garant dieser Rechte, den man (je nach Definition) auch Staat nennen kann, ist demgegenüber tatsächlich richtig. Daher würde ich von PE auch niemals als anarchistisches Modell sprechen. Hahnel bezeichnet sich selbst als ‚libertären Sozialisten‘ und ich würde sagen, dass man diesen Begriff auch auf das Konzept anwenden sollte: Partizipatorische Ökonomie ist kein anarchistisches Modell, sondern ein postkapitalistisches, libertär-sozialistisches Konzept. In seiner Replik auf eure Kritik hat er auch konzediert, dass PE einem zukünftigen Konzept den Boden bereiten könnte, welches man dann vielleicht eher als anarchistisch bezeichnen könnte (vgl. Anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 234-237).
5. Moralisches Sollensmodell:
Da verdrehst du leider idealistisch die Richtung und ich versuche lediglich den Tatbestand vom Kopf auf die Füße zu stellen. Deine Behauptung ‚Die Richtung bei Hahnel ist aber umgekehrt, dort sind es Sollensanforderungen und Spekulationen, wie sich die Menschen wohl hoffentlich verhalten werden‘ ist durchweg falsch: Es geht nicht darum, dass sich Menschen ‚wohl hoffentlich so verhalten werden‘, sondern dass sich Hahnel et al. eine Wirtschaft wünschen, die nach diesen Werten funktioniert und daher – ganz materialistisch – darauf aufbauend eine Struktur begründen, die diese Werte qua neuen Strukturlogiken und damit verbundenen Handlungsrationalitäten hervorbringt. Im Übrigen wird die Kritik an Zentralplanung und Marktwirtschaft ebenfalls sehr ausführlich offengelegt (Vgl. Democratic Economic Planning, S. 27-81).
6. Arbeitszwang:
Dass jede Form von ‚Arbeitszwang‘, gleich wie man dazu stehen möchte, einer bürgerlich-kapitalistische Logik folgt, ist einfach schon aus der historischen Perspektive widerlegt. Und ich sehe auch nicht, weshalb ein BGE den ‚Arbeitszwang‘ nur individuell abschaffen soll. Aber ja, wenn eine PE-Gesellschaft sich dazu demokratisch entscheiden sollte, wäre der stumme Zwang zur Arbeit – abseits der genannten kategorischen Ausnahmen wie Kindheit, Rentenalter, Arbeitsunfähigkeit – mit PE-Prinzipien durchaus vereinbar.
7. Entlohnung knechtender Arbeit:
Hier sagst du, dass qualifizierte Arbeit notwendigerweise besser kompensiert werden müsste, ‚weil sonst Schattenmärkte entstehen werden, wo ich für meine qualifizierte Arbeit eben mehr bekomme und damit mein Privateigentum an Konsummitteln zu erhöhen (siehe Waren-Subjektivität). So war das in der DDR, und ich sehe keinen (logischen) Grund, warum es in der PE anders laufen sollte.‘
Dem würde ich entgegenhalten, dass das heutige Hauptargument zur besseren Bezahlung qualifizierter Arbeit – dass diese ja zumeist eine längere Ausbildungsdauer voraussetzt und sich dies dann später auch rechnen müsse – in einer PE dadurch wegfällt, dass die Ausbildung selbst als gesellschaftlich wertvolle Arbeit anerkannt und entsprechend der Verteilungsmaxime (nach geleisteten Entbehrungen) mit Konsumrechten kompensiert wird. Aus Gerechtigkeitsperspektive könnte dann also nicht mehr für eine pauschal bessere Kompensation qualifizierter Arbeit argumentiert werden. Der Entstehung von Schattenmärkten wie in der DDR würde dadurch ein Riegel vorgeschoben – oder dies zumindest erheblich abgemildert – dass es anders als in der DDR ja kein Geld respektive zirkulierendes/übertragbares Zahlungsmittel gibt, mit welchem die vergesellschafteten Produkte auf offiziellem Wege erworben werden könnten, sondern lediglich nicht-übertragbare/persönliche Konsumcredits.
8. Zentrale Koordination:
Wenn die Funktion des IFB wirklich verstanden wurde, kann disbezüglich nicht von einer ‚zentralen Planungsbehörde‘ die Rede sein. Der Aufgaben/-Kompetenzbereich des IFB ist alleinig darauf beschränkt, Angebot und Nachfrage zu aggregieren, ins Verhältnis zu setzten und entsprechend die Preise anzupassen. Die Frage, wie ‚die Erkenntnisse des IFB‘ (strenggenommen keine großartigen ‚Erkenntnisse‘, sondern recht simple Verrechnung von Angebot und Nachfrage und daraus erfolgende Preisanpassung) allokativ umgesetzt werden und somit ökonomische Kohärenz gewährleistet wird, ergibt sich aus dem DEZENTRALEN ‚iterativen‘ Planungsverfahren. Da hier offensichtlich einiges an Konfusion besteht, versuche ich mal, das Verfahren hier so konzise wie möglich zu skizzieren:
Das Verfahren lässt sich grob auf drei aufeinanderfolgende Schritte herunterbrechen, die sich in mehreren Durchgängen wiederholen (daher der Begriff ‚iterativ‘ – also sich wiederholend)
Schritt 1: Zu Beginn der ersten Runde verkündet das Unterstützungsbüro die gegenwärtigen Schätzungen – der sozial-ökologischen Kosten aller natürlichen Ressourcen, aller Kategorien von Arbeit, aller Produktionsmittel, Zwischenprodukte, Konsumgüter und Dienstleistungen – in Form von sogenannten Richtpreisen. Diese orientieren sich an den realen Preisen aus dem letzten Jahr. Theoretisch ist es aber auch möglich, die Richtpreise vollkommen beliebig zu wählen, jedoch würden dadurch eventuell mehr Verfahrensdurchgänge (also Iterationen) notwendig.
Schritt 2: Die einzelnen Haushalte reichen ihre Konsumvorschläge für das gesamte Jahr ein (wie genau das funktioniert, erkläre ich gleich). Die Nachbarschaftsräte bündeln diese Konsumvorschläge ihrer Mitglieder zu einem kollektiven Konsumvorschlag des Nachbarschaftsrates und reichen diesen in der Räte-Struktur weiter auf die nächst höhere Ebene und so setzt sich das weiter fort. Die Arbeiter_innenräte formulieren wiederum Produktionsvorschläge, heißt: welche Outputs möchten sie produzieren und welche Inputs benötigen sie dazu → Diese Eigentätigkeitsvorschläge müssen gesellschaftlich verantwortungsvoll sein (auch das erkläre ich gleich näher).
Schritt 3: Das Unterstützungsbüro würde nun die Richtpreise anpassen. Das heißt: Es vergleicht das Verhältnis von Nachfrage und Angebot für jedes Konsumgut und jeden Produktionsfaktor. Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, wird der Preis nach oben korrigiert. Wenn umgekehrt das Angebot die Nachfrage übersteigt, wird der Preis entsprechend nach unten korrigiert. Daraufhin würde ein neuer Durchgang beginnen und die Konsument_innenräte sowie Produzent_innenräte würden im Hinblick auf die neuen Preise ihre Vorschläge entsprechend überarbeiten. Diese drei Schritte würden in aufeinanderfolgenden Durchgängen solange wiederholt, bis es keinen Nachfrage- oder Angebotsüberschuss mehr gibt, also kurzgefasst: bis es ein Gleichgewicht gibt und damit ein solider, gangbarer Jahresplan steht. Dabei sei realistischer Weise nicht davon auszugehen, dass es schon in den ersten Durchgängen zu einem gangbaren Plan kommen werde, jedoch würden die Schätzungen der sozial-ökologischen Kosten mit jeder neuen Iteration (also mit jedem Durchgang) immer akkurater werden.
In beiden Fällen – Konsumvorschlägen wie Produktionsvorschlägen – zielt das Modell der jährlichen partizipatorischen Planung darauf ab, all die Informationen zu generieren und bereitzustellen, die notwendig dafür sind, es den unterschiedlichen Einheiten zu ermöglichen, aufgeklärte Entscheidungen auf allen Ebenen treffen zu können. Hierzu gehört vor allem auch die Beurteilung, ob ein Produktions- oder Konsumptionsvorschlag sozial verantwortlich ist oder nicht. Dies betrifft zum einen die die Vorschläge einbringenden Akteure selbst, welche anhand der Kriterien, die gleich noch näher erläutert werden, abschätzen können müssen, ob ihr Vorschlag sozial angemessen ist oder nicht, aber eben auch die anderen – im selben Rat (horizontal) vereinten – Parteien, die hierdurch einen sozial unverantwortlichen Antrag unkompliziert erkennen und ablehnen können. Damit wird eine übergeordnete Kontrollinstanz – wie beispielsweise ein zentrales Planungsbüro – als Vollzugsorgan vermieden.
Jetzt zur konkreten Formulierung der individuellen Konsumvorschläge: Wichtig zu beachten ist, dass vor Beginn des jährlichen Planungsverfahrens schon Ressourcen und Kapazitäten für langfristige Entwicklungsplanung und Investitionsplanung gebunden sind und innerhalb des jährlichen Planungsverfahrens vor der Formulierung individueller Konsumvorschläge schon Vorschläge zu kollektivem/öffentlichem Konsum formuliert wurden, die das private Konsumbudget entsprechend reduzieren.
Wie geht die Formulierung von individuellen Konsumvorschlägen nun vonstatten?: Die einzelnen Haushalte reagieren auf die Verkündung der Richtpreise, indem sie anhand grober Kategorien – wie Schuhe, Hemden etc. – abschätzen, was sie im nächsten Jahr insgesamt verbrauchen möchten. Hierbei können sie die Liste ihrer Einkäufe/Ausgaben des letzten Jahres als Orientierungshilfe zurate ziehen und diese bei Bedarf entsprechend anpassen. Dabei gilt es, die Konsumrestriktion durch das persönliche Effort-Rating (zuzüglich Unterstützungsleistungen und Entschädigungen) einzuhalten – eine positive Bilanz wird automatisch angenommen. Ansonsten muss man hoffen, dass ein Überschreiten der formellen Konsumrechte als ‚special need request‘ durch die anderen Mitglieder abgesegnet wird (was bedeutet, dass die anderen einem dann entsprechend den Mehrkonsum finanzieren würden). Falls ein Haushalt – aus welchen Gründen auch immer – nicht teilnehmen würde, so wäre es die Aufgabe des jeweiligen Nachbarschaftsrates, seinen Konsum aus dem Vorjahr als Vorschlag zu übernehmen und ihn bei Überschreiten des Konsumanspruchs entsprechend anzupassen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Konsumvorschläge sind keine Vorbestellungen. Man kann während des Jahres nach Belieben in den Laden gehen und sich frei nach Bedarf mit Konsumgütern eindecken (solange es das Konsumbudget hergibt).
Jetzt zur konkreten Formulierung der Produktionsvorschläge durch die Arbeiter_innenräte:
Der Antrag der Arbeiter_innenräte an die anderen Räte, mit denen sie durch kooperative Arbeitsteilung verbunden sind, lautet runtergebrochen wie folgt: ‚Wenn ihr uns gestattet, einen bestimmten Teil der Ressourcen, die uns allen gehören, als Input zu verwenden, dann versprechen wir, als Output die folgenden Produkte und Dienstleistungen für die Gesellschaft zu liefern.‘ Hierbei müssen die Arbeiter_innenräte gewährleisten, gesellschaftlich verantwortungsvolle Vorschläge einzureichen, da ihre Anträge ansonsten von den anderen, gleichrangigen, Rätemitgliedern abgelehnt werden könnten. Aufseiten der Produzent_innenräte würde ein Produktionsvorschlag evaluiert, indem der gesellschaftliche Nutzen des versprochenen Outputs – welcher sich in den summierten Richtpreisen aller versprochenen Güter und Dienstleistungen ausdrückt – mit den dafür aufzuwendenden sozialen Kosten in Form der hierin einfließenden Inputs – welche sich in den Richtpreisen der gesamten, summierten Inputfaktoren ausdrückt – verglichen. Das bedeutet: wenn die sich hieraus ergebende Soziale Nutzen/Kosten-Bilanz größer gleich eins ist, dann wäre die vorgeschlagene Ressourcenverwendung sozial verantwortlich und die Gesellschaft würden davon profitieren, den Vorschlag anzunehmen. Wäre sie kleiner als 1, dann wäre sie ineffizient und wahrscheinlich sozial unverantwortlich, weil es andere Arbeiter_innenräte gibt, die die Ressourcen effizienter nutzen würden. Bezüglich letzterem müsste dann jeweils fallspezifisch entschieden werden, ob der Vorschlag abzulehnen wäre, oder ob es besondere Umstände gibt, die es rechtfertigen würden, den Vorschlag trotzdem anzunehmen.Würde der Vorschlag jedoch von den anderen (horizontalen!) Mitgliedern des jeweiligen Rates abgelehnt, so müsste der betreffende Arbeiter_innenrat des einzelnen Betriebes diesen entsprechend überarbeiten, bis die Bilanz passt – auch das macht er wieder in Selbstverwaltung.
10. Produktionsketten:
Da scheinst du meine Argumentation nicht zur Kenntnis genommen zu haben: Das IFB spielt hier keine Rolle. Nicht das IFB, sondern die Arbeiter_innenföderationen haben die Aufgabe, die ihnen angehörigen Arbeiter_innenräte über potenzielle Probleme in der Produktionskette zu informieren (womit bspw. eine eigener Arbeiter_innenrat, beauftragt durch die jeweilige Arbeiter_innenföderation, befasst sein könnte). Entsprechend des Subsidiaritätsprinzips, welches sich aus dem Prinzip der Selbstverwaltung ergibt, organisieren die Arbeiter_innenräte die Produktionsketten selbstständig, soweit wie sie das eben können. Insoweit als diese Übersicht/Koordinationsleistung ihre Fähigkeiten übersteigt, wird dies an die jeweiligen darüberliegenden Arbeiter_innenföderationen delegiert (die rätedemokratisch aus den Betrieben und dann den unteren Räte-Ebenen hervorgehen).
11. Opportunitätskosten:
Alles klar, ist dann wohl eine Definitionsfrage
Ich hoffe es ist jetzt klar geworden, warum der Vorwurf, bei PE handle es sich um ‚Kapitalismus‘ jeglicher Grundlage entbehrt. Ferne hoffe ich damit nachvollziehbar gemacht zu haben, warum es sich bei Partizipatorischer Ökonomie um eine elaborierte, ernstzunehmende postkapitalistische Alternative handelt, welcher eine gewisse Sorgfalt in der Auseinandersetzung zuteil werden sollte. Generell würde es dem kritischen Diskurs im Allgemeinen sehr zugute kommen, Begriffe (zumal marxistische) nach der gebotenen Präzision zu verwenden.
Nachtrag zu Erik Olin Wright:
Sicherlich gibt es an Wright (vor allem wenn es um konkrete Transformationsvorstellungen/-strategien geht) einiges auszusetzen, jedoch halte ich seine grundlegende transformationstheoretische Heuristik (s.o.) für überaus hilfreich zur wissenschaftlichen Evaluation und adäquaten Konzeptualisierung postkapitalistischer Konzepte.
@Stefan Meretz
Da ich finde, dass unser Austausch einen Beitrag zur Debatte leisten könnte bzw. es doch schade wäre, wenn er in einer Kommentarspalte ‚versinkt‘, wäre mein Vorschlag, diese Auseinandersetzung vielleicht in einem gesonderten Artikel auf der Seite zu publizieren. Ein solcher könnte dann ja Anlass für weitere Diskussionen in einem größeren Forum sein
@A.D.: Du kannst sehr gerne einen gesonderten Artikel schreiben, vgl. https://keimform.de/mitmachen/
Meine Antwort wird noch etwas dauern.
@A.D. Danke für deine langen Ausführungen, trotz aller Differenzen spannend zu lesen. Jetzt sind wir bei einer Marx-Exegese gelandet, und das ist in gewisserweise auch folgerichtig. Mir fällt immer wieder auf, dass viele Anhänger:innen von Utopien den Warenbegriff – unter selektiver Zuhilfenahme von Marxzitaten – bestreiten (müssen), weil sonst ihr utopischer Charakter verloren geht. Da ist die PE tatsächlich nur ein Beispiel unter vielen. Ich war kürzlich auf einer Konferenz zu „Demokratischer Planung“ in Montpellier (wo die PE übrigens nicht vertreten war), meine Eindrücke und Überlegungen habe ich kürzlich als Artikel gepostet. Dort kannst du nachlesen, warum ich denke, dass deine Marx-Interpretation den gleichen Fehler reproduziert: Marx hat seine Kategorien systemisch als Verhältnis von Momenten zur Totalität im Kapitalismus analysiert, wobei es nicht möglich ist, einzelne Kategorien durchzustreichen und zu meinen, damit wäre das Problem erledigt. Bei dir ist es die Aussage „Im Konzept von PE existiert schlicht und ergreifen kein Tausch!“ oder „kein Markt … kein Austausch“.
Tausch ist nicht nur das gekoppelte Geben und Nehmen über einen Markt, sondern ebenso, wenn die Tauschrelationen von einer Planinstitution bestimmt werden, sich also nicht mehr frei auspendeln, sondern rechnerisch ermittelt werden. Die Rechengrundlage ist der äquivalente Wert/Preis, operational die Opportunitätskosten. Schon da wird klar: Wo Wert und Kosten, da auch Waren. Engels griff schlicht zu kurz, wenn er annahm, dass mit „der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft … die Warenproduktion beseitigt“ sei. Das ist zwar eine notwendige Bedingung, aber keine hinreichende. Das wusste z.B. die DDR-Ökonomik, sie war da einfach klar und ehrlich. Sie bestritt nicht die Warenform, sondern irrte „nur“ darin zu glauben, dass mit der „Besitzergreifung“ schon die Bedingungen vorhanden seien, die „Ware-Geld-Beziehungen zu beherrschen“ (nicht abzuschaffen). Die PE deiner Leseart geht also noch hinter die DDR-Ökonomik zurück, wenn du behauptest, es gäbe einfach keine Waren. So kann man sich des Problems nicht entledigen. Und wenn ich recht lese, dann tun das Hahnel und Co nicht, denn sie sprechen von Waren, Geld, Lohn, Kapital und so weiter (Übersetzungsfehler? Immerhin wurde der Text von Anhänger:innen der PE lektoriert, das sollte ihnen doch aufgefallen sein), doch hoffen sie, durch ein kluges Räte- und Plansystem diesmal wirklich die Ware-Geld-Relationen zu beherrschen.
Ganz kurz gesagt, reichen Rätemacht plus Planung nicht aus, um den kategorialen Gehalt der kapitalistischen Grundformen zum Verschwinden zu bringen. Es ist nicht möglich, die kapitalistischen Kategorien einfach „anders anzuwenden“, weil jetzt „wir“ (wer auch immer das sei) die Macht haben. Sondern es geht gleichzeitig darum, die kapitalistischen Kategorien selbst aufzuheben. Das tut die PE nicht.
Zu (1): Du zitierst Marx, wonach Waren = „unmittelbar Produkte vereinzelter unabhängiger Privatarbeiten, die sich durch ihre Entäußerung im Prozeß des Privataustausches als allgemeine gesellschaftliche Arbeit bestätigen müssen“, beziehst dich dann aber nur auf den ersten Teil (Tausch). Ich verweise auf den zweiten Teil, nämlich der Bestätigung einer individuellen Handlung (Privattausch) als gesellschaftlich. Das geht nur, wenn wir es mit einem warenprodduzierenden System zu tun haben, in dem überhaupt nur Warentausche als gesellschaftlich bestätigt werden können. Das geht nur im Kapitalismus. Es mag Proto-Waren auch vor dem Kapitalismus gegeben haben, aber die zu sich gekommene Ware existiert nur in dem sie bestätigenden System (nochmal Verweis auf meinen Post zu Montpellier).
Insofern kann ich dir teilweise zustimmen, ja, in der PE mag es sich nicht um „vollentfaltete Waren“ handeln, weil die PE auch kein vollentfalteter Kapitalismus ist. Aber die PE ist soweit kapitalistisch, wie sie auf den prototypischen Grundkategorien fusst. Und meine Vermutung ist (belegt durch den Realsozialismus und allen immanenten Ausbruchsversuchen, die wir bisher beobachten konnten), dass die Kategorien, die durchweg widersprüchliche sind, ihre Widersprüche in Richtung einer vollen Entfaltung des Kapitalismus auflösen werden. Da hilft auch keine Partei- oder Rätemacht. In the long run würde eine umgesetzte PE wieder im Kapitalismus landen, weil der kapitalistische Virus in ihr steckt.
Zu (2): Deine Argumente bauen auf „kein Tausch – keine Waren und Co“ auf. Das habe ich nun meinerseits widerlegt, sowohl theoretisch wie praktisch mit Verweis auf den Realsozialismus. Damit gelten auch deine (in sich logischen und mir durchaus vertrauten) Folgeableitungen nicht.
Zu (3): Ich stimme dir zu, Lohnarbeit und Kapital sind zwei Momente des gleichen Prozesses (da stimmen wir beide mal mit der Wertkritik voll überein). Und beides existiert in der PE, in eingeschränkter unentfalteter Form. Das gilt auch für die Kapitalbegriff, der in der Kette der Kategorien auf den Grundkategorien aufbaut und von Hahnel und Co auch benutzt wird. Kapital ist kein bloßer „Produktionsfaktor“ (wie es die bürgerliche Ökonomik nennt), sondern ist fixes Kapital sofern du dich auf die geronnene Arbeit beziehst und variables Kapital sofern du dich auf die Arbeitenden beziehst. Auch das hängt nicht von der politischen Regulation ab. Doch auch hier stimme ich zu, dass die Funktionen eingepfercht wurden und insofern nur Protocharakter haben, also nicht voll entfaltet sind. Aber Lohnarbeit bleibt auch dann Lohnarbeit, wenn sie politisch bestimmt „ausbalanciert“ ist (an sich eine gute Idee).
Zu (4): Ich bringe den Realsozialismus (den ich ob der Klarheit lobe) deswegen so penetrant ein, weil er der PE so ähnlich ist. Minus Partei- statt Rätemacht und Zentralplanung, aber das ist geschenkt. Dass die PE Staat und Rechtsform impliziert, bestätigst du. Dass es sich bei der PE bloß um einen transformatorischen Ansatz handeln soll, ist mir neu. Das verändert einiges, denn es wirft die Frage auf, was dann das Zielmodell sein soll und wie man vom Trafomodell zum Zielmodell kommt. Dass Trafomodelle noch kapitalistische Elemente enthalten, liegt auf der Hand, und das finde ich auch nicht verwerflich, solange die Entwicklungslinie in Richtung eines libertären Kommunismus (you name it) geht. – Zur Warensubjektivität oder genereller zur Kritik der Handelns-, Denkens- und Fühlensweise im Kapitalismus gibt es viel Geschriebenes. Dazu schreibe ich jetzt nichts weiter. Dass gesellschaftliche und individuelle Transformation Hand in Hand gehen müssen, siehst du schon so?
Zu (5): Im Buchtext ist es idealistisch so verkehrt, das kommt nicht von mir.
Zu (6): Du nennst es den „stumme(n) Zwang zur Arbeit“, okay, ich nenne es Arbeitszwang, same-same.
Zu (7): Ausbildung ist bezahlte Arbeit, das war mir neu, danke für die Info. Damit ist das Gerechtigkeitsargument vom Tisch. Nur schert sich die Ökonomie nicht um Gerechtigkeit, denn die Ausbildungsunterstützung nehme ich gerne als Bonus mit, um danach auf Schattenmärkten erfolgreich meine Qualifikation in stofflichen Reichtum umzusetzen. Und ja, du hast recht, das geht mit nichtzirkulierenden Gutscheinen nicht (übrigens auch ähnlich zur DDR, wo das Geld zwar zirkulieren konnte, du dafür ja aber eh nicht das Erwünschte bekommen hast). Also wird auch eine Schattenwährung entstehen, egal, ob das Autoreifen oder Zigaretten sind. Widersprüche suchen sich ihre Auflösung.
Zu (8): Jede Ökonomie hat eine dezentrale Planung, ob Kapitalismus, Realsozialismus oder Commonismus. Die Herausforderung ist die gesellschaftliche Koordination. Da gibt es Märkte, Zentralen oder Polyzentralen. Allein dezentral ließe sich eine Ökonomie nur koordinieren, wenn jede Dezentrale über alle oder zumindest die in ihren Bereich relevanten Informationen verfügt (wobei eine Grenzziehung schwer wäre, weil manche Bereiche alle anderen Bereiche betrifft). Das würde zu einer kompletten Überforderung der Dezentralen führen. Also braucht es aggregierende „höhere“ Instanzen, die diese Koordinierungsarbeit erledigen. Das sollen in der PE die hierarchisch höheren Räteebenen sein. Die Produktionsräte sind jedoch sektoral (nach Branche) gegliedert. Sie koordinieren nur ihre Branche auf den jeweiligen Ebenen anhand der Preissignale vom IFB. Das IFB ermittelt Preise aus allen Angeboten und Nachfragen (=Marktsimulation unter idealen Bedingungen) über alle Branchen hinweg – gesamtgesellschaftlich, alles andere ergibt keinen Sinn. Sie hat damit objektiv die Rolle einer zentralen Koordinierungsinstanz, die sie über simulierte Märkte (=Preissignale) ausübt. Sie hat keine Kontroll- und Vollzuggewalt. Dennoch müssen die Räte die Preissignale umsetzen. Der Regulationsmechanismus läuft hier über die Co-Ratsmitglieder, die darauf pochen werden, dass der „stumme Zwang der Ökonomie“ via IFB-Preissignale umgesetzt wird. Positiv finde ich, dass in den Preissignalen die sonst im entfalteten Kapitalismus externalisierten Faktoren (Umwelt, usw.) enthalten sind.
Wenn du nun darauf bestehst, das IFB nicht „zentrale Planbehörde“ zu nennen, dann ist das für mich nur eine sprachliche Frage. Objektiv hat sie diese Funktion. Eine Alternative wäre ein branchenübergreifender Gesamtrat, der alles koordiniert, aber den gibt es nicht, so weit ich weiß. Selbst dann müsste das IFB die passenden Preissignale liefern, die die gesellschaftliche Kohärenz herstellen können – und der Gesamtrat müsste sie annehmen und umsetzen.
Eine offene Frage ist für mich, wie die horizontale Konfliktlösung funktioniert, die du genannt hast. Nur weil etwas ineffzient wäre, hieße das doch nicht, dass der effizientere Betrieb den Zuschlag bekommt. Das wäre ja wie im Kapitalismus. Sondern hinter „Ineffizienz“ könnten sich doch gute Gründe verbergen, warum der Betrieb zwar ineffizient, aber sozial verantwortlich handelt. Bisher hast du nur für den stummen Zwang der Ökonomie argumentiert („bis die Bilanz passt“) – wo bleibt das humane Moment der PE? Und wie passt Care da noch rein, wo Care doch überhaupt nicht nach Effizienzlogik funktioniert?
Zu (10): Die Räte sind sektorbezogen und können crosssektorale Produktionsketten gar nicht planen. Es bräuchte Planungsräte, die sich entlang der Ketten bilden. Da es die nicht gibt, muss das IFB diese Aufgabe übernehmen – wer sonst?
@Stefan Meretz Vielen Dank für deine Nachricht.
Zunächst erstmal eine Klarstellung zu den von mir angeführten Quellenangaben und damit generell zum wissenschaftlichen Arbeiten: Der Beleg von Annahmen unterscheidet wissenschaftliches (oder zumindest mal wissenschafts-nahes) Arbeiten von ‚einmal-so-aus-dem-Bauch-heraus‘ respektive intransparent getroffenen Behauptungen und ist damit zwingend erforderlich, um sachlich nachvollziehbar, substanziell und fundiert über eine Thematik zu diskutieren. Die von mir verwendeten Zitate sind durchaus nicht selektiv gewählt, sondern an diesen Stellen, die wiederum in eine Gesamtargumentation eingebettet sind, konzentriert sich der marx’sche Argumentationsgang möglichst anschaulich, dort kulminiert die marx’sche Analyse auf ihrer jeweiligen Ebene, wenn man so will. Wenn du mir also begreifbar machen möchtest, dass diese Auswahl nur selektiv gewählt und unzutreffend sei, dann würde ich mir wünschen, dass du deine Argumentation stärker auf die Textgrundlage stützt und nicht darauf, was in der DDR angeblich einige Ökonom_innen (laut dir: „die DDR-Ökonomik“) gemeint zu haben scheinen (ohnehin überaus fraglich, ob das den Heiligen Gral der Marx-Exegese darstellt) oder was du in Marx – für mich nicht transparent kenntlich und ohne unmittelbare Bezugnahme – hineininterpretierst. Das würde letzterer sicherlich goutieren, zumal er einer der ersten Ökonomen war, der seine Behauptungen mit zahlreichen (‚selektiven‘) Belegen zu untermauern suchte und nicht einfach so kolportierte.
(1) Jetzt zur Sache – du schreibst: „Tausch ist nicht nur das gekoppelte Geben und Nehmen über einen Markt, sondern ebenso, wenn die Tauschrelationen von einer Planinstitution bestimmt werden, sich also nicht mehr frei auspendeln, sondern rechnerisch ermittelt werden. Die Rechengrundlage ist der äquivalente Wert/Preis, operational die Opportunitätskosten. Schon da wird klar: Wo Wert und Kosten, da auch Waren.“
An dieser Stelle verdrehst und überdehnst du den Begriff des Tausches, auf dem der Warenbegriff basiert, wenn du meinst, dass jede Form von Äquivalenz-Reduktion (hier: umfassende sozio-ökologische Kostenermittlung) sofort einen Tauschprozess impliziert bzw. auf einen solchen zurückzuführen ist oder zuläuft. Kurioser Weise steht dem gerade das von mir angeführte Zitat entgegen, auf das du dich auch noch ausgerechnet in seinem zentralen zweiten Teil zu stützen versuchst. Hier das Zitat nochmal:
„Die Waren sind unmittelbar Produkte vereinzelter unabhängiger Privatarbeiten, die sich durch ihre Entäußerung im Prozeß des Privataustausches als allgemeine gesellschaftliche Arbeit bestätigen müssen, oder die Arbeit auf Grundlage der Warenproduktion wird erst gesellschaftliche Arbeit durch die allseitige Entäußerung der individuellen Arbeiten.“ (MEW 13, S. 67)
Marx spricht hier explizit von „Privattausch“ welcher zweifellos genau das ‚gekoppelte Geben und Nehmen‘ zweier formell gleicher und freier Privatagenten als Warenbesitzer darstellt, das du als alleinig korrekte Definition von ‚Tausch‘ irrtümlicher Weise negierst, wenn du dies (wie oben) gleichermaßen auf das Agieren von kostenermittelnden Planinstitutionen übertragen möchtest. Die Zirkulationssphäre einer warenproduzierenden Wirtschaftsweise ist der Markt (vgl. MEW 23, S. 181). Tausch und Markt lassen sich – auf verallgemeinerter Grundlage – nicht trennen, oder um es mit Fülberth zu sagen: „Güter, die von Menschen in Anspruch genommen und die durch Arbeit hergestellt werden, sind dann keine Waren, wenn sie nicht auf einem Markt getauscht werden.“ (Fülberth, ‚Das Kapital‘ kompakt, S. 14) Oder auch Heinrich: „Nur in Gesellschaften, wo Dinge getauscht werden, besitzen sie Tauschwert, nur da sind sie Ware.“ (Heinrich, Kritik der politischen Ökonomie, S. 38) Wenn die Produktionsmittel und Produkte unmittelbar vergesellschaftet sind (wie es bei Planwirtschaften der Fall ist), wenn also die Vermittlung über einen gesellschaftlichen Plan ex ante erfolgt, dann kann nicht mehr von Warenproduktion/-tausch die Rede sein.
Hier nochmal an anderer Stelle:
„Die Waren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den Warenbesitzern. […] Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen.“ (MEW 23, S. 99)
„Die Form, worin sich diese proportionelle Verteilung der Arbeit durchsetzt in einem Gesellschaftszustand, worin der Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit sich als Privataustausch der individuellen Arbeitsprodukte geltend macht, ist eben der Tauschwert dieser Produkte.“ (MEW 32, S. 553)
„Nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber.“ (MEW 23, S. 57) Damit ist die atomisierte Privatproduktion konstitutive Bedingung von Warenproduktion (was im übrigen für den kollektivistischen marktsozialistischen Kapitalismus ebenso zutrifft, da hier ein Kollektiv als Privateigentümer im marktbasierten Konkurrenzkampf auftritt).
„Innerhalb der genossenschaftlichen [Anmerkung: er meint hier augenscheinlich nicht ‚Genossenschaften‘ im heutigen Sinne, A.D.], auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus“ (MEW 19, S. 19)
Zur Präzisierung und Bezugnahme auf das Thema Planwirtschaft (und vor allem PE), siehe nochmal Marx mit einigen zentralen Anmerkungen meinerseits:
„Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind [Anmerkung: Das sind sie in PE offensichtlich nicht, weil sie durch das Planungsverfahren schon vor der Produktion und Distribution sowie auch währenddessen in einem gesellschaftlich koordinierten/planmäßigen Allokations-Zusammenhang stehen, A.D.]. Der Komplex dieser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesamtarbeit. Da die Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte [auch das findet im Gegensatz zu Marktwirtschaften in Planwirtschaften kategorisch nicht statt, A.D.], erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches [was sie im Rahmen demokratischer Planung und Ressourcenallokation mittels präemptiver Kostenermittlung sowie der selbstverwalteten und zugleich unmittelbar vergesellschafteten Arbeit in PE schon zuvor tun, A.D.]. Oder die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst [wie es dementgegen in demokratischen (libertären) Planwirtschaften wie PE der Fall ist, wo nicht für ‚den Markt‘, sondern vollkommen transparent unmittelbar durch und für die Gesellschaft produziert wird, A.D.], sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen.“ (MEW 23, S. 87)
Und hier Marx’ Kontrastierung der warenproduzierenden Gesellschaft mit dem ‚Verein freier Menschen‘ – welcher mit am konkretesten Züge seiner postkapitalistischen Utopie einer befreiten Gesellschaft durchscheinen lässt und bei dem der Sachverhalt nochmal deutlich hervortritt (und der im übrigen auch dein Argument widerlegt, dass rationierten Konsumrechten automatisch etwas ‚kapitalistisches‘ anhaftet):
„Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinsons Arbeit wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell. Alle Produkte Robinsons waren sein ausschließlich persönliches Produkt und daher unmittelbar Gebrauchsgegenstände für ihn. Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muß daher unter sie verteilt werden. Die Art dieser Verteilung wird wechseln mit der besondren Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten. Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts [Anmerkung: hier redet Marx explizit einer Recheneinheit das Wort (Arbeitszeitrechnung) und stellt dies (trotz ersichtlicher ‚Parallelität‘ → etwas grundlegend anderes als ‚Überschneidung‘/‘Deckungsgleichheit’) dennoch klar Warenproduktion/Kapitalismus distinktiv gegenüber bzw. grenzt dies hiervon ab, A.D.]. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution.“ (MEW 23, S. 92f.) → Hierbei handelt es sich zwar noch nicht um das Ideal eines ‚voll entfalteten‘ Kommunismus/Anarchie, aber mit Gewissheit schon um eine postkapitalistisch-sozialistische Form. Bis auf den Aspekt mit der Arbeitszeitrechung und dem Konsumrecht anhand Arbeitszeit – anstatt, wie in PE, volle Soziale Kosten und Kompensation durch Arbeitsaufwand/Entbehrungen – lässt sich diese knappe Skizze eines ‚Vereins freier Menschen‘ durch Marx grundlegend auch genauso auf PE übertragen.
Das widerlegt eklatant dein Argument, dass jede Kostenermittlung und Bepreisung (und sei es durch eine Planungsinstanz) automatisch auf Tausch(-prozesse)/-‘relationen’ und Warenförmigkeit begründet sein muss: Relationale Quantifizierung / Kostenermittlung geht eben nicht nur, ‚wenn wir es mit einem warenprodduzierenden System zu tun haben‘, wie du meinst, sondern außerhalb von Marktprozessen auch durch eine Form gesamtgesellschaftlicher Planung und damit außerhalb eines warenproduzierenden Systems. Während nämlich letzteres zur konstitutiven Grundlage das Vorhandenseins von Waren hat – dass Produkte für den Tausch und nicht für den Gebrauch produziert werden –, wird in ‚reinen‘/marktfreien Planwirtschaften gerade für den Gebrauch und nicht für den Tausch produziert, diese bleiben direkt vergesellschaftet, womit folglich keine Waren/Tauschwerte existieren). Kurz: Engels lag diesbezüglich sehr wohl richtig.
Im Lichte dessen erscheinen mir auch nebulöse Formulierungen wie „die zu sich gekommene Ware“ oder „vollentfaltete Ware“ mehr als Wortgeklingel denn marxistisch fundiert. Marx hat aus guten Gründen nicht mit solchen diffusen Begrifflichkeiten hantiert, sondern sein Begriffsrepertoire – vor allem in der späteren Schaffensphase – recht präzise gewählt und verwendet (weshalb m.E. eine adäquate Marx-Rezeption seinem Beispiel in dieser Hinsicht folgen und nicht beliebig weglassen und hinzudichten sollte).
Hier noch eine jüngere Publikation zum Thema, die das nochmal untermauert: Vgl. Bruschi, Valeria et al., Arbeitsteilung – Kooperation – Rationalität. Wie viel Planung steckt in Marx?, in: Timo Daum u. Sabine Nuss (Hg.), Die unsichtbare Hand des Plans. Koordination und Kalkül im digitalen Kapitalismus, 2. Aufl., Berlin 2021, S. 35-37.
Nochmal zusammengefasst: Der Begriff des ‚Tausches‘ bei Marx ist wörtlich zu verstehen als äquivalenten Austausch von privat produzierten Waren durch Privateigentümer_innen, was – auf verallgemeinerter Grundlage – notwendig einen Markt konstituiert. Erst auf dem Markt wird dort der gesellschaftliche Zusammenhang hergestellt. Gesellschaftliche Planung verhindert im Gegensatz dazu nun gerade, dass die Produzenten „erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte“ (MEW 23, S. 87). Die Arbeiten werden nicht mehr privat verrichtet, sondern sind direkt vergesellschaftet, weil sie durch das Planungsverfahren unmittelbar (heißt ohne Markt als Zwischeninstanz) in einen Bezug zueinander gesetzt werden. Daran ändert auch das Vorhandensein von Preisen – als Ausdruck der Sozialen Kosten (im Fall von PE eben nicht nur Opportunitätskosten!) – und Konsumanteilen nichts. Die Formulierung, dass es in einer Partizipatorische Ökonomie darum gehen würde, die ‚Ware-Geld-Beziehung beherrschen‘ zu wollen, stellt sich vor diesem m.E. als substanzlos dar.
Zeigt sich: Meines Erachtens können die von dir geäußerten Annahmen daher nicht Marx als legitimatorische Autorität bemühen.
Und ja, wie oben vielfach dargelegt irrst du, wenn du meinst, Hahnel et al. sprechen in Bezug auf PE von Waren (commoditys), Geld (money), Lohn (wages): Diese Terminologie verwenden sie in keiner der umfassenden englischen Originalschriften hinsichtlich PE, sondern nur pejorativ bezüglich Marktwirtschaften (vgl. ‚The Political Economy of Participatory Economics‘ (1991), vgl. ‚Parecon. Life after Capitalism‘ (2004), vgl. ‚Democratic Economic Planning‘ (2021), vgl. ‚No Bosses’ (2021), vgl. ‚A Participatory Economy‘ (2022)). Von daher ist die Evidenz, dass es sich hier, in dem – von dir bisher alleinig angeführten – Buch ‚Anarchistische Gesellschaftsentwürfe‘ tatsächlich um gravierende Übersetzungsfehler handelt, schon erdrückend. Und selbst wenn sie diese Begriffe intentional nutzen würden, wie du es unterstellst (was sie nicht tun), wäre das aus marxistischer Perspektive trotzdem unzutreffend (s.o.). Und noch ein allerletztes Mal: ‚Capital goods‘ wird in der Terminologie der Mainstream-Ökonomie durchaus von PE-Vertreter_innen verwendet, bezeichnet dabei im ökonomischen Mainstreamjargon aber alleinig einen ‚Produktionsfaktor‘ (Produktionsmittel wie Maschinen, Gebäude etc.), was sich grundlegend von der marxistischen Verwendung (‚Kapital als Prozess‘) unterscheidet. Das wird aus dem Kontext überdeutlich (vgl. Hahnel, A Participatory Economy, S. 75f., S. 119, S. 123, S. 127f., S. 136). ‚Capital goods‘, wie beispielsweise Hahnel den Begriff verwendet, gilt in diesem Kontext augenscheinlich eben doch alleinig als „bloßer ‚Produktionsfaktor‘ (wie es die bürgerliche Ökonomik nennt)“ und nicht als ‚fixes Kapital‘ und ‚variables Kapital‘ nach Marx als sich selbst verwertender Wert. Dabei kann man diese Wortwahl als solche gerne kritisieren, weil dies – augenscheinlich – zu Verwirrungen führt und potenzielle theoretische Transferhürden mit sich bringt. Aber es ist etwas grundlegend anderes, dem Begriff eine exklusive/singuläre (marxistische) Semantik beizumessen und davon ausgehend falsche Schlüsse zu ziehen. Von daher möchte ich im Gegenzug dazu animieren, nicht selektiv einige Begriffe herauszupicken, sondern diese im Kontext und das heißt; materialistisch aus den konkreten Formen heraus mit Bedeutung zu belegen.
(2) Dir unterläuft m.E. ein Fehler, wenn du meinst, meine restliche Argumentation basiere alleinig und essenziell auf der vorhergehenden Dekonstruktion/Prämisse – dass es keinen ‚Tausch‘ und ‚Waren(-produktion)‘/Markt in einer PE gebe – und sei damit hinfällig bzw. bedürfe keiner weiteren Auseinandersetzung. Umgekehrt erscheint es mir vielmehr so, dass deinerseits von der angeblichen (tatsächlich nicht vorhandenen) Existenz von Waren und Tausch umgehend auf das Kapital(-verhältnis) geschlossen wird – anstatt die konkreten Formen zu eruieren – und damit der Kern der Marxschen Analyse übergangen wird (schließlich heißt sein zentrales Werk nicht umsonst ‚Das Kapital‘ und nicht ‚Der Wert‘, ‚Der Tausch‘ oder ‚Die Ware‘). Von daher ist die an dieser Stelle ausgebreitete Argumentation – explizit zum Kapital – durchaus von eigenständiger und besonderer Bedeutung, manifestiert sich hier doch besonders augenscheinlich die Annahme, bei PE handle es sich nicht um eine postkapitalistisches Konzept, sondern um einen ‚Partizipatorischen Wertekapitalismus‘ – ‚voll entfaltet‘ oder ‚nicht‘) als durchweg haltlos. Entsprechend hier noch mal die zentralen Stellen aus dem letzten Kommentar (leicht überarbeitet) in drei Absätzen:
Am wichtigsten finde ich jedoch, dass deine Kritik an PE, die – wie ich oben wiederholt dargelegt habe auf sachlich und theoretisch falschen Annahmen beruht – nicht ein einziges Mal den Vorwurf, tatsächlich kapitalistisch zu sein, substanziell untermauert. Marx hat in seiner Kritik der politischen Ökonomie und des Kapitalismus nicht einzelne Dinge wie den Tausch und den Wert kritisiert, er hat das Kapital(-verhältnis) kritisiert (und die Unfähigkeit der bürgerlichen Ökonomie dies zu ergründen). Wenn du also PE vorwirfst, Kapitalismus zu sein, dann müsstest du, ganz materialistisch und nicht durch unsachgemäße Ableitung, begründen, wo und wie es denn tatsächlich Kapital in einer PE geben soll, denn: Kein Kapital → kein Kapitalismus (sine qua non). ‚Kapital‘ ist nicht ‚Wert‘, sondern der Prozess eines sich selbst verwertenden Werts, kurz: G-W-G’.
Hierzu Michael Heinrich: „Eine Wertsumme, die diese Bewegung vollzieht, ist Kapital. Eine bloße Wertsumme für sich genommen, sei es nun in Gestalt von Geld oder in Gestalt von Waren, ist noch nicht Kapital. Auch ein einzelner Austauschprozess macht aus einer Wertsumme noch nicht Kapital. Erst die Verkettung von Austauschprozessen mit dem Zweck, die ursprüngliche Wertsumme zu vermehren, liefert uns die typische Kapitalbewegung: Kapital ist nicht einfach Wert sondern sich verwertender Wert, d.h. eine Wertsumme, die die Bewegung G-W-G’ vollzieht. […] Im Unterschied zur einfachen Warenzirkulation W-G-W, die auf einen außerhalb der Zirkulation liegenden Zweck zielt (Aneignung von Gebrauchswerten zur Bedürfnisbefriedigung) und die ihr Maß am Bedürfnis und ihr Ende an der Befriedigung findet, ist die Kapitalbewegung ein Selbstzweck, sie ist maßlos und endlos.“ (Heinrich, Kritik der politischen Ökonomie, S. 83f.)
**Kapitalakkumulation, und damit die Existenz von Kapital und Kapitalismus, basiert darauf, dass es eine entwickelte/verallgemeinerte Marktwirtschaft gibt, auf deren Grundlage die vereinzelten Privatproduzenten in Konkurrenz miteinander stehen und sich zwecks Kapitalakkumulation den durch die Arbeitskräfte geschaffenen Mehrwert aneignen und (re-)investieren (können und müssen).
In einer Partizipatorischen Ökonomie ist dies kategorisch ausgeschlossen: Es kann in einer PE kein Kapital geben, weil die selbstverwalteten Betriebe über keinerlei Eigentum an Produktionsmitteln verfügen und sich auch keinen Mehrwert aneignen können (weil diese Betriebe weder tauschen, noch über zum Tausch benötigtes Geld verfügen), den sie dann wieder in neues konstantes/variables Kapital investieren könnten. Die Betriebe erhalten von der Gesellschaft Ressourcen ausgeliehen und versprechen im Gegenzug dafür, Güter zu produzieren, die sich dann wiederum unmittelbar in gesellschaftlichem Gemeinbesitz befinden. Also: Kein Tausch → kein Markt UND Kein Kapital → kein Kapitalismus.**
Solange du also nicht konkret glaubhaft machen kannst, dass es in einer PE ‚Kapital‘ gibt – faktisch ausgeschlossen – ist damit auch der Kapitalismusvorwurf obsolet und materialistisch widerlegt.
Hahnel hat sich in seiner Antwort an euch im übrigen auch überaus verwundert/irritiert über eure eigenwillige Vorstellung von ‚Kapitalismus‘ gezeigt und nicht umsonst auf den bedenkenswerten Umstand hingewiesen, dass es in über 40 Jahren – bei aller gerechtfertigten und ungerechtfertigten Kritik – bisher sonst noch niemand zustande gebracht hat, PE als ‚kapitalistisch‘ zu desavouieren (Vgl. Hahnel, Antwort auf Sutterlütti und den ‚Commonismus‘, in: Anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 230f.).
(5) Dem möchte ich vehement widersprechen – oben steht alles, was dazu gesagt werden muss. Hahnel auch nochmal im Gespräch mit Jan Groos dar, dass es ihm nicht darum geht, das Verhalten von Individuen zu prophezeien bzw. zu modellieren, sondern die Handlungslogik von Strukturen zu evaluieren. (Vgl. https://www.futurehistories.today/episoden-blog/tag/robin-hahnel/ min. 1:48:02)
(7) Zum Problem von Schattenmärkten mal einige Einlassungen von Albert: „Well, it is correct that in a parecon this is technically possible, but it is also important to realize that it is very hard in practice. For one thing, you cannot transfer income—actual money—because (a) there is no cash money to transfer and (b) even if there were, the black marketeer could not enter the planning process to consume with it without revealing, by its magnitude, that he/she was cheating the system. So the black marketeer has to be paid in goods just as if he traded his sweater for his neighbor’s shoes, but in this case he or she would be trading a service, like tennis lessons. It is very clumsy, to say the least, and this puts a lid on the problem even without taking into account the social onus. But if, in fact, the black marketeer manages to get people to pay for lessons, how does she explain her resulting abundance? The social ostracism that would accompany any ostentatious consumption that revealed cheating (and what other source could their be for wildly excessive consumption?) would be a very high price to pay for income above and beyond the already quite comfortable and socially rich existence parecon typically provides. And there is not only a social and moral loss to be incurred by this type behavior in a parecon since much consumption is collective, and that would be lost as well. So even without legal penalties, on the one side there is great difficulty in carrying off black market behavior and in accruing much by way of it, and on the other side, there is considerable loss in being identified as a social ingrate (which is almost impossible to avoid if you are benefiting significantly).“ (Albert, Parecon. Life after Capitalism, E-Book)
Zu deiner Äußerung: „Es ist nicht möglich, die kapitalistischen Kategorien einfach „anders anzuwenden“, weil jetzt „wir“ (wer auch immer das sei) die Macht haben.“ – Das habe weder ich, noch ein/e der mir bekannten Vertreter_innen von PE jemals behauptet (die Anführungszeichen wirken daher irreführend), sondern entstammt deiner Fehlannahme, diese Kategorien (Tausch/Ware, Kapital) würden mit PE nicht aufgehoben, sondern in einer diffusen Variante fortgeführt. Mein Eindruck ist daher, dass es sich hierbei um eine Strohmann-Argumentation handelt.
Ebenso erweist sich in Anbetracht des oben Dargelegten (PE: kein Tausch UND keine Waren(-produktion)/keine Märkte UND kein Kapital → kein Kapitalismus) auch deine Kritik, in meiner vorherigen Analyse sei es darum gegangen „einzelne Kategorien durchzustreichen und zu meinen, damit wäre das Problem erledigt“, als haltlos. Vielmehr möchte ich umgekehrt die Kritik formulieren, dass du auf Basis falscher Grundannahmen hinsichtlich PE (es gebe Tausch, Waren…) reduktionistisch auf das Vorhandensein kapitalistischer Strukturen (und seien sie „nicht voll ausgebildet“/ oder in „Protocharakter“ vorhanden) schließt. Marx hat dementgegen seine Kategorien dialektisch entwickelt – das systemische, interdependente Zusammenwirken der Formen entschlüsselt (woran ich mich mit meinen Ausführungen ebenfalls zu orientieren versucht habe) – und nicht verkürzt aus dem (angeblichen) Vorliegen eines Elements das nächste abgeleitet oder rückwirkend auf logisch vorgelagertes geschlossen. Beispielhaft ist damit dein Fehlschluss (Kosten/Preis → Waren) nicht nur einseitig, er geht analytisch gerade in die entgegengesetzte Richtung wie Marx, der nicht ohne Grund seine Wertformanalyse (und das Kapital insgesamt) mit der Bestimmung der Ware begonnen hat und davon ausgehend die weiteren Formen entfaltet – und nicht umgekehrt. Folglich lauten auch die ersten beiden Sätze des Kapital: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘ , die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.“ (MEW 23, S. 49)
(8/10) Planungsverfahren / Produktionsketten / Räte-Ebenen:
Du schreibst: „Die Produktionsräte sind jedoch sektoral (nach Branche) gegliedert“, womit sie dann nicht fähig seien, übergreifende Koordinationsaufgaben wahrzunehmen. Und: „Die Räte sind sektorbezogen und können crosssektorale Produktionsketten gar nicht planen. Es bräuchte Planungsräte, die sich entlang der Ketten bilden. Da es die nicht gibt, muss das IFB diese Aufgabe übernehmen – wer sonst?“
Das ist falsch. Die Produktionsräte sind bereits auf den unteren Ebenen SEKTORAL UND GEOGRAPHISCH (vgl. Sandström, Anarchist Acconting, S. 28, S. 64, S. 79) gegliedert, auf den höheren Ebenen sind sie notwendigerweise immer verschränkt (transsektoral), was am augenscheinlichsten die höchste (‚bundesweite‘) Arbeiter_innen-Föderation zum Ausdruck bringt. (‚Geographisch‘ meint dabei, dass alle Arbeiter_innen-Räte in einem bestimmten Gebiet, auch über Sektoren hinweg – also ‚transsektoral‘ –, miteinander verbunden sind.) Damit sind deine Folgeannahmen nichtig – dass das IFB da doch irgendwo exekutiv mitspielen müsse oder das Modell ansonsten nicht funktionieren könne. Dazu Sandström nochmal in aller Klarheit: „Every worker council in a participatory economy belongs to one federation based on what it produces and one federation based on geography“ (Sandström, Anarchist Accounting, S. 78).
Deine Aussage „Das IFB ermittelt Preise aus allen Angeboten und Nachfragen (=Marktsimulation unter idealen Bedingungen) über alle Branchen hinweg – gesamtgesellschaftlich, alles andere ergibt keinen Sinn. Sie hat damit objektiv die Rolle einer zentralen Koordinierungsinstanz“ ist – vorausgesetzt unter ‚zentral‘ wird hier ‚hierarchisch‘ und nicht einfach ‚wichtig‘ verstanden – falsch, weil es die ‚objektiven‘ Aufgaben/Kompetenzen einer tatsächlich ‚zentralen Koordinierungsinstanz‘/Planungsbüro verkennt, die neben der Datenerhebung und Plankalkulation darin bestehen, den unteren Produktionseinheiten Planaufgaben zuzuweisen und die Durchsetzung dessen zu gewährleisten. So war es im ‚realexistierenden Sozialismus‘ und so ist es bei heutigen Zentralplanungsvorschlägen auch. In einer PE ist dies kategorisch nicht der Fall: Es gibt keine Zentrale, die die Daten erhebt und dann Produktionsziele festlegt und durchsetzt, sondern die Daten werden aus dem dezentralen Planungsverfahren generiert, an dem alle Haushalte, Konsumräte und Produktionsstätten teilnehmen. Das IFB aggregiert nur deren Wünsche (Nachfrage) und setzt sie mit den vorhandenen Produktionskapazitäten (Angebot) ins Verhältnis – dieser bloße Akt stellt also nur einen Beitrag zur Koordinierung, keine Koordinierung als solche dar, welche eben aus dem gesamten Verfahren resultiert. Die Durchsetzung/Kontrolle von selbstgesteckten Zielen (Eigentätigkeitsvorschläge) wird ferner nicht von einer übergeordneten Instanz geleistet (wie es für Zentralplanung zutrifft), sondern horizontal im Peer-Verfahren auf der jeweils gleichen Räte-Ebene. Es kann diesbezüglich also nicht von ‚Zentralplanung‘ oder ‚zentraler Koordinierungsinstanz‘ (im o.g. Sinne) gesprochen werden. Das hat nichts von Sophistik, sondern resultiert aus dem dringenden Erfordernis nach analytisch scharfer Begriffsverwendung. Daher sei nochmal auf meine vorherige Skizze des Planungsprozesses verwiesen, durch welche das eigentlich klar werde sollte. Ansonsten sei bei Bedarf nach näheren Ausführungen nochmal auf die weiterführenden Publikationen verwiesen (vgl. Democratic Economic Planning, S. 93-97, S. 130-172 sowie A Participatory Economy, S. 123-151)
Zu deiner Verwendung des Begriffs der „Marktsimulation“: Weiter oben habe ich schon dargelegt, was Märkte sind und was sie nicht sind. Außerdem habe ich im Zuge dessen deine Argument, ‚Preissignale‘ würden nur in Märkten existieren, bereits widerlegt. Mit dem Begriff ‚simulierte Märkte‘ überstrapazierst du daher m.E. den Bedeutungsgehalt des Begriffes genauso wie auch im Fall von ‚Tausch‘, möglicherweise um den abwegigen Kapitalismusvorwurf noch aufrechterhalten zu können, obwohl dieser schon durch den oben erfolgten Nachweis des Nicht-Vorhandenseins von ‚Kapital‘ hinreichend ausgeräumt wäre. Ja, Marktmechanismen weisen dahingehend eine Parallele zur Planung in PE auf, dass die Allokation (im Gegensatz zur Zentralplanung) dezentral erfolgt, Angebot und Nachfrage ins Verhältnis gesetzt und mittels komplexitätsreduzierendem Indikator (Preise) kommuniziert werden – obwohl Preise nicht gleich Preise sind –, das war es dann aber auch schon. Für Märkte (und sei es nur deren ‚Simulation‘ ) ist der Tausch (s.o.) sowie die atomisierte Privatproduktion konstitutiv und daher ist die Rede von ‚Märkten‘/‚Marktsimulationen’ etc. im Kontext von PE inkorrekt und irreführend. Dazu nochmal ausführlicher Hahnel:
„Finally, is the adjustment process really just a market after all, as Erik Olin Wright suggested when he asked: ‚Aren’t mid-year adjustments really Just forms of market behavior?‘ Clearly, approved consumption plans are not treated as binding contracts since individuals are free to change their minds as the year proceeds. One possible option for making adjustments would allow indicative prices to rise when excess demand for something appears during the year, and indicative prices to fall in the case of excess supply. In which case, if it looks like a market, and smells like a market, doesn’t that mean it is a market? The answer is an emphatic ‚no!‘ for three reasons: (1) In market economies there is no plan that has been agreed to at the beginning of the year. There is no plan where people had an opportunity to affect production and consumption decisions at least roughly in proportion to the degree they are affected. There is no plan that incorporates effects on ‚external parties‘ that are ignored by buyers and sellers who make the decisions in market economies. There is no plan that would be efficient, fair, and environmentally sustainable if carried out. Instead, in a market economy all decisions about how to organize a division of labor and distribute the benefits from having done so are settled by agreements between buyer-seller pairs – which predictably leads to outcomes that are inequitable, inefficient, and environmentally unsustainable as argued in Chapter 2. (2) Even when adjustments are made during the year in a participatory economy, individual buyers and sellers do not negotiate adjustments between themselves however they see fit, including any adjustment in prices. Instead, adjustments are negotiated socially. Industry and consumer federations negotiate adjustments in production. And whether or not to adjust indicative prices is also a social decision, so that fairness as well as efficiency can be taken into account. (3) Markets are the aggregate sum of haggling between many self-selected pairs of buyer-sellers. Neither participatory planning nor the adjustment procedures I have discussed above permit self-selected buyer-seller pairs to make whatever deals they want because the consequences of allowing this are unacceptable.“ (Hahnel, Democratic Economic Planning, S. 170f.)
Zu deinen restriktiven SB/SC[SozialeNutzen/SozialeKosten]-Disziplinierungsannahmen: Du schreibst: „Dennoch müssen die Räte die Preissignale umsetzen.“ – Das ist falsch. Die Preissignale sollen lediglich Transparenz darüber schaffen, ob ein Vorschlag sozial verantwortlich ist oder nicht (im Sinne von effizienter Ressourcennutzung). Soll heißen: Wenn ein Arbeiter_innenrat eine negative (< 1) SozialeNutzen/SozialeKosten-Bilanz aufweist, heißt dies schlicht, dass es andere Arbeiter_innenräte gibt, die die Produktionsmittel effektiver nutzen könnten als dieser. Wie die anderen Peer-Räte dann entscheiden, ist aber nicht ausgemacht. Es gibt keine Verpflichtung/Automatismus, einen ineffizienten Vorschlag, also einen der objektiv Ressourcen verschwendet, abzulehnen. Auch wenn es insgesamt – auf die gesamte Wirtschaft bezogen – einen rationalen Anreiz gibt, verantwortliche/effiziente Vorschläge zu präferieren und unverantwortliche/ineffiziente abzulehnen, ist es nicht in jedem Einzelfall notwendig oder gar angemessen, dass „die Co-Ratsmitglieder, […] darauf pochen werden, dass der ‚stumme Zwang der Ökonomie‘ via IFB-Preissignale umgesetzt wird.“ Direkt daran anschließend zu deiner Frage:
„Eine offene Frage ist für mich, wie die horizontale Konfliktlösung funktioniert, die du genannt hast. Nur weil etwas ineffzient wäre, hieße das doch nicht, dass der effizientere Betrieb den Zuschlag bekommt. Das wäre ja wie im Kapitalismus. Sondern hinter ‚Ineffizienz‘ könnten sich doch gute Gründe verbergen, warum der Betrieb zwar ineffizient, aber sozial verantwortlich handelt. Bisher hast du nur für den stummen Zwang der Ökonomie argumentiert (‚bis die Bilanz passt‘) – wo bleibt das humane Moment der PE?“
Wenn ein Vorschlag nicht passt, dann wäre es an den horizontalen Peer-Räten, fallspezifisch zu analysieren, weshalb dies so ist und ob gute Gründe dafür sprechen, einen scheinbar sozial unverantwortlichen, ineffizienten Vorschlag dennoch anzunehmen. Das ist auf jeden Fall denkbar. Falls der Vorschlag aber abgelehnt würde, könnte sich der betreffende Arbeiter_innenrat an die anderen horizontalen Rätemitglieder oder an die übergeordnete Arbeiter_innenföderation zwecks optimierender Unterstützung wenden, um künftig sozial verantwortliche Vorschläge zu formulieren. Es ist im Übrigen auch nicht notwendigerweise so, dass immer der numerisch effizienter erscheinende Vorschlag den Vorrang bekommt. Hypothetisches Beispiel: Drei Arbeiter_innenräte bewerben sich auf die Nutzung einer produktiven Ressource/Produktionsmittel. Der erste hat einen Tätigkeitsvorschlag mit einer SB/SC-Bilanz von 0.9, der zweite von 1.1 und der dritte von 1.2. Der erste wird abgelehnt, weil er den anderen Räten nicht schlüssig nachvollziehbar machen kann, weshalb seine negative SozialerNutzen/SozialeKosten-Bilanz (< 1) dennoch sozial verantwortlich sein soll und damit anzunehmen wäre. Nun können die anderen beiden Vorschläge jedoch beide eine positive SozialerNutzen/SozialeKosten-Bilanz (≥ 1) vorweisen und die Gesellschaft würde von der Annahme beider profitieren. Wer bekommt nun die Produktionsmittel ausgeliehen? Es gibt sicherlich Szenarien, wo die reinen Zahlen zwar erst einmal objektiv dafür sprechen würden, dass der dritte Rat den Zuschlag bekommt – weil seine SB/SC-Bilanz nun mal höher ist –, dies jedoch bei näherem Hinsehen sozial weniger verantwortlich bzw. ineffizienter wäre, weil der zweite Rat bspw. über deutlich kürzere Lieferketten oder überbewertete Produktionsmittel verfügt, was die bloßen Zahlen nicht widerspiegeln. Auch dies würde dann der horizontalen Deliberation in der jeweiligen Räte-Ebene unterliegen (Prinzip der Selbstverwaltung). Dazu nochmal Hahnel:
„However, there may be situations where ‚the numbers lie‘, and a worker council whose proposal has a social benefit-to-cost ratio less than 1 is actually not using resources inefficiently. This is why we need appeal procedures, which should ordinarily be conducted by the industry federation a worker council belongs to. Moreover, any council in danger of being disbanded should be provided help by their industry federation. After all, there must be some reason a particular group of workers are not coming up with proposals to use resources as effectively as other groups of workers in their industry. Before disbanding the council and sending their members to work elsewhere permanently, some workers from the council in danger of being disbanded should be sent as guest workers in more successful worker councils in the industry to see how they are doing things, and the industry federation should send members from successful councils to consult and work as guest workers in the council in trouble. Sometimes this will prevent the need to disband a worker council. But what happens when all efforts to correct what is wrong fail and a worker council must be disbanded? Does this mean its members must suffer personally? Since the annual production plan provides for full employment, there will be jobs for them in more successful worker councils, if not in their own industry, then in others. Moreover, their expected income working elsewhere should be as high, or higher than it was in the council that was disbanded, which apparently was struggling to come up with a proposal with a SB/SC ratio as high as one. And finally, a participatory economy can and should provide the kind of generous stipends for retraining and relocation provided […] to laid-off workers in Sweden and Norway during the heyday of social democracy in Scandinavia during the 1970s.“ (Hahnel, Democratic Economic Planning, S. 104)
Zum Thema Care: Du fragst dich: „Und wie passt Care da noch rein, wo Care doch überhaupt nicht nach Effizienzlogik funktioniert?“
Dazu eingangs Hahnel: „Just because our goals may be the same with regard to reproductive activity and economic activity – we want high-quality outcomes, the decision-making procedures to be self-managed, the distribution of burdens and benefits to be fair, and we want to economize on the use of scarce productive resources – does not mean that we should always organize and carry out reproductive and economic activity in the same way.“ (Democratic Economic Planning, S. 198)
Zur Beantwortung der Frage muss zuvörderst konstatiert werden, dass Reproduktions- und Care-Arbeit/-Tätigkeiten sowohl ‚öffentlich‘ (d.h. im Gesundheits- und Bildungssystem – bspw. in Krankenhäusern und Schulen) als auch ‚privat‘ (d.h. innerhalb eines Haushalts – ‚in-household‘) erbracht würden. Dem hinzukommen würden noch Reproduktions- und Care-Dienstleistungen, die nicht vom ‘öffentlichen’ System abgedeckt würden – was auf dem jeweiligen historisch-politischen Niveau dann deliberativ bestimmt würde (bspw. wäre es denkbar, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt bestimmte kosmetische Eingriffe oder einige Sport-, Kunst und Musikangebote nicht im unentgeltlichen öffentlichen System inbegriffen wären und demnach von Arbeiter_innenräten angeboten würden, die dann ganz gewöhnlich im Planungsverfahren teilnehmen und den Haushalten entsprechenden als Konsumgüter und damit verbundenen persönlichen Ausgaben aus ihrem Konsumbudget gelten würden:
„In a participatory economy people will be free to form worker councils that do domestic labor of different kinds that households consume and pay for just like they consume and pay for food, clothing, or any other consumption good or service.“ […] Similarly, while a great deal of socialization labor will be provided by the public education system free of charge, worker councils may provide services to households who demand supplemental educational services such as extra tutoring, music lessons, art classes, sports training, and so on, paid for out of household effort ratings and allowances. Neighborhood consumption councils and federations of neighborhood councils may also demand supplemental educational programs beyond those available in the public education system in the form of youth orchestras, sports leagues, and so on, as local public goods. Whenever supplemental educational services such as these are provided to neighborhood councils or federations by worker councils in the economic system, they are paid for collectively out of members’ effort ratings and allowances (which include children allowances) in one of the ways we discussed previously regarding public goods in general.“ (Democratic Economic Planning, S. 199)
Für die beiden erstgenannten Fälle – auf die du mit deiner Frage wohl abzielst –, ‘öffentlich’ bereitgestellte Care-Arbeit sowie ‘private’ Care-Tätigkeiten, gelten jedoch andere Bestimmungen.
Hierzu sei zunächst einmal gesagt, dass öffentlich bereitgestellte (kollektivierte) Care-Arbeit (bspw. in der Kita, Schule oder in der Krankenhauspflege) deutlich besser kompensiert würde als sie heute entlohnt wird und kostenfrei allen zur Verfügung stehen würde. Alle Personen, die dort arbeiten würden, wären ebenfalls Mitglied eines Arbeiter_innenrates, würden aber direkt durch die Bundeskonsument_innenföderation bzw. unteren Konsument_innenräte-Ebenen beauftragt und finanziert. Heißt konkret: Sie würden nicht als (im engeren Sinne) ‚produzierender‘ Arbeiter_innenrat am SB/SC-Verlosungsverfahren teilnehmen, sondern ihr Betrieb würde bedarfsdeckend direkt durch die Konsument_innenföderationen als kollektive Ausgabe finanziert. Hier wären zugespitzt zwei Strukturen denkbar: Einmal ein einheitliches Gesundheits- und Bildungssystem, das folglich von der höchsten Ebene (der Bundeskonsument_innenföderation) bereitgestellt würde oder ein ausdifferenziertes föderales/lokaleres System, bei dem die jeweiligen darunterliegenden Konsument_innenräte-Ebenen für die Mitglieder auf ihrem Gebiet Bildungs- und Gesundheitsleitsungen entsprechend der jeweiligen Präferenzen bereitstellen würden. Natürlich (und das wäre wohl das wahrscheinliche/adäquate Szenario) wäre auch eine Mischung von beidem denkbar, soll heißen: Die Bundeskonsument_innenföderation stellt eine unentgeltliche, einheitliche Grundversorgung an Gesundheitsleistungen und Bildungsangeboten bereit, während die unteren Konsument_innenräte-Ebenen dann nach jeweiliger Präferenz ihren Mitgliedern zusätzliche Leistungen zur Verfügung stellen, die dann vom jeweiligen Konsumbudget des entsprechenden Rates als kollektive Konsumausgabe abgehen. (Vgl. Hahnel, A Participatory Economy, S. 153-160)
Was aber ist mit häuslicher Care-Arbeit? Da wäre zum einen mal diejenige Care-Arbeit, die zwar im häuslichen Umfeld, jedoch weiterhin (extern) durch Arbeiter_innenräte bereitgestellt würde – bspw. Lebenshilfe, ambulante Pflege etc. –, als auch jene Care-Arbeit, die innerhalb von Haushalten durch Angehörige verrichtet wird. Während erstere im Grunde nach dem Modus der öffentlichen Care-Arbeit, eingebunden in Arbeiter_innenräte, funktioniert und demgemäß auch an das öffentliche Gesundheits- und Bildungssystem angeschlossen wäre und in diesem Fall ebenfalls unentgeltlich in Anspruch genommen werden kann (zuzüglich etwaiger nicht im öffentlichen System inbegriffener Zusatzleistungen, die dann wieder vom jeweiligen Konsumbudget, eines Rates oder Haushalts, abgehen – s.o.), wird vor allem letzterer Aspekt – also ‚private‘ Care-Arbeit durch Angehörige – im Projekt angeregt diskutiert.
Dazu einleitend Hahnel:
„We believe the choice of whether eldercare is provided in assisted-living centers run by the healthcare system, by personnel from the healthcare system who come to the home where an elder lives, or by members of an elder’s household, should be up to elders and members of their households. Whenever childcare or eldercare is provided in-home by a household member, rather than by the education or healthcare system, the provider is foregoing income he or she could have earned working outside the home, and therefore, compensation is in order. And whenever care is provided in-home by a household member, the cost of providing the care in the education system – which the child has a right to – or the healthcare system – which the elder has a right to – is defrayed. We propose that when caring labor is provided in-home by household members, they be treated as ex-officio employees of the education or healthcare system, working ‘offsite’ so to speak.“ (Democratic Econmic Planning, S. 204f.)
Dabei käme jedoch das Problem auf, dass es laut Hahnel wünschenswert wäre, dies im Rahmen des Arbeiter_innenräte-Konzepts durchzuführen, u.a. weil dies mit einem zu starken Eingriff/Zugriff in den Privatbereich verbunden und zugleich nicht praktikabel umsetzbar wäre.
Dies hat jedoch zur Folge, dass es dann auch keine Mitarbeiter_innen vor Ort gäbe, die – wie im ökonomischen Bereich und ähnlich im öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesen – ihre Arbeit im Peer-Verfahren überprüfen und evaluieren könnten. Damit würde zugleich die institutionelle Sicherung von Qualitätsstandards erschwert. Auch gebe es – im Gegensatz zu obigem – keinen integralen Mechanismus, um festzulegen, wie hoch die Kompensation von Haushaltsmitgliedern ausfallen soll, die bspw. Kinderbetreuung oder Altenpflege zu Hause leisten. Daher schlägt Hahnel vor, diese häusliche, durch Angehörige verrichtete, Care-Tätigkeit nach einem Standardtarif (inklusive potenziellem Zuschuss gemäß eines festgelegten Faktors) zu kompensieren, der von dem Gesundheits- bzw. Bildungssystem bestimmt und angepasst würde:
„We see no alternative but to establish a standard payment for household members who provide in-home childcare and elder care. And we see no better alternative to the kind of monitoring for at least minimal quality provided by social service agencies today. […] We recommend standard income credits for stay-at-home care providers be determined by the education and healthcare systems. This includes standard rates that may vary according to the number of pre-K children or elders being cared for. The rates might also take into account that the efforts and sacrifices of the provider do not increase proportionately with the number being cared for.“ (Hahnel, A Participatory Economy, S. 166f.)
Nochmal zusammengefasst: „In sum, society fulfills its responsibilities to the new generation when the public education system provides infant and childcare for all children, free of charge, just as it provides all children free primary and secondary education. But children’s guardians can choose instead to provide care themselves in the home for children from birth to five years old if they wish. By doing so they become ‘ex officio’ workers in the education system, for which they receive compensation from the education system as ‘off-site educators’ according to established rules. Society fulfills its responsibilities to those who are disabled or retired when the public healthcare system provides eldercare in its own facilities free of charge for all who qualify. But elders can choose to remain at home if they prefer, and receive care from household members who receive compensation from the healthcare system as ‘off-site caregivers’ […] according to established rules. So even when in-home care labor is performed by members of a household, they are affiliated, even if loosely, with either the education or healthcare system.“ (Hahnel, A Participatory Economy, S. 168)
Insgesamt zur häuslichen Care-Tätigkeit, siehe: Hahnel, A Participatory Economy, S. 164-168.
Albert wiederum sieht eine Kompensation von dem, was er recht allgemein als ‚housework‘ bezeichnet, etwas kritischer (Vgl. Albert, No Bosses, S. 173-181)
Zur Überwindung patriarchaler, asymmetrischer/un-egalitärer Geschlechterverhältnisse, siehe: Hahnel, A Participatory Economy, S. 161-166; vgl. Albert, No Bosses, S. 173-181, vgl. Chowdbury, Savvina, Wie man die soziale Reproduktion in einer partizipatorischen Wirtschaft organisiert und dabei das Patriarchat abbaut, in: Anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 156-175). Zu ‚ women’ caucuses’ (Antidiskriminierungsstellen) und dem im Job-Balancing inbegriffenen Care-Aspekt, siehe: Hahnel, Democratic Economic Planning, S. 201-204)
(4)
(4.1) Zu deiner Frage: ‚Dass gesellschaftliche und individuelle Transformation Hand in Hand gehen müssen, siehst du schon so?‘ – Durchaus, jedoch wirken Strukturen m.E. doch mit einem sehr hohen Druck auf Individuen und deren Vorstellungs- und Gestaltungsspielräume, weshalb ich – ganz materialistisch – sehr zur Vorsicht mahnen würde, die individuellen/ideellen Möglichkeitsräume zu überschätzen. Ganz abgesehen davon muss man diesbezüglich auch aufpassen, nicht in den ‚Utopiefetisch‘ zu rutschen, wie ihn Bini Adamczak trefflich beschrieben hat:
„Der Utopiefetisch bezeichnet eine Gefahr der Utopie, die gewissermaßen das Spiegelbild zu der bisher besprochenen darstellt. Nicht die Gefahr, dass die utopische Welt mit den Mängeln der Gegenwart behaftet bleibt, sondern umgekehrt, dass sie von diesen Mängeln so gründlich gesäubert wurde, dass die mit den Mängeln der Gegenwart behafteten Menschen in ihr keinen Platz mehr finden. Das ist eine sehr häufig formulierte Idee: Eine utopische Welt braucht auch einen utopischen Menschen – ein Mensch, frei von Habsucht und Neid, kooperativ und rücksichtsvoll, sanftmütig und altruistisch. Der Neue Mensch eben. Die Frage ist jedoch, was mit den alten Menschen, aufgewachsen unter Bedingungen von Konkurrenz und Mangel, passiert? Können sie sich so grundlegend ändern, dass sie in die neue Gesellschaft passen oder werden sie zu den Altlasten, die deren harmonisches Funktionieren beständig stören? […] Diese Idee einer gerechten Welt ist nicht allzu gerecht. Das Problem des Utopiefetischs ist aber nicht nur ein gerechtigkeitstheoretisches, sondern auch ein praktisches. Denn die Leute, die hier von der Utopie ausgeschlossenen werden sollen, sind ja gerade die Utopikerinnen, die Revolutionäre selbst. Diejenigen, die die Revolution machen, sollen nicht in den Genuss ihrer Früchte kommen. Fetisch bedeutet Verkehrung und wir begegnen ihm mit einer weiteren Drehung. Damit also, dass wir die Utopie vom Kopf auf die Füße stellen. Die Menschen entwerfen keine utopische Welt, um sich dann den Bedürfnissen dieser Welt anpassen zu müssen. Im Gegenteil, sie verlangen nach einer Welt, die ihren eigenen, ihren beschädigten, menschlichen Bedürfnissen, angemessen ist.“ (Adamczak, Bilderverbot, S. 26).
(4.2) Thema Transformationsstrategie:
Du schreibst: „Dass Trafomodelle noch kapitalistische Elemente enthalten, liegt auf der Hand, und das finde ich auch nicht verwerflich, solange die Entwicklungslinie in Richtung eines libertären Kommunismus (you name it) geht.“
Wenn du dir unter einem ‚libertären Kommunismus‘ eine herrschaftsfreie Utopie vorstellst, die nach dem Prinzip ‚jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‘ funktioniert, dann kann ich mir gut vorstellen, dass gerade eine Partizipatorische Ökonomie dafür eine geeignete transitorische Entwicklungsgrundlage darstellen könnte. Und genau so habe ich auch Hahnels diesbezügliche Auslassungen in seiner Antwort an euch verstanden. Wo ich allerdings widersprechen muss, ist die Annahme, dass ‚Trafomodelle‘ notwendig noch kapitalistische Elemente enthalten, bzw. ist m.E. der Begriff ‚Trafomodelle‘ an sich schon problematisch und damit zu verwerfen: Aus der libertär-sozialistischen/anarchistischen Tradition ergibt sich vielmehr die Konklusion, dass jedes Modell ein ‚Trafomodell‘ ist, oder um es mit Landauer zu sagen, ist Sozialismus ‚immer ein Werdender‘: „Die Wirklichkeit ist in der Bewegung, und der wirkliche Sozialismus ist immer nur beginnender, ist immer nur ein solcher, der unterwegs ist.“ (Landauer, Gustav, Drei Flugblätter (1913), in: https://www.anarchismus.at/anarchistische-klassiker/gustavlandauer/103-gustav-landauer-drei-flugblaetter)
Was sich m.E. aber mit großer Gewissheit behaupten lässt, ist, dass eine Partizipatorische Ökonomie eine grundlegend neue, postkapitalistische Produktions- und Wirtschaftsweise darstellen würde, da hiermit die elementaren kapitalistischen Kategorien (Tausch/Waren(-produktion)/Markt/Kapital) radikal aufgehoben und eine grundsätzlich neue Vermittlungsweise implementiert würde.
Im Übrigen vielen Dank für das Angebot, einen eigenen Artikel zum Thema schreiben zu dürfen! Leider bin ich gerade viel beschäftigt – daher auch die verspätete Antwort. Ich wurde aber aus dem organisatorischen Umfeld von INDEP angesprochen, da von deren Warte aus großes Interesse bestünde, unsere Diskussion dort im Forum weiterzuführen. Daher wollte ich dich fragen, ob du damit einverstanden wärst, dass unsere bisherige Diskussion dort veröffentlicht wird bspw. unter dem Titel ‚Diskussion zwischen Partizipatorischer Ökonomie und Commonismus‘ oder dergleichen.