Peer-Produktion und gesellschaftliche Transformation

Das Journal Critical Studies in Peer Production (CSPP) (inzwischen umgewandelt in Journal of Peer Production) lud mich ein, ein Diskussionspapier für die Ausgabe über Freie Software einzureichen. In diesen Papier versuche ich analytische Diskurs-Figuren herauszuarbeiten, wie sie in zehn Jahren der Forschung über Freie Software und commons-basierter Peer-Produktion im Oekonux-Projekt entwickelt wurden. Wie schon bei der englischen Version erscheint der Text in einer Serie von wöchentlichen Blogposts. Die einzelnen Diskurs-Figuren sind untereinander quer verlinkt. Anfangs werden die meisten Links »nach vorne« nicht funktionieren, was aber immer besser wird, je mehr Diskursfiguren erscheinen — also bitte etwas Geduld. Nun geht’s los mit dem Abstract, der Einführung, den Danksagungen und der verwendeten Literatur.

Zehn Diskursfiguren aus dem Oekonux-Projekt

[Italiano] [English]

Abstract

Das Oekonux-Projekt hat versucht, eine neue analytische Basis für die Erforschung eines historisch neuen Phänomens zu schaffen: das Aufkommen der Peer-Produktion beginnend mit der Freien Software. Wenn die ursprüngliche Hypothese von der Freien Software als Keimform einer neuen Produktionsweise zutrifft, ist es notwendig, neue epistemologische Muster zu seiner angemessenen Analyse zu entwickeln. Dies würde sowohl ein neues Verständnis wie eine Kritik der alten analytischen Begriffe als historische Produkte der überlebten kapitalistischen Produktionsweise erfordern, einschließlich jener, die sich in Opposition zum Kapitalismus wähnen. In diesem Papier stelle ich zehn Diskursfiguren vor, die aus Debatten im Oekonux-Projekt hervorgegangen sind. Sie demonstrieren, was es bedeutet, über die traditionellen affirmativen und oppositionellen oder »linken« Analyse-Muster hinauszugehen. Obwohl aus öffentlichen Oekonux-Debatten entnommen, wurden sie bislang nicht in einer so verdichteten Form präsentiert. Es liegt auf der Hand, dass nicht alle Diskursfiguren von allen Teilnehmer_innen dieser Debatten in gleicher Weise geteilt werden. Letztlich sind es meine persönlichen Schlussfolgerungen, die ich aus über zehn Jahren der Diskussion gezogen habe.

Einleitung

In diesem Text versuche ich eine Einführung in die wesentlichen Ideen zu geben, die seit der Gründung des Oekonux-Projekts 1999 entwickelt wurden. Es gibt allerdings keinen festen Satz von Gedanken, sondern ich habe meine eigene Perspektive auf die Oekonux-Konzepte.

Warum ist das Oekonux-Projekt so wichtig für die Debatten rund um die commons-basierte Peer-Produktion? Es gibt zwei Gründe. Erstens: Oekonux hat viele der Ideen, mit denen Forscher_innen heute so selbstverständlich umgehen, viele Jahre bevor sie eine breite Aufmerksamkeit bekamen entwickelt. Oekonux wurde als Reflexionsprojekt rund um Freie Software gegründet, aber von Beginn an gab es die These der Verallgemeinerbarkeit von Beobachtungen über Freie Software in andere Bereiche sowohl immaterieller wie materieller Produktion. Als Yochai Benkler (20062002) die Formulierung von der commons-basierten Peer-Produktion prägte, verdichte er damit nur eine Jahre alte Debatte zu einem eingängigen Begriff (bekannt wurde der Begriff erst mit Benklers Buch von 2006). Die damit verbundenen Einsichten waren jedoch nicht besonders neu und klangen für Oekonux-Teilnehmer_innen sehr vertraut. So lag es nahe, den Begriff auch im Oekonux-Projekt zu übernehmen.

Zweitens: Oekonux-Teilnehmer_innen sind viel weiter gegangen als andere, die ausgetretenen Denkpfade in Frage zu stellen. Neue Thesen wurden entwickelt, die nicht nur traditionelle Diskurse in Informatik, Soziologie und Wirtschaftstheorie zurückwiesen, sondern auch solche in emanzipatorischen politischen und theoretischen Ansätzen. Der Oekonux-Gründer Stefan Merten, der einen anarchistisch-marxistischen Hintergrund hat, lehnt provokativ »linke und andere kapitalistische Ideologien« als Mittel zur Analyse der Peer-Produktion ab (Merten 2011). Das klingt ziemlich postmodern, war aber anders gemeint: Alle Mittel für unsere Emanzipation entwickeln sich direkt vor unseren Augen, aber wir müssen auch in der Lage sein, sie theoretisch zu erfassen. Traditionelle linke Muster sind nicht in der Lage, das zu leisten, weil sie der Produktionsweise verhaftet sind, für dessen Analyse sie einmal geschaffen wurden.

Das war eine enorme Provokation für viele Leute, Traditionalist_innen auf allen Seiten. Und so gab es auch zahlreiche kulturelle und politische Clashes innerhalb des Projekts. Aber es gab auch immer einen Kern von Leuten, die den Oekonux-Ansatz kontinuierlich vorantrieben. Im Folgenden versuche ich einige der Diskursfiguren zu beschreiben, die meine Interpretation der Oekonux-Debatten wiedergeben. Wenn ich bei der Beschreibung bisher die Vergangenheitsform benutzte, dann nicht, weil das Projekt nicht mehr existieren würde. Es existiert noch, und das Journal of Peer Production ist nicht der einzige Spin-off des Projekts. Es gab und gibt viele andere Projekte, so dass sich der Aktivitätsfokus auf verschiedene von Oekonux inspirierte Projekte verschoben hat.

In einem Interview mit Joanne Richardson (2001) beschrieb Stefan Merten Oekonux als Projekt Freie Software in Hinsicht auf das »Potenzial für eine andere Gesellschaft jenseits von Arbeit, Geld, Tausch« zu untersuchen. Hier nennt er die Schlüsselworte, um die herum die Oekonux-Gedanken aufgebaut sind. Ich werde sie verwenden und ausdehnen, um zu illustrieren, warum und auf welche Weise die Hauptideen dem traditionellen linken Denken so stark widersprechen, insbesondere 1999 als Oekonux startete (Merten 1999).

Diskursfigur 1: Jenseits des Tausches

Diskursfigur 2: Jenseits der Knappheit

Diskursfigur 3: Jenseits der Ware

Diskursfigur 4: Jenseits des Geldes

Diskursfigur 5: Jenseits der Arbeit

Diskursfigur 6: Jenseits von Klassen

Diskursfigur 7: Jenseits der Exklusion

Diskursfigur 8: Jenseits des Sozialismus

Diskursfigur 9: Jenseits der Politik

Diskursfigur 10: Keimform

Zusammenfassung

Danksagung

Besonderer Dank geht an Stefan Merten und Mathieu O’Neil für die Unterstützung beim Abfassen des Textes. Tomislav Knaffl hat wertvolle Hinweise gegeben.

Literatur

Benkler, Y. (2002), Coase’s Penguin, or Linux and the Nature of the Firm. The Yale Law Journal 112(3), p. 429, URL: www.benkler.org/CoasesPenguin.html (full text PDF) (2012-03-21)

Benkler, Y. (2006), The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom. New Haven: Yale University Press, URL: cyber.law.harvard.edu/wealth_of_networks/ (2012-03-01)

De Angelis, M. (2007), The Beginning of History. Value Struggles and Global Capital, London: Pluto Press.

Free Software Foundation (1996), The Free Software Definition, URL: www.gnu.org/philosophy/free-sw.html (2012-03-01)

Goldhaber, M.H. (1997), The Attention Economy and the Net, in: First Monday, Vol. 2, No. 4, URL: firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/view/519/440 (2012-03-01)

Holzkamp, K. (1983), Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/Main, New York: Campus.

Marx, K., Engels, F. (1848), Manifesto of the Communist Party, URL: marxists.org/archive/marx/works/1848/communist-manifesto/ [deutsch] (2012-03-01)

Marx, K. (1875), Critique of the Gotha Programme, URL: marxists.org/archive/marx/works/1875/gotha/ [deutsch] (2012-03-01)

Meretz, S. (2012), The Structural Communality of the Commons, In: Bollier, D. et al. (2012), Self-Sustaining Abundance, to appear.

Merten, S. (1999), Willkommen bei ‘oekonux’, URL: www.oekonux.de/liste/archive/msg00000.html (2012-03-01)

Merten, S. (2011), Leftist and other capitalist ideologies and peer production, URL: www.oekonux.org/list-en/archive/msg06135.html (2012-03-01)

Merten, S., Richardson, J. (2001), Free Software & GPL Society. Stefan Merten of Oekonux interviewed by Joanne Richardson, URL: subsol.c3.hu/subsol_2/contributors0/mertentext.html (2012-03-01)

Nuss, S., Heinrich, M. (2002), Freie Software und Kapitalismus, in: Streifzüge 1/2002, URL: www.streifzuege.org/2002/freie-software-und-kapitalismus (2012-03-01)

Ostrom, E. (1990), Governing the Commons. The Evolution of Institutions for Collective Action, Cambridge: Cambridge University Press.

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