PIRATEN zum Urheberrecht

Nach den LINKEN haben auch die PIRATEN ihre Vorstellungen zum Urheberrecht in knackigen zehn Punkten zusammengefasst. Sind sie auf ihrem Spezialgebiet schlauer als die Linken, gehen ihre Forderungen weiter? Verstehen die PIRATEN den Wissenskommunismus des Netzes? Mal sehn. Da sich die Piraten kurz fassen, kann ich den kompletten Text durchgehen.

Los geht’s:

Anlässlich der anhaltenden Debatten rund um das Urheberrecht möchte die Piratenpartei Deutschland zehn konkrete Forderungen zu einer Reform des Urheberrechts, anhand des beschlossenen Programms auflisten. Durch diese Änderungen soll das Urheberrecht erneuert und an die Anforderungen der Informationsgesellschaft angepasst werden.

Auch die Piraten wollen also am Urheberrecht festhalten. Wie die zurückgehenden Umfragewerte zeigen, scheint sich der Mythos, die Piraten wollten das Urheberrecht überwinden, gar abschaffen, langsam zu verflüchtigen. Auch bei der Piratenpartei ist es inzwischen so, dass die (mutmaßliche) Basis radikaler ist als die Partei. Gehen auch die Piraten den Weg aller Parteien?

Bei dieser Reform sollen Chancen des Internets genutzt werden, um die Rechte der Urheber und Nutzer zu stärken und der Gesellschaft einen freieren Zugang zu Bildung und Kultur zu ermöglichen.

Haha, netter Trick: Während die Linken ehrlicherweise noch von einer ominösen Balance »Balance zwischen Kreativen, Verwertern und Nutzerinnen und Nutzern« sprechen, lassen die Piraten die Verwerter einfach weg. Denn »Urheber und Nutzer … stärken« hört sich auf jeden Fall gut an. Oder wollen die Piraten die »Rechte der Urheber und Nutzer zu Lasten der Verwerter stärken«?

1. Verkürzung der Schutzfristen auf 10 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Die aktuellen Schutzfristen (70 Jahre nach dem Tod des Urhebers) nutzen und dienen in erster Linie den Rechteinhabern. Das Problem der Nichtverfügbarkeit vieler Werke gründet sich nicht zuletzt auch in diesen übermäßig langen Schutzfirsten, da viele Werke oft nicht neu aufgelegt oder neu vermarktet werden und trotzdem nicht freigegeben sind.

Auch die Piraten übernehmen den verharmlosenden, im Kern ideologischen Begriff der »Schutzfristen«. Tatsächlich handelt es sich um ein staatlich sanktioniertes Monopolrecht. Ferner werden hier jetzt die Verwerter, die es bisher gar nicht gibt, hineingeschmuggelt: Sie heißen Rechteinhaber. Allerdings festzustellen, das formulierte Recht (die »Schutzfristen«) diene den Rechteinhabern, ist banal bis tautologisch. Implizit wird hier ein Gegensatz zwischen Urhebern und Rechteinhaber suggeriert. Der erste Rechteinhaber ist jedoch der Urheber — bis dieser die Rechte abtritt oder tot ist.

Immerhin wird das Problem der verwaisten Werke (»Nichtverfügbarkeit«) deutlich benannt. Doch warum fordern auch die Piraten nicht »Verwaiste Werke in die Gemeinfreiheit«? Positiv ist, dass die Piraten für eine drastische Kürzung der Monopolfristen sind: 10 statt 70 Jahre wäre, sofern umgesetzt, ein Schritt in die richtige Richtung. Der konsequente Schritt allerdings lautet: Abschaffung der Vererbung von Verwertungsrechten. Jede Monopolfrist nach dem Tod des Urhebers ist »übermäßig lang«.

2. Wir wollen die Rechte der Urheber gegenüber den Rechteinhabern stärken. So sollen, Rechte bei Nichtausübung der Rechteinhaber schneller auf den Urheber zurückfallen und die Vergabe ausschließlicher Nutzungsrechte auf maximal 25 Jahre beschränkt werden. Nach Ablauf der Frist fallen diese Rechte dann zurück an die Urheber.

Nochmal: Der erste Rechteinhaber ist der Urheber. Die Nur-Verwerter (=Nicht-Urheber) werden erst zu solchen, wenn die Urheber diesen die Verwertungsrechte per Vertrag abtreten. Bis dahin sind Urheber und Rechteinhaber identisch. Warum die Piraten diese Verschleierung nötig haben, erschließt sich mir nicht. Der automatische bzw. zeitliche Rückfall der Verwertungsrechte auf den Urheber ist dagegen eine sinnvolle Forderung. Die 25 Jahre erscheinen hingegen willkürlich, warum nicht 5 oder 2 Jahre? Eine Frist, egal wie lang, wäre ein Eingriff in die Vertragsfreiheit.

3. Im Kontext von öffentlichen Bildungseinrichtungen soll jegliche Mediennutzung von Werken frei von weiteren Urheberrechtsabgaben jenseits der regulären Anschaffung erfolgen. Außerdem sollen hier neue Geschäftsmodelle auf Basis freier Lizenzen angeregt werden.

Was bitte ist eine »reguläre Anschaffung« im Falle digitaler Medien? Eine Lizenz pro Bildungseinrichtung? Pro Schule? Pro Klasse? Pro Schüler_in? Warum ist eine Urheberrechtsabgabe zunächst ok, dann aber (ab wann?) nicht mehr? Wäre dies nicht der Ort für eine Forderung nach grundsätzlicher Lehrmittelfreiheit verbunden mit der Forderung nach kompletter Urherberrechtsabgabenfreiheit? Und was bitte haben hier »Geschäftsmodelle« zu suchen?

4. Die zeitgemäße Archivierung von Werken in Bibliotheken muss möglich sein, die freie Verfügbarkeit zu Bildungszwecken gewährleistet werden.

So allgemein, so richtig. Konkreter wäre die Formulierung eines Auftrags an die Bibliotheken, verwaiste Werke zu sichern. Diese Aufgabe wäre auch dann machbar, wenn es keinen allgemeinen Automatismus gibt, der verwaiste Werke in die Gemeinfreiheit fallen lässt (was die Piraten auch gar nicht fordern).

5. Das Recht auf Privatkopie soll ausformuliert und festgeschrieben sowie die Erstellung von “Remixes” und “Mashups” erleichtert werden. Kopierschutzmaßnahmen und digitale Rechteverwaltung (DRM) wollen wir abschaffen.

Zugespitzt formuliert ist die ausgeweitete Privatkopie das, was vom Piratenmythos der angeblichen Aushebelung des Urheberrecht übrig geblieben ist. Wahrlich nicht viel, aber umgesetzt wäre es besser als die jetzigen restriktiven Regelungen. Faktisch lässt sich eine ausgeweitete Privatkopie, eine Privatkopie-Plus, jedoch nicht begrenzen. Wer wollte die Grenze definieren (Was ist ein erlaubter Remix, was nicht?), und wer soll das alles kontrollieren? Konsequent zu Ende gedacht, müsste der Überwachungsstaat weiter ausgebaut werden — was die Piraten nicht wollen. Deswegen: eine Privatkopie-Plus funktioniert faktisch nicht (das wissen ihre Gegner sehr genau), wäre aber ein begrüssenswerter Einstieg in die faktische Aushöhlung des Urheberrechts (das wissen die Gegner ebenso).

6. Wir wollen mehr Mitspracherechte für Urheber gegenüber Rechteverwertern, wie etwa ein Zweitverwertungsrecht oder eine zeitliche Begrenzung von »Buy-Out«-Verträgen (Reform des Urhebervertragsrechtes).

Aha, die Rechteverwerter betreten explizit die Bühne! »Mitsprache für Urheber gegenüber Rechteverwertern«? Auch hier wird wieder suggeriert, als ob die beiden nichts miteinander zu tun haben und den Verwertern die Rechte automatisch in den Schoß fallen. Das ist nicht so: Die Verwertungsrechte werden von den Urheber per Vertrag explizit an die Verwerter abgetreten. Dass die Verträge meist nicht zugunsten der Urheber ausfallen, liegt an den Kräfteverhältnissen, an der ökonomischen Macht der Nur-Verwerter. Hier will die Piratenpartei nicht ran, sie will sie noch nicht einmal benennen. Stattdessen soll es der Staat richten und in die Vertragsfreiheit eingreifen. Hier liegen die Piraten mit der Linken auf einer Linie.

7. Das private, direkte, nichtkommerzielle Filesharing und die Weitergabe von Werken soll entkriminalisiert werden. Filesharer sind die besseren Kunden und das Bedürfnis nach “try-before-buy” ist ein berechtigtes Bedürfnis.

Das erlaubte Filesharing folgt aus der Privatkopie-Plus. Und wirft die gleichen Fragen auf, siehe oben. Schleimersätze (»bessere Kunden«) gehören aber hier nicht her.

8. Neue Geschäftsmodelle: Alle bisher funktionierenden Modelle sowie neue Möglichkeiten wie Micropayment, Crowdfunding und -Investing aber auch die Option der Pauschalabgaben, die dem Urheber zugute kommen. Pauschalabgaben müssen unseren Vorstellungen von Datenschutz und der Privatsphäre in Netzen entsprechen. Wir wollen weiterhin eine faire und angemessene Vergütung für Urheber gewährleisten. Auf gegenseitiges Vertrauen zu setzen ist hier jedoch ein ebenso wichtiger Bestandteil, wie auf funktionierende und neue Vertriebswege zu setzen.

Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wieso politische Parteien meinen, sich Gedanken über die Geschäftsmodelle der Privatwirtschaft machen zu müssen. Das war auch schon bei den Linken so. Als politische Parteien haben sie in der Marktwirtschaft die Aufgabe, den Rahmen für die wirtschaftlichen Aktivitäten abzustecken. Gesetze gelten für alle gleich. Wenn z.B. nichtkommerzielles Filesharing erlaubt ist, dann sind das eben die Bedingungen für die Wirtschaftsakteure, die sich dann ihre Geschäftsmodelle ausdenken. Punkt.

Pauschalabgaben sind eine andere Baustelle. Hier geht es um Umverteilung. Das ist tatsächlich ein politisches Thema. Allerdings ist hier völlig unklar, was eine faire und angemessene Vergütung heißt und wie sie zu erreichen ist. Ein äußerst schwammiger Punkt. Positiv formuliert: Alles noch liquide.

9. Das bisherige Abmahnwesen für Verletzungen des Urheberrechtes durch Privatpersonen muss beendet sowie die Störerhaftung zugunsten freier WLAN-Netze abgeschafft werden.

Diese Forderung ist voll zu unterstützen, auch wenn unklar bleibt, wie das Abmahnwesen beendet werden soll. Und warum die Störerhaftung nur für freie WLAN-Netze abgeschafft werden soll, wird auch nicht klar. Gerade über die generelle Abschaffung der Störerhaftung bei Urheberrechtsverletzungen wäre dem Abmahn(un)wesen ein wirksamer Riegel vorzuschieben.

10. Das Urheberrecht muss den Anforderungen des medienkompetenten Nutzers von heute gerecht werden und darf ihn in seiner kreativen Nutzung nicht beschränken.

Das hätte in die Einleitung gepasst: reichlich allgemein.

Das war’s auch schon. Ok, in zehn kurze Punkte bekommt man nicht allzu viel reingepackt. Aber es ist eine Aussage über Prioritäten. Was fehlt? Überraschender Weise das gleiche wie bei den Linken. Hier gehe nicht nochmal auf alles ein (bitte beim Linksurheberrecht nachlesen), sondern nenne die (fehlenden) Punkte nur spiegelstrichartig:

  • Freie Software
  • Gemeinfreiheit
  • Urheberpersönlichkeits- vs. verwertungsrecht
  • Perspektive

Darüber hinaus leisten sich die Piraten weitere Leerstellen, zumindest bei den hier diskutierten 10 Punkten:

  • Freie Wissenschaft und open access
  • Stärkung freier Lizenzen
  • Ablehnung des Leistungsschutzrechts

Was das Urheberrecht angeht, sind PIRATEN und LINKE absolut koalitionsfähig. Das ist keine positive Aussage, denn beide akzeptieren die dem Urheberrecht innewohnende Logik der wechselseitigen Exklusion. Eine Interessengruppe setzt sich stets auf Kosten der anderen durch. Während bei der Linken eine Ahnung dieses unauflösbaren Konflikts noch vorhanden ist und sie von einer (strukturell unmöglichen) »Balance« träumen, wird dies bei den Piraten völlig zugedeckt.

Die PIRATEN werden damit den Erwartungen und Forderungen nach Beendung der urheberrechtsgetriebenen Drangsalierung von Nutzer_innen nicht gerecht. Sie haben den Wissenskommunismus des Netzes, aus dem sie kommen und von dem sie zehren, weit nach hinten geschoben. In dieser Beziehung sind die auch hier verteilten Vorschusslorbeeren wieder einzusammeln. Die Piraten sind dabei, den Kredit, den sie noch haben, zu verspielen — gerade auf ihrem ureigenen Feld.

Dass die Piraten dabei sind, sich permanent selbst in ihrer Harmlosigkeit zu unterbieten, zeigen die Vorschläge der Berliner Piraten. Politik ist immer Realpolitik, und Realpolitik ist das, was wir schon seit Jahrzehnten haben. Nun will eine neue Gruppe mitspielen. Die Piraten haben gute Chancen, doch nicht in den Bundestag einzuziehen.

Und ganz am Ende noch was Reales, nämlich eine Realsatire, sozusagen mit Piraten ganz anderer Art: Sind Polizisten»Raubkopierer«?

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