Piratenkritik
Ich verfolge gerade den Bundesparteitag der Piratenpartei nebenher im Livestream. Ich hatte ja zur Europawahl zur Wahl der Piratenpartei aufgerufen. Selbst bin ich zwar wohlwollender Beobachter aber kein Mitglied, weil ich viel zu sehr Antipolitiker bin, um bei einer Partei mizumachen. Mir sind beim Livestreamgucken ein paar Sachen aufgefallen, die mich bezüglich der politischen Kultur in dieser Partei doch etwas iritiert zurück lassen:
- Trotz aller vor sich her getragenen Distanz zum politischen Geschäft gibt es eine geradezu gespenstisch anmutende Begeisterung auch ja alles „richtig zu machen“. Schon immer tummeln sich in der Netzkultur auch die Grammatiktrolle und Regelfetischisten wie sonst nirgendwo (ausser vielleicht in Kleintierzüchtervereinen). Jetzt haben sie eine Partei zum Austoben. So wirkte das Ganze zeitweise mehr wie eine Parodie eines Parteitages oder wie eine Partie Nomic. Die Piraten sollten aufpassen, dass sie nicht von der Legalistenpartei unterwandert werden.
- Kaum kommt der neue Held der Partei sind alle hellauf begeistert. Dabei bringt er nur ein paar konsensfähige Sager in klassischer Politikerpose. Das scheint aber nach dem stundenlangen Geschäftsordnungshickhack zu reichen um den Piraten das Gehirn auszuknipsen und sie in eine jubelnde Masse zu verwandeln.
- Die männliche Parteikultur führt auch zu so unangenehmen Nebenwirkungen wie denen, das sexistische Äußerungen im Chat unwidersprochen stehen bleiben.
Das alles ist zwar ausgesprochen ärgerlich aber habe ich auch nicht wahnsinnig anders erwartet. Wirklich verstört hat mich etwas anderes:
Die Piratenpartei wird zur Zeit in der Öffentlichkeit wahrgenommen als eine von jungen Männern, die sich ihre Killerspiele und kostenlosen Downloads nicht wegnehmen lassen wollen. Ich habe sie immer als eine Partei wahrgenommen von jungen Männern, die wissen, das ihnen niemand ihre Killerspiele und kostenlosen Downloads wegnehmen kann und die deshalb versuchen den Kollateralschaden für die Bürgerrechte bei dem Versuch es dennoch zu tun klein halten will. Jetzt will man aber wohl schon so sehr im politischen Mainstream ankommen, dass man meint versichern zu müssen, man sei nicht für eine „Kostenloskultur„, blos weil das der permanente Vorwurf aus dem Mainstream ist. Da diese Äußerung nicht nur massiv beklatscht wurde, sondern ihr Äußerer auch hinterher zum Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde und auch alle GegenkandidatInnen ins selbe Horn bliesen, habe ich mich wohl in den Piraten sehr getäuscht. Sie sind jetzt wohl eine Partei von jungen Männern, die Angst haben beim Killerspielen und kostenlos Downloaden erwischt zu werden. Sehr unpiratig das.
Ich glaube, du hast es nicht verstanden. Das war keine Rechtfertigung. Es war eine Richtigstellung. Es wurde richtiggestellt, dass die Piraten keine Kostenloskultur fordern. Es wurde richtiggestellt, dass man an einer Lösung interessiert ist, die Schaffenden und Konsumenten gefällt – keine Enteignung von jemandem. Das ist was ganz anderes.
Zum Thema Frauen: Wenn jemand mehr Frauen in der PP sehen will, dann soll er sie dazu bewegen oder sie sich aufraffen. Niemand kann dazu gezwungen werden und es ist nicht angemessen, spezielle „Förderprogramme“ für Frauen zu fordern. Sie sind Bürger, und sollten sich ebenso einbringen wie jeder Bürger.
Hach,
es kann ja nicht gleich alles richtig gemacht werden, aber ich glaube schon das die Piraten auf den richtigen Weg sind. Für eine Kostenlos-Kultur kann in dem Wirtschaftssystem welches wir haben wohl niemand sein, da auch die Künstler etwas zum leben brauchen, aber es muss halt neu geregelt werden wie dieser Austausch gehen kann und das ist das was die Piratenpartei machen will.
LG
sven
ich gucke den stream auch schon seit stunden. diese regeln, sind dazu da, die demokratie in der partei zu unterstützen und ein grundgerüst vorzugeben. wie stellst du es dir vor? n‘ paar buddeln rum und dann mal gucken, wie es sich entwickelt?
Ein paar Leute haben diesen ausgesprochen unverschämt-sexistischen Äußerungen über die Kandidatin schon wiedersprochen, das war´s dann aber auch schon.
Dieses Bejubeln von Tauss finde ich fast sogar noch ein wenig unangenehmer, vor allem, als er auf seine Stuhl-Situation im Bundestag zu sprechen kam – Petra Pau und Co ging es mal ganz ähnlich, als die PDS nur mit einigen Direktmandaten in den Bundestag kam und deswegen keine Fraktions-Rechte hatte. Tauss musste wissen, dass die Sache mit den Stühlen – sicherlich fragwürdige – aber eben gängige Praxis ist, bei seiner Rede auf dem Parteitag hat er diese Praxis allerdings geschickt verschwiegen und so getan, als ginge diese Regelung allein gegen ihn bzw die Piratenpartei. Was sicherlich auch zu den Beifallsstürmen beitrug.
Mit dem Livestream begibt sich die Piratenpartei freiwillig in eine Medienfalle und zwar die der übertriebenen Transparenz auf allen verfügbaren Kanälen. Wer als Normalbürger den #bpt09 live verfolgt, hat den Alltagshickhack von Geschäftsordnungsanträgen, Wortmeldungen, Gegenreden, Meinungsbildern etc. schnell über. Das gehört aber ohne jeden Zweifel zu einem demokratischen Parteitag dazu. Das ist keine Unterhaltungssendung sondern harte & anstrengende Parteiarbeit.
Klassische bisherige Parteitagsberichterstattung mit den typischen Tagesschau 1:30 Beiträgen oder Zeitungsberichten kann den politischen Arbeitsalltag viel leichter kaschieren. Auch rethorische Fehlgriffe können bis zum Auftritt vor den Kameras & Mikrofonen noch glatt gebügelt werden.
Die Piratenpartei gibt in Hamburg einen ungeschnittenen Bruttobeitrag frei. Ob man das transparent nennt oder dumm vor die Wand laufen ist noch nicht absehbar. Die PP will schließlich nicht Volkspartei sein, sondern über die 5% Hürde kommen.
Inhaltlich war der Livestream grausam, weil das Administrative herumgestolpere einen viel zu großen Platz einnahm und weil auch die Technik nicht 100% zufrieden stellte.
Gespannt bin ich wie die Piratenpartei in den kommenden Monaten auf den Vorwurf reagieren wird nicht alle Themen des politischen Lebens abzudecken. Das ist schließlich immer die Stärke der etablierten Parteien. Sie haben bereits für Alles und jedes Thema einen Zuständigen und können damit eine große politische Bandbreite demonstrieren, die es anscheinend allen Wählergruppen recht machen kann (s.a den sich darauf ausruhenden Blogbeitrag von Julia Seeliger von den Grünen).
Der Vorwurf der fehlenden Bandbreite ist die große politische Falle auf die die Piratenpartei aufpassen muss.
Wenn man eine Partei gründet, weil man politische Arbeit leisten will, dann muss man sich eben auch ans Parteiengesetz halten.
Im letzten Absatz fehlt irgendwie alles. Weil du ein faktisch korrektes Statement nicht hören wolltest, schlußfolgerst du etwas was überhaupt nichts mit dem Statement zu tun hat?
Ein Parteitag der „Etablierten“ ist noch ramdösiger. Der wird von den Medien nur wirksam aufbereitet. Die Kommentare im Chat vorallem zu Nicole Hornung waren unaktzeptabel aber da halte ich es mit dem Spruch „Don’t feed the troll“. Es gibt Typen die im Chat versuchen zu provozieren. Der Parteitag war sehr korrekt. Allerdings wurde mein Albtraum wahr, der Schatzmeister kann keinen Rechenschaftsbericht ablegen, daß darf nicht sein.
Sooo außergewöhnlich/innovativ/wasauchimmer ist es ja nun wirklich nicht mehr, wenn eine Partei ihren Parteitag live im Internet zeigt-
Der außerordentliche SPD-Parteitag im Juni 2009 wurde von der Partei per Live-Stream übertragen, der Parteitag der Linken auch, den der FDP gabs im Phoenis-LiveStream…
Sven:
Was hast Du für ein Problem mit Kostenlos-Kultur? Die haben wir doch schon heute zu Genüge, z.B.: Privatfernsehen, Webseiten…
Es ist nicht Aufgabe einer Partei, den Künstlern zu Geld zu verhelfen. Sondern da muß jeder selbst sehen, wie er das hinkriegt, und die o.g. Beispiele zeigen, wie das möglich ist.
Auf keinen Fall vor der Urheberlobby einknicken! Die stellen das Urheberrecht immer als etwas selbstverständliches dar, das nicht angetastet werden darf. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Das Urheberrecht ist nicht nur etwas völlig unnötiges, sondern schädlich, weil es praktisch eine Gelddrucklizenz darstellt.
Stefan:
Ich glaube nicht das die Piraten das so sehen wie du es siehst. Und auch das Fernsehen ist nicht wirklich kostenlos, als Gegenleistung für das Fernsehprogramm sollst du dir ja die Werbung anschauen und nicht wegschalten. Dadurch verdienen die privaten ihr Geld.
Ich glaube auch nicht das die Piraten wollen das die Künstler ihren Geld hinterher laufen. Sie wollen mit hilfe einer Kulturflatrate oder anderen Modellen eben versuchen, dass auch der Künstler etwas für seine Leistung bekommt. Und du verwechselst hier auch den Künstler mit den Vermarktungsfirmen. Denn ein Künstler ist verdient meistens kaum etwas durch seine Arbeit, das große Geld stecken die Vermarktungsfirmen ein. Wenn du sagst der Künstler muss sehen wie er an sein Geld kommt, dann möchte ich das mal deine Reaktion sehen wenn dein Chef zu dir sagt, danke für die Arbeit, aber das mit dem Geld, dass musst du schon selbst hinbekommen. Mal schauen wielange du dann noch arbeiten gehst.
Bring bitte nicht die Dinge durcheinander: Mit meinem Chef habe ich einen Vertrag, daraus ergibt sich der Gehaltsanspruch.
Ich kann aber nicht einfach in irgendeine Firma gehen, dort was arbeiten, und dann sagen, jetzt will ich Geld dafür haben.
So liegt es auch bei den Künstlern: Einen Anspruch auf Bezahlung haben die zuerst einmal nicht. Es ist deren Sache, uns davon zu überzeugen, daß ihre Arbeit etwas wert ist und wir dafür bezahlen sollen.
Die Piratenpartei darf sich nicht von den Lobbyisten einlullen lassen, die meinen, es gäbe soetwas wie einen naturgegebenen Anspruch der Künstler, sondern muß hier einen klaren Standpunkt einnehmen.
@Stefan: Ich finde schon, dass es einen „natrugegebenen Anspruch“ der Künstler gibt, nämlich den von uns allen, Leben zu können. Deswegen wird man das ganze Problem wohl auch nicht unterhalb der Eingriffshöhe eines bedingungslosen Grundeinkommens lösen können.
Aber einen Anspruch auf Bezahlung für eine bestimmte Arbeit hat tatsächlich niemand, weder am Markt noch als Mensch.
Die alte Tante Berliner Zeitung scheint weiter zu sein als die Piratenpartei, wenn diese sich von einer „Kostenloskultur“ und damit von der echten Freigabe von Information, Wissen usw. distanziert:
Das klingt für mich wie die Forderung nach der vollständigen Abschaffung des Urheberrechts und einer Kostenlos-Kultur (bezogen auf den immateriellen Bereich, aber von materieller Peer-Produktion kann der Verfasser auch noch nichts wissen). Hoffen wir, dass die Piratenpartei nicht dahinter zurückfällt.
Ne, Martin. Bei den Medikamenten gehts um Patente, darum gings jetzt in der ganzen Debatte nicht. Es gab jetzt übrigens eine Abstimmung zum Thema Urheberrechte mit einem Konsens der zwar nicht so wahnsinnig konkret ist aber auch ganz ok. Leider ist das Piraten-Wiki gerade überlastet, aber wenn es den Abschnitt sonst irgendwo gibt, poste ich es hier in den Kommentaren.
Hast du den Artikel gelesen? Dort ging es durchaus ums Urheberrecht, am Ende wird aber der Bogen zur Abschottung von Wissen generell geschlagen (mit einem Zitat des Nobelpreisträgers Robert B. Laughlin).
Fordert man Abschaffung allen geistigen Wegelagerertums, was vom Ergebnis gesehen, sprich der Nutzung vorhandener Datenressourcen naheliegt, kriegt man am verkommendsten Alki-Stammtisch sofort die Frage vorgesetzt, wovon dann dessen Produzenten leben sollen. Diese Frage ist sowas von naheliegend, dass die genauso naheliegende Antwort, die hier Benni beiläufig anführt, eigentlich nach zwei einhalb Gedanken gefunden sein sollte und man die Forderung nach bdl. Grundeinkommen in den Mittelpunkt stellen müsste.
Wenn das nicht geschieht, schmeckt das sofort nach der Naivität, bereits durch Eltern, Bafög o.ä. grundversorgter Jungmenschen und Kleinbürger. Logisch also, dass nach entsprechenden öffentlichen Vorhaltungen, ein „ja, nein, so meinen wir das auch nicht, sondern nur …“ folgt und man sich letztendlich in Formeln von Gerechtigkeit und Regelwerk verfängt. Und ob, wie Sven meint, die „Piraten“ auf dem richtigen Weg sind … ? Hm ? Sicher, in der Praxis der Auseinandersetzung kann durchaus Erkenntnis wachsen, aber genausogut auch Fehlkenntnis. Naheliegende Variante scheint mir: der Kompatibilitäts- und Erfolgsdruck wird sein Werk tun.