Halbinseln gegen den Strom
Friederike Habermann hat ein vorzügliches Buch geschrieben: »Halbinseln gegen den Strom. Anders leben und wirtschaften im Alltag«. In zehn Hauptkategorien unterteilt werden rund hundert Projekte vorgestellt, die als »gelebte Alternativen zu Kapitalismus, Geld und Tauschlogik« es irgendwie anders machen. Dieses »irgendwie anders« sieht sehr unterschiedlich aus: Von Umsonst-Projekten mit dem expliziten Anspruch, die Verwertungslogik des Kapitalismus auszuhebeln bis zu Projekten, die den Alltag billiger, einfacher und angenehmer gestalten.
Die Auswahl war sicher subjektiv und bewusst begrenzt auf den deutschsprachigen Raum. Ich war mehrfach überrascht, was es da noch so an Projekten gibt, die ich noch nicht kannte. Dafür fielen mir weitere Projekte vor allem im Online-Bereich ein, die noch gut in das Buch gepasst hätten. Aber keine Angst, die meisten vorgestellten Projekte spielen in der handfesten Offline-Welt.
Herausgeberin des Buches ist die Stiftung Fraueninitiative. Es ist schade, dass der Verlag offensichtlich nicht überzeugt werden konnte, die Texte freizugeben und online verfügbar zu machen. Auf den Effekt, dass eine große Downloadzahlen von ebenfalls gestiegenen Absatzzahlen begeleitet werden, schien der Verlag nicht vertrauen zu wollen — vielleicht war der Effekt auch einfach nur unbekannt. So, fürchte ich, wird die Verbreitung der Inhalte begrenzt bleiben. Die proprietäre Form widerspricht dem Inhalt des Buches.
Besonders schade finde ich es wegen der wirklich sehr guten Einführung. Die Autorin gibt hier einen (kurzen) Einblick in ihre »subjektfundierte Hegemonietheorie«, die wesentlich von queertheoretischen Ansätzen gespeist wird. Emanzipation heisst eben immer auch Ent-Identifizierung durch Aufbrechen der Rollen. Oder in Worten von Fancisco Varela: »Wenn du dich selbst ändern willst, ändere deine Umwelt. Wenn du die Welt ändern willst, ändere dich selbst« (zit. n.. S. 11).
Das mit den »Halbinseln« kommt übrigens vom Satz »Es gibt keine Inseln im Falschen«, frei nach Adornos Zitat-Hit »Es gibt kein richtiges Leben im falschen«. Der »Strom« hingegen ist assoziiert mit »gegen den Strom schwimmen«, anders als die »toten Fische«, die nur mit ihm schwimmen. Aber Inseln tun weder das eine noch das andere. Sie liegen höchstens im Strom und werden vielleicht von ihm weggespült. Halbinseln muten da durchaus stabiler an — anders, als das abschwächende »halb« anzeigen sollte 😉
Dazu auch: Interview mit Friederike Habermann im »Freitag«.
Mich ärgert das auch, dass ausgerechnet bei einem Buch, das Verwertungslogik und (neo)klassische Ökonomie in Frage stellt niemand auf die Idee kam, mal eine freie Lizenz zu verwenden. Ähnlich ist das bei Susanne Elsens „Ökonomie des Gemeinwesens“. Meines Erachtens hat sie darin alles richtig erkannt und auch tolle Beispiele für eine andere Praxis gebracht, nur das Buch an sich ist dann klassisch auf Papier gedruckt und unter keiner freien Lizenz erhältlich. Wissenschaftler ticken manchmal recht seltsam.
Eine weitere Besprechung gibt’s hier.
[Mobbing-Kommentar gelöscht. CS]
Lieber Torsten, meinst Du nicht, dass Autoren, die Monate und Jahre an so einem Buch arbeiten, auch irgendwie ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen? Ich habe in meinem Leben ´mehrere Forschungsprojekte für Umme gemacht. Außer der Tatsache, dass ich mich mit diesem Projekten bei vielen unbeliebt gemacht habe und Horst Mahler sogar seine Truppen auf mich hetzte, habe ich sehr sehr viel Geld gezahlt, um die Arbeit machen zu können (Literatur und Dokumente kaufen. Mehrere Zehntausend EUR, die ich nicht hatte). 20 Jahre habe ich die Schulden dafür mit mir rumgetragen. Nicht gerade erfreulich.