Der globale Streik als globales Commoning
Sicher habt ihr es alle mitbekommen. Vorgestern gab es die vermutlich globalste Schüler_innendemo aller Zeiten mit mehr als einer Million Teilnehmer_innen. Meine Eindrücke von dieser Bewegung könnt ihr hier nachlesen. Aber darum soll es jetzt gar nicht gehen. Sondern um die Perspektive, die dieser Erfolg aufmacht.
Ich denke diese Bewegung ist deshalb so erfolgreich, weil sie mit einer ebenso klaren wie radikalen Botschaft gestartet wurde:
- Es gibt nicht bloß einen „Klimawandel“. Das ist eine Krise und wir haben nur noch sehr wenig Zeit um dieser Krise angemessen zu handeln. Oder mit den Worten von Greta Thunberg: „Erwachsene sagen immer: ‚Wir schulden den jungen Leuten Hoffnung.’ Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. […] Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen. Denn es brennt.“
- Es muss sich alles ändern. Es geht nicht nur um ein paar Stellschrauben sondern die ganze Art, wie unsere Gesellschaft funktioniert, muss sich grundlegend ändern. Wieder Thunberg: „Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute.“
Durch den enormen Erfolg dieser Bewegung beginnen diese fundamentalen Erkenntnisse die Identität einer ganzen Generation zu prägen. Das alleine gibt schon Grund zur Hoffnung. Die Bewegung genießt aber auch bei den Erwachsenen unglaubliche Sympathie. Diese älteren Generationen sehen sich momentan vor allem zwei Forderungen gegenüber:
- Ändert euer individuelles Verhalten. Fliegt nicht mehr, fahrt weniger Auto, esst weniger Fleisch usw.
- Macht eine andere Politik.
Das ist beides sicher nicht falsch, aber ich denke, wenn man die ersten beiden Aussagen ernst nimmt ist auch klar, dass das alleine vermutlich nicht reichen wird. Wenn sich wirklich „alles“ ändern muss um diese Krise zu meistern, wird es nur mit geändertem Konsumverhalten und einer klimafreundlichen Politik nicht getan sein. Der wichtige Punkt hier ist: Niemand weiß wie das gehen kann. Die Klare Aussage dieser Bewegung ist dennoch einfach: Findet es halt verdammt noch mal raus.
Wir wissen auch nicht, wie das funktionieren kann. Wir ahnen, dass wir einen Weg finden müssen, wie wir globale Commoning-Prozesse organisieren können. Wenn wir ehrlich sind, haben wir aber kaum den Hauch einer Ahnung wie das funktionieren könnte. Dennoch haben die Schüler_innen uns mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass wir es besser heute als morgen raus kriegen.
Ich schlage deshalb vor, dass wir die Aktionen der Schüler_innen sehr direkt zum Vorbild nehmen und selber streiken. Das klingt schwierig, ich weiß. Aber innerhalb weniger Monate von einer 16-jährigen, die in Stockholm mit einem Schild vor dem Parlament sitzt zu einer noch nie dagewesenen globalen Bewegung zu kommen war auch schwierig. Trotzdem ist es geschehen. Wichtiger als die Frage, ob es schwierig ist, ist außerdem die Frage, ob es notwendig ist. Und dass ist es, schließlich versuchen wir ja seit Jahrzehnten alles mögliche um die Menschheit zur Vernunft zu bringen. Gestreikt haben wir noch nicht. Streiken hat gerade im Kontext der Umweltbewegung außerdem eine ganze Reihe von Vorteilen:
- Ein Streik von Erwachsenen entwickelt natürlich viel mehr Druck als einer von Schüler_innen. Es drohen allerdings auch größere Sanktionen, insbesondere dann, wenn die großen Gewerkschaften nicht mit machen, wovon man wohl leider ausgehen muss. Doch wenn sich wirklich alles ändern muss, wird sich auch unsere Art, wie wir solidarisch in Arbeitskämpfen sind, ändern müssen. Wir müssen hier wie überall neue Lösungen finden und wir werden sie nur finden, wenn wir anfangen.
- Ja, bei einem Streik steht viel auf dem Spiel aber das macht auch deutlich, dass wir Erwachsenen auch mehr Verantwortung haben als die Schüler_innen. Auch dass machen sie uns immer wieder deutlich. Und vielleicht müssen wir uns auch einfach nur mal dran erinnern, dass die ersten Streiks geschahen, als es so etwas wie ein Streikrecht noch nicht gab?
- Die Umweltbewegung wird oft wahrgenommen als eine, die zum Verzicht aufruft (oft tut sie das ja auch) und dies hängt ihr von Beginn an wie ein Klotz am Bein. Ein Streik kann deutlich machen, dass weniger Konsum auch weniger Arbeit bedeuten kann und dadurch mehr Lebensqualität. Schon bei den Kindern steckt ja im Vorwurf die „wollten ja bloß schwänzen“ auch ein Moment, das zeigt, dass die sich da auch einfach eine Auszeit nehmen von den Zwängen, die wir ihnen zumuten.
- Mittelschichtler sind ja gut darin die Klimadiskussion als eine über individuelles Verhalten zu führen. Lustigerweise ist die vermutlich wirksamste Verhaltensänderung für Mittelschichtler nie Teil dieser Diskussion: Weniger arbeiten, dadurch weniger verdienen, dadurch weniger konsumieren (oder weniger sparen, was auch nur bedeutet, dass weniger Geld investiert wird, also weniger Produktion statt findet). Das könnte sich ändern durch einen Klimastreik.
Am Allerwichtigsten aber: Wir streiken nicht nur, damit Politiker_innen unsere Forderungen erfüllen. Wir streiken, weil auch nur wenige Tage nicht arbeiten vermutlich dem Klima enorm nützt, wenn wirklich viele mit machen. Darin steckt also nicht nur ein Moment des Protestes sondern schon einer der Konstruktion eines globalen Commons. Wir streiken so lange bis das Klima repariert ist. Und das schöne dabei: Man kann unseren Erfolg sogar messen. Wenn die CO²-Werte noch nicht niedrig genug sind, müssen wir wohl weiter streiken. Dann sind wir die Klima-Kümmerer. Wir organisieren durch Streik ganz praktisch die Regulation des Klimas. Und während wir das tun, lernen wir, wie wir auf Dauer die anderen globalen Commons auch so konstruieren, dass wir in Zukunft nix mehr kaputt machen.
Zum Glück bin ich übrigens nicht der erste, der so denkt. Es gibt bereits eine Initiative für einen globalen Klimastreik im September. Also ich schau mich da mal um und gucke ob ich was beitragen kann.
Meine Sympathie haben die Schüler, wenn sie gegen die herrschende Klimapolitik streiken.
Aber diese Schüler und alle mitstreikenden Erwachsenen befinden sich in einer ähnlichen Situation wie die britischen Parlamentarier: Sie wissen, was sie nicht wollen, aber sie wissen nicht, was sie stattdessen wollen oder können. Das ist das eine. Das andere ist die Naivität, mit der von der Politikerklasse Abhilfe verlangt wird. Auch hier lohnt ein Blick nach London: Diese streitenden Politiker sind unfähig, über anderes zu streiten als über Worte und Paragrafen. Sie sind unfähig, sich Gedanken über anstehende Aufgaben zu machen und die möglichen Folgen ihres Handelns abzuschätzen. Unsere Parlamentarier sind keinen Deut besser.
Das Klima geht nicht nur vor die Hunde, weil die Kapitalistenklasse profitgierig ist. Das Klima geht auch vor die Hunde, weil die politische Klasse, die „Staatsdiener“, komplett überfordert und unfähig sind.
Und in diesem wirtschaftlichen und politischen Chaos kommt einer daher und ruft: „Wir streiken so lange bis das Klima repariert ist!“ Wer soll denn da reparieren und womit? Man könnte lachen, wenn die Situation nicht so verfahren wäre.
Zu Wal: Marxisten sollten unbedingt den Eindruck vermeiden, in besserwisserischer Manier anti-kapitalistische Allgemeinplätze zu dozieren. Und unbedingt sollten wir mehr Dialektik wagen 😉
Die Schüler fordern die Einhaltung des Parisabkommens, und sie machen deutlich, dass dies die Forderung an die politischen Entscheidungsträger einschließt, an der Überwindung ihrer eigenen Unfähigkeit und Überforderung mitwirken, dies aber die Aufgabe aller ist. „Wir machen weiter, bis wir unsere Ziele erreicht haben, ob euch das gefällt oder nicht“ war das von Greta Thunberg in Katowice gegebene Versprechen. Im Anschluss an ihre dortige Rede hatte sie übrigens auf die Publikumsfrage, was sie denn von den doofen Politikern hält, geantwortet, dass Politiker nicht gewählt werden, um die Welt zu retten, dass sie darauf zu achten haben, wiedergewählt zu werden, es also sinngemäß darauf ankäme, die Gesellschaft zu ändern, die die Existenzbedingungen der politischen Entscheidungsträger bestimmen.
GT und die Schüler „naiv“ nennen, trifft es deshalb nicht und es ist auch kontraproduktiv, weil das faktisch den Druck auf die Entscheidungsträger minimieren würde. Und das förderte keineswegs eine Verallgemeinerung der Suche nach Existenzbedingungen, die Schluss damit machen, dass der Verlust bestimmter Arbeitsplätze und daraus generierter Steuereinnahmen und Wählerstimmen mehr gefürchtet wird, als die Konsequenzen eines „Weiter so globale Erwärmung“.
@Benni Bärmann
>@wal: es ist eigentlich nicht so schwer zu verstehen, dass ein Streik direkte Auswirkungen auf den CO²-Ausstoß hat.<
Benni, ja, das verstehe ich nicht, ich würde dir gern folgen, aber kannst du nochmal erklären, wie ein Streik direkte Auswirkungen auf den CO²-Ausstoß hat? Und welcher Art diese Auswirkungen sein sollen?
Und auch wenn in Deinem Beruf das weniger offensichtlich ist wirft ein Streik einfach Steine ins Getriebe. Und das Getriebe unserer Gesellschaft basiert auf Emmisionen. Und wenn man statt zu arbeiten die Straßen blockiert hat auch das direkte Auswirkungen.
Greta sagte, es sei nicht die Aufgabe der Schüler-Bewegung, Lösungen zu finden, das sei Sache derer, die es bisher verbockt haben. Aber auf diese Weise sagt man, man wolle nur protestieren, aber sich nicht wirklich konstruktiv einmischen. Es gibt kein Erfolgs-Kriterium, nach welchem die Proteste dann aufhören sollten. Ein Teil wird sagen: das reicht jetzt als Anstoß, besser aufhören bevor die Luft sichtbar raus ist – ein anderer Teil wird sagen, wir kämpfen weiter (bis wann?), nur ein winzig kleiner Promille-Teil wird demnächst sagen, wenn wir keine schlüssige ökologische und zugleich neue ökonomische Perspektive entwickeln, werden wir nichts erreichen.
Und da das Ganze nicht wirklich organisiert ist (das wäre ja viel zu unmodern), kann und wird es mehrere Sprecher und Kollektive geben, die nach und nach sehr unterschiedlich argumentieren werden (siehe z.B. Position zur Atomkraft).
Die Bewegung wird immer weniger greifbar und dadurch auch immer mehr angreifbar. Jeder kann da seine eigenen Hoffnungen hinein interpretieren. Von „Konstruktion eines globalen Commons“ zu reden gehört m. E. ebenfalls zu dieser Art von Projektionen.
Man kann an den Gelbwesten den sozialen Prozess gut studieren, wie schnell solche Art von Bewegungen an ihre Grenzen stoßen, sie zerfallen inhaltlich schneller als sie sich real manifestieren können.
@Mattis: Ich hab ja auch nicht behauptet, dass die Arbeit schon getan wäre, sondern dass es einfach eine Möglichkeit ist, und eben eine konsequente. Aber dass die Idee selber zu streiken selbst bei vielen erwachsenen Unterstützern nicht auf besonders fruchtbaren Boden fällt, ist mir auch aufgefallen. Nur: Heißt das, es zu lassen? Wichtig ist doch vor allem sich klar zu machen, was notwendig ist.
@Benni,du propagierst einen globalen Streik als Selbstzweck, als Zwangstherapie für massenhaften Konsumverzicht.Der individuelle Konsumverzicht wird längst von vielen praktiziert – von den einen, weil sie arm sind, von den anderen, weil sie sich den Verzicht leisten können und leisten wollen. Beide Arten von Verzicht sind irgendwie selbst steuerbar. Erreicht wird damit nicht viel. Der Konsumverzicht durch deinen Streik ist völlig ungesteuert und global, so als würde man einen Organismus zeitlich unbegrenzt mit Antibiotika überschwemmen, um eine einfache Grippe zu bekämpfen.Schlimmer: Die willst massenhafte Armut und Verelendung herbeiführen, um den Kapitalismus von Umweltschäden zu kurieren.Das ist großer Unsinn oder große Dummheit.
Streiken heißt fordern, nicht machen. Und es werden momentan nur solche Maßnahmen angegangen, die kapitalistisch verträglich sind und die weltpolitisch gewisse Ressourcen-Abhängigkeiten (z.B. vom Öl) abbauen sollen. „Umweltschutz“ oder gar „Rettung des Planeten“ sind dafür nur schöne Titel. Dafür werden dann unter dreckigsten Umständen im Ausland die Bausteine für die solare und Auto-Elektrik gefertigt.
Eine Umstellung der Ökonomie auf ökologisch setzt voraus, dass man erstmal als Gesellschaft den Entschluss fasst, den Kapitalismus aufzuheben. Denn solche Umstellung erfordert gewaltige synchrone Veränderungen, auf allen Ebenen, von staatlich bis kommunal. Man kann z.B. keine Energiewende erreichen, wenn man nicht die gesellschaftliche Arbeit planmäßig neu verteilt. Wo Arbeit in großem Stil dadurch frei wird – wegen Wegfall von Kohle, Sprit-Autos etc.- müssen rechtzeitig und passend andere benötigte Produktionszweige eingerichtet oder ganz neu aufgeteilt werden. Außerdem muss die Lohnhierarchie weg, denn das untere Einkommens-Drittel kann ökologische Mehraufwände gar nicht verkraften! Und man bedenke: Armut und Arbeitslosigkeit machen oft sogar noch weit kränker als dreckige Luft!
Solche gesellschaftliche Veränderungen gehen also vom Prinzip her gar nicht in einer Marktwirtschaft, das ist völlig ausgeschlossen; daher gehen alle Forderungen ins Leere, die von diesem ökonomischen Typus nicht definitiv abrücken wollen. Auch eine multi-laterale Kombination von zig-Tausenden Commons kann nicht das leisten, was zu leisten wäre.
Es wird entweder einmal eine ökologisch ausgerichtete Planwirtschaft mit demokratischer und föderaler Struktur geben – oder eben keine ökologische Wende, die diesen Namen auch nur im Mindesten verdient.
wie wir solidarisch in Arbeitskämpfen sind, ändern müssen. Wir müssen
hier wie überall neue Lösungen finden und wir werden sie nur finden,
wenn wir anfangen.“
erst mal als Gesellschaft den Entschluss fasst, den Kapitalismus
aufzuheben.“ Na, hat schon jemals irgendeine Gesellschaft einen „Entschluss“ gefasst? Noch dazu ihre grundsätzliche Art zu funktionieren bewusst in Frage gestellt? Wohl kaum. Was es aber immer gab und immer geben wird sind Aufstände, Streiks, Revolten ebenso wie Versuche im Kleinen was Neues aufzubauen. Ich mache nix anderes als vorzuschlagen beides zusammen zu tun.
Niemand wird den Kapitalismus los, der dieses infame und gleichzeitig mysteriöse System auf einen einzigen Aspekt – Klimaerwärmung – reduzieren will.
Und Großmäuligkeit, die erst davon faselt: „Wir streiken so lange bis das Klima repariert ist.“ und dann landet bei: „Und einige Tage Streik im Jahr sind da bestimmt hilfreich für.“, hilft auch nicht weiter.
ok, jetzt ist mal schluß mit den albernen unterstellungen bitte. wo hab ich denn den kapitalismus auf einen aspekt reduziert? hör mal auf mit den strohmann argumenten.
Dazu gehört aber, dass man den Schülern auch offen sagt, dass es sonst keine substanziellen Änderungen in Sachen Klima geben wird. Dass die ganze Sache also eine ganz eigene politische Bewegung werden müsste.
Das zu sagen ist aber was grundsätzlich anderes als den Schülern solidarisch auf die Schulter zu klopfen und mal ein paar Tage mitzustreiken.
Mit einem Streik hat man ja nicht das Sagen, gewinnt nicht die Verfügung über die gesellschaftlichen Ressourcen. Die aber braucht man für eine ökologische Umstellung. Dafür aber muss man die politische Macht erlangen, um den Kapitalismus abzubauen – sonst bleibt man den herrschenden ökonomischen Strukturen ausgeliefert, da mag man sich an der Basis noch so engagiert abstrampeln.
Ohne solche Einsichten droht der Klimabewegung haargenau dasselbe traurige Schicksal wie einst der Friedensbewegung. Ein paar vorzeigbare Erfolge, die der herrschenden Konkurrenz-Ökonomie nicht allzusehr weh tun, das wars, es folgen Enttäuschung und Rückzug ins Private und auf die demnächst massiv steigenden Existenzsorgen.
@Benni Bärmann:
„Egal wie ihr es macht, ihr müsst das stoppen.“
Ja, das hatten wir schon öfter: egal wie ihr es macht, ihr müsst Frieden schaffen ohne Waffen, ihr müsst die Armut beseitigen, den Flüchtlingen helfen und und und. Das ist nicht viel mehr als ein untertäniges Bitten – egal wie lautstark dieses Bitten vorgetragen wird. Die herrschende Politik macht es immer nur genau so, wie es ihr in den Kram passt.
ad 1) Beim Thema Umwelt wird ebenso wie beim Thema Soziales oft darauf verwiesen, dass es im Kapitalismus Fortschritte gegeben hat, also bräuchte man ihn doch nicht abzuschaffen. Aber diese Fortschritte sind nur gemacht worden, insofern es kompatibel war mit dem Erfolg in der Konkurrenz, also vereinbar mit dem essentiellen kapitalistischen Prinzip. Der Kapitalismus kann sich dabei dauernd auf den Konkurrenzdruck herausreden – auf einen Druck, den er selbst permanent erzeugt! Das ist eine verdammt enge Limitierung, da dieses Prinzip das Wohlergehen der Menschen in einer gesunden Umgebung eben nicht als seine immanente Zielsetzung hat.
Warum also nicht das Prinzip ändern, statt immer mit enormem Aufwand den einzelnen schädlichen Auswirkungen hinterherzuhecheln ohne Aussicht auf eine wirkliche Wende? Und das Kapital findet ja immer neue Auswege, mit denen man sich dann wieder herumschlagen kann, also ein Sisyphos-Projekt. Kann man das eine Perspektive nennen? Wie kann man angesichts dessen hoffen „dann haben wir immerhin das Klima gerettet“? Etwa so wie wir schon Frieden geschaffen und die Armut beseitigt haben?
ad 2) Es sei „nicht sicher, dass das Ende des Kapitalismus automatisch die Rettung des Klimas bedeutet“ – aber es ist m. E. eine wesentliche Voraussetzung, ohne die nichts wirklich vorangeht. Natürlich setzt das insgesamt ein neues gesellschaftliches Konzept voraus: Kooperation statt Konkurrenz, also Produktion und Verteilung als gemeinsame, öffentliche Angelegenheit mit einer klaren ökologischen Programmatik. Da muss man sich auch von der Lohnhierarchie verabschieden, die ohnehin ein Zynismus ist. Dafür muss aber erstmal ein Bewusstsein geschaffen werden.
Wenn man aber stattdessen die Illusion auch noch bestärkt, es sei ja in Sachen Umwelt so vieles machbar im Kapitalismus, dann ist das eben kontraproduktiv. Dann wird es wohl einzelne Maßnahmen geben, die großartig herausgestellt werden, wie z.B. die Elektroautos, aber vom Abbau des Individualverkehrs durch brauchbare Alternativen ist nicht viel zu sehen, denn die deutsche Autoindustrie muss ja jetzt statt mit Benzin und Diesel mit E-Autos Erfolge einfahren …
In einem ökologischen Sozialismus – von einer kritischen Gesellschaft getragen – könnte dagegen systematisch alternative Beschäftigung organisiert werden, also eine gleichmäßige Verteilung der notwendigen Arbeit für die beschlossenen Ziele, Verlagerungen auch auf ländliche Regionen, um die Städte zu entlasten etc.
Aber solange die Menschen bewusstseinsmäßig am Kapitalismus festhalten wollen, wird das halt nichts.
Kapitalismus nicht abgeschafft wurde, ist auch nix anderes als die linke
Variante der Klimaleugnerei.
Es mag richtig sein darauf hinzuweisen, dass Klimawandel und Naturzerstörung innerhalb der kapitalistischen Marktwirtschaft – jedenfalls sofern ihr der Profit-/Wachstumszwang eingeschrieben ist – nicht gestoppt werden können. Das wäre das Mindeste, das die Anhänger/innen und Aktivistinnen der Fridays for Future-Bewegung erkennen müssten. Bewegungen entstehen aber so gut wie immer erstmal durch Forderungen an die Herrschenden. Bewusstseinswandel vollzieht sich oftmals erst durch soziale Kämpfe und deren Reflexion.
Die Rede von der Notwendigkeit einer „demokratischen und föderalen Planwirtschaft“ in einem „ökologischen Sozialismus“ klingt nachvollziehbar und sympathisch, lässt aber gehörig viele Fragen offen wie eine solche ökosozialistische Gesellschaft erreicht werden kann.
Darüber hinaus ist unklar ob diese ökosozialistische Gesellschaft dann besser funktioniert als der derzeitige Kapitalismus. Dafür gibt es keine Garantie und es gibt viele Fragen in den Postkapitalismus- und Planwirtschafts-Debatten, die seit den 1930er Jahren unzufriedenstellend oder gar nicht beantwortet sind. Ebenso ist unklar wie der machtpolitische Wechsel vonstatten gehen soll ohne in einem Bürgerkriegs-Szenario zu versacken, das aus humanistischer Sicht nicht wünschenswert sein kann.
Das sind alles Fragen, die für viele Menschen unbeantwortet sind und Möglichkeiten die abschrecken.
Ohne den Verweis auf bereits praktisch bestehende (!) und besser (!) funktionierende nicht-kapitalistische Lebensverhältnisse, die eine gewisse Größenordnung (bspw. 1.000 Teilnehmer/innen +) aufweisen, werden sich nur wenige Menschen verständlicherweise (gerade vor dem Erfahrungshintergrund des 20. Jahrhunderts) für utopische Gesellschaftsveränderung begeistern.
Alle politischen und ökonomischen Institutionen mit einem Ruck umzuwerfen, dürfte eine Krise hervorrufen, welche möglicherweise zu einem Chaos führt, das nicht mehr bewusst und im emanzipatorischen Sinn zu lenken ist (jedenfalls wenn man eine massive Stärkung des Zentralstaates sowie diktatorische Optionen für eine Förderung von Befreiung und Selbstbestimmung für abträglich hält. Ich halte autoritäre Maßnahmen für keine emanzipatorische Wahl die ich unterstützen möchte.).
Was in der Theorie gut und logisch nachvollziehbar klingt, muss in der Praxis keineswegs funktionieren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass 90% aller Erstanläufe in Richtung einer nachkapitalistischen Gesellschaft scheitern und stark nachjustiert werden müssen, ist sehr hoch. Auch von daher ist es problematisch eine komplette Instabilität des momentan laufenden Systems in Kauf zu nehmen. Will man eine hohe Wahrscheinlichkeit gewährleisten, dass das bei herauskommt was man sich wünscht, kommen Veränderungen vermutlich nicht ohne klar überschaubare Experimente, Fehlerkorrektur und Steuerbarkeit nicht aus.
All das ist aber nur gegeben, wenn der mögliche Schaden der verursacht wird nicht die gesamte Gesellschaft derart in ihren Grundfesten erschüttert, dass es keine stabile Grundlage mehr gibt um Fehler zu reflektieren und aufzuheben.
Auf der anderen Seite ist es wohl naiv anzunehmen man könne am bestehenden Politik- und Wirtschaftsbetrieb einfach vorbeiarbeiten und müsse sich nicht mit den herrschenden Verhältnissen auseinandersetzen und sich entsprechende Freiräume erkämpfen.
Soweit mein noch unausgegorener Senf.
@Benni Bärmann
Wieso Leugnerei? Im Gegenteil: gegen den Kapitalismus und die mit ihm gekoppelten Illusionen aufzuklären ist Ausdruck davon, die Klimasituation wirklich ernst zu nehmen, indem man den Hauptgrund dafür angeht.
Ich behaupte, die vielen lauten Stimmen heute, die immer gleich „den Planeten retten“ wollen – und dabei nicht einmal die Ökonomie echt infragestellen! -, nehmen zwar die schädlichen Auswirkungen wahr, aber sie nehmen die Lage nicht ernst, was die Ursachen angeht.Und deshalb wird es außer ein paar plakativen Scheinerfolgen keine Änderung geben.
Aber ich sehe, bei dem Punkt kommen wir wohl nicht zusammen.
@Perikles
Ich habe dein Misstrauen in Sachen ökologischem
Sozialismus soweit verstanden. Wäre es da nicht umso mehr nötig, das
Thema in eine breite Diskussion zu bringen? Sonst bleibt es beim
Optimismus der einen und bei der Skepsis und Ablehnung der anderen, und
nichts geht voran. Tatsächlich haben wir bereits eine Diktatur, nämlich
eine ökonomische, das Diktat der Marktwirtschaft. Umgekehrt gab es zB in
der DDR eine kleine nicht-kapitalistische Umweltbewegung, aber diese
wurde nicht unterstützt von den großen Massen, die im Westen auf Demos
gehen.
Warum eine sozialistische Gesellschaft nicht von unten nach oben kritisch und bewusst getragen und kontrolliert werden könnte, erschließt sich mir nicht. Was soll der Grund dafür sein? Weil es bisher nicht geklappt hat? Hat man das denn wirklich versucht? Ich sehe das nicht.
Und hat umgekehrt der Kapitalismus denn so gut funktioniert – im Sinne der Menschen – mit seinen – im Vergleich zum „Sozialismus“ – immerhin über 200 Jahren Erfahrung? Warum sind dann heute Klima-Demos nötig?
Natürlich müssten die Menschen mal ihre Gewohnheit hinterfragen, sich immer einer Führungselite anzuvertrauen, sei es nun rechtsrum oder linksrum, und hinterher regelmäßig darüber zu klagen, dass es nicht gut ausgegangen sei – das war und ist im Westen so und im Osten wars leider auch nicht anders.
Wenn man diesen Zustand für schicksalhaft hält, nicht veränderbar, dann bleibt tatsächlich nur noch das Demonstrieren gegen CO2 und Plastikmüll als Option, man darf neue Idole feiern (früher Petra Kelly, heute Greta) und sich gut fühlen im Protest – aber tiefergehendere Debatten über die Ökonomie erübrigen sich dann.
Das, was hier ständig umkreist, aber nicht angesprochen wird, ist: dass der Transformationsprozess, besser: die T.s-Strategie, wesentlich eine POLITISCHE Komponente braucht. Über die haben die Common/Kommunalisten im Rahmen ihrer Aufbau-Konzepte nie gesprochen.Dieser Aufbau IST auch eine zentrale Komponente (als Thema extrem bedeutsam; in der Ausführung… derzeit noch ausbaufähig).
Aber: Dem Aufbau muss der Rücken freigekämpft werden, ein Freiraum geschaffen. Und zwar durch AB-Bau.Die Kontroll-Zentren für alles wesentliche, Krieg und Frieden, Globalisierung, Klimakonferenzen, liegen weit, weit weg von „uns, hier unten“; der neoliberale (immer dazudenken: Neocon-Hegemonal-)Internationalismus hat sich Entscheidungsstrukturen erzeugt, die jeder gesellschaftlichen Kontrollierbarkeit davongewachsen sind.Ich, die erklärte Kommunalistin, kämpfe in meinen Ortsgruppen bei aufstehen…(doch, das gibts noch, und man ist dort bis auf wenig Ausnahmen radikallinks, oft ahnungslos, aber äusserst zäh und entschlossen)… gegen die „Flucht ins Kommunale“.Denn die Existenz-Drohungen, die wir um beinah jeden Preis beseitigen müssen, bevor wir irgendwelche Chancen auf einen Neu-Aufbau wahrnehmen können… die kommen aus Berlin, Brüssel, Washington.
Das einfachste und zugleich schrillst-aktuelle (eine umstrittene These, ich weiss) Thema ist die (Welt)Kriegsdrohung, die derzeit vor allem das US Foreign Policy Establishment, man möchte langsam sagen: der ganzen Rest-Welt, ok mal von Israel und Saudiarabien abgesehen, präsentiert.2500-3000 Menschen mit ungefähr gleichgerichteter politischer Orientierung, verteilt auf Abteilungsleiter-Posten im State Department, Schlüsselstellungen im Kongress, ein paar Medien-Pundits, think tanks, und sympathisierende Milliardäre mit der passenden elitenfaschistischen Weltanschauung reichen dafür aus. Es ist keine bis an die Zähne hochgerüstete Millionen-Bevölkerung eines Industriestaats. Ein paar Bediener von Drohnen-Schwärmen und Kriegsrobotern, ein paar Software-Ingenieure, die den Nuklear-Auslöse-Mechanismus mit Künstlicher „Intelligenz“ definieren, reichen. Eine irre Seilschaft in der CIA, die mit wenig Schritten einen flächendeckenden Stromausfall in den USA mit „russischer Signatur“, einen simulierten Raketeneinschlag im Baltikum auslöst, reichen. So wenige reichen, um die Welt in Schutt und Asche zu legen. (Wenn das kein Triumph der modernen Produktivkraftentwicklung ist…)
Die Gesellschaften, die (bis auf reichlich wenige (schon wieder: „wenige“) medien-verhetzte Fanatiker) nicht im Traum dran denken, für ein elitenfaschistisches Hegemonialprojekt hunderte Millionen oder mehr Tote inkaufzunehmen – sie sind WEHRLOS dagegen.Und das zeigt: Die Gesellschaft beherrscht den Prozess ihrer politischen Steuerung nicht. Nicht einmal in einer so existenziellen und einfachen Frage. Es müsste ihr hier gelingen. Dann kann sie anfangen, sich politische Kontrolle über das Wirtschaften zu verschaffen, in der einfachst-denkbaren Manier überhaupt: Profite rabiat wegsteuern und auf soziale Bedürfnisbefriedigung umlenken; Profite abbauen. Nur ein Zwischenschritt. Denn mit dieser Massnahme verbunden ist die Inventarisierung der vorhandenen Wirtschaft.Und dann kann man, muss man in Angriff nehmen, was man ökologischen Umbau der Inudstriegesellschaft nennt. Es ist das Pendant auf der Produktivkraftseite zu dem, was hier an Vergesellschaftungsprojekten erwogen wird. Denn Ökologie ERFORDERT Kollektivität. Kapitalismus KANN NICHT ökologisch sein, er ist zu primitiv. Oh – klassisch materialistische Marx-Engelssche Einsichten. Zu ihrer Zeit ahnbar, aber nicht anschaulich. Für uns… als mörderische Drohung existenziell erlebbar: Entweder wir schaffen es kollektivistisch, oder wir gehen unter.Aber auch auf diesem Feld muss mit zivilgesellschaftlich angeleiteter politischer Aufsicht über Wirtschaft vorgearbeitet werden: Stillegen, Zurückfahren, wo man nicht umbauen kann, Fussabdruck veringern, vorhandenen Technologie nur noch nutzen, um die Biosphäre zu reparieren (Immissionen zurückholen zB).
Und die Preisfrage ist: Welche Errungenschaft muss eine solche aufsichtsführende und anleitende Zivilgesellschaft aufweisen (ok, nicht die ganze Bevölkerung will da mitmachen, kann es auch nicht, aber das muss sich ändern, wird sich ändern; abstimmend, wählend muss sie doch teilhaben, grosse Mehrheiten müssen gewonnen sein, dürfen nicht feindselig, passiv abseits stehen; um das abzuzählen, ist „Demokratie“ gut, dafür soll sie erhalten bleiben).Die Antwort ist: Sie muss kollektive Lernfähigkeit aufweisen. Dafür Kurzformel: Die Regeln, die von „Information“ zu „Beschluss (kollektivem Plan, auch Versuchsplan)“ führen, müssen vergesellschaftet, müssen geteilt sein:das System der Begriffe und (somit) der Relevanzkriterien;instrumentelle Methoden, Optionen;Ziele;Umgang mit Unwissen, Risiken, Chancen, Forschung.
Alle wissen alles relevante; alle wissen, was relevant wäre für alle, wenn sie davon erfahren. Alle reden, spätestens indirekt, mit allen: Netzwerke miteinander verketteter, gut verständigter (alle genannten Kategorien teilend) Gesprächszirkel von 5, 6 Personen, die zugleich Angehörige von Nachbarzirkeln sind, die sie gegründet haben. So etwa. Angefangen mit Kriegsverhinderung.
Der Kapitalismus wird nicht „abgeschafft“ (ja, auch; aber das ist nicht vorherrschend). Sondern: Die (Zivil)Gesellschaft, die politisch frei entscheidende, nicht durch ein (durch die Eigentumsordnung) vorbestehendes Interessengefüge bereits gebundene (spätestens derjenige Teil der Gesellschaft, der sich davon mental freigemacht hat), verschafft sich politische Kontrolle über den gesamten Prozess ihrer Reproduktion (der dann immer weniger unbeaufsichtigt-marktförmig verläuft).
Mehr dazu zB hier: aufstehen-forum.de (nur Forums-Registrierung mit Nick und eignem Passwort erforderlich).
@Benni Bärmann
Peter Nowak, nicht unbedingt mein politischer Favorit, hat bei heise einen recht differenzierten Artikel zur Klimaschutz-Streikbewegung geschrieben („Greta Thunberg kritisieren“), in dem ganz gut die politische Problematik einer so diffus breiten Bewegung deutlich wird.
Er registriert viel Abwehr gegen Kapitalismus-Kritik, begründet wird es so, dass „keine Zeit mehr bleibt, sich Gedanken über eine andere Wirtschaftsweise
zu machen und daher fordern sie Klimareformen im Kapitalismus“. Auf diese Weise leugnet man eben auch eine wesentliche Ursache!
Es wird also nicht viel mehr dabei herauskommen als eine jugendliche Auffrischung bereits vorhandener bürgerlicher Reform-Strömungen. Vielleicht sollten die Streik-Freitage doch lieber genutzt werden, über ökonomische Alternativen nachzudenken – soviel Zeit sollte noch sein! – und sich politisch zu organisieren. DAS jedenfalls dürfte die herrschende Politik wesentlich mehr stören als die bisherigen Demos. Dann könnte die Bewegung auch nicht mehr so beliebig interpretiert und instrumentalisiert werden wie es jetzt der Fall ist.
Während wir noch diskutieren, machen andere zum Glück Ernst: Fridays For Future ruft für den 20.9. zum weltweiten Generalstreik auf:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/greta-thunberg-fridays-for-future-streik-1.4459464