Das zweite Wachstum

Wachstumskritik ist ja sehr beliebt in unseren Kreisen. Und das sicherlich zu Recht. Es ist unzweifelhaft so, dass unendliches exponentielles Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht funktioniert und dass das in inzwischen sehr absehbarer Zeit in eine Katastrophe führen wird. Es mag zwar unendliche Ressourcen im Asteroidengürtel geben, aber niemand – außer vielleicht einer bestimmten Sorte von sehr reichen Verbrechern mit Silicon Valley Hintergrund – kommt auf die Idee das könnte unser Problem rechtzeitig lösen. Und zu Recht.

Also weg mit dem Wachstum. Problem gelöst.

Ganz so einfach ist es halt nicht. Und warum das nicht so einfach ist, erkläre ich euch jetzt:

Neben dem rein monetär gemessenen Wachstum des BIP gibt es nämlich auch ein stoffliches. Das ist ja genau der Grund weswegen wir überhaupt ein Problem haben. Wenn es nur um Geld ginge, hätten wir kein Problem, weil Geld nur eine Fiktion ist. Es wird Zeug produziert. Immer mehr Zeug. Und das Zeug (oder zumindest große Teile davon) wird halt schon gebraucht. Leute wollen Essen, nen Dach überm Kopf und im Winter nicht erfrieren (bzw in Zukunft immer wichtiger: Im Sommer nicht an Hitzschlag sterben). Dafür brauchen sie Zeugs. Und da wir nach neueren Prognosen noch einige Jahrzehnte lang mehr werden, werden wir auch weiterhin mehr Zeugs brauchen. Also: Wachstum. Eben das zweite Wachstum, wie ich es im Titel genannt habe. Und da ist die nötige Lebensstandardsteigerung für die Armen nicht mal mit eingerechnet.

Nun gibt es zum Glück zwei Aspekte am kapitalistischen Wachstum, die niemand braucht, die aber trotzdem Ressourcen verbrauchen: Müll und reiche Arschlöcher. Wir können also unser Wachstum im Prinzip vergrößern in dem wir weniger Müll produzieren und weniger reichen Arschlöchern den Hintern pudern. Ich bin ja sehr dafür, das Leute selber bestimmen können, was ihre Bedürfnisse sind, aber es gibt Dinge, die braucht niemand.

Es gibt aber trotzdem ein Problem, weil man halt beides also Müll und Überschussluxus für reiche Arschlöcher nur maximal auf null reduzieren kann. Die große Frage, die dann bleibt: Reicht das? Und das hängt leider tatsächlich an der Bevölkerungsentwicklung auch wenn ich jetzt vermutlich hier als Neomalthussianer oder sowas beschimpft werde. (Übrigens kleine Anekdote am Rande: Der Grund, weswegen Malthus mit seinen Vorhersagen nicht recht hatte, war ja die beginnende Industrialisierung, also genau das, was uns jetzt viele unserer Probleme bereitet).

Die Bevölkerungsentwicklung reagiert halt träge auf Veränderungen. So lange die Geburtenrate über ca. 2,1 ist steigt die Bevölkerung exponentiell. Das bedeutet in dieser Zeit brauchen wir auch exponentiell mehr Zeugs, also Wachstum. Aktuelle Prognosen variieren naturgemäß gewaltig und gehen von ca. ein bis zwei Generationen weiteren Bevölkerungswachstums aus, bis ein Maximum erreicht wird. In diesen Transformationsgenerationen müssten wir also Müll und Überschussluxus auf Null oder sehr nahe an Null bringen um so lange wie möglich noch das zweite Wachstum produzieren zu können. Alles andere bedeutet Massensterben. Und zwar ganz unabhängig von Klimakatastrophe oder Artensterben. Das kommt noch oben drauf. Wir brauchen also zusätzliches Zeugs um diese Probleme auch noch bewältigen zu können.

Das ist jetzt alles keine quantitative Analyse natürlich, das können andere besser. Also an welchem Punkt genau wir dann endgültig am Arsch sind kann ich euch nicht ausrechnen. Nur soviel sagen: Mit jedem Jahr business as usual wird die Situation schlimmer. Weil wir dann das kostbare zweite Wachstum auch ein weiteres Jahr nicht maximieren konnten sondern es für noch mehr Müll und Luxus raus geschmissen haben.

Man könnte es vielleicht auch so formulieren: Die Menschheit ist abhängig geworden vom Wachstum und muss langsam entwöhnt werden. Leider sind wir wahrscheinlich über den Punkt schon lange raus und wir gehen gerade in den kalten Entzug. Ich wünsche uns viel Glück.

Was sich aber angesichts dieser Perspektive offensichtlich komplett verbietet sind lokalistisch-ökoprimitivistische Utopievorstellungen. Ich würde sogar sagen die sind schlicht reaktionär und lebensgefährlich. Wir brauchen mehr Produktivität (im Sinne von menschlicher Tätigkeit, die menschliche Bedürfnisse erfüllt, nicht im kapitalistischen Sinn, also eben im Sinne des zweiten Wachstums) und auch mehr globale Zusammenarbeit und nicht weniger angesichts der größten Krise, vor der die Menschheit je stand.

Die gute Nachricht: So bald wir mal raus gefunden haben, wie wir das zweite Wachstum maximieren können und die Bevölkerung nicht mehr wächst, geht alles weitere Produktivitätswachstum direkt in mehr Bedürfnisbefriedigung, mehr Muße, mehr Wissen, mehr Leben. Also selbst in der Zeit nach der planetaren Krise gibt es keinen Grund vom zweiten Wachstum zu lassen. Im Gegenteil. Und dann können wir auch irgendwann zu den Sternen.

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