Die Gesellschaft nach dem Geld (1)

Streifzuege 78[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]

Das ganze wissenschaftliche Denken ist von Ware und Geld besetzt. Das ganze Denken? Nein, ein kleines gallisches Dorf …, ähm, ein kleines wissenschaftliches Forschungsprojekt erforscht eine Gesellschaft nach dem Geld (GndG). Und damit eine Gesellschaft jenseits von Ware, Tausch, Markt und Staat obendrein. Gefördert von der Volkswagenstiftung. Verrückte Dinge geschehen in schier unverrückbaren Zeiten. Doch der Reihe nach. In zwei Kolumnen möchte ich über die Grundlagen und die Umsetzung des GndG-Projekts berichten, in dem ich mitarbeite. Zunächst also zur Entstehung und den theoretischen Grundlagen.

Das Programm „Originalitätsverdacht“ der Volkswagenstiftung (die unabhängig vom VW-Konzern ist) lud ein, Anträge zu Themen zu stellen, die nach gängigen Kriterien keine Chance auf Förderung hätten. So taten sich Wissenschaftler*innen von drei Unis und dem Commons-Institut zusammen und stellten einen Antrag für ein Kurzprojekt „Die Gesellschaft nach dem Geld“. Der Antrag kam durch, und die „Eröffnung eines Dialogs“, wie diese erste Phase betitelt ist, gelang. Die Ergebnisbände „Postmonetär denken“ bzw. „The Society after Money“ dokumentieren die Reflexion über postmonetäre Praktiken, Theorien und Utopien.

Die zweite Phase, die nach erneuter erfolgreicher Antragstellung ebenfalls von der Volkswagenstiftung gefördert wird, erstreckt sich über vier Jahre. Aktuell ist ein Drittel der Förderzeit absolviert. Es geht um die Entwicklung einer postmonetären Gesellschaft als Computer-Simulation. Das gibt es bisher noch nicht. Allerdings gab es mit der Socialist Calculation Debate der 1920/30er Jahre einen Vorläuferdiskurs, in dem ähnlich „große Fragen“ diskutiert wurden und der mit dem „Computersozialismus“ (Cockshot/Cottrell u.a.) aktuell Anschlüsse gefunden hat. Allerdings gehen die Intentionen unseres Simulationsprojekts viel weiter.

Im Unterschied zu liberalen und sozialistischen Modellen – da gibt es große Ähnlichkeiten – verzichtet das GndG-Projekt auf vier sonst übliche Setzungen.

(1) Tausch ist die natürliche Beziehungsweise von Menschen. Diese Annahme verewigt nicht nur historisch gewordene besondere Sozialbeziehungen, sondern mündet notwendig in die Seligsprechung der verallgemeinerten Formen des Äquivalententausches (Tausch gleicher Werte bzw. Herstellaufwände), des Marktes (Tausch als gesellschaftlich bestimmende Form von Sozialbeziehungen) und des Geldes (Geld als allgemeine, sich gegen alle Waren tauschende Ware).

(2) Bedürfnisbefriedigung wird vorwiegend durch Konsum realisiert. Diese Annahme sowie die Ansicht, dass Arbeit eher mit Plage und zu vermeidender Mühsal verbunden ist, spiegelt tatsächliche Knechtschaftsverhältnisse im Kapitalismus wider. Es zeigt den Fetischismus, dem wir unterliegen: Die sachlich-re/produktive Seite des „Reiches der Notwendigkeit“ hat sich gesellschaftlich unserer Verfügung entzogen und zeigt sich nurmehr als verselbstständigtes Hamsterradgesetz der Konkurrenz, während wir uns nur außerhalb der Arbeit im „Reich der Freiheit“ als Konsumwesen verwirklichen können. Wissenschaftlich tritt uns diese Annahme als Figur des homo oeconomicus, des isolierten nutzenmaximierenden Individuums, entgegen.

(3) Gesellschaften gründen auf dem Gegeneinander von Interessen. Diese Annahme wurde von Adam Smith dahingehend gewendet, dass, über den Markt vermittelt, das bornierte Verfolgen eigener Interessen im Ergebnis zu maximaler Wohlfahrt für alle führe. Allerdings brauche es dann, so Thomas Hobbes, einen „Leviathan“ (Staat), der regulierend Rahmenbedingungen setze und Konflikte vermittle.

(4) Eigentum sichert Produktion und Verteilung. Hier unterscheiden sich liberale und sozialistische Sichtweisen dann doch. Während das Privateigentum in liberaler Sicht entscheidender Anreiz für wirtschaftliche Aktivität sei, weil andere – staatlich sanktioniert – von der Nutzung von Produktionsmitteln und den Ergebnissen der Produktion ausgeschlossen werden könnten, ermögliche das Staatseigentum in sozialistischer Sicht eine zentrale Regulation oder gar Planung der Wirtschaft, um auf diese Weise negative Effekte eines freien Marktes auszugleichen. Arbeitszwang und Exlusionslogik wohnen jedoch beiden Ansätzen inne, in der sozialistischen Variante jedoch in abgeschwächter Form.

Wir nehmen hingegen an:

(1) Die individuelle Kopplung von Geben und Nehmen als „Tausch“ ist keine natürliche Vermittlungsform von gesellschaftlichen Beiträgen und Entnahmen: Beiträge und Entnahmen erfolgen freiwillig und bedürfnisbasiert.

(2) Bedürfnisbefriedigung entsteht nicht allein durch Nutzung von Befriedigungsmitteln, sondern ebenso durch Schaffung derselben: Menschen besitzen beitragsbezogene produktive wie nutzenbezogene sinnlich-vitale Bedürfnisse, die aneinander gekoppelt sind.

(3) Es braucht keine von der gesellschaftlichen Vermittlung von Beiträgen und Entnahmen getrennte Instanz der Regulation: Bedürfnisunterschiede nehmen keine Interessenform an, die im Gegeneinander politisch durchgekämpft werden müssen, sondern sie werden als solche, als Bedürfniskonflikte, verhandelt – und zwar als eingebetteter Bestandteil der gesellschaftlichen Vermittlung zwischen Herstellung und Nutzung.

(4) Es gibt kein exkludierendes und rechtlich durchgesetztes Eigentum mehr: Die Verfügung über die Produktion und ihre Ergebnisse erfolgt kollektiv durch die tätigen Menschen. Diese kollektive Verfügung ist vergleichbar mit der heute rechtlichen Form des Besitzes.

Im Buch „Kapitalismus aufheben“ haben zwei Projektmitglieder wesentliche Grundlagen für das Projekt entwickelt. Sie konnten theoretisch zeigen, dass Freiwilligkeit (1) und kollektive Verfügung (4) eine gesellschaftliche Struktur der Inklusionsnahelegung erzeugen. Diese unterscheidet sich fundamental von der kapitalistischen Exklusionslogik. Die Annahme der produktiven Bedürfnisse (2) gewannen wir aus der Kritischen Psychologie, und die Kritik der Interessen- und Staatsform (3) ist wertkritischen Analysen zu verdanken.

Doch sind diese theoretischen Überlegungen zutreffend? Wie lassen sie sich empirisch prüfen, fehlt doch für eine Simulation eine existierende Vergleichsgesellschaft? Das agentenbasierte Simulationsmodell und unser Forschungsplan sind Inhalte der Kolumne in der nächsten Ausgabe der Streifzüge. Stay tuned!

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