Peercommony ist kein Gratis-Supermarkt
[Der vierte und letzte Teil meiner Diskussion mit Michael Albert, aus der September-2013-Ausgabe der Contraste.]
Michael Albert und Christian Siefkes diskutieren ihre Konzepte für eine Welt nach dem Kapitalismus. Die Teile I – III erschienen in den CONTRASTEN Nr. 342, 344 und 346/347. Gekürzte Übersetzung Brigitte Kratzwald, Redaktion Graz.
Michael Alberts Zweifel an Peercommony
Christian Siefkes‘ Darstellung der Peercommony hat viele Ähnlichkeiten mit meinen eigenen Vorstellungen und Wünschen, aber es gibt auch etliche Gegensätze. Ich denke, dass seine Vorschläge manche Aspekte der Wirtschaft ausblenden. Er benennt zwei Bedingungen für Peercommony: erstens, menschliche Arbeit verschwindet durch Automatisierung aus dem Produktionsprozess und zweitens, alle haben Zugang zu Ressourcen und Produktionsmitteln.
Was Punkt eins betrifft, ist es natürlich wünschenswert, das die entfremdete Arbeit verschwindet. Es ist durchaus möglich, eine Teil davon durch Maschinen zu ersetzen, aber das würde sicher nicht bedeuten, dass alle Arbeiten, die nicht aus sich selbst befriedigend sind, verschwinden. Was die Produktionsmittel betrifft, ist es einfach nicht möglich, dass alle Menschen auf alle Produktionsmittel Zugriff haben und jeder sich mit allem selbst versorgen kann. Für beide Punkte gilt schließlich, dass diese Ergebnisse nicht von selbst entstehen werden, sondern wir beschreiben sollten, wie wir dorthin kommen.
Wie wissen wir, was und wieviel wir arbeiten müssen?
Siefkes betont, dass viele Tätigkeiten aus sich selbst heraus befriedigend sind, das ist richtig, heißt aber noch nicht, dass das was getan werden muss, wirklich getan wird und das was nicht getan werden sollte, auch wirklich nicht geschieht. Er sagt auch, dass Menschen oft deshalb arbeiten, weil andere sich über ihre Produkte freuen. Auch das stimmt, aber es erklärt noch nicht, wie und woher alle wissen sollten, was die anderen brauchen, um zu wissen, was sie produzieren sollen.
Siefkes meint, weil alle freiwillig teilnehmen, kann niemand andere herumkommandieren. Aber stellen wir uns einen Arbeitsplatz vor: Die Arbeiter stellen als selbstverwaltetes Kollektiv einen Arbeitsplan auf und entscheiden, dass jeder fünf Stunden arbeiten soll. Hans sagt, ich will aber sieben Stunden arbeiten (oder drei Stunden) und außerdem will ich lieber in der Nacht arbeiten. Ihr müsst das Licht anlassen, obwohl außer mir niemand da ist und tagsüber müsst ihr ohne mich auskommen. Heißt ein „Peer“ zu sein, auch dass niemand sagen kann, Hans, hier zu arbeiten verlangt gewisse Verpflichtungen, wenn du sie nicht einhalten wilst, arbeitest du besser woanders?
Ich bezweifle, dass sich die Tätigkeiten aller sinnvoll miteinander verbinden lassen, wenn jeder nur tut, was er will. Christian beschreibt hauptsächlich Beispiele aus der digitalen Sphäre, aber gerade in diesem Bereich arbeiten einige der ausbeuterischsten Unternehmen der Welt, Google, Facebook, Apple, Microsoft usw. Und keinesfalls kann man von Programmierern, die ein Einkommen aus anderen Quellen haben, darauf schließen, dass man grundsätzlich Produktion und Konsum entkoppeln könne. Auch wenn manches auf diese Art und Weise funktioniert, können wir doch nicht davon ausgehen, dass es für eine gerechte Allokation reicht, dass jeder tut was er will und nimmt was ihm gefällt.
Auch ich halte die „jeder-gewinnt“ Formel für erstrebenswert, aber dafür braucht es entsprechende Institutionen und Methoden der Interaktion. Also, woher weiß ich, was andere brauchen, und woher wissen andere, was ich brauche? Siefkes sagt, die Peerproduzenten hinterlassen Hinweise, aus denen sich andere aussuchen können, was sie tun wollen. Das funktioniert vielleicht für manche relativ unwichtigen Dinge, wo es egal ist, wann sie getan werden. Aber um Getreide zu ernten? Um Stahl zu schmelzen oder Flugzeuge zu fliegen? Und das alles gut aufeinander abgestimmt?
Wie wissen wir, was und wieviel wir konsumieren dürfen?
Peercommony basiert hauptsächlich auf Gütern, die von einer Gruppe gemeinsam entwickelt und erhalten werden und entsprechend der von der Gruppe selbst definierten Regeln genutzt werden, so dass alle einen angemessenen Teil entnehmen. Aber welche Regeln sind das und wie werden sie gemacht? Was ist ein angemessener Teil? Kann ich sechs Häuser haben und das ganze Jahr herumreisen? Und wenn nicht, warum nicht? Was hält mich davon ab? Wenn es mein Verantwortungsbewusstsein ist, woher weiß ich, was verantwortungsbewusst ist? Das Verantwortungsbewusstsein wird durch die sozialen Normen und Strukturen der Peercommony nicht angesprochen. Stattdessen sagen diese Strukturen den Menschen, sie können nehmen, was sie wollen und tun, wonach ihnen der Sinn steht – ungefähr so, wie sie es jetzt den sehr Reichen sagen, nehme ich an. Bitte sag mir, warum dann nicht jeder alles nehmen würde, was ihm gefällt, unabhängig davon, wieviel das ist.
Es ist eine Tatsache, dass wir nicht alles haben oder tun können. Ressourcen, Arbeit und sogar Jobs sind begrenzt. Siefkes sagt, es gehe in der Peer-Produktion darum, Lösungen zu finden, die für alle funktionieren. Ich denke, dass Parecon genau die institutionellen Rahmenbedingungen herstellen könnte, in denen Lösungen enstehen können, die für alle funktionieren. Parecon ist aus meiner Sicht die Umsetzung von Peercommony in die Realität.
Christian Siefkes: Wer macht die Regeln und woher kommen die Informationen?
Du fragst, wie ein Arbeitsplatz funktionieren soll, wenn jeder tut was er will. Zu deinem Beispiel: warum sollte es die anderen stören, wenn jemand länger oder kürzer arbeitet? Aber natürlich würden Peerproduzenten manches Verhalten nicht tolerieren. Würde Hans etwas nur ein oder zwei Stunden täglich kommen und nur mit den Geräten herumspielen, würden sie vielleicht sagen, „Lass das! Entweder du hilfst uns hier, oder du verbringst deine Zeit anderswo.“ Oder wenn er jeden Tag zwölf Stunden da wäre, würden sie ihm empfehlen, sich auch mal auszuruhen. Aber solange er einen sinnvollen Beitrag leistet, ist es kein Problem, wenn er früher geht oder länger bleibt.
Für manche Zwecke ist es sinnvoll, sich genauer abzustimmen, deshalb machen die Menschen an einem Arbeitsplatz ihre Regeln selbst und jeder, der mitmachen will, muss diese Regeln akzeptieren. Gerade weil sie Peers sind, können sie sich selbst Regeln geben, an die sie sich dann auch alle halten müssen, wenn sie weiter mitmachen wollen. Wären sie keine Peers, dann gäbe es Chefs, die die Regeln machen und kontrollieren würden.
Nur wer wenig mit Computern zu tun hat, kann Linux als „relativ unwichtig“ bezeichnen. Auch Freie-Software-Projekte wie Debian oder Linux müssen strikte Zeitvorgaben einhalten und Sicherheitsprobleme schnell beheben. Sie schaffen das sehr gut. Viele Menschen verwenden Freie Software, weil sie sie für sicherer und verlässlicher halten als proprietäre, was von diversen Studien bestätigt wird.
Peer Produktion macht es möglich, den eigenen Interessen zu folgen und sich in unterschiedlichen Projekten zu engagieren. Das heißt aber nicht, dass man dabei keine sozialen Verpflichtungen eingeht und nur dem „Spaß-Prinzip“ folgt. Auch Peerproduktion umfasst soziale Koordination und Organisation; eines der wichtigsten Prinzipien ist zum Beispiel, einen kompetenten Nachfolger zu finden, bevor man aus einem Projekt aussteigt.
Beim Ressourcenverbrauch und der fairen Verteilung von Ressourcen liegen die Dinge anders, weil die Ressourcen begrenzt sind. Der Verbrauch kann mithilfe des ökologischen Fußabdrucks gemessen werden und der ist in den Industrieländern viel zu hoch. Menschen in diesen Ländern müssen ihren Fußabdruck und damit ihren Ressourcenverbrauch reduzieren, aber warum sollte man den Verbrauch daran binden, wieviel jemand arbeitet? Warum soll jemand, der 50% länger arbeitet als der Durchschnitt, einen 50% größeren Fußabdruck haben dürfen? Vielleicht brauchen wir Zuteilungsverfahren, die sicher stellen, dass der Fußabdruck einer Person innerhalb des fairen Limits bleibt, etwa gemessen am Ressourcenaufwand der genutzten Produkte. Aber Geld und Arbeit sind nicht für diese Berechnung geeignet.
Peercommony ist kein Supermarkt
Das bringt mich zu deiner Frage, was Menschen in der Peercommony daran hindern sollte, mehr zu nehmen als sie brauchen. Es scheint, dass du dir eine Welt ohne Geld als riesigen „0-Euro-Laden“ vorstellst, in dem alle Waren kostenlos abgegeben werden. Würde sich, wer einen solchen Gratisladen findet, nicht Unmengen der ausliegenden Waren greifen – egal, ob man sie konkret gebrauchen kann? Gut möglich – allein schon aus Angst, dass diese wunderbare Situation unmöglich anhalten kann, dass schon morgen alles wieder Geld kosten wird. Wer darauf vertrauen könnte, es nicht nur mit einer vorübergehenden Ausnahmesituation zu tun zu haben, würde sich anders verhalten. Warum sollte ich mich mit Gütern eindecken, die ich derzeit nicht brauche, wenn ich weiß, dass sie im Gratisladen auf mich warten? Ich könnte den Laden einfach als ausgelagerten Abstellraum behandeln.
Aber hätten wir nicht trotzdem alle gern eine große Villa, direkt am Meer gelegen, mit den Alpen dahinter und einem schicken Stadtzentrum gleich um die Ecke? Würden wir nicht alle gerne fette Autos fahren? Wie lange würden die begrenzten Ressourcen der Erde das mitmachen?
Die Gratisladen-Idee ist jedoch irreführend, da es dabei nur um Dinge geht, nicht um Menschen und ihre Bedürfnisse. Ich brauche Wohnraum, der im Winter warm genug und im Sommer nicht zu heiß ist; Nahrung, wenn ich hungrig bin; neue Kleidung, wenn die alte nicht mehr gut oder passend ist. Ich brauche Kommunikationsmöglichkeiten und Mobilität, um mit anderen in Kontakt zu bleiben und die Orte zu erreichen, die mich interessieren. Ich brauche Gesundheitsvorsorge, Unterhaltung und kulturelle Aktivitäten. Ich brauche Freund_innen, Liebe und soziale Verbindungen. Und so weiter.
Anders als im Kapitalismus (wo der Profit im Vordergrund steht) wird in der Peercommony produziert, weil jemand ein Bedürfnis hat. Wir können uns solch eine Gesellschaft als gemeinsames Mesh-Netzwerk für bedürfnisorientierte Produktion vorstellen. Ein „Mesh“ (dezentrales Netz), weil es keine Zentralstellen gibt, die alles koordinieren oder regulieren, sondern eine Vielzahl von Peer-Projekten, die sich miteinander abstimmen. Gemeinsam, weil die beteiligten Projekte Commons (Gemeingüter) sind, die allen offenstehen, sofern sie in der Nähe wohnen, geeignete Beiträge leisten können und wollen und bereit sind, die Spielregeln zu akzeptieren, die die Projektbeteiligten sich gegeben haben. (Und die man mit ihnen zusammen dann auch weiterentwickeln kann.) Und weil die verwendeten Ressourcen – Naturgüter und Wissen – Commons sind, nicht exklusives Eigentum Einzelner.
Im Kapitalismus versucht jede Firma, zur Steigerung ihres Gewinns immer mehr Produkte zu verkaufen, solange sie dafür einen akzeptablen Preis erzielen kann. In der Peercommony sind die verschiedenen Produzenten zwar nicht gezwungen, sich miteinander abzusprechen, aber es liegt nahe. Über die Bedürfnisse hinaus zu produzieren wäre einfach Zeitverschwendung. Die häufige Befürchtung, eine geldlose Wirtschaft könne nicht funktionieren, weil sich jede_r soviel nehmen würde, dass nichts für andere übrig bliebe, ist daher unbegründet. Güter werden nicht erst produziert und dann „nach Belieben“ verteilt, sondern ohne konkreten Bedarf wird erst gar nicht produziert.
Aber woher weiß ich, wo und auf welche Weise ich mich einbringen kann? Das hängt wiederum von Bedürfnissen ab – von meinen eigenen und denen der anderen, von konsumtiven ebenso wie von produktiven. Vielleicht ist das Gemüse, das ich bekomme, oft schon schal oder es gibt nicht genug Marmelade. Vielleicht ist die nächste Gesundheitsstation zu weit entfernt oder es fehlt an mobilen Pflegekräften, die sich um alte und kranke Menschen kümmern. Vielleicht vermisse ich Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Oder mich nervt, dass die Kommunikationssoftware nicht genug kann und gelegentlich abstürzt. Jedes Manko ist ein Hinweis darauf, was es zu tun gibt. Je mehr Menschen solch ein Hinweis auffällt und je ernster sie ihn nehmen, desto eher wird sich jemand der Sache annehmen. Und wenn mir mehrere Dinge gleichermaßen auffallen, werde ich mich im Zweifelsfall dort einbringen, wo ich meine eigenen Stärken und Interessenschwerpunkte sehe. – Und wenn niemand etwas auffällt? Dann ist alles gut.
Die Diskussion in voller Länge auf Englisch ist hier nachzulesen: www.zcommunications.org/znet/zdebatealbsiefkes.htm
Ich bin neulich mal mit dem Aspekt „Peercommony“ durch den Tag gegangen und habe hauptsächlich Themen gefunden, die eine verbindliche, tägliche Präsenz verlangen:
Tankstelle; Notfall mit Krankenwagen-Einsatz; Kindertagesstätte; Schule; Nahverkehrszug; Lebensmittelgeschäft; Druckerpatronen-Kauf; Internet-Verbindung und einiges weitere.
Nichts davon schien mir geeignet für ein „„Peercommony“-Projekt, bei dem erst mal geschaut wird, wer sich, neben seinen sonstigen Projekten, dafür interessieren mag, mitzumachen, der auch noch die nötigen passenden Qualifikationen mitbringt, wo auch noch die Zeitschiene passt und so weiter, und wo dann erst mal geklärt werden muss, ob auch die Vorbedingungen (Vorprodukte, Räumlichkeiten) erfüllbar sind, wofür weitere Personen sich bereit erklären müssten.
Also ein Konzept wie die „Peercommony“, das auf die meisten Tätigkeiten und Produktionsbereiche gar nicht sinnvoll anwendbar ist, sollte daher m.E. auch nicht als Grundlage einer neuen Ökonomie vorgestellt werden.
@Mattis:
Wieso meinst du, dass „unbezahlt = unverbindlich“? Das entspricht nicht meiner Erfahrung. In Deutschland ist die Feuerwehr z.B. großteils als freiwillige organisiert, und natürlich kommen auch da die Ehrenamtlichen, wenn sie gerufen werden, statt sich spontan nach Lust und Laune zu entscheiden. Das gleiche gilt im Amateursport, wo Spieler und andere Spielbeteiligte meist nicht bezahlt werden (im deutschen Fußball kriegen die Schiedsrichter selbst im Profibereich nur ein Taschengeld), aber selbstverständlich verbindlich teilnehmen – anders wäre eine Mannschaft ja auch nicht aufzustellen und Spiele nicht zu organisieren. Oder im Freundeskreis: wenn man mal zugesagt hat, zu einer Feier/Party irgendwas Bestimmtes beizusteuern, dann macht man das doch auch. Oder in der Wissenschaft: die wenigsten Konferenzen zahlen denen, die dort vortragen, Honorare, aber wer ausgewählt wurde, einen Vortrag halten zu dürfen, hält den in aller Regel auch. Auch die komplett selbstorganisierten Events, ob Festivals wie OPENiT oder die diversen Seminare bei Uli Frank in Hiddinghausen, haben meiner Erfahrung nach ganz ausgezeichnet funktioniert.
Wenn du nun sagst, „aber kein Mensch würde sich doch freiwillig dazu bereit erklären, Tag für Tag in einen Laden zu dackeln, um dort Druckerpatronen zu verkaufen“ [gibt’s sowas heute überhaupt noch, werden die nicht inzwischen alle per Internet verkauft?] dann hast du sicher recht. Das bedeutet aber erstmal nur, dass das dann eben anders organisiert werden muss. Wikipedia vs. Brockhaus hat’s vorgemacht – für den Brockhaus hat ja auch niemand freiwillig und unbezahlt geschrieben.
Das ist keine Antwort auf meine Frage nach den ganz normalen täglich benötigten Leistungen – es sei denn man lässt als Antwort die übliche Formel gelten, „dass das eben anders organisiert werden muss“. Irgendwann wüsste ich von der Peercommony dann schon mal gerne, wie denn.
Oder versteht sich Peercommony nur als ehrenamtliche Ergänzung zu Parecon?
@Mattis:
Zur Möglichkeit freiwilliger Tätigkeiten hat dir Christian geantwortet. Da wurde also keineswegs ausgewichen. Mindestens die Hälfte aller Arbeiten wird heute schon freiwillig verrichtet und nicht direkt bezahlt. In einer geldbasierten Ökonomie ist dies ein Indiz für das Versagen des Systems, aber auch ein Missstand für die „Freiwilligen“, weil sie ja doch für viele Güter ihres Bedarfs immer noch zahlen müssen.
Einige der von dir genannten Leistungen werden komplett wegfallen, da sie in einer Peerökonomie überflüssig bzw. (wie auch heute schon) schädlich sind. Läden werden zu Magazinen, wo benötigte Güter mitgenommen werden können. Man spart sich die Unmengen vergeudeter Arbeit, die der Kapitalismus durch den Eigentumszwang erfordert: Verkauf, Geldtransaktion, Geldverwaltung, Buchhaltung, Marketing.
Für Kindertagesstätten z. B. wird es wegen der Fünf-Stunden-Woche im Commonismus gar keinen Bedarf mehr geben. Der Wegfall des kapitalistischen Wirtschaftens wird mindestens 50% aller Arbeit obsolet machen. Diese massive Reduzierung der Arbeitszeit wird weitere Arbeiten größtenteils wegfallen lassen wie eben Kinderbetreuung und wegen nicht vorhandenen Pendelbedarfs auch die Bereitstellung von Verkehrsmitteln und damit verbundener Leistungen (Autos, Tankstellen, Züge, Stahlproduktion, Rohstoffextraktion usw.). Durch die Dezentralisierung der Energieversorgung werden die Konsumenten selbst zu Produzenten und damit unabhängiger von zentralen Verteilstellen. Man lädt dann eben das Elektroauto, das gemäß dem Peergedanken für Fahrgemeinschaften genutzt wird, mit dem Strom aus den Solarzellen vom eigenen Dach.
Auch so ein Riesenbetrieb wie die Post ließe sich durch P2P-Techniken über Nacht abschaffen. Der Briefversand wird nach Etablierung von PGP und eines Web of Trust (wieder P2P!) komplett eingestellt. Pakete nehmen die Leute, die Strecken sowieso zurücklegen, an Paketstationen entgegen und befördern sie. Organisiert wird das ganze nach dem Vorbild eines elektronischen paketbasierten Netzes wie des Internets. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Beförderungszeit deutlich ab- und die Beförderungskapazität deutlich zunähme.
Nein, libertär, das überzeugt mich nicht. Kinderbetreuung in Gruppen hat noch andere Gründe als nur die Kinder tagsüber unterzubringen. In den Güter-Magazinen muss Logistik passieren, und nur bei unbegrenztem Konsumbudget wären keine Buchungen nötig (was ich für eine Illusion halte, ebenso wie die 50% Arbeitszeitreduktion). Verkehrsmittel dürften eher nicht einsparbar sein – denn erhöhte Freizeit heißt auch mehr Reisen. Erhöhte Freizeit heißt auch: mehr Bedarf an Heimwerkerartikeln, Sportausrüstung und und und. Und das mit der Päckchenbeförderung halte ich, pardon, für Wunschdenken. Ausdenken kann man sich ja viel; aber eine funktionierende Ökonomie ohne Reibungsverluste benötigt eine zuverlässige Logistik. Und selbst im Falle einer verringerten Produktion möchte ich schon auf Verbindlichkeit bestehen, und nicht Engpässe hinnehmen, die entstehen, weil Leute sich mal gerne in anderen, spannenderen Projekten engagieren.
@Mattis: also eine etwas konkretere Ausmalung wie ich mir eine peer-produzierende Gesellschaft vorstellen könnte, findest du hier. Viel Automatisierung, viel gemeinschaftliche Selbstorganisation (DIWO: do it with others), dezentrale Strukturen, viel freiwilliges Engagement, wie es schon heute unzählige Projekte trägt. Nur dass dieses Engagement dann viel einfacher wäre, weil man es nicht mühsam neben einem „Brotjob“ einschieben müsste — den gäb’s dann nicht mehr.
Klar ist da vieles spekulativ (auch wenn die beschriebenen Techniken alle schon funktionieren), vieles kann und wird anders kommen. Aber sich die postkapitalistische Arbeitswelt als im Wesentlichen wie die kapitalistische vorzustellen, mit Leuten, die tagein tagaus ihre Zeit am Arbeitsplatz absitzen aus Angst, sonst ihren Lebensunterhalt zu verlieren, halte ich tatsächlich für einen schweren Fehler.
„Aber sich die postkapitalistische Arbeitswelt als im Wesentlichen wie
die kapitalistische vorzustellen, mit Leuten, die tagein tagaus ihre
Zeit am Arbeitsplatz absitzen aus Angst, sonst ihren Lebensunterhalt zu
verlieren …“
„Absitzen“ ist eine eher arrogante Formulierung, was jedenfalls mein Sprachempfinden anbetrifft. Angst, nur weil sie um ihre Existenz bangen, na sowas. Hier scheint ja die neoliberale Risikobereitschafts-Ideologie in die Alternativszene reingerutscht zu sein. Es gibt schon genug Leute, die es inzwischen bitter bereuen, so getan zu haben, als könnten sie den Kapitalismus jobmäßig austricksen. Umgekehrt bedeutet ein Bleiben im gleichen Betrieb durchaus nicht automatisch, dass man immer dasselbe macht.
Mal abgesehen davon bedeutet eine verlässliche Arbeitseinteilung in einer nach-kapitalistsichen Ökonomie ja wirklich nicht, dass jeder bei ein und derselben Tätigkeit bleiben muss. Aber es braucht immerhin auch Zeit, um jemanden zu qualifizieren, und das nur für ein oder zwei Projekte, wäre nicht gerade sinnvoll. Auch der, der andere qualifiziert, muss einen fundierten Erfahrungsschatz haben. Für viele Bereiche gilt, dass die langjährige Berufserfahrung sehr wichtig ist, um sichere Entscheidungen zu treffen. Im Gesundheitswesen z.B., aber auch bei Bauingenieuren etc. Ich möchte mein Kind z.B. nicht in eine Kindertagesstätte bringen, in der übereifrige Hobbypsychologen ihre Spielwiese entdeckt haben.
@Mattis:
Aber bist es nicht du, der zumindest implizit auf die Angst vor dem Jobverlust und dem damit verbundenen Wegbrechen des Einkommens abzielt? Andernfalls kann ich jedenfalls nicht nachvollziehen, wie du zu dem Schluss kommst, jemand der bei der Wikipedia mitmacht (unbezahlt) wäre generell weniger „verlässlich“ als jemand der beim Brockhaus angestellt ist. Meiner Erfahrung nach ist das auch nicht der Fall, die von dir behauptete Unzuverlässigkeit der Peer-Produzent/innen also ein Mythos.
„Verlässliche Arbeitseinteilung“ heißt für mich die Sicherstellung, dass die notwendigen Funktionen alle entsprechend besetzt sind, natürlich auch mit der passenden Qualifikation. Wenn jemand so einen Job hat, wo ist dann dort noch das projekthafte, außer er macht in seiner Freizeit noch bei Wikipedia oder so mit. Oder werden eingelieferte Patienten eines Krankenhauses als „Projekte“ am schwarze Brett notiert, und dann schaut man mal, wer Lust und Zeit hat, sich mit ihnen zu befassen. Sicher nicht. Die meisten Tätigkeiten, die mir im Alltag begegnen und auf die ich mich gerne verlassen möchte, sind eher solcher Natur als dass sie unter die Kategorie „neues Projekt“ fallen würden. Von einem Wikipedia-Eintrag hängt außerdem doch nichts ab, der kann auch in zwei Wochen geschrieben werden oder gar nicht.
@Mattis:
Das kann der Kapitalismus erstmal genauso wenig sicherstellen wie die Peer-Produktion oder irgendeine andere nichttotalitäre Produktionsweise. Auch im Kapitalismus kann das Krankenhaus ja erstmal nur Stellen ausschreiben und dann hoffen, dass sich jemand Qualifiziertes darauf bewirbt. So ähnlich würde ich mir die Hinweise „hier gibt’s was zu tun“ bei der Peer-Produktion auch vorstellen. Der Unterschied wäre nur, dass man das nicht macht, um Geld zu verdienen, sondern weil man es für richtig und wichtig hält oder weil man sich dazu „berufen“ fühlt.
Der Unterschied zwischen Peer-Produktion und Kapitalismus ist nicht, dass alle alle jeden Morgen aufwachen und sich fragen „und worauf habe ich heute Lust?“ Manchmal wird das so sein, aber meistens wird man schon wissen, wozu man sich gemeldet hat und womit man „dran“ ist. Jedes Freie-Software-Projekt hat einen harten Kern von Leuten, die regelmäßig und intensiv daran mitarbeiten, und bei Peer-Krankenhäusern dürfte das ganz ähnlich sein. Vielleicht mit dem Unterschied, das da ein größerer Teil der Ärzt_innen und Pfleger_innen im Status einer Art „Rufbereitschaft“ verbliebe, also nur auf Zuruf (auch ein Hinweis: heute gibt’s viel zu tun) in Krankenhaus käme, ähnlich der freiwilligen Feuerwehr. Und sich ansonsten anderen schönen Dingen widmen oder auf der faulen Haut liegen könnte.
Das stimmt, aber auch wie Wikipedia wäre innerhalb von Stunden tot, wenn es nicht genug Leute gäbe, die sich rund um die Uhr um das Wegputzen von Spam und Vandalismus kümmern würden.