Die Genossenschaftsgesellschaft
Diese Artikel knüpft an „Märkte für reale, aber nicht für ‚fiktive‘ Waren“ und „Profitmaximierung und die Alternativen“ sowie an einige Debatten in Hiddinghausen an. Kernideen ist eine Gesellschaft, deren primäre ökonomische Form Genossenschaften sind (auch Kooperativen genannt, auf Englisch oft als co-op abgekürzt – die Begriffe „Genossenschaft“ und „Kooperative“ verwende ich im Folgenden synonym). Eine Genossenschaft ist gemäß der Definition des Internationalen Genossenschaftsbunds, in dem sich mehrere hundert von ihnen zusammengeschlossen haben, ein „unabhängiger Zusammenschluss von Personen, die sich freiwillig zusammengetan haben, um ihre gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Bedürfnisse und Bestrebungen durch einen demokratisch kontrollierten Betrieb zu erfüllen, der ihnen kollektiv gehört.“
Für direkte Genossenschaften (deren Mitglieder Einzelpersonen sind) gilt das Prinzip: „jedes Mitglied hat eine Stimme“ – man kann also nicht durch den Kauf zusätzlicher Anteile weitere Stimmrechte erhalten. Auch Genossenschaften höherer Ordnung (Zusammenschlüsse von Genossenschaften) sind demokratisch organisiert. Genossenschaften sind freiwillige Zusammenschlüsse (es gibt keine Zwangsmitgliedschaft) und sie sind prinzipiell offen für alle, die an den Vorteilen einer Mitgliedschaft interessiert sind und die damit einhergehenden Verpflichtungen akzeptieren (ebd.).
Sofern eine Genossenschaft Überschüsse erwirtschaftet, werden diese für den Aufbau von Reserven, den Ausbau der Genossenschaft oder andere von den Mitgliedern festgelegte Ziele eingesetzt oder kommen „den Mitgliedern im Verhältnis zu ihren Geschäften mit der Genossenschaft zugute“ (z.B. indem Einkäufe im Genossenschaftsladen subventioniert werden). Ausschüttungen auf das von Mitgliedern in die Genossenschaft eingebrachte Vermögen erfolgen hingegen nicht oder nur in sehr begrenzter Höhe (ebd.).
Eine Genossenschaftsgesellschaft besteht aus Kooperativen unterschiedlicher Art, die den genannten Grundsätzen entsprechen – es geht also nicht um formale Anforderungen, wie es etwa im deutschen Genossenschaftsgesetz festgeschrieben sind. Je nach Zweck einer Genossenschaft kann man verschiedene Arten unterscheiden, etwa Produktivgenossenschaften, die Güter herstellen und verkaufen, Konsumgenossenschaften, die Läden für ihre Mitglieder und andere Interessent_innen betreiben oder kollektive Einkäufe für Einzelmitglieder oder Mitgliedergenossenschaften organisieren, und Wohnungsgenossenschaft, die ihre Mitglieder mit preisgünstigem Wohnraum versorgen.
Daneben gibt es Kreditgenossenschaften, die ihren Mitgliedern günstige Kredite zur Verfügung stellen. Diese funktionieren ähnlich wie Banken, sind aber demokratisch organisiert (gleiches Stimmrecht für jedes Mitglied) und nicht profitorientiert. Eine recht neue Art sind Plattformkooperativen, die eine gemeinsame Online-Plattform (als Website oder App) betreiben, über die ihre Mitglieder Produkte oder Dienstleistungen verkaufen oder bereitstellen – eine selbstorganisierte Alternative zu kapitalistischen Plattformen wie Amazon Marketplace, eBay, Uber und Lieferando.de.
Intern sind Genossenschaften somit demokratisch organisiert, im Gegensatz zu kapitalistischen Unternehmen, bei denen noch so viel Gerede von „flachen Hierarchien“ den grundsätzlichen Unterschied zwischen Eigentümer_innen und dem von diesen beauftragten Management einerseits und weisungsgebundenen Angestellten andererseits nicht verbergen kann. Nach außen hin agieren jedoch auch Genossenschaften an Märkten, wo eine Reihe voneinander unabhängiger Käufer- und Verkäufer_innen agieren – je nach ihrer Rolle können Kooperativen als Verkäufer, Käufer oder beides auftreten.
Unterbietungskonkurrenz und Krisen?
Aus Kund_innensicht ist die Existenz mehrerer unabhängiger Verkäufer in der Regel eine gute Sache – eine kann nach Alternativen gucken, wenn ihr die Angebote eines Herstellers nicht gefallen oder zu teuer sind. Die Existenz alternativer Verkäufer bedeutet im Allgemeinen auch, dass sich Anbieter nicht auf Kosten ihrer Kund_innen bereichern können. Kapitalistische Unternehmen bereichern sich stattdessen auf Kosten ihrer Mitarbeiter_innen, die heute normalerweise kaum darum herumkommen, ihre Arbeitskraft an eines dieser Unternehmen zu verkaufen – bei Produktivgenossenschaften, deren Mitarbeiter zugleich demokratisch gleichberechtigte Mitentscheider_innen sind, entfällt jedoch auch diese Möglichkeit.
Gleichzeitig kann die Unabhängigkeit der Anbieter auf Märkten bekanntlich negative Konsequenzen haben, insbesondere wenn verschiedene Anbieter einen Unterbietungswettkampf um möglichst viele Käufer_innen führen. Das kann dazu führen, dass sie ihre Mitarbeiter_innen möglichst schlecht bezahlen oder möglichst lange arbeiten lassen; dass sie Sicherheitsstandards senken, was ihre Mitarbeiter oder ihre Kund_innen gefährden oder gesundheitlich schädigen kann; dass sie umweltschädliche Produktionstechniken verwenden; dass sie Produkte verkaufen, die gut aussehen, aber schnell kaputt gehen oder kaum reparierbar sind.
Eine anderer Effekt der Unabhängigkeit der Anbieter in kapitalistischen Märkten ist ein zyklisches Schwanken zwischen Überangebot und niedrigen Preisen einerseits und Angebotsknappheit und hohen Preisen andererseits. Dieser bekannte „Schweinezyklus“ ergibt sich daraus, dass alle Anbieter auf Marktsignale in der gleichen Weise reagieren: Sind die Preise hoch, erhöhen sie ihre Investitionen, um künftig mehr verkaufen zu können. Einige Jahre später, wenn diese Maßnahmen Wirkung zeigen, besteht dann aber plötzlich ein Überangebot; die Anbieter sind gezwungen, ihre Preise zu senken. Manche gehen pleite; andere entscheiden, dass es lukrativer ist, die Branche zu wechseln. Alle anderen fahren ihre Investitionen zurück, ersetzen verschlissenes Equipment nur zum Teil, entlassen Mitarbeiter_innen oder ersetzen ausscheidende Angestellte nur zum Teil durch neue. Daraufhin verknappt sich das Angebot und langsam ziehen die Preise wieder an, bis ein paar Jahre später die nächste Wiederholung des Zyklus beginnt.
Wenn Firmen pleitegehen und Menschen entlassen werden, zieht das oft noch andere Branchen mit in die Krise – Käufe werden storniert oder gar nicht erst getätigt, Rechnungen werden nicht mehr bezahlt, Kredite nicht zurückgezahlt, Häuser zwangsversteigert. Wenn die Niedergangsphase des Schweinezyklus in mehreren Branchen etwa gleichzeitig auftritt, können so noch viele andere Branchen in Mitleidenschaft gezogen werden und die gesamte Wirtschaft in die Rezension rutschen. (Schweinezyklus-Krise und diese branchenübergreifende konjunkturelle Krise sind die ersten beiden von Bennis Sechs Stufen der Krise.)
Wäre eine Genossenschaftsgesellschaft ebenso von den negativen Folgen der Unterbietungskonkurrenz und von zyklischen Krise betroffen? Das Ziel kapitalistischer Unternehmen ist die Profitmaximierung – sie wollen das Geld ihrer Investor_innen möglichst gut vermehren, d.h. diesen einen möglichst hohen „return on investment“ (Kapitalrendite) liefern. In sehr vielen Fällen müssen sie dies sogar, da sie selbst um Kapital konkurrieren, indem sie an der Börse oder anderswo um Investor_innen werben. Enttäuschen die Firma deren Renditeerwartungen, ziehen sie ihr Kapital ab und investieren es lieber anderswo. Der Firma droht dann die Pleite oder, wenn sie an der Börse gehandelt wird, wird sie zum Übernahmekandidaten, der kostengünstig von anderen, erfolgreicheren Firmen geschluckt werden kann.
Eine möglichst hohe Rendite zu liefern, ist für kapitalistische Firmen (oder kurz: Profitmaximierer) deshalb nicht optional, sondern Zwang. Es reicht ihnen nicht, „durchschnittlich gut“ zu sein, sondern sie müssen versuchen, bessere Produkte als die Konkurrenz herzustellen oder aber ähnliche Produkte billiger herzustellen, um Marktanteil und Ertrag zu erhöhen oder um die Differenz zwischen Produktionskosten und Verkaufspreis zu erhöhen (beides steigert die Rendite). Sie sind gezwungen, die Konkurrenz zu unterbieten.
Produktivgenossenschaften hingegen müssen keine maximale Rendite erwirtschaften, sondern in erster Linie nur die Gehälter ihrer Mitglieder (Mitarbeiter_innen). Vielleicht müssen sie daneben aufgenommene Kredite zurückzahlen, aber dafür müssen sie lediglich einen zuvor vereinbarten festen Zinssatz erwirtschaften. Und sofern der Kredit von einer (nicht profitorientierten) Kreditgenossenschaft oder als Direktkredit von Mitgliedern, potenziellen Kund_innen oder deren Verwandten kommt, sind die berechneten Zinsen in aller Regel niedrig und dienen vor allem zum Ausgleich von Inflation und Ausfallrisiko.
Kooperativen haben deshalb keinen Grund, sich gegen andere Kooperativen auf einen Unterbietungswettkampf einzulassen. Stattdessen ist es für sie sinnvoller, sich mit anderen Genossenschaften in einen Modus des „Leben und leben lassens“ zu begeben, in dem sich alle Kooperativen den Markt aufteilen, ohne dass einzelne versuchen, die anderen aus dem Markt zu drängen. Aus Kund_innensicht mag dies zunächst als Nachteil erscheinen, verspricht die kapitalistische Unterbietungskonkurrenz doch billige Produkte. Allerdings kann der günstige Preis trügerisch sein, insbesondere wenn die billigen Produkte die Kunden selbst gefährden, ihre Gesundheit schädigen oder schnell kaputt gehen.
Beuten Profitmaximierer ihre Angestellten aus, hat das für die Kund_innen zwar direkt keine negativen Folgen – indirekt aber schon, weil es zu einer Situationen auf dem Arbeitsmarkt führt, wo entsprechende Ausbeutungsjobs üblich sind. Früher oder später, wenn sie selbst auf Stellensuche gehen, trifft das auch die Kunden, ihre Kinder oder Freund_innen. Auch Produktion auf Kosten der Umwelt schädigt letztlich die zunächst von günstigen Produkten profitierenden Kunden, weil diese oder ihre Nachkommen in der geschädigten Natur leben müssen und selbst etwa von Vergiftungserscheinungen oder Klimawandelschäden betroffen sein können.
Um es klar zu sagen: Diese mittelbaren Nachteile kapitalistischer Produktion für die Kund_innen führen nicht dazu, dass sich Kooperativen generell „auf dem Markt“ gegen kapitalistische Unternehmen durchsetzen können – zu direkt ist die Entlastung des Geldbeutels durch niedrige Preise einerseits, zu indirekt (und scheinbar losgelöst vom eigenen Kaufverhalten) die mittelbaren Folgen für Arbeitsmarkt und Umwelt. Die Genossenschaftsgesellschaft wird sich nicht auf dem Markt in direkter Preiskonkurrenz gegen kapitalistische Unternehmen durchsetzen, sie wird erkämpft werden müssen – ähnlich wie sich die auf Lohnarbeit basierende kapitalistische Produktionsweise gegen die Ausbeutung von Sklavenarbeit nicht generell auf dem Markt durchsetzt hat, sondern letztere in einem wertebasierten Kampf gegen Sklaverei und (formelle) Unfreiheit unmöglich gemacht wurde. (Zur Erkenntnis, dass Sklaverei nicht generell ineffizienter war als kapitalistische Lohnarbeit, siehe Baptist 2014, Conrad und Meyer 1958, Fogel und Engerman 1995.)
Wie aber sieht es mit der Vermeidung von Schweinezyklen und kleineren oder größeren zyklischen Krisen aus? Wäre die Genossenschaftsgesellschaft genauso krisenanfällig wie der Kapitalismus? Ich denke nicht, da die Ziele der Menschen in jener Gesellschaft andere sind, was zu anderen Verhaltensweisen führt. Während Kapitaleigentümer in Branchen drängen, wo gerade große Gewinne winken und sich aus denen zurückziehen, wo die Geschäfte gerade nicht laufen, sind Genossenschafter_innen primär an verlässlichen Produktions- und Versorgungskreisläufen und an einem stabilen Einkommen interessiert.
Merken Kooperativen, dass es in ihrer Branche einen Nachfrageüberhang gibt, werden sie sich tendenziell um eine Ausweitung der Produktion bemühen – aber wahrscheinlich in loser Rücksprache und Koordination mit den anderen in der Branche tätigen Genossenschaften, um zu verhindern, dass ein schweinezyklisches Überangebot entsteht. Sie müssen das nicht tun, aber anders als kapitalistische Unternehmen, die nur auf Kosten ihrer Konkurrenz ihre Profite maximieren können, haben sie keinen Grund, es nicht zu tun. Das dürfte im Allgemeinen reichen, zumal alle Kooperativen wissen, dass ihnen selbst Schwierigkeiten und ein erhöhtes Pleiterisiko drohen, wenn ein großes Überangebot entsteht und sie ihre Produkte nicht mehr ohne Weiteres verkaufen können.
Innovationen?
Aber wäre die Genossenschaftsgesellschaft, wenn Genossenschaften nicht zur Unterbietungskonkurrenz gezwungen sind, nicht ineffizienter als der Kapitalismus, so dass sich die Menschen bald letzteren zurückwünschen würden? Echte Innovationen sind zu unterscheiden von einem Unterbietungswettkampf auf Kosten von Kund_innen, Mitarbeitern oder Natur – eine echte Innovation schadet niemandem, führt aber dazu, dass etwa aufgrund neuer Maschinen oder besserer Produktionsprozesse Produkte mit weniger Aufwand hergestellt werden können oder neue oder verbesserte Merkmale aufweisen.
Innovationen, die etwa in einer Kooperative oder einer Gruppen von Kooperativen entwickelt wurden, würden sich auch in der Genossenschaftsgesellschaft verbreiten und bald von anderen Genossenschaften übernommen werden. Die Urheber_innen einer Innovation haben (im Gegensatz zu Profitmaximierern) keinen besonderen Grund, diese für sich zu behalten. Solange sie im Modus des „Leben und leben lassens“ interagieren, schadet es ihnen nicht, wenn andere die Innovation übernehmen – und umgekehrt nutzt es ihnen, wenn das nächste Mal eine Innovation aus einer anderen Genossenschaft kommt und von dieser ebenso freigiebig geteilt wird, was früher oder später sicherlich der Fall sein wird.
Aber selbst wenn eine Genossenschaft eine Innovation für sich behalten möchte, ist davon auszugehen, dass andere Kooperativen, sobald sie davon erfahren, sich diese ohne Weiteres aneignen und sie in den eigenen Produktionsprozess integrieren würden, ohne dass sie jemand daran hindern könnte. Denn anders als kapitalistische Gesellschaften, die sich ein umfangreiches, tendenziell immer weiter ausuferndes Urheber- und Patentrecht leisten, weil das zusätzliche Profite ermöglicht, dürfte eine Genossenschaftsgesellschaft außer dem „moralischen“ Recht, als Urheber_in einer Idee oder Innovation anerkannt zu werden, keine oder nur sehr wenige Urheberrechte akzeptieren, weil sie kein Interesse an Profitmaximierung hat und den Ausschluss anderer höchstens zur Sicherung der eigenen Gebrauchsrechte als legitim erachtet.
Innovationen, die zu besseren Produkten führen, sind für Kooperativen grundsätzlich unproblematisch. Etwas anders sieht es bei Prozessinnovationen aus, die dazu führen, dass Produkte mit deutlich weniger Arbeitsaufwand hergestellt werden können als zuvor. Spätestens wenn andere Kooperativen solch eine Innovation übernehmen (was wie gesagt nicht lange auf sich warten lassen dürfte), würde aufgrund des gesunkenen Produktionsaufwands auch der Preis dieser Produkte fallen. Oft dürfte dadurch auch die Nachfrage nach den Produkten steigen, da Leute sie sich nun leisten können oder wollen, denen sie vorher zu teuer waren. Der mit dem entsprechenden Produkt insgesamt gemachte Umsatz kann trotzdem fallen, wenn die zusätzliche Nachfrage nicht groß genug ist, um den Preisverfall auszugleichen. (Und in manchen Fällen, wenn es etwa um Kühlschränke oder andere „Alltagsprodukte“ geht, die eh schon jede Bewohner_in der betreffenden Region besitzt, gibt es vielleicht gar keine zusätzliche Nachfrage.)
Gesamtgesellschaftlich ist dies vorteilhaft – die Gesellschaft bekommt (ggf.) zusätzliche Produkte, während der für deren Herstellung erforderte Arbeitsaufwand gefallen ist, also alle (im gesellschaftlichen Durchschnitt) mehr Freizeit genießen können. Unmittelbar betroffen wäre aber zunächst die Branche, in der die Innovation stattgefunden hat – hier gibt es nun Mitarbeiter_innen, die nicht mehr „gebraucht“ werden, sofern die durchschnittlichen Arbeitszeiten (und damit mutmaßlich auch die durchschnittlichen Gehälter) in der Branche nicht deutlich stärker sinken sollen als in der Gesellschaft insgesamt. Werden die betroffenen Genossenschaften mit diesem Problem alleingelassen, könnte sie das doch wiederum in einen destruktiven Konkurrenzkampf zwingen. Jede Genossenschaft müsste sich um die Steigerung ihres Marktanteils bemühen, um ihren Mitgliedern (Mitarbeiter_innen) weiterhin ihr übliches Gehalt zahlen zu können – was aber nur auf Kosten anderer Produktivgenossenschaften aus derselben Branche gelingen könnte.
Auch unabhängig von Innovation könnte es passieren, wenn Kooperativen jeweils voneinander unabhängig agieren, dass manche der grundsätzlich arbeitswilligen und -fähigen Menschen bei der Aufteilung der in Genossenschaften vorhandenen Stellen (und des damit verbundenen Einkommens) leer ausgehen. Und ob auf freiwilliger Mitgliedschaft basierende Kooperativen generell dafür sorgen könnten, dass auch für diejenigen, die nicht oder nicht gut arbeiten können – etwa Kinder, Kranke und Alte – gut gesorgt ist, ist zumindest zweifelhaft. Um hier für gute Lösungen zu sorgen, braucht es neben Genossenschaften deshalb Institutionen, die alle in einem bestimmten Gebiet lebenden Menschen vertreten und von diesen kollektiv gestaltet werden. Diese Institutionen – ich werde sie im Folgenden Communen nennen – werden Thema des nächsten Artikels sein.
(Fortsetzung: Communen in der Genossenschaftsgesellschaft)
Literatur
Baptist, Edward E. 2014. The Half Has Never Been Told. Slavery and the Making of American Capitalism. New York: Basic Books.
Conrad, Alfred H. und John R. Meyer. 1958. The Economics of Slavery in the Ante Bellum South. Journal of Political Economy 66, Nr. 2 (Apr.): 95–130.
Fogel, Robert William und Stanley L. Engerman. 1995. Time on the Cross. The Economics of American Negro Slavery. New York: Norton.
Der Grund für den Zwang zur Profitmaximierung ist doch nicht nur die Renditeerwartung, sondern auch die Notwendigkeit neue Maschinen bezahlen zu können um noch mithalten zu können. Das gilt für Genossenschaften genauso. Ich würde sogar sagen, die Kausalität ist hier umgekehrt. Die Renditeerwartung muss nur deshalb erfüllt werden um genügend Kapital anziehen zu können um auch in der nächsten Runde noch mitspielen zu dürfen. Auch dass würde Genossenschaften genauso treffen, weil ja auch die Genossenschaftsbanken Geld erwirtschaften müssen und natürlich Kredite nur dahin vergeben, wo Aussicht auf Erfolg besteht, sprich die Kapitalakkumulation würde da ganz genauso statt finden wie heute auch und damit auch der ganze Rest vom Kapitalismus, vielleicht nur ein bisschen gebremst.
Genossenschaften sind kapitalistische Unternehmen und nichts anderes. Die Verwertungslogik mag abgemildert sein, aber sie greift genauso. Die Ausbeutung der Arbeitskraft verschwindet nicht dadurch, dass die Arbeiter*innen Mitinhaber*innen des Unternehmens sind. Eine Genossenschaftskapitalismus ist immer noch Kapitalismus, samt Sphärenspaltung, Fetischismus, getrennte Privatproduktion, Warenform und Exklusionslogik. Ich sehe noch nicht mal, inwiefern Genossenschaften eine Rolle in der Transformation spielen könnten.
@stefan: „Ich sehe noch nicht mal, inwiefern Genossenschaften eine Rolle in der Transformation spielen könnten.“
Also eine Genossenschaft lässt sich schon einfacher in ein Commons verwandeln als ein herkömmliches Unternehmen. Z.B. muss man dann niemanden enteignen…
@stefan: naja, das ist ein bisschen abstrakt gedacht. wenn ich genosse einer porduktionsgenossenschaft bin, und dann wird mir mein eigentum weggenommen aber ich kann wie vorher zusammen mit den anderen bestimmen, was wir machen, hab ich nix (oder nich so viel) verloren. als alleineigentümer oder aktionär ginge mir viel mehr verloren und mit entsprechend viel mehr gegenwehr hat man zu rechnen.
@Benni #2:
Nein, neue Maschinen werden aus Rücklagen bezahlt, die sind gerade kein Profit, sondern, sofern es Profit gibt, Abzug davon. Klar, jede Genossenschaft und jedes Non-Profit muss Rücklagen bilden, aber nicht in beliebiger Höhe (also „maximal“). Eine Genossenschaft, der jedes Jahr 30.000 € statt 10.000 € für den notwendigen Ersatz an Geräten zurücklegt, hätte ja nach 10 Jahren tatsächlich das Problem, dass sie gar nicht weiß, wohin mit den restlichen 200.000 €. Klar, sie könnte „wachsen“ — einen Teil in neue Maschinen, den Rest in das Gehalt neuer Genoss_innen stecken. Nötig ist das aber nur, wenn große Betriebe kostengünstiger produzieren können als kleine — und solange das so ist, ist ein Wachstum auch sinnvoll. (Wobei Genossenschaften das auch einfacher erreichen können, indem sich zwei oder mehr von ihnen zu einer zusammenschließen.) Sobald die optimale Größe erreicht ist, macht ein weiteres Wachstum keinen Sinn mehr.
Kapitalistische Unternehmen hingegen konkurrieren um möglichst hohe Ausschüttungen an ihre Anteilseigner_innen — etwa Dividendenzahlungen an Aktionäre. Diese stehen für Wachstum gerade nicht zur Verfügung, weil sie ausgeschüttet werden statt im Unternehmen verbleiben. Und hier ist auch keine Obergrenze gesetzt, weil die Anleger_innen immer dahin gehen, wo die höchsten Gewinne winken.
@Stefan #3:
Was ist deine Definition von „kapitalistisches Unternehmen“, die dich zu diesem Schluss führt?
Hello,
Ich kann mich nur Benni und Stefan anschließen. Für mich ist deine Theorie von einer Trennung durchzogen: Es gibt die okaye (und sogar gute?) marktwirtschaftliche Konkurrenz, es gibt die böse Abhängigkeit von den Anleger*innen die Zinsen verlangen. Das ist bei dir nicht so klar ausgeführt aber ich finde es dennoch nahegelegt. Es ist für mich auch die Trennung zwischen „guter Marktwirtschaft“ und „bösen Finanzwesen“.
Aber um die kapitalistischen Dynamiken von Verwertungszwang zu erklären brauch ich keine Anleger*innen und kein Finanzwesen. Es kann direkt aus der Konkurrenz erklärt werden. Alle kollektiven Praktiken die sich auf den Markt und damit die getrennte Privatproduktion einlassen, sind durch die Zwänge der Konkurrenz betroffen. Darum sind auch Genossenschaft kapitalistische Unternehmen.
Zu Bennis Punkt: „Nein, neue Maschinen werden aus Rücklagen bezahlt, die sind gerade kein Profit“ Es ist doch egal woraus betriebswirtschaftliche die Maschinen bezahlt werden. Ein kapitalistisches Unternehmen muss Profit machen, damit es im Kampf der Kostenkonkurrenz mithalten kann. Damit es „durchschnittlich gut“ bleibt muss es ständig Kosten senken, weil das alle Konkurrent*innen nahegelegt ist. Dafür braucht es Prozessinnovationen und neue Maschinen, das kostet Geld, also braucht es Profite oder leiht sich Kredite aus. Ich verstehe leider wirklich nicht genau wie du das anders denken kannst, dass Genossenschaften in einer Art „friedlicher Konkurrenz“ verbleiben können.
PS: Wie immer ist es schön so einen klaren und einfachen Schreibstil zu lesen 🙂
@Simon:
Zinsen sind natürlich nicht unproblematisch, weil sie tendenziell dazu führen, dass die Reicheren noch reicher werden, und so die gesellschaftliche Ungleichheit erhöhen. Trotzdem sehe ich das eigentliche Problem nicht in der Abhängigkeit von verzinsten Krediten (dass es die in der GG — Genossenschaftsgesellschaft — noch geben wird, erwähne ich ja im Gegenteil auch), sondern in der von profitmaximieren-wollenden Firmeneigentümer*innen. Denn beim Maximieren gibt es nun mal keine Obergrenzen, deshalb muss bzw. will jede kapitalistische Firma immer versuchen, mehr zu maximieren (mehr zu verdienen) als die Konkurrenz. Das gibt’s bei Koops, auch wenn sie feste Zinsen zahlen müssen, nicht.
Wenn das stimmte, wäre der Kapitalismus so alt wie die Märkte — also mehrere Jahrtausende. Du weißt genauso gut wie ich, dass das nicht stimmt. Von der jeweiligen Produktionsweise — wird produziert, um private Kapitalgeber/Firmeneigentümer*innen reicher zu machen, oder gibt es dafür andere Gründe? — kann man nicht absehen. Die bloße Tatsache, dass es Märkte gibt, d.h. dass Produzent*innen und Konsument*innen potenziell unabhängig voneinander agieren und miteinander interagieren können, determiniert die Produktionsweise noch nicht.
Ich würde bezweifeln, dass man bei dem hier Beschriebenen überhaupt sinnvoll von „getrennter Privatproduktion“ sprechen kann, da ich davon ausgehe, dass die Koops sich typischerweise lose koordinieren und untereinander abstimmen werden, einfach weil das für sie mehr Sinn macht als es nicht zu tun. Sie produzieren also jeweils privat (als Team/Betrieb), aber nicht wirklich getrennt.
Die Aussagen „Konkurrenz ist per se böse“ (die ich bei dir durchhöre) oder „Konkurrenz ist per se gut“ (wie sie vielleicht eine Freund*in der kapitalistischen Marktwirtschaft äußern würde) sind mir beide zu platt. Auch in der GG kann Konkurrenz unter bestimmten Umständen destruktiv und schädlich sein — das habe ich am Ende schon angedeutet und werde in kommenden Teilen noch genauer darauf eingehen. Ich glaube aber, dass jene Gesellschaft Möglichkeiten hat, damit umzugehen und zu verhindern, dass Menschen oder Natur darunter leiden müssen.
Wo es hingegen gut läuft, würde ich davon ausgehen, dass Koops in der GG gar nicht im üblichen Sinne des Wortes gegeneinander konkurrieren, sondern sich eher ergänzen.
Danke 🙂
„Trotzdem sehe ich das eigentliche Problem nicht in der Abhängigkeit von
verzinsten Krediten (dass es die in der GG — Genossenschaftsgesellschaft
— noch geben wird, erwähne ich ja im Gegenteil auch), sondern in der
von profitmaximieren-wollenden Firmeneigentümer*innen. Denn beim
Maximieren gibt es nun mal keine Obergrenzen, deshalb muss bzw. will
jede kapitalistische Firma immer versuchen, mehr zu maximieren (mehr zu
verdienen) als die Konkurrenz. Das gibt’s bei Koops, auch wenn sie feste
Zinsen zahlen müssen, nicht.“
Was genau führt bei einer Aktiengesellschaft zu dieser „Gier“ nach mehr Profit, aber bei einer Genossenschaft nicht? Der einzige Unterschied ist doch, dass im einen Fall alle gleiche Entscheidungsmacht haben, im anderen Fall aber die mit mehr Anteilen mehr. Wieso haben Genossen keinen Bock auf mehr Geld, wenn sie sich damit doch tolle Sachen kaufen können?
@Christian#8:
Kapitalistische Unternehmen sind Unternehmen im Kapitalismus. Es ist richtig, dass Simons Def. etwas kurz war:
Ja, ja, ja, es gab schon früher Märkte. Hier sind jedoch verallgemeinerte Märkte wie sie den entfalteten Kapitalismus kennzeichnen gemeint. Und „einlassen“ meint präziser: „Waren produzieren, um sie zu verkaufen“.
@Benni:
Der Unterschied ist, dass Aktiengesellschaft und Firmen, die auf Venture Capital oder Private Equity angewiesen sind, ihre Profite maximieren müssen, weil die Kapitalgeber*innen sonst anderswohin gehen. Während Genoss*innen sich um möglichst hohe Einkommen bemühen können, das aber nicht müssen. Das ist der Unterschied zwischen Zwang und Möglichkeit, den auch Ellen Wood betont.
Und während Kapitalgeber dahin gehen, wo die höchsten Gewinne winken, weil das das einzige ist, das sie direkt betrifft, sind Genoss*innen sehr viel direkter in den Betrieb involviert, in dem sie arbeiten. Üblicherweise wollen Menschen aus ihrer Arbeit auch eine gewisse Befriedigung (und nicht nur Einkommen) ziehen. Sie wollen etwas Sinnvolles tun, auf dass sie stolz sein können. Deshalb glaube ich nicht, dass sich viele Genoss*innen bewusst dafür entscheiden würden, ihren Kund*innen Produkte schlechter Qualität zu verkaufen oder im Herstellungsprozess die Umwelt zu schädigen, selbst wenn sie dadurch ihr Einkommen erhöhen könnten. In kapitalistischen Unternehmen passieren solche Dinge, nicht weil die Mitarbeitenden sie so wollen, sondern weil das Management sie dazu zwingt — und die Manager würden, wenn sie könnten, vermutlich auch sehr oft andere Entscheidungen treffen. Aber sie können nicht, weil das Kapital sonst anderswohin fließen und ihrer Firma die Pleite drohen würde. Die Kapitalgeber*innen wiederum sind wahrscheinlich auch keine schlechteren Menschen als alle anderen, aber sie sind weit entfernt vom betrieblichen Ablauf und wissen nicht genau (wollen es auch nicht wissen) was passieren muss, damit ihre Kapitalerträge maximiert werden.
@Stefan:
Und da die Genossenschaftsgesellschaft kein Kapitalismus ist, sind Genossenschaften in der GG dann eben auch keine kapitalistischen Unternehmen. Q.E.D.
Aber solche Wortklaubereien bringen natürlich niemanden weiter. Tatsächlich sind Genossenschaften im Kapitalismus ebenso wenig kapitalistische Unternehmen wie in die GG, weil ihr Geschäftsziel nicht die Vermehrung/Verwertung von Kapital ist — auch wenn es stimmt, dass sie in der Konkurrenz mit kap. Unternehmen oft gezwungen sind, sich in einer dieser sehr ähnlichen Weise zu verhalten. Wenn du aber nicht über Kapital und Kapitalverwertung reden willst, macht es keinen Sinn, dass du über Kapitalismus redest.