Voraussetzungen für allgemeine bedürfnisorientierte Re/produktion
(Voriger Artikel: Dank Produktivkraftentwicklung zur neuen Gesellschaft?)
Von Modellen der selbstorganisierten, bedürfnisorientierte Kooperation, die vom spezifischen Stand der Technikentwicklung weitgehend unabhängig sind, handelte schon mein Buch Beitragen statt tauschen (Siefkes 2008). Nach meinem heutigen Reflexionsstand ist dabei allerdings kritisch zu fragen, wie weit die dort diskutierten Modelle für einen konsequenten Bruch mit der kapitalistischen Logik ausreichen. Wiederum angelehnt an Ellen Meiksins Wood (2002) halte ich drei Voraussetzungen für eine postkapitalistische Re/produktionsweise für essenziell (demnächst detaillierter begründet in Siefkes 2014):
- Keine Sphärentrennung: Die für den Kapitalismus charakteristische Sphärentrennung von Politik (Staat), Wirtschaft (Produktion) und privatem Haushalt (Reproduktion) verschwindet, stattdessen wird die gesellschaftliche Re/produktion als Gesamtprozess gestaltet.
- Keine essenzielle Konkurrenz: Die Menschen müssen nicht gegeneinander konkurrieren, wenn es ums Überleben oder die allgemein übliche gesellschaftliche Teilhabe geht. Leben und Teilhabemöglichkeiten dürfen also nicht davon abhängen, dass man sich gegen andere durchsetzt. Das heißt unter anderen, dass niemand auf den Markt angewiesen ist, um die eigene Existenz zu sichern. In anderen, weniger essenziellen Bereichen sind Konkurrenz und Märkte nicht ausgeschlossen, sie dürfen nur nicht so viel Gewicht bekommen, dass sie die konkurrenzfrei organisierten Zusammenhänge verdrängen und sich selbst unentbehrlich machen.
- Kooperation auf Augenhöhe: Die Menschen können sich auf Augenhöhe begegnen statt dass sich manche den Vorgaben anderer unterwerfen müssen.
Prinzip 1 spielte in meinem Buch nur eine Nebenrolle, weshalb ich die dort skizzierte Produktionsweise auch als „Peer-Ökonomie“ bezeichnen konnte. Wird die Sphärentrennung überwunden, macht es hingegen keinen Sinn mehr, noch von „Ökonomie“ zu sprechen, da die Wirtschaft als eigenständiger Bereich dann gar nicht mehr existiert.
Möglicherweise problematisch in Bezug auf Prinzip 2 ist die genaue Ausgestaltung der Idee gewichteter Arbeit, die ich dort entwickelt habe (Siefkes 2008: 27ff). Die Grundidee ist, dass die insgesamt notwendige Arbeit unter den Menschen aufgeteilt wird. Da aber vermutlich nicht alle Aufgaben gleichermaßen beliebt sind, müssen unpopuläre Aufgaben gegebenenfalls attraktiver gemacht werden, damit sich genug Leute finden, die bereit sind, sie zu übernehmen. Dafür wird das „Gewicht“ solcher unbeliebter Aufgaben erhöht: eine Stunde mit einer solchen Aufgabe verbracht zählt dann etwa so viel wie anderthalb Stunden einer durchschnittlich beliebten Aufgabe (Gewicht 150%) – man muss unterm Strich also weniger arbeiten. Ob und unter welchen Umständen solche „Tricks“ überhaupt nötig sind, wird noch zu diskutieren sein, doch grundsätzlich finde ich diese Höhergewichtung unpopulärer Aufgaben bis heute akzeptabel.
Problematisch ist hingegen die umgekehrte Variante, derzufolge das „Gewicht“ von Aufgaben, die mehr Leute als nötig machen wollen, gesenkt wird. Eine Stunde mit einer besonders beliebten Aufgabe verbracht zählt dann etwa nur soviel wie 45 Minuten durchschnittlicher Arbeit (Gewicht 75%). Diejenigen, die bereit sind, länger zu arbeiten als im gesellschaftlichen Durchschnitt nötig, dürfen diese Aufgaben also übernehmen; die, denen das zu viel wird, müssen sich andere Aufgaben suchen. Während beim „Höhergewichten“ unbeliebte Aufgaben darum konkurrieren, wer sie übernimmt, konkurrieren beim „Heruntergewichten“ Menschen darum, besonders beliebte Aufgaben zu übernehmen. Zwar kann diese Konkurrenz im Gegensatz zur Konkurrenz um „Arbeitsplätze“ im Kapitalismus schwerlich existenzgefährdend werden. Die Arbeit wird ja bewusst aufgeteilt, niemand muss Angst haben, dass für sie nichts übrig bleibt. Dennoch möchte ich auf das Konzept des „Heruntergewichtens“ künftig lieber verzichten. Gilt es besonders beliebte Aufgaben zu verteilen, müssen also andere Lösungen gefunden werden.
Woods Buch zeigt, dass die Sphärentrennung zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht nicht nur eine Besonderheit des Kapitalismus ist (in anderen Gesellschaften gab es sie nicht), sondern sogar das entscheidende Moment war, das die kapitalistische Profitmaximierungslogik erst hervorgebracht hat. Dieser Logik wird die Menschheit also kaum entkommen können, solange die Sphärentrennung Bestand hat. Dazu gehört die Trennung zwischen der Politik, die Rahmenbedingungen setzt, dem Markt als allgemeiner Vermittlungsinstanz und einzelnen Firmen, die unabhängig voneinander entscheiden, was und wie sie produzieren, und erst hinterher erfahren, ob sie für den gesellschaftlichen Bedarf oder an ihm vorbei produziert haben (je nachdem ob der Verkauf auf dem Markt gelingt oder nicht).
Diese separaten Institutionen können in einer postkapitalistischen Gesellschaft so keinen Bestand haben. Trotzdem wird es natürlich weiterhin Institutionen geben – etwa Betriebe, in denen produziert wird, Schiedsinstanzen zur Vermittlung bei Konflikten sowie Wohnzusammenhänge, die denen man mit Freunden, geliebten Menschen und/oder den eigenen Nachkommen zusammenlebt. Wieweit solche Institutionen geeignet sind, die Sphärentrennung dennoch aufzuheben oder ob sie in mehr oder weniger stark modifizierter Form weiter existieren würde, wird noch kritisch zu fragen sein.
Im Kapitalismus wird die Produktion überwiegend privatwirtschaftlich organisiert, und die produzierenden Unternehmen verfolgen alle dasselbe Ziel: Profit zu machen, also Geld in mehr Geld zu verwandeln. Alles was sie tun, ist diesem Ziel untergeordnet. Wenn sie nützliche Güter herstellen, die die Bedürfnisse der Menschen erfüllen, die sie sich kaufen, dann nur als Mittel zum Zweck. Eine postkapitalistische Gesellschaft muss sich um andere Ziele drehen – solange der Profit noch das allgemeine Ziel ist, kann man sich sicher sein, noch im Kapitalismus zu leben. Wenn sich die Bedürfnisse der Menschen in Zukunft allerdings einem ganz anderen, aber ebenso willkürlichen Ziel unterordnen müssten, wäre wenig gewonnen. Ein echter Bruch, eine allgemein lebenswerte Gesellschaft, setzt vielmehr voraus, dass das Überleben, die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen – und zwar aller Menschen! – selbst zum allgemeinen Zweck der gesellschaftlichen Organisation werden, statt nur Mittel für einen anderen Zweck zu sein.
Auf welcher Grundlage ist eine „Kooperation auf Augenhöhe“ (Prinzip 3) zu diesem Zweck der allgemeinen Bedürfnisbefriedigung denkbar? Zwei weitere Voraussetzungen scheinen mir hier nötig zu sein. Zum einen das Prinzip der „Privilegienablehnung“ (no privilege): die Bedürfnisse aller sind gleichermaßen ernst zu nehmen, niemand kann erwarten, dass seine Bedürfnisse über die der anderen gestellt werden. Das heißt unter anderem, dass die gesellschaftlichen Reichtümer – die Gaben der Natur und die Werke früherer Generationen – allen gleichermaßen zustehen. Niemand kann einen überdurchschnittlichen Anteil daran beanspruchen, etwa mit der Begründung, diesen aus dem Kapitalismus „geerbt“ oder sich „verdient“ zu haben. Solche tradierten Privilegien sind rigoros zurückzuweisen, ebenso wie Versuche, sich selber oder anderen besondere Privilegien zuzusprechen mit Verweis auf persönliche Charakteristika – sei es Intelligenz, Körpergröße, Augenfarbe, Abstammung oder was sonst sich Menschen als vermeintlich relevante Unterscheidungsmerkmale einfallen lassen mögen.
Zur Privilegienablehnung gehört aber auch, dass niemand aufgrund ihrer Charakteristika oder spezifischen Situation benachteiligt werden darf (von selbst bewusst herbeigeführten Situationen einmal abgesehen). Eine rein formale Gleichheit, die etwa von allen verlangt, dass sie Treppen benutzen, unabhängig davon, ob sie dazu überhaupt in der Lage sind, lässt sich so also nicht rechtfertigen. Im Gegenteil können besondere gesellschaftliche Anstrengungen nötig sein, um etwa die ebenbürtige gesellschaftliche Teilhabe von „behinderten“ und alten Menschen zu ermöglichen.
Privilegien sind eine Seite der Medaille, Vorurteile die andere. Die zweite Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe aller auf Augenhöhe ist daher das Prinzip der „Vorurteilsablehnung“ (no prejudice). Wo einigen aufgrund ihnen zugeschriebener Charakteristika – ob als Frau, als Mann, als Transsexuelle, aufgrund der eigenen sexuellen Orientierung, Hautfarbe oder Abstammung – nicht zugetraut oder gestattet wird, Dinge zu tun, die anderen zugetraut und gestattet werden, da ist keine Interaktion auf Augenhöhe möglich. Vorurteile sind oft unbewusst und also solche schwer zu überwinden, doch muss ein bewusster Umgang mit ihnen und ihre konsequente Zurückweisung jedenfalls zu den Zielen einer Gesellschaft gehören, die die oben genannten Prinzipien erfüllen will.
Ein weiteres Prinzip, dass sich einfach daraus ergibt, dass das Gegenteil nicht gerechtfertigt werden kann, ist dass es „keine unnötigen Einschränkungen“ geben sollte. Niemand darf daran gehindert werden, etwas zu tun, wenn es nicht sehr gute Grunde dafür gibt, sie daran zu hindern. Umgekehrt hat aber auch niemand das Recht, andere zu etwas nötigen, was sie nicht wollen. Ein guter Grund für Einschränkungen kann auch vorliegen, wenn ein ernsthaftes Risiko besteht, anderen gegen ihren Willen Schaden zuzufügen. Etwa dann, wenn man potenziell gefährliche Dinge tut, ohne zuvor nachgewiesen zu haben, dass man sie beherrscht, oder ohne normale Kontrolle über den eigenen Körper zu haben (Autofahren ohne vorige „Fahrprüfung“ oder unter Alkohol/Drogen). Kein guter Grund liegt hingegen vor, wenn alle Beteiligen einverstanden sind (konsensueller Sex) oder man sich nur selber schädigen kann (Drogenkonsum).
Ein solches Leitprinzip kann gesellschaftliche Debatten darüber, welche konkreten Einschränkungen nötig sind, natürlich nicht ersetzen – wann genau werden andere geschädigt und wann ist das Schadensrisiko hoch genug, dass eine Einschränkung gerechtfertigt werden kann? Es stellt diese Debatten aber auf eine Grundlage, die über das formale Mehrheitsprinzip („die Mehrheit hat immer recht“) hinausgeht. Qua Mehrheitsprinzip wurden und werden diskriminierende Einschränkungen wie die Kriminalisierung konsensueller homosexueller Handlungen und tief in individuelles Verhalten eingreifende Einschränkungen wie das Alkoholverbot der US-amerikanischen Prohibitionszeit beschlossen. Es allein kann also nicht zur Legitimation von Einschränkungen als ausreichend betrachtet werden, denn warum die Mehrheit Minderheiten ohne guten Grund reglementieren können sollte ist genauso wenig einzusehen wie die Umkehrung.
Aus der Privilegienablehnung folgt, dass alle Naturgüter als Commons anzusehen sind, da niemand exklusive Kontrolle über sie beanspruchen kann. Aus der Ablehnung unnötiger Einschränkungen folgt, dass dasselbe für das Wissen der Menschheit und alle Arten von Informationsgütern gilt. Denn wenn ich Information nutze, schade ich anderen nicht – egal ob ich eine wissenschaftliche Theorie auf ein Problem anwende, eine technische Erfindung nachbaue, einen Film anschaue, eine Software installiere, einen Song remixe oder ein Buch lese oder übersetze. Das gilt allerdings nur für Informationen, die schon in Umlauf sind – wenn ich einen Song schreibe, den ich nicht verbreitet haben möchte (vielleicht weil ich unzufrieden damit bin), haben andere kein Recht dazu, ihn hinter meinem Rücken trotzdem zu verbreiten. Sobald ich den Song aber in Umlauf gebracht habe, habe ich kein Recht mehr, andere daran zu hindern, ihn sich nach eigenem Gutdünken anzueignen.
Damit ist eine Reihe von Voraussetzungen formuliert, die meiner Ansicht nach für eine Gesellschaft wesentlich sind, die einen konsequenten Bruch mit der Profitmaximierungslogik des Kapitalismus darstellen würde und nicht lediglich „die ganze alte Scheiße“ (MEW 3: 35) in mehr oder weniger variierter Form wiederherstellen oder andere unerwünschte Effekte herbeiführen würde. Darüber wie eine solche Gesellschaft konkret funktionieren könnte, ist damit allerdings noch fast nichts gesagt. Das soll in den folgenden Artikeln Thema sein.
(Fortsetzung: Die umfassende Quasi-Flatrate)
Literatur
- Marx, Karl und Friedrich Engels (1956–1990): Werke. 43 Bände. Berlin: Dietz. Abgekürzt als MEW <Bandnummer>.
- Siefkes, Christian (2008): Beitragen statt tauschen. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher. URL: peerconomy.org/text/peer-oekonomie.pdf
- Siefkes, Christian (2014): Wie der Kapitalismus entstand. Streifzüge 60. Erscheint demnächst.
- Wood, Ellen Meiksins (2002): The Origin of Capitalism. London: Verso
Hallo Christian, Einige Anregungen, Ideen und Überlegungen, die Du in Deiner Artikelserie auf #keimform.de übersichtlich aufgezeigt hast finde ich interessant, zutreffend und durchaus relevant für unseren aktuellen gesellschaftlichen Diskurs über erlebte Probleme und Komplikationen im Status Quo und mögliche Alternativen sozialer Interaktion und Koexistenz.
Ich lese diesen Text hier nun weitgehend als Entwurfskizze einer Utopie (im besseren Sinne) und ich verstehe, dass es ein gewisses “intellektuelles Wagnis” sein kann konkrete Utopien zu formulieren.
Also bin ich prinzipiell schon mal dankbar, wenn sich jemand traut alternative Formen der Vergesellschaftung zu formulieren.
Es ist in gewisser Hinsicht interessant, gut und richtig ein (mehr oder weniger) konkretes Idealbild einer “postkapitalistischen”oder (vielmehr) „postökonomischen“, emanzipierten Gesellschaftsform zu zeichnen.
Wenn man so ein konkretisiertes Bild vor Augen hat, wie Gesellschaft im Optimalfall aussehen und funktionieren könnte, kann man zumindest besser darüber nachdenken, was im Status Quo falsch läuft und warum.
In Bezugnahme auf konkretisierte soziale Alternativen kann man letztlich auch recht zielführend und konstruktiv darüber diskutieren, wie unsere Gesellschaft jenseits von Vermarktung, Konsum (und vielleicht sogar jenseits von Herrschaftsverhältnissen, jenseits rechtsstaatlicher Kontrolle, Verwaltung und Autorität) konkret aussehen und funktionieren kann oder könnte. Allerdings muss ich annehmen, dass wir nicht davon ausgehen können, dass sich so ein alternatives Gesellschaftsmodell einfach ausrufen, einrichten oder einschalten lässt.
Wir wissen allerdings wohl alle, dass wir nicht von heute auf morgen in eine Wunschwelt oder Utopie springen können. Ich denke, das ist uns allen klar, dass wir einen Weg zu gehen haben, von hier nach anderswo. (Wo auch immer wir hin wollen.)
Deswegen ist es wohl vor allem wichtig und notwendig, dass wir plausible Wegweiser von hier nach dort aufzeigen können.
Wenn man konkrete Alternativen sozialer Organisation und Alternativen für soziale Arrangements oder Beziehungen plausibel aufzeigen möchte, dann sollte man zumindest plausible Schritte und Wegrichtungen demonstrieren und anvisieren können.
Unsere Ideen, wie Gesellschaft besser funktionieren könnte können nur dann wirklich wirken und überzeugen, wenn man versteht, wo man in der aktuell erlebten sozialen Wirklichkeit losgehen kann oder soll, wenn man wo anders ankommen möchte. Oder anders’rum ausgedrückt:Solange der Weg zum (möglichen?) Ziel unklar bleibt bleiben utopische Ideen wohl nicht mehr als ambitionierte Theorien und fromme Wünsche.
Im Endeffekt geht es für uns vielleicht also weniger darum, dass wir Ziele formulieren, als dass wir mögliche/ plausible und nachvollziehbare Wege aufzeichnen und aufzeigen, die man hier und heute bereits begehen kann, um die Welt in der wir aktuell existieren unseren Ansichten, Wünschen, Vorstellungen, Ideen und Idealen entsprechend zu wandeln.Wie kann man demnach einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel im aktuellen Alltag einleiten oder angehen, der uns (auf absehbare Zeit) eine lebenswertere soziale Situation und Umwelt verspricht?
Die Auflösung der (aktuellen) “Sphärentrennung” (Wirtschaft/ Recht/ Staatsverwaltung/ Diplomatie, etc.) wird aller Voraussicht nach wohl eine konkrete Folge von einem (unbedingt anstehenden und eventuell sogar bereits stattfindenden) gesellschaftlichen Wandlungsprozess sein.
Wenn wir uns unsinnige Komplikationen und Reibungsverluste in unserer sozialen Interaktion ersparen wollen und wenn wir uns etwas mehr gesellschaftliche Freiheit, einen vernünftigeren, friedlicheren/ flexiblen und konstruktiven Umgang miteinander wünschen, dann können und sollten wir wohl allmählich darauf verzichten unsere soziale Interaktion im Rahmen reaktionärer, fremdbestimmter, manipulativer Kontrollsysteme zu arrangieren und zu organisieren.
Aber wie sieht denn nun so ein möglicher #Wandlungsprozess konkret aus, der dazu führen kann, dass wir irgendwann unsere aktuell funktional getrennten Systeme psychosozialer Steuerung, Manipulation und Kontrolle auflösen und obsolet machen (könnten)?Was können wir (hier und heute) machen, damit wir eine möglicherweise richtige/ oder zumindest plausible Richtung einschlagen, zu mehr sozialer Verantwortung und #Solidarität, zu mehr sozialer #Freiheit/ zu besseren Chancen für #Frieden, für soziale #Gerechtigkeit und soziale #Sicherheit?
Ich denke, das sind die wesentlichen Fragen, denen wir uns zu stellen haben, wenn wir konsequent weiter denken und weiter gehen wollen.Und im Endeffekt lassen sich alle erdenklichen konkreten Formulierungen alternativer Gesellschaftsformen/ sämtliche Ideen für neue, alternative Normen, Konventionen und Prinzipien sozialer Interaktion daran messen, ob man plausible und friedliche Wege der Umgestaltung sozialer Beziehungen, Rituale, Normen, Prinzipien und Konventionen finden und aufzeigen kann, die letztlich zu einer (angezielten/ wirksamen) Verbesserung unserer Lebensumstände führen können. Mir ist allerdings auch bewusst, dass Du Dir im Zuge Deiner Überlegungen auch intensiv Gedanken machst, über diese und ähnliche Fragen. (Sonst hätte eine Träumerei über utopische/ innovative gesellschaftliche Prinzipien wohl auch wenig Sinn oder Belang…)
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Ein paar konkrete Kritikpunkte zu Deinen konkreten Äußerungen, Ideen und Denkansätzen möchte ich an dieser Stelle aber noch loswerden:
Insbesondere stößt mir der von Dir formulierte Denkansatz zur #Arbeitsteilung auf. Ich denke, es ist nichts gewonnen, wenn wir anfangen Arbeiten unterschiedlich zu “gewichten”. Jede “Gewichtung” von Arbeit erfordert eine mehr oder weniger willkürliche Kategorisierung von Tätigkeiten. Wenn wir eine #Gewichtung einführen haben wir (de facto) nichts anderes als einen #Markt und eine #Währung implementiert.
Im Grunde geht es doch darum, dass wir damit aufhören unsere Entscheidungen an subtile Mechanismen irrationaler extrinsischer Motivation zu binden. Auch die Entscheidung möglicherweise als unliebsam empfundene Arbeiten zu erledigen sollte nicht weder durch Bestechung noch durch künstlichen extrinsischen Zwang oder Druck provoziert werden.
Es geht letztlich darum soziales Bewusstsein und soziale Verantwortung zu fördern und zu fordern, weil wir nur Prozesse der Selbstorganisation und der souveränen sozialen Vernetzung nur dann nachhaltig einleiten und in Gang bringen können, wenn wir uns konsequent von manipulativen Systemen der Kontrolle und Bestechung lossagen.
Ich bin mir sicher, dass Dir dieser spezielle Vorschlag zur “Gewichtung” von Arbeit in einer Diskussion mit Marktliberalen/ Neoliberalen/ Libertären/ Libertariern/ Voluntaristen und Anarcho-Kapitalisten prompt als logische Inkonsequenz ausgelegt werden würde:
Jede Gewichtung von Arbeit ist eine de-facto-Implementation der Marktidee. Ideologisch wäre das voll im Einklang mit der Idee freier Märkte, wenn man davon ausgehen kann, dass der “Preis” für die “Gewichtung” oder “Wertung” der Arbeitsleistungen in freier Verhandlung zwischen Individuen vereinbart werden kann.
Wenn nicht, dann würden Dich Voluntaristen wohl unverzüglich als diktatorischen Sozialisten verschreien, der die Leute zur Zwangsarbeit im Dienste einer zentralen #Planwirtschaft knechten möchte. (Und ich nehme nicht an, dass Du das im Sinn hast.) Es wirkt auch definitiv so, als ob Du davon ausgehst, dass jeder Bürger in der Gesellschaft, die Du beschreibst ein gewisses vorgeschriebenes Pensum an Arbeit zu verrichten hätte. Du schreibst:
”Die Grundidee ist, dass die insgesamt notwendige Arbeit unter den Menschen aufgeteilt wird. Da aber vermutlich nicht alle Aufgaben gleichermaßen beliebt sind, müssen unpopuläre Aufgaben gegebenenfalls attraktiver gemacht werden, damit sich genug Leute finden, die bereit sind, sie zu übernehmen. Dafür wird das „Gewicht“ solcher unbeliebter Aufgaben erhöht: eine Stunde mit einer solchen Aufgabe verbracht zählt dann etwa so viel wie anderthalb Stunden einer durchschnittlich beliebten Aufgabe (Gewicht 150%) – man muss unterm Strich also weniger arbeiten.”
Sobald Du von Prozent sprichst, gibt es (irgendwo) 100%. Also ein konkretes Pensum an Arbeit, das jeder ableisten muss.
Wie würde dieses Arbeits-Pensum (die 100%) berechnet und von wem/ für wen? Im Sprachspiel der Wirtschaft wäre das ja, wie ein “Kredit”, der von der “Gesellschaft” pauschal an die Individuen ausgegeben wird, den jeder allerdings zurückzahlen muss (in Form konkreter Arbeitsleistung). Und die wichtigste Frage, die sich ergibt ist:Was passiert, wenn sich jemand weigert, das ihm jeweils zugeteilte Arbeitspensum (zu 100%) abzuarbeiten? Ich denke, da ergibt sich ein Dilemma, das es unbedingt zu vermeiden gilt. Lohn und Strafe sollten sich in der Handlung und Entscheidung selbst ergeben.
Das heisst:
Selbstverständlich wäre es vernünftig alles Denkbare an Problemen und (sämtliche damit verbundenen) Aufgaben im jeweiligen Netzwerk sozialer Kontakte öffentlich darzulegen. Es wäre wohl gut und vernünftig, wenn wir jeweils alles das “ausschreiben”, “mappen” und “posten”, was uns an möglicherweise relevanten Problemen, Pflichten und Aufgaben einfällt, was uns am Herzen liegt und was zu tun ist.
Allerdings kippt die gesellschaftliche #Freiheit und #Selbstbestimmung ganz leicht um, wenn uns jeweils ein Arbeits-Pensum auferlegt wird. Das wäre sowieso viel zu schwierig festzustellen, wie so ein Pensum auszusehen hätte, denke ich! So ein Pensum für jemand Anderes zu berechnen wäre sowieso eine freche Anmaßung und Einmischung, finde ich. Ich würde das nicht machen wollen.
Wenn uns etwas daran liegt, unser soziales Bewusstsein und unser soziales Gewissen zu fördern, zu fordern, zu prägen und zu üben, dann müssen wir alle Aufgaben unerledigt lassen, bis es für alle Beteiligten offensichtlich wird, dass ein relevanter Vorteil in der Erledigung dieser Arbeiten liegt. Egal ob die Erledigung selbst Freude macht oder unangenehm ist.
Man kann letztlich nur aufzeigen, was zu tun ist, dass es uns gut geht. Und wenn wir das nicht tun, was zu tun ist, dann geht es uns unter Umständen vielleicht irgendwann nicht mehr so gut…
Wenn wir dann die Konsequenzen unserer Entscheidungen offensichtlich und transparent dokumentiert und dargelegt bekommen, dann kann ein wesentlicher Lernprozess für soziale Verantwortung angestoßen werden.
Das bringt mich auch zum Prinzip “No Privileges”/ “Keine Privilegien”… Selbstverständlich darf eine Vergabe von Privilegien nicht aufgrund irrationaler, oberflächlicher Kriterien erfolgen. Wenn jemand jemand anderem jedoch freiwillig Vorteile einräumt, dann kann man nur wieder fragen, was wollen wir denn unternehmen, um das zu verhindern?
Ich denke, dass wir letztlich immer auch Menschen haben (werden), die sich aufgrund ihrer Fähigkeiten und charakterlichen Qualitäten, aufgrund ihrer Begabung oder ihres Engagements hervorheben und ganz natürlich, jenseits kommerzieller Konventionen und jenseits der “Gewichtung” oder Einpreisung von Arbeitsleistungen gewisse #Privilegien schaffen können.
Es liegt nämlich auf der Hand, dass ein Arzt besser nicht zum Müll-Wegräumen verpflichtet werden sollte, solange Patienten im Wartezimmer auf eine Behandlung warten. Und es werden auch in einer staatenlosen Netzwerkgesellschaft immer Netzwerke um fähige und engagierte Teilnehmer konkurrieren. Wenn ein Arzt den Ruf geniesst Leute von ihren Gebrechen heilen zu können, dann wird er entweder durch konkrete Privilegien und Vorteile im angestammten sozialen Horizont gehalten, oder er erwirbt sich eine seiner Leistung angemessene gesellschaftliche Besserstellung eben dadurch, dass er sich von einem anderen gesellschaftlichen Horizont abwerben lässt, wo er vielleicht ein besseres Fahrzeug/ bessere Infrastruktur und ein luxuriöseres Anwesen zur Verfügung gestellt bekommt.
Herausragendes Engagement wird wohl immer belohnt werden.
Auch jenseits von Preisen/ Geldzahlungen oder Vermarktung.
Leider ignoriert Keimform.de offenbar Formatierungen und Zeilenumbrüche! o.O ? [Hab’s durch die Bearbeitungsfunktion noch hinbekommen!]
Trotzdem der Link zum Beitrag auf G+ 😉
https://plus.google.com/115680572119865888041/posts/S34VUtaLD7E
Späte Auswirkungen des Dialogs mit Michael Albert?
@Manu: danke für deinen detaillierten Kommentar!
Dieser Text ist keine Utopie, die beginnt – wenn man es so nennen will –, eher mit dem nächsten, zur umfassenden Quasi-Flatrate. Hier ging es mir erstmal darum, Voraussetzungen zu formulieren, die ich in Bezug auf eine positiv-postkapitalistische Gesellschaft für essenziell halte.
Sprich: ich gehe davon aus, dass künftige bzw. gedachte Gesellschaften, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, entweder nicht funktionieren würden oder wieder in dem Kapitalismus sehr ähnliche Muster zurückfallen würden. Negativ-postkapitalistische Gesellschaften sind natürlich auch immer denkbar, z.B. eine Weiter-/Rückentwicklung zu einer Art Neofeudalismus. Um Abgrenzung zu denen ging es mir auch, insbesondere mit dem „auf Augenhöhe“-Prinzip und dessen Ableitungen wie der Privilegienablehnung.
Also hier: noch keine Utopie, eher den Rahmen für erfolgversprechende Utopien abstecken.
Allerdings. Wenn ich über mögliche andere Gesellschaften schreibe, ist nicht nur die theoretische Möglichkeit ihrer Realisierung, sondern auch die praktisch – aus dem heutigen, kapitalistischen System heraus – für mich wesentlich. Meine Überlegungen dazu will ich später noch detaillierter entwickeln – über alles auf einmal schreiben geht halt nicht.
Was die Arbeitaufsteilung betrifft, wird das im nächsten Artikel (work-in-progress) ausführlicher Thema sein, hier ging’s mir erstmal nur um eine Messung meiner alten Überlegungen (aus meinem Buch von 2007/08) an den aus dem Wood’schen Buch extrahierte Kriterien. Darüber ob eine bestimmte Gesellschaft solche Gewichtungsmodelle überhaupt braucht, unter welchen Umständen, welche Arbeiten da aufgeteilt werden und unter wem, ist damit noch gar nichts gesagt. Das sind aber ganz essenzielle Momente wenn man konkret über gesellschaftliche Arbeitsteilung reden will. Ich werde mich im nächsten Artikel bemühen, auf deine Einwände zurückzukommen, also schonmal Danke dafür!
@Manu, zur Privilegienablehnung: mir geht’s dabei nicht um individuell freiwillig eingeräumte Vorteile: wenn ich in einer schwierigen Operation dein Leben rette und du mich hinterher aus Dankbarkeit zum Essen einlädst, mir einen Blumenstrauß schenkst oder mit mir ins Bett gehst, dann ist dir das natürlich unbenommen.
Problematisch finde ich, wenn sowas nicht hinterher freiwillig erfolgt, sondern zur Voraussetzung gemacht wird. Weil denn denjenigen, die die Gegenleistung nicht erbringen können oder wollen, die medizinische Behandlung verweigert wird, was durchaus gesundheits- oder lebensbedrohend werden kann. Das darf nicht sein.
Damit betrachtest du Gesundheit, ganz gemäß der kapitalistischen Logik, als „knappes Gut“, dass es nicht für alle geben kann. Die Vorstellung ist, dass es zu wenig gute Ärztinnen gibt, so dass Regionen um sie konkurrieren müssen. Region A wirbt Region B die guten Ärzte ab, so dass sich die Gesundheitsversorgung für die Bewohner von A bessert, für die von B aber verschlechtert. Und vermutlich würde es dabei nicht bleiben – irgendwann würde Region C den knappen Ärzten ein noch besseres Angebot machen und die B-Bewohnerinnen wären ebenfalls die dummen. So machen sich alle gegenseitig das Leben schwer.
Ist es nicht besser, statt zu versuchen, die anderen auszukonkurrieren, wobei definitionsgemäß nicht alle gewinnen können, Gesundheit als Commons zu betrachten, das allen zusteht? Das würde hier bedeuten, sich nicht gegenseitig die Ärzte abzuwerben, sondern einen gegenseitigen Wissensaustausch zu vereinbaren, vielleicht Auszubildende zu den guten Ärzten der anderen Regionen zu schicken, junge Leute zu ermutigen, sich medizinischen und Pflegeberufen zuzuwenden (zur Gesundheitsversorgung gehört ja noch viel mehr als nur Ärztinnen!) etc.
Klar, andererseits sollte ein Müllwegräumer ja auch nicht zum Operieren gezwungen werden, oder? Es sollte überhaupt niemand zu etwas gezwungen werden. Auch den Arzt kannst du natürlich nicht zum Operieren zwingen. Gesellschaftlich kannst du nur die Rahmenbedingungen dafür setzen, dass sich für alle gesellschaftlich nötigen Tätigkeiten genügend Leute finden, die sie erledigen. Und falls du glaubst, Müllentsorgung wäre keine gesellschaftlich nötige Tätigkeit, frag mal die Bewohnerinnen von Regionen, in denen die Müllabfuhr streikt!
PS. Was das Problem mit dem Kommentareditor betrifft: das tritt leider bei einigen Leuten auf, wir wissen noch nicht, wann und warum, aber wir werden uns um eine Lösung bemühen. In der Zwischenzeit hilft das Nachbearbeiten von Kommentaren, auch wenn es lästig ist 🙁
@Manu: kleiner Nachtrag: Wenn ich deinen Kommentar insgesamt so lese, habe ich ja das Gefühl, als ob da zwei unterschiedliche Leute schreiben. Oben wetterst du gegen „Bestechung“ und „künstlichen extrinsischen Zwang oder Druck“, unten willst du Ärzte durch „ein besseres Fahrzeug/ bessere Infrastruktur und ein luxuriöseres Anwesen“ bestechen bzw. extrinsisch motivieren. Wie passt das zusammen?
@Franz:
Ne, sondern Auswirkungen meiner Lektüre des Buchs von Ellen Wood und der dadurch ausgelösten Überlegungen, die ich in dem Artikel zur Produktivkraftentwicklung dargelegt habe. Die Streifzüge-Ausgabe zu Keimformen mit meinem Artikel zu Wood ist übrigens jetzt erschienen und sollte in den nächsten Tagen/Wochen nach und nach auch hier und auf der Streifzüge-Website online gehen. Dann wird das hoffentlich noch klarer.
Leider funktioniert das Kommentarsystem auf keimform.de wirklich nicht… oder zumindest nicht wirklich… Ordentlich Nachbearbeiten ist jetzt leider auch gescheitert…Deswegen hier gleich nochmal, korrigiert;) //(Den redundanten Kommentar bitte oben einfach entfernen, wenn möglich! Danke!:)
Du schreibst in Deiner Antwort auf meinen Kommentar:
// Wenn ich über mögliche andere Gesellschaften schreibe, ist nicht nur die theoretische Möglichkeit ihrer Realisierung, sondern auch die [praktische] – aus dem heutigen, kapitalistischen System heraus – für mich wesentlich. Meine Überlegungen dazu will ich später noch detaillierter entwickeln – über alles auf einmal schreiben geht halt nicht. //
+Christian Siefkes
Sehe ich ein./ Verstehe ich und bleibe gespannt.
(Besonders im Hinblick auf die Konkretisierung Deiner Ideen zur Aufteilung von Arbeit!)
Mit dem „bestechlichen“ Arzt habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt.
// Oben wetterst du gegen “Bestechung” und “künstlichen extrinsischen Zwang oder Druck”, unten willst du Ärzte durch “ein besseres Fahrzeug/ bessere Infrastruktur und ein luxuriöseres Anwesen” bestechen bzw. extrinsisch motivieren. Wie passt das zusammen? //
(Christian)
Es geht nicht darum, dass der Arzt sich zur Arbeit extrinsisch motivieren lassen muss.
(Es geht nicht darum, dass eine ökonomische Kompensation oder Gegenleistung vorausgesetzt werden soll! Das Problem sehe ich wohl ähnlich wie Du… oder genauso.)
Wenn wir uns gesellschaftlich darauf einigen können, dass wir Solidarität zur wesentlichen Kontingenzformel oder zum Prinzip unseres Handelns machen, dann wird auch der Arzt tun, was er tun kann, um zu helfen, wenn er helfen kann.
Das heisst der Arzt wird überall dort Leute heilen, wo er auf Leute trifft, die geheilt werden wollen oder medizinische Hilfe und Behandlung brauchen.
Unter Umständen haben einige Menschen einen weiteren Weg zu diesem Arzt, wenn er sich entscheidet in eine Praxis mit Meerblick zu ziehen, die andernorts gerade neu gebaut wurde oder frei steht. Und vielleicht gibt es dort eben auch bessere Möglichkeiten der Mobilität/ stabilere, schickere und schnellere Fahrzeuge, die sich die Leute dort nach Verfügbarkeit teilen. Man sollte immer im Hinterkopf behalten, dass sich gewisse Infrastrukturen und Standortvorteile nicht einfach exportieren/ transportieren oder vervielfältigen lassen.
Wenn man begabten und fleissigen Menschen also prinzipiell zugestehen möchte, sich anzusiedeln, wo sie wollen, dann werden diese Menschen sich unter Umständen an Standorten ansiedeln, wo die Menschen in der Regel optimal versorgt sind und einen einfachen, unmittelbaren Zugang zu attraktiven Ressourcen und Infrastrukturen haben.
Da der Arzt sich in einer zwanglosen und freien Gesellschaft also stets aussuchen kann, wo er leben und praktizieren möchte, besteht immer ein gewisses Risiko, dass Ärzte (oder allgemein Menschen mit besonderen Fähigkeiten) abwandern, wenn ihnen anderswo Zugang zu Ressourcen und Infrastrukturen gewährt und vereinfacht wird, die in ihrem angestammten sozialen Horizont vielleicht fehlen oder knapp sind.
Daraus wird sich ein natürlicher Anreiz ergeben, die Region in der man lebt attraktiv genug zu halten, damit begabte und engagierte Menschen keinen Anlass sehen, sich vielleicht anderswo anzusiedeln.
Wenn aber stets das Motiv der sozialen Verantwortlichkeit und Solidarität hochgehalten wird, kann ein Arzt nur dann einen sozialen Horizont verlassen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass eine medizinische Versorgung grundlegend gewährleistet ist, auch wenn der Arzt sich anderswo niederlassen möchte.
Unter Umständen kann der öffentlich geäusserte Wunsch nach besseren Lebensumständen und Infrastrukturen/ einer besseren Praxis und einem besseren Fahrzeug die Menschen in unmittelbarer Umgebung dazu veranlassen, ermutigen und motivieren freiwillig/ aus eigenem Interesse für eine Aufbesserung der Infrastrukturen in der Region zu sorgen. Diese Form der Konkurrenz halte ich für vorteilhaft und natürlich, da für alle ein Vorteil entsteht, solange alles, was entsteht als „Commons“ begriffen wird.
Das heisst, dass sich auch der Arzt jederzeit damit abfinden muss, dass sein Anspruch auf exklusiven Zugang zu einer attraktiven Ressource nur dann berücksichtigt bleibt, solange genug für alle da ist und solange die Menschen das Gefühl haben, er macht seine Sache gut.
Wenn ein anderer Arzt seine Sache besser macht, wird der eine Arzt eventuell darum ersucht werden, seine Praxisräume zu teilen oder aufzugeben (je nachdem)… Und letztlich wird der aktuell beste Arzt wohl auch immer die neueste, optimale Infrastruktur zur Ausübung seiner Tätigkeit zugesprochen bekommen. Im Konfliktfall oder falls effektiv Knappheit herrscht, wird man jeweils Kompromisse finden, allerdings ginge es in einer von wirtschaftlichen Erwägungen und Zwängen befreiten Gesellschaft eben nur noch darum, dass man jeweils tut, was man kann, um das Leben für einen selbst und alle Anderen erträglich und lebenswert zu gestalten.
Kein Arzt wird seine Hilfe irgend jemandem verweigern wollen, der ihn nicht extrinsisch motivieren oder bestechen kann. Solange sich der Arzt an das Prinzip „Solidarität“ halten möchte, wird nach Möglichkeit, Kraft und Machbarkeit jeder, der den Arzt aufsuchen kann, eine Behandlung erhalten, unabhängig von einem vorausgesetzten Preis/ einem Tauschangebot, einer Gegenleistung oder einer ökonomischen Kompensation.
Für jeden praktizierenden Arzt oder Heiler/ für jeden, der eine attraktive und gefragte Tätigkeit ausübt bestünde in einer Gesellschaft, in der man von gewaltsamer autoritärer Intervention absieht allerdings stets der Anreiz, seine eigene Aktivität oder Leistung überflüssig zu machen.
(Das ist ein ganz entscheidendes Moment der Sozialisation in einer Gesellschaft jenseits ökonomischer Manipulation!::)
Wenn ich mich überfordert fühle oder wenn ich Schwierigkeiten habe, die Nachfrage nach meiner Hilfe und Unterstützung zu beantworten, dann werde ich den Anreiz verspüren für Entlastung zu sorgen, indem ich Andere dazu ausbilde und befähige mich abzulösen und zu ersetzen.
Jeder, der heilen kann, wird also dafür sorgen wollen, Andere als Heiler auszubilden, um sich selbst nicht unnötigem Stress und Überforderung auszusetzen.
Alleine dadurch, dass Menschen verstehen, dass es in einer Gesellschaft jenseits von Kommerz und Konsum prinzipiell darum geht sich selbst und Anderen unnötige Arbeit und unsinnigen Stress zu ersparen, wird niemand auf lange Sicht einen überzeugenden Anreiz darin sehen, sich selbst Privilegien dadurch zu schaffen, dass man die eigenen Dienste und Leistungen künstlich verknappt.
Ein Arzt wird sich also womöglich freuen, wenn er eine Praxis mit Meerblick zugesprochen bekommt und ein gutes, schickes Auto, das er exklusiv nutzen darf, etc… allerdings wird der Arzt sich auch bewusst werden, dass jeder Vorteil, den er oder sie annimmt, aller Voraussicht nach mit Mehrarbeit verbunden sein kann… Nur wenn er oder sie also bereit ist, sich selbst möglichst überflüssig zu machen, kann er oder sie sich vor massloser Überforderung retten. Letzten Endes droht sowieso das Alter und der Tod. Wer sich früh um würdige Nachfolger bemüht, muss weniger arbeiten und kann auch früher in den „Ruhestand“ eintreten… obwohl das mit dem „Ruhestand“ auch jenseits von Formalismen passieren wird. Je mehr ich für Überfluss sorge, desto mehr sorge ich dafür, dass ich mich zurückziehen kann, wie und wann und wohin ich möchte.
Das ethische Ziel ist Obsoleszenz!
Und jeder, der sich weigert, darauf hin zu arbeiten sich selbst überflüssig zu machen, verursacht sich auf lange Sicht selbst nur Schwierigkeiten.
In einer prinzipiell von extrinsischen Zwängen und Anreizen befreiten Gesellschaft wird man (paradoxer Weise) aber auch nicht verbieten können, dass sich Menschen extrinsisch motivieren lassen, oder bestechen und kaufen lassen.
Individuen oder Organisationen, die in der Lage sind bestimmte Informationen, Ressourcen oder Infrastrukturen durch die Einrichtung entsprechender Strukturen der Macht- und Gewaltausübung exklusiv zu beanspruchen und zu kontrollieren, können prinzipiell auch Bedingungen stellen, an jeden, der Zugang Du zu den von ihnen (gewaltsam) blockierten Informationen, Ressourcen oder Infrastrukturen wünscht oder benötigt.
Das ist im Grunde das Prinzip „Eigentum“. (//Exkurs:)
Jeder Anspruch auf „Eigentum“ rechtfertigt sich letztlich nur durch die Möglichkeit im Zweifelsfall oder bei Zuwiderhandlung gegen den Kontrollanspruch Gewalt anwenden zu können.
Wenn da am Ende kein bewaffneter Sicherheitsmann/ kein Polizist mit Pistole steht, der bereit ist handfeste Gewalt gegen jeden anzuwenden, der meinen Anspruch auf exklusiven Zugang zu einer bestimmten Ressource (Information) oder Infrastruktur in Frage stellt, dann sind meine Ansprüche eben belanglos. Zumindest könnte ich meine Ansprüche dann nur dadurch geltend machen, dass ich selbsttätig Gewalt anwende oder Hürden anbringe, die den Zugang für Andere erschweren oder unmöglich machen.
Ohne ein Heer von fremdbestimmten, gewaltbereiten Sicherheitskräften zählen Ansprüche auf Eigentum nicht viel… Jedenfalls würden unsere Ansprüche auf den Rechtstitel „Eigentum“ ohne den impliziten Hinweis auf „Polizei“/ „Gericht“ und „Gefängnis“ wenig bedeuten.
Ohne verbindliche Gesetze/ ohne Exekutive/ ohne die Möglichkeit der Verurteilung und Bestrafung durch Gewaltsames Einschreiten bei Zuwiderhandlung wären unsere Ansprüche auf „Eigentum“ unbedeutend über eine natürliche Schwelle der gesellschaftlichen Akzeptanz und Rücksichtnahme hinaus, die man letztlich auch unter dem Begriff „Solidarität“ zusammenfassen kann.
Also: Das Einzige, was unsere Ansprüche auf exklusive Kontrolle über eine Ressource oder Infrastruktur jenseits von gewaltsamer Intervention und Strafe rechtfertigen könnte, wäre die Einsicht und Toleranz oder die Rücksichtnahme und Solidarität unserer Mitmenschen.
Jenseits von „Recht“/ „Gesetz“, Macht und Gewalt verfällt also jede Rechtssicherheit auf „Eigentum“. Ein jeglicher Vertrag gilt jenseits von „Gesetz“/ „Polizei“ und „Strafanstalt“ eben nur so viel, wie er inhaltlich einwandfrei empfunden wird und einvernehmlich von allen Beteiligten/ allen Vertragspartnern und allen sonstwie Involvierten (konfliktfrei) akzeptiert werden kann.
Jenseits der Möglichkeit autoritärer Intervention gibt es quasi überhaupt keine Rechtssicherheit mehr.
Und das ist vielleicht die Wesentlichste Einsicht, die mir bisher bei der Betrachtung unserer gesellschaftlichen Umstände, Konventionen, Rituale und Gepflogenheiten eingefallen oder aufgefallen ist.
Alles, was wir für gewöhnlich tun oder lassen steht und fällt im Status Quo tatsächlich mit der Möglichkeit im Zweifelsfall oder bei Zuwiderhandlung Gewalt anwenden zu können.
Alles, was wir „Recht“ nennen, basiert letztlich auf der Möglichkeit zur gewaltsamen Intervention.
In einer zwanglosen, freiheitlich und selbstbestimmt arrangierten Gesellschaft sollten wir also nicht mehr über „Rechte“ nachdenken müssen. Das Nachdenken über „Rechte“ ist ein Symptom von Unfreiheit und Unsicherheit.
(Der Grund, warum ich diesen Exkurs einbauen wollte ist der, dass im Grunde sämtliche „Prinzipien“ oder „Rahmenbedingungen“, die wir für ein möglicherweise funktionierendes alternatives Gesellschaftsmodell einer freiheitlichen und selbstbestimmten Sozialisation aufstellen oder konzipieren könnten, letztlich dem Anspruch folgen sollten, dass sie von uns und Anderen einvernehmlich und freiwillig akzeptiert werden können, ohne von der Möglichkeit der Gewaltanwendung bei Zuwiderhandlung getragen zu werden.
Ich hoffe Du kannst mir folgen… mir fällt auf, dass meine Sätze und Argumentationen mitunter lang werden… deswegen schließe ich diesen Kommentar jetzt erst mal ab.) ;)