Butter bei die Fische?

Ich bin langsam beim Lesen. Erst jetzt stieß ich auf Seite 58 auf den Artikel »Butter bei die Fische!« von Rüdiger Mats in der konkret 9/2015. Der Text steht in einer Debattenreihe zu einem »neuen Sozialismus«. Bisher kam in der Reihe nichts nennenswert Interessantes. Nun stellte Mats die Frage nach einer anderen Produktionsweise: »Eine nachrevolutionäre Gesellschaft soll den Kapitalismus ablösen, und der ist eine Produktionsweise. Deshalb gehört zu einer Sozialismusdebatte auch die Frage, wie das gehen soll, wodurch der Kapitalismus denn eigentlich abzulösen ist.«

Hallo, das könnte spannend werden!

Wird es dann doch nicht. Nach Kritik an üblichen (und auch in der konkret publizierten) traditionellen Ansätzen, schreibt Mats:

Neben unterschiedlichen Varianten von Marktsozialismus wurden in den vergangenen Jahren vor allem verschiedene Ansätze von »Commonismus« oder »Peer-Ökonomie« als Grundlage einer nachkapitalistischen Produktionsweise diskutiert. Diese Konzepte reagieren auch auf einen schweren Mangel des Realsozialismus. Der scheiterte nicht an der Unmöglichkeit einer funktionierenden Planwirtschaft, sondern vor allem, weil es verheerend ist, mit Mitteln der Herrschaft zum Kommunismus kommen zu wollen. Die Peer-Ökonomie tritt dagegen als völlig herrschaftsfreie Ökonomie auf. In ihr sollen – wie bei Wikipedia – die einzelnen Akteure nur an genau den Projekten mitarbeiten, die sie für sinnvoll halten. Elektronisch vernetzt bilden sich immer neue Teams von »Problemlösern«, gehen wieder auseinander, setzen sich neu zusammen. Als Grundmodell für gesellschaftliche Reproduktion taugt die Peer-Ökonomie allerdings nicht. Ihre Verfechter unterschätzen die Zwänge materieller Reproduktion (Müllabfuhr und Deichbau funktionieren nicht wie Wikipedia) ebenso wie die Gewalt informeller Hierarchien. Beidem ist nur mit vernünftigen Organisationsformen zu begegnen, mit Institutionen und nicht mit einer Auflösung aller Institutionen in eine Gesellschaft von einzelnen.

»Auflösung aller Institutionen in eine Gesellschaft von einzelnen« — was hat Mats da gelesen und wo?

Solche Aussagen verweisen auf ein Denken, das eine grundsätzliche Kritik an den warengesellschaftlichen Formen der gesellschaftlichen Vermittlung — entweder über den Markt oder den Plan — stets nur als »Vereinzelung« liest. Dies zeigt, wie sehr der traditionelle Dualismus »Markt vs. Plan« verinnerlicht wurde. So verwundert die Schlussfolgerung nicht:

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Es gibt zu einem ökonomischen Gesamtplan mit verbindlichen Entscheidungen auf zentraler Ebene keine vernünftige Alternative. Nur ein demokratisch beschlossener Wirtschaftsplan gibt den Leuten die Herrschaft über die materiellen Bedingungen ihres Lebens zurück. Es mag sehr viel dezentral entschieden werden können, es mögen peer-ökonomisch organisierte Projekte in die Entwicklung oder in die Produktion integrierbar sein, an der Notwendigkeit zentraler Koordinationsinstanzen ändert das nichts.

Es ist lustig, wenn radikale Linke mit einem Mal die Essentials der bürgerlichen Gesellschaft anrufen. Ein Plan soll es sein, nur anders als im ungeliebten Osten »demokratisch beschlossen«. Ändert das etwas an der Problematik einer Planung für andere?

Schließlich kommen Binsenweisheiten, die schwer zu bestreiten sind, auch nicht von verbohrten Peer-Commonst_innen: »…an der Notwendigkeit zentraler Koordinationsinstanzen ändert das nichts«. Nur warum das gegen eine gesellschaftliche Peer-Organisation spricht, warum »zentral« im Gegensatz zu »peer« stehen soll, bleibt unerfindlich.

Warum ist das so? Weil Commons und Peer immer noch hartnäckig mit lokal und kleinkramend assoziiert werden. Auch wenn praktisch etwa Wikipedia und Freie Software und derart globale Projekte eigentlich etwas anderes zeigen, scheint eine gedankliche Übertragung auf andere zentrale oder gar globale Aufgaben schier unüberwindlich zu sein.

Ja, Netzwerk-Vermittlung, polyzentrische Selbstorganisation und Stigmergie sind unhandliche bis unsinnliche Konzepte, aber das sind Plan und Markt eigentlich auch. Wir kennen sie nur schon aus eigener Anschauung. Und deswegen kleben unsere Alternativgedanken daran wie am Fliegenfänger?

46 Kommentare

Einen Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Entdecke mehr von keimform.de

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen