Die umfassende Quasi-Flatrate
(Voriger Artikel: Voraussetzungen für allgemeine bedürfnisorientierte Re/produktion)
Im letzten Teil hatte ich festgestellt, dass in einer postkapitalistischen, die allgemeine Emanzipation ermöglichenden Gesellschaft die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Produktionsprozesses stehen müssen. Die im Folgenden entwickelte Idee der umfassenden Quasi-Flatrate basiert auf der Erkenntnis, dass ein Großteil der Bedürfnisse aller Menschen durchaus ähnlich ist: alle müssen essen und trinken; alle wollen ein ausreichend geheiztes oder gekühltes Dach über dem Kopf; alle wollen gesund bleiben und brauchen bei Krankheit oder Unfällen medizinische Versorgung; alle wollen alt werden und brauchen im Alter, bei Krankheit oder Behinderung gegebenenfalls Pflege, alle brauchen als Kinder Menschen, die sich um sie kümmern; alle wollen auf die eine oder andere Weise etwas lernen, sich weiterbilden, neue Fähigkeiten entwickeln; fast alle wollen sich sportlich oder spielerisch betätigen, sich gelegentlich mit Freunden treffen oder feiern, kulturelle Ereignisse besuchen (z.B. Kino, Theater, Oper, Ausstellungen) etc.
Zielsetzung der umfassenden Quasi-Flatrate ist die selbstorganisierte Versorgung aller Bewohner (ich verwende weibliche und männliche Formen zufällig im Wechsel) einer bestimmten Region mit all diesen allgemein nützlichen Güter. Sie sollte alles umfassen, was die Menschen zum Überleben und zur allgemein üblichen Teilhabe benötigen – „beispielsweise Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Heizung, Wasser, Strom, Telekommunikation, öffentliche Verkehrsmittel, medizinische Versorgung, Bildung, Kinder-, Alten- und Behindertenbetreuung sowie elementare Güter für diverse Sport- und Freizeitaktivitäten“ (Lueer 2013: 279). Die Versorgung mit diesen Gütern ist dabei frei in dem Sinne, dass nicht genau abrechnet wird, wer wie viel verbraucht, denn bei dem, was alle in vergleichbarem Umfang benötigen (beispielsweise Essen, regionale Mobilität, Telekommunikationsmöglichkeiten), gibt es dafür keinen Grund. Und wo einige deutlich mehr benötigen, ohne sich dies ausgesucht zu haben (etwa medizinische Versorgung und Pflege aufgrund von Krankheit, Alter oder Behinderung), wäre es unfair, dies den einzelnen anzulasten.
Während der Zugang daher im Allgemeinen per Flatrate-Prinzip erfolgt (alle nehmen sich, so viel sie brauchen), werden in manchen Fällen wohl Obergrenzen nötig sein. Für Wohnraum dürfte es etwa einerseits Mindeststandards geben, die festlegen, welche Wohnungsgröße und Ausstattung einer Person oder Gruppe von Personen, die zusammen wohnen möchten, mindestens zustehen, andererseits aber auch Obergrenzen. Ein Schloss für jede dürfte kaum praktikabel sein. Damit ist der Begriff „umfassende Quasi-Flatrate“ (kurz: Quasiflat) erklärt: „umfassend“, weil sie möglichst alle Güter umfassen sollte, die Menschen zum Leben und zur üblichen gesellschaftlichen Teilhabe benötigen; „Flatrate“ wegen des Verzichts auf individuelle Abrechnung; „quasi“, weil der Zugang in manchen Fällen gedeckelt sein kann.
Die Teilhabe an der Quasiflat ist nicht unbedingt bedingungslos, da sie ja nicht vom Himmel fällt, sondern organisiert werden muss. Vollen Zugriff auf die zugänglich gemachten Güter mag es also nur für diejenigen geben, die bereit sind, einen eigenen Beitrag zur Herstellung und Pflege dieser Güter zu leisten. Ob eine solche Beteiligungspflicht nötig ist oder ob freiwillige Beiträge ausreichen, wird von den konkreten Umständen und Erfahrungen der Beteiligten abhängen und kann nicht vorab pauschal beantwortet werden. Sie darf aber (gemäß der im letzten Artikel genannten zweiten Voraussetzung) jedenfalls nicht dazu führen, dass einzelne ausgegrenzt oder in Konkurrenz zu anderen gezwungen werden. Wie dies sichergestellt werden kann, wird später erörtert.
Praktikabel dürfte eine Quasiflat zudem nur sein, wenn sich alle nur für den Eigenbedarf versorgen. Der Verkauf oder die Vermietung der so erhaltenen Güter (sofern diese Kategorien noch gesellschaftlich relevant sein sollten) wird also nicht gestattet sein und könnte zu Sanktionen führen. Hier ist die Unterscheidung von „Eigentum“ und „Besitz“ relevant. Eigentum ist die vielleicht fundamentalste Rechtsform im Kapitalismus: das exklusive und umfassende Verfügungsrecht über ein bestimmtes Gut, das den Eigentümer dazu berechtigen, es nicht nur zu benutzen, sondern auch zu verkaufen, zu vermieten oder anderweitig „zu Geld zu machen“. Besitz bedeutet dagegen Nutzung – mein Besitz ist das, was ich benutze oder verbrauche. Anders als „Eigentum“ ist der Begriff „Besitz“ daher nicht an ein bestimmtes Rechtssystem gekoppelt. Per Quasiflat zugänglich gemachte Güter können Besitz werden, aber wohl kein Eigentum.
Was genau zur Quasi-Flatrate gehört, wie die Zugangsmodalitäten sind, ob und für wen es eine Beteiligungspflicht gibt und wie Regelverstöße geahndet werden, steht nicht im Vorhinein fest, sondern kann nur in einem gesellschaftlichen Einigungsprozess festgelegt werden. Dies entspricht dem Anspruch der Kooperation auf Augenhöhe sowie dem dritten Gestaltungsprinzip der nobelpreisgekrönten Commonsforscherin Elinor Ostrom (2011: 86): “Gemeinschaftliche Entscheidungen: Die meisten Personen, die von einem Ressourcensystem betroffen sind, können an Entscheidungen zur Bestimmung und Änderung der Nutzungsregeln teilnehmen.”
Eine weltweit einheitliche Quasiflat wäre deshalb unpraktisch. Sie würde einzelnen praktisch keine Mitsprachemöglichkeiten lassen und könnte den unterschiedlichen lokalen Situationen schwerlich gerecht werden. Andererseits darf der Einzugsbereich einer Quasiflat auch nicht zu klein sein, da sie ja selbstorganisiert sein soll. Das erfordert zwar keine totale Autarkie, die auch unrealistisch wäre – wie Ressourcen und Aktivitäten über verschiedene regionale Quasiflats hinweg koordiniert werden können, wird noch zu klären sein. Aber der Kreis der Beteiligten sollte groß genug sein, um eine vielfältige selbstorganisierte Selbstversorgung zu ermöglichen und dabei (wo sinnvoll) auch großtechnische Produktionstechniken einsetzen zu können. Einzelne Dörfer oder Kleinstädte dürften somit eine zu kleine Bezugsgröße sein.
Als geeignete Größenordnung leuchten mir die „unabhängigen Regionen“ ein, die Christopher Alexander als „Muster 1“ an den Anfang seines einflussreichen Buchs Eine Muster-Sprache gestellt hat. Alexander et al. (1977: 10ff) schlagen Regionen mit zwischen zwei und zehn Millionen Einwohnern vor, doch erscheinen mir durchaus auch etwas kleinere Regionen ab etwa einer Million Einwohnerinnen als „groß genug“. Geht man von einer durchschnittlichen Bevölkerung von drei Millionen aus, gäbe es bei der heutigen Größe der Weltbevölkerung (7,2 Milliarden im Jahr 2014) um die 2400 solcher unabhängiger Regionen. Alexander geht von um die 1000 Regionen aus, doch war zur Erscheinungszeit seines Buchs die Weltbevölkerung auch noch deutlich kleiner (gut 4 Milliarden). Für Regionen mit einer selbstorganisierten Quasiflat werde ich künftig den Begriff „Koregion“ verwenden, kurz für „Kooperativ-“ oder „Commonsregion“.
In jeder Koregion entscheidet die Bevölkerung über Umfang und genaue Ausgestaltung der regionalen Quasiflat. Die Entscheidungsmodi werden variieren – denkbar wäre etwa eine virtuelle Bewohnerversammlung, in der alle Einwohnerinnen stimmberechtigt sind und die im Regelfall mit einfacher Mehrheit entscheidet.
Auch die nötige Produktion findet großteils innerhalb der jeweiligen Region statt, in kooperativ organisierten Betrieben, deren Mitarbeiter auf Augenhöhe zusammenarbeiten, ohne dass es eine Trennung zwischen weisungsbefugtem Management und bloß ausführenden Angestellten gibt. Ich werde künftig von „Kobetrieben“ oder „Kooperativbetrieben“ sprechen. Kobetriebe haben ein anderes Ziel als kapitalistische Unternehmen – sie versuchen nicht, Waren auf dem Markt zu verkaufen und damit möglichst viel Profit zu machen, sondern ihr Ziel ist die Versorgung der regionalen Bevölkerung im Rahmen der Quasiflat. Betriebe, die Ähnliches herstellen, konkurrieren daher auch nicht miteinander. Weitet ein Kobetrieb seine Produktion aus, erspart er den anderen Arbeit statt sie in Schwierigkeiten zu bringen.
Allerdings wäre es völlig kontraproduktiv, wenn jeder Betrieb ohne Absprache mit den anderen und den potenziellen Nutzerinnen vor sich hinwurschteln würde. Zur Abstimmung der Produktion werden sich alle Betriebe einer Koregion, die Ähnliches produzieren, daher in einem Syndikat koordinieren, an dem auch die Nutzer der hergestellten Güter teilnehmen können – schließlich sind sie es, für die produziert wird. Syndikate koordinieren die Produktion, um zu verhindern, dass zu viel, zu wenig oder am Bedarf vorbei produziert wird.
Ich verwende den Begriff „Syndikat“ hier im Sinne eines „lokalen, branchenweiten Zusammenschluss[es] von Arbeitern“ (Wikipedia 2013), wobei Neubildungen wie das „Mietshäuser-Syndikat“ zeigen, dass zu einem Syndikat neben den Herstellerinnen durchaus auch die Nutzerinnen von Gütern gehören können. Stattdessen sind natürlich auch andere Begriffe denkbar, in Beitragen statt tauschen (Siefkes 2008: 58ff) habe ich etwa von „Prosumenten-Assoziationen“ gesprochen.
Die in Betrieben eingesetzten Produktionsmittel (Land, Gebäude, Maschinen, Rohstoffe) und Vorprodukte sind kein Privateigentum des jeweiligen Betriebs, sondern bleiben Commons. Sie gehören nicht einzelnen, sondern allen, und werden den einzelnen Betrieben von der Gesellschaft (den Bewohnerinnen der Koregion) treuhänderisch überlassen, um sie zur Versorgung der Bevölkerung im Rahmen der Quasiflat (also zum Wohle aller) einzusetzen.
Für die hiermit vorgeschlagene gesellschaftliche Re/produktionsweise scheint mir der Begriff Commonssyndikalismus (oder kürzer Cosyndikalismus) geeignet, da die Commons und die Syndikate ihre Grundlage sind.
Syndikate können sich gemäß dem Räteprinzip organisieren: jeder Betrieb einer Branche schickt eine Delegierte in den Syndikatsrat, die etwa von der Vollversammlung aller Betriebsangehörigen ernannt wird. Auf Nutzerseite könnte es jeweils branchenspezifische Ableger der regionalen Bewohnerinnenversammlung geben, an denen alle Nutzer entsprechender Güter teilnehmen können. Diese Nutzerinnenversammlung bestimmt ebenso viele Delegierte wie die Betriebe zusammen, um gleichberechtigt vertreten zu sein. Delegierte sind gegenüber den sie entsendenden Versammlungen weisungsgebunden (imperatives Mandat) und können jederzeit von ihnen abberufen werden.
Die innere Organisation jedes Kobetriebs ist ihm selbst überlassen, so dass die jeweils Beteiligten sich nach eigenem Ermessen auf für sie geeignete Regeln und Verfahrensweisen einigen können. Eine Orientierung an dem aus Internetprojekten bewährten Doppelprinzip vom „grobem Konsens und lauffähigem Code“ (rough consensus and running code, Clark 1992: 19) dürfte dabei Sinn machen. Grober Konsens bedeutet, dass nicht einzelne nach Gutdünken entscheiden und dass nur ungern abgestimmt wird, sondern dass nach Lösungen gesucht wird, mit denen alle leben können. Nicht jede muss begeistert sein, aber nach Möglichkeit sollte niemand vehement widersprechen müssen. „Lauffähiger Code“ bedeutet – im weiteren Sinne – dass es darum geht, Lösungen zu finden, die sich praktisch bewähren und technisch und sozial aufgehen, statt einfach den eigenen Willen durchzusetzen.
Alle an Syndikaten beteiligten Betriebe führen offen Buch über die produzierten Güter sowie die dafür eingesetzten Produktionsmittel, Vorprodukte und Arbeitszeiten. Das ermöglicht es, die Kosten der im Rahmen der Quasiflat zugänglich gemachten Güter zu ermitteln. Güter werden zwar nicht ge- und verkauft, so dass diese Kostenaufschlüsselung für die einzelnen Nutzer keine direkten Konsequenzen hat. Ein Überblick über die anfallenden Kosten ist aber wichtig für die gesellschaftliche Debatte darüber, welche Güter Teil der Flatrate sein sollen – lohnt sich der Aufwand, oder sollten Arbeitszeiten und Ressourcen lieber für anderes eingesetzt werden? Die Kostenaufschlüsselung ist auch wesentlich, damit Syndikate Alternativen evaluieren und den beteiligten Betrieben gegebenenfalls empfehlen können. Dies betrifft die hergestellten Produkte (sind zur Raumbeheizung solarthermische Kollektoren oder Pelletheizungen besser geeignet?) ebenso wie deren Herstellungsprozesse (lohnt sich der Einsatz einer neuen Maschine oder würde er unterm Strich mehr Arbeit und Ressourcen verbrauchen?).
Kosten lassen sich im Commonssyndikalismus im Gegensatz zum Kapitalismus allerdings nicht auf eine einzige Kennzahl (Geld) herunterbrechen. Die anfallenden Aufwände in Bezug auf Arbeitszeit, Land und verschiedene Rohstoffe verbleiben als unterschiedliche Kennzahlen, die nicht einfach auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Wenn sich alle Kennzahlen in dieselbe Richtung bewegen (eine Prozessinnovation spart sowohl Arbeit als auch Rohmaterial), ist das unproblematisch. Wo das nicht der Fall ist, braucht es eine Debatte darüber, welche Alternative vorzuziehen ist, die im Rahmen einzelner Syndikate oder in der ganzen Gesellschaft geführt werden kann und von den gesellschaftlichen Umständen abhängig sein wird.
Gibt es große ungenutzte Landflächen und ein Großteil der Menschen wünscht sich mehr Muße? Dann dürfte sich eine Alternative durchsetzen, die Arbeit spart, aber mehr Flächen bindet. Oder ist schon alles voll und manche fühlen sich eher gelangweilt? Dann dürfte es andersherum ausgehen. Oder sind sowohl Land auch als Leute schon stark ausgelastet? Das spricht dann womöglich dafür, keine weiteren Güter in die Quasiflat aufzunehmen. Bei bedürfnis- statt profitorientierter Produktion (die nicht auf eine Maximierung der Produktion zur Maximierung des Profits setzen muss) mittels moderner und umweltfreundlicher Technologien dürfte es allerdings nicht so schnell so weit kommen – ganz im Gegensatz zur kapitalistischen Ideologie, derzufolge „Knappheit“ ein notwendiger Bestandteil des Wirtschaftens ist.
Mittels einer selbstorganisierten umfassenden Quasi-Flatrate können zwar viele, aber nicht alle Bedürfnisse befriedigt werden. Wie die Re/produktion zusätzlicher Güter gehandhabt werden kann, wird noch zu diskutieren sein, ebenso die Frage, wie die zur Organisation der Quasiflat nötige Arbeit aufgeteilt werden kann.
(Fortsetzung: Was ist Arbeit?)
Literatur
- Alexander, Christopher; Sara Ishikawa; Murray Silverstein; Max Jacobson; Ingrid Fiksdahl-King; Shlomo Angel (1977): A Pattern Language: Towns, Buildings, Construction. New York: Oxford University Press. Deutsche Ausgabe: Eine Muster-Sprache. Städte, Gebäude, Konstruktion. 2. Aufl. Löcker, Wien 2011
- Clark, David D. (1992): A Cloudy Crystal Ball – Visions of the Future. URL: groups.csail.mit.edu/ana/People/DDC/future_ietf_92.pdf, Zugriffsdatum: 28.3.2014
- Lueer, Hermann (2013): Kapitalismuskritik und die Frage nach der Alternative. Münster: Monsenstein und Vannerdat
- Ostrom, Elinor (2011): Was mehr wird, wenn wir teilen. München: oekom
- Siefkes, Christian (2008): Beitragen statt tauschen. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher. URL: peerconomy.org/text/peer-oekonomie.pdf
- Wikipedia (2013): Syndikat. URL: de.wikipedia.org/wiki/Syndikat, Zugriffsdatum: 28.3.2014
Christian, zur Regionalität: schon gesehen? http://neustartschweiz.ch/userfiles/file/NCH_Broschuere_Commons_lowres.pdf Von P.M. Schwer empfehlenswert.
Ich bin Dir ehrlich dankbar, dass Du diese Artikelserie schreibst, Christian, weil ich so überhaupt erst einen unmittelbaren Ansatzpunkt sehe, spezielle sozialtheoretische Überlegungen schriftlich niederzulegen und auszuformulieren, die ich letztlich für wesentlich halte.
Ich verfolge Deine und auch Silkes Gedanken nun schon seit einiger Zeit interessiert und aufgeschlossen, weil ich denke, dass ihr prinzipiell in eine Richtung denkt, die mir plausibel erscheint, um unsere gemeinsame Welt nachhaltig und auf lange Sicht lebenswert zu gestalten.
Allerdings sehe ich gerade in der Betrachtung der in Deiner aktuellen Artikelserie (hier) konkretisierten Konzepte einige Schwierigkeiten, die wir uns wohl ersparen könnten und sollten, wenn wir unsere soziale Wirklichkeit wirklich an den Prinzipien der Freizügigkeit, Souveränität, Offenheit und Solidarität orientieren wollen.
Den Begriff „CommonsSyndikalismus“ finde ich gut (…abgesehen von dem doppeltem „S“-laut in der Mitte, der ein wenig holprig klingt)!
Darin ist eigentlich auch ein Denkansatz abgebildet oder anvisiert, den ich im Hinblick auf eigene Überlegungen für wegweisend halte.
Besonders fällt mir hier jedoch auf, wie Du Begriffe und Aussagen einführst, die leicht zum Spielball für freie Auslegung und Interpretation werden können:
„Quasi-Flatrate“ („quasi“?)
„allgemein nützliche Güter“(„allgemein?/ nützlich“?)
„alles […], was die Menschen zum Überleben und zur allgemein üblichen Teilhabe benötigen“ („… „allgemein übliche Teilhabe“?)
„Versorgung aller Bewohner […] einer bestimmten Region mit all diesen allgemein nützlichen [Gütern]“ (Wer „bestimmt“ Lage, Position und Umfang so einer „Region“?)
„der Zugang in manchen Fällen gedeckelt“ („manche Fälle“?)
Im vorherigen Artikel tauchten Begriffe auf, wie beispielsweise:
„insgesamt notwendige Arbeit“ („notwendige Arbeit“?)
„keine unnötigen Einschränkungen“ („nötig/ unnötig“?)
„potenziell gefährliche Dinge“ („potenziell gefährlich“?) …
http://keimform.de/2014/voraussetzungen-fuer-allgemeine-beduerfnisorientierte-reproduktion/
Ich verstehe, dass Überlegungen rund um soziale Fragen auch auf Aussagen und Begriffe gestützt werden können (oder müssen?), die sich zunächst schwer fassen und eingrenzen lassen. Das ist auch in Ordnung, solange man davon absieht, ein allgemein verbindliches Regelwerk und „Recht(e)“ auf Begriffe zu stützen, die Spielraum für freie Interpretation bieten.
Nicht wenige Probleme und Konflikte, die wir als gesellschaftlich relevant erleben, resultieren daraus, dass Menschen „Rechte“ frei interpretieren und das allgemein verbindlihe „Recht“ beugen, um andere Menschen kontrollieren, zwingen/ erpressen/ unterdrücken/ ausbeuten und manipulieren zu können.
Du schreibst hier (sehr richtig, wie ich finde)…
// „Eine weltweit einheitliche Quasiflat wäre deshalb unpraktisch. Sie würde einzelnen praktisch keine Mitsprachemöglichkeiten lassen und könnte den unterschiedlichen lokalen Situationen schwerlich gerecht werden. Andererseits darf der Einzugsbereich einer Quasiflat auch nicht zu klein sein, da sie ja selbstorganisiert sein soll.“ //
Ich will meine Kritik an Deinem Konzept nicht zu detailliert punktuell ausführen, weil ich eben annehme, dass wir uns die exakte Definition von Ansprüchen, Rechten und Pflichten prinzipiell ersparen und erübrigen könnten, je mehr wir auf Formalismen und Konventionen zur Kontrolle, Steuerung und Intervention verzichten.
Wenn wir uns tatsächlich konsequent freiheitlich, souverän, flexibel und selbstorganisiert arrangieren und sozialisieren wollen, dann werden wir uns nur umso mehr Hürden, Blockaden und Hemmnisse bauen, je mehr wir unsere Welt durch Regeln, Rituale, definierte Pflichten und Rechte absichern wollen.
Die von Dir dargestellten Ideen halte ich insgesamt für sinnvoll, wenn man sie als Option begreift, nicht als Auflage.
Im Rahmen einer offen vernetzten Gesellschaft (als „Mesh-Network“), in der sich Individuen jeweils ungezwungen uns selbstbestimmt arrangieren können, wie sie es jeweils für richtig, angebracht und plausibel halten, könnten viele der hier angezeichneten Überlegungen zur Organisation und Verwaltung von gesellschaftlichen Anliegen an wichtigen Knoten der Sozialisation nützlich und erfolgreich sein.
Konkrete Ideen für Richtlinien zur Entscheidungsfindung (insbesondere im Hinblick auf die Organisationsform „Anarcho-Syndikalismus“) könnten gegebenenfalls interessant und durchsetzungsfähig sein. Zumindest als Lösungsansatz für kritische und kontroverse Streitfragen könnte man die Idee des „Syndikalismus“ in Erwägung ziehen.
Jedoch sehe ich jede vorgeschriebene Auflage und jeden vorgeschrieben Formalismus kritisch. Ich denke, dass uns aus jedem Formalismus, den wir allgemein verbindlich vorschreiben und einführen wieder neue Komplikationen und Probleme entstehen, für die wir neue Formalismen zur Kompensation der Schwierigkeiten einführen müssen… und so weiter… Die (im vorherigen Artikel erwähnte) „ganze alte Scheiße“ (MEW 3: 35) werden wir auf diese Weise wohl voraussichtlich nicht so einfach los… Vielleicht treten wir auf diesem Weg sogar in ganz neue (frische/ dampfende) „Scheiße“..? Wer weiss?
Letztlich gehe ich davon aus, dass wir eigentlich nichts wirklich allgemein bindend formalisieren müssten, wenn wir nur unsere aktuell gegebenen Möglichkeiten zur offenen Kommunikation und zur ungehinderten, flexiblen Informationsvermittlung nutzen würden.
Wir könnten uns alle Formalismen ersparen oder zumindest sämtliche Formalismen, Regeln und Konventionen auf Nützlichkeit, Brauchbarkeit, Sinn und Schwierigkeit prüfen, indem wir freizügig, offen, transparent und übersichtlich dokumentieren, was wir wollen, wie wir das angehen und wie wir miteinander und mit unserer Umwelt dabei umgehen.
Prinzipiell steht und fällt jede Gesellschaftsform mit der Bereitschaft der Menschen, sich gegenseitig bei der Lösung der Probleme zu unterstützen, die sie alleine nicht bewältigen können.
Diese Bereitschaft bezeichnen wir allgemein als „Solidarität“, soweit ich diesen Begriff richtig deute, … vielleicht gibt es noch einen treffenderen Begriff? („Nächstenliebe“/ „Barmherzigkeit“/ „soziale Verantwortung“ vielleicht..?)
Das zentrale Prinzip, von dem sich eigentlich auch sämtliche anderen Prinzipien, die Du im vorherigen Artikel bereits aufgelistet hast im Einzelfall ableiten lassen, lässt sich meiner Ansicht nach wohl am besten mit dem Begriff „Solidarität“ benennen.
Und ich habe Gründe zur Annahme, dass „Solidarität“ überall dort zur Regel wird, wo Menschen offen, aufrichtig und transparent über ihre Situation, ihre Wünsche, Hoffnungen, Ziele, Motive und Sorgen kommunizieren.
Den Marktgedanken führen wir überall dort ad absurdum, wo wir uns gegenseitig Einblick in unsere Verhältnisse gewähren.
Wenn wir an einem Tisch sitzen an dem mit verdeckten Karten um Ressourcen gezockt wird, erschließen wir uns ohnehin bereits einen relevanten Vorteil, wenn wir uns mit unserem Nebensitzer darauf einigen uns in die Karten sehen zu lassen und unsere beiden Kartensätze zum gemeinsamen Vorteil beliebig zu kombinieren.
Je mehr Mitspieler sich darauf einlassen unser Spiel jenseits der albernen Spielregeln von Geheimnis, Rivalität, Bluff, Abgrenzung und Konkurrenz mitzuspielen, desto weniger Anreiz besteht letzten Endes für die übrigen Spieler, das Spiel weiterzuspielen.
Im Endeffekt kann der Spieltisch irgendwann abgeräumt werden…
Die Karten können beiseite gelegt werden, wenn sowieso und jeder der Anwesenden Bescheid weiss, welcher Spieler gerade welche Karten hält.
Das Spiel der Vermarktung macht keinen Sinn, wenn man sich nicht mehr gegenseitig ausspielen kann.
Je mehr wir also in Netzwerkbeziehungen interagieren, in denen wir unsere Verhältnisse (je auf Anfrage) gegenseitig offen legen, desto eher machen wir uns und unseren sozialen Horizont frei von Komplikationen, die uns im strukturellen Druck und Zwang von Marktbeziehungen entstehen.
Wenn wir unsere Masken abnehmen, dann besteht kein Grund mehr, dass wir uns anders verhalten, als menschlich und solidarisch.
Von mir aus können wir auch neue, innovative Formalismen einführen, um unseren sozialen Horizont zu gestalten, zu arrangieren und zu organisieren… Allerdings werden sich diese Formalismen dann ebenso auch im Lichte offener und transparenter sozialer Kommunikation bewähren… jede unnötige Komplikation würde so vermieden und aufgelöst.
Alles, was letztlich notwendig und sinnvoll wäre, damit wir uns von aufgesetzten und störenden Regeln und Formalismen befreien könnten, wäre die Bereitschaft wirklich offen und transparent mit Anderen zu kommunizieren. Dazu gehört lediglich Mut. Durch Mut Schaffen wir Vertrauen und durch Vertrauen schaffen wir echte Solidarität, statt erkaufte Loyalität oder ideologischen Gehorsam.
@Silke #3: Diese Broschüre von Neustart Schweiz kannte ich noch nicht, hab inzwischen angefangen sie zu lesen.
Eher skeptisch bin ich bei der Idee der Nachbarschaften von 500 Einwohnerinnen, die dort einen Großteil des täglichen Bedarfs subsistenzorientiert bereitstellen sollen (kannte ich auch schon aus früheren Texten von P.M.) — das ist mir zu kleinteilig gedacht. Und auch dass jeder Mensch nur 1000 Watt verbrauchen soll — so knapp ist Energie nun mal überhaupt nicht!
Und die starke Selbstbeschränkung, die daraus zwangsläufig folgt — mit sowas schreckt man die Leute nur unnötig ab…
@Manu:
Mir geht’s darum, einen ungefähren Rahmen für eine cosyndikalistische Re/produktionsweise zu umreißen, die Details können und müssen die in einer solchen Gesellschaft lebenden Menschen schon selbst klären. Also z.B. welche konkreten Güter Teil der Flatrate sein soll und wo Begrenzungen nötig sind („quasi“ statt unbegrenzter Flatrate) — das kann jeweils demokratisch innerhalb einer Region entschieden werden. Die „notwendige Arbeit“ ist dann eben die Arbeit, die für die Herstellung dieser Dinge benötigt wird.
Was die Entstehung von Koregionen begrifft, wird das sicher noch bei der Frage des Übergangs eine Rolle spielen. Die Weiterentwicklung liegt dann auch in den Händen der Bewohner. Also eine Region könnte sich in zwei oder mehr Teile aufspalten, wenn ein Großteil der Bevölkerung der Meinung ist, dass sie zu groß geworden ist; benachbarte Regionen könnten sich zusammenschließen, wenn die Bevölkerung jeweils dafür ist. Und eine geografisch zusammenhängende Teilregion könnte sich von einer Region abspalten, solange eine Mehrheit der lokalen Bevölkerung dafür ist, auch wenn die Mehrheit außerhalb der Teilregion das nicht so toll findet. (Im heutigen Völkerrecht ist die Abspaltung von Regionen ohne Zustimmung des Staates, zu dem sie gehören, nicht vorgesehen, vgl. die aktuelle Krim-Krise — ich wüsste aber nicht, was im Cosyndikalismus dagegen sprechen sollte, da man Kooperation nicht erzwingen kann).
Für solche wesentlichen und langfristig relevanten Fragen wie die Zusammenlegung und Aufteilung von Regionen dürften allerdings statt einfacher Mehrheitsentscheidungen (die sehr knapp ausgehen könnten) „robuste“ Mehrheiten von mindestens 2/3 oder 3/4 angemessen sein (also doppelt bzw. dreimal so viele „ja“ wie „nein“-Stimmen). Andererseits darf die Hürde auch nicht so hoch gelegt werden, dass sie Änderungen praktisch unmöglich macht und so den Status quo einfriert (z.B. durch Forderung einer 9/10-Mehrheit).
Wie du meinst, ich kann mit dem Begriff wenig anfangen, er ist mir zu schwammig und moralisierend.
Leider ist das ja nicht nur eine Frage von Wissen und Einstellung. Heute müssen wir das Spiel auch deshalb alle mitspielen, weil wir auf den Kapitalismus zur Sicherung unseres Überlebens angewiesen werden. Um aus dem Spiel des Marktes auszusteigen, muss es erstmal ein anderes Spiel geben, in das man stattdessen einsteigen kann und das dafür sorgt, dass man nicht hungert und dass auch die anderen Bedürfnisse nicht zu kurz kommen. Das soll die Quasi-Flatrate sein.
Finde ich schön, dass endlich Gedanken ins Spiel kommen, mit denen ich mich seit Jahren auseinandersetze, also auf der einen Seite die „unabhängigen Regionen“ von Alexander und auf der anderen Seite die Gedanken von Hans Widmer alias P.M., wobei „Neustart Schweiz“ in vielem eine Reiteration seiner alten Gedanken aus bolo’bolo ist. Die dortige Energiekennzahl ist tatsächlich hochgradig ideologisch, aber das wird hoffentlich mal überwunden werden.
Zurecht stellst Du fest, dass das Dorf als Reproduktionseinheit zu klein (und auch zuwenig spezialisiert) ist, aber zwischen dem Dorf und der unabhängigen Region gibt es Zwischenmuster, die Alexander nicht ausgeführt hat. Er spricht nur vage über die „Verteilung von Stadt und Land“, beschäftigt sich dann aber nicht mit den Möglichkeiten architektonisch integrierter und optimierter Ökosysteme, wie sie zum Beispiel bei New Alchemy oder in John Lyles Landlab erstmals aufgenommen wurden. Es wäre schön, wenn wir endlich konkret würden und diese Optimierungspotentiale in die Diskussion einbringen könnten. Es gibt sicher keine absoluten Zahlen, aber das „Gesetz der 5000“, das von so unterschiedlichen Denkern wie Paolo Soleri und Claude Lewenz als heuristischer Ansatzpunkt für den „urbanen Effekt“ angeführt wird, liefert wertvolle Hinweise. Seine Umsetzung in diverse mikroregionale Strukturen harrt ebenso der Erforschung wie die darüberliegenden Muster.
Jedenfalls ist die „Quasiflat“ eine schöne Verlängerung des Commons Gedankens, und wir haben nur eine Chance den in die Realität zu bringen wenn wir zeigen dass die Existenz leistungsfähiger Communities an einem Ort deren Bemühung miteinschließt, globale Aufbauarbeit an Standards anderswo zu leisten. Das ist der kategorische Imperativ, der der Bewegung der Commons globale Dynamik verleihen wird.
Eine Frage die sich mir bei solchen Ideen immer stellt und die auch hier nicht beachtet worden ist, hängt zusammen mit komplexer Technologie. Egal ob Solaranlagen, Server, Mobiltelefone, Autos oder Medizinische Geräte wie Ultraschall her halten müssen, alle diese Dinge haben zwangsläufig eine globale Infrastruktur. Die Rohstoffe dafür sind nicht auf allen Kontinenten vorhanden, geschweige denn in Einheiten von 1 Millionen Menschen. Die Spezialisierung ist immens, dafür fertig ausgebildete Hersteller und Maschinen immer auf Vorrat zu haben dürfte selbst für eine 100 Millionen Menschen große Region kaum zu bewerkstelligen sein.
Für mich persönlich ist das der Punkt wo ich aus solchen Ideen aussteige, da alle Vorschläge bisher auf einen technologischen Rückfall in Vorindustrielle Zeiten hin führen. Nicht sofort, aber sobald die ersten Geräte ausfallen wird sich die Spirale immer mehr beschleunigen.
@Blaubart: Heute werden ja aber auch viele Güter über große Strecken transportiert bei denen das nicht nötig wäre. Das ist schlicht Verschwendung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Christian für ein komplettes Abwürgen globaler Stoffströme wäre.
Ich würde auch nicht behaupten, dass es hier eine absichtliche Nebenwirkung ist, im Gegensatz zu den Schweitzern aus den Kommentaren, aber ich sehe es trotzdem als eine notwendige Folge.
Nehmen wir als Beispiel mal Solaranlagen. Die benötigen einen Wechselrichter der dafür sorgt das der erzeugte Strom nutzbar ist. Diese werden aber praktisch nur von einer Firma in Kassel hergestellt, für die ganze Welt und alle Anbieter. Wenn die Menschen in Kassel jetzt beschließen würden, dass Äpfel züchten aber viel schöner ist als am Band diese Dinger zusammen zu schrauben, würde die gesamte globale Herstellung von Solarzellen zum erliegen kommen. Natürlich würde irgendwann jemand anders wieder Wechselrichter produzieren, aber vielleicht dauert das 10 Jahre oder die Qualität ist viel schlechter, da man nur aus alten und kaputten auf die Funktion schließen kann.
Noch deutlicher wird es, aus meiner Sicht, bei Rohstoffen wie Coltan oder Uran, letztlich aber auch Kohle oder Öl. Gibt es nur in wenigen Gebieten auf der Welt in großen Mengen und müssen daher über die Welt verteilt werden und sei es als Teil eines Telefons oder Röntgengerätes. Die paar Orte an denen die Rohstoffe gefunden sind, müssten jetzt irgendwie überzeugt werden diese auch zu liefern, selbst wenn die Menschen vor Ort lieber Äpfel anbauen würden. Solche Probleme sehe ich nirgendwo angesprochen, in keiner Lösung die ich bisher gesehen habe. Ehrlich wäre es dann zu sagen, eine Dampflok bekommt noch einigermaßen nur in Deutschland produziert und das ist das Level auf das wir dann zurückfallen würden. Für einen ICE ist die Kette wieder global und hängt von Rohstoffen ab die es hier nicht mal in Spuren gibt.
@Blaubart: Überregionale Kooperation bis hin zur globalen Ebene wird’s natürlich weiterhin geben, wie Benni schon sagte, als völlig autark sind die Regionen nicht gedacht. Darauf will ich später noch genauer eingehen, nicht umsonst ist dieser Artikel Teil einer größeren Serie. Aber ich finde, die Grundidee wird man sich schon denken können — Kooperation und gegenseitige Unterstützung der Regionen beim Teilen von Ressourcen und bei Großprojekten, da sie schließlich alle nicht autark leben können oder wollen und auf die anderen angewiesen sind.
Dann warte ich mal ab welche Ideen da kommen werden. Wie gesagt, bisher habe ich noch nichts gelesen, dass über ein „wird schon irgendwie funktionieren“ oder “ die Menschen müssen sich eben zusammen reißen“ hinaus läuft.
Was Du hier als Cosyndikalismus beschreibst ist nach meiner Ansich nicht qualitativ von „Anarcho-Kommunismus“ oder „Anarcho-Syndikalismus“ zu unterscheiden, wobei die Ideen auf Kropotkin und Bakunin zurückgehen. Willst Du diese Begriffe bewusst vermeiden? Das wäre auch nicht sinnlos. Ich denke, es ist kein Problem, andere Termina zu verwenden. Bookchin hat sich beispielsweise für „libertarian municipalism“ und auch „communalism“ entscheidet.
@Justin Den Begriff Commonssyndikalismus verwende ich, um die Bedeutung der Commons zu betonen. Gleichzeitig klingt da natürlich die Ähnlichkeit zum Anarchosyndikalismus an, auch das ist gewollt.
Ich denke aber schon, dass es Unterschiede gibt. In den anarchosyndikalistischen Texten, die ich bisher gelesen habe, wird die wirtschaftliche Organisation z.B. eher von den Arbeiter_innen gedacht, die Nutzer/Konsument_innen (die in meinem Vorschlag gleichberechtigt vertreten sind) kommen weniger in den Blick. Und auch die Fragen zur Aufteilung der Tätigkeiten, die ich in Das Freiwilligenspiel behandle, scheinen mir anderswo eher unterbelichtet.
Ich werde mir diese theoretischen Ansätze aber nochmal genauer angucken, danke für den Hinweis. Vielleicht ist es doch sinnvoller, erst mal mit der Darstellung solcher vorhandener Vorschläge zu beginnen und dann zu diskutieren, was da vielleicht noch fehlt oder unbefriedigend erscheint.
@Christian Siefkes (10.08.2014, 19:20 Uhr)
meinte
„In den anarchosyndikalistischen Texten, die ich bisher gelesen habe, wird die wirtschaftliche Organisation z.B. eher von den Arbeiter_innen gedacht,“
Bitte von welchen ArbeiterInnen sprichst du, wenn du das sagst?
Was meinst du wohl, wer von den (heutigen!) „werktätigen“ Menschen sich freiwillig als „Arbeiter“ sieht und versteht, und wer von diesen (in offensichtlich sehr geringen Anzahl) dann auch noch „die wirtschaftliche Organisation z.B. eher von den Arbeiter_innen“ denkt ?
Für mich kommen solche Überlegungen wie ein Rekonstruktionsversuch der Lage der arbeitenden Menschen aus mindestens der Zeit der Weimarer Republik, also seit hundert Jahren überholt daher.
Die Konzentration des Kropotkinschen Gesetzes auf „Arbeiter“ hat der selber nie proklamiert, sondern stets auf die gesamte Sozialität (Gesellschaft), da das Gesetz sonst sinnlos ist und nicht wirkt.
Eventuell theoretisierst du noch mal neu auf dieser Basis, damit es nicht nur Schall und Rauch ist.
Diese Notwendigkeit erklärt sich selbst recht simpel:
JEDER Mensch ist ein soziales Wesen und nur als solches (auf die Sozialität mit anderen Menschen angewiesen) existenzfähig und SO in die WELT HINEIN „INSTALLIERT“, wie bei den Bienen des Biologen und Mathematikers, des Großfürsten Kropotkin, da ist nix separierbar, jedoch Aufgaben sinnvoll von allen für alle wahrzunehmen und so zu verteilen – und daher ebewn nur SO auch zu denken, oder was meinst du?
@Franz Nahrada (14.04.2014, 12:19 Uhr)
Da lese ich
„wir haben nur eine Chance den in die Realität zu bringen wenn wir zeigen dass die Existenz leistungsfähiger Communities an einem Ort deren Bemühung miteinschließt, globale Aufbauarbeit an Standards anderswo zu leisten. Das ist der kategorische Imperativ, der der Bewegung der Commons globale Dynamik verleihen wird.“
und das mit der Nebenbemerkung, daß das Dorf als Reproduktionseinheit dafür wohl inzwischen nicht mehr ausreicht …
Da frage ich mich doch glatt, wer bitte soll das verwirklichen, wer läßt sich dahingehend schulen, damit das auch wird – alle müssen täglich essen trinken …..
Oder ist diese Überlegung nur als großes PolitGame gedacht, wer will darf mal mitspielen, wer nicht, bleibt außen vor?
Hast du eventuell mal darüber sinniert, daß jede funktionierende Einheit / Ganzes wie ein System sich selbst zu regulieren hat, um sich zu überleben?
Das genau ist eigentlich das Grundprinzip syndikalistischer Vorstellungen, nur es schwebt nicht frei in der Luft, sondern ist eng an die (bereits uns in der Natur mitgegebenen) Erfordernisse gebunden, die für jedes Ganze, für jedes System bestehen, damit dieses überhaupt existiert, sich erhalten und entwickeln kann, wozu sehr genau bekannt sein muß, was System /(Ganzes) ist und wie es funktioniert.
Wer daran vorbei oder darüber nichtachtend hinweg will, ist in der Geschichte stets gescheitert, da auch die sozialen Systeme (Gesellschaften) keine widernatürliche Konstruktionen honorieren.
Von Bertalanffy kann helfen mit seiner Allgemeinen Systemtheorie.
Das wäre das kleine Einmaleins, das große die Syndikalisierung
Kein “ kategorischer Imperativ“ wird der „Bewegung der Commons globale Dynamik verleihen“, das geht nur über strikte Durchsetzung der Allgemeinen systemtheoretischen Erfordernisse dazu, die dan bekannt sein sollten, da sonst gegen diese und damit asozial aktioniert wird.
@Manu मनु (04.04.2014, 06:15 Uhr)
SOLIDARITÄT:
„Das zentrale Prinzip, von dem sich eigentlich auch sämtliche anderen Prinzipien, die Du im vorherigen Artikel bereits aufgelistet hast im Einzelfall ableiten lassen, lässt sich meiner Ansicht nach wohl am besten mit dem Begriff “Solidarität” benennen.“
Ich denke, da liegt ein Denkfehler vor, wen n du Solidarität als das Zentrale Problem hinstellen möchtest.
Davon ist im Kropotkinschen „Gesetz von der gegenseitigen Hilfe“ so nicht die Rede, den ndort wird davon ausgegangen, daß Sozialität zuallererst durch KOOPERATIVE MUTUALITÄT gebildet wird und dies die Grundlage aller sozialen Wesen ist, also ein zwischenmenschliches systemimmanentes Verhältnis in dem nicht vorrangig „solidarisch“ (auch abgebend) sondern vorrangig sich gegenseitig helfend, also zu beider Nutzen zu handeln ist, da das die größte Solidarität erbringt, die möglich ist : Die nachhaltige Hilfe zur nachhaltigen Selbsthilfe.
Und deshalb ist Solidarität darin nicht das Grundprinzip sondern der Ausgleich gegenüber denen, der zur allseitigen Funktionsfähigkeit diese Prinzipes der Kooperation zum gegenseitigen Nutzen gegenüber denen ist, die zeitweilig oder grundsätzlich beschränkt oder verhindert ihre Teilhabe an der gemeinsamen Leistungsteilhabe nicht erfüllen können.
Die Solidarität ist also ein Ergebnis, ein Leistungsmerkmal dieses Kropotkinschen Gesetzes / Prinzips, und nicht seine Grundlage.
@Lusru #20:
Sorry, falls ich mich da schlecht ausgedrückt habe, aber: genau das meine ich. Sofern man sich fragt, wie Aufgaben aufzuteilen sind – und das tue ich ja auch und diese Frage ist wichtig, ohne Zweifel! – kommt eben nur eine bestimmte Sichtweise ins Spiel, nämlich die der Produzenten (oder Arbeiterinnen) – derjenigen, die die Aufgaben erledigen. Aber ebenso wichtig ist die umgekehrte Sichtweise derer, für die jeweils produziert wird, also der Konsumenten bzw. Nutzerinnen. In einer komplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft ist jeder Nutzer unzähliger Dinge und Dienste, kann sich aber nur bei einem Bruchteil davon auch an der Produktion beteiligen.
In der warenproduzierenden Gesellschaft ist das Verhältnis zwischen Produzentinnen und Konsumenten indirekt und brutal: die Konsumentinnen haben im Produktionsprozess überhaupt nichts mitzureden, aber sie entscheiden, ob bzw. bei wem sie kaufen oder nicht. Durch Nichtkauf der angebotenen Waren können sie selbst die größten Firmen in die Pleite bringen bzw. zum Einlenken zwingen, auch wenn sie in der Firma nichts mitzureden haben.
Bei nicht-marktvermittelter Produktion braucht es andere Wege, um die Interaktion zwischen Menschen-als-Produzentinnen und Menschen-als-Konsumenten zu vermitteln.
@Christian Siefkes (05.10.2014, 17:03 Uhr)
„In der warenproduzierenden Gesellschaft ist das Verhältnis zwischen Produzentinnen und Konsumenten indirekt und brutal …“
Nein, ist es nicht.
Ein VERHÄLTNIS kann nicht „brutal“ sein: Es sind MENSCHEN, die brutal sind, immer wieder konkrete Menschen, und manche wissen es nicht (daß sie es sind), erkennen die Brutalität nicht, beachten diese nicht oder wissen damit nichts anzufangen.
Der Fachbegriff für das Wesen all dieser „Brutalos“ heißt: Ihnen fehlt Soziale Intelligenz.
Was du wie gemeint hast, war mir schon klar, nur dann könntest du es auch ebenso klar sagen.
So auch hier:
„In der warenproduzierenden Gesellschaft ist das Verhältnis zwischen Produzentinnen und Konsumenten indirekt und brutal: die Konsumentinnen haben im Produktionsprozess überhaupt nichts mitzureden, aber sie entscheiden, ob bzw. bei wem sie kaufen oder nicht. Durch Nichtkauf der angebotenen Waren können sie selbst die größten Firmen in die Pleite bringen bzw. zum Einlenken zwingen, auch wenn sie in der Firma nichts mitzureden haben.“ –
Nein, es wäre schön, wenn es so wäre, aber deine Lösung ist nur die für „Besserverdienende“, nur diese – oft selbs steuernde Elemente der Gesellschaft – könnten es sich leisten, durch anderes Konsumverhalten (teurere Produkte kaufen) derartigen Einfluß zu nehmen – was für diese Leute jedoch nur symbolischen Wert hätte.
Die „Produzenten“ wie du sagst, die sich früher als Arbeiter verstanden und heute teilhabende Bürger sein wollen, können auf diesem Weg kaum agieren, bestenfalls einen sehr kleinen lokalen Hersteller ruinieren, aber keinen Monopolisten oder Globalisten.
Gelegentlich könnte es reichen und schon enorme Veränderung erwirken, wenn „die Märkte“ endlich „frei“ wären, sowohl der Arbeitsmarkt (der kein Markt ist), der gerade wieder von einer SPD-Arbeitsministerin noch mehr dirigiert und verregelt werden soll, wie der „Kapitalmarkt“, der Kein Markt ist, sondern ein riesiger Verschiebebahnhof unverdient angeeigneter Arbeitsergebnisse, die den „Verursachern“ vorenthalten wurden.
Diese staatliche kapitaldirigierte Verwaltungswirtschaft zur Sicherung des Vermögenszuwachses der Vermögenden durch leistungsbefreites müheloses Einkommen, aber mit Alibifunktionen fürs Volk, hat weder mit Marktwirtschaft, noch mit freier Marktwirtschaft noch mit Sozialer Marktwirtschaft etwas gemein.
Wobei die Tautologie „Soziale Marktwirtschaft“ die Spitze der Verhöhnung ist, als ob es „Markt“ (eine rein soziale weil nur unter / zwischen Menschen mögliche Verabredung) auch als „unsozialen“ oder „asozialen“ gäbe – ein Markt, der stets sozial oder eben KEIN MARKT ist, nun auch noch als sozial zu bezeichnen – Was für ein entlarvendertautologischer Witz.
Will sagen:
Solange die nur sozial mögliche Erscheinung „Markt“, als wesentliche soziale Kategorie, zusätzlich „sozial“ gemacht werden muß (desgleichen gilt für „Wirtschaft“), ist wohl den Problemen unserer Gesellschaft nicht bei zu kommen:
Wir brauchen andere Rahmen für Markt als Austausch des Bedarfes, nicht als Alibi für müheloses Einkommen.
Eventuell wäre hier diese (o.g.) besungene „quasi-Flatrate“ zu suchen …
@Lusru:
Das ist nur leeres Gerede. Dass „die Konsumentinnen im Produktionsprozess überhaupt nichts mitzureden [haben], aber sie entscheiden, ob bzw. bei wem sie kaufen oder nicht“, gilt ja für alle, egal ob sie „sozial intelligent“ sind oder nicht.
Das stimmt so nur bedingt, wenn alle die Armen anfangen, z.B. statt zu Lidl zu Aldi zu gehen oder statt zu Burger King zu McDonald’s, etwa weil das andere Unternehmen in Verruf geraten ist, kann das das betroffene Unternehmen schnell in immense Schwierigkeiten bringen.
Aber wenn du meinen Text noch im Kopf hättest, dann wüsstest du auch, dass ich ein solches Konsument_innenverhalten in der Tat nicht als „Lösung“ für irgendwas propagiere. Die Lösung bestünde in ganz anderen Verhältnissen, wo sich die Menschen nicht nur als kaufende Konsument_innen und verkaufende Produzent_innen gegenübertreten.
Das Problem an jedem Markt und jedem Austausch ist ja gerade, dass diejenigen, die nichts Konkurrenzfähiges anzubieten haben, dabei zwangsläufig auf der Strecke bleiben und auf ihre Bedürfnisse verzichten müssen. Der „Bedarf“ ist, wie StefanMz gern betont, das „zahlungsfähige Bedürfnis“, und andere Bedürfnisse gelten auf dem Markt grundsätzlich nicht.
Nein, ein „anderer“ Markt ist keine Lösung, sondern der Markt ist immer Teil des Problems. (Außer vielleicht als Nischenmarkt, von dem niemand essenziell abhängt.)
@Christian Siefkes (22.11.2014, 20:19 Uhr)
Ich muß darüber etwas nachdenken, irgendwie habe ich in meinem Kommentar etwas falsch gemacht, es scheint, als ob wir von verschiedenen Dingen reden, obwohl das nicht ist.
Versuche das mal auseinander zu fummeln, ohne erneut grundsätzlich werden zu wollen, dafür mit direktem Anschluß zu dir.
Aber später.