Die Keimformtheorie ist tot! Es lebe die Keimformtheorie!
Nachdem ich etwas holprig bestimmt habe, was Elementarformen sind und welche es bisher in der Menschheitsgeschichte gab und nachdem ich erste Eigenschaften bestimmt habe, die die Elementarform des Kommunismus haben muss, möchte ich jetzt das Thema noch weiter vertiefen und mich dabei auch etwas genauer mit dem Begriff der Keimform auseinandersetzen. Die Diskussion wurde in der Vergangenheit etwas erschwert dadurch, dass es hier in unseren Kreisen zwei Verwendungen des Begriffs gibt. Die erste, die im Untertitel unseres Blogs allgemein beschrieben wird als „Das Neue im Alten“ ist sehr unbestimmt und bezeichnet eigentlich mehr oder weniger alle Ansätze im Hier und Heute, in denen wir Potential sehen für eine Neue emanzipatorische Gesellschaft. Neben dieser Verwendung gibt es noch eine speziellere, wie sie vor allem von Stefan, Simon und anderen in der ungeliebten Nachfolge von Robert Kurz verwendet wird. Sie meinen mit „Keimform“ die Vorläufer der Elementarform der Neuen Gesellschaft in der Alten. Ohne die erste allgemeinere Verwendung des Wortes ausschließen zu wollen, beziehe ich mich im Folgenden auf die zweite, engere Verwendung des Begriffes, weil nur in diesem Sinne von einer „Keimformtheorie“ gesprochen werden kann und weil ich denke, dass ich, nachdem ich etwas präziser verstanden habe als bisher, was die Elementarform einer Gesellschaft ausmacht, ich nun auch etwas präziser bestimmen kann, was die Keimform einer neuen Gesellschaft in diesem engeren Sinn auszeichnen müsste.
- Da die bestimmende Eigenschaft von Elementarformen ist, die Kohärenz einer Gesellschaft herzustellen, kann es nicht mehrere Elementarformen gleichzeitig geben, da eine Gesellschaft nicht auf mehrere Arten kohärent sein kann. Es kann nur eine Elementarform geben.
- Daraus folgt unmittelbar, dass es zu jeder Bewegung von einer Elementarform zu einer anderen auch nur eine Keimform (ge)geben (haben) kann. Es mag mehrere verschiedene Formen gegeben haben, die von der alten Elementarform abgewichen sind, aber nur eine davon konnte sich in einer Richtung zur neuen Elementarform entwickeln. Es kann aber durchaus unterschiedliche Keimformen geben, die sich in unterschiedliche Richtung in der Elementarform-Matrix entwickeln. Vom den agrargesellschaftlichen Imperien aus betrachtet sind also sowohl Warenproduktion als auch Care und Commons Keimformen.
- Wir haben gesehen, dass schon die Veränderung eines Parameters in der Matrix ein extrem seltenes und schwieriges Ereignis ist. Dass sich beide Parameter gleichzeitig ändern, können wir also als nahezu unmöglich ausschließen. Mit anderen Worten: Es gibt keine Keimformen, die zu einer diagonalen Bewegung in der Matrix führen. Das bedeutet also, der direkte Weg von einer imperial organisierten Gesellschaft zum Kommunismus ist ausgeschlossen. Ebenso ausgeschlossen ist aber auch der direkte Weg vom Kapitalismus zu einer auf Commons und Care und interpersonaler Vermittlung basierenden Gesellschaft.
- Aus der Geometrie der Matrix und des Ausschlusses der diagonalen Bewegung folgt also direkt, dass es in jeder Elementarform genau zwei Keimformen gibt. Für uns heute ist das die Keimform des Kommunismus und die der Imperien.
- In allen bisherigen Epochenschritten gab es nur eine Richtung nach vorne oder zurück. Die Geschichte erschien also als linear (nicht im Sinne von nur vorwärts verlaufend, aber im Sinne von nur vorwärts oder zurück verlaufend), obwohl sie schon immer zweidimensional angelegt war. Es wäre eine alternative Geschichte denkbar gewesen, die direkt von den frühen Agrargesellschaften und ihrem Urkommunismus zum Kommunismus verlaufen wäre. Doch als sich der Weg zu den Imperien einmal verfestigt hatte, war der direkte Weg zum Kommunismus bis auf weiteres versperrt.
- Neben diesen existieren aber natürlich auch Commons und Care als potentielle Elementarform weiter. Im Kapitalismus gibt es also zum ersten Mal in der Geschichte eine Form, die weder Keim- noch Elementarform ist sondern sozusagen Keimform im Wartestand oder Keimform zweiter Ordnung.
- Ebenso zum ersten Mal in der Geschichte sind wir im Kapitalismus in einer Situation in der diese Keimform zweiter Ordnung in zwei Richtungen wirken kann. Sie kann sich also mit der Keimform der Imperien verbünden oder mit der Keimform des Kommunismus, je nachdem ob ihr interpersonaler oder ihr kollektiver Aspekt in den Vordergrund gerückt wird. Commons und Care sind also zwar nicht selber Keimformen aber können in der Krise der kapitalistischen Elementarform sozusagen als Zünglein an der Waage entscheiden, in welche Richtung sich die Geschichte bewegt. Für uns arbeitet dabei ihr kollektiver Aspekt, ihr interpersonaler gegen uns.
- Tatsächlich lässt sich genau diese Bewegung immer wieder in Krisen des Kapitalismus beobachten. Diese mögliche Verbindung von Commons und Imperium habe ich schon früh eher intuitiv als die dunkle Seite der Commons benannt. Eine Form die das annehmen kann ist der Faschismus und seine Volksgemeinschaft, religiöser Fanatismus und seine Gemeinschaft der Gläubigen ist eine andere.
- Da Gesellschaften notwendig sehr vielfältige Gebilde sind, folgt aus der beschränkten Zahl von Keimformen, dass Elementar- sowie Keimformen Vielfalt ermöglichen müssen. Also innerhalb eines gemeinsamen Rahmens muss eine große Vielfalt an Erscheinungsformen möglich sein. Warenproduktion z.B. kann eine unendliche Vielfalt von Waren hervorbringen und nur so ist es möglich, dass die Gesellschaft unter dieser Elementarform geeinigt werden konnte. Hierarchie, Loyalität, Befehl und Gehorsam sagen nichts über den Inhalt der Befehle aus. Keimformen sowie Elementarformen sind also auf eine gewisse Weise neutral gegenüber ihrem Inhalt. Sie bleiben auf der interpersonalen Ebene der elementaren Handlungen neutral. Wichtig ist nicht die Person des Königs, sondern das Königtum: Der König ist tot, es lebe der König.
- Auf der transpersonalen Ebene bleiben Keim- und Elementarformen jedoch nicht neutral. Ihre Parteilichkeit zeigt sich durch die Aneignungsart der Elementarform: privat oder kollektiv.
- Materialisierung der Transpersonalität durch die Warenproduktion bedeutet auch, dass sich die Aneignung nun nicht mehr vor aller Augen offen vollzieht sondern, dass sie sich nun hinter dem Rücken der Akteure vollzieht. Während die Profiteure der Extraktion vorher klar sichtbar waren, weil der Wohlstand in der Kasse des Königs oder der Kirche landete, so ist das jetzt erst sichtbar, wenn man gedanklich die Extraktion des Mehrwerts nachvollzogen hat, wofür eine vergleichsweise hohe Abstraktion nötig ist. Die Materialisierung der Elementarform erfordert also eine quasi entgegengesetzte Bewegung der Abstraktion der Kritik.
- Materialisierung der Transpersonalität meint eigentlich also Transpersonalisierung der Aneignung. Die private Aneignung erfolgte vorher mehr oder weniger direkt. Man wusste, wer einen beraubt. Heute kann ich mir tendenziell aussuchen, wer mich ausbeutet, aber dass ich ausgebeutet werde, das kann ich im Normalfall nicht wählen. Die Extraktion des Mehrwerts findet nicht mehr interpersonal statt, erst durch die transpersonalen Kräfte des Marktes und der Konkurrenz wird gewährleistet, dass auch weiterhin eine private Aneignung statt findet.
- Da das Element der Materialisierung der Transpersonalität vom Kapitalismus in der Elementarform des Kommunismus erhalten bleibt, muss also auch die Elementarform des Kommunismus so gestaltet sein, dass sich die dann kollektive Aneignung hinter dem Rücken der Akteure vollzieht. Der Kommunismus kann also nicht die vollständig bewusste Gestaltung der Lebensweise sein. Das könnte man nur erreichen, wenn alle Menschen die hohe Abstraktion aufbringen um die Elementarform und ihre Folgen zu verstehen. Davon ist auch bei sicherlich erhöhtem Bildungsniveau nicht auszugehen. Und selbst wenn es so wäre: Auch heute ändert ja unser Verständnis der Funktionsweise des Kapitalismus nichts daran, dass wir in ihn eingebunden sind und nicht in jedem einzelnen Moment die gesamte Ungeheuerlichkeit seines Funktionierens reflektieren. So wie heute viele Menschen fälschlicherweise denken, sie arbeiteten für sich und in Wirklichkeit für die Verwertung des Kapitals arbeiten, so werden im Kommunismus vermutlich viele alltäglich davon ausgehen, sie tun etwas für sich. Sie werden das auch tun, aber zusätzlich immer auch für alle anderen tätig sein. Die unsichtbare Hand des Marktes muss also durch eine unsichtbare Hand des Kommunismus ersetzt werden.
- In These 2 der 42 Thesen beschrieb ich die Geschichte als einen Evolutionsprozess, der wie alle Evolutionsprozesse durch Mutation und Selektion gekennzeichnet ist. Im Folgenden befasste ich mich dann aber vor allem mit den Selektionsprozessen. Wie aber verändern sich Gesellschaften überhaupt? Selbstverständlich sind Gesellschaften keine statischen, unveränderlichen Gebilde. Die allermeisten Veränderungen finden aber innerhalb der selben Elementarform statt. Die allermeisten Übernahmen einer neuen Elementarform passierten von außen und meistens sehr gewaltvoll. Zunächst durch die Errichtung von Imperien und später durch die europäische Nationenkonkurrenz und den schon früh kapitalistisch motivierten Kolonialismus. Und dennoch bleibt dann ja ein zu erklärender Rest, wie überhaupt eine neue Elementarform in die Welt kommen kann. Nur um diesen Rest rankt sich die Keimformtheorie.
- Das bedeutet aber auch, wir haben es hier mit sehr wenigen historischen Ereignissen zu tun, was die empirische Seite dieser Theorie sehr erschwert. Die imperiale Elementarform entstand vermutlich an mehreren Orten relativ unabhängig voneinander, aber alle diese Ereignisse sind schon sehr lang her und entsprechend dünn ist die Quellenlage. Die kapitalistische Elementarform lässt sich einerseits besser untersuchen, weil sie vor gar nicht so langer Zeit entstand, aber dafür passierte das auch nur genau einmal in England. Zusätzlich wird die Situation auch dadurch erschwert, dass sich so etwas wie eine Veränderung der Elementarform viel schwieriger aus den Quellen ablesen lässt als eine Veränderung innerhalb der Elementarform (wie z.B. die Einsetzung einer neuen Dynastie). Ohne ein Verständnis vom Kapitalismus und seiner historischen Besonderheit, entdeckt man sein Entstehen gar nicht oder überall z.B.
- Bei den ersten beiden Elemementarformwechseln gab es eine Vielzahl von konkurrierenden Gesellschaften, deswegen war es damals möglich, dass eine mehr oder weniger zufällige Veränderung innerhalb einer Elementarform zu einer neuen führen konnte. Wahrscheinlich ist das sogar oft passiert, nur sind die meisten dieser Gesellschaften dann unter- oder in anderen aufgegangen, weil die neue Elementarform nicht konkurrenzfähig war. Nur die imperiale und die kapitalistische Elementarform haben sich als überlegen herausgestellt in dem Sinn, dass sie mehr menschliche Tätigkeit bündeln konnten als die vorherigen Elementarformen (in diesem Sinne ist übrigens jeder bisherige Elementarformwechsel eine Form des auskooperierens). Heute gibt es aber nur noch die eine Weltgesellschaft. Dass heute ein solcher Prozess zufällig startet ist also sehr viel unwahrscheinlicher. Vermutlich würde es sogar irgendwann passieren, sollte es dem Kapitalismus gelingen mehrere tausend Jahre stabil zu sein. So lange wollen wir aber nicht warten, deswegen muss die neue Elementarform diesmal als nicht kontingenter Prozess ins Leben gerufen werden. Es kann also nicht mehr nur um einen Evolutionsprozess von zufälliger Mutation und Selektion gehen, weil die Mutation stark verlangsamt wurde und die Selektion weg fällt (bzw. in das innere des Systems verlagert wurde und damit als Quelle für neue Elementarformen weg fällt).
- Nicht kontingente gesellschaftliche Prozesse gibt es in zwei Varianten. In der ersten unbewussten, tendenziell deterministischen Variante, gibt es materielle Kräfte innerhalb einer Gesellschaft, die auf deren Veränderung drängen. Der stetige Zwang des Kapitalismus zur Innovation fällt z.B. in diese Kategorie. Der klassische Marxismus hat diese Variante immer sehr stark gemacht. Nach dieser Vorstellung führen die inneren Widersprüche des Kapitalismus zu seiner eigenen Abschaffung. Der Innovationszwang führt zur Einsparung von Arbeitskraft, die aber die eigentliche Quelle der Aneignung im Kapitalismus ist, wodurch er sich seiner eigenen Grundlage entzieht. In ihrer moderneren Form findet man diese Vorstellungen z.B. bei Krisis.
- Eine weitere Möglichkeit für einen nicht kontingenten gesellschaftlichen Prozess ist ein bewusster, tendenziell volontaristischer Prozess. Menschen tun sich zusammen, weil sie die Verhältnisse bewusst überwinden wollen.
- Beide Varianten alleine haben vielfältige Probleme, die ich jetzt hier nicht ausführen möchte. Dazu gibt es eine jahrzehntelange Debatte, die auch hier im Blog schon stattfand. Ich denke man kann inzwischen festhalten, dass diese Debatte zwar wichtig ist, aber keine der beiden Seiten sich wirklich durchsetzen kann und sie kaum praktische Relevanz entwickelt hat. Für die Entwicklung einer kommunistischen Elementarform scheint sie eine Sackgasse zu sein.
- Nach der Keimformtheorie in ihrer klassischen Gestalt führt ein (eher) deterministischer Prozess den Kapitalismus in eine Krise, während der bewusste Prozess darin besteht durch Theoriearbeit die Keimform zu identifizieren und diese dann zu fördern, so dass sie im Moment oder auch im längeren Prozess der Krise den Laden übernehmen kann. Diesen grundsätzlichen Ansatz verfolge ich hier weiter auch wenn vermutlich andere Konfigurationen von Determinismus und Volontarismus die generelle Argumentation verhältnismäßig unberührt lassen.
- Als Keimform identifizierten wir damals die Commons Based Peer Production (CBPP). CBPP ist allerdings fast rein auf der interpersonalen Ebene angesiedelt. Deswegen kommt es meiner Meinung nach nicht mehr als Keimform in Frage. Die bisherige Vorstellung war, dass sich durch die Krise die Keimform so stark wandelt, dass sie von der interpersonalen auf die transpersonale Ebene springt („Dominanzwechsel„).
- Damit einher ging oft bewusst oder unbewusst eine falsche Vorstellung von der Entstehung des Kapitalismus, die ich mit Wood und Brenner heute als „Kommerzialisierungstheorie“ kritisieren würde, also eine Vorstellung, dass der Kapitalismus einfach aus einem „mehr“ an Marktwirtschaft und Handel entstanden sei. Und deshalb erschien es plausibel dass auch der Kommunismus einfach aus einem mehr von Commons entstehen könnte. So ließ sich dann eine Parallele behaupten wo keine war. Die Keimformen des Kapitalismus waren dann also der Fernhandel und die Städte. Dem Widerspruch dass es diese Jahrtausende lang gab, aber keinen Kapitalismus, haben wir uns nie so wirklich gestellt.
- Die Keimform des Kapitalismus, entsteht also erst im England in der frühen Neuzeit als Agrarkapitalismus.
- Analog sind die Formen, die wir bisher als Keimformen identifiziert haben (Freie Software, Commons, CBPP, …) also keine Keimformen! Das bedeutet aber nicht, dass sie für eine Transformation zum Kommunismus unwichtig sind. Auch Handel und städtisches Bürgertum hatten eine wichtige Rolle bei der Transformation des Agrarkapitalismus zum Industriekapitalismus und erst dieser war dann in der Lage die alten Formen auszukooperieren (durch Entfesselung der Konkurrenz in diesem Fall).
- Auch die empirische Seite spricht, fast zwanzig Jahre nachdem wir zum ersten Mal diese Ideen besprochen haben, wie ich finde eine sehr deutliche Sprache. Wir hatten die Vorstellung, dass sich die „Produktionsweise Freier Software“, wie wir es damals genannt haben, in immer mehr Bereiche ausweitet weil sie effektiver ist als die Warenproduktion. Tatsächlich ist das in einem gewissen Sinn auch geschehen. Aber es haben sich zum einen auch klare Grenzen dieses Prozesses gezeigt (und auch bei weitem nicht nur in der im engeren Sinne materiellen Produktion). Zum anderen hat sich ein weiteres mal die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus gezeigt: Das immaterielle Eigentumsregime wurde angepasst und verschärft und ein neuer Plattformkapitalismus ist entstanden, für den Freie Software keine Bedrohung sondern die Luft zum Atmen ist. Die neuen Plattformen (Google, Facebook, Amazon, Microsoft, …) haben gelernt Freie Software so zu integrieren, dass sie ihnen nicht bedrohlich werden können und sind gleichzeitig durch Netzwerkeffekte quasi unangreifbar geworden. Gleichzeitig gibt es selbst im Kernbereich, also Software, sozusagen dort wo das Heimspiel der CBPP stattfinden sollte, noch immer große Bereiche, die sich weit entfernt davon zeigen, von den Commons bedroht zu sein (zB Branchensoftware, Computerspiele, …). In diesen Grenzen der einst erhofften Ausweitung spiegelt sich die eingeschränkte Möglichkeit durch die interpersonale Beschränkung von Commons und Care.
- Tatsächlich hat sich die Krise des Kapitalismus in den selben zwanzig Jahren aber weiter verschärft. Neue faschistische oder protofaschistische Bewegungen haben Zulauf, das Klima wurde nicht gerettet trotz vieler schöner Worte usw. ihr kennt die ganze Leier.
- Wenn wir uns auch weiter auf die Suche nach der Keimform des Kommunismus begeben wollen (und angesichts der verschärften Krise ist das meiner Ansicht nach tatsächlich alternativlos) müssen wir Ausschau halten nach Akteuren, Phänomenen und Ereignissen, die die Kollektivität der Commons mit der Transpersonalität des Kapitalismus verbinden.
- Vielleicht noch wichtiger ist aber, dass wir um jeden Preis verhindern müssen, dass die alte imperiale Elementarform durch ein Bündnis der interpersonalen Commons mit der privaten Aneignung wieder stärker wird, denn dann ist der Weg zum Kommunismus bis auf weiteres versperrt.
- Das hat einige ganz konkrete politische Implikationen: Ja, die EU ist in ihrer jetzigen Gestalt ein neoliberaler Sauhaufen, der über Leichen geht, dennoch ist sie zu verteidigen gegen die neuen Nationalisten. Ja, TTIP ist schlimm für Arbeitnehmerrechte und die Umwelt, dennoch ist das schlimme am Welthandel weder dass er Handel ist (Zur Erinnerung: Kommerzialisierungstheorie vermeiden!), noch dass er weltweit stattfindet, denn die Kooperation aller Menschen ist unser Ziel!) und für Welthandel braucht man bis auf weiteres Handelsabkommen. Überall wo der Kapitalismus Grenzen einreißt, weil sie seine transpersonale Logik behindern, sollten wir mit helfen. Überall wo er Grenzen errichtet, um sein Aneignungs- und Eigentumsregime durchzusetzen, bekämpfen wir sie.
- In der alten Keimformtheorie sprachen wir von „doppelter Funktionalität“, die die Keimform braucht. Sie muss einerseits das Neue schaffen, aber andererseits vom Alten gebraucht werden. Das kann ich jetzt neu als doppelte Keimform bezeichnen. Weil es sich nicht um eine Form mit zwei Funktionen sondern um zwei unterschiedliche Formen handelt: Die Keimform und die Keimform zweiter Ordnung.
- „Jenseits von Staat und Markt“ ist eine zu vereinfachende Formel. Sie passt für Commons und Care, weil diese sich tatsächlich auf der anderen Seite der Elementarformmatrix befinden. Staat und Markt sind die zentralen transpersonalen Institutionen des Kapitalismus. Zumindest für die eine der beiden Keimformen, brauchen wir sie also doch noch. Es geht auch nicht nur darum, dass wir „Dämme bauen, damit wir Schiffe bauen können“, wie das alte Bild für die Rolle von Umverteilungs-, Reform- oder Klassenkämpfen im Umfeld der klassischen Keimformtheorie war. Es geht um eine neue eigenständige Rolle von Staat und Markt.
- Das kann aber nicht bedeuten, dass wir einfach dazu zurück kehren den Staat als quasi neutrale Form zu übernehmen und nach unserem Willen zu Formen, wie das der traditionelle Sozialismus will. Der Staat ist nur da für uns wichtig, wo er enteignet. Umverteilung ist dabei nur die kleine Schwester der Enteignung und als solche auch schon mal nicht schlecht.
- Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Kern jeden Staates ist die Gewalt und deswegen kann er keine Rolle im Kommunismus spielen. Im Staat lauert auch die alte imperiale Form immer auf ihre Chance. Der Staat ist entstanden als Imperium und er wurde in langen Kämpfen in seine heute in einigen Ländern transpersonalisierte Form als Rechtsstaat gezwungen. Deswegen kann es auch nicht unsere Strategie sein, den Staat mit den Commons zu vereinen. Das führt zurück zur imperialen Form.
- Auch den Markt können wir nicht einfach regulieren, wie es die Sozialdemokratie versucht hat. Im Gegenteil brauchen wir ja gerade die deregulierende, transpersonale, entgrenzende Funktion des Marktes.
- Die Kombination eines enteignenden Staates und eines entgrenzten Marktes ist nicht dazu gedacht zu stabilisieren. Sie ist dazu gedacht im Moment in dem die kapitalistische Keimform in die Krise gerät (also eigentlich immer, weil der Kapitalismus seine eigene Krise erzeugt), die richtige Richtung zu wählen. Kritiken, die darauf abzielen, dass das nicht „funktionieren“ können, verfehlen also den Punkt.
- Die Keimform des Kommunismus enthält also drei Komponenten: Die Kollektivität der Commons, die Enteignung durch den Staat und die Entgrenzung des Marktes.
- Ein politisches Projekt, dass diese Parameter erfüllt ist inzwischen ein Klassiker: Das Grundeinkommen. Wenn es hoch genug ist um nicht einfach nur eine Verschärfung des Neoliberalismus zu sein, enthält es eine Umverteilungskomponente. Gleichzeitig entgrenzt es den Markt, weil der klassische regulierende Sozialstaat aufgelöst wird. Deswegen feiern ja viele liberale das Grundeinkommen, weil es deren Fetisch vom „Unternehmertum“ bedient. Und schließlich ermächtigt es die Commons und ermöglicht Care, weil es Zeit schafft an ihnen zu arbeiten. Das ist jetzt aber nur als Beispiel zu sehen, in welche Richtung ich denke. Ich sage nicht, dass das Grundeinkommen die Elementarform des Kommunismus ist, ich sage nur, dass es zu meiner kategorialen Bestimmung passt. Es kann also möglicherweise dazu beitragen einen bereits destabilisierten Kapitalismus in die richtige Richtung zu schubsen.
- Ich denke mit dieser neuen kategorialen Bestimmung der Keimformen haben wir auch mehr Möglichkeiten in politische und gesellschaftliche Kämpfe in unserem Sinne zu intervenieren. Die alte Keimformtheorie hatte teilweise einen Hang zur Weltferne. Die Krise nimmt ihren Verlauf und wir bauen nebenher unsere neue schöne Halbinselwelt und hoffen einfach, dass wir schnell genug fertig sind. Tatsächlich entscheidet sich aber auch in den Kämpfen ums Klima, um Care, die Vielfalt der Geschlechter und Identitäten oder auch ganz klassisch um Lohn, Miete, Bildung, Freizeit oder Gesundheitsversorgung auch in ihren klassischen Arenen Staat und Markt in welche Richtung der Laden kippt.
- Die mehr oder weniger klassische Linke, die sich in all diesen Kämpfen bisher mal mehr mal weniger erfolgreich rumtreibt hat bisher auf die Commons- oder Keimformtheorien auf eine von zwei Arten reagiert: Entweder wurde die interpersonale Beschränktheit der Commons in den Vordergrund gestellt und damit der ganze Ansatz verdammt („Die Genossenschaftbewegung ist doch schon im 19. Jahrhundert gescheitert!“) oder umgekehrt wurden die Commons oder auch Care theoretisch so aufgebläht das man alle jeweiligen Lieblingsprojekte darunter fassen konnte („Rojava ist Commons!“, „Alle Wirtschaft ist Care!“). Mit meiner neuen Bestimmung hoffe ich klar machen zu können worin tatsächlich die Potentiale der uralten Prinzipien von Commons und Care liegen und was wir von heute nicht aufgeben dürfen, wenn wir eines Tages die Welt so einrichten wollen, dass alle Menschen kriegen, was sie brauchen.
Danke wieder an Franziska für ihre produktiven Missverständnisse und natürlich an Stefan und Simon, ohne deren Buchprojekt ich über all das nicht noch mal angefangen hätte so gründlich nachzudenken und natürlich alle anderen mit denen ich in all den Jahren hierüber nachdenken durfte.
Eigentlich gäbe es noch eine dritte Keimform, nämlich jene, die K. Holzkamp bei K. Marx gefunden hat, der geschrieben hat, dass der Mensch der Schlüssel zum Verständnis des Affen sei und damit postulierte, dass man die entwickelte Stufe kennen muss um deren Keimformen zu erkennen. Aber gut, hier wird vorwärts geschaut, und dazu brauchts dann logischerweise neuen kategorialen Bestimmung der Keimformen. (und ja, die alte ist hier tot)
Hallo, vielen Dank Benni fuer den Aufschlag. Ich stimme dir im grundsaetzlichen Versuch zu Transpersonalitaet und Commoning neu zu vernuepfen .. Ab da fangen die Fragen an ;). Zuerst möchte ich Fragen zu dem grundsaetzlichen @4-Phasen-Modell stellen (vl ist auch einfacher dazu mal n skypesession zu machen):
1. Warum sind Aneignung und Kooperation die entscheidenden Parameter?
2. Fuer mich klingt das ganze sehr schematsich – mit dem Schema hast du ja die ganze gesell. Entwicklung auf 4 „Lebensweisen“ eingeschraenkt …
3. Zum Begriff der Transpersonalitaet: Ich bin mir bei der ganzen Sache (Inter/Trans) nicht ganz sicher, aber ist die imperiale Lebensweise nicht auch auf jeden fall transpersonal? Du meintest mal, dass dem nicht so ist, da ihre Beziehungen eig bestimmend interpersonal sind (Königinnen-Lehensleute, Lehensleute-Baeuerinnen, etc), aber ist nicht die Beziehung zwischen der Königin und einer Baeuerin dann transpersonal: die Baeuerin gibt das Getreide fuer irgendwen „da oben“ her und die Königin erhaelt es von irgendwem „da unten“. Klar, dazwischen wird das Getreide interpersonal weitergereicht, aber das gilt ja auch fuer die Mango die irgendeine kolumbianische Baeuerin produziert und die ich morgen im Supermarkt esse …
@Trafo und Keimform: Hier kommt auch n ungutes Gefuehl hoch, weil es iwie so wirkt als haettest du die Transformationsperspektive iwie aus dem Schematismus abgeleitet, aber die zentrale Frage: Wie entsteht transpersonales Commoning? Dabei nicht so richtig beantwortet … Aber vl hab ichs auch nur falsch verstanden, also meine fragen 😉
1. Enteignung durch den Staat ist ein wichtiges Element, weil es in Richtung „kollektive Aneignung“ geht? Entgrenzter Markt ist wichtig weil es die Transpersonalitaet staerkt?
2. Wie transformiert sich diese Entwicklung in transpersonale Kollektivitaet? Woher kommt die neue Vermittlungsform? Was ist sie?Warum benoetigt diese die Transpersonalitaet des Marktes? Wie kann die Enteignung seitens des Staates dazu beitragen? Ich habe iwie das Gefuhel das transpersonales Commoning genauer bestimmt werden muesste bevor die Bedeutung von Staat und Markt hier besser geklaert werden koennte … Im Moment ist mir die Verbindung zwischen den zwei Sachen auf jeden Fall unklar …
3. Tuecken der Einheitsfrontpolitik: Die Entgrenzung von Markt und groeßeren politischen Zusammenschluessen die du gegen nationale Bewegungen vorschlaegst erinnert mich an die Ueberlegungen in der sozialistischen Bewegung in den spaeten 20er und 30er ob man nun offensiv die Revolution vorantreiben sollte oder defensiv mit Einheitsfront den Faschismus verhindern… Du glaubst aber das eben dieser entgrenzte Markt und großstaaten den weg zu commonismus erleichtern … Naja … Hier nur ne Frage: Fuehrt die Entgrenzung (und Degregulierung) des Marktes nicht zu geographischen, nationalen Verwerfungen, die eben den Nationalismus befeuern? (Auch wenn es „nur“ dadurch ist das die Konkurrenzverliererinnnen versuchen in die Gewinnerlaender zu gelangen und die sich dagegen abschotten wollen)
Ich habe meinen Kommentar wegen Überlänge vorerst hier hin gestellt:
http://www.selbstbestimmung-als-aufgabe.de/pages/untersuchungen-und-bemerkungen-zu.php
Simon hat etliche Punkte angesprochen, die ich in meinem Text ausführlicher erörtere.
Das derzeitige Fragment zur theoretischen Neufassung des Begriffs Elementarform (im Anschluss an Bennis letzte 2 Artikel) wird fortgesetzt.
Christians Bezugnahmen auf die konkreteren Epochen-Gestalten kamen mir aber dazwischen, zuletzt dann auch noch die nur allzu eindrücklichen Konkretsierungen der Epochenkrise im Rahmen der gefährlichen und nicht zu beendenden Zuspitzungen imperialistischer Konflikte im Skripalfall und in Syrien. Dazu habe ich mich verschiedentlich in den Kommentaspalten bei telepolis geäussert. Die zentrale These ist: Die modern-arbeitsteiligen „westlichen“ kap. Industriegesellschaften sind gegen die Okkupierung ihrer politischen Organe durch radikale und mittlerweile auch offen eliten-faschistische Minderheiten (US Neocons) BEINAH KOMPLETT wehrlos. Die Erklärung, warum das so gekommen ist, sollte uns als materialistische Gesellschafts-TheoretikerInnen (und erst recht als sehr direkt bedrohte PraktikerInnen) beschäftigen.
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Die entgrenzenden Märkte und die enteignenden Staaten scheinen mir die Probleme mit Krise, Keimform, Transformation, die uns hier beschäftigen (während wir von einer Lösung auch nur für relativ kleine Kollektive weit entfernt sind) nur noch weiter zu verschärfen. So sehr wir SELBSTVERSTÄNDLICH eine Lösung auf planetarer, also inter- und trans-nationaler Ebene (also, traditionell: au fgattungs-, Menschheits-Ebene) als Utopie befürworten. Die von Simon angesprochenen Gegen-Bewegungen verstehe ich auch als Reaktionen auf die Überforderung gegenwärtiger Gesellschaften durch diese Entgrenzungs-Prozesse.
@simon: jetzt hast du zweimal mit 1-3 nummeriert, wie verwirrend! ok, ich nenne es A1-A3 und B0-B3 😉
@A1: Das begründe ich in These 21 der 42 Thesen: http://keimform.de/2018/42-thesen-zu-geschichte-weltraum-und-kommunismus/
@A2: Ja, es ist schematisch (wie alle Erkenntnis). Ich denke andere Bilder von Geschichte verstecken ihre Schema nur besser. Aber Lebensweisen gibt es mehr als vier. Es gibt quasi unendlich viele Möglichkeiten Elementarformen zu kombinieren und Übergänge, Vermischungen etc… Die Hirtennomaden oder matriarchale Agrargesellschaften zB sind eine andere Lebensweise als die Kern-Imperien obwohl sie in der selben Zeit existieren. Es gibt halt drei Epochen mit jeweils einer vorherrschenden Elementarform.
@A3: Die imperiale Lebensweise ist transpersonal wie alle Lebensweisen transpersonal ist, aber ihre Elementarform ist es nicht. Personen betreiben mehr oder weniger gewaltsam Aneignung von Kooperationsprodukten. Ja, jedes Kaufen und Verkaufen ist auch im Kapitalismus interpersonal, aber eben nicht die zugehörige Elementarform der Warenproduktion. Aber Du hast vermutlich recht, dass ich das nur sehr knapp erklärt habe. Sicher ein ausbaufähiger Punkt.
@B0: Meine zentrale Frage ist nicht mehr „wie entsteht transpersonales commoning?“, ich halte das für unmöglich! Und für den zentralen Unterschied zwischen „Kommunismus“ und „Commonismus“. Commoning wird (ebenso wie Care) im Kommunismus eine wichtigere Rolle spielen als heute (und personalisierte Herrschaft eine sehr viel weniger wichtige Rolle als heute), aber die Elementarform des Kommunismus sind _nicht_ die Commons. Commonismus hatten wir in der Steinzeit und seit dem nicht mehr (außer ganz weit außen in der Peripherie) und wenn wir uns da nicht wieder hinbomben, wird es das auch nicht mehr geben.
@B1: Ja.
@B2: Ja, das ist noch sehr unterbestimmt (auch wenn es eben nicht „transpersonales commoning“ ist). Ich hab gerade erst angefangen darüber nachzudenken.
@B3: Ne, Entgrenzung des Marktes und größere Nationalstaaten helfen den Commons nicht, sie verbauen nur den Weg zurück. Wenn Enteignung (oder die kleine Schwester Umverteilung) ein wichtiger Faktor ist für den Kommunismus (was für mich nicht nur aus dem Schematismus hervorgeht sondern auch schon aus der simplen Tatsache, dass heute alles EigentümerInnen hat und das nicht so bleiben kann), dann folgt daraus aber schon auch, dass unter kapitalistischen Bedingungen größere Nationalstaaten(verbünde) mehr Chancen auf Enteignung und Umverteilung haben als kleinere. Das galt im 19. Jahrhundert und gilt heute. Gleichzeitig funktioniert ja der klassische Nationalstaat nicht mehr wirklich (wegen der Entgrenzung). Beides zusammen ist Teil des Krisenprozesses und der wird vermutlich irgendwann kippen und aus dem „Schema“ der Elementarformmatrix folgt eben sich dabei auf Transpersonalität und Kollektivierung zu konzentrieren. (Es gibt übrigens noch andere transpersonale Formen im Kapitalismus, nicht nur den Markt, das war nur ein Beispiel, aber auch da muss man noch mal genauer hin gucken. Und der Markt ist natürlich genau deswegen sehr problematisch, weil er ja zentral ist für die private Aneignung _durch_ transpersonalität).
Wir können gerne auch mal videotelefonieren (lieber jitsi als skype, wegen dem commoning ;).
@franziska: ich lese bei dir auch vor allem folgende Missverständnisse (oder Differenzen?) raus:
1. Lebensweisen sind nicht identisch mit Elementarformen. Die von Dir eingeforderte Vielfalt bezweifle ich überhaupt nicht, sie finden innerhalb der selben Elementarform statt. Die Entstehung von (Staats-)Religion z.B. kann man als Problemlösung größer werdender Imperien lesen, wenn die Kulturen innerhalb eines Imperiums zu vielfältig werden um noch Kohärenz zu ermöglichen. Solche Sozialen Erfindungen gibt es viele, aber es gibt eben nur zwei, die neue Elementarformen in die Welt gebracht haben. Das Leben eines Ägypters im alten Reich und eines Chinesen im 19. Jahrhundert hat sich in tausend Details unterschieden aber eben nicht darin, dass sie beide für eine Hierarchie von Gewaltherrschern gearbeitet haben. Und das ist halt nun mal die zentrale Frage, die jede materialistische Gesellschaftstheorie versucht zu beantworten: Für wen (oder was) arbeiten wir. Ich sage nicht mehr, als dass im ersten Epochenübergang überhaupt erst aufkam, dass man für andere arbeitet und im zweiten, dass es eben kein „wen“ mehr gibt, sondern ein „was“. Beides spielt auf einer anderen Skala als dass man jetzt auch noch Priester durchfüttern muss oder die Handelswege länger werden, oder die Steuern in Münzen eingetrieben werden statt in Getreide.
2. Ja, alle Gesellschaften sind schon immer transpersonal. Das ist eine Eigenschaft des Menschseins. Das bedeutet aber eben noch nicht, dass es die Elementarform der Gesellschaft auch sein muss. Das bedeutet auch überhaupt nicht, dass damals irgendetwas einfacher oder so gewesen wäre, nur weil die Elementarform interpersonal war. Man braucht sich nur die Ruinen in Rom anzugucken um zu verstehen, dass das eine Gesellschaft war, die nicht weniger komplexer war als unsere.
Benni: Ich habe nochmal neu eingesetzt, auch als Erwiderung auf deine Antwort. Hier:
http://www.selbstbestimmung-als-aufgabe.de/pages/untersuchungen-und-bemerkungen-zu.php
„20.04.2018.2“
@franziska:
@A: Ja, die Begriffe sind noch nicht perfekt herausgearbeitet. Ich glaube sie sind deutlicher wenn man sie vor dem Hintergrund der Kritischen Psychologie (oder bestimmten Diskursen darüber, die hier verbreitet sind) nimmt. Aber zumindest „transpersonal“ werde ich vielleicht noch mal einen eigenen Artikel widmen, weil ich da immer wieder drüber stolpere, dass das in Diskussionen nicht so richtig ankommt, was das ist.
Zu den „Ebenen“ im zweiten Artikel: Ich kann mir auch vorstellen, dass das mehr ein Gradient ist als wirklich scharf abgetrennte Ebenen. Ich glaube der Rest der Argumentation ist davon nicht wirklich betroffen, wenn man das macht. Mir ging es hauptsächlich darum Materialismus zu erklären.
@B: Auch hier wieder: Der Hintergrund der ganzen Argumentation ist ein Bild der Gesellschaft und des Menschen, der aus der Kritischen Psychologie kommt. Es wäre vielleicht gut für mich zu wissen, wie gut Du Dich damit auskennst damit wir nicht aneinander vorbei reden (ohne jetzt zu sagen, dass ich da alles verstanden hab oder die 100% korrekte Interpretation kenne).
Ich bin auch nicht mal sicher, ob ich jetzt „Lebensweise“ überall in der selben Weise verwendet hab. Das muss ich mir vielleicht auch noch mal genauer angucken.
Diese ganzen Texte gerade sind ja eher Notizen meines Denkprozesses. Vermutlich sollte man das noch mal zusammenfassen und strukturieren. Vielleicht finde ich irgendwann die Zeit und die Energie dafür, ich würde aber die Luft beim Warten nicht anhalten.
@C: Ich würde weniger von „Produktion“ oder von „Arbeit“ sprechen sondern von „Herstellung der Lebensverhältnisse“, weil das Care und Co nicht unsichtbar macht. Und das ist für mich die Frage, die jede materialistische Gesellschaftstheorie beantworten will. Ist das nicht deutlich geworden? Vielleicht war es zu selbstverständlich für mich, dass ich das nicht expliziert hab.
@D: Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Ich bezweifele nicht die Existenz von transpersonalen Institutionen in _allen_ Gesellschaften. Mein Lieblingsbeispiel ist die Sprache. Mit der Menschwerdung kommt die Transpersonalität in die Welt. Wie gesagt, ich werde das versuchen noch mal zu explizieren. Aber vielleicht warte ich erst mal ab, was Stefan und Simon dazu in ihrem Buch schreiben.
Zur privaten Aneignung in Rom: (West-)Rom war im wesentlichen auch in der Kaiserzeit eine Oligarchie von Grundeigentümern. Rom ging unter in dem Moment, wo es für diese Grundeigentümer nicht mehr funktional war, sich einen Kaiser zu halten, weil der ihr Eigentum nicht mehr garantieren konnte. Heute hat diese Funktion der Grundeigentümer das transpersonalisierte Kapital, auch wenn natürlich einzelne große Kapitaleigner trotzdem sehr viel größeren Einfluss haben als Du und Ich.
(soweit erst mal. Für E unf F brauch ich ne Pause 😉
Vorläufige Antwort hier:
http://www.selbstbestimmung-als-aufgabe.de/pages/untersuchungen-und-bemerkungen-zu.php
(unter Datum: 25.04.2018)
zu Rom, aber nur kurz: Die Frage wäre, ob das Personal für höhere Führungsaufgaben in Militär und Zentral- bzw Provinzerwaltung sich notwendig aus Angehörigen einer Klasse rekrutierte. Was du, Benni, beschreibst, sind mE späte und „früh-feudale“ Vergesellschaftungsformen, und auch dort fällt das staatlich exekutierte Interesse an Aufrechterhaltung einer Ordnung nie mit dem Interesse einer besonderen Klasse zusammen. Es wäre ja auch sonst kein Staat, sondern eine Verfallsform eines solchen („warlord“-Regime).
Mit meinem Beispiel (es gilt natürlich nicht für die Krisenzeiten) wollte ich auf die fortgeschrittene Verrechtlichung von Beziehungen zwischen Bürgern, und Bürgern und Staat bzw Verwaltung hinweisen.
Lektürevorschlag:
https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6misches_Recht
Und, immer als Vergleich:
https://de.wikipedia.org/wiki/Recht_Chinas#Traditionelle_chinesische_Rechtskultur
@franziska: ok, wenn wir uns nicht mal auf die gesellschaftliche Natur des Menschen einigen können, dann erübrigt sich der Rest vermutlich einfach. Das ist ein Menschenbild nicht weit von Thatchers „There is no such thing as society“ und meiner Meinung nach mit einer emanzipatorischen Theorie unvereinbar und durch keinerlei Wissenschaft gedeckt.
Interessant, dass Du Holzkamp in Kapitel 5 aufgehört hast, weil da fängt es ja erst an mit der gesellschaftlichen Natur.
Benni: Ich habe nicht in, sondern nach dem 5.Kap der ‚Grundlegung“ aufgehört, weil da die Ableitung der gesellschaftlichen Menschen-Natur vollständig zu sein schien; wenn du mir aber sagst, dass danach für diese Ableitung Wesentliches noch kommt, lese ich gerne weiter. (Es sah mir eher danach aus, dass in den Folge-Kapiteln von dieser Erkenntnis als einer gesicherten ausgegangen werden soll.)
Von welcher („keinerlei“) Wissenschaft sprichst du da? Wenn man H.’s Ausführungen bis zu dieser Stelle gefolgt ist (kann sein, dass es noch anders weitergeht), wundert man sich, dass wir nicht seit je her und bis ans Ende aller Tage im Urkommunismus leben. Warum zerbrechen wir radikalen Linken hier und anderswo uns den Kopf, wie rationale Vergesellschaftung gehen könnte? Haben wir das falsche „Menschenbild“? und müssten nur sagen: Hey, there IS society, und schon ist sie da – so wie Gott die Welt vorstellt, und schon ist sie da – nennen wir sowas, wenn es bei andern vorkommt, nicht Idealismus?
Wenn wir Thatchers Äusserung, die ein (regressives, historische Herausforderungen bewusst ignorierendes) PROGRAMM ausdrückt, theoretisch wenden: Dann haben wir immer noch kein „Menschenbild“, oder gar eine geschichts-übergreifende, eine kategorial-anthropologische Einsicht, sondern eine uU zu bedenkende These über eine aktuelle historische Situation. Und warum greifst du mich jetzt darüber an? Wieso bringe ich meine Lebenszeit damit zu, über Emanzipation nachzudenken, wenn society, Vergesellschaftung sich so einfach herstellen liesse oder als unverwüstliche Materie oder Substrat „nur“ einen Formwechsel durchmachen muss? (Nicht unerheblich die Frage, auf was, als stabil vorauszusetzender historischer Errungenschaft, als solches immerhin entwickeltes Substrat, wir uns eigentlich verlassen dürfen? Was schützt es gegen Rückschritte?)
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Gesellschaft und Geschichte (vergangene Vergesellschaftung) sind in der allgemeinen (Begriffs)Bildungsgeschichte noch vergleichsweise neue Gegenstände; verglichen mit den Gegenständen anderer fundamentaler Begriffsbildungs-Felder (Praxis, Psyche, Technik) zeichnen sie sich aus durch eine verwirrende Vielfalt beteiligter Kategorien, Kategorien-Beziehungen, und, was vielleicht das speziellste ist, einen gewissen „holistischen“ Charakter: Das Ganze (unter anderm das der bereits vorliegenden Begriffsfelder) ist in jedem Teilgebiet ständig mit zu bedenken.
Wir stehen mit Bezug auf diese Themen noch immer im Vorfeld von gesicherten Resultaten (man mag die nun Wissenschaft nennen oder anders), die Herauslösung aus den unweigerlich als ersten eingenommenen idealistischen Vorstufen und der Aufbau einer rationalen, materialistischen Übersicht über die involvierten Kategorien ist zäh und dauert an. Dazu wäre SEHR viel mehr zu sagen, genau darum breche ich hier ab.
Euch bei keimform und speziell Benni würde ich aber bitten, die Voraussetzungen vielleicht deutlicher als bisher auszusprechen, unter denen ihr mit Aussenstehenden wie mir ins Gespräch kommen wollt (falls es da Lektüre-Voraussetzungen gibt usw). Es sieht öfter so aus, als diente dieses Gemeinschaftsblog eurer internen Verständigung, soweit es euch darauf noch ankommt.
Ich wiederum habe kein Interesse, mit Leuten zu „streiten“ oder ihre Theorie-Entwicklung zu stören. Ich muss nicht öffentlich klären, und freue mich, wenn sich jemand bereit erklärt, als Repräsentant für seine Bezugs-Gruppe, mit mir einen Dialog zu führen. Mein Nichtverstehen und Nichtverständigtsein setzen mich, ob mit oder ohne Dialog, existenziell unter Druck (ich verwende nicht umsonst Wörter wie „Katastrophe“). Solange die Dinge, die wir hier besprechen (und noch einige andre, die wir nicht besprechen), nicht geklärt sind, gibt es (für mich) keine Zukunft. Um so wenig, oder so viel, geht es (mir) dabei.
@franziska: Ich wollte Dich nicht angreifen. Ich wollte nur fundamentale Differenzen klar machen. Ich denke halt einfach, dass es dann schwierig wird auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen bei diesen ja viel komplexeren Fragen hier. Also wir können uns gerne auch über das Menschenbild oder Holzkamp im Detail auseinander setzen, aber hier ist das vielleicht off topic.
Mit „Wissenschaft“ meinte ich hier nicht Holzkamp sondern die (Paläo-)Anthropologie. Ich bin in nix davon Experte, aber alles was ich mitkriege (und das ist durchaus einiges, weil mich das Thema interessiert) stützt die Vorstellung einer gesellschaftlichen Natur.
Ich bin auch sicher, dass Holzkamp dazu nicht das finale Wort gesprochen hat, aber die Grundrichtung halte ich für richtig und tatsächlich in allen anderen Anthropologien oder Psychologien für eine Leerstelle. Da wird das Thema entweder ignoriert oder gesetzt aber nie wirklich hergeleitet.
Im voraufgehenden Text sollte es heissen: Ich freue mich auch, wenn Dialog „privat“ mit mir stattfindet, ich muss nicht öffentlich schreiben.
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Benni, ich begrüsse Holzkamps Theorie-Unternehmen doch, meine Kritik rührt eher von einer Unzufriedenheit mit dem dort vorläufig erreichten Stand an begrifflicher Klärung. Ich wollte aber nur über den Umweg „Holzkamp“, weil du ihn nun mal als euern Hintergrund hier anführtest, weiter zur Sache reden, und das ist die Theorie der Transformation, speziell der Keimform, um die es in deinem Text oben doch geht.
Die Haupt-Richtung meiner Einwände ist dabei, dass die Produktivkraft-Ebene (die Lebensweise) immer nur als Chancen eröffnende, nie als Anforderungen an die Vergesellschaftung stellende gesehen wird.
Das geht wahrscheinlich einher mit einer Rezeption der Marxschen Ökonomie, wo das Scheitern oder die systemische Krise des Kapitalismus sehr stark „endogen“, „aus ihm selbst heraus“, erklärt wird: Er ist es, der das Anwachsen der Produktivkräfte treibt, das ihm dann, via Profitratenfall, oder auch Unterbeschäftigung+ Unterkonsumtion/ Überarbeit, die Grundlage seines Bestehens entzieht.
Der Kapitalismus scheitert also in dieser Theorie an sich selbst, seinen immanenten, versteckten Widersprüchen.
Nicht hingegen ist es nach dieser Theorie so, dass die Produktivkraft-Entwicklung SELBST ein Problem schafft, das Kap. und womöglich auch kein anderes derzeit absehbares Vergesellschaftungsmodell je lösen kann.
Die Frage, welche (problematischen) Anforderungen dieser Produktivkraft-Stand stellt, wird nicht einmal aufgeworfen; konkret: Dass das (Vergesellschaftungs)Problem der Transpersonalität auf der Produktivkraft-Ebene entsteht, und nur dort gelöst werden kann.
These 27 oben (bzw der rechte untere Quadrant der Graphik) bringt es auf den Punkt: Kommunistisch soll sein eine transpersonale Kollektivität.
In den Thesen fällt EIN wichtiges Detail der Graphik unter den Tisch, dort steht bei Kommunismus noch: Wissensgesellschaft (wie ich früher schon sagte: die Produktivkraft-Ebene läuft einfach so mit, das ist ja bei Sammeln+Jagen, Anbau, Industrie in den andern drei Quadranten nicht anders).
Die Frage könnte dann konkret so gestellt werden: Wie kann Wissen(sfortschritt) KOLLEKTIV (koordiniert=planmässig, kooperativ=arbeitsteilig) TRANSPERSONAL (divide) erzeugt werden, wenn die anschliessende Aneignung (Verarbeitung, Umsetzung in Produktions- und Anschluss-Forschungsprogramme) des Wissens nicht auch KOLLEKTIV (share) erfolgt?
Also Andeutung einer Gegen-These:
Die Keimform ist in einer anderen Organisation des Wissenserwerbs, der Forschung oder der Wissenschaft und ihrer produktiven Anwendung zu suchen.
Der Kapitalismus hat mal mit dem (technizistischen) Agrarkapitalismus begonnen.
Der Kommunismus beginnt (aber endet auf keinen Fall) womöglich mit der im engeren Sinn biologisch orientierten Agrar- und Ernährungsforschung – mit UNS als sorgfältigen Beobachtern und Lenkern von Naturprozessen (angefangen denen, die unser Leben ausmachen, daher die Ernährung bzw die ganze Arbeits- und Lebensweise („Diät“ im urspr. Wortsinn) mit erwähnt) im Mittelpunkt.
Eine Bitte: Seht das, was ich sage, vielleicht nicht immer nur unter dem Gesichtspunkt DIFFERENZ.
Und ein Hinweis: Die gegenwärtige Form der Agrarproduktion (und höchstwahrdscheinlich der Nahrungsmittel, die dabei produziert werden, von wegen: we feed the world; ja, mit junk food) ist nicht nachhaltig; sie führt in immer höhere Erzeugungskosten (zur Kompensation auflaufender Schäden beim Kampf um Erhalt der Spitzenerträge) und schliesslich in sinkende Erträge und Ernteausfälle. Mit andern Worten, diese „Lebensweise“ wird es bald dazu bringen, dass wir in Entwickungs- wie Industrieländern nichts mehr zu essen haben.
Ganz zu schweigen vom Krieg, vom Ökozid, vom Klimawandel, der fehlenden „Kohärenz“ wegen anwachsender interner mentaler Fortschrittsgefälle und aus all dem resultierende mangelnde Problemlösefähigkeit und Robustheit (Resilienz) riesiger Teile der Weltgesellschaft.
Nachtrag.
Das Problem der kollektiven Verwaltung/Verwertung „transpersonal“ (stark arbeitsteilig) erarbeiteten Wissens stellt sich speziell auch bei „Stigmergie“. Freiwilligkeit der Selbst-Auswahl zur Erledigung einer Aufgabe ist das geringere Problem; ich muss auch die Aufgabe verstehen und sinnvoll finden. Dazu muss ich die Wissensgrundlagen dahinter mir angeeignet haben.
Und das gilt speziell für (wirklich) ökologisches Produzieren generell: Dort hat jede Produktionsentscheidung auf einem Arbeitsfeld Konsequenzen, uU weitreichende, auf anderen; wer immer entscheidet, muss die Gesamtheit aller dieser Felder kennen. Zugespitzt: es ist unmöglich, ökologisch zu produzieren, wenn die Produzenten (die entscheiden sollen) nicht die entscheidungs-relevanten Zusammenhänge in der Biosphäre (und deren Zusammenhang mit der Geo-Sphäre; incl der dort auftretenden Zyklen und Bedingungen) in ihrer Gesamtheit kennen.
Die Agrar-Produktion ist da nuru der aller-erste Anfang.
(Nebenbei gilt Vergleichbares für das Rückgängig-Machen der Folgen unverantwortlich eingesetzter Technik der Vergangenheit.)
Warum kann eine Gesellschaft nur auf eine Weise kohärent sein. Ermöglicht nicht gerade die Demokratie, die Digitalisierung und nicht zuletzt die Globalisierung ein parallel existieren zwischen verschiedenen kohärenten Systemen, Entwicklungssträngen oder Subsystemen?