Die Kraft und die Ohnmacht der Commons
Endlich wieder auf etwas hoffen zu können, ist bitter notwendig. Das Commons-Institut will Broschüren über die „Kraft des Commoning“ veröffentlichen. Warum jedoch habe ich dabei ein ungutes Gefühl? Was fehlt mir da? Der auch selbstkritische Rekurs auf die auch vorhandene Ohnmacht der Commons. Auf das, was sie gerade nicht schaffen. Ich will niemanden damit herunter ziehen, aber Illusionen haben noch nie gut getan und das Nachdenken über das Nicht-Schaffen schärft vielleicht auch den Blick auf die Hindernisse, die es beiseite zu schieben gilt, anstatt sie zu ignorieren.
Wer sich positiv auf Commoning/Commons bezieht, hat jeweils eigene Gründe. Für mich war diese Praxis eine Antwort auf die Frage, wie wir zu einer Alternative zum Kapitalismus kommen, nachdem die realsozialistischen Träume ausgeträumt waren. Wir waren bei der Debatte bei „Oekonux“ schon darauf gekommen, dass die Art und Weise, wie Freie Software erstellt wird, eine Art Vorbild sein könnte für eine nachkapitalistische Produktionsweise. Natürlich ist es bei immateriellen Produkten wie Software und immateriell basierten anderen, vor allem Kultur-Produkten, einfach, auch die Frage der „Beziehung zwischen Menschen in Bezug auf Sachen“ (Eigentum) zu lösen, denn eine immaterielle Sache wird nicht weniger, wenn viele sie nutzen. Wir probierten dann viele theoretische Fassungen dieser besonderen Qualität; “Universalgut“ war z.B. ein Gedanke von Stefan Mz.(siehe auch hier). Und es war klar, dass wir Wege und Konzepte dafür suchten, nicht nur Software, sondern auch Hardware auf diese Weise gesellschaftlich herzustellen und so zu nutzen, dass Privateigentum (zumindest an den wichtigen Gütern wie Produktionsmitteln und Lebensmitteln) nicht mehr vorkommt.
Ich weiß nicht genau, wie das Zusammentreffen geschah: Irgendwann um den Jahrtausendwechsel kamen die Commons ins Spiel. In der Mailingliste „Keimform.de“ finde ich als ersten Artikel gleich einen über „Commonism“ von Stefan von 2006 . Das Wort „Allmende“ zog über die „Wissensallmende“ ein. Lange wurde das, worauf wir hinauswollen auch „P2P-Produktion“ genannt. Ich müsste mich jetzt lange durch die Keimform-Seiten klicken, bis ich das finde was ich suche: das erste Zusammentreffen der eher High-Tech-Orientierten Keimform-Szene mit denjenigen Praxen, die eher die traditionellen Allmenden/Commons in aller Welt betreffen und ihre Verteidigung. Mir war es z.B. durch Texte von Vandana Shiva und Maria Mies seit Ende der 90er Jahre gegenwärtig, dass auch heutzutage noch Subsistenzlebensbedingungen zerstört werden und dass in einer antikapitalistischen Perspektive gerade auch um ihre Erhaltung gekämpft werden muss. Deshalb kam es mir damals manchmal komisch vor, dass im „Freie-Software-“-Umfeld gesagt wurde, dass die Ökonux-Perspektive für sie bedeute, „endlich nicht mehr kämpfen zu müssen“. Hofften wir doch, dass sich das Neue gegenüber dem Alten durch ein „Auskooperieren“ durchsetzen könnte. Soweit ich sehe, sind die meisten von uns jetzt über 10 Jahre später nicht mehr so optimistisch.
Als dann unser Thema nicht mehr als „Universalgut“ oder „P2P“ auf hohem technischem Niveau diskutiert wurde, sondern sich mit der Allmende-/Commonsdebatte verband, ging für mich damit auch die Tradition der Kämpfe gegen die Enteignung/Einhegung der Allmende in unsere Debatte ein. Ich bin mir aber jetzt überhaupt nicht mehr sicher, ob das nur für mich so war und für andere eher nicht.
Denn jetzt finde ich diese Thematik nicht mehr so richtig adressiert. Hoffentlich hab ich mal wieder was übersehen und Ihr überhäuft mich jetzt mit derartigen Bezügen in unseren Debatten…
Natürlich ist es überaus wichtig, das Commoning in jeder Weise überhaupt erst mal bekannt zu machen, es einfach hinzustellen und zu sagen: Hier, das gibt’s auch und nun schaut mal, ob Euch das was nützt, ob Ihr das vielleicht auch machen wollt. Parallel dazu gibt’s bei uns auch wirklich genug Markt-Staats- und Kapitalismuskritik. Aber die Verbindung dazwischen sehe ich zu wenig. Wo zeigt sich ganz konkret, für welches Commoning die kritisierten Momente bzw. das Ganze des Kapitalismus sich hinderlich erweisen für dessen Entfaltung? Wo stößt die Entfaltung weswegen an ihre Grenzen? Und was am Commoning könnte sie bestärken, resilienter zu werden gegen die Gefahren von Enteignung/Einhegung und was wäre es, was dazu führt, dass sie sich vermehren? Natürlich, sie stehen noch nicht im Dominanzwechsel, aber worin besteht ihre Kraft, das überhaupt werden zu können angesichts der vielen anderen Alternativen?
In den 90ern und um 2000 war alles noch offen, da konnte man leicht daran hoffen und es für wahrscheinlich halten, dass es das Commoning ist, das sich in kritischen Phasen angesichts der Entwicklungs-Widersprüche und ihrer Not-Wendigkeiten dann durchsetzen könnte. Aber in den letzten beiden Jahrzehnten begannen sich andere Alternativen viel stärker durchzusetzen – nicht die von uns erhofften. Dies bedeutet etwas… was in unseren Debatten m.E. zu wenig reflektiert wird. In dem Roman „Wenn der Krebsbaum blüht“ hat Reinmar Cunis schon vor über 30 Jahren eine jetzt immer wahrscheinlicher werdende Zukunft geschildert, in der der Protagonist zu den Menschen in einer noch überlebenden Kommune (Trosby) sagt:
„Ihr Träumer! Ihr lebt im selbstgemachten Paradies, und rings um euch herum ist seit fünfundreißig Jahren Krieg […] Euer System ist ein Schönwettersystem, hab ich´s nicht immer gesagt? Beim ersten Sturm hält es nicht mehr stand.“
Und:
„Das Torsbykonzept wird von Jahr zu Jahr utopischer, gemessen an dem, was in der Welt geschieht.“
Geht es uns mit dem Commoning nicht genau so?
Systematisch könnte uns auch das „Keimform-Konzept“ dazu verleiten, diese anderen Möglichkeiten zu unterschätzen, weil die Methodik der antizipativen „Rekonstruktion“ aus Sicht der erreichten Utopie es mit sich bringt, aus der Perspektive des Nachhinein nur den Weg hin zu sich zu beleuchten und die Abzweige nicht so sehr zu thematisieren. Wenn man aber am Punkt der Abzweigung steht, könnte auch der „Abzweig“ sich als der Stärkere erweisen und man muss hier und jetzt „im Handgemenge“ seine Option kräftigen und stärken und sich dafür wirklich ganz konkret an das halten, was grad ansteht.
Natürlich ist und bleibt auch aus meiner Sicht Commoning die richtige Antwort auf die Frage nach dem Ziel und dem Weg dahin. Aber die Verschärfung der Umfeldbedingungen, der Verlust von Menschenleben, natürlichen Ressourcen und ökologischen Grundlagen ist so weit fortgeschritten, dass das was bedeutet muss für unsere Konzepte zu Zielen und Transformationsmöglichkeiten. Wo steckt das wie drin? Wiederum: Vielleicht hab ichs nur übersehen. Dann können wirs ja in den Kommentaren aufsammeln und vielleicht in einer der CI-Broschüren mal explizit aufbereiten. Ich habe für dieses Thema einen Kanal in CI-Mattermost eröffnet. Auch da können wir zu diesem Thema weiter arbeiten und Material sammeln.
Vielleicht wird mir in den jetzt sicher folgenden empörten Kommentaren klarer, was ich übersehen habe oder worin genau das liegt, was mir noch fehlt… (im ersten Moment hab ich, nachdem ich Notizen zu diesem Thema in schlaflosen Nachtstunden gemacht hab, auch gedacht: Das kann ich nicht in der Öffentlichkeit ansprechen… aber hier traue ich mirs doch mal).
Für mich war von Beginn an klar, dass der „Commonismus“ nur ein Nischenprojekt bleiben wird, wenn man der Ansicht ist man könne im und/oder neben dem Bestehenden einfach Alternativprojekte aufbauen, auf welche dann schon genug Leute übersatteln würden.
Hi,
mich hat der Hinweis von Katja Dieffenbach auf den Text von Melville – Bartleby der Schreiber sehr beeindruckt und auch mein Denken verändert. Sein Slogan „Ich möchte lieber nicht“ verändert alles. Statt sich im Agieren gegen etwas zu verschleißen und im Kampf gegen das Böse böse zu werden, wäre es doch eine Option, einen Schritt zur Seite zu gehen und zu gucken, ob diese Kräfte nicht auch ins Leere laufen können. Zu sehen, welche Räume für das andere eigentlich da sind oder frei gemacht werden können. Ich weiß, dass ich das aus einer privilegierten Position heraus schreibe.
Aber auch bei Judith Butler habe ich gefunden, dass bereits im „Gegen“ die ganze Praxis der neuen Gesellschaftsform enthalten sein sollte, um ein wirkliches Neues herstellen zu können.
Auf das dahinter liegende Problem hat bereits Paulo Freire in seiner Pädagogik der Unterdrückten aufmerksam gemacht.
Ich weiß, dass das jetzt alles andere als ausargumentiert ist, sondern nur eine kurze Skizze, wie ich das sehe.
Gruß, Stefan
@Annette:
Ich habe etwa mal Reopening the Commons: Reversing the Enclosure geschrieben, wo ich für „a reopening, recreation, and restoration of the commons“ plädiere, unter anderem durch „struggling for the general and free access to resources“. Und Benni hat ja wiederholt über den Streik als Mittel gegen die Klimaverwüstung gesprochen. Drohende Einhegungen etwa durch Handelsabkommen waren auch Thema. Insgesamt stimmt es aber sicher, dass Kämpfe gegen Enteignung sowie explizite Aneignungskämpfe für mehr Commons hier nur sporadisch vorkommen.
Und generell stimmt es leider auch, dass das Transformationthema unterbelichtet ist. Früher war ja die „doppelte Funktionalität“ (Kasten in Keimform und gesellschaftliche Transformation) ein Kerngedanke – die Idee, dass das Commoning (bzw. Peer-Produktion etc.) auch in kapitalistischen Firmen wie z.B. den Internetgiganten Google, Apple etc. immer wichtiger wird, bis dann irgendwann die kapitalistische Hülle wegfällt und der schon längst commonistische Kern offen zutage tritt (zugespitzt formuliert). Nach und nach ist dieses Element aus unseren Theorien praktisch verschwunden – wahrscheinlich weil inzwischen allen klar ist, dass etwa Android und MacOS zwar einen freien Unterbau haben, hierbei aber längst die Konzerne die Freie Software vollständig eingehegt und sich einverleibt haben statt dass sie dadurch subversiv unterwandert worden wären. Und für Commonsprojekte jenseits der Freien Software – sagen wir Solawis, Mietshäusersyndikat etc. – war eh nie richtig klar geworden, inwiefern und auf welche Weise sie „doppelt funktional“ sein sollten.
In „Kapitalismus aufheben“ kommt deshalb die „doppelte Funktionalität“ auch nur ganz kurz vor und mit dem Fazit, dass es „sehr unwahrscheinlich“ ist, dass sich der Kapitalismus auf diese Weise auskoopieren ließe (S. 223–225).
Auch die optimistische Einschätzung, dass die Produktivkraftentwicklung den Kapitalismus schon von selbst „zum Commonismus treibt“ wie ich mir das früher dachte, halte ich inzwischen nicht mehr für realistisch.
Damit bleibt dann zwar noch, dass Commons und Commoning Teil einer Zukunft sein könnten, die in mancher Hinsicht besser als die Gegenwart sein dürfte, in anderem wegen der Verwüstungen durch den Klimaumbruch aber sicherlich schlimmer aussehen wird. Aber was die besten Voraussetzungen und der beste Weg dafür ist, um dieses Szenario gegenüber möglicherweise noch deutlich schlimmeren durchzusetzen, ist einigermaßen offen.
@christian:
– Android und MacOS sehe ich ja eher als Bestätigung der „doppelten Funktionalität“. Selbst Windows setzt ja auch immer mehr auf Freie Software. Freie Software ist inzwischen in weiten Teilen der Branche Industriestandard. Nur die oberste Schicht ist meistens noch proprietär. Dass das mit rafinierteren Einhegungs- und Moneatrisierungsstrategien einher geht ist klar. Die gab es ja von Anfang an. Gleichzeitig zeigt die Entwicklung der Branche aber eben auch, dass die kapitalistische Schicht über dem Commons-Unterbau immer dünner wird, was sich auch darin zeigt, dass freie Alternativen inzwischen fast überall konkurrenzfähig sind. Da war doch die Situation vor 20 Jahren noch ganz anders.
– Ich glaube auch gar nicht, dass wir uns vom Transformationsthema abgewendet haben. Also Simon beschäftigt sich gerade schwerpunktmässig mit Utopie aber ansonsten haben wir in letzter Zeit viel zu Klima und auch zu Geschichte gemacht, was beides Transformationsthemen sind.
@annette: ich bin inzwischen immer mehr der Überzeugung, dass es als Ergänzung zum Commons-Ansatz globale Institutionen braucht. Das muss kein Weltstaat sein, aber es müssen demokratisch legitimierte Institutionen mit Checks und Balances sein, die Durchsetzungsrechte haben. Also mindestens für die nächste Zeit ist sowas nötig. Die Transformationsfrage wäre also zum einen, wie man vom hier aus solche Institutionen (und die Commons) stärken und schaffen kann und zum anderen wie man von da dann zum Kommunismus kommt.
Danke schon mal für die Ergänzungen, die hab ich auch gleich in den MM-Kanal zu „Kämpfe um Commons“ gestellt.
@Christian zu „doppelter Funktionalität“. Ja, das war unsere alte Argumentation. Ob die Funktionalität in transformative Richtung allerdings wirklich wirksam wird, ist vom jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt aus mit einer je konkreten Wahrscheinlichkeit belegt, die auch sehr gering sein kann (das meine ich mit der Möglichkeit der „Ohmacht…“).
Dass es im Erfolgsfall im Nachhinein so aussieht, ist tatsächlich so. Aber das kann auch den Blick auf die realen Wahrscheinlichkeiten trüben, und die verändern sich im Verlaufe der Zeit immer mehr in Richtung des Unerwünschten, je mehr man das hier und heute Notwendige übersieht…
@Benni #6:
Es gibt z.B. jetzt aus dem Konzept der Planetaren Grenzen heraus gut ausgearbeitete Indikatoren, wass diese Grenzen jeweils für alle zusammen bedeuten. Da ist ziemlich klar, dass man das nicht einfach pauschal allen nur mitzuteilen braucht und dann richten sich alle schon ausreichend danach. Da brauchts mindestens so was wie ein IPCC, das rein fachlich damit umgehen kann, das jeweils für verschiedene Praxen umzurechnen, was das jeweils bedeutet. Und die Commoning-Gemeinschaften müssen dann untereinander vereinbaren, wie sie damit umgehen. So wie bisher an Commoning-Praxen durchaus (nach Ostrom eigentlich sogar immer) so was wie Sanktionierungsmöglichkeiten enthalten sind (und wenn es Kooperationsverweigerung ist), wird das hier sicher auch verwendet werden.
@ doc #3:
Ja, der Impuls, einfach wegzugehen, ist ja spätestens seit den 68ern immer wieder geäußert und auch realisiert worden. In der autonomen ArbeiterInnenbewegung auch („Zero Work“)… aber genau das ist meine Frage: Was folgt daraus??? Wird das wirklich geschichtsmächtig? Seit 40 Jahren wird auch mit Nachdruck darauf verwiesen, dass es „in den nächsten 20 Jahren“ aber nun endlich passieren muss, bevor die natürlichen Lebensgrundlagen extrem zerstört sind…
Dass es für einzelne hier und jetzt ganz gut funktioniert mit dem „Rausgehen“ und auch dem Bedürfnis danach, hat ja sehr was mit der jeweiligen privilegierten Position zu tun…
Letzlich landen wir mit Marx wieder bei der Eigentumsfrage an den wichtigsten Produktionsmitteln. Solange wir letztere nicht in großem Umfang haben, geht das Rausgehen gesamtgesellschaftlich nicht wirklich.