Diskursfigur 5: Jenseits der Arbeit

Das ist Teil 5 einer Serie wöchentlich erscheinender Artikel, deren englische Fassung im Journal of Peer Production erscheinen soll. In den Artikeln versuche ich zehn Diskursfiguren zu beschreiben, wie sie im Oekonux-Projekt in über zehn Jahren der Analyse Freier Software und commons-basierter Peer-Produktion entwickelt wurden. Mehr zum Hintergrund im einleitenden Teil. Bisher erschienene Teile: 1, 2, 3, 4.

Diskursfigur 5: Jenseits der Arbeit

[English]

Freie Software und Commons im allgemeinen sind jenseits von Arbeit. Das kann nur verstanden werden, wenn Arbeit als spezifische Form produktiver Aktivität aufgefasst wird, die mit einer bestimmten historischen Gesellschaftsform verbunden ist. Der Verkauf der Arbeitskraft – also der Fähigkeit zu arbeiten – an einen Kapitalisten, der diese einsetzt, um mehr zu produzieren als die Arbeitskraft wert ist, ist historisch einzigartig. Das hat zwei wichtige Konsequenzen.

Erstens verkehrt es produktive Aktivität – die Menschen immer aufwenden, um ihre Lebensbedingungen herzustellen – in entfremdete Arbeit. Diese Entfremdung ist nicht Ergebnis personaler Herrschaft, sondern struktureller Zwänge. Im Kapitalismus können Menschen nur überleben, wenn sie für ihren Lebensunterhalt bezahlen, was sie zwingt, Geld einzunehmen. Um Geld einzunehmen, kann man entweder die eigene Arbeitskraft verkaufen oder die Arbeitskraft anderer kaufen und verwerten. Das Ergebnis ist ein deformierter Prozess, bei dem strukturelle Anforderungen vorgeben, was eine Person zu tun hat (vgl. Diskursfigur 6).

Zweitens erzeugt es den homo economicus, das isolierte Individuum, das nach Nutzenmaximierung strebt – wenn nötig auch auf Kosten von anderen. Die traditionelle Ökonomie behauptet, dass der homo economicus der Archetyp eines menschlichen Wesen sei, womit eine besondere historische Erscheinung zur natürlichen Voraussetzung verkehrt wird.

Anstatt auf Arbeit basiert Freie Software auf Selbstentfaltung. Der deutsche Begriff der Selbstentfaltung ist nicht einfach zu übersetzen. Auf der einen Seite geht es um das »Jucken in den Fingern« (Eric Raymond), darum »das zu tun, was man wirklich, wirklich will« (Fritjof Bergmann) und um »eine Menge Spaß« (Entwickler_in Freier Software). Auf der anderen Seite geht es um die Einbeziehung anderer Entwickler_innen zur Erzielung der bestmöglichen Lösung. Das bedeutet auch hohes Engagement, Leidenschaft und Aufwand – nicht nur Erledigung der einfachsten Aufgaben. Es schließt eine positive Reziprozität zu anderen ein, also auf eine solche Weise nach dem gleichen Ziel zu streben, dass die Selbstentfaltung des/der Einen die Voraussetzung der Selbstentfaltung der Anderen ist. Nicht zufällig erinnert das an das Kommunistische Manifest, worin die »freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller« ist (Marx, Engels, 1848). In Freier Software ist das jedoch nicht das Ziel, aber es ist eine unverzichtbare Eigenschaft der beginnenden neuen Produktionsweise auf dem Weg zu einer neuen freien Gesellschaft.

Anstatt die eigene Energie für fremde Zwecke zu verlkaufen, üblicherweise Arbeit genannt, basiert Freie Software auf Selbstentfaltung, die die freie Entwicklung aller produktiven Kräfte der Menschen ist.

Diskursfigur 6: Jenseits von Klassen

Literatur

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