10 Prinzipien des Übergangs
Immer mehr Menschen wollen eine commonsbasierte Wirtschaftsweise, die uns von den Zwängen des Markts befreit. Freie Software, Freie Kultur, Wikipedia, Freie Hardware und und und: Beispiele für erfolgreiche Commons-Projekte gibt es viele, und täglich werden es mehr. Die commonsbasierte Produktionsweise existiert also schon, bildet aber bisher eine kleine Minderheit der gesamten Ökonomie. Unter welchen Umständen kann sie weiter wachsen?
Vor einiger Zeit habe ich eine Idee für den Übergang in eine commonsbasierte Produktionsweise skizziert. Einige Monate – und Diskussionen – später setzt dieser Artikel die Überlegungen zum Übergang fort. Dabei werden 10 „Prinzipien des Übergangs“ vorgestellt, wobei es sich nicht um ein präzises Szenario handelt, sondern eher um Bedingungen, die einen erfolgreichen Übergang wahrscheinlicher machen. Kritik und Ergänzungen sind sehr erwünscht!
P1: Commons-Projekte schließen sich in Netzwerken zusammen. Die Kooperation innerhalb der Netzwerke erfolgt durch Güterpools und durch Stigmergie (Listen mit Bedarfshinweisen).
Die commonsbasierte Peer-Produktion (siehe auch hier) basiert auf freiwilliger Kooperation. Die Herausforderung besteht nun darin, die Kooperation auch zwischen den Projekten reibungslos zu gestalten; ist dies gelungen, ist eine wesentliche Hürde für eine „virushafte“ Ausbreitung der Peer-Ökonomie genommen! Auch der Kapitalismus kennt Kooperation, sie findet aber vor allem innerhalb von Unternehmen statt, die am ehesten den „Projekten“ der Commons-Produktion vergleichbar sind. Commons-Netzwerke bilden eine Möglichkeit, systematische Kooperation auf die gesamte Produktion auszuweiten, ohne sich einer Zentralplanung anzunähern, die sich mit der Commons-Produktion genauso wenig verträgt wie das unsinnige Gegeneinander des Kapitalismus. Der Bedarf wird dabei über Stigmergie (vgl. auch hier) koordiniert.
Netzwerke versorgen Projekte mit Rohmaterialien, mit Geld – wo es noch nicht ohne geht –, vertreten ihre Interessen gegenüber Staat und (Rest-)Kapital, und unterstützen sie in Verwaltungs- und Rechtsfragen. Vor allem aber koordinieren sie den Austausch materieller, nicht frei kopierbarer Produkte zwischen Projekten. Mehr zu dieser Funktion der Peer-Netzwerke steht im bereits erwähnten ersten Artikel zum Übergang.
P2: Projekte priorisieren konsumtive Bedürfnisse in den Netzwerken, an denen sie teilhaben, soweit eine allgemeine Verteilung der Güter noch nicht möglich ist.
Projekte der materiellen Peer-Produktion geben einen Großteil ihrer Produkte an einen Pool ab, der die Nachfrage innerhalb des Netzwerks befriedigt. Das Netzwerk verteilt diese Produkte nicht willkürlich, sondern nach transparenten Verfahren („Product Distribution Procedures“, PDPs), die gemeinsam im rough consensus beschlossen und veröffentlicht werden. Primäres Ziel besteht darin, die konsumtiven Bedürfnisse innerhalb des Netzwerks so weit wie möglich zu erfüllen, und sekundäres Ziel, darüber hinaus so viele Produkte wie möglich an die Allgemeinheit abzugeben. Alle frei teilbaren Produkte (Software, Designs usw.) werden sowieso allgemein zur Verfügung gestellt.
In jedem Projekt tragen die Mitglieder ihren Bedarf in Online-Listen („White lists“) ein. Wenn nicht genügend Produkte da sind, ist die Versorgungsrate kleiner als 100 % und jedes Projekt erhält dann einen Anteil entsprechend der Versorgungsrate. Es wird dann besonderer Wert darauf gelegt, von dem entsprechenden Produkt mehr zu produzieren, um den Bedarf in Zukunft zu decken.
P3: Projekte können an verschiedenen Netzwerken teilnehmen und jederzeit in Netzwerke ein- oder austreten. Sie teilen dann ihre Produktion und Konsumtion in ähnlichem Verhältnis auf die Netzwerke auf.
Manchmal sind Projekte in verschiedenen Netzwerken, etwa weil diese unterschiedlich ausgerichtet sind und unterschiedliche Produkte herstellen. In diesem Fall werden sie versuchen, allen Netzwerken einen Teil ihrer über den Eigenbedarf hinausgehenden Produktion zu geben. Entsprechend teilen sich die Netzwerke dabei auf, die Bedürfnisse des Projekts (Konsumtion der Mitglieder ebenso wie Rohstoffe und „Vitamine“, nicht selbst herstellbare Zubehörteile für die Produktion) zu erfüllen. Langfristig ist es denkbar und wohl am sinnvollsten, dass alle Netzwerke zu einem Weltnetzwerk zusammenwachsen, doch dies kann nicht von Anfang an vorausgesetzt werden, da Netzwerke häufig dezentral aus dem Zusammenschluss einzelner Peer-Projekte entstehen.
Was passiert mit ungedecktem Bedarf? Wenn ein Netzwerk zu viel von einem bestimmten Produkt hat, gibt es einen „Angebotsruf“ („Call offer“) aus, der mit offen gebliebenem Bedarf auf den „White lists“ anderer Netzwerke abgeglichen wird, wo sich nun Projekte mit offenem Bedarf registrieren können. Dies ist nur eine grobe Skizze, wie das Freiwilligenspiel auf eine netzwerkbasierte Koordination angewandt werden kann. Die genauen Verfahren können in Netzwerken auch unterschiedlich gehandhabt werden. Dass sich daraus keine groben Ungerechtigkeiten ergeben, wird dadurch gesichert, dass Projekte frei zwischen Netzwerken wechseln und auch an mehreren teilnehmen können.
Nähert sich dieser Austausch aber nicht bereits einer Zentralplanung an? Keineswegs, denn hier wird die Produktion unmittelbar durch den Bedarf angetrieben, den die Projektmitglieder anmelden. Es gibt keine zentralen Vorgaben; allein die Interessen der Produktion und die Bedürfnisse der Netzwerkmitglieder steuern, was hergestellt wird. Ebenso wenig ist die „Anmeldung“ eines Bedarfs mit Wartezeiten verbunden: Das Verfahren kann ohne Weiteres über ein Online-Bestellsystem laufen, bei dem man seine Produkte bestenfalls genauso schnell zugeschickt bekommt wie heute bei der Internetbestellung (oder sie in einer Verteilstelle abholt).
Andererseits muss auch nichts hergestellt und dann „verwertet“ (in den Markt gepresst) werden, um Arbeitsplätze zu schaffen oder Kapital anzulegen, wie es im Kapitalismus der Fall ist. Waren werden nicht aufgrund von Knappheit teurer, und es gibt keine Preiskonkurrenz zwischen Projekten, was wesentliche Effekte des Markts sind.
P4: Commons-Netzwerke bilden nur eine von zwei Säulen des Übergangs; die andere sind Peer-Communities.
Der erste Artikel dieser Serie konzentrierte sich auf Commons-Netzwerke. Eine weitere Idee wird im Zusammenhang mit dem Übergang diskutiert: örtlich begrenzte „Communities“, die sich immer mehr vom Markt unabhängig machen und einer ‚reinen’ Peer-Produktion annähern. Beschreibungen post-kapitalistischer Gesellschaften in der utopischen Literatur und der Science fiction konzentrierten sich oft auf ortsgebundene Inseln des Neuen, ein Konzept, das ich als „Peer-Communities“ bezeichnen möchte. Solche Communities könnten ein Dorf, eine Stadt oder eine ganze Region umfassen.
Generell benötigen Inseln der commonsbasierten Peer-Ökonomie einen gewissen Schutz gegen die Bedingungen des Markts, weil sie sonst gezwungen sind, sich diesen anzupassen. Das wird bei vielen heutigen Alternativprojekten erkennbar: Diese passen sich mehr und mehr dem Markt an, oder werden zur Aufgabe gezwungen, verlieren also in beiden Fällen ihren keimförmigen Charakter. Sowohl delokalisierte Commons-Netzwerke als auch lokalisierte Communities bilden Inseln im Markt, aber auf verschiedene Weise:
Commons-Netzwerke sind delokalisierte nicht-kapitalistische Inseln in einer Marktwirtschaft, beschränkt primär in ihrer Produktreichweite. „Produktreichweite“ ist dabei ein Maß für die Bandbreite der hergestellten Produkte in Relation zu allen in einer Ökonomie als Standard geltenden Produkten. In der Praxis werden Projektnetzwerke aber meist auch räumliche Begrenzungen haben (weltweite Netzwerke sind wohl nur für hochkomplexe Produkte wie Mikrochips praktisch).
Peer-Communities dagegen sind lokalisierte nicht-kapitalistische Inseln in einer Marktwirtschaft, beschränkt primär in ihrer räumlichen Reichweite. Sie werden auch in den produzierten Produkten beschränkt sein: Die Produktion etwa von Mikrochips macht schlicht keinen Sinn auf einer örtlichen Community-Ebene. Peer-Communities werden jedoch nach weitgehender Unabhängigkeit streben und versuchen, so wenig Produkte wie möglich kaufen zu müssen.
Gelegentlich wurden auch schon ortsgebundene Gemeinschaften mit großräumigen Netzwerken zusammengedacht, etwa in Halbinseln gegen den Strom von Friedrike Habermann oder auch auf sehr futuristische Weise in den Dys-/Utopien Daemon und Freedom(tm) von Daniel Suarez.
P5: Peer-Communities und Commons-Netzwerke kooperieren und priorisieren ihre jeweiligen Bedürfnisse. Auf dieser Makroebene erfolgt die Koordination primär durch Stigmergie (Bedarfs- und Überschusslisten).
Wenn Commons-Netzwerke über den eigenen Bedarf hinaus produzieren, liegt es nahe, damit zunächst die Peer-Communities zu versorgen, und umgekehrt. Peer-Communities werden häufig im Bereich der Lebensmittel und der Rohstoffe besser dastehen als Commons-Netzwerke, während diese wiederum mit sehr aufwendigen und speziellen Gütern (vom bereits erwähnten Mikrochip bis hin zum MRI-Scanner) punkten können. Peer-Communities werden dabei auch lokalisierte Anlaufzentren für die Peer-Ökonomie bereitstellen, etwa Übernachtungshäuser für reisende Peer-Mitglieder und -Administratoren (siehe P7) bis hin zu Anlaufstellen für Interessierte, die an der Peer-Ökonomie teilnehmen wollen, und Tagungshäuser für Kongresse zur Peer-Ökonomie oder für Treffen mit Politikern und NGOs.
P6: Die Commons-Bewegung wird zu einer breiten gesellschaftlichen Bewegung anwachsen, die nicht nur aus den Mitgliedern von Peer-Projekten besteht und unterschiedliche Positionen und Aktionsformen umfasst.
Diese Bewegung könnte in vielen gesellschaftlichen Bereichen spürbar werden: In NGOs werden Arbeitsgruppen gebildet, in Parlamenten Ausschüsse, es wird Kongresse dazu geben, ebenso wie Demos und Aktionen aller Art. Ebenso wie etwa Feminismus, Umweltschutz und Menschenrechte wird „Commons-Förderung“ (“Commons Advancement”) zu einer Idee werden, die breit diskutiert und dabei unterschiedlich ausgelegt wird. Es wird Gegner und Polemik geben, aber nach und nach wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass dies eine wichtige Bewegung des gesellschaftlichen Fortschritts ist.
Viele Menschen denken heute zuerst an politische Probleme, wenn der Übergang zu einer commonsbasierten Ökonomie erwähnt wird. Die ökonomischen Lösungen existierten zwar, wenden sie ein, aber die Macht und Ideologie des Markts seien zu stark, gerade in den wirtschaftlich und politisch tonangebenden Institutionen. Tatsächlich ist die Ideologie des Kapitalismus jedoch vielerorts auf dem Rückzug. Die Fakultäten für Wirtschaftswissenschaften hinken dem Erkenntnisstand noch hinterher, aber spätestens seit dem Nobelpreis für Elinor Ostrom bewegt sich auch dort etwas in den Köpfen.
Das Aufkommen einer neuen Produktionsweise wird nicht reibungslos abgehen, vor allem wenn die Krise des Kapitalismus sich immer weiter verschärft. Es wird dann versucht werden, die Peer-Ökonomie zum Sündenbock für die stets steigende Arbeitslosigkeit und Prekarität abzustempeln, einerseits um sie zurückzudrängen, aber auch um am neoliberalen Dogma festhalten zu können, derzufolge alle Probleme des Kapitalismus nur Marktunvollkommenheiten seien. Dies lässt sich schon jetzt in Ansätzen beobachten, wenn z.B. die prekären Bedingungen von Autor*innen und Wissenschaftler*innen auf Freie Kultur und Open access geschoben werden.
Eine Bewegung, die die eigentliche Produktion in den Peer-Projekten begleitet und in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinwirkt, wird daher dringend nötig sein; sie wird für längere Zeit ebenso wichtig, aber auch umstritten sein wie Arbeiterbewegung, Feminismus, Menschenrechte und Umweltschutz dies waren, bis diese Ziele mehrheitsfähig wurden. Sie wird protestieren und aktivieren, Organisationen und Gesetzgebung beeinflussen, auf Rückschläge oder Gefahren aufmerksam machen, und sich dabei, wie jede Übergangsbewegung, nach und nach selbst abschaffen – was könnte es besseres geben?
P7: Außer den produktionsorientierten Projekten wird es administrative Projekte geben, die sich um Koordination, Kommunikation und Sicherheit der wachsenden Peer-Gesellschaft kümmern, gerade auch in ihrer Interaktion mit der schrumpfenden Marktwirtschaft und staatlichen Stellen.
Peer-Projekte konzentrieren sich heute meist auf die Herstellung bestimmter Güter, sie haben oft nur wenig Zeit und Lust, ihre Interessen in einer marktwirtschaftlich dominierten Umgebung durchzukämpfen. Es wird daher Admin-Projekte (auch Meta-Commons genannt) geben, die sich auf die Aufgaben der Koordinierung in der Peer-Ökonomie spezialisieren, ihre Belange vertreten, Gesetzgeber und Organisationen beraten, die „Peer-Verträglichkeit“ von Vorhaben aller Art bewerten, usw. Leider ist es gut vorstellbar, dass es auch zu Gewalt gegen Peer-Projekte kommt, sei es durch Einzeltäter oder durch gewalttätige Mobs, wie derzeit gegen die Flüchtlinge in Europa; für die Profiteure des Status quo macht es immer Sinn, Menschen gegen Veränderungen aufzustacheln. Daher wird auch die Sicherheit der Peer-Projekte zu den Aufgaben der Admin-Projekte/Meta-Commons gehören.
P8: Es wird ein Interface benötigt, das es der Peer-Ökonomie erlaubt, nach außen mit dem Markt zu interagieren und nach innen gemäß Peer-Prinzipien zu funktionieren.
Projekte der materiellen Peer-Produktion benötigen Geld für verschiedene Zwecke: Sie brauchen Rohmaterialien für die Produktion, müssen unter Umständen Land kaufen oder mieten, usw. In der Peer-Ökonomie selbst wird kein Geld benötigt, oder es wird jedenfalls nicht mehr als „Gatekeeper“ den Zugang zur Produktion beschränken. Doch während des Übergangs werden die Peer-Projekte noch in verschiedener Hinsicht mit dem Markt interagieren müssen. Dies führt zu einer hybriden Wirtschaft des Übergangs, in der Geld noch punktuell benötigt wird.
Dieses von Peer-Produzenten benötigte Geld kann über Spenden (wie derzeit etwa die Wikipedia), Fundraising oder öffentliche Zuschüsse aufgebracht werden. Mittelfristig ist eine politische Lösung für die Interaktion von Commons-Gesellschaft und Markt nötig, etwa durch Gesetze, die einen Prozentsatz aller abgebauten Rohstoffe für die Peer-Ökonomie reservieren, oder (im Gegenzug für die Hilfe bei der Lösung von sozialen und Umweltproblemen) eine Förderung durch Steuergelder festlegen – schließlich werden ja auch die Unternehmen massiv gefördert! Im ersten Artikel zum Übergang werden die Interaktion mit dem Markt und die Geldproblematik genauer untersucht.
P9: Commons-Projekte sollten möglichst wenige Menschen in Vollzeit beschäftigen, da diese sonst von den Projekten abhängig werden.
Wenn Commons-Projekte Menschen in Vollzeit anstellen, besteht die Gefahr, dass sie miteinander in ernsthafte Konkurrenz treten, da diese Menschen für ihren Lebensunterhalt von ihnen abhängig sind (danke an Christian für diesen wichtigen Hinweis!). Das Problem wird z.B. in Solawi-Projekten spürbar, die gelegentlich einige Gärtner*innen in Vollzeit bezahlen. Gründet sich nun ein anderes Solawi-Projekt, besteht die Gefahr, dass einige der Gärtner entlassen werden müssen, und die Konkurrenz zwischen den Projekten wird damit zu einer existentiellen Angelegenheit, ähnlich wie die zwischen Unternehmen in der Marktwirtschaft. Es kann dann zu Konkurrenz zwischen Peer-Projekten kommen, die sich gegenseitig in ihren „Leistungen“ überbieten wollen, was mehr oder minder direkt in eine Kapitalismus-ähnliche Situation zurückführen würde.
P10: Damit die Commons-Produktion wächst, ist es nicht erforderlich, dass die produzierten Güter einfacher zu haben sind als im Kapitalismus, verglichen nach der zum Projekt beigetragenen Zeit oder einem anderen Maß für die Beiträge (etwa der subjektiv bewerteten Anstrengung), sofern andere Vorteile für die Mitglieder dies ausgleichen.
Dies könnten immaterielle Vorteile sein, etwa der Zugang zu einer Community mit ihren zahlreichen Kontakten, sozialen Strukturen, Feiern, Ausflügen usw. Es kann sich aber auch um ganz konkrete „materielle“ Vorteile handeln, etwa dem Zugang zu den Einrichtungen einer Community, die prioritär den Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden (Sportzentren, Gärten, Schulen …). Ich glaube allerdings, dass der ‚immaterielle‘ Vorteil eine wichtige Rolle spielen wird, der darin besteht, seine Fähigkeiten dort einsetzen zu können, wo sie wirklich benötigt werden und wo man spürt, dass sie nicht verschwendet sind!
Im Kapitalismus versuchen viele Menschen (mangels Alternativen), diese Befriedigung aus dem Job zu ziehen; aber Unternehmen sind nur beschränkt als Sinnstifter geeignet. Wie glücklich kann man in einer Gemeinschaft werden, die jederzeit droht, einen herauszuwerfen und damit in eine (potentiell existenzbedrohende) Krise zu stürzen? Mit einem Freundeskreis oder einer Familie, die regelmäßig so agiert, würde wohl kaum jemand etwas zu tun haben wollen!
Dazu kommt der Frust, der sich aus der systemnotwendigen Konkurrenz (zwischen Unternehmen, Arbeitnehmern, Kapitalien) ergibt: Die Ingenieurin, die 90 % ihrer Zeit in Parallelentwicklungen zu anderen Unternehmen stecken muss, obwohl sie die Arbeit der dortigen Entwickler schätzt und gerne auch ihre eigene mit ihnen teilen würde, ist ebenso frustriert wie die Unternehmerin, der es eigentlich um gute Produkte geht, die aber einen großen Teil ihrer Kraft damit verbringen muss, andere Marktteilnehmer durch Werbung und Expansion in Schach zu halten, um nicht verdrängt zu werden. Der begeisterte Einsatz vieler Menschen für Freie Software, Freie Kultur usw. zeigt, wie viel wohler sich Menschen fühlen, wenn die destruktiven und bornierten Seiten der Produktion für den Markt wegfallen.
Die Peer-Ökonomie sollte daher nicht versuchen, in Effizienz mit dem Kapitalismus gleichzuziehen. Allerdings wird das Wegfallen des größten Teils des kapitalistischen Overheads viel Aufwand einsparen, weshalb auch bei geringerer Arbeitszeit und Druck auf die Projektteilnehmer effektiv produziert werden kann, wie die Freie Software gezeigt hat. Effizienz wird aber niemals das Hauptkriterium für Peer-Produktion sein!
Hallo Martin,
danke für deine Überlegungen. Ich möchte ein paar Gedanken dazu äußern.
Zunächst scheint es mir notwendig, auf zwei wesentliche Punkte aufmerksam zu machen.
Ich lese noch nicht lange hier, aber mir ist aufgefallen, dass hier zum Teil zu stark aus der ideologischen Sicht diskutiert wird. Siehe die Diskussion hier:
http://keimform.de/2015/butter-bei-die-fische/
Kaum jemand ist auf meine Darstellung einer möglicherweise stabilen Gesellschaft eingegangen. Dann unterstellt man mir auch noch Verschwörungsideologie.
HHH hat an anderer Stelle auch bemängelt, dass die wissenschaftliche Betrachtung von Gesellschaft manchmal zu kurz kommt. Prof. Sinn hat es mal so ausgedrückt (sinngemäß): Man muss unterscheiden zwischen einer persönlichen Meinung und der Darstellung eines Sachverhaltes.
Der zweite Punkt ist die Machtfrage. Ich stelle fest, dass diese Frage in der Commons-Diskussion gern umgangen wir.
In den meisten Gesellschaften bilden sich hierarchische Strukturen heraus. Die Menschen, die an der Spitze sind, wollen natürlich ihre elitäre Positionen behalten und formen die Gesellschaft so, dass relativ stabile Machtpyramiden entstehen.
http://dergrossezusammenhang.jimdo.com/der-große-zusammenhang/die-pyramidengesellschaft/
Das Gegenmodell zur privaten Ressourcenbewirtschaftung ist die gemeinschaftliche Ressourcenbewirtschaftung. Bei der privaten Ressourcenbewirtschaftung gibt es meistens nur einen Besitzer, Entscheider und Profiteur der Wertschöpfung. Die Entscheidungswege sind kurz und es können lokal hocheffiziente Strukturen (Unternehmen) entstehen, welche viel produzieren und was einen wesentlichen Punkt der Attraktivität ausmacht. Dieses Modell ist aber als ganzes sehr ineffizient (Lebensraumzerstörung, Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch).
Und es gibt immer weniger Profiteure, da sich die Ressourcen (Besitz)
bei immer weniger Menschen ansammeln. Wie beim Spiel Monopoly. Immer mehr Menschen liefern immer mehr Ressourcen als Ertrag auf immer größer werdende Besitztümer an immer weniger Menschen (siehe die untere Abbildung).
http://dergrossezusammenhang.jimdo.com/der-große-zusammenhang/konzentrationsprozesse/
Ein Vorschlag diese Problem zu lösen, ist das zentralistische sozialistische Modell (Planwirtschaft). Es hat lange Hierarchieketten und neue Eliten und Abhängigkeitsstrukturen geschaffen. Es hat lange Entscheidungswege, die es ineffizient gemacht haben.
Bewirtschaftet eine Gruppe von Menschen eine Ressource gemeinsam in Eigenregie sind wir bei den Gemeingütern. Es gibt kurze Entscheidungswege, aber viele Entscheider. Menschen müssen sich absprechen und einen gemeinsamen Konsens finden. Das kann dauern
und ist für viel Menschen eher unbequem. Der Nutzen (Gewinn, Ertrag) kommt allen in der Gruppe zugute. Es kommt nicht zu einer exponentiellen Besitzkonzentration über den wieder angelegten Ertrag auf Besitz.
Gemeingüter sind also das Gegenteil von Privatgütern. Wenn Jemand Linux nutzt, kauft er nicht bei Microsoft. Microsoft macht also weniger Ertrag mit jedem der Linux nutzt, weil der ja als Käufer wegfällt. Microsoft hat also kein Interesse, dass Menschen Linux
nutzten und nicht Microsoftprodukte und könnte die eigene Marktmacht dazu benutzen, die Entwicklung von freier Software zu behindern.
Das kann man natürlich auch bei allen anderen Dingen denken, die Menschen sich in Gemeingütern selber schaffen. Wenn ich eine Commons gründe, die Brötchen produziert, falle ich und die anderen Gründer als Brötchenkäufer bei den privaten Brötchenproduzenten weg.
Wenn immer mehr Menschen freie Software nutzen würden, würden die Gewinne von Microsoft sinken und damit der Aktienkurs. Die Besitzer der Aktien würden ihren Besitz durch Wertverlust verlieren und damit auch ihren möglichen Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zugunsten der Privatwirtschaft.
In Punkt 1-3 wird vorgeschlagen, dass bestehende Commons sich zu Netzwerken zusammenschließen sollen, die dann sich selbst organisierend zu einem globalen Netzwerk zusammenwachsen und das bestehende System irgendwann ersetzten.
Im Moment weiß ich nicht, ob dass wirklich so realistischerweise realisiert werden kann. Wenn ich Brötchen haben möchte, muss ich mich bei einer Brötchen-Commons einbringen, wenn ich Kleidung haben möchte, muss ich mich bei einer Commons einbringen, die Kleidung produziert. Oder man organisiert einen Austausch zwischen diesen Commons.
In einem offenen System haben wir immer die Konkurrenz zu den gleichzeitig bestehenden privaten Produzenten. Wenn ich bei einer privaten Firma arbeiten kann und für meinen Arbeitslohn Brötchen kaufen kann, warum soll ich mich bei einer Brötchen-Commons
einbringen? Auch werden die privaten Produzenten die Entstehung von Gemeingütern behindern, wo sie es können. Ich halte einen Übergang, wie in Punkt 1-3 beschrieben für nicht realistisch durchführbar.
Ganz anders dagegen der Punkt 4 – die Peer-Communities (kommunistischer (kollektiver) Anarchismus, Ökodorfmodell, Stammesgesellschaft, Kollektivwirtschaft). Menschen wirtschaften auf begrenzten Raum, versuchen das zum Leben Notwendige in der Kollektivwirtschaft zu erwirtschaften und versuchen sich möglichst unabhängig zu machen. Ich halte dass für die einzig realistische Möglichkeit für einen Übergang. Der Hauptgrund ist der Schutz nach Außen und die evolutionäre Durchsetzung durch Attraktivität.
Die Gesellschaft die daraus entsteht, heißt bei mir Polis-Allmende Gesellschaft (siehe die Abbildung Polis-Allmende Gesellschaft):
http://dergrossezusammenhang.jimdo.com/die-einzige-lösung/theoretische-entwicklung-einer-dauerhaft-stabilen-gesellschaft-teil-2/
Der Name ist aber zweitrangig. Ich habe an anderer Stelle schon einiges dazu geschrieben.
Zu Punkt 5: Wenn eine Gesellschaft in Peer-Communities (oder Polis-Allmenden) organisiert wird, organisieren die alles weitere (auch die Produktion von Mikrochips, Raumschiffen, Fußballstadien, Verkehr, Touristenunterbringung, große Forschungsprojekte, Spezialkliniken,
Universitäten usw.
Wenn es sich durchsetzt, werden, die Nationalstaaten überflüssig und es gibt dann nur noch ein Peer-Communities- Parlament (oder Allmende-Parlament) was sich um die übergeordneten Dinge kümmert und bei Fehlentwicklungen eingreift (siehe die Abbildung Verwaltungsstruktur der Polis-Allmende Gesellschaft).
Zu Punkt 6: Es wird sich nur durchsetzen, wenn es attraktiv genug ist. Dazu muss man alle Effizienzpotenziale nutzen, um gegen das gleichzeitig bestehende Privatgut konkurrieren zu können. Es muss also ganz klar eine Überschusserzielungsabsicht bestehen (zumindest solange noch private Konkurrenz besteht). Der Überschuss ist notwendig, damit
die Gemeingüter wachsen können.
Zu Punkt 7: Das erledigen die Leitungen, Räte und Parlamente der Peer-Communities Gesellschaft (oder Polis-Allmende Gesellschaft).
Zu Punkt 8) Jede Peer-Communitie (oder Polis-Allmende) hat selbstverständlich auch einen Fachbereich für Handel mit den anderen und mit dem alten System.
Zu Punkt 9: Entfällt, da es in der Peer-Communities Gesellschaft (oder Polis-Allmende Gesellschaft) keine lohnabhängige Beschäftigung gibt. Jeder wird sich nach seinen Fähigkeiten einbringen und einbringen müssen. Ein Inianer war auch nicht bei seinem Stamm angestellt. Zumindest sollte dass das angestrebte Fernziel sein.
Zu Punkt 10: Da Wissen in dieser Gesellschaft nicht schützbar ist, wächst die Gesellschaft über die Entwicklung und schnellen Verbreitung von neuester Technologie (qualitatives Wachstum zugunsten des zerstörerischen quantitativen Wachstums der Privatwirtschaft).
Ich gehe davon aus, dass jede Gesellschaft eine klare Struktur (Verwaltungsstruktur) braucht, wenn sie funktionieren soll. Bestehende Commons-Projekte werden dann in Peer-Communities (Polis-Allmenden) zusammenwachsen.
1) Am Anfang steht also ein Verständnis der Zusammenhänge und die Erarbeitung von realisierbaren Konzepten.
2) Dann müssen interessierte Menschen funktionierende kollektiv verwaltete Unternehmen aufbauen, mit einer klaren
Gewinnerzielungsabsicht.
3) Über die reinvestierten Gewinne wachsen diese Kollektivbetriebe und setzen sich über Attraktivität und Effizienz durch.
4) Dann siehe Punkt 1-3, Netzwerkbildung.
Und
5) Punkt 4 , Peer-Communities (Polis-Allmende Gesellschaft) gründen
Beispiele: Stammesgesellschaften, Ökodörfer, Kommunen, Kollektivwirtschaft in Spanien 1936-39 (siehe arte Doku:)
http://dergrossezusammenhang.jimdo.com/die-einzige-lösung/ein-beispiel-dass-es-funktioniert/
Noch eine Bemerkung zum Schluss. Ich bitte darum, nicht wieder eine Diskussion um Ideologie, Spiritualität, Materialismus, Querfront, Verschwörungsideologie oder ähnliches zu beginnen. Hier stehen die 10 Punkte von Martin Siefkes zur Diskussion und nichts anderes.
Viele Grüße
Roland Dames
@RD, #1:
Aus Lust auf selbstbestimmtes Tun, Genervtheit von Profitzwang und bornierter Produktion, „Scratching an itch“, Wunsch nach einer anderen Gesellschaft, Arbeitslosigkeit, Interesse an besseren Produkten, sozialen Standards, Umweltschutz … es gibt viele Gründe, warum Leute bei Commons-Projekten mitmachen.
Nicht alle und nicht immer, denn Unternehmen orientieren sich nicht am langfristigen Wohl des Kapitalismus, sondern handeln kurzfristig profitorientiert. Viele Software-Unternehmen fördern Freie Software, Verlage bieten gegen Einmalzahlung Open access an …
Dafür sind die Commons-Netzwerke da: Sie sorgen dafür, dass sich jede*r nur bei einem Projekt einbringen muss und trotzdem das im Netzwerk Produzierte (perspektivisch alles zum Leben Nötige) erhält.
Nein, Punkt 4 bringt zwei Modelle zusammen: Peer-Communities sind lokal begrenzt, Commons-Netzwerke sind bezüglich der hergestellten Produkte begrenzt. Beide Ansätze werden interagieren. Übrigens bieten auch Commons-Netzwerke einen „Schutz nach Außen“ für Peer-Projekte: gegen den Markt, indem sie ihnen Rohstoffe, Zulieferprodukte usw. verschaffen, und gegen Peer-Gegner und staatliche Eingriffe durch Admin-Projekte (siehe P7).
Hier bist du beim Endzustand, mir geht es aber um den Übergang.
Die Peer-Ökonomie wächst dadurch, dass mehr Leute mitmachen und davon etwas haben – nicht durch Konkurrenz mit dem Markt, sondern durch Auskooperieren.
Peer-Projekte haben keine „Leitung“, allenfalls Admins, also Leute die bestimmte Verwaltungsaufgaben übernehmen. Räte könnten eine Rolle spielen. Parlamente sind ein Organ von Nationalstaaten, kein Organisationsmodell der Peer-Produktion; siehe das Motto der IETF „We reject kings, presidents and voting“.
Ebenso wie heutige Peer-Projekte oft Admins haben, rechne ich damit, dass sich in Commons-Netzwerken Admin-Projekte bilden.
Du vergisst wieder, dass dies ein Modell für den Übergang ist. Wie gesagt haben manche SoLaWis Angestellte, daher ist diese Überlegung schon heute relevant.
Von wegen! Den Markt kann man nicht mit dem Markt austreiben 😉
Übrigens, bitte kommentiere in Zukunft kürzer und breite nicht (wie im 1. Teil) Theorien aus, die mit dem Artikel nichts zu tun haben.
Zum Thema Macht und Hierarchie fand ich ja diesen Artikel höchst interessant; ist allerdings auf Englisch und recht lang. Wenn ich die Erkenntnisse des Autors mit dem oben beschriebenen System kombiniere, scheint mir Folgendes dabei herauszukommen:
Je größer ein Projekt wird, desto mehr Struktur wird es brauchen. Das ist aber durchaus auf eine Weise machbar, die keiner Einzelperson oder festen Gruppe zu viel Macht erteilt. Die administrativen Projekte würden dann diese Aufgabe auf der nächsthöheren Ebene (projekt- und netzwerkübergreifend) übernehmen. Das am Ende daraus entstehende System könnte zwar Ähnlichkeiten mit dem von Roland Dames vorgeschlagenen haben, wird aber sicher nicht exakt so aussehen, und es werden so viele Erfahrungen aus den ersten Projekten darin einfließen, dass es keinen Sinn hat, jetzt schon an Details zu denken. Was nicht heißt, dass die Frage ignoriert wird! Nur, dass uns noch Erfahrung fehlt, um sie zu beantworten. Ich würde Wahlen nicht komplett von der Hand weisen, aber sie müssten auf jeden Fall anders funktionieren als heute.
Zu der Sache mit den Brötchen: Wer Lust hat Brötchen zu backen, macht bei dem Bäckerprojekt mit. Wer lieber Socken strickt, macht das. Sobald sich das Bäckereiprojekt und das Strickprojekt in einem Netzwerk zusammengeschlossen haben, bekommen auch die Bäcker Socken und umgekehrt. Dann tritt irgendwann ein Tischlereiprojekt bei und nun muss sich ein Mitglied des Netzwerks schon in drei Produktgruppen nicht mehr auf den Kapitalismus verlassen! Ich sehe hier nur Missverständnisse, keine tatsächlichen Probleme mit der Idee. Die Kombination von Netzwerken und Communities finde ich total gut. Jedes Mal, wenn ich auf diesem Blog etwas Neues entdecke, macht das Hoffnung. 🙂
Danke für diese spannenden Überlegungen! Die zehn Prinzipien finde ich großteils einleuchtend, insbesondere mit der Unterscheidung zwischen lose vernetzten Netzwerken und stärker integrierten Communitys.
Wobei ich die Vernetzung eher als umfassendes Moment verstehen würde, an dem sich im besseren Falle alle Peer-Projekte in einer bestimmten Region (oder vielleicht sogar weltweit) beteiligen würden. Natürlich bedeutet das nicht, dass jedes einzelne Peer-Projekt deshalb „für den Rest der Welt“ mitproduzieren müsste, was unmöglich wäre. Wo es Begrenzungen gibt, macht eine Priorisierung etwa nach räumlicher Nähe (wir kümmern uns erstmal um die Versorgung unseres Stadtteils oder unserer Region) sicher Sinn, aber warum sollten das dann jeweils ganz separate Netzwerke sein?
Auch eine grundsätzliche Beschränkung der „Produktreichweite“ von Netzwerken (eines nur für Elektronik, eins für Kleidung, eins für Nahrungsmittel etc.?) leuchtet mir nicht ein. Schließlich kann niemand nur von Elektronik oder Kleidung oder selbst Nahrungsmitteln leben, aber die kollektiv-selbstorganisierte Befriedigung eines möglichst weitgehenden Teils der konsumtiven Bedürfnisse der Beteiligten ist doch gerade erklärtes Ziel der Netzwerke! Und viele Synergieeffekte ergeben sich erst aus branchenübergreifender Kooperation, wenn etwa das Arduino-Projekt die Solawi und das Textilprojekt mit der benötigten Steuerungstechnik versorgt und seine Mitglieder dafür im Gegenzug Lebensmittel und Kleidung erhalten.
@Christian #4:
Wie kommen wir aber dahin? Dass sich Peer-Projekte nach und nach zu Netzwerken zusammenschließen, die einen Raum für Produktion und Konsumtion ohne Tausch bilden, ist ja die hier skizzierte Idee für den Übergang und soll also in einer Weise ablaufen, die bereits jetzt beginnen kann.
Perspektivisch ist sicher der Zusammenschluss zu „Vollversorgungsnetzwerken“ das Ziel, die alle Bedürfnisse der Projektmitglieder befriedigen können und entsprechend groß sein müssen, aber derzeit ist das noch Utopie. Netzwerke werden graduell wachsen, indem sich bereits existierende Peer-Projekte nach und nach zusammenschließen.
Und beim allmählichen Wachsen der Produktreichweite eines Netzwerks sind auch Anpassungen der Projekte nötig. Ich vermute, dass viele von ihnen dann auch die ‚Produktion erweitern‘, indem sie sich Maschinen anschaffen und ihre wachsende Erfahrung nutzen, um weiterhin einen möglichst großen Anteil der Bedürfnisse des Netzwerks zu befriedigen.
Ein Vollversorgungsnetzwerk ist auch deshalb kein gutes Übergangsszenario, weil der Eintritt eines Peer-Projekts in ein solches Netzwerk anfangs kaum Auswirkungen auf dessen Versorgung hätte: Wenn ich mit 10 Leuten Fahrräder baue und in ein Netzwerk mit 10 Mio. Menschen eintrete, kann ich nur einen verschwindend geringen Anteil an dessen Fahrrad-Bedürfnissen erfüllen (und meine Produktion auch nicht an einem ehrgeizigen, aber erreichbaren Ziel ausrichten, wie der Versorgung einiger hundert oder tausend Menschen). Daher wird das Netzwerk auch nicht motiviert sein, uns umfangreich zu unterstützen, während ein kleineres Netzwerk dazu gute Gründe hat, wenn wir ihm die Erfüllung seiner Fahrradbedürfnisse in Aussicht stellen!
Netzwerke sollen gerade dazu dienen, Produktion und Konsumtion zu koordinieren; auch solange nicht alle Leute Fahrräder haben können, werden vielleicht die wichtigsten Bedürfnisse (z.B. von Leuten, denen keine anderen Verkehrsmittel zur Verfügung stehen) erfüllt. Wenn das vorläufig nur lokal möglich ist, macht es Sinn, das Netzwerk eben auf diesen Bereich zu begrenzen, eine Kooperation zwischen Netzwerken ist ja auch immer möglich.
Grundsätzliche Beschränkungen („wir kümmern uns nur um Elektronik“ o.ä.) kommen mir auch unplausibel vor, ich denke eher an de-facto-Beschränkungen, die sich aus dem Zusammenschluss von Projekten ergeben.
Hallo Martin
Ja, meine Kommentare werden meistens zu lang. Wir haben ja schon eine ganz gute Übereinstimmung, aber noch einmal ein paar Punkte:
1) Man sollte vielleicht rivale und nicht rivale Güter unterscheiden.
Spezialisierte Commons im globalen Maßstab funktionieren bei nicht rivalen Güter gut (Software, Internet, Wissen), wie zahlreiche Beispiele zeigen. Aber bei rivalen Güter sollte man eher lokale Peer-Communities bilden (also bei Nahrung, Kleidung, Wohnen usw.). Auch hier gibt es zahlreiche funktionierende Beispiele.
2) Gesellschaft braucht Struktur
Eine selbst organisierende Gesellschaft aus Peer Commons-Netzwerken und großen und kleinen Peer Communities ohne klare Verwaltungsstruktur kann ich mir in einer Technologiegesellschaft
(noch) nicht vorstellen.
Wer stellt die Regeln auf? Die Admins?
Wer darf Admin sein und wer nicht?
Wer kontrolliert die, die die Regeln aufstellen?
Was ist mit denen, die nicht die Gemeingütergesellschaft favorisieren, also andere Regeln wollen??? Sekten, Monarchianhänger, Libertäre, Privatwirtschaftler, Plan-B der Wissensmanufaktur, Gradido, Religionen und andere? Es gibt doch viele unterschiedliche Strömungen und Meinungen in der Gesellschaft, die untereinander konkurrieren.
Wer wird sich durchsetzen?
3) Das Rad nicht immer wieder neu erfinden.
Gemeingüter hat es doch immer in irgendeiner Form gegeben. Sollte also allgemein bekannt sein. Man muss nur mal schauen, was wie funktioniert hat und warum es sich nicht durchgesetzt hat.
4) Attraktivität
Am Ende entscheidet die Attraktivität darüber, was sich durchsetzt. Wo sind die vielen Menschen, die begeistert in Commons-Projekte strömen (P6)? Wie viele Commons-Projekte im rivalen Bereich hast Du gegründet oder bist daran beteiligt? Frau Merkel wird es nicht für uns tun, dass müssen wir schon selber machen.
Jeder kann es, aber warum machen es so wenige???
Warum haben wir dann keine Gemeingütergesellschaft? Ist es vielleicht doch nicht attraktiv genug? Ist das Privatgut doch stärker (und attraktiver) und setzt sich daher immer wieder durch? Wenn sich die Commons-Gesellschaft durchsetzen soll, muss man also Attraktivität in
solche Projekte hineinbringen. Das kann das Streben nach Unabhängigkeit, Gemeinschaft, mitbestimmen können und ähnliches sein. Aber am Ende werden es klare materielle Vorteile sein, die Menschen dazu bewegen, sich in Commons-Projekten einzubringen. Damit ist
nicht unbedingt mehr Geld gemeint, sondern vor allem ein einfacherer Zugang zu Nahrung, Wohnen, Kleidung, Freizeiteinrichtungen, Bildung usw.
5) Überschüsse, Gewinne, Profit
Ein Commons-Unternehmen wird auch nicht anders funktionieren (können), als ein privatwirtschaftliches Unternehmen, nur dass es eben kollektiv geführt wird. Das erste Ziel wird es sein, den Eigenbedarf zu decken. Da Menschen aber Zeit aufwenden müssen, wenn sie sich an einem Commons-Projekt beteiligen, können sie zur gleichen Zeit nicht
bei einem anderen Commons-Projekt mitwirken. Man muss also mehr produzieren, als die an einer spezialisierten Commons Beteiligten brauchen, um tauschen (oder verkaufen) zu können. Man muss also Überschüsse produzieren, zum Tausch und zur Vergrößerung
der Commons-Wirtschaft und zu Lasten der Privatwirtschaft. Damit schafft man natürlich zunächst auch eine gewisse Konkurrenz zu anderen gleichartigen Commons-Projekten. Je mehr jedoch Commons-Projekte lokal zu Peer-Communities zusammenwachsen und sich durch zunehmende umfassende Eigenbedarfsdeckung vom alten System unabhängig machen, sinkt der mögliche Konkurrenzdruck gegenüber anderen Commons-Projekte mit ähnlichen Konkurrenzprodukten bis auf Null (Endzustand: Peer Communities Gesellschaft oder Polis-Allmende Gesellschaft mit einer klaren Verwaltungsstruktur, kommunistischer
(kollektiver) Anarchismus).
6) Nach den Regel gründen, die das bestehende System vorgibt
Auch Commons-Projekte (-Unternehmen) müssen zunächst nach den Regeln gegründet werden, die das bestehende System vorgibt (Genossenschaft, e.V., kleine AG, GmbH) und auch in einer gewissen Weise nach den bestehenden Regel wirtschaften.
7) Effizienz
Durch Effizienzsteigerung und in die Commons-Wirtschaft reinvestierten Überschüsse kann es wachsen – bis zum relativ konkurrenzlosen Endzustand. Ideelle Werte allein, sollten wohl nicht ausreichen für den Übergang. Sonst hätten wir den ja schon.
Also mein Vorschlag! Nicht so viel theoretisieren. Gründet selbst Commons im rivalen Bereich. Nehmt dem Rivalen das Rivale und gestaltet es attraktiv. Dann werden immer mehr Menschen mitmachen und der Übergang ist irgendwann geschafft.
Viele Grüße
Roland Dames
@Martin #5:
Naja, „10 Mio. Menschen“ wären ja auch schon ein äußerst fortgeschrittenes Stadium des Übergangs, da muss man erstmal hinkommen. Und außerdem scheint mir, du denkst da zu sehr in separaten Einheiten — ein Projekt und ein Netzwerk existierend losgelöst voneinander und beäugen sich dann misstrauisch, ob sie zueinander passen. Aber so müsste es ja nicht ablaufen und das wäre (denke ich) auch eher nicht die Regel.
Vielleicht eher so: Die Leute in dem Netzwerk fragen sich, was ihnen zu ihrem Glück noch fehlt, und kommen (unter anderem) auf Fahrräder. Dann bildet sich ein Initiativgrüppchen, das recherchiert, was es da an dem Open-Source- und Commoning-Modell nahestehenden Initiativen und Projekten gibt und ggf. mit denen Kontakt aufnimmt. Daraus ergibt sich ein Austausch, in dem letztere ihr Wissen weitergeben und bei Interesse auch direkt Teil des Netzwerks werden. Aber damit verpflichten sie sich natürlich nicht, nun mal eben so „Fahrräder für alle“ zu produzieren, sondern eher dazu, das Netzwerk beim Aufbau entsprechender Infrastrukturen zu unterstützen. Sie könnten selbst Räder zusammenbauen, aber auch dokumentieren und anderen zeigen, wie man das macht und wie man die dafür benötigten Werkstätten/Fabriken aufbaut.
Anfangs läge der Schwerpunkt vielleicht auf einem Pool von Lastenrädern, die sich Netzwerkmitglieder bei Bedarf entleihen, erst später, wenn weitere Gruppen von Fahrradkonstrukteuren entstanden sind, würden auch normale Fahrräder für Alltagsgebrauch gebaut.
Also ich würde da eher in Aufgaben denken (was gibt’s zu tun, damit u.a. Fahrräder genutzt werden können?) und weniger in von vornherein fest umrissenen Projekten mit festem „Personal“.