Nikolas Kichler, Sigrun Preissing: Von der Marktabhängigkeit zum Commoning: das Potential der Vergesellschaftung

Wenn Governance, Naturverbunden Sein und das Grundbedürfnis Wohnen zusammenkommen

Abstract: Im Beitrag wird mit einer Analyse des strukturellen Dilemmas zwischen Markt und Staat im Bereich der Wohnraumversorgung und den damit verknüpften ökologischen Folgen begonnen. Dabei werden die negativen Auswirkungen der Privatisierung öffentlicher Wohnungen in Deutschland seit den 1990er-Jahren auf bezahlbaren Wohnraum und soziale Gerechtigkeit dargelegt.

Anschließend wird die Bürgerinitiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« in Berlin als wegweisendes Beispiel für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen vorgestellt. Diese Initiative kämpft auf Grundlage von Artikel 15 des Grundgesetzes gegen die Profitorientierung des »Marktstaats« im Bereich Wohnen und erlangte im Jahr 2021 vor allem durch einen erfolgreichen Volksentscheid große Aufmerksamkeit. Ihr Konzept sieht vor, die Verwaltung der vergesellschafteten Wohnungen künftig über Anstalten öffentlichen Rechts zu organisieren.

Die Autor*innen bringen für die Gestaltung dieser neuen Strukturen Erfahrungen aus unterschiedlichen Commons-Projekten im deutschsprachigen Raum ein. Werden diese miteinbezogen, könnte die Anstalt öffentlichen Rechts in eine Public-Commons-Partnership münden und einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Daseinsfürsorge einläuten.

Im Weiteren wird das große Potenzial, das sich hinter Commoning verbirgt, anhand der Projekte Neustart Schweiz (Zürich), Haus des Wandels (Ostbrandenburg), vivihouse (Wien) und Inseln mit Hafen (Tübingen) aufgezeigt. Alle vorgestellten Projekte setzen auf die aktive Teilhabe der Beteiligten an Entscheidungsprozessen und auf fürsorgendes Wirtschaften. Sie reduzieren ökologische Zerstörung und fördern ökologische Nachhaltigkeit.

Im Resümee wird schließlich das Potenzial der Vergesellschaftung von Wohnraum herausgearbeitet: Sie könnte als Instrument dienen, die Rolle des Staats grundsätzlich neu zu denken – weg vom Marktstaat hin zu einem »Partnerstaat«. Ein Staat, der bedürfnisorientierte, fürsorgende Strukturen in Kooperation mit Bürger*innen ermöglicht und sich für eine fairere, lebendigere, aber auch wehrhaftere Gesellschaft einsetzt.

Der Text ist ein Beitrag im Sammelband »Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage« von Tino Pfaff (Herausgeber). Die Veröffentlichung als Druck sowie die zusätzliche Freigabe unter einer Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0) ging mit erheblichen Kosten einher. Falls Du die Möglichkeit hast, bitten wir Dich die Crowdfunding-Kampagne zur Finanzierung des Projektes zu unterstützen: https://www.startnext.com/vergesellschaftungs-sammelband

Vergesellschaftung im Bereich Wohnen – eine Bestandsaufnahme

Es gibt ein strukturelles Dilemma zwischen Markt und Staat. Der Staat ist darauf angewiesen, die Wirtschaft am Laufen zu halten, um Steuereinnahmen zu generieren und die Sozialkassen zu füllen, selbst wenn es den Interessen der Gesellschaft widerspricht. Diese Abhängigkeit ist mitverantwortlich dafür, dass der Marktstaat vorwiegend »reaktiv, stellenweise passiv oder gar kontraproduktiv« auf die bestehenden multiplen Krisen reagiert – etwa bei der Reduzierung von CO2-Emissionen, der Eindämmung des Artensterbens oder der Sicherstellung von bezahlbarem Wohnraum.

Als Beispiel kann die Privatisierung von öffentlichen Wohnungen2 in den letzten Jahrzehnten genannt werden. Städte und Gemeinden agieren im Wettbewerb zueinander und wetteifern um die Gunst der Investor*innen. Die Wirtschaft soll angekurbelt und der Staatshaushalt saniert werden. In Deutschland wurden seit den 1990er-Jahren über zwei Millionen öffentliche Wohnungen privatisiert, wodurch ein wesentliches Stück Kontrolle über bezahlbaren Wohnraum an profitorientierte Akteur*innen abgegeben wurde.

Zu den Konsequenzen gehören stark gestiegene Mieten, die viele Bewohnende unter Druck setzen. Als Reaktion darauf ist es der Berliner Bevölkerung im Jahr 2021 gelungen, ein bedeutendes Gegenmoment zu schaffen: Die Bürgerinitiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« (DWE) führte einen erfolgreichen Volksentscheid zur Enteignung und Vergesellschaftung der Wohnungen großer Wohnungsunternehmen durch. Sie stützte sich dabei auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der es erlaubt, »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz […] in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft« zu überführen. DWE veröffentlichte Anfang 2023 einen Vorschlag, wie die etwa 243 000 betroffenen Wohnungen in Berlin nach der Vergesellschaftung konkret verwaltet werden könnten. Ihr 50-seitiges Konzept sieht vor, zur Verwaltung der Wohnungen eine neue öffentliche Einrichtung, eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR), zu schaffen. An den demokratischen Entscheidungsprozessen der AöR sollen Nutzende, Mietende, aber auch Mitarbeitende und Vertreter*innen der Stadtgesellschaft beteiligt sein.

Nach dem Volksentscheid beauftragte die rot-rot-grüne Berliner Regierung eine Expert*innenkommission, um unter anderem die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der Vergesellschaftung zu prüfen. Im Juni 2023 bestätigte die Kommission die juristische Durchführbarkeit dieses Vorhabens. Nun liegt es an der neuen schwarz-roten Regierung, den Willen der Wähler*innen umzusetzen. Aktuell verfolgt sie Wege, die als verzögernd bis hin zu verfassungswidrig beurteilt werden können, anstatt ein Gesetz zur Vergesellschaftung zu verabschieden, das zur Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Wohnraum beiträgt.

Die Vergesellschaftung würde jedoch einen wichtigen Paradigmenwechsel mit sich bringen. Hunderttausende ehemals passive Mietende teurer Wohnungen könnten nun aktiv die Belange rund um ihren Wohnraum mitgestalten. Basierend auf ihren Bedürfnissen, können sie in Aushandlungsprozessen mit ihren Nachbar*innen gemeinsam zu Lösungen für Probleme beitragen, die mit dem Sektor Wohnen verknüpft sind.

Erfahrungen, die den Autor*innen aus Commons-Projekten bekannt sind, zeigen: In selbstorganisierten Strukturen enden weder die Bedürfnisse noch die gemeinsamen Aushandlungsprozesse bei Themen wie bezahlbarem Wohnraum oder Instandhaltung. »Wohnen« wird viel mehr, wenn die direkt Betroffenen mitentscheiden können.

Unter Commons verstehen wir gemeinsam hergestellte, genutzte, gepflegte und verwaltete Ressourcen, wobei die soziale Praxis den Unterschied ausmacht: Wohnraum, aber auch Wälder oder eine Wissensplattform können ein gemeinsam genutztes Gut zur Erfüllung von Bedürfnissen sein oder eine Ware, die der Verwertungslogik unterliegt. Commoning nennen wir den sozialen Prozess, mit dem wir Commons erhalten, nutzen, pflegen und verwalten. Er basiert auf bedürfnisorientiertem Wirtschaften, gemeinschaftlicher Selbstorganisation auf Augenhöhe (Governance) und einem fairen, aufeinander bezogenen Miteinander zwischen Menschen und Mitwelt. Die grundlegend andere Perspektive auf das Leben eröffnet Raum für kreative und alternative Lösungsansätze, die sich wesentlich von den Mechanismen des Markts unterscheiden. Der Prozess ermöglicht es den Betroffenen, treffsicher, unter Berücksichtigung lokaler Besonderheiten und selbstbestimmt Konflikte zu bewältigen und Bedürfnisse zu erfüllen.

Solche Strukturen wurden vielerorts untersucht, vor allem aber durch die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom, die mit ihrer Arbeit bestätigt, dass Commoning meistens zu »nachhaltigen, robusten und langfristigen Lösungen« führt. Für den Staat selbst sind solche Lösungswege in seiner Rolle als Marktstaat so gut wie nicht erschließbar.

Der bereits erwähnte Artikel 15 eröffnet aber dem Staat als Partner die Möglichkeit, sich von alten Zwängen zu lösen und seine Rolle neu zu erfinden. Statt auf Public-private-Partnerships könnte man nun auf Public-Commons-Partnerships (PCP) setzen, zu denen je nach ihrer Ausgestaltung auch die von der DWE-Initiative vorgeschlagene AöR gehören könnte. PCPs entstehen, wenn Commoning-Gemeinschaften Verträge mit öffentlichen Institutionen zum Beispiel in Kommunen eingehen. Ziel dabei ist es, auf Augenhöhe gemeinsam die Bereitstellung von Land und Ressourcen zu regeln und das Commoning langfristig zu fördern.

Im Folgenden werden ein paar inspirierende Beispiele für Commons-Projekte im Bereich Wohnen vorgestellt, die das Potenzial hinter der Vergesellschaftung verdeutlichen.

Neustart Schweiz, Zürich: Aus der Mitte der Gesellschaft heraus den ökologischen Fußabdruck reduzieren

Neustart Schweiz basiert auf einem Konzept, das sich als Antwort auf das wachstumsorientierte Wirtschaftssystem versteht. Es legt seinen Fokus auf die Schaffung von Nachbarschaften in der Größenordnung von etwa 500 Personen. Innerhalb dieser Nachbarschaften wird eine Vielzahl von Dienstleistungen wie Begegnungszentren oder Secondhand-Depots angeboten, um das tägliche Leben angenehm und einfach zu gestalten. Das Ziel ist, die Notwendigkeit für Mobilität außerhalb der Nachbarschaft für Einkäufe und Freizeitaktivitäten so gering wie möglich zu halten. Die Nachbarschaften fungieren als Schlüsselmodul zur Schließung lokaler Kreisläufe, Förderung von Kooperation und gemeinschaftlicher Nutzung von Ressourcen. Zudem soll für eine breite Palette an Wohnformen gesorgt sein, um unterschiedlichen Lebensstilen und Generationen gerecht zu werden.

Ein komplementäres Element dazu ist das Mikro-Agro – Konzept. Die Nachbarschaften werden mit nahe gelegenen Landwirtschaftsgebieten verknüpft, die maximal 40 Kilometer entfernt sind. In dieser landwirtschaftlichen Gemeinschaft arbeiten Stadtbewohnende und Landbewohnende gemeinsam daran, Lebensmittel nachhaltig anzubauen und zu ernten. Dabei werden Permakulturprinzipien angewendet, um die schädlichen Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft zu vermeiden. Neustart Schweiz zielt dabei auf die Ernährungssouveränität ab und will so die politische Macht über die Lebensmittelversorgung dezentralisieren. Die Planung und Produktion von Gütern inklusive der Lebensmittelverarbeitung erfolgen umweltfreundlich. Rückgekoppelt mit den Bedarfen und Bedürfnissen, vermeiden sie letztendlich auch Müll. Die Mitbestimmungsmöglichkeit aller Bewohnenden innerhalb der Nachbarschaften bildet dabei die Basis dieses demokratischen Ansatzes. Mikrozentren sichern eine reibungslose Nahversorgung, während Quartierszentren eine breitere Palette an Dienstleistungen anbieten. Diese umfassende Vision ermöglicht Menschen, gemeinsam für Veränderungen einzutreten und Institutionen zu schaffen, die eine taugliche Alternative zu den bestehenden krisengebeutelten Mechanismen darstellen.

Auch wenn diese Vision noch nicht vollständig umgesetzt ist, gibt es bereits zahlreiche Bau- und Wohngenossenschaften sowie Initiativen, die sich darauf beziehen und lebendige und solidarische Nachbarschaften schaffen. Dabei versuchen sie, unter Berücksichtigung der ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten neue Lebensweisen zu erproben.

Das Haus des Wandels in Ostbrandenburg: Soziale Integration auf dem postlokalen Dorfplatz

Ein Commons-Projekt in Ostbrandenburg verdeutlicht, wie sich das oft isoliert gedachte Wohnen mit anderen Aktivitäten verbinden lässt. Der Verein Haus des Wandels e. V. (HdW) erwarb 2018 das Gebäude einer Berufsschule auf einem 1,7 Hektar großen Areal in Heinersdorf und transformiert dieses kontinuierlich in ein Kultur- und Wohnquartier. HdW beschreibt sich selbst wie folgt: »Feministische Beziehungen, utopische Gastfreundschaft, intersektionale Analysen, transformative Aktionen, künstlerische Strategien, strukturell nachhaltige Infrastrukturen und antiautoritäre Organisationsformen sind die Grundlagen unserer Praxis.« Dabei sollen Brücken zwischen Stadt, Land und der globalen Gemeinschaft geschlagen werden, indem die urbane Vielfalt mit lokalen Traditionen und internationale Gäst*innen mit Bewohner*innen in einen Austausch treten.

Gezielt wird hier der ländliche Raum belebt, teilweise gemeinsam mit schon länger existierenden Dorfinitiativen. Das Haupthaus beherbergt den sogenannten postlokalen Dorfplatz mit Töpferstübchen, Dorfbibliothek, Sportraum, Umsonstschrank und Werkstätten. Im Obergeschoss gibt es Räume für Gäst*innen, das zweite Obergeschoss bietet Wohnraum für die dauerhaft Wohnenden. Der postlokale Dorfplatz dient als konkreter, zugänglicher, verbindender und widerständiger Ort, an dem Menschen respektvoll miteinander in Kontakt treten können. Das HdW legt besonderen Wert darauf, die Teilhabe an den Räumen und Prozessen intersektional und intergenerational zu ermöglichen, weshalb die Räume kontinuierlich umgestaltet und angepasst werden können. Erfahrungen und Perspektiven werden ausgetauscht, auch vermittelt durch Kunst und Kultur. Dies geschieht in Aktivitäten wie der Nähgruppe, Jahresausflügen oder der Geflüchtetengruppe. Im Sommer 2023 wurde in Zusammenarbeit mit dem FLINTA*-Skatekollektiv Hera ein DIY-Skatepark auf dem Gelände errichtet, inklusive Skate-Workshops für lokale Kinder und Jugendliche.

Die Gebäude und das Gelände sind im Besitz des Vereins, dem alle Bewohnenden angehören. Gegenwärtig zählt der Verein etwa 15 Erwachsene und einige Kinder, alle mit vielfältigen Lebenshintergründen. Zu den Herausforderungen gehören die ökologisch nachhaltige energetische Sanierung der Gebäude und die Pflege des Geländes. Kreative Lösungen werden laufend erarbeitet, die mit einem selbstfürsorgenden Ansatz vereinbar und dabei bezahlbar sind.

vivihouse aus Wien: Gemeinsam mehrgeschossige Gebäude erzeugen und nutzen

Inspirierend für den Neubau von Gebäuden ist die vivihouse-Bauweise. Sie wurde im Jahr 2017 entwickelt, um ökologisches Bauen für die breite Bevölkerung zugänglich zu machen. Menschen werden hier in die Lage versetzt, Bauelemente für bis zu sechsgeschossige Gebäude selbst herzustellen. Dies kann mit einfachen Werkzeugen in einer etwas größeren Garage, aber auch genauso mit einer vollautomatisierten industriellen Fertigungsstraße erfolgen. Hierbei werden natürliche Materialien wie Stroh, Lehm und Holz verwendet. Die produzierten Bauteile bleiben unabhängig von ihrem angepassten Design, ihrer Herkunft, den verwendeten Werkzeugen oder Materialien miteinander kompatibel. Sie können für verschiedene Gebäude zusammengesetzt, zerstörungsfrei demontiert und an einem anderen Ort wiederverwendet werden. So wird eine nachträgliche Anpassung an sich ändernde Lebensumstände und Bedürfnisse ermöglicht und nebenbei CO2 langfristig in den Bauelementen gebunden. Das Projekt wurde in Wien von drei Architekten26 mit dem Ziel ins Leben gerufen zu prüfen, inwiefern die Gebäudeproduktion auch außerhalb von Marktzwängen realisiert werden kann. Innerhalb von 17 Wochen konnten über hundert Menschen ohne professionelle Erfahrung, begleitet von Fachleuten, Bauteile für zwei Gebäude im Rahmen von Bauworkshops herstellen.

Vivihouse ist somit ein Beispiel, wie die Interessen und Bedürfnisse der Menschen auch in Bezug auf die Produktionskultur und den Rohstoffbezug in den Mittelpunkt gestellt werden können. Die Produktionsprozesse können auch mit anderen gemeinschaftlichen Initiativen wie Waldallmenden und Ackersyndikaten zur Strohproduktion sowie offenen Produktionshallen verknüpft werden, um die Commoning-Praxis auszuweiten. Die großflächige oder mehrgeschossige Umsetzung von vivihouse hängt von der Anzahl der Commoner in einer Gesellschaft ab. Die weitreichende Vergesellschaftung von Wohnraum hat das Potenzial, neue soziale Praktiken hervorzubringen. Mit vivihouse könnten diese nicht nur in der Planung oder Nutzung von Wohnraum grundlegend sein, sondern auch im Zuge der Bau- und Produktionsprozesse.

Inseln mit Hafen aus Tübingen: Commonsgemäß finanzieren

In unserer derzeitigen Gesellschaft hat die Finanzierung von Wohnraum weitreichende sozioökonomische und ökologische Folgen. Deswegen möchten wir hier ein Fallbeispiel vorstellen, das diesen Bereich aus Commons-Perspektive in den Blick nimmt, sich allerdings noch in der Entwicklungsphase befindet. Das Projekt Inseln mit Hafen (ImH) wurde im Jahr 2019 ins Leben gerufen, um der systeminhärenten Wachstumslogik im Wohnbereich mithilfe einer Genossenschaftsstruktur ein Schnippchen zu schlagen.

Dabei soll die »Nutzungsgebühr« in zukünftigen Wohnhäusern, den sogenannten Inseln, außergewöhnlich niedrig gehalten werden, indem das Mehrwertversprechen und das Verdienen aneinander und für Dritte konsequent ausgeschlossen werden. Dies wird erreicht, indem Menschen (sogenannte Geldableger*innen) über Genossenschaftsanteile den Erwerb von Gebäuden und Grundstücken finanzieren, ohne einen monetären Mehrwert zu erwarten. Dadurch können die Lebensräume in den Besitz der Genossenschaft ImH übergehen, ohne dass daran eine Kreditrückzahlung gekoppelt ist. Stattdessen zahlen die Nutzenden Gebühren, die sich an der anteiligen geschätzten Abnutzungsdauer der Gebäude orientieren.

Grund und Boden hingegen nutzen sich nicht ab, daher müssen sie nicht abbezahlt werden. Wenn Geldableger*innen (die Genoss*innen) wieder Zugriff auf ihr Geld benötigen, können ihre Anteile durch neue Anteile einer anderen Person ersetzt werden. ImH betrachtet sich als eine Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft, in der »Wirtschaften« als gemeinsame Sorge für die Grundbedürfnisse aller verstanden wird. Die Geldablegenden sind Teil dieser Gemeinschaft und keine externen Kreditgebenden. So kann gemeinsam »kostengünstiges Wohnen« und darüber hinaus ein Freiraum geschaffen werden, in dem die Fürsorge für Menschen und ihre Mitwelt im Mittelpunkt stehen – jenseits der äquivalenten Tauschlogik.

Dies markiert den zweiten wesentlichen Teil des Projekts, die »Häfen«. Diese Räume stehen allen offen, einschließlich Genoss*innen, Nachbar*innen oder »Dahergelaufenen«. Die Bewohnenden der Inseln können hier vielfältige, geldlose Angebote schaffen, wie beispielsweise einen Seminarraum, einen Fairteiler fürs Foodsharing oder ein Backhaus, in dem alle Brot backen können. So entsteht eine Schnittstelle, über die Menschen hier anknüpfen, Beziehungen aufbauen und ihre eigenen Beiträge zur Pflege und Gestaltung des »Hafens« leisten können. Das Ziel von ImH ist es, Raum für neue Narrative zu schaffen, neue Werte zu kultivieren und über Erfahrungsräume die grundlegende Weltanschauung, die all unserem Denken, Fühlen und Handeln zugrunde liegt, zu transformieren.

Die Muster des Commoning als Orientierungshilfe für die Vergesellschaftung

Diese vier Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie Commoning tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise, wie wir Wohnen verstehen und umsetzen, bewirken kann. Trotz der unwirtlichen Rahmenbedingungen der Verwertungslogik gelingt es diesen Projekten, die aktive Teilhabe der Bewohnenden an Entscheidungsprozessen zu ermöglichen, ökologische Nachhaltigkeit zu fördern, die soziale Integration zu stärken und alternative Finanzierungsmodelle zu entwickeln. Commoning birgt das Potenzial, einen entscheidenden Beitrag zur Schaffung einer nachhaltigeren und fairen Gesellschaft zu leisten.

Silke Helfrich und David Bollier haben zahlreiche Commons-Projekte untersucht und dabei 33 Muster gelungener Praktiken gesammelt. Diese haben Silke Helfrich und Julia Petzold 2021 in Form eines Kartensets veröffentlicht. Sie enthalten die Essenzen guter Lösungen, wie sich bestehende Commoning-Projekte erfolgreich gegründet haben, sich erhalten, entwickeln und gegen Profit- und Verwertungslogik verteidigen. Einige dieser Muster finden sich in den vorgestellten Projekten wieder:

Ohne Zwänge beitragen – eine von derzeit 33 Musterkarten des Commoning. Quelle: Helfrich, Silke / Petzold, Julia (2021).
Naturverbundensein vertiefen – eine von derzeit 33 Musterkarten des Commoning. Quelle: Helfrich, Silke / Petzold, Julia (2021).

Die Muster »Commonsgemäß finanzieren« und »Ohne Zwänge beitragen« sind beispielsweise bei Inseln mit Hafen zu erkennen. Hier wird im Wohnbereich der sozioökonomische Ausschluss aufgelöst, den die Marktlogik erzeugt.

Das Muster »Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten«, wie es bei Neustart Schweiz und im Haus des Wandels eindrucksvoll praktiziert wird, fördert Vielfalt und Aushandlungskompetenzen in einer Gesellschaft, die oft von Trennung und Diskriminierung geprägt ist. Die Muster »Gemeinsam erzeugen & nutzen« und »Auf konviviale Werkzeuge setzen« finden sich im Do-it-together-Ansatz von vivihouse wieder und reduzieren den Ressourcenverbrauch enorm. Das Muster »Naturverbundensein vertiefen« ist in all diesen Beispielen verankert, am deutlichsten bei vivihouse und Neustart Schweiz.

Wenn Menschen, die mit den betroffenen Orten verbunden sind, entscheidend mitwirken, steigen die Chancen, dass die Bedürfnisse künftiger Generationen und anderer Mitlebewesen berücksichtigt werden und zwischen ihnen sinnstiftende Beziehungsformen entstehen.

Resümee und Ausblick

Eine mögliche Vergesellschaftung von Wohnraum in Berlin bietet die Chance, Erfahrungen zu sammeln und zu lernen, wie Ressourcen in großem Maßstab gemeinschaftlich verwaltet, umweltbewusst gehandelt und soziale Gerechtigkeit hergestellt werden kann. Die dabei erprobten Konzepte könnten weiterhin auf andere Lebensbereiche übertragen werden und somit als Vorbild für ähnliche Herausforderungen in anderen Städten und Gemeinden dienen.

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« verteidigt auf beeindruckende Art und Weise die Option einer staatlichen Daseinsfürsorge. Ihrer Standhaftigkeit gegenüber dem Taktieren und Verzögern der aktuellen Berliner Regierung ist zu verdanken, dass dieser Möglichkeitsraum derzeit noch offenbleibt. Die vorgeschlagene AöR ist ein erster Schritt, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wenn bei der Verwaltung des vergesellschafteten Wohnraums die Erfahrungen aus bestehenden Commons-Projekten miteinbezogen werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass größere Teile der Gesellschaft die ökologische Zerstörung und ihre Folgen angehen.

Es wäre essenziell, dass der Rahmen der AöR ein Mindestmaß an Selbstorganisation auch für Bewohner*innen vorsieht, die sich nicht in höherem Maße einbringen möchten oder können. Zugleich sollte jegliche Form der stärkeren Selbstorganisation unterstützt und entsprechende Entscheidungsfreiheiten gewährt werden.

Schließlich liegt im Artikel 15 des Grundgesetzes und in der AöR die Chance, dass wir als Bürger*innen im Rahmen von Public-Commons-Partnerships mit dem Staat gemeinsam dessen Rolle und Ausrichtung neu gestalten. Der Staat, also jene Institution, die mitten im Klimaendspiel ökologische Zerstörung zugunsten von Wachstum und Profit fördert, erfährt im Artikel 15 ein völlig anderes Verständnis seiner Rolle: Hierin liegt die Chance,den Marktstaat perspektivisch durch einen Partnerstaat zu ersetzen, der seinen Bürger*innen bei der Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse als Ermöglicher zur Seite steht. Das schafft Grundlagen für ein bedürfnisorientiertes, fürsorgendes Wirtschaften, ein faires Miteinander und die Regeneration unserer Beziehungen – unter uns Menschen und mit unserer Mitwelt.

Dieser Text ist ein Beitrag im Sammelband »Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage« von Tino Pfaff (Herausgeber). Der Sammelband steht zur freien Verfügung und enthält sämtliche Fußnoten und Querverweise, die in der WordPress-Veröffentlichung nicht übertragen wurden. Weiterhin bitten wir darum – insofern es finanziell möglich ist – das Crowdfunding zur Abzahlung der durch die Veröffentlichung entstandenen Kosten zu unterstützen: https://www.startnext.com/vergesellschaftungs-sammelband

Nikolas Kichler widmet sich als Architekt, Forscher und Entwickler ökolo- gischen, selbstbaufähigen Gebäuden wie vivihouse, deren Schwerpunkt auf Kreislauffähigkeit liegt. Auch faszinieren ihn Commoning-Strukturen, besonders wenn sie Vielfalt, Resilienz und Überraschungen hervorbringen. Sigrun Preissing ist promovierte Wirtschaftsethnologin, Aktivistin und Bildungsschaffende. Sie hütet derzeit gemeinsam mit anderen die Commons- Sommerschule, publiziert und begleitet Projekte im Bereich Selbstorganisa- tion mithilfe der Commons-Mustersprache.

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