Bedürfnisse und Interessen
Guido fragt in einem Kommentar zum Artikel »SOPA, ACTA, Urheberrecht = Marktwirtschaft«, warum sich denn nicht eine politische Partei, etwa die Partei Die Linke (PDL) finden sollte, die für das freie Tauschen eintritt, was einem Ende des Urheberrechts gleichkäme: »Es ist doch im Interesse der User, unbehelligt alles tauschen zu können«. Eine gute Frage, wie ich finde. Sie lässt sich nicht so einfach beantworten, deswegen versuche ich es (mal wieder) grundsätzlicher.
Ich finde es wichtig, zwischen Bedürfnissen und Interessen zu unterscheiden.
In der alltäglichen Redeweise werden Bedürfnisse und Interessen meistens synonym verwendet. »Ich habe Interesse an…« oder »Ich interessiere mich für…« drückt einen ganz persönlichen Wunsch aus, etwas kennenzulernen, zu bekommen, zu erleben oder was auch immer. Die Alltagsrede ist das eine, die begriffliche Unterscheidung das andere. Das kennen wir von anderen Begriffen. »Wert« kann als individuelle Wertschätzung verstanden werden oder begrifflich als gesellschaftliches Verhältnis beim Warentausch. »Geld« kann als neutraler Vermittler aufgefasst werden oder begrifflich als dingliche Inkarnation des Werts. Das gleiche finden wir nun auch beim Interesse. Das zeige ich gleich. Hilfreich ist es, wenn man einfach mal die Verschiedenheit von Bedürfnissen und Interessen für gesetzt hält und nun wissen möchte, worin sie besteht. Nach dem Durchgang komme ich am Ende auf die Ausgangsfrage der Politik zurück.
Zunächst zu den Bedürfnissen. Menschliche Bedürfnisse lassen sich in zwei große Gruppen einteilen, die in einem engen Verhältnis zueinander stehen (ich orientiere mich an der Kritischen Psychologie, Quelle ist ein Glossar, das von mir stammt):
- Sinnlich-vitale Bedürfnisse: Das sind auf die individuelle Lebenssicherung und die Fortpflanzung bezogene Bedürfnisse, deren Befriedigungsqualität vom Grad der Realisierung der produktiven Bedürfnisse abhängt.
- Produktive Bedürfnisse: Das sind auf die Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozess der Re-/Produktion der Lebensbedingungen bezogene Bedürfnisse als Voraussetzung zur Befriedigung der sinnlich-vitalen Bedürfnisse.
Ganz verkürzt gesagt nimmt die Befriedigung sinnlich-vitaler Bedürfnisse im Kapitalismus die Form des »Konsums« an und die Befriedigung produktiver Bedürfnisse die Form der »Arbeit« (entweder Verkauf oder Verwertung von Arbeitskraft). Essen, Trinken, Sex, Wohnen, Geborgenheit usw. brauchen — direkt oder indirekt — Voraussetzungen, die in der Regel per Kauf erworben werden müssen. Um an das Geld zu kommen, muss entweder die eigene Arbeitskraft verkauft oder die Arbeitskraft anderer gekauft und verwertet werden. Allerdings hat Ver-/Kauf und Verwertung von Arbeit nicht nur den nackten Geldzweck im Hintergrund, sondern Arbeit bedeutet immer auch, an der »Verfügung über den gesellschaftlichen Prozess« teilzuhaben, wie entfremdet auch immer es der Kapitalismus eben ermöglicht.
Entsprechend der Spaltungen in der Gesellschaft — und die Klassenspaltung ist nicht die einzige — werden so auch die Bedürfnisse auseinandergerissen. Am Rande bemerkt besteht eine wesentliche Qualität der commonsbasierten Peerproduktion darin, diese Trennung wieder aufzuheben. Das ist jetzt aber hier nicht das Thema.
Was sind nun Interessen, wenn sie nicht mit Bedürfnissen identisch sind?
Interesse fasse ich als Ausrichtung von Handlungen von Individuen oder Kollektiven auf Dinge, Vorgänge, Ziele oder andere Handlungen. Es sind folglich Mittel, um Bedürfnisse zu realisieren, wobei die Vermittlungsstrecke bis zur angestrebten Bedürfnisbefriedigung unterschiedlich lang sein kann. Bedürfnisse müssen dann Interessenform annehmen, wenn sich die Bedürfnisse deshalb nicht umsetzen lassen, weil ihnen andere als Interessen artikulierte Bedürfnisse entgegenstehen. Interessen sind somit eine historisch-spezifische soziale Form, die je eigenen Bedürfnisse zur Geltung zu bringen.
Diese historische Besonderheit ist Resultat der gesellschaftlichen Struktur des Kapitalismus, in der sich die Einen stets auf Kosten von anderen durchsetzen können. Das nenne ich Exklusionslogik. Die Exklusionslogik ist keine Folge der Bösartigkeit und Dummheit der Menschen (auch wenn es bösartige und dumme Menschen geben mag), sondern in die soziale Form der gesellschaftlichen Vermittlung eingeschrieben. So entstehen und reproduzieren sich permanent Gegensätze: Käufer vs. Verkäufer, Männer vs. Frauen, Alte vs. Junge, Schwarze vs. Weisse, Inländer vs. Ausländer usw. — die Liste ist endlos und erweitert sich ständig, bis in die kleinsten Bereiche der Gesellschaft hinein. Nur die Top-Three werden gelegentlich skandalisiert, nämlich die Spaltungen entlang der Dimensionen class, sex und race. Manchmal auch ein paar mehr.
Also: Im Kapitalismus kann man die eigenen Bedürfnisse in der Regel nur realisieren, wenn man sie als (meistens) kollektive Interessen artikuliert. Diese Interessen haben prinzipiell partiellen Charakter. Es sind Partialinteressen, die gegen die Partialinteressen von anderen stehen. Aber auch innerhalb einer Artikulation von Partialinteressen gibt es keine Identität. Die Formulierung von Bedürfnissen in Form kollektiver Interessen hat immer Kompromisscharakter. Kein einzelner Mensch geht in den jeweiligen (Partial-)Interessen völlig auf, denn alle Menschen sind verschieden, einschließlich ihrer Bedürfnisse. Daher befinden wir uns in der Regel auch in unterschiedlichen Interessenzusammenhängen, oft sogar solchen, die gegeneinander stehen. Institutionalisierte Beispiele sind ADAC und Greenpeace, Gewerkschaft und Aktienbesitz, Einkaufs-Punktesammler und CCC.
Kann es Allgemeininteressen geben? Klare Antwort: Im Kapitalismus nicht. Wären aber Allgemeininteressen als Aufhebung des Kapitalismus denkbar? Hier sind zwei Gedankenmodelle möglich. Entweder die Allgemeininteressen sind so »allgemein« formuliert, dass sich tatsächlich alle anderen Interessen darunter subsumieren lassen. Etwa: Alle wollen gut leben. Aber was heißt das? Ein Versuch, Allgemeininteressen auch allgemein zu formulieren, ist die Erklärung der Menschenrechte. Darauf komme ich gleich nochmal zurück.
Ein anderes Gedankenmodell geht davon aus, dass sich tatsächlich individuelle Bedürfnisse so umsetzen lassen, dass sie nicht gegen die Bedürfnisse anderer stehen. Dies ist dann denkbar, wenn das sich-nicht-auf-Kosten-anderer-durchsetzen selbst zu einem individuellen Bedürfnis wird. Das kann dann passieren, wenn es in der Gesellschaft subjektiv funktional ist, die Bedürfnisrealisierung anderer als Aspekt der eigenen Bedürfnisbefriedigung zu begreifen und empfinden.
Heute ist das nicht allgemein möglich. Im Kapitalismus ist es subjektiv funktional, sich auf Kosten der anderen durchzusetzen, weil die gesellschaftliche Struktur eben jenes nahelegt. Die Perspektive einer Inklusionslogik, also einer Gesellschaft, in der die »freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« wurde von Marx und Engels formuliert. In diesem Fall lösen sich die »Allgemeininteressen« jedoch auf, weil es nicht mehr erforderlich ist, die eigenen Bedürfnisse auf dem Wege der Interessenartikulation gegen die Interessen anderer durchzusetzen.
Wieder zurück ins Heute des realexistierenden Kapitalismus.
Politische Parteien sind per Definition Interessenorganisationen. Sie inkorporieren die Interessengegensätze. Je nach Färbung treten sie mal mehr für diese oder für jene Interessen ein. Das macht die Unterschiede zwischen, aber auch innerhalb der Parteien (»Flügel«) aus. Alle Parteien müssen bei Strafe des Untergangs einen gewissen Ausgleich der gegensätzlichen Interessen vertreten. Keine Partei kann auf die Idee kommen, den Interessenmodus zu verlassen, weil die Struktur der Gesellschaft und der Rolle der Parteien darin dies nicht zulässt. Dazu kommt das selbstreferenzielle Partialinteresse, die Partei (oder Gewerkschaft, NGO etc.) möglichst lange zu erhalten, weil sie die Existenz der Beschäftigten und Mandatsträger_innen monetär absichert.
Historisch vertraten die Parteien der Linken in der Regel das Konzept der Allgemeininteressen. Dieses ist, wie gezeigt, nicht tragfähig. Denn entweder werden alle Interessen unter die einer Gruppe subsumiert (Arbeiterinteressen identisch Allgemeininteressen) oder es bleibt nur ein Minimalkonsens übrig (z.B. als Menschenrechte). Bliebe nur, den Interessenmodus insgesamt zu verlassen und das Konzept der Allgemeininteressen aufzugeben. Dann müsste sich die jeweilige Partei jedoch auflösen, weil sie funktionslos wäre.
In diesem Dilemma steckt auch die PDL. Unterstellt, sie wolle das Beste, kann sie dies dennoch nicht erreichen. Als Partei bewegt sie sich im Interessenmodus und artikuliert bestimmte Partialinteressen gegen andere Partialinteressen. Ein Anspruch auf Durchsetzung von Allgemeininteressen wird konsequenterweise gar nicht erst erhoben. Im Parteiprogramm geht bestenfalls um die »Interessen der Mehrheit« oder die »Interessen der Allgemeinheit«, die gegen andere Interessen (Profit etc.) durchgesetzt werden sollen. Auch der übliche »Ausgleich von Interessen« findet sich im Programm.
Was ist nun mit dem von Guido angesprochenen »Interesse der User, unbehelligt alles tauschen zu können«? Wäre dieses nicht bei der PDL gut aufgehoben? Kurz: Das ist nicht möglich. Denn dem Interesse »unbehelligt alles tauschen zu können« steht das Interesse, das unbehelligte Tauschen zu unterbinden entgegen, weil Kreative sonst um ihre schmalen Einkünfte gebracht werden. Und deren Interessen vertritt die PDL dem Anspruch nach ja auch. Auch die PDL kann die Interessengegensätze nicht aufheben, sie kann sich nur darin bewegen.
Das ist übrigens bei den Piraten und den Grünen ganz genau das Gleiche. Auch sie stellen sich nicht vorbehaltlos auf die Seite der User-Interessen. Geht einfach nicht. Weder PDL noch Piraten oder Grüne fordern die Abschaffung des Urheberrechts. Sie können es nicht fordern. Sich im Interessenmodus allein auf die Seite einer Interessengruppe zu stellen, hätte repressiven Charakter. Es bedeutete, alle anderen Interessen besonderen Partialinteressen unterzuordnen. Alle Parteien müssen um ihrer eigenen Existenz willen den Interessenausgleich anstreben und somit die Interessenlogik bestätigen.
Kommt man aber nicht über die Bestimmung von »berechtigten« und »unberechtigten« Interessen weiter? Nein. Wer sollte diese festlegen? Und wie? Es ist ja nicht so, dass es das nicht gäbe, etwa die erwähnten Menschenrechte. Aber selbst die sind umstritten. Auch nur am Rande: Das »Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen« steht in Art. 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, und das Urheberrecht ist Teil des UN-Sozialpakts, einem der zentralen Menschenrechtsinstrumente. Im Interessenmodus ist das Dilemma der Interessen, die nur Partialinteressen sein können, nicht auflösbar. Emanzipation findet sich nur jenseits dessen.
Aber könnte man nun nicht jene Bedürfnisse bestimmen, die die übergroße Mehrheit hat, und diese dann gesellschaftlich absichern? Könnte nicht der Staat diese Absicherung übernehmen? — Wurde alles schon probiert und ist gescheitert. Musste scheitern. Denn mal abgesehen von den Bedürfnissen der Minderheit (ein Problem jeder Mehrheitsbildung) ist wieder die gleiche Frage: Wer sollte festlegen, welches diese Bedürfnisse sind? Essen, Trinken, Sex, Wohnen, Geborgenheit usw. sind zu allgemein, die Frage ist: Was heißt das konkret? Sobald man auf die Ebene der Realisierung kommt, muss man feststellen, dass Bedürfnisse nichts Festes, sondern etwas historisch gewordenes und veränderliches sind.
Da sich Parteien notwendig im Interessenmodus bewegen, ist allgemeine Emanzipation (ist das nicht schon ein Doppelmoppel?) mit Parteien nicht erreichbar. Sie könnten allerdings ein Stück weit helfen, bestimmte Diskurse voranzubringen. Sie könnten ganz praktisch Commons-Projekte der Peerproduktion unterstützen. Dies ist möglich, weil — nach der Fünfschrittüberlegung — es im Übergang zu einer freien Gesellschaft eine doppelte Funktionalität von keimförmigen Ansätzen gibt: Sie werden im alten System gebraucht und repräsentieren selbst aber eine neue Logik. Alles, was nun aus alter Logik kommend Keimformen vorantreibt, ist daher hilfreich. Dies allerdings ist kein Privileg der PDL oder der Piraten oder der Grünen, noch der Politik überhaupt.
Wer sich also in die Parteien begeben will, um dort zum Beispiel die Idee der commonsbasierten Peerproduktion voranzubringen — nur zu. Und auch gegen eine Zusammenarbeit spricht nicht so viel (mache ich z.B. auch). Doch seid euch der immanenten und notwendigen Begrenztheit dieses Vorhabens bewusst. Das erspart einem manche Illusionen und damit vielleicht auch Frust. Die Emanzipation ist politisch über Parteien nicht zu erreichen. Eine fiktive commonsbasierte Peer-Partei müsste als erstes Ziel ihre eigene Überflüssigmachung ins Programm schreiben — ein Widerspruch in sich.
Fazit: Zur Erreichung von Emanzipation, die nur eine allgemeine sein kann, muss der Interessenmodus der Bedürfnisbefriedigung überwunden werden. Dies ist — zumindest potenziell, weil strukturell — bei der commonsbasierten Peerproduktion der Fall. Ich denke, dass auch nur so eine gesellschaftliche Hegemonie erreicht werden kann: indem es getan wird. In diesem Sinne ist jedes konkrete neue Projekt commonsbasierter Peerproduktion »sehr viel wert« 😉
Menschen sind soziale Wesen und können viele ihrer Bedürfnisse nur in einem sozialen Kontext befriedigen. „Tauschen“ bedeutet, wenigstens in einem herrschaftsfreien Kontext (ich betone an der Stelle explizit: ein rein theoretisches Konstrukt), mit einer anderen Person über die Konditionen eines externen Beitrags zur eigenen Bedürfnisbefriedigung zu verhandeln und zu einer Entscheidung zu kommen, die von beiden vor dem Rest der Gesellschaft zu verantworten ist. Das setzt also voraus, dass diese Individuen in einem gesellschaftlichen Sinne verantwortungsfähig (BGB Teil 3), entscheidungsfähig (BGB Teil 2) und verhandlungsfähig (BGB Teil 1) sind. Leider kommen solche, zweifellos gesellschaftlich-politisch konstituierte, also letztlich kulturelle Prämissen in deinen Überlegungen gar nicht vor.
Im Zusammenhang mit Urheberrecht (genauer Autorenrecht, denn es kommt ja vom „droit d’auteur“ der französischen Revolution im Gegensatz zum britischen „Copyright“ als ein von der Krone verliehenes Privileg) halte ich „tauschen“ für den falschen Begriff, denn eine Idee zu „tauschen“ bedeutet ja, die Zahl ihrer Träger zu vermehren. „Free as in free speech“ übersetze ich deshalb genauer mit „freizügig“ und spreche vom freizügigen Zugang. Im Urheberrecht ist das der Unterschied zwischen § 31 (2) und § 31 (3) UrHG – und darum geht der Kampf.
PDL: [gelöscht auf Wunsch des Kommentators]
@HGG: Um das Tauschen ging es mir tatsächlich nicht. Ich sehe keinen notwendigen Zusammenhang zwischen Bedürfnisbefriedigung und Tauschen. Gesellschaftliche Aufwandsteilung bedeutet nicht Tauschen.
Dass Verteilung im Kapitalismus auf dem Wege des Tauschs (Kauf/Verkauf) erfolgt, ist klar. Und dass in D-Land das BGB dazu allerlei regelt auch. Ich hätte die rechtlichen Vorgaben, in der die Konstitution von Bedürfnissen zu Interessen zu erfolgen haben, einbeziehen können, das stimmt. War mir aber zu viel.
Guter Hinweis: Ein »Tausch« findet bei Immaterialgütern im engeren Sinne gar nicht statt. Das macht den Verwertern ja so zu schaffen. Dennoch geht der Kampf nicht nur um die Frage einfaches Nutzungsrechts (§31.2) versus exklusives Nutzungsrechts (§32.3), sondern es geht grundsätzlich um die Frage, ob Urheber das Recht zur Rechteerteilung haben sollen, also, ob es so etwas wie »Geistiges Eigentum« überhaupt gibt. Im Kapitalismus ist das zwingend erforderlich, darauf habe ich hingewiesen. Aber wenn der Kapitalismus nicht die »natürliche« Form des Zusammenlebens ist (sondern eine historische, also vergehende Form), dann muss man das grundsätzlicher hinterfragen.
Und da ist meine These: In der freien Gesellschaft kann Rechteerteilung (die immer Rechteentzug für andere impliziert) keine konstitutive soziale (oder kulturelle, wie du schreibst) Form der gesellschaftlichen Vermittlung mehr sein. Aller Selbstbeweihräucherung zum Trotz ist der Kapitalismus eine unfreie Gesellschaft, weil die Freiheit der einen die Unfreiheit der anderen bedeutet. Das ist strukturell so angelegt und rechtlich kodifiziert. Interessen sind die Form, in der das politisch verhandelt wird. Das wollte ich aufzeigen.
Nur um es noch mal klar zu sagen und etwaige Missverständnisse zu vermeiden: Mir ging es bei dieser Frage nicht um die Forderung, die PDL sollte sich doch bitte auf die Seite der User/Filesharer stellen. Sondern ich wollte darauf hinaus, dass die Tatsache, dass sie es nicht tut, und auch keine andere (größere) Partei, m.E. symptomatisch für einen gewissen Stand der Debatte steht (Stichwort: Hegemonie), der sich auch an der veröffentlichen Meinung in den sog. Leitmedien ablesen lässt.
Daher hatte ich dein Gegenargument so verstanden als wolltest du sagen: Das habe mit Hegemonie überhaupt nichts zu tun, sondern es sei sozusagen intrinsisch logisch, dass keine Partei so etwas überhaupt vertreten könnte. Das hast du aber nicht gezeigt, und du hast es auch in diesem längeren Artikel nicht gezeigt. Denn im Prinzip spricht überhaupt nichts dagegen, dass eine Partei in bestimmten Fragen nur die Partikularinteressen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen vertritt. Und nicht nur im Prinzip nicht: Die FDP macht das die ganze Zeit.
Ich glaube der Fehler liegt in der Annahme, alle Parteien müssten in allen Fragen immer das Gesamtinteresse im Blick haben.
@Guido: Ähm, ich habe das Gefühl, du hast die Hauptaussage des Artikel nicht gewürdigt hast (weil sie vielleicht immer noch nicht richtig sichtbar ist): Interessen sind immer Partialinteressen. Es gibt keine Gesamtinteressen (im Sinne von Allgemeininteressen). Keine Partei kann ein Gesamtinteresse im Blick haben, weil es das nicht gibt.
Alle Parteien vertreten immer Partialinteressen, aber immer auch gleichzeitig mehrere, sich widersprechende (was dann als Interessenausgleich verkauft wird). Auch die FDP. Das wird in der Debatte übrigens als »Mitte« abgebildet: Das ist der Attraktor, der Ort des idealen Interessenausgleichs.
Doch ja, meine These ist: Keine Partei kann — »intrinisch logisch« — sowas wie die Abschaffung des Urheberrechts überhaupt vertreten.
Allerdings sage ich nicht, dass das mit Hegemonie nichts zu tun hat. Im Artikel steht nicht viel. Da würde ich ergänzen, dass die Parteien ganz gut den »Stand der Debatte« widerspiegeln. Das heißt, zwei Vorstellungen sind deutlich hegemonial: Warenform/Markt muss sein; Interessen und ihr Ausgleich müssen sein. Mehr noch: Das sind quasi Naturformen.
Ich finde die Vorstellung im Kommunismus gäbe es keine widerstreitenden Interessen mehr ziemlich bedrückend, vielleicht sogar gefährlich. Für mich sind Interessen erst mal nur organisierte Bedürfnisse, also Bedürfnisse, für die sich genug Leute finden um sie gemeinsam zu vertreten. Klar, im Kapitalismus nehmen die notwendig Wertform an und sind notwendig gegeneinander gerichtet usw. aber es wird auch im Kommunismus Regeln brauchen, wie organisierte Bedürfnisse sich aufeinander beziehen können.Sonst bleibt ja nur der Einzelne und seine mit der Weltgemeinschaft _identischen_ Bedürfnisse, das finde ich ein bisschen zu religiös für meinen Geschmack.
@Stefan#4: Ok, ich hab das mehr als clumsy ausgedrückt. Vielleicht liegt es daran, dass ich dein Argument immer noch nicht verstanden habe. Sorry, dass ich insistiere: Aber warum genau könnte die DPL das nicht vertreten? Sie müsste damit noch nicht mal zur konsequent antikapitalistischen Partei werden. Sie müsste nur sagen: Voilà, wir wollen die Kunst entkapitalisieren. Wir fordern das Ende der Kulturindustrie. Kunst soll frei werden, alle (digital kopierbaren) Kunstprodukte sollen frei zirkulieren und die Künstlerinnen vom Staat bezahlt werden. Die DPL steht doch so auf Staat (Banken verstaatlichen, Rüstungsindustrie verstaatlichen etc.).
@Benni: Wie kommst du darauf, dass die Bedürfnisse des Individuums (des Einzelnen) mit denen der Gesellschaft (der Weltgemeinschaft) identisch sein sollten? Das wäre ja eine Horrorvorstellung!
@Guido#6: Die PDL könnte das nicht, weil sie auch Künstler_innen vertreten will, die von einer kapitalisisierten Kunst leben.
Der Vorschlag, dass die logisch-intrinsischen Gegensätze der Partialinteressen einfach dadurch zugedeckt werden, indem der Staat alles und alle bezahlt, war in der Tat lange Zeit eine Option sozialdemokratischer Politik (bis in die 1970er). Die Option gibt’s heute nicht mehr. Jede Partei als Regierung in Aktion oder im Wartestand hängt von Steuereinnahmen aus gelingender Verwertung ab. Einen ganzen Sektor aus der Logik »herauszukaufen«, ist, wie es so schön heißt, »nicht finanzierbar«. Außerdem würden andere Partialinteressengruppen sofort auf der Matte stehen und (zu recht) fordern: Warum die und nicht wir?
Wenn Geld zur Befriedung nicht mehr da ist, kommen die gegensätzlichen Partialinteressen voll zur Geltung.
@Stefan: Tauschen ist für mich eine Form der sozialen Interaktion, in der Interessen abgeglichen werden. Mit deinem
kann ich wenig anfangen, denn welchen anderen als den „Interessenmodus“ der Bedürfnisbefriedigung kann es geben? Wie kann ich anders als „interessiert“ sein, meine Bedürfnisse zu befriedigen?
Dass es dabei kollidierende Interessen, Interessensabwägungen, Interessensabwägungsprozesse, Interessensabwägungsregeln etc. gibt, ist nach meinem Verständnis keine Spezifik der kapitalistischen Gesellschaft. Dass dabei Widerspruchslinien zwischen Partial- (natürlich, wie sonst) -interessen sichtbar werden, ist klar, denn Partialinteressen können konsonant, aber auch dissonant zueinander stehen. Im ersteren Fall ist die Summe mehr als die Teile, wenn Synergien gehoben werden können, im zweiten Fall ist Grenzziehung wichtig, um nicht zu viel Energie im dauernden Scharmützeln zu vergeuden.
Tausch als vertragsrechtliches Instrument gehört für mich ganz klar zu den synergetischen Beziehungen und ist damit für mich ein emanzipatives Projekt (gegenüber der Zuteilung von Teilhabemöglichkeiten im Rahmen ordnungsrechtlicher Regelungen). Klar ist die theoretische Prämisse der Herrschaftsfreiheit dabei praktisch schwierig zu prozessieren – ich erinnere an die Debatten zu Christoph Spehrs „Freier Kooperation“ (auch wenn es schon Äonen her zu sein scheint, dass der Text diskutiert wurde).
Mit „nicht-auf-Kosten-anderer“ hast du allerdings schon die Kosten drin. Auch wenn ich „die Bedürfnisrealisierung anderer als Aspekt der eigenen Bedürfnisbefriedigung zu begreifen“ vermag, so wird es doch Konflikte geben, auch solche, die „stehen bleiben“, oder? Wie soll das aber gehen ohne die Instrumente Verantwortungsfähigkeit und Verantwortungsübergabe, also letztlich auch Rechteerteilung, die auf einer gesellschaftlichen Übereinkunft, auf welcher Ebene auch immer, fußt? Ist z.B. der „Debian Social Contract“ nicht genau ein solches Instrument auch der Exklusion (z.B. von Bill Gates – nicht als Person, sondern als „Charaktermaske“, wie sich olle Marx wohl ausdrücken würde)?
@Stefan#8: Wenn ich es jetzt richtig verstehe ist deine These eine Variante der alten marxistischen vom Staat als ideeller Gesamtkapitalist – mit der PDL als staatstragender Partei. Als realpolitische Bestandsaufnahme würde ich dem zustimmen. Nur kann die PDL das eigentlich nicht mit ihrem Anspruch vereinen, die Partei des «demokratischen Sozialismus» zu sein (statt des sozialdemokratischen Kapitalismus). Zumindest dem Anspruch nach müsste sie durchaus ganze Sektoren entkapitalisieren wollen.
Das müsste ja noch nicht mal Verstaatlichung heißen, was im Fall der Kunst wohl auch der PDL komisch vorkäme. Es hieße eher: sich ein sehr großzügiges, transparentes, demokratisch kontrolliertes Stipendiensystem + Kulturflatrate ins Programm zu schreiben. Nicht finanzierbar? Darauf hat die DPL Antworten: Reichensteuer, Erbschaftssteuer, Finanztransaktionssteuer, Drogensteuer…
Ich will eigentlich nicht weiter insistieren. Im wesentlichen Punkt – der Frage der Hegemonie – sind wir ja eh einer Meinung. Wenn auch, wie mir scheint, irgendwie anders (lustige Formulierung). Aber dazu wolltest du ja auch noch was schreiben.
@Stefan: na, ich komm drauf, weil Du in Deiner Minitheorie hier die Interessen (im Kommunismus) rauskürzt und nichts an ihre Stelle setzt. Dann bleiben nur noch individuelle Bedürfnisse und die Notwendigkeiten der Weltgemeinschaft übrig.Klar, du musst nicht das ganze Bild ausmalen, aber einfach etwas wegnehmen ist zu wenig, wenn das, was übrig bleibt, eine Horrorvorstellung ist.
@HGG: Viele interessante Fragen, die eine umfangreichere Diskussion benötigten. Hier nur relativ kurz, aber etwas länger als Twitterformat.
Benni und du, ihr sagt, dass es keinen anderen Modus als den der Interessen geben kann, in dem widersprechende Bedürfnisse bewegt werden. Das halte ich für eine Naturalisierung (oder Ontologisierung) sozialer Verhältnisse wie wir sie heute kennen.
Ausgangspunkt ist, dass die Bedürfnisse der Menschen unterschiedlich sind. Diese können »konsonant« oder »dissonant« sein, um Begriffe von dir zu verwenden. Wie kann nun der gesellschaftliche Produktions- und Vermittlungsprozess so organisiert sein, dass Unterschiedlichkeit nicht in Gegensätzlichkeit mündet? Im Kapitalismus geht es gar nicht. Dort gilt die Interessenform (soviel ist klar) und strukturell kann maximal Interessenausgleich oder Waffenstillstand erreicht werden. Einige Mittel hast du genannt: Verträge, Delegation an die individuelle Moralität und Verantwortung, Gesetze etc.
Tausch, insbesondere der Äquivalententausch, gehört auch dazu, das ist gewissermaßen der Interessenausgleich sui generis des Kapitalismus.
Wenn man diese Formen universalisiert und sie nicht (zunächst mal begrifflich) kritisiert und dekonstruiert, dann kann man keinen Begriff von Emanzipation und freier Gesellschaft, Kommunismus, Commonismus, whatever entwickeln.
Interessen haben zwei Konsequenzen: (1) Sie reduzieren die
Individualität und damit die Selbstentfaltung (zumindest wenn ich
kollektive Partialinteressen zur besseren Durchsetzung anstrebe) und (2)
sie sind immer partiell und gegen andere Partialinteressen gerichtet
(anderenfalls wären sie überflüssig).
Ich gehe tatsächlich davon aus, dass es zu den menschlichen Möglichkeiten gehört, individuelle Bedürfnisse (die immer unterschiedlich sind) so zu befriedigen, dass sie nicht zu Lasten (jaja: »Kosten« ist ein Begriff aus dem Alten) anderer gehen. Hast du nochmal zitiert, wiederhole ich nicht. Das bedeutet — richtig erkannt — dass Konflikte gelöst werden müssen. Bedarf es dafür des Interessenmodus? Nein, ich sehe kein logisches Argument, dass das begründet. Wenn du eines hast: her damit.
Der Verweis auf die gegenwärtige Praxis zeigt nur, dass es heute im gesellschaftlichen Maßstab nicht geht (=>Ontologisierung). Allerdings zeigt die Praxis der commonsbasierten Peer-Produktion keimförmig auf, dass es gehen kann. Dort werden Bedürfnisse im begrenzten Rahmen immer wieder erfolgreich so organisiert, dass Unterschiede nicht in Gegensätze umschlagen, sondern dass gerade die individuelle Unterschiedlichkeit als produktive Kraft genutzt wird. Individualität und ihre Entfaltung ist generell die Kraftquelle der Commons. Ich vermute etwa, dass das (intuitiv) im Wikispeed-Projekt passiert (um mal nicht immer die Freie Software heranzuziehen). Alles gewiss begrenzt.
Übrigens: Der Debian Social Contract schließt Bill Gates oder wen auch immer keineswegs aus. Und die Freiheit 0 der Freien Software fordert die Benutzung der Software zu jedem Zweck. Das ist öfter kritisiert worden, aber es ist genau richtig, denn im Exklusionsmodus ist Freiheit nicht zu erreichen.
Wie können aber nun aus unterschiedlichen Bedürfnissen resultierende Konflikte gelöst werden? Diese Frage auf einem überzeugenden Niveau der Konkretion zu beantworten, hieße in Utopismus zu verfallen und eine Vorgabe für ein Ziel zu formulieren, das erst Ergebnis des historischen Prozesses sein kann. Ich denke aber, dass man kategorial einiges zu diesem Prozess sagen kann. Das ist mir jetzt aber zuviel für diesem Kommentar.
@Benni#11: Eine Horrorvorstellung ist es nur, wenn du von der Identität der Bedürfnisse ausgehst. Ich gehe aber vom Gegenteil aus. Den logischen Schluss habe ich nicht verstanden.
@Guido#6: Nee, statt Staat als ideeller Gesamtkapitalist würde ich sagen Staat als realer Gesamtinteressenausgleicher. Und dem kann ich keine Partei entziehen — aber ich will jetzt auch nicht insistieren. Die PDL soll mal tun, was sie noch kann.
Also es gilt doch schon auch festzuhalten, dass es da ja durchaus deutlich unterschiedliche Rollen bei den einzelnen Parteien gibt. Die einen wollen so viel wie möglich Repression zur Durchsetzung „geistigen Eigentums“ (FDP,CDU), die anderen so wenig wie möglich (Piraten) und die anderen sind irgendwo dazwischen.Aber wir sind ja klüger als diese Spielchen und wissen, dass Eigentum nur durch Repression existieren kann und deshalb eine Forderung nach wenig Repression von einer faktischen Abschaffung nicht weit weg ist. Interessanter als den Gewerkschaften in SPD und PDL beim Aussterben zuzugucken finde ich dann schon, wie schnell sich diese Forderungen bei den Piraten abschleifen werden, die mögen zwar in vielen anderen Fragen nicht gerade besonders fortschrittlich sein, aber in dieser Frage treiben sie gerade schon die anderen Parteien vor sich her. Grüne und PDL hätten sich z.B. sicher lange nicht so deutlich gegen ACTA gestellt ohne die neue Konkurrenz.
@Stefan#12: Seit Galileos Zeiten ist es üblich, neben dem Offensichtlichen – dass Stein und Feder nicht mit gleicher Geschwindigkeit fallen – subtilere Denkebenen zu versuchen, die sich allein durch Abstraktion konstituieren lassen. Ich bin Marxist genug, um dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, dass derartige Abstraktionen auch einen Praxistest bestehen müssen. Ich habe mich also wohl zu kurzschlüssig ausgedrückt, wenn dir meine Überlegungen wie „eine Naturalisierung (oder Ontologisierung) sozialer Verhältnisse wie wir sie heute kennen“ erscheinen.
„Wie kann nun der gesellschaftliche Produktions- und Vermittlungsprozess so organisiert sein, dass Unterschiedlichkeit nicht in Gegensätzlichkeit mündet?“ Interessante Frage, der aber eine Debatte über „Unterschiedlichkeit“ und „Gegensätzlichkeit“ vorausgehen müsste. In der aus meiner Sicht vor allem die Frage zu beantworten wäre, was genau der Unterschied zwischen den Semantiken von „dissonante Interessen“ (und nicht Bedürfnissen, wie du umformuliert hast) – meine Begrifflichkeit – und „Gegensätzlichkeit“ – deine Begrifflichkeit – ist. Ich gehe davon aus, dass sich „dissonante Interessen“ nicht nur nicht vermeiden lassen, sondern dass sie sogar der allerinnerste Kern sind, der Welt vorantreibt. Zusammengepressten Federn gleich, die jederzeit auseinandertreiben, wenn der „äußere Druck“ nachlässt. So ist nach meiner Beobachtung die Welt (nicht nur die kapitalistische oder soziale) im Allerinnersten verfasst.
„Im Kapitalismus geht es gar nicht.“ Was ist das? Ein Mantra, das seine Kraft aus ständiger Wiederholung gewinnt? Die weiteren Argumente speisen sich jedenfalls aus dem Mantra.
„Logisches Argument … her damit“: Um was geht es denn in den Konflikten, wenn nicht um die geschmähten partiellen Interessen, die eigenen Bedürfnisse (1) und denen vorgelagert (2) (Quelle: dein Glossar) ?
„Gates“: Ich habe nicht ohne Grund in der Klammerbemerkung das Wort „Charaktermaske“ eingefügt. Es gibt eben nicht nur „Freiheit 0“.
@Benni#15: Ja, gut, dass du das festhältst. Dass einiges möglich ist, ist klar, mir ging es aber um die Grenzen.
@Hans-Gert: Ich stimme dir zu, dass auch die verwendeten Begriffe sorgfältig zu klären wären. Anderenfalls besteht immer die Gefahr, aneinander vorbei zu reden. Hier sind vermutlich die Grenzen des Blogformats erreicht.
Dass der Kapitalismus nicht in Lage ist, Gegensätze und Trennungen aufzuheben, sondern nur zu »auszugleichen«, ist keine besondere Behauptung von mir. Alle Rechtfertiger_innen des Kapitalismus gehen genauso davon aus. Der Unterschied ist nur, dass ich das nicht für »natürlich« halte, sondern genau das als Ontologisierung kritisiere.
Um die Bedürfnisse selbst.
@Stefan: Mit absoluten Aussagen wie „Dass der Kapitalismus nicht in Lage ist, Gegensätze und Trennungen aufzuheben, sondern nur zu »auszugleichen«“ kann ich leider überhaupt nix mehr anfangen, nachdem ich die religiöse Dimension solcher Aussagen (Hinweis auf Michael Wendls Aufsatz im „Sozialismus“ 2/2011) begriffen habe, auch wenn es (Zustimmung) „keine besondere Behauptung von dir“ ist. Analyse geht nach meinem Verständnis anders.
Noch was zur Debatte um die PDL: Nach meiner Beobachtung gibt es im „digitalen Wandel“ vier Layer mit Akteuren, die – wenigstens in Deutschland – heftig horizontal kommunizieren, aber es gibt kaum strukturierten Austausch zwischen den Layern. Layer 1 sind die „Werkzeugbauer des Internets“, die real hart coden wie etwa unsere Leipziger Jungs (zwei Mädels aus Indien eingeschlossen) der Open Knowledge Foundation, Layer 2 sind die Datenvernetzer der Linked Open Data Ebene (etwa dbpedia, LOD-2 oder auch mein Projekt Leipzig Open Data), Layer 3 die Communities, die intensiv und mit einiger Praxiserfahrung über diesen Wandel reflektieren (etwa keimform.de, Oekonux) und Layer 4 schließlich die rechtlich-polit-kommerzielle Ebene der Leute, die mit all dem Geld oder Aufmerksamkeit (und darüber dann doch Geld) verdienen wollen. Am engsten ist der Kontakt noch immer zwischen Layer 1 und 2. Obwohl Layer x ganz klar über Layer (x-1) „philosophiert“, entwickelt Layer x eine eigentümlich „hausbackene“, selbst gestrickte eigene Legende darüber, was auf Layer (x-1) wirklich abgeht. Es wäre mal spannend, das weiter zu vertiefen; bei Wissenstheoretikern gibt es dazu viele Anknüpfungspunkte. Deshalb ist die vorherrschende Ignoranz und Selbstreferentialität auf Level 4 in Fragen des digitalen Wandels erklärbar und die PDL hat da nach meiner Beobachtung auch keine Sonderrolle. Technischer Wandel scheint die Organisationsstrukturen dieser Gesellschaft von unten nach oben wellenfrontförmig umzukrempeln, die oberste Schicht 4 ist die konservativste und wird gerade (in Dt. seit vielleicht 2 Jahren) erreicht.
Hm. Irgendwie fühle ich mich noch unverstanden. Noch ein Versuch. Du schreibst:
Wie ist das denn dann im Kommunismus? Da gibt es nach Dir ja keine Interessen, weil die ja historisch-spezifisch sind. Aber für mich ist erst mal logisch, dass es da auch „Mittel, um Bedürfnisse zu realisieren, wobei die
Vermittlungsstrecke bis zur angestrebten Bedürfnisbefriedigung
unterschiedlich lang sein kann“ gibt. Da Du ja aber genau so „Interesse“ definierst, gibt es also folglich im Kommunismus auch Interessen (was Du ja aber verneinst, wenn ich Dich richtig verstehe) oder Bedürfnisse werden unmittelbar realisiert, also ohne irgendeinen Verhandlungsprozess, ohne Vermittlungsstrecke und das lässt mich gruseln, weil ich diese imaginierte Identität sonst nur aus religiösen oder nationalistischen Zusammenhängen kenne (Volksgemeinschaft, Umma, whatever).
@Benni: Das mit der Unmittelbarkeit oder Identität aller Bedürfnisse hatten wir schon — macht mich genauso gruseln.
Das andere versuche ich aufzuklären.
Der Mittelcharakter der Interessen, die immer Partialinteressen sind, besteht im Kapitalismus darin, die eigenen Bedürfnisse überhaupt durchzusetzen (es gibt Bereiche, die sind ausgenommen: Liebe, Familie). Meistens (aber nicht immer) heißt das, sich mit anderen zusammenzuschließen, um gegen andere kollektive Partialinteressen durchsetzungsfähiger zu sein. Interessen sind eine notwendige Indirektion, vergleichbar dem Markt wegen der getrennten Privatproduktion. Mit Länge der Vermittlungsstrecke meine ich einfach nur, dass kollektive Partialinteressen nicht direkt auf die eigentlich angestrebte Bedürfnisbefriedigung verweisen müssen, sondern etwa auf andere Interessen von anderen Interessen von anderen Interessen usw. Das ist für den Kapitalismus so, also historisch-spezifisch und nicht allgemein-menschlich.
Im Kommunismus, so die These, ist es nicht nötig, Bedürfnisse als Interessen zu artikulieren, sondern die (stets unterschiedlichen) Bedürfnisse fließen direkt in die gesellschaftliche Vermittlung ein. Es ist also nicht so, dass die gesellschaftliche Vermittlung aufhört (und alles irgendwie gruselig-religiös unmittelbar läuft), sondern das Medium der gesellschaftlichen Vermittlung sind die Bedürfnisse und damit direkt die Menschen (und nicht eine verselbstständigte Bewegung von Sachen => Fetisch). Das ist insofern »direkt« als keine Indirektion wie Markt, Wert, Geld oder eben die Interessen erforderlich sind. Wo doch Bedürfnisse als Interessen (gegen andere Interessen) artikuliert werden müssen, handelt es sich um einen Rückfall in alte Zeiten, was im Übergang vor dem Dominanzwechsel auftreten kann. Danach ist die Bedürfnisvermittlung »selbstverständlich« (wie in jeder Gesellschaft der Alltag selbstverständlich ist).
Vermittlung heißt, das die Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse in einem sozialen Prozess von den Menschen so ausgetragen wird, dass das Ergebnis nicht zu Lasten von bestimmten Menschen geht. Das heißt keineswegs, dass alle Bedürfnisse sofort erfüllt werden, sondern das zum Beispiel Prioritäten erstellt werden. Schließlich ist auch eine Menge Scheisse des Kapitalismus zu reparieren, und die Ressourcenlage dürfte zunächst auch nicht rosig aussehen. Die Befriedigung von Bedürfnissen aufzuschieben, erst Anstrengungen in Kauf zu nehmen, erst Probleme zu lösen etc. ist aber nichts neues. Entscheidend ist, dass alle an der Verfügung über Prozess der Vermittlung der Bedürfnisse und ihrer Realisierung (z.B. durch Produktion) teilhaben können und niemand ausgeschlossen wird. Die individuelle Bedürfnisgrundlage dafür kennen wir, es ist die Selbstentfaltung. (dazu wäre mehr zu sagen, wird mir aber jetzt zu viel.)
Wie genau das geht, welche Ebenen, Institutionen oder sonstwas dafür gefunden werden, um das im globalen Maßstab hinzubekommen, kann niemand heute sagen. Wir können nur auf die Keimformen gucken, wo es im Kleinen bereits klappt (oder auch nicht). Die Commons z.B. zeigen, dass es klappen kann. Oder partiell Occupy (z.B. in New York).
@Guido & alle: Wie vorausgesagt, bekommt die PDL jetzt schon bei ihren zaghaften Versuchen, das (Urheber-) Recht im Interessengegensatz zwischen Urheber_innen und Nutzer_innen mehr in Richtung Nutzer_innen zu verschieben, Druck von den Lobbys: z.B. hier und hier.