Eine neue Phase
Die Existenz des Internets hat ganz neue Möglichkeiten für Commons Based Peer Production geschaffen. Schon von Beginn an, hat sich diese Produktionsweise parallel mit dem Internet verbreitet. Von Anfang der 90er Jahre an gab es ebenso parallel mit dem Internetboom einen Peer-Production-Boom. In einer Vielzahl von Bereichen auch außerhalb des Netzes haben sich Menschen von diesem Boom inspirieren lassen. Dieses Blog ist voll von diesen Beispielen.
Ich denke aber, dass seit ca. 2-5 Jahren eine ganz neue Phase in dieser Entwicklung eingetreten ist. Ich will zunächst zwei Bedrohungen aufzählen, die ich charakteristisch für diese neue Phase halte:
- Nach vielen missglückten Versuchen ist es gelungen Geschäftsmodelle zu finden, mit denen sich im Netz Content im großen Stil an die breite Masse verkaufen lässt. Dafür steht zB. World of Warcraft aber vor allem die Stores von Apple in denen sie zunächst Musik, später auch Filme und Software verkauft haben. Letzteres bietet zum ersten Mal eine Plattform, die die Transaktionskosten für Softwareentwickler, die ihre Werke verkaufen wollen massiv senkt. Wenn ich eine IPhone-App entwickelt habe, aber keinen Vertrieb im Rücken habe, ist es nicht mehr das natürlichste der Welt, sie als Freie Software ins Netz zu stellen sondern es ist das natürlichste der Welt sie für ein paar Cents im App Store zu verticken. Wenig Aufwand und eine kleine Chance durch millionenfachen Absatz reich zu werden. Wer kann da nein sagen? Dem entsprechend ist das Angebot an Freier Software auf dem Iphone zwar vorhanden, aber wohl so gering wie auf keiner anderen Plattform. Mit der Präsentation des IPad hat Apple jetzt die nächste Stufe dieser Strategie gezündet. Kaum kommt das Verlagswesen durch die neuen Verteilungswege im Netz in ernste Probleme, präsentiert Apple ein Gerät, dass die Nutzer wollen, weil es so einfach wie eine Zeitung zu bedienen ist und fast so mächtig wie ein Computer. Die Verlage wollen es aus noch viel mehr naheliegenden Gründen, sie sehen eine Chance der Umsonstspirale im Internet zu entkommen. Entsprechend anbiedernd fällt die Berichterstattung aus. Dazu noch die religiöse Verzückung der Hardcore-Apple-Fans und fertig ist der Mega-Hype. Und auch da gilt: Heute ist es beim publizieren im Netz naheliegend, kein Geld zu nehmen. Selbst Werbung zu schalten ist aufwendig und lohnt sich meist nicht. Das IPad will das ändern. In der Summe bedeutet das vor allem schlechte Aussichten für Freien Content und Freie Software auf mobilen Geräten und die sind wohl unbestritten die Zukunft der Internetnutzung.
- Wenn man sich nach Alternativen umschaut, kommt man zur Zeit nicht an Android vorbei. Das sieht erstmal deutlich besser aus. Es ist ein Linux-Abkömmling für Handys, das gibt schon mal Pluspunkte. Außerdem hat Google (die Android entwickelt haben) schon immer durchaus Sympathien für den Open Source Ansatz und fördert viele Open Source Projekte. Im Gegensatz zum IPhone kann man auch selber Software auf den Geräten installieren und ist so immerhin nicht auf den Android Market (das Gegenstück zum App Store) angewiesen. Auf kurze Sicht und aus der Open-Source-Perspektive spricht also alles für Android. Ich glaube aber, dass von Android auf lange Sicht eine mindestens ebenso große Bedrohung für prosperierende Peer Production ausgeht. So wie einem Apple die Kontrolle über Software und Content nimmt, so nimmt einem Google die Kontrolle über die Daten. Android ist nichts anderes als eine Datensammelmaschine, und da man die tendenziell immer dabei hat, werden da richtig viele und richtig private Daten gesammelt. Das Problem sehe ich da weniger bei Google selbst. Deren Interesse an diesen Daten ist vor allem, sie für personalisierte Werbung einzusetzen. Das mag zwar teilweise etwas scary sein, noch bedrohlicher ist aber, wenn Google mit staatlichen Stellen (evntl. gezwungenermaßen) zusammenarbeitet. Dann weiß letzten Endes der Staat alles über uns, eine Situation die man selbst im Sinne der Dialektik des Datenschutz nicht wollen kann. Theoretisch kann man Android zwar auch ohne all die schönen Googledienste betreiben, aber dann hat es viele praktische Features nicht mehr, so dass das in der Praxis nur die wenigsten tun.
Beides gemeinsam führt momentan meiner Meinung nach zu einer bedrohlichen Situation für die Ausweitungsdynamik von Peer Production. Es gab mal ein vielversprechendes in Soft- und Hardware Freies Projekt – OpenMoko, das aus dieser Falle hätte herausführen können, aber leider wird das zur Zeit nur noch langsam weiter entwickelt und hat einen technischen Stand, der weit hinter den aktuellen Smartphones zurückbleibt.
Also mein Fazit dieser Situation ist: Die Ausbreitungsdynamik von Commons Based Peer Production ist in einer kritischen Phase. Es gibt zum einen die neuen oben geschilderten Bedrohungen zum anderen aber auch mehr Aktivitäten in nicht-Software-Bereichen als noch vor 5 Jahren. Open Hardware hat meiner Meinung nach in den nächsten Jahren ein enormes Potential gerade weil sich damit ziemlich simple und direkte Geschäftsmodelle verknüpfen lassen (Siehe Arduino), die Dynamik im Softwarebereich scheint mir aber sehr gefährdet. Also: Was tun?
Was tun? Mmhh… vielleicht Gemeinschaften denken und ausprobieren, in denen neben dem gemeinsamen (peer2peer-) Programmieren, Wikipediaisieren und Entwickeln von Autos auch der Rest des Lebens peer2peer probiert wird. Zum Beispiel Essen kochen, Abwaschen oder Kinder erziehen, äh … sich entwickeln lassen. Klingt ein bisschen nach Kommune 1, und für die autistischen Informatikfreaks unter uns ist sowas vielleicht nicht so richtig leicht vorstellbar aber m.E. sind die Bedingungen des „realen“ NON-peer2peer Lebens, denen wir ausgesetzt sind, (z.B. Konkurrenz staat Kooperation) auch ein bisschen mit der Grund dafür, dass manche von uns ihre Software lieber für Geld verkaufen als sie zu verschenken. (Was ja wiederrum die Basis für böse Googles und Apples ist)
Mit einer interessanten Metapher drückt der Guardian meine Gedanken schöner aus, als ich das kann: http://www.guardian.co.uk/technology/2010/jan/31/ipad-review-comments-naughton
@Thorsten: Klar, Ausweitung in andere Bereiche ist nötig. Mir ging es aber darum die veränderte Dynamik in den Bereichen zu untersuchen in denen es in den vergangenen Jahrzehnten spektakuläre Erfolge gab.
Mir ist nicht klar geworden, warum die Situation bedrohlich(er) sein oder werden soll (als vorher schon). Weil jetzt die geschlossenen Vertriebsmodelle der Content-Industrie durchsetzbar werden? Glaub ich nicht. Weil alle Kreativen nun für geschlossene Apple-Plattformen entwickeln? Den großen Unterschied zu Shareware-Bastlern für Microsoft sehe ich nicht.
Die Meta-Frage ist doch, ob das Produktionspotenzial wieder auf geschlossene Pfade kanalisiert werden kann. Vielleicht gelingt das zum Teil, doch parallel zur Ausweitung der commons-basierten Peer-Produktion gab’s immer auch die halb-offenen Kommerzmodelle, die ihrerseits die offenen Projekte auch voranbrachten. Warum das jetzt durch ein Produkt zu Ende sein soll, ist mir nicht klar. Geschlossen heisst begrenzt heisst langweilig, irgendwann. Dann werden Grenzen überschritten, und das ist Hacking, Kreation, Entfaltung.
Die Zahnpasta ist nicht mehr in die Tube zurück zu bringen.
Vielleicht bräuchte man erst ein OpenHardware-Netbook oder sowas. Wenn’s sowas gäbe, wäre OpenMoko oder was Vergleichbares sicherlich innerhalb kürzester Zeit top. Die doch allgemeine Enttäuschung angesichts des iPad könnte die Entwicklung anheizen. Es sollte „the next step“ in der Entwicklung der Computertechnologie sein. Jetzt hat’s nicht mal einen USB-Anschluss – aus allzu durchsichtigen Gründen! Also wird man es selber machen müssen … Vorerst sicher noch mit Kauf-Komponenten, aber auch das würde ja schon ausreichen, um es offen zu gestalten. Und dann kommt auch die Software.
Ich spekulier mal, dass die Ideologie der Selbstentfaltung, der Offenheit und der „intrinsischen Motivation“ (for whatever this is) als Triebkräfte des Handelns gegenüber der Ideologie des Marktes abgekackt hat. Was m.E. damit zusammenhängen könnte, dass OS-Programmierer checken, dass sie für ihre Open Source-Druckertreiber, nicht nur keine Brötchen kaufen können, sondern auch sonst wenig davon haben. Jedenfalls nicht solange sie (noch) nicht in gesellschaftlichen Zusammenhängen leben, die ihnen das erlauben würden, bzw. in denen solche Fragen aufgehoben sind. Wie gesagt, alles nur Spekulation…
@Thorsten: Mir geht es gerade darum Veränderungen in den materiellen Rahmenbedingungen zu untersuchen und zu beobachten. Die Ideologie ist nur Beiwerk. Es ist halt jetzt uninteressanter geworden auf wichtigen Plattformen Freie Software zu veröffentlichen, da hilft dann auch keine Ideologie mehr. Wobei ich das nicht ganz so schwarz sehe wie Du („abgekackt“) und nicht so weiß wie Stefan („Zahnpasta“).
@Stefan: Die Zahnpasta ist dann nicht mehr zurück in die Tube zu kriegen, wenn die nächste aus guten Gründen angesagte Plattform (wie es das IPhone war) von Freien Entwicklern entwickelt wurde. Es gibt sicherlich Bereiche in denen man nicht mehr an Open Source vorbeikommt (Server-Betriebssysteme, Programmiersprachen, Webserver und anderen Infrastrukturanwendungen). Aber in vielen Bereichen auch der IT-Industrie wird Innovation immer noch proprietär organisiert und das sind die Bereiche, die zur Zeit boomen: Webanwendungen, mobile Anwendungen, Spiele, … Mir scheint sich für die IT-Industrie da eine Arbeitsteilung zu verfestigen. Das sollte man sich nicht schöner reden als es ist.
Sehr schönes Bild vom schwarz (bzw. braun)-weiß-Sehen. Musste lachen. =)
@Thorsten: Ich muss gestehen, dass die farbliche Passung reiner Zufall war, viel mir erst durch Dich auf.
That’s dialectics!
@Stefan: Ah Dialektik als Schwarz-Weiß-Malerei 🙂
Ansonsten: Etwas Grund zur Hoffnung gibt vielleicht, dass die Preisvorstellungen für e-books sich bizarrerweise durch das IPad nach oben entwickeln in Regionen die ich für nicht mehr wirklich verkaufbar halte: http://www.fr-online.de/top_news/?em_cnt=2259263& 15 Dollar für ein e-book? Dann doch lieber zum selben Preis ein Buch, dass auch ohne Strom funktioniert.
@Benni: Für E-Books gibt’s doch BitTorrent 🙂
Ich glaube auch nicht, dass das iPad als E-Book-Reader große Popularität erlangen wird — dafür will man ein Gerät mit E-Ink-Display, ein strahlender Computerbildschirm ist fürs lange Lesen einfach untauglich.
@Christian: http://www.wired.com/threatlevel/2009/05/apple-rejects-bittorrent-iphone-app/ das ist ja gerade das Problem.
Ob man für Inhalte (noch) etwas bezahlt oder nicht (mehr), ist glaube ich eher eine Einstellungsfrage. Die nicht mehr bezahlen, steigen dann halt auf nen andren Reader um. Ipad oder iphone sind eher für die Leute, die noch bezahlen – eine Zielgruppe, die auch bisher keine Tauschbörsen o.ä. genutzt hat. Gönnen wir sie Apple 🙂 Übrigens ist das ipad (im Gegensatz zum iphone) ja in keiner Hinsicht ein großer Fortschritt, da werden die Leute halt auf andre Modelle ausweichen, wenn Apple sich stur stellt. Amazon hat da mit seiner konsequenten Billigpolitik für eBooks eher richtig gelegen. Eine Lösung für den digitalen Frust des Kapitalismus ist das ipad sicher nicht.
Deine Einschätzung hinsichtlich Googles Datensammelwut, vor allem aber der Dominanz des IPhone App Stores teile ich. Ganz so schwarz sehe ich aber nicht, es gibt noch Alternativen.
Selbst habe ich mich deswegen vor kurzem für ein Nokia N900 entschieden, auf dem ein normales Debian läuft. Nokia ist dank Android und Iphone unter starkem Druck geraten und als Folge davon wird dort gerade alles mögliche unter OpenSource gestellt.
Mir kommen bei der Geschichte zwei Gedanken:
a) Eigenartig, dass hierarchische Entwicklungsmodi (ein Guru gibt den Pfad an), Produkte hervorbringen, die „sexier“ wirken.
b) Das Grundproblem scheint nach wie vor, dass keine neue Praxis von Vermittlung sich etabliert hat. Deutlich wird das auch im unteren Teil von http://www.crummy.com/software/BeautifulSoup/3.1-problems.html:
Dieses sich „einer Sache widmen“, geht nur mit materiellem Backup.
Solche Produkte werden mit viel Geld sexier gemacht (Werbung, jahrelanger Aufbau von Image und Marke etc.) damit der Guru weiter Guru bleiben kann. Hört der Glaube an die Sexizität von Apple auf, verschwindet wohl auch der Guru.
Mmm… das scheint mir auch so, wenn ich die Art und Weise betrachte, mit der hier und anderswo Wissen über Gemeingüter und Peer2Peer-Produktion gesammelt und produziert wird. Abgesehen von Wikis und Gemeinschaftsblogs, scheint fast Jede und Jeder gefangen zu bleiben in einem Netz (kapitalistischen?) Einzelkämpfertums.
Dieses benötigte materielle Backup, das man braucht um „etwas ander(e)s zu machen“ scheint mir in dem meisten Fällen wieder „klassisch“ kapitalistisch hergestellt zu werden. Was m.E. nicht nur an der uns umgebenden kapitalistischen Realität, sondern auch an der kapitalistischen Realität in unseren Köpfen liegt.
Huuuh, das klingt vielleicht ein bisschen spirituell, aber laut Max Weber konnte der Kapitalismus ja auch nur dieser Erfolg werden, der er ist, weil sich durch den Protestantismus und die damit verbundene Arbeitsamkeit kollektive Deutungsmuster gebildet haben, die dem Kapitalismus ein Gerüst zu Wachsen gaben.
Martin Kölling schreibt zu dem Thema: Der Goopple-Krieg oder das Versagen der Anderen