Jenseits der Do-ocracy?
Stefan und ich argumentieren ja immer wieder, dass für eine Post-Arbeits-Gesellschaft Do-ocracy ein Grundsatz ist, also dass Re/Produzentinnen entscheiden wie sie ihr Produktionsmittel nutzen und ihre Güter und Dienstleistungen verteilen wollen. Nun gibt es immer wieder Kritik an dem Ansatz und ich möchte mal eine mögliche Erweiterung vorstellen und würde sehr gerne eure Meinung hören, weil es vielleicht ne größere Veränderung wäre. Ein Ausschnitt aus dem kommenden Utopiebuch:
Die Macht des Wortes und die Macht der Hände
[…] Commonistische Planung vergemeinschaftet Produktionsmittel und Güter nicht bei den einzelnen Betrieben, aber doch liegt der Schwerpunkt der Entscheidungsmacht bei den assoziierten Re/Produzentinnen im Allgemeinen. Der Commonismus schafft so eine Hierarchie zwischen Re/Produzentinnen und Nicht-Re/Produzentinnen. Oder um das ganze feministisch zuzuspitzen: Die Care-Commonerin, die im interpersonalen Nahbeziehungen – in Arbeitsgesellschaften ‚im Privatem‘ – Alte, Bekannte und Kinder pflegt hat nichts zu sagen. Und auch die Rentnerinnen können nur beten, dass ihre Bitte nach Rollstühlen ernst genommen wird. Anarchistinnen und Kommunistinnen betonten diese ‚Diktatur des Proletariats‘ immer wieder positiv: „Die Arbeiterräte sind die politischen Organe der Diktatur des Proletariats. Durch die Art und Weise, wie sie gewählt werden, bleibt die Bourgeoisie von ihnen völlig ausgeschlossen“ (Pannekoek 1933). Aber zum einen haben sie Reproduktionsarbeit noch nicht allzu ernst genommen und dachten bei der ‚Herrschaft der Arbeiter‘ an den Ausschluss der Kapitalistinnen nicht der Rentnerinnen. Aber tendiert nicht eine Do-ocracy ebenfalls zur Diktatur des Proletariats?
Der Einwand ist keineswegs von der Hand zu weisen, wir haben ihn weiter unten bei den Diskussionsfragen nochmal aufgenommen und er ist auch gewichtiges Argument für eine Stärkung von Institutionen der Allgemeinheit. Do-ocracy rückt – traditionell gesprochen – die ‚Arbeiterselbstverwaltung‘ in das Zentrum der Planung. Traditionell war diese aber eben tatsächlich Selbstverwaltung der Menschen, die arbeiten mussten um sich zu erhalten, die Arbeiterinnen führten ihren eigenen Betrieb und musste ihre Produkte dann auf dem Markt loswerden. „Wir besetzen eine Fabrik, und dann? Die Produkte, die wir da herstellen, wenn wir weiter arbeiten, müssen wir doch irgendwie verkaufen, den Kräften der Marktwirtschaft müssen wir uns doch beugen“ (Holloway 2010: 57). Wurde die Gesellschaft durch Staat statt Markt koordiniert, herrschte noch immer der Tauschwert. Stiftete nicht mehr der (Tausch-)Wert die Vermittlung zwischen den Betrieben, sondern direkt der Gebrauchswert, dann ist die Arbeiterselbstverwaltung eine ganz andere, die Arbeiterinnen sind Produzentinnen, die nur noch aufgrund des Gebrauchswerts überhaupt tätig werden. Und doch schafft dies ein Schwergewicht bei den transpersonalen Produzentinnen, bei jene die Güter und Dienstleistungen nicht in Nahbeziehungen, sondern für allgemeine Andere herstellen, der scheinbar überwundene Trennung zwischen Reproduktion und Produktion klafft wieder auf.
Do-ocracy schafft die Macht der Hände, doch was ist mit jenen Händen, die zu jung oder alt sind zu schaffen – und mit jenen die man kaum öffentlich wahrnimmt. Diese haben nur die Macht der Worte, um sich Gehör zu verschaffen. Ihre Bedürfnisse scheinen sicherer vertreten durch Verbände und Institutionen, die auf eine gerechte Planung achten, als durch die assoziierten Produzentinnen. Bei der bisherigen Diskussion freier Kooperation wurden sicher einige Augenbrauen krausgezogen: Wo geschieht die politische Willensbildung und -äußerung? Was ist mit den politischen Verbänden und ihren Institutionen? Sie hatten schon ihren Auftritt als Umweltbewegung, aber nur weil Politik und Ökonomie nicht mehr getrennt sind, muss doch die Politik nicht nur in der Ökonomie situiert sein. Rentnerinnen können politische Verbände einrichten, genauso jene denen an der Ausdehnung von Wildnisreservaten gelegen ist oder Bewohnerinnen, die Standards für Wohnungen erarbeiten wollen. Die vielfältigen und weitreichenden Fragen gesellschaftlicher Planung müssen und sollten doch nicht nur in den Planungsabteilungen der Commons und ihrer Verbünde diskutiert werden. Dies müsste notwendig den Diskurs kürzen, beschränken, verstümmeln. Der Macht der Hände gilt es die vielfältige Macht der Worte beizustellen.
Nicht parallel gilt es diese beiden Strukturen zu denken, sondern miteinander vielfach verknüpft und bezogen. /Da mag es eine Institution in Frankreich geben, welche Standards für Wohnungen erarbeitet, in ihr finden sich Vertreterinnen des großen Verbandes von Bewohnerinnen Südfrankreichs ebenso wie Vertreterinnen der größeren Bauverbünden. Zivile und re/produktive Macht trifft sich und tauscht sich aus. Dort existiert der zivil-produktive ‚Bund des würdigen Alterns‘, in welchem Altenheim-Commons ebenso vertreten sind, wie Rollstuhlproduzentinnen, Apothekerinnen und einige große Verbände von Rentnerinnen. Mitglieder dieses und vieler anderer Verbände finden sich nun wieder in Meta-Commons, welche darauf achten, dass die Re/Produktion ausreichend verschiedene Bedürfnisse einbezieht – oder in den Planungsabteilungen verschiedener Commons(-verbünde), commonistische Aufsichtsräte wenn man so will. Und hier vor unserer Haustür findet sich die beliebte ‚Barbara-Peters-Institution zur Förderung der Kultur‘, sie betreiben vielerlei Musikschule, aber mischt sich auch regelmäßig ein, um den Instrumentenbau zu fördern. Gerade letztes Jahr starteten sie mit dem Info-Commons ‚Post-anarchist Data Collective‘ eine ansehnliche Kampagne, in der sie zeigten wie einige große Holzverbünde stillschweigend den Ausbau von Holzhäuser der Produktion von Musikinstrumenten vorzogen. Das brachte diese in arge Erklärungsnöte./ Schon im Kapitalismus ist die Frage des Instrumentenbaus polit-ökonomisch, doch ist die Ökonomie nicht mehr einer eigenen Logik untergeordnet, so ist nicht mehr zu sagen ob Instrumentenbau nun eine politische oder ökonomische Frage ist. Und ebenso werden sich ökonomische, politische, wie polit-ökonomische Akteurinnen darauf beziehen. Commonistische Planung erwächst so aus einer Vielzahl von Diskussions- und Entscheidungsprozessen in und jenseits der Betriebe. Zivile, reproduktive und produktive Macht verknüpfen und verschachteln sich vielfach, so dass nicht nur das ‚Proletariat‘ die Re/Produktion dirigiert. Verbund und Verband, Hand und Wort, Ökonomie und Politik bilden die Assoziation einer sich selbst organisierenden Menschheit. […]
Diktatur des Proletariats?
[…] Karsten: Oben hat der Text schon die Hierarchie zwischen Re/Produzentinnen und Nicht-Re/Produzentinnen angesprochen. Und sicherlich kann es nicht darum gehen, dass Menschen in Haus und Hof auf die Beziehung zu Menschen in der transpersonalen Re/Produktion setzen müssen. Also, dass die Rentnerin, Kinder oder der häuslichen Caretätigen auf ihre Mitbewohnerinnen, Nachbarinnen oder Freundinnen hoffen müssen. Die Inklusion und Beziehungen sind real da, aber sollten nicht die Grundlage der Inklusion darstellen. Sonst heißts: Die private ‚Hausfrau‘ darf hoffen, dass ihr ‚Arbeitermann‘ ihre Bedürfnisse vertritt. Solch eine Abhängigkeit von interpersonalen Nahbeziehungen klingt für mich eher nach Rückfall in vormoderne Gewalt. Nein, meine Bedürfnisse sollten schon unabhängig von meinen direkten Beziehungen – eben transpersonal – einbezogen werden. Und da passen die zivil-produktiven Verbände für Rentnerinnen, Kinder und andere Produktionsferne besser, in denen Menschen ihre Bedürfnisse sammeln, kommunizieren und verteidigen. Aber das Grundproblem bleibt: Ihr Druck ist moralisch, der Druck der re/produktiven Partnerinnen materiell. Die einen beschweren sich, die anderen gefährden die Produktion. „Alle Räder stehen still, wenn nur dein starker Arm es will“ gilt halt nicht für alle.
Lisa: Oben hat der Text auf die enge Verknüpfung von ‚politischen‘ Verbänden und ‚ökonomischen‘ Verbünden hingewiesen. Die politischen Verbände tragen nicht (nur) ihre Wünsche von außerhalb der Re/Produktion heran, sondern Verbund und Verband durchdringen sich. Stahlproduzentinnen sind Teil des Rentnerinnen- und Wildnisverbandes, und die Verbände werden eingeladen in den Verbünden mitzuentscheiden. Aber ich glaube hier gilt es noch einen Punkt zu machen: Manchmal erreicht man an Stellen an das Ende eines ‚Commonismus der Egoistinnen‘. Viele Dynamiken der Inklusion können auch auf Basis des Homo oeconomicus, mit überzeugten Egoistinnen, erklärt werden. Die Inklusionslogik bringt die Egoistinnen dazu andere einzubeziehen, auch wenn die Inklusion ihnen gar keine oder nur eine sehr abstrakte Befriedigung beschert, sie können quasi gar nicht anders. Aber wir tun damit den Menschen oder zumindest den meisten unrecht an, wenn wir sie zu getrennte Egoistinnen stempeln. Viele Menschen sind betroffen, wenn ihnen unbekannte Rentnerinnen und Kinder leiden, und noch deutlicher, wenn sie mit ihnen eine Vorsorgegesellschaft bilden. Und umgekehrt verschafft es Menschen Befriedigung eine gemeinsame Vorsorge herzustellen, in der auch deren Bedürfnisse einbezogen, mitdiskutiert und damit aufgehoben sind, dass bedeutet wiederum nicht, dass sie alle befriedigt werden, aber eben als gleichwertig einbezogen. Auch diese Dynamik könnte man versuchen getrennt-egoistisch zu argumentieren: Ich oder Bekannte haben Kinder und ich könnte auch Rentnerin werden, und deshalb sorge ich indem ich für andere sorge eigentlich wiederum nur für mich und die interpersonal ‚Meinigen‘. Oder nochmal abstrakter: Individuelle Vorsorge geht nur gesellschaftlich, darum ist die gesellschaftliche Vorsorge auch die individuelle. Ist die Gesellschaft so organisiert, dass Menschen hinausfallen, kann dies auch mich oder mir nahe treffen. Der Einbezug der anderen, ist auch der individuelle; die individuelle Inklusion realisiert sich als gesellschaftliche Inklusion. Auch dieses Argument mag stimmen, aber darin steckt mehr. Menschen existieren durch ihre Beziehungen, keineswegs sind sie Eins mit den anderen, aber deren Bedürfnisse sind auch Teil von uns, es schmerzt sie leiden zu sehen. In einer Exklusionsgesellschaft ist dieser Schmerz vielleicht geringer, Menschen haben sich mit ihm abgefunden, viele haben ihn weit verdrängt und mit Familie, Nation oder ‚westliche Kultur‘ harte Grenzen gezogen. Aber in einer Gesellschaft wo wir von Kindesbeinen lernen unsere Bedürfnisse zu äußern, einzubringen und mit denen anderer zu vermitteln, fühlen wir unsere Bezogenheit stärker. Der Schmerz ist hier größer.
Karsten: Uiui, jetzt kommst du ja richtig ins Predigen. Das klingt ja schon nach dem so abgestrittenen guten Menschenbild. Aber – bevor du dich verteidigst – ich verstehe schon was du meinst. Wir sind nicht einfach isolierte Arschlöcher, die sich um niemanden scheren. Und eine sichere Vorsorge für alle, schafft auch für mich Sicherheit. Ich kann mir trotzdem vorstellen, dass wir mehr als Do-ocracy brauchen.
Auf jeden Fall hast du hier mal ganz gut die Gedanken zu diesem Punkt zusammengefasst. Eine größere Veränderung an der Konzeption der Utopie ist es glaube ich nicht, aber vielleicht am Nachdenken über diese (eben weniger von einem Homo Oeconomicus aus). Nur ein Punkt ist mir aufgefallen: Im Commonismus ergibt es doch keinen Sinn, von „Rentnerinnen“ zu sprechen, oder? Es gibt ja keine Rente, wenn es kein Geld gibt und die Güter eh allen zur Verfügung stehen.
Der erste Gedanke, der mir kam, als ich das neue Machtgefälle zwischen Produzieren-Könnenden und Nicht-Produzieren-Könnenden las, war als Lösung der Familie als verteilende Instanz.
Als ich weiterlas, wurde das immer unheimlicher, mit einer Rentnerinnen-Pressure-Group, so dass die Greisen auch etwas abbekommen.
Welche Personengruppen sollen dann bitte politische Vereine, denn das sind diese Pressure-Groups dann, bilden? In wie vielen benachteiligten Gruppen darf ich sein und mich in den Pressure-Groups betätigen?
Nee, nee, das führt zu einer Willkürverteilung, die mit moralischen Maßstäben begründet wird.
Rentner und Kinder gehören zu Familien, wie alle die Carearbeit leisten oder nicht mehr arbeiten können.
Lasst bitte die Familien und Bekannten entscheiden, was jemand abbekommt, nicht unpersönliche Benachteiligten-Verbände!
Erstereres ist geschichlich und auch heute noch, wenn auch nicht im deutschsprachigen Raum, halbwegs bewährt.
Letzteres ist eine Dystopie, wenn man es weiterdenkt.
@Tobias: Erklär mal Kindern, die von ihren Eltern geschlagen werden, queeren Jugendlichen die von ihrer Familie rausgeschmissen werden oder Frauen, die Gewalt und Unterdrückung von ihren Ehemännern erfahren, die Familie habe sich „halbwegs bewährt“. Eine freie Gesellschaft bedeutet notwendigerweise die Auflösung der familiären Zwangsgemeinschaft. Das bedeutet natürlich nicht, dass Leute, für die das funktioniert, nicht auch in Familien leben können. Aber es sollte immer auch eine andere Möglichkeit geben. Und da scheint mir die Transpersonalisierung von Abhängigkeitsverhältnissen schon als eine gute Lösung, weil sie eben diese Abhängigkeiten aufweicht. Die von Simon hier vorgeschlagenen Verbände sind im Prinzip nichts anderes als Strukturen, die Bedürfnisse aggregieren und formulieren. Ich weiß nicht warum das mehr zu „moralischen Maßstäben“ und „Willkürverteilungen“ führen soll als Familienstrukturen.
@Jojo:Ich bin doch etwas schockiert. Du/Ihr willst/wollt also den „familiären Zwangsverband“ abschaffen. Das erkläre doch mal meiner pakistanischen Nachbarin! Deine Argumentation mit Einzelfällen ist übrigens in anderen politischen Kreisen üblich: „Das erkläre doch mal der Frau, die von Arabern im Schwimmbad vergewaltigt wurde!“ Möglicherweise erkennst Du das Schema. Ich diskutiere jedenfalls nicht weiter auf dieser Ebene. (Eins noch: Dieses Schema gehört zu dem, was ich mit moralisierender Willkür meine)
Hm, ich verstehe Lisas Argumention als „worst case“: Auch unter der fiesen Annahme, dass alle isolierte Egos wären, würde die Inklusionslogik greifen und diese drängen, aus falschen Motiven das Richtige zu tun. Dann sagt Lisa, dass das an Grenzen kommt und spricht von Betroffenheit (von Leid) und Zufriedenheit (über Leistung). — Das klingt mir alles ziemlich unrealistisch, auch wenn ich den Wunsch, den Commonismus ohne vorausgesetztes Menschenbild begründen zu wollen, verstehen kann. Doch steckt darin nicht auch ein vorausgesetztes Menschenbild?? Nämlich des isolierten Einzelnen der bürgerlichen Gesellschaft. Wäre hier nicht noch mehr zu lernen von den von Silke u.a. herausdestillierten Mustern der Verbundenheit? Vielleicht kategorial reinterpretiert. Diese zeigen nämlich aus meiner Sicht, dass es doch auch heute schon so ist, dass wir nicht nur „mitfühlen“, sondern dass sich unser Sein durch das Sein der anderen konstituiert. Das ist eine andere Qualität als das bloße Mitfühlen mit dem von mir ansonsten getrennten Menschen. Wenn diese genuine Verbundenheit begriffen wird, dann erscheinen auch die Senior*innen oder andere „Machtlose“ nicht als von uns getrennt, die per Empathie einbezogen werden müssten, sondern sie sind schon immer da und Teil von unserem Sein und vice versa.
@Stefan:
„Schon immer da“ ist aber auch dass es Leute gibt, die einem näher sind als andere. Wie aus dieser Nähe keine Bevorzugung werden soll ist schon erklärungsbedürftig.
Heute relativiert der Markt diese ursprüngliche Nähe, weil das Geld überall gleich viel Wert ist (zumindest innerhalb eines Währungsraums). Wir bräuchten schon irgendeine „Kraft“ (mir fällt kein besseres Wort ein), die diese Rolle übernimmt, um nicht tribalistisch zu werden. Die Commons sind diese Kraft nicht.
@Benni: Ich stimme dir zu, finde aber Bevorzugung aus Nähe nicht problematisch. Als ausgleichende Kraft (finde das Wort ganz gut) sehe ich die Inklusionsnahelegungen (also schon die Commons). Sie können die interpersonalen Nähebevorzugungen eher strukturell überschreiten, wobei „strukturell“ materiell, symbolisch und/oder sozial bedeuten kann, also ein re/produktives, tendenziell transpersonales Beziehungsnetzwerk, das nicht auf Bevorzugungen basiert.
Ich wollte mit dem obigen Beitrag den Blick darauf richten, wovon wir ausgehen, wenn wir über die commonistische Gesellschaft nachdenken: von der Situation der über den anonymen Marktmechanismus zusammengebundenen getrennten Einzelnen (betrifft eher die Transformation) oder von einer Situation der vernetzt-verbundener Menschen unterschiedlicher interpersonaler Bevorzugung. Simons Text lese ich so, dass er eher von isolierten Individuen ausgeht.
@Simon: Ein Beispiel aus dem Text:
Hände oder Worte, das scheint mir verkürzt zu sein. Wenn, dann stehen die „Hände“ für alle Formen materieller, symbolischer und sozialer Schaffung von Lebensbedingungen, an denen auch ältere Menschen teilhaben (ich nehme nur mal diese Gruppe). Und zweitens haben sie nicht nur die Macht der Worte, sondern die Macht der Beziehungen, die sie – eben gerade weil älter – schon viel intensiver aufgebaut haben. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Einzelne aufgrund besonderer Umstände entgegen der inkludieren Logik herausfallen können. Doch es ist nicht der Normalfall, der etwa dazu führt, dass ganze Gruppen aus der gesellschaftlichen Vorsorge herausfallen und sich dann politisch-partialinteressenmäßig organisieren müssen, um mit ihren Bedürfnissen noch vorzukommen. Das scheint mit eher unsere Verhältnisse gedanklich zu reproduzieren, als von commonistischen auszugehen. Mal abgesehen von der generellen Problematik solcher Auspinselungen.
Für mich klingt das auch noch zu starr und an der heutigen Rollenverteilung orientiert. Ich gehe davon aus, dass in einer Gesellschaft ohne Tausch Menschen nicht nur nicht arbeiten, weil sie das nicht (mehr) können, sondern auch weil sie gerade mal nicht wollen oder etwas anderes tun möchten. Außerdem denke ich nicht, dass es weiter so eine strikte Trennung zwischen Produzierenden und Reproduzierenden gibt. Ohne 40 Stundenwoche gibt es doch viel mehr Menschen, die jeden Tag selbstverständlich beiden Tätigkeiten nachgehen. Über die Erfahrung in solchen während des eigenen Lebens selbstverständlich vorkommenden Zeiten ohne „Hände und Worte“ trotzdem versorgt zu werden, müßte ja die Gegenseitige Verantwortung im Bewußtsein verankert sein. Aus welchen Motiven – egoistisch oder altruistisch – finde ich da nicht so entscheidend, das kann man ja eh nicht beeinflussen. Wenn alle erfahren können, dass die Versorgung eben nicht davon abhängt, ob und wieviel ich arbeite, müßte es doch gar nicht mehr darum gehen, ob sich jemand mit Wort oder Tat beteiligen kann. Viel eher wäre mir eine Struktur wichtig, wie genau diejenigen, die gerade nicht sprechen oder produzieren wahrgenommen/erreicht werden. Mir fällt da z.B. ein „Buddy-System“ ein, das ich in meiner pädagogischen Arbeit nutze: Beim Baden im See mit der Gruppe hat jede*r eine Buddy, die auf sie aufpaßt (zusätzlich zu meinen Rettungsschwimmer-Augen, die alle im Blick haben müssen). Wenn was nicht stimmt, kann der Buddy Bescheid sagen. Gesellschaftlich müßte das sicher komplexer sein. Vielleicht mittels zentralen Orten z.B. im Dorf oder Stadtviertel, wo es Menschen mit der Funktion/Arbeit gibt darauf zu achten, dass jede eine Buddy hat und in regelmäßigen Abständen schaut, ob die Leute was brauchen. (etwa so, wie mich in der Quarantäne das Gesundheitsamt jeden Tag anrief, um zu fragen wie es mir geht) Einfach auf ein traditionelles Familiengebilde zu hoffen lehne ich ab und erscheint mir rückwärtsgewandt.
@Tobias: Ich würde Jojo auch zustimmen, dass auf die egalitäre Praxis der Familie zu hoffen nicht gerade überzeugend ist, oder? Man kann sie eh nicht sofort abschaffen oder etwa in der Utopie verbieten, aber ich halte sich nicht für soo toll.
@Stefan: Ich kann deine Argumentation verstehen und du betonst ja die „reale Verbundenheit“ der Menschen, aber ich finde diese Kategorie der Bezogenheit und Verbundenheit halt sehr unscharf. Ich würde eher von getrennten Individuen als worst case aus fragen und dann kommt man ja offensichtlich an Grenzen, aber darauf nur mit realer Bezogenheit durch gemeinsame Herstellung der Lebensbedingungen zu antworten scheint mir zu wenig. Die Macht der Worte sind für mich auch nicht „politisch-partialinteressenmäßig“ sondern Ausdruck der realen Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse. Die „Macht der Beziehungen“ ist nun auch sehr unfair verteilt (regional, altersmäßig, etc.).
@Benni: Was meinst du denn mit „Da es die ja aber immer faktisch geben wird, braucht es vielleicht eher eine Antimacht, die explizit alle, die keine Macht haben ermächtigt?“ – hast du da eine Idee?
man in irgendwelche algorithmen, die bedürfnisse mit fähigkeiten
verknüpfen irgendeine form von „ermächtigungsfilter“ einbauen? so wie
ein grundeinkommen, wenn es geld wäre nur halt in den komplexeren sach-
und signalbezogenen vermittlungssystemen, die uns ja oft so vorschweben.
damit das dann nicht bei erster gelegenheit hintergangen wird müsste dem zu
grunde liegen vermutlich sowas wie ein gesellschaftlicher konsens über
die gleichheit in verschiedenheit. sowas wie menschenrechte nur nicht
als anspruch an den staat sondern als anspruch an alle.
hmm, ja irgendwas in die Richtung wäre schon gut … ich frag mich wie man das genauer fassen könnte …
Danke erstmal für den Diskussionsanstoß! Ich finde besonders Stefans Input zur Verbundenheit, die sich vom Mitgefühl unterscheidet, sehr wertvoll.@Simon: Was ich mich bei eurer/deiner (?) Ausrichtung der Do-ocracy frage ist, wie sie mit Arbeitsteilung bzw. komplexer Kooperation zusammengeht. Wenn ich mir ein Fließband vorstelle, übergebe ich dann mit dem Werkstück zusammen auch die Verantwortung danach darüber zu entscheiden, was damit geschehen soll? Der Betrieb kann natürlich als ein geschlossen agierender Zusammenschluss gedacht werden. Aber wenn dieser Zusammenschluss ein Teilfabrikat herstellt, das nicht direkt für eine Bedürfnisbefriedigung genutzt werden kann: Kann dieser Zusammenschluss das Fabrikat zur Weiterverarbeitung abgeben und trotzdem mitbestimmen, was am Ende damit passieren soll oder geben sie ihre Verantwortung/Entscheidungsmacht vollständig damit ab? Habt ihr dazu schon Ansätze erarbeitet?Und kannst du was dazu sagen, wie das Utopiebuch gerade geschrieben wird? Also, macht ihr die Kapitel zusammen oder stellst du z.B. einen Entwurf vor und er wird dann in der Diskussion angepasst?
Danke für den Kommentar Marcus. Es ist noch nicht genau ausgearbeitet, bis jetzt ist so die Überlegung, wenn die re/produzent*innen wollen (sonst können sie das Produkt auch einfach an ein Verteilungscommons abgeben), dann entscheiden sie darüber an wen sie das zwischenprodukt liefern, und die verarbeiten es dann weiter und entscheiden in Abhängigkeit von den vorproduzent*innen wie sie verteilen, aber theoretisch könnte man das auch stärker Zusammendenken, dass bspw. die vorproduzentinnen und Endproduzentinnen ein gemeinsamen Verbund bilden, wo erst am Ende gemeinsam entschieden wird, wie verteilt wird.
Okay, cool. Im Softwareprojekt stehen wir ja vor einer ähnlichen/derselben Problematik. Unser wesentlicher Gedanke ist, dass wir eine Art copyleft/creative-commons-Lizenz für materielle Güter brauchen und die ProduzentInnen diese Lizenzen eben anpassen können, wie sich CC-Lizenzen eben auch anpassen lassen. Dazu kann so etwas wie „keine kommerzielle Verwendung“ (NC) gehören oder „Weitergabe unter gleichen Bedingungen“ (SA). Oder eben besonders auch Kategorien, die nur bei materiellen Gütern relevant sind. Und vielleicht haben Personen dann in dem Ausmaß des Aufwandes, den sie im Gesamtprozess zur Herstellung des Dinges beigetragen haben, besondere Mitbestimmungsrechte, die zeitlich verfallen können. Was diese Mitbestimmungsrechte dann aber bei einem solchen Commons bedeuten, wäre dann sowieso noch die Frage.Also, ganz generell, ist da sehr vieles noch sehr diffus und wir haben bisher niemanden im Projekt, der:die sich dem annehmen und das mal durchdenken und vielleicht Kategorien ausarbeiten kann. Nur eben diesen Gedanken von Copyleft bei materiellen Dingen. Vielleicht ergibt das ja zu gegebener Zeit auch Sinn, sich als Utopie- und Softwaregruppe gemeinsam hinzuhocken und das zu diskutieren.
NichtverstehenIch verstehe die ganze Diskusion um Do-ocracy bzw. einer möglichen Hierachie zwischen Macht der Worte und Macht der Hände nicht. Begründung: In meiner Utopie macht jede*r irgendwas (Produkt oder Tätigkeit) für die Gemeinschaft. Jede/r kann irgendetwas, denn es gibt ja auch keine Leistungs-und Effizienzkriterien mehr. Einziges Kriterium neben dem Ökofaktor* ist, dass es einem oder vielen anderen Menschen zum Nutzen/Gebrauch sein kann. Von daher gibt es in meiner Utopie auch keine Rentner*innen (altes Eisen, nicht leistungsfähig, Abschiebung in Seniorenheime) und Kinder. Wenn schon Kategorisierung, dann würden die bei mir Alt- und Jungmenschen heißen. Zu Simons Beispiel mit den Rollstühlen. In meiner Utopie ist ein zu deckendes Grundbedürfnis u.a. die Mobilität. Und wenn ein Altmensch nicht mehr laufen kann, ist es gar keine Frage, dass er/sie einen Rollstuhl kriegen muß (!!!); genauso wie ein blinder Mensch bei dem Grundbedürfnis Kommunikation einen entsprechenden Computer/Laptop kriegen muß(!!!), egal wie aufwendig die Produktion ist.*in meiner Utopie ist jede Tätigkeit und jedes Produkt mit einem Ökofaktor „ausgepreist“; d.h. was ist der jeweilige Ressourcenverbrauch für diese Tätigkeit/Produkt. Der Computer rechnet aus, wieviel jeder Mensch pro Jahr/Tag verbrauchen darf, damit die (Um-)Welt erhalten werden kann und jeder Mensch hat quasi wie ein Bankkonto ein Umweltkonto, wo er/sie genau sehen kann, ob er/sie im Plus oder Minus ist.
@Lucki: Fragen zur Organisation/Vermittlung halte ich schon für sehr wichtig. Du sagst, dass ein blinder Mensch einen Laptop kriegen muss und ein mobil-eingeschränkter Mensch einen Rollstuhl bekommen muss. Wenn es solche Ansprüche gibt, dann kann nicht jede:r „irgendwas“ machen, weil zumindest zwei Sachen gemacht werden müssen: einen Rollstuhl und einen Laptop bereitstellen. So wie ich das verstehe dreht sich die Debatte darum, wie die Vermittlung aussehen kann, damit Ansprüche und Tätigkeiten zusammenfinden.
Vorschlag für Utopie und Transformation
Was haltet ihr von dem Vorschlag, dass jede/r diese Fragen beantwortet?
1. Gibt es Grundwerte, die deine Utopie durchziehen? Welche sind das?
2. Gibt es Grundbedürfnisse, deren Befriedigung für alle gesichert ist?
3. Welche sind das und wie ist die Befriedigung gesichert?
4. Gibt es noch Geld in Deiner Utopie?
5. Gibt es noch Eigentum, wenn ja an was und an was nicht?
6. Wie wird produziert, wie verteilt und wie konsumiert?
7. Wer kann wie und wo mitentscheiden, bei was nicht?
8. Gibt es noch einen Staat oder Regierung; falls ja wie unterscheidet sich das zu heute?
9. Was passiert in deiner Utopie mit Arbeiten, die vielleicht keine*r machen will, aber dennoch wichtig sind (z.B. Kanalisation, Müllabfuhr)
10. Bei Bedürfnisgegensätzen/Konflikten, wie werden die gehändelt?
11. Bei Regelverletzung: Wenn ich dich töte oder vergewaltige, was passiert dann in deiner Utopie mit mir?
12. Wie ist das Erziehungs- und Ausbildungssystem strukturiert? Gibt es noch Kitas, Schulen, Universitäten, Master, Bachelor, Geselle*in, Meister*in etc.?
13. Gibt es in deiner Utopie noch Justiz, Polizei und/oder Armee?
14. Gibt es Forschung und wenn ja, an was wird geforscht?
15. Wie ist in deiner Utopie gewährleistet, dass nur nachhaltig produziert und konsumiert wird?
16. Ist dein Utopieentwurf nur lokal, regional, national oder global gedacht?
Und jetzt die m.E. spannendsten Fragen:
17. Wie ist deine Utopie zu realisieren? Welche konkreten Schritte sind notwendig?
18. Was ist deine Einschätzung in Jahren, damit deine Utopie sich realisiert?
19. Denkst Du, dass die Realisierung noch vor den sogenannten Kipppunkten des Klimas möglich ist?
20. Was ist dein persönlicher Beitrag zur Realisierung deiner Utopie?
Der Hintergrund meines Vorschlages ist, dass wir danach – durch das quasi Übereinanderlegen – von 43 Utopien genauer sehen können, wo es Überschneidungen und wo es Differenzen gibt. Meine Hoffnung ist dann, dass wir uns an den Differenzen vielleicht noch annähern können, um dann (das eigentliche Ziel meines Vorschlages) zu einer oder vielleicht 2 ausgepinselten Utopien und einem oder 2 Wegen der Realisierung zu kommen. Die Vereinheitlichung hat natürlich für mich den Sinn, dass wir irgendwann mal unseren akademischen Elfenbeinturm verlassen, um in die breite Öffentlichkeit zu gehen und dann wirklich dahin zu kommen, wo wir alle hinwollen… eine bessere Gesellschaft!