RFC*: Universalgut
Ich schreibe gerade an einem Artikel für das nächste Krisis-Heft. In Diskussion mit der Redaktion bin ich auf ein terminologisches Problem gestoßen: Sind Universalgüter und Allgemeingüter das selbe? Im folgenden versuche ich den Begriff des Universalguts entsprechend eines Vorschlags von Ernst Lohoff zu fassen. Kritik und Hinweise willkommen!
*RFC: Request for comments
Gesellschaftlich genutzte Güter lassen sich hinsichtlich der drei Dimensionen stoffliche Beschaffenheit, Nutzungsweise und gesellschaftliche Form begrifflich unterscheiden.
Bei der stofflichen Beschaffenheit geht es um den Unterschied von stofflichen und nicht-stofflichen Gütern. Stoffliche Güter besitzen eine physische Gestalt, ihre Gebrauchsfähigkeit drückt sich darin aus. Sie können folglich auch verbraucht oder vernichtet werden, was das Ende der gebrauchsfähigen physischen Gestalt zur Folge hat. Nicht-stoffliche Güter besitzen keine physische Gestalt, sie brauchen gleichwohl einen physischen Träger (bei Dienstleistungen: Erbringer), um existieren zu können. Nicht-stoffliche Güter können nicht verbraucht und nur dann vernichtet werden, wenn alle physischen Träger vernichtet werden.
Bei der Nutzungsweise geht es um den praktischen Vollzug der Nutzung des Guts und die Konsequenzen. Hierbei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Ausschließbarkeit und Rivalität. Güter sind in der Nutzung dann ausschließbar (=exklusiv), wenn die Nutzung nicht allen möglich ist. Sie ist nicht ausschließbar (=inklusiv), wenn die Nutzung des Guts potenziell allen offen steht. Güter sind in der Nutzung rival(isierend), wenn die Nutzung durch die einen die Nutzung durch andere einschränkt oder verhindert. Sie sind nicht-rival(isierend), wenn ihre Nutzung keine Nutzungseinschränkung für andere zur Folge hat.
Bei der gesellschaftlichen Form geht es um den Unterschied von Waren und Nicht-Waren sowie um die Frage, ob es sich bei dem Gut um Privateigentum, Allgemeineigentum oder um ein freies Gut handelt. Waren sind solche Güter, die nicht für den eigenen Verbrauch, sondern für den Tausch zum Zwecke des Verkaufs hergestellt wurden. Nicht-Waren sind solche Güter, die nicht getauscht, sondern nur weitergegeben, genommen oder selbst genutzt werden. Das Privateigentum ordnet eine Sache einer natürlichen oder juristischen Person zu. Allgemeineigentum (früher auch: Allmende) ist heute in der Regel staatliches Eigentum und als solches frei zugänglich (öffentliche Güter). Sonderfälle sind nicht frei zugängliche staatlich verwaltete Privatgüter. Freie Güter schließlich sind nicht-eigentümliche Güter ohne Zugangsbeschränkung.
Die beschriebenen drei Dimensionen lassen sich nun in verschiedener Kombination realen Gütern zuordnen. Hier ist nicht der Ort, die Möglichkeiten durchzugehen. Was hier interessiert, ist die These, dass Informations-, Wissens- und Kulturgüter mit dem Begriff des Allgemeinguts nicht ausreichend erfasst sind, da sie sich von Allgemeingütern derart abheben, dass ein eigener Begriff (hier vorgeschlagen: »Universalgut«) gerechtfertigt ist.
Welches sind die Eigenschaften von Allgemein- und Universalgütern und wie unterscheiden sie sich?
Allgemeingüter sind stofflicher Natur. Sie sind entweder rivalisierend im Gebrauch (etwa: Wasser) oder nicht-rivalisierend (etwa: Deich), jedoch stets nicht-exklusiv im Zugriff. Nicht-stoffliche Allgemeingüter werden hingegen als Universalgüter bezeichnet (siehe nächster Absatz). Stoffliche Allgemeingüter können nicht Waren sein. Öffentliche Güter sind staatliche erzeugte und unterhaltene Allgemeingüter. Sie können steuerfinanziert oder mit einer Gebühr belegt sein. Schließlich können Allgemeingüter freie Güter sein (etwa: Luft).
Universalgüter sind nicht-stofflicher Natur, nicht-exklusiv und nicht-rivalisierend im Gebrauch, aber paradoxerweise können sie zum Verkaufsgut werden. Dies ist dann möglich, wenn der Zugriff auf das eigentlich nicht-exklusive Universalgut eingeschränkt oder verhindert wird – etwa durch Drohung mit rechtlichen Sanktionen oder dem Universalgut äußerlich hinzugefügten technische Zugangsbeschränkungen.
Wird der Gebrauch von Allgemeingütern exklusiviert, dann werden daraus Privatgüter, also Güter im Privateigentum, die Waren sein können. Wird der Gebrauch von Universalgütern exklusiviert, dann bleibt der Charakter als Universalgut erhalten. Während also das Adjektiv „allgemein“ bei Allgemeingütern auf ihre nicht einschränkbare Nutzung abzielt, beschreibt das Adjektiv „universell“ bei Universalgütern die genuinen Eigenschaften des Gutes selbst.
Bei der hier vorliegenden Fassung von Allgemeingut und Universalgut sehe ich (mindestens) zwei Probleme bzw. offene Fragen:
- Terminologisch: Die Worte Allgemeingut und Universalgut sind eigentlich Synonyme und als solche nicht wirklich geeignete Träger der unterschiedlichen Bedeutungen. Gibt es dafür bessere Bezeichner?
- Inhaltlich: Wenn Universalgüter Verkaufgüter sein können, sind sie deshalb auch Waren?
Mir ist das ganze so zu kompliziert. Das liegt wohl daran, dass „Gut“ bzw „Güter“ in meiner Wahrnehmung bereits das Ergebniss der Verhandlung über den Zugriff beinhaltet. Will man aber den Zugriff diskutieren, sollten die Benennungen frei davon sein. Was du unterscheiden willst mit den beiden Begriffen sind für mich stoffliche und ideelle Ressourcen. Die ersteren sind einfacher zu verknappen, weil physikalisch einfassbar und abgrenzbar. Der Zugriff zu den zweiten ist nur in ihrer Sphäre, also mit Geboten und Verboten möglich, deren Beachtung dann jedoch mehr oder weniger physische Sanktionen nach sich zieht.
Das kommt natürlich drauf an, wie man diese Begriffe definiert. Aber wenn du fragst, ob wir die von dir getroffene Unterscheidung sinnvoll finden, würde ich sagen, dass sie mir nicht so ganz einleuchtet. Du schreibst ja selber:
was darauf hindeutet, dass du selbst von dem Unterschied nicht überzeugt bist.
Dieses „sowie“ kommt mir doppelt gemoppelt vor, die relevante Unterscheidung scheint mir die zwischen Waren und nicht-Waren zu sein. Die Begriffe „Privateigentum“ und „Ware“ fallen doch wohl weitgehend zusammen (ok, es gibt noch „Staatseigentum“, aber sofern das vom Staat nur verwaltet wird und nicht verkauft werden darf, hat es keinen Waren-Charakter, wie du ja auch schreibst). Und was keine Ware ist, ist dann eben Allgemeingut (den Begriff „Allgemeineigentum“ find ich eher unglücklich, wegen der Eigentum ~ Ware Assoziation) oder freies Gut.
Das erscheint mir auch wieder seltsam doppelt gemoppelt (wieso „Tausch zum Zwecke des Verkaufs“?). Außerdem kommt da der Aspekt der Herstellung rein, der eigentlich keine Rolle spielt. Dinge können ja auch nachträglich zu Waren werden, z.B. wenn mein Vater sich etwas für den Eigenbedarf schnitzt, und ich es später aus seinem Nachlass verkaufe, weil ich sonst nichts damit anzufangen weiß.
Im FG-Wiki heißt es kurz und prägnant: Ware: ein Gut, das durch Tausch oder Kauf erhältlich ist.
Aber das ist ja keine ihnen inhärente Eigenschaft, sondern ergibt sich direkt aus ihrer Definition – Waren sind keine Allgemeingüter, und andersherum. Aber natürlich kann eine Allgemeingut jederzeit per gesellschaftlicher Praxis zur Ware erklärt werden, und andersherum. Das passiert ja auch regelmäßig (z.B. Privatisierung von Parks, Wasserversorgung; Verstaatlichung oder Privatisierung von Straßen, Brücken etc.).
Im Kapitalismus kann alles zum Verkaufsgut (Ware) werden. Insofern ist das keineswegs paradox (jedenfalls nicht paradoxer als der Kapitalismus selbst 😉 ).
Dies gilt ja auch wieder für nahezu alle Waren/alles Privateigentum (rechtliche Sanktionen: Gesetze gegen Diebstahl; technische Zugangsbeschränkungen: Zäune, Schlösser) und ist keine Besonderheit von „Universalgütern’“.
Ich glaube, der Artikel würde klarer, wenn du konsequent von den drei am Anfang skizzierten Dimensionen ausgehst. Dann ergibt sich im Wesentlichen eine 2x2x2 Matrix (stofflich vs. nicht-stofflich, rival vs. nicht-rival, Ware vs. Nicht-Ware).
Darauf aufbauend könntest du z.B. argumentieren, dass die Warenform bei nicht-rivalen Gütern (noch) weniger Sinn als bei rivalen Gütern hat. Die mir nicht so ganz einleuchtende Dreiteilung der Allmende in „Allgemeingüter“, „freie Güter“ und „Universalgüter“ fällt dann wohl weg, aber vielleicht kommt was anderes interessantes bei raus 😉
Ich hab lange dran rumüberlegt, ob ich jetzt hier was zu schreib oder nicht. Mein Problem ist, dass ich glaube, dass es wenig bringt nur isoliert auf das „Gut“, also das Ergebnis des Produktionsprozesses, zu gucken. Man kann da sicherlich beliebig weiter verfeinern, aber ich zweifel dran, dass uns das weiterbringt. Ich wollte das lange nicht schreiben, weil es ja Deine – an sich natürlcih berechtigte – Frage garnicht beantwortet. Thema verfehlt sozusagen.
Hier also der Versuch doch noch was Konstruktives beizutragen:
Wenn man den Produktionsprozeß selbst mit betrachtet kommt man halt drauf, dass es Formen der Produktion gibt, die eigentlich gar keine „Güter“ mehr produzieren, dass ist was Virno mit „Virtuosität“ zu fassen versuchte. Mein Stand der Überlegungen zum Thema findet sich hier.
@Thomas: Danke für den Hinweis auf das „Komplizierte“, ich glaube, so ist es aber: kompliziert. Die Unterscheidung stofflich vs. ideell (?) ist mir da zu unbestimmt.
@Christian: Danke, für deine ausführliche Auseinandersetzung, die mich auf etliche Probleme aufmerksam gemacht hat. Was dir oft doppelt gemoppelt vorkommt, halte ich (meistens) für notwendige Differenzierungen.
Ich schreibe mal thesenartig und numeriere die Thesen (falls wir weiter diskutieren).
1. Ware/Nicht-Ware und Eigentumsform: Warenform und Rechtsform hängen zwar eng zusammen, und eins gibt’s nicht ohne das andere, dennoch müssen beide getrennt untersucht werden. Sonst kommt es zu Kurzschlüssen.
2. Erzeugt die Rechtsform die Warenform? Nein. Zwar ist die (geeignete) Rechtsform Voraussetzung für die Warenform, aber beliebige Dinge werden nicht durch „Rechtsspruch“ zu Waren, sondern sie müssen als Waren hergestellt werden, damit sie Waren sein können. Nur weil irgendwas verkauft wird, ist es noch nicht „Ware“ (Beispiel: Flohmarkt).
3. Ware ist eine gesellschaftstheoretische Kategorie. Ob du die nachgelassenen Schnitzereien deines Vaters verkaufst, ist davon nicht erfasst, nicht erfassbar und irrelevant. Das ist das Problem mit solchen Individualbeispielen. Die FG-Wiki-Definition ist unzureichend. Es fehlt der Aspekt des „Hergestelltseins für den Tausch/Verkauf“.
4. Allgemeingüter sind solche nicht per Definition, sondern aufgrund ihrer Eigenschaft: Sie sind eben allgemein verfügbar und nicht knapp.
5. Ein Allgemeingut kann nicht per „Erklärung“ zur Ware gemacht werden. Bei der Privatisierung finden zwei entscheidende Schritte statt: Erstens wird das Gut verkauft, d.h. die Eigentümerschaft wechselt, das Allgemeingut im Staatseigentum wird zum Privateigentum. Zweitens wird die Produktion geändert. Sie findet nun nicht mehr unter Nutzenerwägungen statt, sondern um Profit zu erzielen. Der Zweck ist kein konkreter mehr („Wasser“), sondern ein abstrakter („Profit“). Dito umgekehrt, die Übergänge sind zudem durchaus fließend.
6. Im Kapitalismus kann zwar alles zum Verkaufsgut, aber nicht alles zur Ware werden. Es ist umgekehrt so, dass der größte Teil der gesellschaftlichen Reproduktion außerhalb der Warenform bleiben muss, um die Warenproduktion als System aufrecht zu erhalten (das kann ich hier jetzt nicht weiter begründen – ich erinnere an den Workshop der Fraueninitiative auf dem SoliÖk-Kongress).
7. Worauf ich bei den „Universalgütern“ (die Frage der Bezeichnung ausgeklammert) hinweisen wollte, ist der Unterschied zu stofflichen Allgemeingütern: Stoffliche Allgemeingüter wechseln ihre Eigentumsform – aus „allgemein“ wird „privat“. Wegen der Nicht-Rivalität geht das bei „Universalgütern“ nicht. Die bleiben immer „allgemein“, auch wenn sie – tja – „Ware“ (?) sind. Oder sind sie gar keine Ware? (Das hätte gravierende theoretische Konsequenzen…)
8. Dass alles Privateigentum gesichert werden muss, will es privat bleiben, ist klar (siehe aktuell das „Strandgut“ in England, das zum „Allgemeingut“ zu werden drohte). Das jedoch ist nur die Dimension „Exklusivität“. Die Rivalität muss bei solchen Gütern/Waren nicht extra hergestellt werden, sie ist einfach gegeben. Nicht so bei „Universalgütern“.
9. Der Kapitalismus ist zwar paradox, aber er funktioniert ja immerhin bis hierhin;-) Wenn nun aber ein Zentralelement des Kapitalismus an einer bestimmten Stelle zerbröselt – nämlich die Warenform bei Universalgütern -, dann hat das weitreichende Konsequenzen. Noch bin ich davon nicht überzeugt, aber ich lasse mich auch nicht so leicht „beruhigen“:-)
@Benni: Mal abgesehen, dass ich das mit der Virtuosität nicht wirklich verstehe, ahne ich, dass dein Text nicht nur „orthogonal“ zu dem von mir aufgeworfenen Problem ist, sondern irgendwie komplett anders gelagert, jedenfalls nicht ökonomisch.
Die Kritik, die darin steckt, ist eine fundamentale: Befreiung gibt es nicht im herrschenden Kategoriensystem. Das teile ich unbedingt. Nur ist die Frage, ob wir uns bei der Analyse schon da rausnehmen können. Ich denke, nein: Wir müssen erstmal auch in der Logik der Warenproduktion die Logik der Warenproduktion verstehen lernen – und uns gleichzeitig der Begrenzung bewusst sein.
Anyway: Keimform(en) finden wir dort nicht.
@Stefan: auch wenn du meinst, dass sie/er dir nicht weiterhilft, bringt Emanzipation-oder-Barbarei es IMHO gut auf den Punkt:
(Hervorhebungen hinzugefügt)
@Christian: Dem würde ich durchaus zustimmen – auch wenn mir das „zu pressen“ zu sehr nach „aus Nicht-Waren Waren zaubern“ klingt. Diese Teilwahrheit für das ganze zu nehmen, ist jedoch nicht richtig – siehe These 2.
Ich frage mal nach, wie Juli das sieht….
@Stefan: Stimmt, statt „pressen“ würd ich sogar umgekehrt sagen, dass es schwieriger/umständlicher ist, sie in Warenform zu behalten, d.h. sozusagen ein „Auslaufen“ aus der Warenform zu verhindern.
Denn selbst nach deiner sehr engen Definition von Ware (als etwas zum Zwecke des Tausch/Verkauf hergestelltes) ist es ja trotzdem noch so, dass proprietäre Software und Inhalte erstmal Waren sind. MS Windows wird eindeutig vom Zwecke des Verkaufs hergestellt, und gäbe es nicht die Möglichkeit, es zu verkaufen, würde Windows in dieser Form nicht existieren.
Unabhängig davon würde ich vorsichtig sein, den Warenbegriff so umzudefinieren wie du das vorschlägst und die Intention mit hineinzunehmen (umdefinieren deshalb, weil m.W. weder Marx noch die bürgerliche Ökonomie die Intention für relevant halten). Intentionen sind ja im nachhinein schwer feststellbar – du weißt also bei einem dir zum Kauf angebotenen Produkt nicht unbedingt, ob es ursprünglich als Ware gedacht war oder nicht, und mir ist auch nicht ersichtlich welche Eigenschaften eines dir zum Kaufen angebotenen Produkts sich ändern würden, wenn du um die Intention des Herstellenden weißt.
Richtig ist natürlich, dass sich der Charakter der Produktion ändert, wenn Dinge als Waren und nicht (z.B.) für den Eigenbedarf produziert werden. Dann geht es, wie du sagst (These 5), nicht mehr um das konkret produzierte, sondert um den abstrakten Profit, und in vielen Fällen wird das natürlich Auswirkungen auf das konkret produzierte haben. Nur scheint mir eben hier der wesentliche Unterschied im Produktionsprozess zu liegen, während die Auswirkungen auf das produzierte nur akzidentiell sind.
Und zu These 2 würde ich sagen, dass nicht die Rechtsform die Warenform erzeugt, sondern umgekehrt die Warenform die Rechtsform. Eine Gesellschaft, in der die Warenproduktion keine Rolle spielt, könnte mit allen eingeschlägenen Gesetzestexten nicht viel anfangen und würde vermutlich bald darauf verzichten. Umgekehrt führt unsere Gesellschaft solche Gesetze wie das Verbot von Diebstahl oder das Verbot, DRM zu umgehen, ein, weil sie sie „braucht“ damit die Warenproduktion im jeweils betroffenen Bereich möglichst reibungslos funktioniert.
@Christian: Na, das ist ja interessant, jetzt nähern wir uns doch sehr stark an, was erst weit auseinander klang:-) Na, vielleicht „klingt“ es ja auch nur nahe…;-)
Genau: Die Warenform erzeugt die Rechtsform – dann haben wir das Ding schon mal wieder auf den Füßen.
Nein: Keinesfalls nehme ich ein subjektives Wollen an, im Gegenteil: Warenform, Warenproduktion, Warenzirkulation und entsprechende Wertverhältnisse sind objektive Verhältnisse, die sich in einer Weise gegenüber jeglichen Intentionen verselbstständigt haben, dass Marx von „Fetischverhältnissen“ spricht.
Hergestellt zum Zweck des Tauschs/Verkaufs sind Waren aus den objektiven Erfordernissen der Verwertungslogik: Es muss nicht nur hergestellt werden, um in der Spirale G-W-G‘ drin zu bleiben, sondern es muss immer billiger hergestellt werden. Andere Absichten daneben kann es nicht geben. – Demgegenüber sind andere (Zufalls-) „Verkäufe“ akzidenziell und für die Warengesellschaft als System irrelevant. Ich wähne mich da ganz bei Marx;-)
Dennoch ist das bei Software nicht so eindeutig. Auch wenn es so aussieht: Microsoft hat „Windows“ noch nie verkauft, „Windows“ wird nicht zum Zwecke des Verkaufs hergestellt! „Windows“ wird zum Zwecke der Erteilung von Nutzungsrechten hergestellt – das ist was anderes! Die Kopie, die du im Karton kaufst, ist doch nahezu „arbeitslos“ hergestellt worden, und du erwirbst sie auch nicht. Noch deutlicher wird das, wenn die „Produktion“ (Akt der Kopie) durch Download auf deinem Rechner stattfindet. Die Kopie gehört dir nicht nur nicht, du darfst nicht über sie frei verfügen, sondern es hat auch kein „Tausch“ stattgefunden, weil Microsoft ja nichts „hergab“. Nur du hast was hingegeben, dein Geld nämlich, und „dafür“ Erlaubnis „bekommen“. Erlaubnis – was ist das? Ein Nichts, ein reines Rechtsverhältnis. Und das – wie du einräumst – erzeugt keine Warenform.
Insofern muss die Kritik an meinem Text lauten: Universalgüter können nicht zum Verkaufsgut werden. Verkauft wird die Erlaubnis, das Universale zu benutzen – das ist doch paradox! Was ist das theoretisch, dieser „Verkauf von Erlaubnis“? Das ist das, was ich nicht zu fassen bekomme.
Denke ich falsch, frage ich falsch?
@Stefan: Kannst Du genauer fassen, was Du nicht verstehst, dann könnte ich es versuchen zu erklären.
Ansonsten scheinen wir eine komplett andere Vorstellung von Ökonomie zu haben. Was kann ökonomischer sein, als sich über Produktion (unter kapitalistischen Bedingungen) Gedanken zu machen? Genau darum gehts doch.
@Stefan: Der „Verkauf der Nutzungserlaubnis“ ist IMHO ein normaler Teil der Warenform, und er ist ja auch ein ziemlich alter Hut.
Ich würde auch nicht sagen, dass es einen kategorialen Unterschied macht, ob nun das Ding selbst, oder nur eine Nutzungserlaubnis verkauft werden soll. Sonst gäbe es ja einen kategorialen Unterschied zwischen Eigentumswohnungen (die verkauft werden sollen) und Mietwohnungen (wo nur das Recht, sie temporär zu nutzen, verkauft wird).
Der Unterschied scheint mir aber nur beiläufig zu sein, die wichtige Gemeinsamkeit dagegen ist, das beide zum Zwecke des Geldverdienens gebaut werden. Tatsächlich wird der Eigentümer die Frage, ob Verkauf oder Vermietung, ja im Allgemeinen auch rein anhand dieses Zweckes entscheiden – ob er sie verkauft oder vermietet, hängt davon ab, wovon er sich mehr Profit verspricht, nicht von irgendwelchen inhärenten Eigenschaften der Wohnung selbst.
Genauso ist’s bei Software – die kann sehr wohl auch selbst verkauft werden, und das passiert ja auch ständig, z.B. ist es der normale Modus, in dem Freelancer arbeiten: die gesamte Software geht komplett in den Besitz der auftraggebenden Firma über, nicht nur igendwelche Nutzungsrechte. Nur für Microsoft ists natürlich sehr viel profitabler, wenn sie nur die Nutzungsrechte verkaufen, anstelle den Kunden die Software selbst inklusive sämtlicher Möglichkeiten, sie anzupassen, zu kopieren und (Kopien) weiterzuverkaufen etc. zu verkaufen.
Du kannst jetzt wieder sagen, dass der essenzielle Unterschied in der Exklusivität liegt – die Wohnung kann nur von einer Person/Familie gleichzeitig bewohnt werden, während die Software von beliebig vielen Personen genutzt werden kann. Dieser Unterschied ergibt sich aber v.a. daraus, dass du unterschiedliche Einheiten vergleichst – ein „Exemplar“ der Wohnung vs. alle Exemplare der Software. Aber tatsächlich ist der Wohnungseigentümer ja nicht notwendigerweise auf ein Exemplar beschränkt – er kann sehr wohl weitere Exemplare z.B. eines Reihenhauses herstellen (zu einem billigeren Preis als das erste Exemplar), solange bis er den gesamten zahlungskräftigen Bedarf gedeckt hat (oder bis er keinen Bauplatz mehr findet, was aber oft erst nach der Ende des Bedarfs der Fall sein würde und dann keine Rolle mehr spielt). Analog dazu verkauft/vermietet MS so viele Exemplare von Windows, bis der zahlungskräftige Bedarf gedeckt ist.
Unter kapitalistischen Verhältnissen liegt der Unterschied zwischen beiden nur darin, wie sich die Produktionskosten, d.h. das benötigte Kapital das der Kapitalist vorstrecken muss, um später Gewinne machen zu können, unterschiedlich verteilen. Bei Reihenhäusern sind die Kosten für Einheit 1 im Vergleich zu den späteren Einheiten nicht so viel höher, bei Software fallen dagegen nahezu die gesamten Kosten schon für die Produktion einer einzigen Einheit an und die Produktion weiterer Einheiten kostet dann extrem wenig.
Dementsprechend müssen MS und der Vermieter unterschiedlich kalkulieren: der Bau von Wohnungen lohnt sich u.U. schon ab einer einzigen Einheit, während MS es schaffen muss, sehr viele Kopien ihrer Software zu verkaufen/vermieten, um überhaupt einen Profit zu machen (nachdem die Kosten für Einheit 1 wieder eingefahren sind). Wenn du also glaubst, dass du von MS keine Gegenleistung für dein Geld kriegst, tust du MS schlicht und einfach unrecht.
Wenn du dagegen fragst, ob es denn nicht bessere und effizientere Arten und Weisen gibt, die Produktion zu organisieren, dann werde ich dir natürlich sofort wieder zustimmen. Aber das gilt dann eben (IMHO) nicht nur für Software, nichtstoffliche Güter, oder „Universalgüter“, sondern betrifft den gesamten Produktionsprozess.
@Benni: Hast du Lust bei Gelegenheit mal die „Virtuosität“ in einen Beitrag einzubauen? Dann würde ich dort fragen. Das führt hier jetzt etwas weg.
Und Ökonomie: Ja, kann sein, dass wir eine unterschiedliche Auffassung von Ökonomie haben. Mir geht es nicht um die Produktion unter kapitalistischen Bedingungen, sondern um die kapitalistische Produktion. Das ist für mich nicht das selbe. Ich denke, dass es eine Alternative für eine Freie Gesellschaft nicht innerhalb von Ökonomie gibt, sondern nur jenseits davon. Die erste Formulierung trennt die Produktion von den Bedingungen und legt nahe, es wären nur die Bedingungen für eine quasi neutral verstandene „Produktion“ zu ändern, während die zweite Formulierung die (Selbst-)Reproduktion des Kapitalismus als System zu untersuchen zum Ziel hat, woraus für eine Alternative folgt, dass der gesamte Reproduktionszusammenhang aufzuheben ist.
Mir ist das zum Beispiel so deutlich bei Negri aufgefallen. Der argumentiert nicht mehr ökonomisch, sondern versucht sozusagen die „Sphärenspaltung“ auf einmal in den Begriff zu bekommen (Produktion und Reproduktion). Das ist mir vom Ansatz her sympatisch, aber was raus kommt, ist sehr diffus.
Der Nachteil bloß ökonomischer Argumentationen – um das auch noch klar zu sagen – ist, dass man die Sphärenspaltung schon theoretisch reproduziert. Traditionell wird dann nur quasi „additiv“ der „Rest“ der gesellschaftlichen Reproduktion hinzufügt („Überbau“ u.gdl.). Solange man den Kapitalismus auf seiner eigenen kategorialen Grundlage untersucht, kommt man da schwer raus (außer sich genau das klarzumachen). Das wäre dann so meine eigene Kritik an meinem Ansatz;-)
ad Christian und Stefan: Danke fuer eure ausfuehrlichen Argumentationen. Wenn ich euch lese ich geneigt jeweils dem, der als letzter gepostet hat, recht zu geben. Ich habe mir ueberlegt woran das liegt, hier ein Versuch der Klaerung, vielleicht traegt er ja irgendwas bei:
Stefan hat recht, weil er den Begriff der Ware differenzierter definiert. Damit kommt dann auch potenziell Neues im Alten zum Vorschau. Christian hat recht, weil er mit weniger Kategorien auskommt, seine Herangehensweise ist unmittelbar einleuchtender. Was auch damit zusammenhengen mag, dass er das Alte im Neuen aufzeigt, und das Alte kennen wir besser als das Neue. Es ist uns unmittelbar vertraut.
Bezugnehmend auf einen anderen Thread, moechte ich darauf hinweisen, dass der Unterschied, den ich beschrieben habe, m.E. nicht mit Sein vs S/Wollen verwechselt werden sollte. Beides sind gute Beschreibungen des Seins, sie sind sich aber ziemlich uneins was das Sollen angeht.
zunäxt ein bissel vokabel-kritik:
du schreibst, nicht-stoffliche güter bräuchten einen träger, der bei dienstleistungen der erbringer wäre. ich würde sagen: die erbringung selber. denn nach ende des haareschneidens ist ja das gut „haare-schneiden“ weg, auch wenn der mensch mit der schere in der hand weiterlebt. oder ist die dienstleistung nicht das kürzen der haare sondern der zustand der kurzen haare?
ich würde exklusive güter eher aus ausschließend bezeichnen, nich als ausschließbar. denn es geht ja nicht darum, die nutzung des gutes selber auszuschießend (die nutzung von atombomben etwa sollte m.e. ausschließbar sein, im sinne von: ausgeschlossen werden können.
sind öffentliche güter für dich auch private güter? wie unterscheiden sie sich von freien gütern? und was zählt jetzt alles zu den universalgütern? nur wissen bzw. informationen? oder gibts da noch mehr? wie ist das etwa mit luft, die ich zwar chemisch analysieren, aber nicht wirklich „anfassen“ kann?
Aber sind Universalgüter mit Preis Waren? Ich würde sagen ja. Weil Waren sich zunächst dadurch auszeichnen, einen Tauschwert zu haben. Dem liegt (in der Regel) ein Wert zugrunde, was etwa bei Informationen umstritten ist. Aber ich würde schon sagen, das es sie zur Ware macht.
ansonsten finde ich die überlegung spannend, für bestimmte ergebnisse von handlungen nicht (mehr) die bezeichnung gut zu verwenden. wird etwa wasser nur dadurch zum exklusiven etwas, weil es als solches behandelt wird? oder informationen: die als „gut“ zu bezeichnen, is ja immer schon recht konstruiert, weil sie ja tatsächlich nicht ausgetauscht werden, nicht die besitzerin wechseln. oder luft: die müsste erst ordentlich als gut hergestellt (materiell als verkaufbares-etwas, ideell durch definition) bevor sie sich tatsächlich als gut begreifen ließe. ich weiß noch nicht was ich von der virtuosität halten soll, aber diesem gedanken sollte mensch m.e. weiterverfolgen…
auch die exklusivität bei – sagen wir mal – bohrmaschinen ist ja auch eine relative. okay, nur ein mensch kann damit ein loch gleichzeitig bohren. aber es wären durchaus gesellschaftliche vereinbarungen denkbar, in denen bohrmaschinen von mehrern menschen oder haushalten oder bolos genutzt werden. immer nur ein loch, klar. aber ganz so exklusiv ist das dann schon nicht mehr, irgendwie. (nicht das ich das jetzt genauer ausführen könnte, aber das is bestimmt so *g*)
@Christian: Ok, nehmen wir das Beispiel „Wohnung“. Die Schwierigkeit in unser Debatte besteht nun jedoch darin, dass wir von der Form- zur Wertseite übergewechselt sind. Das macht es nicht einfacher oder klarer, sondern verleitet eher zu weiteren Vereinfachungen. Mal sehn.
Wohnungen sind stoffliche, rivale, exklusive Güter. Werden sie für die Verwertung hergestellt, dann sind sie Waren. Verwertung kann Verkauf oder Vermietung sein, das ist in der Tat kein Unterschied. Der „Nicht-Unterschied“ besteht hier jedoch darin, dass es egal ist, ob sie auf „einen Schlag“ oder „anteilig“ verwertet werden. Eine Wohnung unterliegt nämlich dem „technischen Verschleiß“. Nach x Jahren ist sie verbraucht. Dann kann man sie noch mal aufpäppeln, aber lassen wir das mal außen vor. Verkauf oder Vermietung für x Jahre entspricht – gesellschaftlich durchschnittlich – ihrem Wert, also der Menge an Arbeitskraft, die reingesteckt wurde. Unterm Strich: eine ganz normale Ware. Für alle stofflichen Güter gilt: Das Verwertungsmodell ist unerheblich (also in welcher Weise der Wert in der Zirkulation realisiert wird).
Es handelt sich bei der Vermietung jedoch nicht bloß um den Verkauf einer Nutzungserlaubnis, sondern die Wohnung geht bei Vermietung real in den Besitz des Mieters über (nicht zu verwechseln mit dem Eigentum, dass beim Eigentümer verbleibt). Dieser „verbraucht“ anteilig das Gut und gibt den Besitz irgendwann zurück.
Bei Software ist alles anders: Sie ist nicht-stofflich, nicht-rival, nicht-exklusiv und sie verschleißt technisch auch nicht (sie verschleißt höchstens „moralisch“ – so nannte das Marx -, dass heißt sie „veraltet“, was aber auch der Wohnung passiert). Software geht nicht in den Besitz des „Mieters“ über, und sie wird nicht anteilig verbraucht. Diese Besonderheiten müssen sich auch kategorial niederschlagen – das ist mein Schluss.
So. Jetzt wechselst du in deiner Argumentation noch mal die Ebene, indem du von Werten zu Preisen/Kosten übergehst. Das funktioniert nicht, da siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Was der Kapitalist sich für seine Investitionen an ROI ausrechnet, hat erstmal wenig mit der Wertebene zu tun. Es muss nur im Ganzen aufgehen. Genauso ist „Gegenleistung“ keine ökonomisch zu diskutierende Frage (Da kann ich nur sagen: „Von Microsoft bekomme ich nur Mist als Gegenleistung, weswegen ich die Lizenz gar nicht erst kaufe“).
Wenn du die Frage werttheoretisch angehen willst, dann musst du IMHO die Dimension der produktiven/unproduktiven Arbeit hinzunehmen. Das habe ich in einem Aufsatz versucht, den du vermutlich kennst. Das führt aber weiter weg und hat erstmal nicht direkt etwas mit meiner ursprünglichen Frage nach dem Charakter von Universalgütern zu tun. Die Fragen bleiben.
@Juli: Danke für Vokabelkritik, Fragen und Kommentar! Ein paar Antworten dazu:
Ist der Erbringer der Träger einer Dienstleistung (wie die CD bei der Software)? — Nein, hast recht, wohl nicht. Die Dienstleistung ist der Vollzug, nicht das Ergebnis des Vollzugs (Produktion und Konsumtion fallen zusammen).
Sind exklusive Güter nicht eher „ausschließend“ statt „ausschließbar“? — Auch richtig, „ausschließend“ ist sinnvoller.
Können öffentliche Güter auch private Güter sein? — Da spricht nix dagegen, und zwar wenn sich der Privateigentümer dazu entschließt.
Wie unterscheiden sich öffentliche Güter von freien Gütern? — Freie Güter kennen kein Eigentum.
Was zählt alles zu den Universalgütern – nur Wissen bzw. Informationen? — Kultur fällt mir noch ein.
Wie ist das etwa mit Luft? — Luft ist ein stoffliches (und freies) Gut (auch wenn ich sie nicht anfassen kann).
Sind Universalgüter mit Preis Waren? — Tja, das ist die Knackfrage. Ernst Lohoff sagt nein. Du sagst ja. Ich sage: Kommt drauf an. Da haben wir also noch was zu klären:-)
Waren haben einen Tauschwert, und dem liegt (in der Regel) ein Wert zugrunde. — Nein, vom Tauschwert kann man nicht notwendig auf Wert schließen (du scheinst selbst nicht ganz sicher zu sein).
Müssen wir den Begriff „Gut“ nicht in Frage stellen? Wird durch die Bezeichnung als „Gut“ nicht erst das Gut konstruiert? — Ja, da ist was dran, es handelt sich um eine Realabstraktion.
Ist Exklusivität nicht relativ (Beispiel: Bohrmaschinen werden nicht permanent benutzt)? — Theoretisch nicht, praktisch schon. Das war auch alles mal anders. Die Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus ist auch die einer zunehmenden Monadisierung, in der jede Monade einen eigenen Maschinenpark benötigt. Das können wir durch Teilen und Absprachen mindern, aber nicht aufheben.
@Thomas Berker:
Nanu? Auch wenn Stefans und meine Analysen des Seins in gravierenden Punkten weit auseinanderklaffen, würde ich doch denken, dass wir uns in Bezug auf das Wollen noch relativ leicht/weitgehend einigen könnten 🙂
Und was das „Neue im Alten“ (bzw. einfach das Neue) betrifft, sehe ich das in der Freien Software, nicht in dem was Microsoft macht (die machen das Alte, in einem neuen Gebiet).
Ja, da war ich natuerlich schon ein paar Schitte weiter (zu weit?) galoppiert. Ich hatte vorausgesetzt, dass die Annahmen darueber, wo das Neue im Alten aufhoert und das Alte im Neuen anfaengt, unmittelbare politische Konsequenzen haben wuerden. Aber da wart ihr ja noch gar nicht 🙂
@Stefan: ok, die Wertformanalyse wird bei frei kopierbaren Gütern natürlich tatsächlich knifflich. Holger (Weiß) will seine Diplomarbeit zu dem Thema schreiben, insofern wird er wahrscheinlich nicht unglücklich sein wenn wir das hier und jetzt noch nicht komplett klären können 😉
Meine ungefähre Vorstellung dazu wäre: der Wert einer Ware ergibt sich ja nicht aus der dafür konkret aufgewendeten Arbeit, sonden der durchschnittlich nötigen – eine Ware wird nicht dadurch mehr wert, dass die Arbeiter/in langsam, ungeschickt oder unerfahren ist. Die Erfahrenheit ist so ein Faktor, der sich im Laufe eines (Arbeiter-)Lebens zwangsläufig ändert: für die zuerst produzierten Waren braucht man länger, später gehen sie dann immer leichter von der Hand. Trotzdem haben die zuerst produzierten keinen höheren Wert als die späteren – worauf es ankommt, ist der Durchschnitt.
Das ist IMHO ein wichtiger Hinweis für den Wert proprietärer Software: wenn man nur die konkret für die Herstellung einer Kopie aufgewendete Arbeit anschaut, wäre der Wert der 1. Kopie von Windows extrem hoch (da stecken viele tausend Personenjahre teilweise hochqualifizierter Spezialist/innen drin), der Wert aller weiteren Kopien hingegen nahezu null (da sie völlig mühelos hergestellt werden). Aber da es, wie bei anderen Waren, nicht auf die konkrete, sondern auf die durchschnittliche Arbeit ankommt, mittelt sich das aus. Der Wert von Windows kann nicht willkürlich einer einzigen Kopie zugeordnet werden (was ja auch seltsam wäre, weil man im nachhinein die 1. „wertvolle“ Kopie gar nicht mehr von den späteren „wertlosen“ unterscheiden kann), sondern verteilt sich gleichmäßig über alle Kopien.
Das würde bedeuten, dass, wenn MS weitere Exemplare von Windows verkauft/vermietet (*), ein zuvor an mich verkauftes/vermietetes Exemplar unmittelbar an Wert verliert. Das ist erstmal sehr kontra-intuitiv. Aber beim „moralischen Verschleiß“ passiert ja etwas ähnliches: wenn jemand eine neue Methode erfindet, Stühle effizienter herzustellen, sinkt der Wert nicht nur aller neuen, sondern auch aller zuvor hergestellten Stühle. Insofern könnte man vielleicht sagen, dass Microsoft seine Software quasi „moralisch verschleißt“ indem es sie verkauft/vermietet 😉
(* Welche Rechte mir da verkauft/vermietet werden, halte ich erstmal für keinen so entscheidenden Punkt – ein Mieter darf mit seiner Wohnung nicht alles machen, z.B. darf er eine Privatwohnung nicht gewerblich nutzen, ebenso darf ich mit meiner Windows-Kopie nicht alles machen.)
Soweit mein zugegebenermaßen etwas spekulativer Vorgriff dazu, aber hier mach ich mal nen Punkt in dieser ausufernden Diskussion. Holger kann uns dann in ein paar Monaten hoffentlich mehr dazu sagen 🙂
@Christian: Ich bin sehr neugierig auf die Arbeit von Holger. Ja, wir sollten jetzt mal stoppen und nicht alles verraten;-)
Nur einen Hinweis noch, nur noch einen zu deinen Überlegungen, Christian: Durchschnitt, na klar, Durchschnitt, aber nicht der Durchschnitt über die Zeit eines individuellen Arbeiterlebens, sondern gesellschaftlicher Durchschnitt – nur so und nicht anders ist die Verwendung der Kategorie „Wert“ sinnvoll. Also nicht nur „Ware ist eine gesellschaftstheoretische Kategorie“ (These 3 im Kommentar 4), sondern auch „Wert“. — Na mal sehn, wie’s Holger anpackt…:-)
@ALLE: Vielen Dank für die Kommentare und Kritiken — sie haben mir wirklich weitergeholfen!
Nachtrag @Juli:
Zu deiner Anmerkung
habe ich vorschnell geschrieben
Das nehme ich nun doch wieder zurück: Es muss „ausschließbar“ heißen. Denn es geht genau darum, „die nutzung des gutes selber auszuschießen“. Es handelt sich also nicht um eine immanente Guteigenschaft, sondern um die Möglichkeit (für den Verkäufer), den Zugriff auf das Gut auszuschließen.
Demgegenüber ist Rivalität eine immanente Guteigenschaft. Dewegen ist rivalisierend (statt etwa „rivalisierbar“) hier richtig.
Die Aussage, dass die Nutzung von Atombomben ausgeschlossen sein sollte, meint ja eigentlich, dass sie gar nicht erst produziert werden sollten. – Ist also eine andere Ebene.
dem Philosoph ist nix zu doof!
Hätte gern mal was erfahren über die kapitalstische Produktionsweise und deren konkreten (aktuellen) Zwecke und Gründe (sei es staatlicher Entscheidungen oder individueller Zwecksetzung).
Nix davon ist zu sehen. Stattdessen, ideologisches Geschwätz über universelle Güter etc. im Hinblick auf eventuelle Perspektiven im hier und jetzt.
Ihr könntet euch schon mal überlegen, ob ihr den Kapitalismus in seinen Gründen und Zwecken erklären wollt und damit die Grundlage schaffen wollt für seine Beseitigung oder ausgerechnet in ihm Perspektiven und Gelegenheiten entdecken wollt für eine zukünftige menschliche Gesellschaft.
Beides, Herbert, beides…