Interview mit Stefan Meretz
Im Februar 2017 trafen wir uns mit einer Gruppe von Menschen, die gemeinsam den Wikipedia-Artikel zum Stichwort „Commons“ verfassten. Mit dabei war Léa Eynaud, die zur Geschichte der neuen Commons-Bewegung promoviert und sich vorgenommen hatte, einige Personen dieser Bewegung zu interviewen.
Das Interview mit mir ist eine Mischung aus Lebensgeschichte und (neuerer) Commons-Geschichte geworden – ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit. Ein sehr subjektiver Blick auf 25 Seiten – verfügbar als PDF.
Oh mensch, Stefan … da hat uns die Geschichte eine Chronistin geschickt: ich habe gerade nur kurz reingelesen und bin an Schloss Crottdorf hängengeblieben, habe mich des großartigen Hermann Graf Hatzfeldt erinnert — oder um es mit Deinen Interview-Worten zu sagen: „so ein Grüner Graf, der ein Schloss besitzt“ 😉 Das war schon alles sehr besonders!
Dass die Interviews jetzt fertig sind, deutet vielleicht darauf hin, dass Lea bald abgeben kann.
So viele promovierte Commoners machen doch Mut. Neue Profs braucht das Land!
Sehr schön. Mich freuen die vielen Übersetzungsleistungen, wie Stefan das Implizite explizit macht. Ich kann das vielen Leuten schicken und sagen: wenn Ihr mich besser verstehen wollt, braucht Ihr nur das zu lesen. Natürlich sind wir nicht deckungsgleich, und wir haben uns auch ein wenig auseinandergelebt, aber die wesentlichen Motive teilen wir. Auch die Tendenz, auf mehreren Baustellen zuhause zu sein …
Was mir fehlt: Wenn Stefan sagt „Die Welt wird verändert, indem wir sie praktisch verändern und diesen Prozess des praktischen Veränderns reflektieren und uns darüber klar werden, was wir da tun, damit wir das Verändern immer besser tun können“ müsste man eben gleich dazusagen, dass das unglaublich viele Türen in der Theoriebildung aufmacht, unter anderem zu dem Mustersprachen. Also es gibt unglaublich leistungsfähige Theorie in praktischer Absicht.
Und ich bin gespannt was Lea sonst noch alles zusammengetragen hat! So viele geistige Fäden, die sich da fein verspinnen … und sie fragt nach und hilft, denn da rekonstruiert sich ein geistiges Universum! Bei „Arbeit als Misere und Utopie“ gäbe es zum Beispiel diese Bezüge zum „Manifest gegen die Arbeit“ einerseits und zu „New Work“ von Frithof Bergmann andererseits. Das müsste eigentlich ein Hypertext werden….
PS: „Theoriekultur“ war übrigens gedacht als Fortführung der Idee von „Open Theory“ auf Wiki-Basis. Wenn wir das alles könnten was GoogleDocs können aber eben in einem öffentlichen Diskursraum, wäre das ein großartiges Werkzeug. Ist immer noch aktuell.
@Franz: Ich bin da optimistisch. Stefan beschreibt ja selbst den Musteransatz in geradezu zitierfähiger Weise in seinem grandiosen Interview:
„Wahrheit ist ein immanenter Prozess eines erkennenden und tätigen Sichauseinandersetzens mit der Welt. Wahrheit ist etwas Praktisches. Das, was wir erkennen und dann tun und was sich richtig anfühlt und sich als richtig in der Praxis zeigt, das ist die Wahrheit, eine andere gibt es nicht.“ -> genau das (vielleicht mit der Ausnahme des Wörtchens „dann“) wird ja nicht nur ausgeführt im Musteransatz, sondern im pattern mining auch methodisch umgesetzt.
Aber der Grund, warum ich mich nochmal melde, ist ein Anderer: Ich habe doch tatsächlich eine kleine korrigierende Anmerkung 🙂
@Stefan (vielen Dank übrigens für die vielen Blumen!), Du sagst: „Es gab aber in der Zeit auch vereinseitigte Definitionen, auch z.B. von Silke: „‚Commons’, das ist nur etwas Soziales!“. Sozusagen: ‚Commons’, das ist nur der soziale Prozess. “ — es würde mich wirklich interessieren, woher Du das hast. Daran kann ich mich einfach gar nicht erinnern.
Ich kann mich aber erinnern, gesagt zu haben (und das immernoch zu tun): Commons sind immer auch sozialer Prozess“. Das ist aber eine Aussage. Meine Standardsätze dazu lauten im Englischen so:
– There is no such thing as a natural commons (versus a knowledge commons).
– There is no such thing as a knowledge commons (versus a natural commons).
– All commons are based on natural „resources“ AND knowledge commons.
– And all commons are social (processes).
@Silke und Franz: Meine Auseinandersetzung mit dem Musteransatz ist noch nicht fertig, und ich denke und spüre, dass wir da in vielem ähnlich herangehen. Ich erlebe gleichzeitig immer wieder Momente, in den mich der Musteransatz zurückstößt, nämlich dann, wenn es mir zu affirmativ wird. – Längere Diskussion. Mich würde interessieren, Franz, wie du die Mustersprache – im Ergebnis und methodisch – siehst, wie sie Silke u.a. ja unglaublich genau ausgearbeitet haben.
@Silke: Die Vereinseitigung, dass Commons nur was Soziales seien, gewann ich aus den damaligen Diskussionen, die vor allem in Abgrenzung bzw. Erweiterung zur klassischen Gütertheorie liefen. Beispielhaft habe ich auf die Schnelle diesen Artikel gefunden: Commons sind eine soziale Beziehung. Dieser Beitrag ist übrigens immer noch auf der Seite Was sind Commons? zentral verlinkt (allerdings fehlerhaft).
@Stefan: ja klar, das ist ein Beitrag aus 2008, also mitten in „meiner“ Auseinandersetzung mit der Güterklassifikation. In dieser Zeit „musste“ ich sagen, „Commons SIND eine soziale Beziehung“ … um überhaupt auf diesen Punkt hinzuweisen. So wie wir sagen: „Eigentum ist eine soziale Beziehung“ (korrekter: ein Verhältnis) und keine Sache.
Eines noch: ich kann mich erinnern, wie Du auf meine Art, mit dem Thema umzugehen, gestoßen bist. Das muss ein Blogbeitrag Ende 2007 oder Anfang 2008 gewesen sein, wo ich mich bemüht habe, diese Parallelität zw. „Saatgut“ und „Software“ zu erklären. Das hast Du dann auf Keimform verlinkt. Und ich dachte…. „Keimform??“ Was ist denn Keimform und habe mich in bisschen in Opentheory reingelesen… wegen der Gütertheorie. Das war sehr erhellend.
Frage: Konnte mensch hier früher die eigenen Kommentare korrigieren (oben fehlen Wörter … 🙁 Geht das jetzt nicht mehr?
Stefan: „Ich erlebe gleichzeitig immer wieder Momente, in den mich der Musteransatz zurückstößt, nämlich dann, wenn es mir zu affirmativ wird. “
Also das kann ich gut nachvollziehen. Da sind sich manchmal Alexander-Anhänger auch nicht ganz einig. Ich habe nicht umsonst die ideologischen Blüten der Soziologie viele Jahre kritisiert, um sie dann im Gewand einer Mustertheorie, die die Existenz eines Gegenstandes mit seiner Rechtfertigung gleichsetzt und quasi als ein Struktur – Funktionalismus in neuem Gewand auftritt, gutzuheißen. Gerade beim Pattern Mining können da grobe Schnitzer passieren. Dann ist z.B. Geld ein Muster, weil ihm angedichtet wird, das Problem des Tausches zu lösen. Und Kapital ist dann vielleicht auch ein Muster, weil es das Problem der Produktion löst. Gerade bei gesellschaftlichen Beziehungsmustern müssen die Voraussetzungen und Konsequenzen sehr kritisch reflektiert werden.
Zu Silkes Musterarbeit (bzw. der von ihr angestoßenen gemeinsamen Bemühung) kann ich nur sagen, dass Muster immer wieder im Praxistest sind, aber dass der mustertheoretische Approach die beste mir bekannte Methode ist, Theorie und Praxis nachhaltig zusammenzubringen.
Einen Bezug auf Allmende und Aneignungskämpfe gabs schon mal in meinem Buch von 1999 (http://www.thur.de/philo/allmende.htm). Aber das habe ich nie stark genug in die Oekonux-Debatte eingebracht. Bei einem Oekonux-treffen im Jahr 2001 gabs, daran habe ich mich jetzt erst angesichts des Neu-Aufgreifens des Themas von Kämpfen im CI erinnert, auch schon mal einen schönen Workshop, wo es u.a. um das Verhältnis von „Schiffsbauern“ und „Dämmebauern“, d.h. von Vision und Widerstand, ging: https://philosophenstuebchen.files.wordpress.com/2020/12/2001_reibung-erzeugt-waerme-1.pdf. Ich dachte dann, dass das Kämpferische/Widerständige durch das Zusammenkommen von Oekonux mit dem Commons-Konzept mit drin ist/hinein kommt, aber das war nicht gleich so. Noch lange wurde von sehr vielen ziemlich einseitig darauf gehofft, dass man den Kapitalismus bloß „auszukooperieren“ braucht.
Ein Zwischenbegriff im Übergang zu Commons waren die „Universalgüter“, siehe hier: https://keimform.de/2007/universalgueter/. Also auch 2009, als Silkes Buch herauskam.
Quatsch, eher als 2009, wie man an dem Datum sieht. Also wie ichs meinte: Übergang.
Zum Übergang vom Verdinglichten hin zum Sozialen: Das war im Marxismus eigentlich schon immer drin: „Eigentum meint also ursprünglich […] Verhalten des arbeitenden […] Subjekts […] zu den Bedingungen seiner Produktion oder Reproduktion als den seinen“ (MEW 42: 403) bzw. Eigentum wird bestimmt als: „Verhältnisse der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit“ (MEW 3: 22). Dieses Zurückführen von nur fetischartig als Ding Wahrgenommenem in gesellschaftliche Verhältnisse ist ja gradezu das Markenzeichen des Marxismus 😉
@Franz: „Gerade beim Pattern Mining können da grobe Schnitzer passieren. Dann ist z.B. Geld ein Muster, weil ihm angedichtet wird, das Problem des Tausches zu lösen.“
Das ist einer der Gründe, warum wir auf dem Kartenset die „Problemfrage“ notiert haben. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Leute, die beim pattern mining nicht wirklich tief schürfen (wie sich das für ein mining gehört) eben genau das tun: erstmal eine Lösung dichten und dann ein Problem dafür suchen. „COMMONS“ ist ja auch ein Muster in irgend einem Kartenset – von Douglas Schuler, glaube ich – abstrakter geht’s nicht. Das hilft nicht. Und auch die Tatsache, dass jedes Muster eine Handlung beschreiben (also ein Verb enthalten) muss, ist Ausdruck dieser Kritik an etwas oberflächlichen Mining-Prozessen. Wobei ich natürlich dazu sagen, muss, dass auch unsere Muster nicht alle „methodisch sauber“, geschöpft sind. Dazu gibt es dann im Anhang des Buches eine Einschätzung, ähnlich wie bei Alexander zur Qualität seiner Muster.
In der Gesamtaussage bin ich aber ganz bei Dir: ich sehe auch keine bessere Möglichkeit, zu „fühldenken“ und zu „theorie-praxen“.
@keimform: ich würde ja gern den Kommentar noch etwas besser formatieren und damit besser lesbar machen, aber ich finde die Funktion dafür nicht.