Diskursfigur 1: Jenseits des Tausches
Das ist Teil 1 einer Serie wöchentlich erscheinender Artikel, deren englische Fassung im Journal of Peer Production erscheinen soll. In den Artikeln versuche ich zehn Diskursfiguren zu beschreiben, wie sie im Oekonux-Projekt in über zehn Jahren der Analyse Freier Software und commons-basierter Peer-Produktion entwickelt wurden. Mehr zum Hintergrund im einleitenden Teil.
Diskursfigur 1: Jenseits des Tausches
[English]
In Freier Software oder allgemeiner commons-basierter Peer-Produktion geht es nicht um Tausch. Geben und Nehmen sind nicht aneinander gekoppelt. Aus heutiger Perspektive klingt das nicht so überraschend, aber zu Beginn des Oekonux-Projekts war es das. Auch heute noch basieren traditionelle linke Ansätze auf der Annahme, dass jemand nur etwas bekommen sollte, wenn er/sie auch bereit ist, etwas zurückzugeben, da sonst alle in der Gesellschaft verhungern würden. Diese Position geht zurück auf die leidvolle sozialistische (und christliche) Tradition, die besagt, dass derjenige, der nicht arbeiten wolle, auch nicht essen solle. Freie Software zeigte hingegen sehr deutlich, dass Entwickler_innen nicht dazu gezwungen werden müssen, das zu tun, was sie gerne machen (vgl. Diskursfigur 5).
Ein wichtiger Ansatz, der die neuen Entwicklungen der Freien Software zu erfassen versuchte, obwohl altem Denken verhaftet, war die »Geschenkökonomie«. Nicht zufällig lautet die korrekte Bezeichnung eigentlich »Geschenktausch-Ökonomie«: Der/die Gebende kann erwarten, etwas zurück zu bekommen, da dies eine moralische Verpflichtung in Gesellschaften ist, die auf dem Austausch von Geschenken basieren. Diese Art von gegenseitiger moralischer Verpflichtung existiert in Freier Software nicht. Selbst wenn ein/e Entwickler_in sagt, dass er/sie »etwas zurückgeben« will, dann ist dennoch das Geben keine Voraussetzung, um etwas zu bekommen. Commons-basierte Peer-Produktion gründet allgemein in bedingungslosen freiwilligen Beiträgen.
Aus einer linken Perspektive ist die Entkoppelung von Geben und Nehmen nur in einer fernen Zukunft in einem mythischen Land, Kommunismus genannt, möglich – wenn überhaupt. Aber keinesfalls heute, sondern bevor Kommunismus erreichbar ist, muss die unfreundliche Zwischenphase, der Sozialismus, durchschritten werden, in der das Tausch-Dogma volle Gültigkeit besitzt (vgl. Diskursfigur 8). Historisch scheiterte der »real-exisistierende Sozialismus«, der versuchte diese Notwendigkeit umzusetzen. Das blüht jedoch allen sozialistischen Ansätzen, die weiterhin vom Tausch-Dogma ausgehen.
Wenn man den Tausch nicht aufgeben will, dann ist Kapitalismus die einzige Option.
Das englische „gift“ ist in diesem Zusammenhang besser mit „Gabe“ übersetzt als mit „Geschenk“. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nicht nur aus einer Gabenkultur kommen, sondern sie bis heute leben: in den Familien. Während Geschenke eher den Charakter des Gebens in Erwartung eines Gegengeschenks haben, sind Gaben wirklich bedingungslos weggegeben.
Doch während Geschenke zum Verbleib beim Beschenkten neigen, ist das Wesentliche an Gaben deren „Fließeigenschaft“. Eine Gabe erfüllt ihren Zweck durch die Nutzung, Anreicherung und die Weiter“gabe“. Wir machen in Familien an Weihnachten Geschenke, aber das ganze Jahr über geben wir bedingungslos. Damit ist ein wesentliches Merkmal von Gaben aber auch beschrieben. Es handelt sich um etwas, das ich in dem Kreis bedingungslos weiter gebe, in dem ich auch bedingungslos vertraue. In der Vergangenheit hatte die Entwicklung von der ursprünglichen Gabenkultur hinzu zur Tauschwirtschaft in erster Linie etwas mit der Mobilität zu tun. Im „Tausch“ mit Fremden haben sich andere Gepflogenheiten entwickelt, nicht weil man das gegenüber übervorteilen wollte, sondern aus einem Sicherheitsdenken heraus, das ganz natürlich ist, wenn man bisher seine Gaben nur für den internen, vertrauensvollen Kreis erstellt hatte. Ein Tauschsystem, das derlei Risiken absichert ist die logische Folge.
Wenn wir heute das Ziel vor Augen haben, wieder mehr in Richtung einer Gabenkultur über den Familienkreis hinaus zu gelangen, dann braucht es dafür verlässliche, gesellschaftliche Grundlagen. Das kapitalistische Geldsystem, dessen oberstes Ziel es ist, aus Geld noch mehr Geld zu machen, ist dafür ungeeignet. Ungeeignet ist es aber auch, deshalb das Kind mit dem Bade auszuschütten und „den Tausch“ als mit dem Kapitalismus fest verbunden darzustellen. Der Tausch als ein System, das es erlaubt auch mit räumlich oder gefühlsmäßig entfernten Partnern in eine fruchtbare Verbindung zu kommen, muss dann nicht verteufelt werden, wenn ihm eingerechtes Geldsystem zugrunde liegt, das vor allem eines ist: neutral. Den Kapitalismus überwinden heißt das Geld den Menschen und seinen Bedürfnissen anpassen. Mit einem neutralen Geld wird es uns gelingen, die Gabenkultur wieder in weitaus stärkerem Maße, auch über den privaten Kreis hinaus, zu pflegen und wenn wir dabei zu einer vollendeten Gabenkultur ganz ohne Geld kommen, um so besser.
Vorab: will etwas kommentieren – aber habe kein „ZEH“ auf dem Lap, dh. das wird wohl etwas merkwürdig aussehen.
@A.Bangemann: Danke für die Anmerkung zur Gabenökonomie! Es geht um’s Fließen, niht von A zu B und zurük, sondern durh die Gesellshaft. Wie bei freier Software.
@Stefan: Müsste es niht heißen: „Wenn man den Taush niht aufgeben will, dann ist WARENPRODUKTION die einzige Option.“? Es wurden/werden ja niht nur im Kapitalismus Waren produziert. Wie Du an anderer Stelle man treffend bemerkt hast, sind Plan- und Marktwirtshaft nur zwei Seiten derselben Medaille… der Warenproduktion. Man kann also mit Warenproduktion Kapitalismus und auh real existierenden Sozialismus mahen.
PS: hmm, die Absätze vershwinden?
@Silke:
Ja, das wäre genauer.
Richtig, aber Realsozialismus ist keine Option mehr. Warenproduktion ist heute Kapitalismus in verschiedenen Gestalten (die ich nicht unterbewerten will).
P.S. Die Absätze habe ich wieder reingesetzt, die fehlenden „c“ aber gelassen 😉