Gender Trouble bei den Piraten

3667539020_fe08418fb2_mSchon länger gibt es eine schwelende Auseinandersetzung in und um die Piratenpartei. Sie wurde oft als Männerpartei bezeichnet und meist war das kritisch gemeint. Jetzt hat eine harmlose Nachfrage die Blogosphäre zum Kochen gebracht. Julia Seeliger (Grüne) wollte bloß wissen, wie hoch denn der Anteil der Frauen bei den Piraten sei. Das kann ihr nun aber leider niemand beantworten, weil dieses Datum bei den Piraten nicht erhoben wird. Nun könnte man das einfach mit Datensparsamkeit begründen, aber das hieße die ideologische Bombe zu unterschätzen, die in diesem an sich harmlosen Fakt lauert. An der daraus sich entwickelnden Auseinandersetzung kann man nämlich viel lernen. Sowohl über die Piraten als auch über den aktuellen Stand des Feminismus hierzulande. Die ganze Auseinandersetzung hat sehr viele Parallelen zu Fragestellungen um den niedrigen Frauenanteil in Freien Sofware Projekten, was ja hier auch schon öfter Thema war. Scheinbar regt das Thema Nerdkultur vs. Feminismus jetzt aber mehr auf, wo es in die politische Sphäre vordringt.

Bei den Piraten scheint es zwei große Fraktionen zu geben. Beide geeint in der Abwehr von Aufforderungen von Außen mehr dafür zu tun, dass sich Frauen bei den Piraten wohl fühlen. Zum einen gibt es jede Menge waschechte Antifeministen, bis hin zu nur kaum verhohlenem Frauenhass. Die haben wohl offensichtlich den Ratgeber „Making Discrimination Easier“ gelesen und die eigentlich satirische Absicht dahinter ignoriert. Die interessantere Position ist eine postfeministische, die auch von selbstbewussten Frauen bei den Piraten vertreten wird. Ich zitiere Mela Eckenfels als Beispiel:

„Ich möchte selbstverständliche Gleichberechtigung statt Feminismus. Jeder weibliche Pirat denkt für sich selbst.
Wir müssen nicht gerettet werden.
Wir wollen nicht gerettet werden.

Versteht das und versteht das wir ‚Frauenpolitik‘ für ein Instrument des letzten Jahrhunderts halten, das Ungleichheit zementiert statt sie zu beseitigen.“

Sie schildert selbst den biografischen Hintergrund von dem aus sie zu dieser Auffassung gekommen ist:

„Als Teenager hatte ich schwere Probleme mit meinem Frau-Sein. Aber nicht das Frau-Sein war das eigentliche Problem, sondern eine Frau in dieser Gesellschaft zu sein. Es wurden Ansprüche an mein Verhalten und Sein an mich herangetragen die ich weder erfüllen konnte, noch wollte. „Es ist gefährlich als Frau alleine im Dunkeln unterwegs zu sein…“ war nur eine dieser Einschränkungen die ich für mich nicht annehmen wollte.

Ich habe mich dadurch nicht behindern lassen. Ich habe die Angst vor der Schwäche als Frau mein Leben nicht bestimmen lassen. Ich habe meinen Freundes- und Bekanntenkreis so zusammengestellt das mein Frau-Sein keine Rolle spielte. Ich habe einen Beruf gewählt, der für Frauen doch ach so ungewöhnlich sein muß. Es machte keinen Unterschied. Ich bin eine Person und werde als solche angenommen. Mein Umfeld wertet meine Worte nicht nach der Frage ob sie von einer Frau oder einem Mann kommen.. Sie kommen von einer Person, die sie je nach Sinnhaftigkeit meiner Aussagen mehr oder weniger ernst nehmen.

Seitdem habe ich keine Probleme mehr mit meinem Geburtsgeschlecht.

Und nun kommt IHR und wollt mir erzählen das ich anders bin und das Anderssein vor mir herzutragen habe? Ist es zu gefährlich für mich in der dunklen Gleichberechtigung der Piratenpartei?“

Das ist eine wie ich finde völlig nachvollziehbare Einstellung. Wer einmal gelernt hat, nicht mehr Opfer zu sein, will sich diese Rolle auch nicht mehr aufdrängen lassen. Doch taugt es auch als politische Maxime? Was ist mit den Teenagern die heute in der Lage sind, in der Mela früher war? Was ist mit den Frauen, die nicht ihren Weg gegangen sind, weil sie vielleicht nicht die Kraft hatten sich über gesellschaftliche Konventionen hinweg zu setzen? Oder was ist mit den Frauen, die immer noch deutlich schlechter verdienen als ihre männlichen Kollegen? Was mit den immer noch zahlreichen Opfern männlicher Gewalt? Und schließlich: was ist mit den Frauen, die sich gerne für Bürgerrechte engagieren würden, die aber die piratige Nerdkultur in der es immer auch die Fraktion der oben geschilderten Sexisten gibt nicht ertragen? Ich glaube sofort, dass man damit kein Problem haben muss, aber ist das wirklich ein Argument? Reicht es nicht, wenn nur eine Frau aufsteht und sagt: „He, ich würde an sich gerne bei euch mitmachen aber der unterschwellige Sexismus hält mich davon ab.“? Was die Piraten antworten ist bloß: Jeder kann bei uns mitmachen, so lange er ein Mensch ist (Ich vermute mal, sie würden das sogar sofort ausweiten, wenn es auch nur leiseste Anzeichen extrahumaner Intelligenzen gäbe).

Das wiederum wirft eine andere Frage auf. Der Feminismus hat immer betont, dass die ganze westliche Geistesgeschichte mindestens seit der Aufklärung immer von „Mensch“ gesprochen hat, wenn sie „Mann“ meinte (Und Antirassisten haben das auf „weißer Mann“ erweitert (und die Schwulenbewegung auf „weißer heterosexueller Mann“ (und …))). In diese Falle tappen die Piraten hier. Sie erklären die Utopie der Aufklärung (in diesem Fall hier für die Frauen) für schon eingetreten. Alle Menschen sind gleich. Leider ist dem nicht so. Auch nicht bei den Piraten.

Die Piraten sollten mehr auf die Leute in ihren eigenen Reihen hören, die sich dieses Problems bewusst sind. Nur weil man selbst ein Problem nicht hat, sei es aufgrund von Privilegien oder auf Grund von einem langen Lernprozess, sollte man es nicht zu einem „Problem anderer Leute“ machen.

Ein anderes spannendes Thema wäre mal genauer zu gucken, wie denn die verschiedenen Strömungen des Feminismus in dieser Frage auftreten. Schließlich erinnert die Piratenposition „Das Netz macht uns gleich“ auch sehr an den Cyborg-Feminismus einer Donna Haraway. Machen differenzfeministische oder gleichstellungsfeministische Positionen hier einen Unterschied? Wenn ja, welchen?

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(Bildquelle und Lizenz)

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