Tarantel: Das Neue im Alten

Die LINKE hat eine Ökologische Plattform, und die Tarantel ist ihre Zeitschrift. Im neuen Heft ist ein Interview mit mir. Zu Kapitalismus, Krisen und Commons:

Gespräch mit Stefan Meretz

Wie siehst Du die Zukunft?

Global gesehen, sehr kritisch, aus verschiedenen Gründen. Der Kapitalismus hat die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass sie zu Destruktivkräften geworden sind. Er ist dabei, sich „tot zu siegen“. Nachdem er den Realsozialismus besiegt hat, arbeitet er jetzt daran, sich als Zivilisationsmodell aus der Geschichte zu verabschieden. Seine Weise der Produktion von Gütern und Leistungen zerstört systematisch die Natur-Grundlagen eben dieser Produktion. Neben dem ökologischen produziert er einen weiteren Widerspruch, mit dem er nicht klar kommt: Durch Entfaltung der Produktivkräfte steigt auch die Produktivität in einem Ausmaß, das durch Ausweitung der Produktion nicht aufgewogen werden kann. Der Zwang zur Ausdehnung hat wiederum gravierende ökologische Folgen, führt aber gleichzeitig nicht dazu, dass die Abschaffung von Arbeit als Effekt der Rationalisierung hinreichend kompensiert werden kann. Das heißt, der Kapitalismus erzeugt systematisch zwei Widersprüche, die er nicht lösen kann: die Zerstörung der materiell-ökologischen Grundlagen seiner eigenen Existenz, damit gleichzeitig die Grundlagen der Existenz der Menschheit und zweitens die Grundlage seiner Existenz als Arbeitsgesellschaft. Daher brauchen wir neue Modelle, um das zu lösen.

Ich würde noch ergänzen: … und damit seiner eigenen Verwertungsbedingungen, denn die Arbeitsgesellschaft ist schließlich die ökonomische Verwertungsgrundlage.

Ja, genau. Den Kapitalismus interessiert nicht der stoffliche Reichtum, sondern der stoffliche Reichtum, die Gebrauchswerte, sind nur ein Mittel, um die Verwertung zu organisieren.

Und was ist die Perspektive, die sich daraus ergibt?

Das ist ein sehr umfassender Gedanke: Ich glaube nicht mehr, dass innerhalb der immanenten sozialen Formen, die der Kapitalismus geschaffen hat, eine Änderung möglich ist. Deswegen bin ich auch sehr skeptisch, was politische Strategien angeht, denn diese bewegen sich stets in den von ihm geschaffenen Formen. Wir brauchen aus meiner Sicht ein umfassendes neues Paradigma, was allerdings nicht aus den Fingern gesogen werden muss, sondern bereits existiert. Aus meiner Sicht sind das die Commons. Die Commons sind kein am grünen Tisch erdachtes Gedankengebäude, sondern eine existierende soziale Form, durch kollektive selbstbestimmte Nutzung und Erhaltung von Ressourcen die Produktion und Reproduktion zu organisieren, um Bedürfnisse zu befriedigen. Deswegen vergleiche ich die Commons als basale soziale Form mit der Ware. Die Ware ist auch eine soziale Form, nämlich eine der getrennten Privatproduktion. Wegen der Trennung der Produzierenden erzwingt sie die Vermittlung über den Markt, damit den Tausch, damit die Äquivalenz im Vergleich der Warenwerte, damit das Geld als Medium der Vermittlung, als besondere Ware, als Widerspiegelung des Wertverhältnisses, schließlich das Kapital usw. usf.. Das heißt, die Ware als basale Form führt zu den ganzen abgeleiteten Erscheinungen, die wir kennen – bis hin zum Finanzkapitalismus. Da „unten“ bei der sozialen Basisform der Produktion und Reproduktion würde ich ansetzen.

Die Frage ist also nicht: Wie organisieren wir die Warenform anders? Wie organisieren wir die Politik anders? Die Frage ist: Wie organisieren wir eine neue soziale Form der Schaffung der Lebensverhältnisse, die wir haben wollen? Und das sind aus meiner Sicht die Commons. Die Commons – deshalb spreche ich von Keimform – stellen das im Kleinen bereit, als Mikroform – allerdings unter Bedingungen, die feindlich sind. Denn Commons können sich unter den gegebenen Bedingungen nicht frei entfalten. Sie sind damit konfrontiert, dass sie sich zum Beispiel auch immer finanzieren müssen, obwohl die Finanzlogik, das Geld oder die Verwertung nicht Kern der eigenen Logik der Commons ist. Bei den Commons geht es direkt darum: Was gibt es für Bedürfnisse der beteiligten Menschen? Wie können wir die Bedürfnisse miteinander so ins Verhältnis setzen, dass nicht andere Bedürfnisse verletzt werden, denn das ist ein Kennzeichen der Warenproduktion: Ein Bedürfnis wird befriedigt, ein anderes wird verletzt oder die Umwelt wird zerstört oder die Arbeitsbedingungen werden verschlechtert. Bedürfnisse sind ja immer ein Verhältnis von Menschen zu Dingen, die sie brauchen für ihr Leben. Deshalb ist für mich die Umweltfrage immer eine soziale Frage. Umwelt als solche ist ein Abstraktum. Es geht immer darum: Wie wollen wir und in welcher Welt wollen wir leben? Wenn wir also Umwelt zerstören, zerstören wir unser Verhältnis zur Natur und darin uns selbst, denn wir sind ja selber auch Naturwesen. Aus dem Denken der ökologischen Frage als sozialer Frage folgt für mich, dass wir eine andere soziale Form der Schaffung unserer Lebensbedingungen brauchen, in der wir nicht selber gegen unsere eigenen Bedürfnisse handeln müssen – und das müssen wir permanent im Kapitalismus. Wir wollen zum Beispiel einen Job haben, nicht, weil wir begierig sind zu arbeiten, sondern, weil wir das müssen und weil einen Job, einen Beruf zu haben, natürlich auch bedeutet, an der gesellschaftlichen Vorsorge teilzuhaben. Das erfolgt aber in einer Form, die total widersprüchlich ist, weil wir nämlich die Vorsorgebedingungen gleichzeitig mit der kapitalistischen Warenproduktion unterminieren. Wir bewegen uns also permanent in Widersprüchen: Einerseits wollen wir etwas, müssen es auch tun, andererseits erzeugen wir Verhältnisse, die uns selbst wieder entgegenstehen. Wir leben also in Verhältnissen, in denen wir uns selbst zum Feind werden, in selbstfeindschaftlichen Verhältnissen. Das führt beispielsweise zu den ganzen psychischen Folgen, die wir auch beobachten können: Zunahme von psychischen Krankheiten, Depressionen usw., denn wer kommt schon damit unbeschädigt klar? Die meisten verdrängen die Zusammenhänge, doch man kann sie sich auch klarmachen und Alternativen formulieren: Das sind für mich die Commons.

In der Vergangenheit gab es ja immer wieder Versuche, alternative Projekte aufzubauen, die dann oft stinknormale – auch große – kapitalistische Unternehmen geworden sind, die also auf diese Weise als alternative Projekte gescheitert sind oder sie sind einfach zerfallen, haben sich selbst zerlegt. Damit wird u.a. begründet, dass erst die gesellschaftlichen, die Machtverhältnisse geändert werden müssen, damit sich Commons entwickeln können. Wie könnte denn das passieren?

Ich halte es für einen historischen Irrtum der Arbeiterbewegung, eine Erst-Dann-Logik aufzubauen: Erst die Machtverhältnisse ändern und dann die Gesellschaft neu gestalten. Das hat im Realsozialismus nicht funktioniert – dort war ja die Macht nach eigener Überzeugung in den Händen der Arbeiterklasse, und trotzdem hat es nicht funktioniert – nicht, weil der Kapitalismus da war, der es verhindert hat, sondern aus inneren Gründen. Aus meiner Sicht ist die Machtfrage auch eine soziale Frage und damit eine Frage der Art und Weise der Produktion. Die Macht ist der Produktion nichts äußerliches. „Wir müssen die Macht in die Hände nehmen“ heißt ja unter unseren Bedingungen immer, die Macht in die Hände des Staates, um dann außerhalb etwas zu gestalten, nämlich die Warenproduktion. Tatsächlich geht die Macht aber von der Warenproduktion aus, und der Staat ist nur ein Instrument, die Bedingungen für die Verwertung der Waren zu organisieren. Deswegen bin ich auch sehr skeptisch, was den politischen Weg angeht. Für mich sind neue Produktionsverhältnisse und neue Produktivkraftentwicklungen identisch, das heißt die Machtfrage ist eine faktische Frage: Sind wir in der Lage, anders zu produzieren, dann haben wir die Handlungsmacht, anders zu produzieren. Sind wir nicht in der Lage, anders zu produzieren, dann hilft es auch nichts, zu versuchen, die alte Produktion zu gestalten, z.B. politisch zu beeinflussen. Damit will ich nicht sagen, dass man es nicht machen sollte. Es gibt ja gute Gründe, weshalb man im Kapitalismus dem Kapitalismus Grenzen setzen sollte, nur darin setze ich keine Hoffnung, was die grundsätzliche Veränderung angeht. Eine grundsätzliche Veränderung findet nur dann statt, wenn wir eine neue Produktionsweise in die Welt setzen, und zwar faktisch.

Nun ist die berechtigte Frage: Wird der Kapitalismus das zulassen?

Nein, das wird er nicht. Es interessiert ihn aber auch nicht, ihn interessiert nur, was verwertbar ist. Und Commons sind auch nur dann interessant, wenn sie in die Verwertung hineingezogen werden können. Das sind dann die Beispiele, die du genannt hast: Alternativprojekte, die dann wieder in die Verwertung einbezogen wurden. Es gibt viele Beispiele, neuerdings auch das Teilen, das ja auch mit den Commons verbunden wird. Die Share-Economy ist, wie der Name schon sagt, eine, die das Teilen wieder zur Grundlage der Verwertung macht: Beim Car-Sharing etwa gibt es nicht nur Gemeinschaften, in denen sich Menschen ein Auto teilen, sondern auch Firmen, die Autos gegen Cash vermieten, um Profit zu machen.

Wenn ich am Anfang gesagt habe, der Kapitalismus produziert Widersprüche, die er nicht lösen kann, dann wird eine gesellschaftliche Transformation über eine Doppelung von zuspitzender ökologischer und ökonomischer Krise bei gleichzeitiger Bereitstellung von Alternativen stattfinden. Nur so kann ich mir eine Transformation vorstellen: Das Alte kann nicht mehr, aber Neues existiert bereits und kann dann an diese Stelle treten. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir heute schon unter den Bedingungen des noch halbwegs funktionierenden Kapitalismus praktisch beginnen, diese Alternativen zu schaffen. Das heißt immer, sich mit den Widersprüchen bewusst auseinanderzusetzen, also z.B. mit der vorhin genannten Frage der Finanzierung so umzugehen, dass man nicht der Illusion erliegt, wir könnten ein Commons-Projekt machen und gleichzeitig eine profitorientierte Firma. Das ist ein Widerspruch in sich. Wir müssen mit den Widersprüchen so bewusst umgehen, dass wir z.B. nicht sagen: Mit den Commons schaffen wir etwas, und um das Projekt zu finanzieren, kommen wir dann auf die „geniale“ Idee: Lasst uns das, was wir geschaffen haben, doch verkaufen. Das ist der Übergang zur Warenproduktion. Sobald wir anfangen, die Ergebnisse des Commoning, die hergestellten nützlichen Dinge zur Bedürfnisbefriedigung, auf den Markt zu tragen, um das Commons-Projekt zu erhalten, richten wir uns auf die Logik der Verwertung aus – nicht weil wir es wollen, sondern weil die Marktlogik dies von uns fordert. Commons werden dann wieder zu Waren. Das ist der Anfang vom Ende. Es ist dann vielleicht ein etwas längerer Prozess, aber ich kenne selber viele Firmen, die mal so begonnen haben und etwa im Belegschaftseigentum waren, z.B: Zapf-Umzüge, PSI usw. Doch das heißt noch gar nichts. Wenn die Firma – auch wenn sie im Besitz der Belegschaft ist – für den Markt produziert, ist sie von der Logik des Marktes abhängig und muss seine Regeln befolgen. Das hat Marx den „Fetisch der Warenproduktion“ genannt: Es ist nicht mehr in der Hand der Menschen frei zu entscheiden, was sie tun. Sie dürfen nur insoweit frei entscheiden, wie die Verwertung funktioniert.

So, wie Du das charakterisiert hast, setzt das Commoning ein klares Bewusstsein voraus. Das entsteht aber nicht im luftleeren Raum. Die Frage ist daher, wie aus den wenigen, die sich dessen im Moment bewusst sind, eine Commons-Bewegung entstehen kann, in der das nicht verloren geht? Beispiele sind Projekte, die durchaus alternativ beginnen, sich dann aber auflösen. Ein Grund sind z.B. einzelne, die dazu kommen und in der Lage sind, durch ihre Persönlichkeit, ihre Lautstärke o.ä. andere abzustoßen oder an sich heranziehen. Dadurch können sich divergierende Gruppen bilden, bei denen das Bewusstsein auf der Strecke bleibt.

Zunächst: Commons ist keine Bewegung und wird nie eine sein. Commons ist ein Paradigma, eine besondere Art zu denken und zu handeln. Commons ist immer das, was man dazu macht. Es existiert nicht per se, sondern etwas wird zu einem Commons. Es kann überall Commoning geben, auch im kapitalistischen Unternehmen. Ich würde sogar fast die Behauptung aufstellen, dass wie so oft das Kapital die revolutionäre Kraft ist, die erkennt, was darin steckt und Aspekte des Commoning in großen Konzernen implementiert. Das gibt es jetzt schon, aber damit wird der Konzern kein Commons. Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen Commons als geschlossener sozialer Form mit Grenzen, die man im Kapitalismus braucht, um sich abzugrenzen von der Marktlogik, und Aspekten von Commoning, des sozialen Prozesses, die man überall ‘reinbringen kann. Und „Aspekte“ heißt: Es kann auch wieder zurück kippen, es kann aufgelöst werden, es kommen Lautsprecher, die überzeugend wirken usw. Das wird es immer geben. Wir werden immer diese Niederlagen, dieses Zurückfallen haben. Ich glaube, dass das auch notwendiger Teil des Prozesses der Transformation ist.

Brauchen wir vorher eine bewusstseinsmäßige Klarheit oder entsteht sie durch den Prozess? Beides. Natürlich sollte es diejenigen geben, die sich Klarheit verschaffen – ich würde mich dazu zählen – und es wird diejenigen geben, die sagen: „Das ist mir egal, ich habe da so eine Intuition und fange einfach an“. Nehmen wir als Beispiel Menschen, die praktische Dinge in die Welt setzen, indem sie auf dem Flughafen Tempelhof das Allmendekontor gründen und einfach Kisten aufstellen, Erde hineintun und etwas anpflanzen. Wenn es gut läuft, fangen die mit der Intuition mal an, sich mit Commons als Paradigma auseinanderzusetzen und lernen etwas dabei, was sie in ihrer Praxis wiederfinden. Wenn sie dann besser mit ihren Widersprüchen umgehen können, dann ist für beide Seiten viel gewonnen. Für die, die reflektieren, ist das ein schönes Beispiel, was man sich wieder ansehen und bei dem man die Widersprüchen analysieren kann und die, die Praxis gestalten, können aus den Widersprüchen lernen. Doch das kann man niemandem verordnen. Deswegen gibt es auch dort kein Erst-Dann, sondern es ist ein dialektischer Prozess zwischen dem praktische-Erfahrung-machen und dem Reflektieren dieser Erfahrungen, um dann mit dem gewonnenen höheren Grad an Bewusstsein wieder neue Erfahrungen zu machen. Einige meiner Erkenntnisse kommen unter anderem aus der Auswertung der Alternativbewegungen, die zum Beispiel mit dem vereinfachten Slogan „Ohne Chef produzieren“ gescheitert ist. Warum? Es ist nicht relevant, ob es einen Chef gibt oder nicht. Relevant ist: Produziert man für den Markt oder nicht? Relevant ist: Produziert man Waren oder produziert man Commons? Das ist eine relevante Dimension, mit der man sich auseinandersetzen muss und nicht, ob es einen Chef gibt oder nicht. Auch kapitalistische Unternehmen haben verstanden, dass flache Hierarchien viel besser funktionieren und dass die Kreativität der Menschen viel besser zur Geltung kommt, wenn man ihnen nicht permanent sagt, was sie zu tun haben, sondern wenn sie sich selber entfalten können. Also ist das nicht der Punkt. Das alles sind so Lernfelder, die es immer wieder geben wird. Deswegen setze ich auf einen praktischen Lernprozess in Auseinandersetzung mit den wirklichen Widersprüchen der Welt.

Für einen, der sich mit ökologischen Problemen und daraus erwachsenden Gefahren beschäftigt, ergibt sich natürlich die Frage: Ist dieser Lern-, Veränderungs- und Selbstveränderungsprozess schnell genug, um Katastrophen zu entgehen oder nicht?

Mein Gefühl ist: Nein, wir sind zu langsam. Das sage ich ganz nüchtern. Aber es gibt ja auch die Erfahrung, dass in bestimmten historischen Sondersituationen auf einmal ein massenhaftes, ganz schnelles Lernen geschieht. Die Wende war auch ein massenhafter, schneller Lernprozess – wie auch immer man diesen bewertet – es war auf jeden Fall einer, bei dem gelernt wurde: Wir sind doch nicht vom Staat abhängig und können die Zukunft, unsere Geschicke in die eigenen Hände nehmen. Und dann war der Staat, war die Partei auf einmal sehr machtlos, obwohl sie die Macht innehatte. Über all das, was darauf folgte, will ich gar nicht reden, aber das war ein historischer Moment, bei dem unter Sonderbedingungen sich auf einmal etwas ganz schnell etwas änderte. Das kann man absolut nicht vorhersagen. Das sind unvorhersagbare Singularitäten der Geschichte. Trotzdem bin ich pessimistisch, weil ich glaube, wir lernen zu langsam. Gleichzeitig beobachte ich, dass sehr sehr viele Leute, wenn man sie persönlich fragt, sagen, sie wollen ja nicht die Umwelt zerstören, sie wollen nicht, dass der Regenwald gerodet wird. Trotzdem verwenden sie Waschmittel, in denen Palmöl enthalten ist, wofür die Wälder in Indonesien sterben. Palmöl ist in der Hälfte aller Alltagsprodukte enthalten – um nur ein Beispiel zu nennen. Oder es wird Tropenholz verwendet, um die Wohnung schön einzurichten. Trotzdem sind alle dafür, dass die Wälder erhalten bleiben, damit das Klima nicht umkippt. Das heißt: Das subjektive Wollen, das subjektive Etwas-Gutes-Wollen und die objektiven Möglichkeiten, das im Handeln auch umzusetzen, klaffen völlig auseinander.

Die Möglichkeiten des Umsetzens gibt es auch.

Natürlich gibt es die, aber viele sehen sie nicht und viele sind dann auch …

zu träge…

…ja, und es gibt auch Gründe dafür. Es gibt nicht die isolierte „Gute Handlung“. Auch wenn wir als kritisch reflektierte Menschen unser eigenes Leben ansehen, werden wir garantiert Punkte finden, wo wir innerhalb der Strukturlogik daran beteiligt sind, dass am anderen Ende der Welt für uns unsichtbar jemand unter unseren Handlungen leidet. Das sind Strukturzusammenhänge, denen wir individuell nicht entgehen können. Gegen so etwas wie Konsumverzicht oder Fair-Trade oder was es auch immer an Vorschlägen auf der individuellen Handlungsebene gibt, bin ich nicht, aber ich unterliege auch nicht der Illusion, dass sich über diese individuellen Handlungsänderungen innerhalb der gleichen Art der Produktion etwas grundsätzlich ändern könnte. Was wir brauchen, ist die Kombination von individueller Handlungsänderung und struktureller Änderung, und für mich stellen eben die Commons ein anderes Strukturverhältnis, also ein anderes soziales Verhältnis dar. Commons können langfristig als Fundament für eine ganze Gesellschaft dienen.

Der für mich wichtigste Satz von Karl Marx steht im ersten Band vom „Kapital“ gleich im ersten Satz. Er sagt nämlich sinngemäß: Die Ware ist die Elementarform der kapitalistischen Warenproduktion, die uns in so vielfältigen Formen entgegentritt. Und die Frage ist: Was ist die Elementarform einer commonistischen Gesellschaft? Wenn ich „commonistisch“ sage, meine ich die Commons und nicht, was als „kommunistisch“ bezeichnet wurde und immer noch wird. Ich meine eine Commons-Gesellschaft: eine auf Commons, einer anderen Mikroform basierende Gesellschaft, eine andere Elementarform, ein anderes soziales Basisverhältnis. Das ist für mich das entscheidende. Das Kennzeichen der Warenproduktion ist für mich der ex-post-Charakter. Das heißt, erst wird produziert und dann wird gesellschaftlich vermittelt, getauscht, verkauft. Damit wird die ganze Produktion nur auf die Verkaufbarkeit ausgerichtet und alle anderen Faktoren, die ja auch Bedürfnisse betreffen, werden, nein, sie müssen externalisiert werden. Die Externalisierung ist eins der – unter anderem für die ökologischen Verhältnisse – Kernprobleme des Kapitalismus. Alles, was nicht zur Verwertung beiträgt und die Produktion teurer macht – es gibt einen Zwang zur Verbilligung der Produktion – muss externalisiert werden.

Die Commons-Produktion nenne ich ex-ante-Produktion, denn, bevor losgelegt wird, setzen sich die Leute zusammen und fragen: Was wollen wir haben? Wir wollen ein Gut A haben und es herstellen. Wenn wir A aber auf die Weise X machen, beschädigen wir B. Wir wollen aber auch B, zum Beispiel eine gute Umwelt. Wie bekommen wir also A, ohne B zu beschädigen? Also werden die Bedürfniskonflikte nicht abgespalten und externalisiert, wie im Kapitalismus – darum soll sich jemand anderes kümmern, z.B. der Staat um die Umweltschäden –, sondern sie werden vorher integriert in einer Weise, dass gefragt wird: Kriegen wir die Produktion so hin, dass wir nicht sozusagen vorn etwas aufbauen und mit dem Hintern etwas anderes einreißen? Diese Vermittlung von Bedürfnissen passiert, bevor etwas produziert wird. Das war übrigens auch der Kerngedanke der zentralen Planwirtschaft. Da wurde ja auch überlegt: Wie kriegen wir das vorher vermittelt? Nur das hat nicht funktioniert, weil man aus meiner Sicht Bedürfnisse nicht planen kann und schon gar nicht für etwas so großes, wie eine ganze Gesellschaft.

Meine Frage geht in eine ähnliche Richtung. Wie kann denn das bei einer Arbeitsteilung funktionieren?

Das finde ich die theoretisch spannendste und entscheidende Frage. Wie funktioniert das, was man sich in einer Gruppe von vielleicht 15 Leuten im direkten Kontakt vorstellen kann: der Austausch darüber, welche Bedürfnisse befriedigt werden sollen und wie wir das machen. Wie kann man das gesamtgesellschaftlich organisieren? Unsere Nachdenkrichtung ist gespeist mit Stichworten unter anderem aus der Commons-Forschung, aber nicht nur. Ein Begriff aus der Commons-Forschung, den ich von Vincent bzw. Elinor Ostrom genommen habe, ist der der polyzentrischen Selbstorganisation. Elinor Ostrom hat empirisch beobachtet, dass sich in großen Systemen, in denen sich die Menschen nicht mehr unmittelbar kennen können und keinen unmittelbaren Austausch mehr haben, vernetze Systeme von Commons bilden, also Commons von Commons…

fraktale Strukturen …

ja fraktale, netzwerkartige Strukturen, in denen sich dann Arbeitsteilungen ausbilden. Das heißt: Nicht alle machen das Gleiche, sondern die einen machen für die anderen etwas, das die Bedingung für deren Tätigkeit ist, schaffen z.B. eine Infrastruktur, die die anderen brauchen, um zu produzieren.

Diese Infrastruktur, die sie schaffen, ist aber nicht mehr etwas, das sie selber benötigen. Das ist meiner Meinung genau das Problem dabei.

Ich finde nicht, dass das ein Problem ist, sondern die Lösung. Alle Menschen in einer Commons-Struktur machen sowieso nur das, was sie wollen. Und wenn jemand feststellt, das ist nicht mehr meins, denn das hat nichts mehr mir dem Produkt zu tun, was ich haben möchte oder woran ich mitwirken möchte, dann geht er oder sie eben weg. Aber es gibt auch Leute, die genau das spannend finden, z.B. Infrastrukturen bereit zu stellen, weil das nämlich genau deren Thema ist. Das verweist auf einen anderen Begriff, der sehr wichtig ist: den Begriff der Stigmergie. Es gibt eine Form der Kommunikation, die dafür sorgt, dass Menschen nicht von anderen organisiert werden. Alte Systeme waren hierarchisch strukturiert, in denen „die oben“ gesagt haben: Weil wir wissen, wie das läuft, musst du jetzt in der Arbeitsteilung das und das tun.

Stigmergie bedeutet: Leute ordnen sich selber zu. Ich möchte das machen, ich möchte an diesem Produkt arbeiten, also gehe ich da hin. Oder: Ich möchte nicht an dem Produkt arbeiten, aber mich interessiert es, die Infrastruktur zu schaffen, damit andere an diesem Produkt arbeiten können – also mache ich das. Diese Selbstzuordnung erzeugt ein wesentlich höheres Maß an Motivation. Das wurde vom Kapital durchaus erkannt: Wenn Leute für sich selber entscheiden, was sie tun, dann sind sie viel produktiver, dann sind sie begeistert, dann sind sie motiviert. Darauf basiert die stigmergische Selbstauswahl der Tätigkeiten. Tätigkeit ist nur die eine Seite, die andere ist die der Ressourcenflüsse. Die wird aber auch von Menschen organisiert.

Die Vorstellung ist also, dass sich durch eine Ausbildung von Netzwerken von Commons von Commons auf jeder Ebene der Abstraktion und der Organisation Menschen finden, die sich genau darum kümmern, was auch getan werden muss. Das heißt auch, auf großen Ebenen gibt es kleine Gruppen, die sich um bestimmte Dinge kümmern. Mein Paradebeispiel ist die Deutsche Bahn: 200 Menschen reichen aus, um das gesamte Netz der Deutschen Bahn zu betreiben. Diese Rieseninfrastruktur kann inzwischen auf Grund der Entwicklung der Produktivkräfte, der Computertechnik usw. von kleinen Gruppen, also auch von commonsartig organisierten Gruppen betrieben werden.

Das heißt also: Die alte Vorstellung – je größer die Einheit, desto mehr Menschen braucht man, die unglaublichen Aufwand treiben müssen, um Infrastrukturen zu betreiben – diese Vorstellung wird immer weniger richtig. Der Kapitalismus entwickelt sich eher in Richtung einer – ich nenne das – „Infrastrukturalisierung“. Das heißt, es entstehen immer mehr die Produktionsvoraussetzungen dafür, dass die Menschen lokal tätig werden können und die Infrastrukturen, die dafür nötig werden, sind aber keine großindustriellen Aggregate mehr, sondern schlanke Einheiten, die von wenigen betrieben werden können. Es gibt eine Interaktion von lokalen Gruppen – das ist ja auch jetzt schon so, dass sich die Kollegen in den Teams kennen und direkt miteinander interagieren – nur sind diese in einer polyzentrischen Selbstorganisation nicht mehr in hierarchische oder planerische Strukturen eingebunden, bei denen die Planung getrennt ist von ihrem Handeln, sondern die Planung wird von den Menschen selbst gemacht. Das heißt, es gibt dann keine Zentralplanung, sondern ich spreche von einer Selbstplanung, die eingebettet, eingelassen ist in diese Netzwerkstrukturen.

Ich denke, das wird eine spannende Sache.

Ja. Das ist auch noch am Anfang bezüglich der theoretischen Reflexion, weil es – auch in der akademischen Wissenschaft – nicht viele gibt, die auf diesem Level theoretischer Reflexion daran arbeiten. Das ist leider so. Zum Beispiel hat die vorherrschende Ökonomik keinen Begriff von dem eigentlichen Problem.

Sag bitte noch etwas zu Dir selbst

Ich habe Ingenieurwissen studiert und darin auch promoviert. Parallel dazu habe ich Informatik studiert und dann als Informatiker für die Gewerkschaft im Bereich der Online-Kommunikation gearbeitet. Jetzt bin ich freischaffender Autor und in verschiedensten Commons-Initiativen unterwegs. Meine wichtigste Mitgliedschaft ist das Commons-Institut1. Das ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie auch Aktivistinnen und Aktivisten außerhalb der etablierten Strukturen, um die Commons-Forschung zu befördern.

Vielen Dank, Stefan

Das Gespräch führte Wolfgang Borchardt.

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