Der Ausdehnungsdrang moderner Commons (4/5)
Transpersonales Commoning zur Weiterentwicklung der Keimformtheorie.
9. Bedürfnispriorisierung
Ein letztes Mal Marx zu seinem Verein freier Menschen: „Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts“ (MEW23, S.93). Um zu zeigen, wie eine transparente Gesellschaftsorganisation funktionieren kann, macht Marx ein Verhältnis von der individuell geleisteten Arbeitszeit zur Gesamtarbeitszeit auf und misst daran den individuellen Anteil am Gesamtprodukt. Da im Commoning immer erst produziert wird, sobald ein Bedürfnis ansteht, gibt es kein Gesamtprodukt, das verteilt werden muss. Was es dagegen gibt, ist eine Gesamtanzahl von anstehenden sinnlich-vitalen Bedürfnissen. Statt einer Verteilung im Nachhinein kann somit eine Gewichtung bzw. Priorisierung von Bedürfnissen im Vornherein stattfinden. Da Selbstauswahl der Tätigkeit ein zentraler Aspekt des Commonings ist, kann es sich dabei nie um mehr als einen Handlungsvorschlag handeln. Menschen setzen sich in der Auswahl der Tätigkeiten zwar eigene Ziele und Prioritäten (M/S, S.189), aber trotzdem gibt es ein objektives Anliegen, das allen Commoning-Prozessen zu Grunde liegt und ohne das etwa die eigene Zielsetzung und Selbstauswahl nicht möglich wäre: Die Herstellung und Erhaltung der Commons-Struktur selbst.
Die Priorisierung von bestimmten Bedürfnissen ist kein Prozess, der von Menschen gesteuert werden soll und die Einzelne soll auch nicht „das Wohlergehen aller“ in ihrer Auswahl der Tätigkeit im Kopf behalten. Durch die mechanische Priorisierung soll im Moment der Selbstauswahl eine Richtung nahegelegt werden, die sowohl zum eigenen Vorteil ist, als auch die Commons-Struktur herstellen und erhalten soll. Sinnlich-vitale Bedürfnisse können in der Commons-Struktur von Anfang an beliebig viele anstehen, da zu ihrer Befriedigung keine Gegenleistung verlangt wird. Da das Leben der Lohnabhängigen aber von sachlichen Zwängen bestimmt ist, kann anfangs nur ein Bruchteil davon befriedigt werden. Aus dieser unbegrenzten Menge anstehender Bedürfnisse sollen also diejenigen priorisiert werden, welche für einen Übergang aus den sachlichen Zwängen heraus am notwendigsten sind, die Commons-Struktur gegen das kapitalistische Umfeld stabilisieren und damit ermöglichen, dass immer mehr sinnlich-vitale Bedürfnisse über Commoning befriedigt werden können. Da aber keine Tätigkeit die „Bedürfnisse einer Gesellschaft“ – auch nicht die einer Commons-Struktur – befriedigt, sondern immer nur die Bedürfnisse konkreter Personen, müssen die sinnlich-vitalen Bedürfnisse von denjenigen priorisiert werden, welche selbst priorisierte sinnlich-vitale Bedürfnisse anderer befriedigen. Was wie ein Zirkelschluss klingt bedeutet aber, dass diejenigen, welche Zeit im Commoning investieren und damit auch gesellschaftliche Produktionsmittel erzeugen, auch dafür die Zeit frei von sachlicher Herrschaft bekommen, indem die Befriedigung ihrer sinnlich-vitalen Bedürfnisse im Commons-Netzwerk nahegelegt wird, sprich, sie zunehmend von der Lohnarbeit unabhängig werden.
Die Priorisierung bezieht sich dabei auf die Tauschlogik seines kapitalistischen Umfeldes, kann also auch mit einer Abwandlung ihrer Kategorien gemessen werden. Der Wert einer Tätigkeit misst sich in der Marktwirtschaft an der investierten Arbeitszeit, der Arbeitsintensität, unter Anwendung gesellschaftlich durchschnittlicher Produktionsmittel zur Herstellung am Markt nachgefragter Produkte. Der Faktor der individuellen Verausgabung kann für die Transformation beibehalten werden, die Anwendung gesellschaftlich-durchschnittlicher Produktionsmittel verliert in der kollektiven Verfügung ihren Sinn und die Richtung, hier nachgefragte Produkte für den Markt, muss von der Verwertung in die Unabhängigkeit von der Verwertungsstruktur umgeleitet werden. Angenommen also in einem Land ohne medizinische Grundversorgung mangelt es an Ärzten und die Nachfrage nach medizinischer Versorgung ist dabei sehr hoch. Kapitalistisch betrachtet hat medizinische Versorgung daher einen hohen Wert, commonistisch betrachtet gibt es eine hohe Anzahl an entsprechenden sinnlich-vitalen Bedürfnissen. Ohne die Priorisierung der Bedürfnisse von denjenigen, die das Bedürfnis nach medizinischer Versorgung innerhalb der Commons-Struktur stillen, hätte es zur langfristigen Sicherung der eigenen Lebensbedingungen für niemanden einen Vorteil, sich einem jahrelangen Medizin-Studium hinzugeben und sich dann nicht dem Markt zur Verfügung zu stellen. Mit der Priorisierung wird eine Ärztin tendenziell unabhängig von Lohnarbeit und ebenso müssen diejenigen, die von ihr versorgt werden, weniger Zeit in Lohnarbeit investieren, um die hohen Kosten der medizinischen Versorgung im kapitalistischen System zu stemmen.
Wie Meretz und Sutterlütti im Kapitel „Konflikte in der Inklusionsgesellschaft“ (M/S, S.183) beschreiben, kann es auch innerhalb der Commons-Struktur zu Auseinandersetzungen zur Verwendung von gesellschaftlichen Produktionsmitteln kommen, die aber bewusst und zwischenmenschlich ausgetragen werden müssen. Die Autoren bezeichnen die Konflikte als „Entscheidungen über die Priorisierung von Zielen“ (ebd.) und die mechanische Priorisierung einzelner Bedürfnisse darf hier nicht entscheidend wirken, aber kann als äußere Bewertungsinstanz bei Entscheidungsfindungen behilflich sein. Ein Konflikt um die Verwendung eines gesellschaftlichen Produktionsmittels hat dabei drei zentrale Elemente: 1. Das Commons mit der höheren Priorisierung sitzt, zumindest psychologisch, am längeren Hebel. Der Konflikt verläuft nicht auf Augenhöhe, das aber zu Recht, da die Priorisierung anzeigt, welcher Prozess notwendiger für die Herstellung und den Erhalt der gemeinsamen Lebensbedingungen und die Aufhebung des Kapitalismus ist. 2. Die innere Logik beider Commoning-Prozesse ist inklusiv. Die Menschen beider Commons befriedigen gleichermaßen nicht die eigenen, sondern sinnlich-vitale Bedürfnisse allgemeiner-anderer und daher ist eine Absprache und Suche nach einer gemeinsamen Lösung auch zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sinnvoll. 3. Indem die Bedürfnisse derjenigen priorisiert werden, die selbst an Commoning-Prozessen mitwirken, haben die Produzierenden beider Commons im Konflikt um die Verwendung eines gesellschaftlichen Produktionsmittels einen eigenen Vorteil, diesen Konflikt für sich zu entscheiden. Ein Konflikt innerhalb der inklusiven Logik der Commons-Struktur hat somit einen exklusiven Moment, das heißt, dass es im Konflikt Sinn macht, die Produzierenden des anderen Commons von dem Produktionsmittel auszuschließen. So lange aber Commoning nicht die bestimmende gesellschaftliche Produktionsweise ist, findet dieser exklusive Moment der inklusiven Struktur aber in einem gesellschaftlichen Rahmen des sachlichen Zwanges statt. Diese Form der Priorisierung auf Grund dieses Momentes vermeiden zu wollen bedeutet damit auch zuzulassen, dass wir in einem Umfeld aus viel schwerwiegenderen exklusiven Konflikten gefangen bleiben.
Neben der Unterstützung zur Selbstauswahl und im Konfliktfall, spricht ein weiterer Aspekt für die Priorisierung von Bedürfnissen: Die Anknüpfung an der Normalität innerhalb des kapitalistischen Systems. Marx: „Erst in dem 18. Jahrhundert, in der „bürgerlichen Gesellschaft“, treten die verschiedenen Formen des gesellschaftlichen Zusammenhangs dem einzelnen als bloßes Mittel für seine Privatzwecke entgegen, als äußere Notwendigkeit“ (MEW42, S.20). Im Commoning sind die gesellschaftlichen Zusammenhänge keine bloßes Mittel zum Privatzweck, aber aus dem heutigen Alltag heraus ist das schwer zu begreifen. Ohne Priorisierung und ohne theoretisches Hintergrundwissen über Warenfetisch, sachliche Herrschaft, Ausbeutung, Klassendynamik, kurz: die Auswirkungen des kapitalistischen Systems als Ganzen, ist eine Produktionsweise nach den Prinzipien der Freiwilligkeit und kollektiven Verfügung schwer für jemanden verständlich, für den eine 40-Stunden-Woche etwas vollkommen natürliches ist. Das Bewusstsein in einem kapitalistischen System ist durch Verwertungslogik geprägt und so fällt es schwer zu verstehen, warum jemand etwas „geschenkt“ bekommt, wenn er sein Bedürfnis in ein Programm einspeist oder für jemanden arbeiten soll, ohne dafür Geld zu bekommen. Auch jemand, der durch den Konkurrenzkampf im Kapitalismus etwa zum Chauvinismus oder zur Habgier gebracht wurde, hat keinen Grund sein Verhalten zu ändern, wenn er seine sinnlich-vitalen Bedürfnisse befriedigen kann, ohne sich selbst dabei einzubringen. Commoning muss daher innerhalb der Transformation auch ein Lernprozess sein, den eine Gesellschaft als Ganzes, durch die Einzelerfahrungen seiner Mitglieder, durchmacht. Es muss schrittweise erfahren werden, dass durch die Befriedigung der Bedürfnisse allgemeiner-anderer, auch die eigenen Bedürfnisse besser befriedigt werden. Mit Bedürfnispriorisierung wird daher ernst genommen, dass die Gesellschaft der bestimmenden Produktionsweise folgt und nicht die Produktionsweise einer revolutionierten Gesellschaft.
Erst durch die Priorisierung von Bedürfnissen ergibt es im bestehenden System für einzelne Lohnabhängige überhaupt Sinn, die freie Zeit für Commoning aufzuwenden. Angefangen in einem Umfeld aus sachlichen Zwang, ist es für einzelne Personen anfangs notwendig, priorisierte Tätigkeiten zu erledigen, damit sie selbst einen Vorteil davon haben und sich aus den Zwängen des Kapitals befreien können, indem die eigenen Bedürfnisse tendenziell durch andere Commoning-Prozesse befriedigt werden. Über die Befriedigung dieser priorisierten Bedürfnisse wird die Commons-Struktur aufgebaut, die Masse an gesellschaftlichen Produktionsmitteln nimmt zu, Commons treten nicht mehr nur vereinzelt auf, die Arbeitsteilung innerhalb der Commons wächst an und immer mehr Menschen können immer effizienter ihre Lebensbedingungen über die Commons-Struktur herstellen. So wie das Zwangsmoment der kapitalistischen Struktur abnimmt und Commoning sich vermehrt etabliert, verliert es an Wichtigkeit selbst priorisierte Bedürfnisse zu befriedigen. Die intrinsische Motivation kann sich entfalten, indem sich vermehrt den Aufgaben zugewendet wird, in denen ein Sinn für die eigene Weiterentwicklung gesehen wird. Indem sich die inkludierenden Strukturen ausbreiten und sämtliche Tätigkeitszusammenhänge transparent sind, wird sich gesellschaftlich dem Zwangscharakter der Teilhabe enthoben und sich dem Ideal der Freiwilligkeit angenähert.
10. Interpersonales und transpersonales Commoning als parallele Funktionen
Spätestens mit der äußeren und objektiven Bedürfnispriorisierung wird klar, dass es sich bei dem transpersonalen Commoning nicht um eine Veränderung der Keimform auf Basis der interpersonalen Ebene handelt, sondern um einen parallel dazu verlaufenden Prozess im Sinne des Fünfschritts nach Klaus Holzkamp (Grundlegung der Psychologie [GdP], S. 78-81. Einführend: M/S, S. 202-205). Transpersonales und interpersonales Commoning sind verschiedene, aber sich ergänzende Beziehungen der Einzelnen zur Gesellschaft (Funktionen), die aus den selben kapitalistischen Entwicklungswidersprüchen heraus resultieren, aber auf verschiedenen Vorbedingungen aufbauen. Die zu erreichenden Qualitäten – Freiwilligkeit und kollektive Verfügung innerhalb von Re/Produktionsprozessen zur Befriedigung von Bedürfnissen (vgl. M/S, S.210) – sind dieselben. Folgend soll dargestellt werden, inwiefern sich beide Prozesse ergänzen und unterscheiden.
Vorbedingungen für den Umschlag der Quantität zur Qualität bei Meretz und Sutterlütti sind besonders die Intersubjektivität („[…] die Bedürfnisse anderer Menschen wahrnehmen und zur Prämisse des eigenen Handelns machen“ [M/S, S.210]), die Erkenntnisdistanz („Wir sind unseren Wahrnehmungen, Emotionen und der Welt nicht direkt ausgeliefert, […]“ [M/S, S.211]) und die verallgemeinerte Motivation („Unsere Motivation kann auch die Bedürfnisse anderer Menschen einbeziehen und zwar sogar Bedürfnisse »allgemeiner Anderer«, also von Menschen, die wir gar nicht kennen“ [ebd.]). All das sind allgemein-menschliche Voraussetzungen, die nicht von einer kapitalistischen Entwicklung abhängig sind. Zwar wird folgend auch „globale Vernetzung“ (ebd.) und eine „Technikentwicklung“ (M/S, S.212) angesprochen, wobei sie „diese historischen Vorbedingungen im Konjunktiv belassen“ (M/S, S.211) und die für die weitere Entwicklung ihrer Keimform keine Rolle spielen.
Dagegen baut das transpersonale Commoning besonders auf den historische entstandenen Qualitäten einer kapitalistischen Gesellschaft auf: Die durch Verwertungslogik erreichten Mittel zur globalen Kommunikation und arbeitssparenden Produktion, die allgemein-zugängliche gesamtgesellschaftliche Vernetzung (wenn ihr auch durch die in Konkurrenz zueinander stehenden Produktionen Schranken gesetzt sind) und die fortschrittliche Kooperation zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt.
Die „objektiven Veränderungen der Außenweltbedingungen“ (GdP, S.79) bzw. die Entwicklungswidersprüche, welche innerhalb einer Gesellschaft subjektiv empfunden werden (vgl. M/S, S.212), sind für die interpersonale und transpersonale Funktion gleichermaßen in der Entwicklung des kapitalistischen Systems zu finden. Als subjektiv empfundenen Widersprüche, also Widersprüche zwischen „den Bedürfnissen der Menschen und den gesellschaftlichen Möglichkeiten ihrer Befriedigung“ (M/S, S.212) nennen Meretz und Sutterlütti etwa die soziale Isolation, Umweltzerstörung, verunmöglichte Familienplanungen und Angst vor einem möglichen Ausschluss vom gesellschaftlichen Gesamtprodukt (vgl. M/S, S.214). Als objektive Veränderung in Bezug auf Klassen wären noch die stetige Zunahme von Menschen in der Situation der Lohnabhängigkeit zu nennen, bei stetiger Abnahme der Handlungsmöglichkeiten für einzelne Lohnabhängige. Die erwähnten Außenweltbedingungen gelten dabei nur in Bereichen, welche als Wert erschlossen sind. Gesellschaftsteilnehmer, die sich zunehmend der Commons-Struktur zuwenden, erlangen dort eine Unabhängigkeit von der kapitalistischen Produktion, damit speziell von ihren Krisen und allgemein ihrer ausschließenden Logik.
Was durch den Entwicklungswiderspruch aus den Vorbedingungen für Meretz und Sutterlütti als „Keimform des Commonismus“ (M/S, S.219) hervorgeht, sind die „Inklusionsbedingungen auf interpersonaler Ebene“ (ebd.). Wie zu Beginn dieses Textes gezeigt wurde, kann diese Keimform nicht ausreichend sein, damit Commoning gesellschaftlich bestimmend wird. Während die interpersonale Keimform von Meretz und Sutterlütti auf Räumen aufbaut, in denen durch Freiwilligkeit und kollektiver Verfügung Bedingungen herrschen, in denen es sinnvoll ist, die Bedürfnisse anderer in das eigene Handeln mit einzubeziehen, ist die Herstellung der Funktion des transpersonalen Commonings ein bewusster Prozess, bedingt durch die historisch gewordenen Fähigkeiten des Menschen und den Fortschritt der Technik im kapitalistischen Konkurrenzdruck. Dieser qualitative Sprung entsteht somit nicht von selbst, sonder er wird gemacht, das heißt, er wird konstruiert und programmiert. Die neue Spezifik ist das Programm als zentrale Instanz zur Selbstorganisation und Zwecksetzung gesellschaftlicher Mittel. Mit den dadurch ermöglichten Beziehungen der Einzelnen zur Allgemeinheit, also mit einer transpersonalen Vermittlung als elementare Handlungsweise, kann schließlich das bestehende System gestützt werden (siehe auch: 11.2 Ausdehnung…).
Wichtig werden folgend die Unterschiede des interpersonalen und transpersonalen Commonings im Dominanzwechsel – also dem zweiten qualitativen Entwicklungsschritt, indem „alte und neue Funktion ihre Position [wechseln]: Die neue Funktion setzt sich durch und bestimmt fortan die Dynamik des Systems, die alte Funktion tritt zurück“ (M/S, S.205). Nach Klaus Holzkamp ist dabei zu beachten, dass sich „der Übergang zur neuen Entwicklungsstufe nicht auf einer einzelnen Dimension vollzieht, sondern die Umkehrung des Verhältnisses zweier für sich kontinuierlich veränderter Dimensionen darstellt“ (GdP, S.80). Weiter: „Eine solche Umkehrung des Verhältnisses zwischen bestimmender und nachgeordneter Funktion als Dominanzwechsel ist, obwohl sich beide Funktionen in der Entwicklung kontinuierlich darauf zubewegen, selbst nicht kontinuierlich, sondern ein punktuelles Umkippen“ (ebd.). Interpretiert auf das transpersonale Commoning sind die beiden sich stetig verändernden Dimensionen der Wert der Dinge und die Zwecksetzung zur Bedürfnisbefriedigung. Ein einzelnes Objekt ändert seinen Charakter dabei nicht kontinuierlich, sondern kann nur entweder Wert sein – und damit Verwertungsmittel – oder als kollektiv zur Verfügung stehendes Mittel zur Bedürfnisbefriedigung dienen; es kippt zwischen den Zuständen, während gesamtgesellschaftlich eine kontinuierliche Bewegung stattfindet.
Über transpersonales Commoning wird die Zwecksetzung zur Bedürfnisbefriedigung allgemeingültig konkretisiert und ist nicht von einer „interpersonal verabredeten Außerkraftsetzung der exkludierenden Wirkung des Eigentums“ (M/S, S.151) abhängig. Durch die zentrale Instanz wird der Re/Produktionsprozess durchsichtig und „transpersonales Vertrauen“ (M/S, S.151) kann entstehen und muss nicht vorausgesetzt werden. Da die Gesellschaft durch Selbstorganisation auf transpersonaler Ebene, das heißt ohne einem abstrakten Verwertungsprozess, so funktioniert, wie sie mir im Alltag gegenübertritt, entsteht auf interpersonaler Ebene die Möglichkeit, „dass ich mein Bewusstsein über mein Nahumfeld hinaus auf gesellschaftliche Zusammenhänge zur Bewusstheit erweitere“ (M/S, S.150). Die interpersonalen Momente sollen somit nicht durch die transpersonale Ebene negiert werden, sondern durch diese Ebene überhaupt erst ihre Möglichkeit finden. Andersherum ist transpersonales Commoning von den interpersonalen Strukturen und etwa der Möglichkeit abhängig, „andere Menschen als bedürftige Individuen mit eigenen Wünschen und Wahrnehmungen zu erkennen und sie auf Augenhöhe in die eigenen Wünsche und Wahrnehmungen einzubeziehen, anstatt sie nur instrumentell den eigenen Bedürfnissen unterzuordnen“ (M/S, S.210). Transpersonales Commoning setzt dabei nur den Rahmen, während Commoning als materiell schaffender Prozess auf interpersonaler Ebene stattfindet.
Folgend wird transpersonales Commoning in den vier Szenarien des Dominanzwechsels von Meretz und Sutterlütti (Effizienz, Ausdehnung, Staat, Krise. M/S, S.223-233) untersucht.
Dominanzwechsel 1: Effizienz des Commonings
Als erstes Szenario des Dominanzwechsels (M/S, 224-226) überlegen Meretz und Sutterlütti, ob Commoning effizienter werden kann als es des Kapitalismus ist. Sie stellen dabei fest, dass innerhalb der Warenproduktion die „lokale und partielle Effizienz immer einhergeht mit gesamtsystematischer Ineffizienz – gemessen an menschlicher Bedürfnisbefriedigung“ (M/S, S.225. Hervorheb. M.M.). Weiter: „Die commonistische Inklusionslogik erreicht […] eine wesentlich höhere Gesamteffizienz der Bedürfnisbefriedigung, die aber unter Umständen einhergehend mit verwertungsbezogener »Ineffizienz« […] ist“ (ebd., Hervorheb. M.M.). Hier zeigt sich, warum sich die Effizienz der kapitalistischen Produktion und Commoning so schwer vergleichen lassen: Sie beziehen sich auf zwei völlig verschiedene Dinge. Einmal auf Verwertung (des Wertes), das andere mal auf Bedürfnisbefriedigung.
Folgend geht es um die von Meretz und Sutterlütti nur kurz in Form des Wissenskommunismus (Beispiel: Wikipedia) angedachte Möglichkeit, das Feld der Warenproduktion zu verlassen (vgl. M/S, S.225), hier, durch das transpersonale Commoning. Die einzige Gemeinsamkeit kapitalistischer Produktion und Commoning ist dabei die (Möglichkeit zur) Anwendung von privaten Produktionsmittel; die kapitalistische Produktion basiert darauf, während sie im Commoning verwendet werden können, um gesellschaftliche Mittel zu produzieren bzw. sinnlich-vitale Bedürfnisse direkt zu befriedigen. Sind also gesellschaftliche Produktionsmittel nicht bzw. nur im Verhältnis zu den privaten Produktionsmitteln geringer Anzahl vorhanden, muss Commoning mit diesen privaten Produktionsmitteln durchgeführt werden. Das heißt, diese müssen durch einen politischen Prozess überführt (siehe Dominanzwechsel 3: politisches Commoning) oder von einzelnen Produzierenden privat angekauft werden. Der private Ankauf arbeitssparender Produktionsmittel findet dabei seine realistische Möglichkeit durch die Konkurrenz innerhalb der kapitalistischen Produktion. Die Effizienz eines Produktionsmittel innerhalb der Verwertungslogik ist darin relativ zur Effizienz der Produktionsmitteln anderer Unternehmern. Der Wert des Produktionsmittels misst sich dabei daran, ob mit ihm marktgerecht produziert werden kann. Ist dem nicht so, verliert es an Wert und kann für Lohnabhängige erschwinglich werden, deren Interesse nicht in einer Produktion für den Markt liegt, sondern in einer Produktion zur Unabhängigkeit von dem Markt. Außerhalb des Marktes wird sich auf ein Produktionsmittel nur seinem arbeitssparenden Charakter nach bezogen und diese Form der Effizienz steigt dabei absolut mit dem Fortschritt der technischen Entwicklungen. Ein Umstieg auf eine Produktionsweise zur Bedürfnisbefriedigung wird daher – innerhalb dieser rein materiellen Perspektive – umso einfacher, je fortgeschrittener die Technik innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise schon ist.
In der Anwendung privater Produktionsmittel für das Commoning werden die durch das Privateigentum definierten Grenzen kapitalistischer Unternehmen ab dem ersten Moment überschritten und die einzelne Tätigkeit gliedert sich in eine gesamtgesellschaftliche Kooperation nach Inklusionslogik ein. Die Wege der Produktion nach Verwertung und nach Bedürfnisbefriedigung trennen sich daher von Anfang an und damit klärt sich auch die Frage, wie der Kapitalismus übernommen werden kann: Er kann es nicht. Die heutige Wirtschaftsstruktur entsteht durch den abstrakten Geldverwertungsprozess, durch die Suche nach der hohen Profitrate und nicht um Bedürfnisse zu befriedigen. Commoning ist keine Übernahme der Struktur, sondern eine Aufhebung. In der Entstehung des Kapitalismus in England wurden auch nicht die feudalen Bauernhöfe übernommen, sondern die Felder in gewinnbringendere Schafweide verwandelt (vgl. MEW23, S.744). Die Logik eines neuen Produktionsverhältnisses ist nicht auf die Struktur des bestehenden übertragbar und selbst die innerhalb eines bestimmten Produktionsverhältnisses produzierten Produktionsmittel unterscheiden sich voneinander. Was gesellschaftlichen Produktionsmittel dabei speziell ausmachen muss, hat die Open Source Ecology herausgestellt und folgende sind die wichtigsten sechs Vorgaben: (1) Die Baupläne sind öffentliches Eigentum. (2) Modularität [Das heißt, eine größere Maschine besteht aus mehreren für sich stehenden Komponenten, die auch an anderer Stelle eingesetzt bzw. leicht ausgetauscht werden können. M.M.] (3) Geringe Kosten [allgemeiner formuliert: Wenig gesellschaftlich-notwendige Arbeitszeit. M.M.] (4) Auslegung auf lebenslange Haltbarkeit. (5) Effizienz muss sich mit den Industriestandards des Marktes messen können. (6) Einsetzbarkeit in verschiedenen Arbeitsbereichen. (vgl. OSE-wiki, Übersetzung M.M.).
Je partieller die Commons-Struktur schließlich aufgebaut ist und je vereinzelter die einzelnen Commons sind, desto ineffizienter ist ihre Zusammenarbeit. Zu Beginn des Commonings werden nur Prozesse der ersten Stufe, sprich, zur direkten Bedürfnisbefriedigung möglich sein. Je mehr freie Zeit durch Commoning erreicht werden kann, desto mehr Zeit kann insgesamt zur direkten Bedürfnisbefriedigung aufgewendet werden, desto kooperativer kann die Bedürfnisbefriedigung sein. Fehlen gesellschaftliche Produktionsmittel zur Befriedigung von sinnlich-vitalen Bedürfnissen, kann ein Bedarf danach eingespeist werden. Gesellschaftliche Produktionsmittel sind der materielle Boden des Commonings und je mehr daher hergestellt wurden, desto mehr sinnlich-vitale Bedürfnisse können befriedigt werden, desto mehr freie Zeit für Commoning entsteht, desto komplexer können die einzelnen Bedürfnisse sein, die befriedigt werden können, desto speziellere Produktionsmittel entstehen, usw. Auf diese Weise entsteht und wächst die Struktur der modernen Commons und mit ihr wächst die Effizienz zur Bedürfnisbefriedigung stetig an. Das Verhältnis der Verwendung von privaten Produktionsmittel zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln (gPm+/pPm+) zeigt dabei an, inwieweit die Commons-Struktur von seinem kapitalistischen Umfeld unabhängig geworden ist. Im Gegensatz zu Lohnarbeitern ist der Wohlstand der am Commoning Beteiligten an die Eigenständigkeit der Commons-Struktur gekoppelt. Je effizienter diese schließlich wird, desto weniger muss getan werden bzw. desto höher wird der Lebensstandard der Produzierenden.
Dominanzwechsel 2: Ausdehnung der Commons-Struktur
Wodurch dehnt sich das transpersonale Commoning also aus, wenn die Bewegung des Commonings B- – C – B+ doch ausgleichend ist? Durch die Deckung des Bedarfs an gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmitteln, der im Prozess zur Befriedigung von sinnlich-vitalen Bedürfnissen entsteht. Da die Bedürfnisbefriedigung über die Commons-Struktur keine Gegenleistung erfordert, werden immer Bedürfnisse anstehen, die es zu befriedigen gilt. In der zunehmenden Etablierung der Commons-Struktur können immer komplexere Bedürfnisse befriedigt werden und dafür werden immer mehr gesellschaftliche Produktionsmittel benötigt. Gesellschaftliche Produktionsmittel sind dabei nicht nur Maschinen und Rohstoffe, sondern auch Immobilien und Boden. Die ausgleichende Bewegung B- – C – B+ hat somit einen ähnlich expansiven Drang wie die kapitalistische Bewegung G – W – G‘.
In einer als Privateigentum erschlossenen Welt stößt dieser Drang allerdings schnell an seine Grenzen. Meretz und Sutterlütti beschreiben, dass der „transpersonale Vermittlungsraum durch den Äquivalententausch beherrscht wird“ bzw. der „transpersonale Raum schon besetzt [ist]“ (M/S, S.230). Weiter: „Das transpersonale Vermittlungsterrain müsste vom Äquivalententausch Stück für Stück übernommen werden. Das ist der Kern der Ausdehnungsidee“ (ebd.). Es geht hier um Überführung von kapitalistisch verwendeten Privateigentum in die Commons-Struktur bzw. um die bestimmende Deutung der Dinge; sind sie Zweck der Verwertung oder Zweck der Bedürfnisbefriedigung? Problematisch ist dabei, dass der Warenfetisch Kern der bürgerlichen Gesellschaft ist. Um das Problem fassen zu können, kann vor sich auf den Tisch eine Münze gelegt und der Versuch unternommen werden, in ihr nur ein Stück Metall zu sehen, ohne, dass der entsprechende Geldwert sich aufdrängt. Es mag die reinste Form des Fetisches sein, aber für jemanden, der sich dieses Prozesses nicht bewusst ist, ist es ähnlich schwer denkbar, dass in etwa eine Wohnung oder eine Maschine keinen Geldwert mehr haben soll. Aber genau diese Werteigenschaft als bestimmende Form aus den Köpfen zu bekommen – sie überflüssig zu machen – ist das Ziel der gesellschaftlichen Befreiung aus der sachlichen Herrschaft.
Während der Ausdehnung der Commons-Struktur werden durch Bedürfnisbefriedigung tendenziell diejenigen Personen unabhängiger von der kapitalistischen Produktion, die sich selbst an an priorisierten Commoning-Prozessen beteiligen. Die zusätzlich zur Verfügung stehende Zeit kann – muss aber selbstverständlich nicht – wieder für Commoning aufgewendet werden, um eine noch weitreichendere Unabhängigkeit von Lohnarbeit zu erhalten. Falls sich entschieden wird die gewohnte Arbeitszeit beizubehalten kann die eingesparte Geldmenge in private Produktionsmittel für Commoning-Prozesse oder kapitalistische Konsumgüter investiert werden. Je nachdem wächst die Unabhängigkeit von der kapitalistischen Struktur oder steigt die eigene Lebensqualität. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene allerdings ändert sich mit der zunehmenden Etablierung der Commons-Struktur nichts an den Grundbewegungen einer bestimmenden Verwertungslogik: Da Lohnabhängige durchschnittlich weniger Geld benötigen, aber noch nicht ohne Geld überleben können, sinken tendenziell die Löhne in neuen Arbeitsverträgen. Da hierdurch mehr Lebenszeit verkauft werden muss, um den Lebensstandard zu halten, kann es sein, dass trotz der zunehmenden Etablierung der Commons-Struktur das Arbeitsvolumen für Lohnabhängige durchschnittlich nicht abnimmt bzw. der Lebensstandard nicht steigt.
Zur Veranschaulichung kann sich dafür vorgestellt werden, sämtliche sinnlich-vitalen Bedürfnisse nach Nahrungsmitteln könnten innerhalb eines Landes durch Commoning befriedigt werden. 2015 machten dabei in Deutschland die monatlichen Ausgaben für Nahrungsmittel 10,2% des Lohnes aus8 (zum Vergleich: USA – 6,4%. Thailand – 28,8%). Diese Kosten entfallen durch das Commoning, die Lebenskosten sinken damit um 10,2%, die Abhängigkeit von Lohn – etwa für Miete, Versicherungen, andere Konsumgüter, etc. – besteht aber weiterhin und damit ebenfalls die Dynamik zwischen den Arbeitern und den Arbeitslosen. Arbeitslose sind weiterhin gezwungen Arbeitsverträge anzunehmen, deren Lohnhöhe in erster Linie nur ihre Lebenskosten decken muss. Die Lohnhöhe kann damit um 10,2% geringer ausfallen, als es zu dem Zeitpunkt der Fall war, an dem das Bedürfnis nach Nahrungsmitteln noch über den Markt befriedigt werden musste. In reiner Perspektive auf die Arbeitsbedingungen wäre damit nichts gewonnen, aber darüber hinaus stützt sich die kapitalistische Produktion jetzt auf die Commons-Struktur (vgl. doppelte Funktionalität: M/S, S.204). Ein Zusammenbruch der Commons-Struktur würde bedeuten, dass die Löhne nicht mehr ausreichend den Lebensbedarf decken bzw. in den Branchen ausgegeben werden muss, die bisher über Commoning abgesichert waren. Das Warenkapital der anderen Branchen kann somit unregelmäßiger in Geldkapital verwandelt werden und die Wahrscheinlichkeit einer kapitalistischen Krise wird verstärkt (siehe: 11.4 Krisendynamik…). Aus einer Systemebene betrachtet, dehnt sich die Commons-Struktur somit unter der kapitalistische Gesellschaft aus und macht diese zunehmend abhängig von ihrer eigenen Stabilität.
(weiter zum letzten Teil, zurück zum dritten. Überblick)
Habe ich das richtig verstanden, dass die Produktionsmittel im wesentlichen durch privates Aufkaufen, das u.a. durch den konkurrenzgetriebenen Wertverlust ermöglicht wird, in die Verfügung der Commons kommen sollen?
Hast Du mal auf eine „Gebrauchtmaschinen-Plattform“ geschaut, wieviel man für das alte Zeug noch bezahlen muss (und wir hornalt das Zeugs ist)? Hast Du ein Gefühl dafür, wie hinderlich die veraltete Pm-Basis im Realsozialismus für eine menschengemäße und effektive (zeitsparende) Produktion war?
Und wir wissen ja: nur die alten Pm zu übernehmen, hilft nicht viel, wenn es etwa die Fließbänder sind, an denen jetzt die ganze Unterhaltungselektronik zusammengelöstet wird.
Dass das alles nicht funktioniert, sieht man auch daran, dass es undenkbar ist, die ganzen zugrunde gegangenen Solarfabriken einfach aufzukaufen und weiter zu führen. Ich denke, an diesem „Aufkauf-„Programm ist die Technologie längst vorbeigezogen. Es reicht ja auch nicht, nur einzelne Maschinchen irgendwohin zu stellen, man braucht immer gleich die ganze Fabrik. Und sogar da sehen wir an den entsprechenden Praxen in Argentinien, Griechenland etc., dass das nur mit einer sehr geringen Produktivität und in geringem Maße geht (nicht nur wegen des Widerstands der Kapitalisten, sondern auch wegen der insgesamt systematisch a) zu geringen Arbeitsproduktivität (d.h. zu viel Arbeitskrafteinsatz) und gleichzeitig b) an zu hoher Arbeitsproduktivität (weil für die Produkte erst mal eine ausreichende Menge an Bedürfnissen da sein muss, damit sich die Produktion „lohnt“ -. viele technologische Prozesse müssen heutzutage „durchlaufen“, die können nicht nur „bei Bedürfnis“ ein- oder ausgeschaltet werden).
Ganz abgesehen davon, dass es systematisch so ist, dass Lohnarbeitende statistisch durchschnittlich gar nicht so viel Lohn erhalten, wie sie zum Aufkauf der nötigen Pm bräuchten.
Ich antworte unter diesem Abschnitt 4/5, weil darauf (und somit auch den nachfolgenden 5/5) verwiesen wurde in Marcus‘ Erwiderung hier:
http://keimform.de/2018/der-ausdehnungsdrang-moderner-commons-35/#comment-1339993 . Marcus antwortet sinngemäss, dass alle Gründe für meine wesentlichen Einwände letztlich durch die Ausdehnung des commoning sich von selbst erledigen. Ich fürchte, das ist nicht der Fall.
Die Vorbilder für Marcus-commoning im Anfangsstadium, die mir einfallen, sind Genossenschaft und „Import-Substitution“ armer oder auch vormals sozialistischer Länder. Das trifft meist auf die Kritik, dass hier Einschaltung in den (Welt)Markt, somit Ausbeutung usw vonnöten ist, nun ja, taktisch. Wie lange die Taktik durchgehalten werden muss, bis die commons einigermassen „industrialisiert“ sind, ist zwar eine (wie ich befürchte, bereits ziemlich vernichtende) Frage. Aber die andere Seite der Markt-Abhängigkeit wird da gern vergessen: Wie führt die Belegschaft den nach aussen notgedrungen mit Einkaufs- und Verkaufspreisen agierenden commons-Mischkonzern, den sie aufbaut? Nun – warum sollte sie ihn überhaupt führen? er unterliegt denselben Zwängen, wie normale Konzerne, da muss er wohl auch so geführt werden. Wie Marcus richtig analysiert hat: Da überschneidet sich nichts, es ist grundverschieden. Bloss: Mit wo auch immer erwirtschaftetem, oder geschenktem Geld, wird also nun ein letzter Schritt in einer „Wertschöpfungskette“ realisiert: Nahrungsmittel Eigenversorgung. Das geht ja grade noch. Aber wo ist, industrielles Produktivitätsniveau vorausgesetzt (und erwünscht), das „nächst“ anschlussfähige Commons? Nahrungs- und Futtermittel kann man in passenden Mengen „produktiv“ produzieren – Schlepper, Bau-, Werk- und Hilfsstoffe, Werkzeug, Haushaltsgeräte, Bekleidung, Medikamente, – weniger. Die Kette bricht ab. Die Ketten, die du dir vorstellst, Marcus, brechen, meine ich, aus genau dem Grund IMMER ab – solange du das gegenwärtige industrielle Produktivitätsniveau unterstellst.
((Darum sind ja keimformler seinerzeit so auf das 3D-Drucken abgefahren (das aber enorme Probleme hinsichtlich der Gebrauchseigenschaften aufwirft: Materialien, die formbar UND zweckgemäss nutzbar sind, sind nicht so häufig.) Oder auf das Programm mit den 50 „leicht aus Recycling-Material herstellbaren Basis-Maschinen“. Ob man das Material danach nochmal verwenden kann, scheint mir fraglich, recycling Prozesse sollten schon cradle-to-cradle sein….))
Mit anderen Worten: Das Problem liegt auf der Produktivkraftebene. Und die „Beziehungen“ müssen der ebenso gerecht werden, wie den „Bedürfnissen“ der Beteiligten. (Das Holzkampsche „produktive Bedürfnis“ halte ich für einen hochproblematischen Begriff. Ist eigentlich in der kritischen Psychologie erörtert worden, dass wir auch KOGNITIVE Bedürfnisse haben, sowas wie: Angenehme Routine – interessante (lösbare) Probleme – Neugier auf (anschlussfähiges) Unbekanntes – Begreifenwollen? Ist das nicht auch „sinnlich-vital“ (Nichtbefriedigung ist leidvoll)?
Danke erstmal für eure Kommentare. Eure Punkte sind auf jeden Fall gut und ich will und werde da auch kein „aber“ anhängen. Worum es mir im Moment geht, ist es herauszufinden wie Produktion nach Bedürfnisbefriedigung funktionieren kann und ob sie sich gegen die Produktion nach Wertverwertung durchsetzen kann. Der Kern von diesem Text bleibt die allgemeine Formel des Commonings, von der ich meine, dass sie überhaupt ermöglicht, über die Bedingungen, Probleme und Möglichkeiten dieser Produktionsweise nachzudenken. Die vier Szenarien sind jetzt der Versuch damit eine Transformation zu denken. Wenn sich hierbei keine Möglichkeit einer Transformation ergibt, dann werde ich sämtliche Überlegungen in diese Richtung gern an den Nagel hängen und mich anderem widmen. Da ich darin aber gerade die einzige Möglichkeit sehe, aus der Verwertungslogik und ihren Konsequenzen auszubrechen (was ja nicht heißt, dass es wirklich die einzige Möglichkeit ist), werde ich wenigstens den Versuch unternehmen, diese Richtung konsequent durchzudenken. Aber das nur vorausgestellt. Und daher bin ich auch dankbar für eure Kritik: Ich hab keine Lust länger als notwendig Luftschlösser zu bauen.
@Annette: Nein, auf gar keinen Fall wollte ich damit sagen, dass der private Ankauf der wesentliche Moment ist, wie gesellschaftliche Produktionsmittel entstehen. Hier will ich wieder einmal kurz auf mich selbst im Dominanzwechsel 3 verweisen (und gebe dabei absolut zu, dass es bei der Textfülle und Fünfteilung nicht einfach ist, die Übersicht zu bewahren):
Es geht mir mit dem privaten Ankauf besonders nicht darum, dass Einzelpersonen sich Produktionsmittel kaufen und sie selbstlos der Commons-Struktur übergeben. Es geht zuerst um die Möglichkeit heute einfache Produktionsmittel zu besitzen: Bohrmaschinen, Lötstationen, Schweißgeräte oder auch alte Transporter. Da gibt es eine Menge Leute, die heute so etwas besitzen und selbst für Commoning verwenden können. Und wenn es die Möglichkeit des (transpersonalen) Commonings gibt, das Wissen also, dass diese Dinge nicht an 364 Tagen im Jahr Staub ansetzen, dann gibt es eine höhere Motivation, sich so etwas zuzulegen. Privater Ankauf bzw. Produktionsmittel im Privateigentum soll vorrangig aufzeigen, dass Commoning jederzeit und ohne Vorbedingungen möglich ist: Weil Menschen Zeug besitzen, das in ihrem Keller rumliegt. Und ich meine auf jeden Fall, dass es möglich ist, damit einige Bedürfnisse zu befriedigen – und wenn es nur etwa die Instandhaltung eines Hauses ist.
Aber ehrliche Frage dazu: Ich habe keine Ahnung von den Praxen in Argentinien und Griechenland. Was direkt meinst du damit? Geht es dir bei dem Punkt der zu geringen Arbeitsintensität (zu viel Arbeitskrafteinsatz) um einen Vergleich zur kapitalistischen Produktion, d.h. auf einer Verwertungsebene? Das gäbe es ja eben zu vermeiden. Und wäre zum Punkt der zu hohen Produktivität nicht eben transpersonales Commoning eine Möglichkeit, Abnehmer für die sehr vielen Produkte zu finden?
@franziska: „…von selbst erledigen“ finde ich schwierig formuliert, aber es kann natürlich so rübergekommen sein. Ich hatte nur das Gefühl, dass du in einem Denkmodus bist, dass sämtliche heute verwendeten Strukturen schlagartig zu einer Produktionsweise der Bedürfnisbefriedigung umgestellt werden sollen und du eben den Faktor des Heranwachsens dabei außer acht lässt.
Allerdings glaube ich, dass wir immer noch aneinander vorbei reden. Die Produktionsweise nach Bedürfnisbefriedigung bringt eben keinen „Wert“ hervor und damit kann sie sich auch nicht an einem (Welt)Markt messen können. Es geht ja wirklich um die direkte, unentgeltliche Bedürfnisbefriedigung. Ein Commons produziert zwar, aber zu keinem Moment produziert sie Ware. Das aber machen Genossenschaften. Die sind auch selbst-organisiert, müssen aber als Warenproduzenten den Zwängen den Marktes folgen. Aber das ist etwas anderes als Commoning. Und jetzt nicht nur linguistisch.
Produktionsmittel zu konstruieren, die auf ähnlichen Bauteilen aufbauen ist tatsächlich ein Problem. Die Open-Source-Ecology forscht ja tatsächlich daran, aber Computer lassen sich damit natürlich noch nicht herstellen. Aber ich meine, dass es eine Möglichkeit für so etwas gibt.
Zu den produktiven Bedürfnissen: Ich arbeite mich gerade erst in die Kritische Psychologie hinein und lasse mich bei allem, was ich dazu sage, sehr gerne korrigieren. Aber das „produktive Bedürfnis“ darf auf keinen Fall etwa als „Bedürfnis zu arbeiten“ oder auch nur als „Bedürfnis tätig zu werden“ verstanden zu werden. Es umfasst den ganzen Prozess, sinnlich-vitale Bedürfnisse dauerhaft/vorsorgend zu befriedigen. Und in diesem Bedürfnis nach einer dauerhaften Befriedigung sinnlich-vitaler Bedürfnisse entstehen ja interessante Aufgaben, die es zu lösen gibt. Es gibt darin angenehme Routinen – auch manche Lohnarbeit kann ja eine angenehme Routine sein, die mir Geld einbringt, mit welchem ich (für die Dauer meines Arbeitsvertrages etc.) einen Teil meiner sinnlich-vitalen Bedürfnisse abgesichert weiß. Neugier und die Welt zu erforschen zu wollen ist definitiv auch ein wesentlicher Aspekt von Holzkamp, aber hier muss ich wieder zugeben: Ich kenne besonders die Neugier und Begreifenwollen (im Sinne fortschrittlicher Orientierung) in meiner bisherigen Holzkamp-Lektüre erst im tierischen Stadium und traue mir keine Aussage zum Menschen zu. Aber ich kann absolut versichern, dass es eine wesentliche Rolle spielt.
„Da im Commoning immer erst produziert wird, sobald ein Bedürfnis ansteht, gibt es kein Gesamtprodukt, das verteilt werden muss. Was es dagegen gibt, ist eine Gesamtanzahl von anstehenden sinnlich-vitalen Bedürfnissen. Statt einer Verteilung im Nachhinein kann somit eine Gewichtung bzw. Priorisierung von Bedürfnissen im Vornherein stattfinden.“
Dennoch gibt es unterm Strich ein Gesamtprodukt: eben das, was in einem bestimmten Zeitraum geleistet werden kann (oder konnte); und wenn Ergebnisse daraus an Individuen ausgegeben werden, die keine halbwegs entsprechende Arbeitsleistung mit einbringen (direkt dafür oder für andere), dann bedeutet das, dass andere im Endeffekt verhältnismäßig mehr gearbeitet haben, ihre Wünsche aber nur vermindert realisieren konnten.
Ob man das im Vorhinein, im laufenden Prozess oder im Nachhinein bilanziert, spielt doch keine Rolle. Mehr als das, was erarbeitet wird, kann jedenfalls nicht „verteilt“ werden, nach welchen Maßstäben auch immer. Wird das Verhältnis zwischen Mitarbeit und Nutzen mittelfristig zu sehr strapaziert, hält auch großer Idealismus nicht mehr lange. Diesbezüglich gibt’s doch wirklich genügend Erfahrungen. Soziale Überforderung, man kann auch sagen: moralische Überbeanspruchung, ist ein ernstzunehmender Aspekt. Jedenfalls solange das Arbeiten selbst nicht die reine Freude ist.
Hi Mattis,
genau dieser Abhängigkeit von Idealismus soll hier entkommen werden, indem die sinnlich-vitalen Bedürfnisse derjenigen priorisiert/hervorgehoben werden sollen, welche selbst für die Befriedigung der sinnlich-vitalen Bedürfnisse anderer tätig sind.
Ob im Vor- oder Nachhinein „bilanziert“ wird spielt keine Rolle in einer Produktionsweise, in der es keinen klaren Adressaten gibt. Die hier beschriebene Produktion setzt ein, sobald ein Bedürfnis ansteht und befriedigt dieses konkrete Bedürfnis einer konkreten Person. Somit findet keine freie Verteilung statt; weder eine, in der sich die Konsumenten das Produkt suchen (Marktwirtschaft), noch eine, in dem jemand/etwas entscheidet, wer ein hergestelltes Produkt erhalten soll (Planwirtschaft). Die Logiken sind da wirklich grundverschieden.
@ Marcus Meindel
Ok, da hab ich jetzt allerdings die Frage, welche Bedürfnisse es sein könnten, die jemand anderer gerne erfüllt, ohne einen Ausgleich dafür zu erwarten. Wenn diese Art von Produktion oder Dienst selbst Freude macht (im Sinne von travail attractive), ist natürlich der „Ausgleich“ unmittelbar gegeben. Aber mir fallen da jetzt keine überschaubaren Beispiele ein. Das Attribut „sinnlich-vital“ allein hilft mir da nicht weiter.
@Mattis: Die Fragestellung ist ja, wie Produktion/Distrubution auf
transpersonaler Ebene innerhalb einer Gesellschaft funktionieren kann,
wenn Freiwilligkeit und kollektive Verfügung die Basis ist, es also
keine Form von Geld gibt. Dass eben durch freiwillige Tätigkeit keine
direkte Gegenleistung erwartet werden kann, ist natürlich die Krux an
der ganzen Geschichte – das hebe ich im dritten Teil dieser Reihe (Kap.
8.2 „Befriedigung innerhalb der produktiven Bedürfnisdimension“, ganz
unten im Text) auch nochmal hervor. Wenn es dich interessiert, was die
sinnlich-vitale bzw. die produktive Bedürfnisdimension ist, würde ich
dich der Einfachheit halber auch nochmal in den dritten Teil (Kap. 7
„Produktion und Distribution innerhalb der Commons-Struktur“) verweisen.
Ganz allgemein spielt sich dieser Punkt der Bedürfnispriorisierung hier nur in der transpersonalen, d.h. über ein Programm vermittelten Ebene ab. Da
in diesem Programm die sinnlich-vitalen (der Begriff ist schon wichtig,
kann aber an der Stelle jetzt auch einfach überlesen werden)
Bedürfnisse konkreter Personen eingespeist sind, können diese für
diejenigen hervorgehoben/priorisiert werden, welche sich der
Bedürfnisbefriedigung einer bestimmten Art annehmen wollen.
Verbildlicht kann sich einfach eine Tabelle vorgestellt werden. Ich habe eine bestimmte Fähigkeit (Schreiner) und will diese einsetzen, um die Bedürfnisse anderer Menschen zu befriedigen (Tische bauen).
Ich sehe in diesem Programm nach, wer das Bedürfnis nach Tischen hat
und bekomme eine Tabelle angezeigt, die eben nicht zufällig oder
chronologisch ist, sondern der gesellschaftlichen Notwendigkeit nach
sortiert ist. Gesellschaftlich notwendig heißt hier, dass das oberste
einzelne Bedürfnis nach einem Tisch von einer Person ist, die selbst „am
meisten“ für andere getan hat. Als Schreiner muss ich jetzt nicht für
diese Person tätig werden, sondern kann auch jedes andere Bedürfnis nach
Tischen befriedigen. Es ergibt aber tendenziell Sinn für mich, da ich
auf der anderen Seite genauso möchte, dass sich tendenziell meinen
Bedürfnissen angenommen wird, wenn ich mehr als andere für andere tätig
bin. D.h. wenn sowohl ich als auch mein Nachbar (der for the sake of the
argument jetzt einfach nichts gemacht hat) danach ein Bedürfnis nach
einer neuen Schreibtischlampe einspeise, ist mein Bedürfnis in der Liste
des Lampenbauers genauso höher gewichtet als das meines Nachbarn.
Es ist ein Stück Exklusionslogik innerhalb der Commons-Struktur und schöner wäre es, wenn es nicht notwendig wäre. Aber es ist meiner
Meinung nach eine Möglichkeit, um dieser Produktionsweise innerhalb
einer Gesellschaftsstruktur aus sachlichen Zwängen den notwendigen
Anschub zu geben. Ist das so verständlich?
@Marcus:
Diese Frage ist durch und durch idealistisch. Das materialistische Gegenstück wäre es zu fragen, welche Bedingungen gelten müssen, damit Geld (oder allgemeiner: Verrechnung bzw. Kopplung von Geben und Nehmen) überflüssig werden. Dein Gedankenexperiment macht schon klar, dass diese Bedingungen heute noch nicht gelten und dass einzelne Leute (egal ob wenige oder ziemlich viele) die es idealistischer Weise trotzdem versuchen wollen, damit auch nicht weit kommen werden.
Mit Geld geht die Tischverteilung so: Ich verdiene das nötige Geld (oder habe es vielleicht schon) und kaufe mir dann den Tisch. Dabei kann ich je nach Budget entscheiden, ob es ein großer oder kleiner, luxuriöser oder schlichter, haltbarer oder fragiler Tisch ist. Je mehr Geld ich für den Tisch ausgebe, desto weniger Geld kann ich allerdings für andere Dinge ausgeben. Und wenn ich nicht genug Geld verdienen kann, um mir einen Tisch leisten zu können, habe ich ein großes Problem, das wissen wir alle.
Ohne Geld könnte es vielleicht so gehen: Ich suche mir aus einem Lager (oder aus dem Internet) einen Tisch heraus, der dann kostenfrei zu mir nach Hause geschafft wird. (Um Produktion und Transport könnten sich Freiwillige kümmern, sofern es nicht Maschinen erledigen.)
Oder so: Ich habe im Keller oder irgendwo in der Nachbarschaft Zugang zu einem Hochleistungs-Fabber, der den Tisch nach meinen Wünschen herstellt, und zu Roboter-Drohnen, die ihn dann in meine Wohnung schaffen.
Beide Szenarien sind heute klarerweise noch nicht realisierbar. Ob das in ein paar Jahrzehnten oder -hunderten anders aussieht, und zwar nicht nur für Tische, sondern auch für nahezu alle anderen Dinge, für die Leute ansonsten womöglich Geld ausgeben wollen würden, darüber kann man heute nur spekulieren. (Ich habe gewisse Zweifel.)
Wie es IMHO nicht gehen kann, ist die Ersetzung des Geldes durch eine Wunschliste, die in sich alle eintragen und dann auf das Beste hoffen. Zum einen funktioniert es stofflich nicht — ich kann vielleicht ein paar Monate ohne Tisch leben, aber ohne Beleuchtung wird es schon schwierig und ohne Lebensmittel, Heizung und medizinische Versorgung geht es (je nach Umständen) definitiv nicht. Wenn alles nur noch per Wunschliste und Warten geht, bin ich nach ein paar Monaten entweder tot oder wieder in den Kapitalismus abgewandert.
Zum anderen wäre es auch beim (zugestanden nicht lebensnotwendigen) Tisch aus emanzipatorischer Sicht kein Fortschritt, wenn die Entscheidung darüber, ob und welchen ich kriege, aus meinen Händen in die von mir unbekannten Schreinereien oder Tischfabriken verschoben wird, bei denen ich dann einen möglichst guten Eindruck hinterlassen muss (dass es vereinzelte „Schreiner“ oder „Lampenbauer“ gibt, die ganz autonom produzieren, ohne Werkstätten, Vorprodukte und Kolleg_innen zu brauchen, ist ja eine Illusion). Soweit und sofern es Knappheiten (oder Begrenzungen) gibt, liegt die Entscheidung darüber, wie sie ihre knappen Ressourcen priorisieren, an besten möglichst nahe bei den einzelnen Nutzer_innen selbst und nicht bei irgendwelchen Produzierendenkollektiven, bei denen die einzelnen Nutzer_innenbedürfnisse immer nur indirekt und vermittelt ankommen können. Die Nutzerautonomie (die die Kapitalismus selbstverständlich nicht nur begrenzt, sondern v.a. äußerst unfair verteilt ist) durch Produzent_innenautonomie ersetzen zu wollen, ist kein Schritt in die richtige Richtung.
Hi Christian, schön von dir zu hören!
Das stimmt so einfach nicht. Wirkliche Freiwilligkeit ist ein Ideal, dem sich nur angenähert werden kann – zugegeben -, aber die Frage nach einer anderen Möglichkeit Gesellschaft herzustellen, ohne Geld oder persönlicher Abhängigkeit, ist es meiner Ansicht nach bestimmt nicht. Was mein Beispiel (bzw. noch vieles hier in diesem Text) klar machen soll ist, dass die Möglichkeiten heute ziemlich limitiert sind, aber – ich sag mal – unkomplexe Handlungsmöglickeiten in dieser Richtung bereits möglich sind. Und, dass durch diese sehr einfachen Handlungen immer komplexere Prozesse möglich werden. Das zumindest meinen eigenen Erkenntnissen nach.
Das Beispiel würde wieder voraussetzen, dass erst produziert wird und dann verteilt – nur, dass kein Geld verwendet wird, wenn es auch in dieser Produktionsweise durchaus sinnvoll wäre. Die dahinterliegende Produktionsweise und die daraus hervorgehende Gesellschaftsstruktur wäre m.M.n. weiterhin marktförmig, nur dass jedes Ding unsinnigerweise null Geld kostet. Indem sich einfach nimmt, wer etwas braucht, sehe ich auch keine Möglichkeit, wie so eine Produktionsstruktur wirklich transparent werden kann. – aber dass das Beispiel so nicht funktioniert, darüber stehen wir ja nicht im Widerspruch.
Selbstverständlich. Das Beispiel sollte das bloße Moment der Priorisierung verdeutlichen und keinesfalls die ganze Produktionsweise darstellen. Im Text verzichte ich sehr bewusst auf derlei Bilder, da sie immer und notwendigerweise stark vereinfacht sind. Das Prinzip aber ist natürlich richtig, wenn die Verarbeitung/Auswertbarkeit der Information wesentlich nützlicher gestaltet sein kann. Zum Beispiel (wieder verbildlicht und nur für dieses Moment) kann ich als jemand, der ein Bedürfnis nach einem Tisch hat, einsehen können, welche Art Tische auch andere möchten und wie kompliziert es ist, die jeweilige Tischart herzustellen. Wenn ich unbedingt einen Tisch brauche, dann wähle ich einen aus der Fließbandfertigung, die sowieso auf Grund der ständig eintreffenden Bedürfnisse durchläuft.
Genau das ist die Sache, gegen die ich antrete: Entweder du bist voll in Produktionsweise A oder voll in Produktionsweise B – dazwischen gibt es nichts. Das stimmt doch im Realfall nicht. Wenn mir die Wartezeit für mein Gemüse zu lange dauert, dann kaufe ich es mir im Supermarkt, aber warte vielleicht trotzdem noch eine Weile auf meinen Schreibtisch – für den mir vielleicht am Markt das Geld fehlt. Durch transpersonales Commoning ergeben sich in meinem ganz normalen bürgerlichen Leben neue Weisen meine Bedürfnisse zu befriedigen, die nicht kapitalistisch sind. Am Anfang sind das wenige, mit der Zeit hoffentlich immer mehr. Und wenn es mehr werden, dann heißt das, dass die Strukturen immer besser funktionieren – das die einzelnen Commoningprozesse immer besser ineinandergreifen, weil es beispielspielsweise mehr Commons gibt, die dasselbe Bedürfnis befriedigen/ den selben Bedarf decken können.
Das ist was ich oben als Beispiel meinte: Nicht die Produzierenden entscheiden, was diejenigen mit dem Bedürfnis bekommen sollen, sondern diese können (im besten Fall) einsehen, welches Produkt sie am wahrscheinlichsten und schnellsten bekommen und demnach selbst entscheiden. Das wäre eine ähnliche Wahlfreiheit, wie bei dem von dir beschriebenen Konsumenten im Kaufhaus, der sich einen Tisch aussucht, je nachdem, wieviel Geld er/sie hat. Idealerweise können Nutzer vielleicht noch einsehen, welche Ressourcen es verbraucht und welche Auswirkungen das hat – das mit den Ressourcen ist tatsächlich ein wichtiger Punkt, der sich durch die beschriebene Produktionsweise nicht „von selbst löst“. Aber: Die Verselbstständigung und damit die notwendige Überstrapazierung der Ressourcen wird umgangen. Das ist auf dieser Ebene schon einiges. Und ich gebe auch gerne zu, dass das jetzt diffus klingt – aber die Rede ist hier ja auch nicht von etwas, das sich aus sich selbst ergibt, sondern das als kleinstes Teil entwickelt/konstruiert werden muss, damit (meinen Erkenntnissen nach) Commoning transpersonal funktioniert.
„Ich sehe in diesem Programm nach, wer das Bedürfnis
nach Tischen hat und bekomme eine Tabelle angezeigt, die eben nicht zufällig oder chronologisch ist, sondern der gesellschaftlichen Notwendigkeit nach sortiert ist. Gesellschaftlich notwendig heißt hier, dass das oberste
einzelne Bedürfnis nach einem Tisch von einer Person ist, die selbst „am
meisten“ für andere getan hat.“ (M.M.)
Auf diese Weise etabliert sich m.E. eben dann doch die Haltung, dass man etwas „bringen“ muss, um etwas zu bekommen (da sonst die Wahrscheinlichkeit absinkt), auch wenn man wenig Anforderungen findet, die man gerne erfüllt. Und dabei schleichen sich also absehbar Kriterien ein, also sucht man solche Kriterien zu erfüllen, man richtet sich also mehr und mehr primär nach der Nachfrage, um bei den Anbietern die Chancen zu erhöhen! Es sei denn, man kann seinen Traumjob ausüben, dessen Ergebnisse von vielen begehrt werden (der Job wird dann aber auch von anderen begehrt sein – Achtung Konkurrenz!)
Und so geht das dann weiter, bis man am Ende auf einem sehr umständlichen Umweg dennoch letztendlich beim Bewerten von Gütern und Diensten ankommt, und dazu würde Marx sicherlich sagen: da landet ihr natürlich bei der Arbeitszeit, weil das eben dasjenige Maß ist, das die unterschiedlichsten Dinge gemeinsam haben und damit am transparentesten vergleichbar macht. Je mehr Einzelkomponenten und Einzelakteure ins Spiel kommen, also je komplexer und unpersönlicher das Produzieren wird (Stichwort Ausdehnung) umso stärker wird diese Tendenz zur Leistungs-Abstraktion sein.
Mattis Bedenken, dass über „Leistungsbewertung“ der Warenwert auf die beteiligten Menschen verlagert wird, teile ich auch. Im übrigen halte ich den ganzen Ansatz, zwei Handwerker, die füreinander produzieren, als gesellschaftliches Modell zu nehmen für verfehlt: Wo ein Individuum für ein anderes Individuum einen Gebrauchswert schafft, befinden sich beide in vorindustriellen Verhältnissen. Anhand zweier Individuen aufzeigen zu wollen, wie eine Bedarfswirtschaft ohne Geld und ohne Lohnarbeit funktioniert, ist so unterkomplex, dass sich daran kein Planungs- und Entscheidungsprozess einer nachkapitalistischen Wirtschaft aufzeigen lässt. Der Kapitalismus hat es dazu gebracht, dass kaum ein Individuum mehr fertige, verwendbare Produkte herstellt und herstellen kann. Auf jeder Produktionsstufe sind eine Vielzahl unterschiedlicher, aber kooperativer Tätigkeiten nötig und jeder Produktionsstufe sind eine riesige Anzahl Vorstufen der Produktion (Lieferketten) vorgeschaltet. Alle Verteidiger der Marktwirtschaft behaupten, die moderne Produktion ist in ihrer Gesamtheit nicht überschaubar, daher auch nicht planbar. Wer eine Gebrauchsproduktion ohne Lohnarbeit und ohne Geld nicht nur für wünschenswert, sondern auch für möglich hält, muss aufzeigen können, wie die Komplexität industrieller (gemeinschaftlicher) Produktion für jeden von uns überschaubar werden kann.
Ein Schritt, vorhandene Produktionsmittel und gewollte Produktionsziele überschaubar und entscheidbar zu machen, wäre natürlich, wenn jede einzelne Kommune erste und unterste Planungs- und Produktionseinheit wird. Dennoch bleibt dann immer noch eine hohe gesellschaftliche Komplexität, die durchschaubar gemacht werden muss, sonst ist sie nicht gemeinschaftlich planbar.
Jede bedarfsgerechte Produktion hat Ausgangsbedingungen und eine Zielvorstellung. In einer Bedarfswirtschaft muss über die Produktionsziele im Vorhinein gemeinsam beraten und entschieden werden. In der Bestimmung der Zielvorstellung sind die Ausgangsbedingungen notwendig enthalten – je nachdem das Produktionsziel weiter oder näher von den Ausgangsbedingungen entfernt ist. Die gemeinsame Beratung und Beschlussfassung muss allerdings beides durchsichtig machen: Welche einsetzbaren Stoffe, Technologien, Fähigkeiten und freiwilligen (!) Arbeitsmengen sind vorhanden? Welche Stoffe, Technologien, Fähigkeiten und Arbeitsmengen benötigen wir zur Realisierung unserer Ziele? Auf diese beide Fragestellungen lässt sich der nachkapitalistische Planungs- und Entscheidungsprozess reduzieren.
Womit wir es hier zu tun haben, lässt sich (cum grano salis) an einem neuen Forschungsbericht der IAB studieren, der die Folgen einer teilweisen Umstellung des Autoverkehrs auf E-Fahrzeuge analysiert. Dieser IAB-Bericht kann uns als grobes Modell dienen für eine Gesellschaft, die den Verbrennungsmotor abschaffen und durch E-Motorik ersetzen will – allerdings mit folgender grundsätzlicher Einschränkung: Was in dem IAB-Bericht als Schätzung oder als Prognose enthalten ist, wäre zu ersetzen durch bewusste und gemeinschaftliche Zielsetzung und Planung. Sorry, dass gemeinschaftliche Wirtschaftsplanung nicht einfacher zu haben ist!
http://doku.iab.de/forschungsbericht/2018/fb0818.pdf
Gruß Wal
Dreimal hatte ich vergeblich versucht, hier meinen Beitrag zur Fragestellung „Wie geht Kommunismus?“ zu posten.Wenn ich hier nicht willkommen bin, wäre es fair, das – auch ohne Nennung von Gründen – mir (und anderen) mitzuteilen.
Mein Betrag, der hier nicht stehen durfte, ist dort nachzulesen:
https://marx-forum.de/Forum/index.php?thread/901-wie-geht-kommunismus/&postID=5154#post5154
Gruß Wal
@Wal: Keine Panik! Dein Kommentar war in der Moderationsschleife gelandet, ich habe ihn (bzw. ein Exemplar davon – zwei habe ich gesehen) nun freigegeben. Generell gilt: Wenn ein Kommentar nicht gleich erscheint, muss er manuell moderiert/freigegeben werden, das kann schon mal 1–2 Tage dauern, wir machen das hier nur nebenbei. Erst wenn ein Kommentar nach 48 Stunden immer noch nicht da ist, gibt es Grund, mal nachzuhaken, was da los ist.
Warum dein Kommentar moderiert werden musste, weiß ich allerdings auch nicht – generell passiert das bei Texten mit vielen Links, was hier aber ja nicht der Fall war. Irgendwas muss die Blogsoftware bei dem Text „verdächtig“ gefunden haben, aber was es war, kann ich nicht sagen.
@Mattis: Das ist auch tatsächlich so angelegt. Wir befinden uns in einer Situation aus sachlichen Zwängen und wenn wir Tätigkeit außerhalb der Verwertungsstruktur nachgehen wollen, dann muss das für das eigene Leben Sinn ergeben, d.h. eine zunehmende Unabhängigkeit von der Lohnarbeit mit sich bringen. Indem sich aber so eine Struktur auf Inklusionslogik ausdehnt, verlieren sich die Zwänge, den priorisierten Bedürfnissen nachzugehen.
Relevante Textzitate hier im Kapitel „Bedürfnispriorisierung“:
@Wal Buchenberg: Danke für deinen Kommentar und an der Stelle, unabhängig davon, danke für deine bisherige Arbeit überhaupt. Dein Kapital-Hörbuch war großartig, als ich am Fließband gearbeitet habe und dein Stichwortverzeichnis im marx-forum ist wirklich unverzichtbar für alles woran ich arbeite – diesen Text zum Beispiel. Aber wie gesagt, das wirklich jetzt unabhängig von deinem Kommentar.
Verstehe ich als Kritik absolut, ist im Bereich des Commonings meiner Ansicht gerade nicht anders möglich. Planwirtschaft ist eine Weiterführung der Exklusionsstruktur des Kapitalismus (das meine ich jetzt nicht unbedingt bewertet, sondern nur strukturell), während Commoning einer ganz anderen Logik nachgeht, die aber bisher als Struktur unterentwickelt ist. Es muss also tatsächlich wieder auf der kleinsten Beziehungsebene zwischen zwei Menschen aufgebaut werden, da wir in der Keimformtheorie noch keine wirkliche Aussage darüber treffen können, wie die Struktur dann tatsächlich aussehen/funktionieren wird. Daher muss innerhalb dieser Theorie eben nicht gezeigt werden, wie die heutige Struktur transparent gemacht werden kann, sondern welche Qualitäten elementare Handlungsformen einer inklusiven Logik mit sich bringen müssen, damit die daraus entstehende Struktur transparent sein wird. Ich bin so frei, mich noch einmal selbst aus dem Kapitel „Dominanzwechsel 1: Effizienz des Commonings“ zu zitieren:
Nochmal zu deinem Kommentar: Du bewegst dich meiner Meinung im Rahmen von Planwirtschaft und dort ergibt das natürlich Sinn, dass Menschen sich zusammensetzen und über gemeinsame Ressourcen, inklusive mehr oder weniger freiwilliger Arbeitsmengen, entscheiden. Aber hier wird tatsächlich über eine gänzliche andere Logik und Struktur geredet, die sich weder mit dem Gedankenkomplex einer kapitalitsischen Gesellschaft noch einer Planwirtschaft fassen lässt und in der Konflikte auf einer andere Weise gelöst werden müssen. Ob das so funktioniert, muss noch herausgefunden werden. Daher auch…
Kein Problem. Gemeinschaftliche Wirtschaftsplanung wird hier einfach echt nicht betrieben.
“So wie das Zwangsmoment der kapitalistischen Struktur abnimmt und Commoning sich vermehrt etabliert, verliert es an Wichtigkeit selbst priorisierte Bedürfnisse zu befriedigen. Die intrinsische Motivation kann sich entfalten, indem sich vermehrt den Aufgaben zugewendet wird, in denen ein Sinn für die eigene eiterentwicklung gesehen wird.” (M.M.)
Ist das nicht pures Wunschdenken, gerade dann, wenn die gesamte Struktur nur noch als Commoning existiert? Als bloß zusätzliche Sphäre, von der dann nicht viel abhängt, und die sich neben einer anderen, verlässlichen Reproduktionsbasis etabliert, mag es zwar noch irgendwie funktionieren. Aber der formulierte Anspruch geht ja ums Ganze! Es soll ja ein Modell jenseits von Kapitalismus und auch jenseits von gemeinschaftlich geplanter Produktion sein, und da sehe ich mehr Wunsch als Realisierbarkeit.
Die „Marktabhängigkeit“ ist in diesem Modell extrem, erinnert mich an die Mühe im Kapitalismus, die dort Selbständige haben, kontinuierliche Nachfrage zu finden. Was ist mit sozialer Sicherheit? Mit Rente? Ok, ich habe noch nicht alle Texte gelesen, aber das sind viele Aspekte, die für mich schon mal gar nicht zusammenpassen.
Wenn ein Produzent entscheidet, ob er einen Bedarf X für die Person A oder für Person B erfüllen will, dann hat er vielleicht nach A keine Lust mehr, was für B zu tun, weil er die bloße Wiederholung der X-Produktion nicht spannend genug findet für die o.g. „eigene Weiterentwicklung“.
Der relativen Freiheit, die man als Anbieter hat, entspricht also zwangsläufig umgekehrt die Unfreiheit als Nachfrager, das Ausgeliefertsein an ein unverbindliches System.
Je mehr die Theorie ausgeweitet wird aufs Ganze, umso mehr Fallstricke werden sichtbar, um wirklich zur angestrebten Bedürfnisbefriedigung zu gelangen, diese scheint mir also alles andere als gesichert. Wenn man schließlich von dieser Produktionsweise etwas dringend braucht, aber in diesem superkomplexen Geschehen von Freiwilligkeit und Willkür am Ende leer ausgeht, wird die Begeisterung über diese Gesellschaftsform schnell nachlassen. Der Idealismus des scheinbar selbstbestimmten Produzierens schlägt dann um – ausgerechnet in eine totale Markt-Abhängigkeit.
Erfahrungen in einer Kommune haben mir gezeigt, dass ohne abgestimmte Aufgabenteilung am Ende ein paar Idealisten die meiste Arbeit machen, während sich einige andere lediglich die Rosinen rauspicken. Mittelfristig bringt sowas den Idealismus der ausgenutzten Fleißigen zum Erliegen und das wars dann – es sei denn, es gibt eine Wende zur verbindlichen gemeinsamen Planung, wobei jeder auch Unangenehmes mit erledigen muss. Ich sehe bei deinem Modell keinen Aspekt, der diese Logik aufheben könnte.
@Marcus #10:
Ja, Handlungsmöglickeiten für die, die das wollen, gibt es, aber idealistisch ist diese Fragestellung, weil sie nur „wenn man so handeln will, was kann man tun?“ fragt, aber nicht ernsthaft, warum und unter welchem Umständen es für Menschen zweckmäßig wird, so zu handeln.
Wobei du selber sagst, dass die Handlungsmöglickeiten „ziemlich limitiert“ sind, aber mir scheint, du unterschätzt die Limitierung total. Wal verweist zu Recht darauf, dass deine Vorstellungen auf „vorindustrielle Verhältnisse“ hinauslaufen, die dem Kapitalismus nicht gefährlich werden können, weil sie nicht sein Produktionsniveau erreichen. Ich nenne das gern „Wohlfühlprojekte“: Man schafft sich in der Freizeit einen Raum, in dem man sich wohlfühlen kann — das ist eine gute Sache, man sollte sich aber nicht der Illusion hingeben, auf diese Weise zur Überwindung des Kapitalismus beizutragen.
Nicht zwingend — gerade der im Internet rausgesuchte Tisch könnte durchaus erst „on demand“ hergestellt werden, nachdem ich ihn (kostenfrei) bestellt habe. Für andere Dinge gilt das aber definitiv nicht: Wenn ich ein Hungergefühl und damit ein konkretes Bedürfnis nach (ggf. bestimmten) Lebensmitteln verspüre, ist es zu spät, mit dem Anbau der Lebensmittel zu beginnen! Und zu sagen: „Wer im Frühjahr nicht sein Bedürfnis nach Lebensmitteln angemeldet hat, muss im Herbst halt hungern“ wäre zynisch und unrealistisch. Viele Produktionsprozesse dauern monatelang; wenn man die Herstellung von Produktionsmitteln, den Bau von Fabriken etc. einrechnet, werden Jahre bis Jahrzehnte daraus. Und viele Bedürfnisse lassen sich lange vorher definitiv nicht ermitteln: Wer krank wird, braucht kurzfristig Hilfe; geht etwas kaputt, brauche ich kurzfristig Ersatz; Menschen werden geboren, andere sterben oder ziehen um; oft will oder muss man Dinge spontan oder „last minute“ machen. Also zu glauben, dass die Produzierenden zu Beginn jedes Produktionsprozesses schon wissen können, wer die fraglichen Güter später nutzen wird, ist völlig unrealistisch.
Nimm meine Frage („Wunschliste“ oder was sonst?) mal ernst. Zu sagen „als Fallback gibt es ja immer noch den Kapitalismus“ macht keinen Sinn, wenn man diesen gerade überflüssig machen will. Schließlich geht es da auch um das Endgame: Wo will man hin? Wie wird die Gesellschaft funktionieren, wenn das Ziel erreicht wird? Wenn man das selbst nicht sagen kann, wird man wohl wenige potenzielle Mitstreitende überzeugen können.
Zumal wenn „mit der Zeit hoffentlich immer mehr“ qua Commoning hergestellt wird, die Sphäre des Marktes und damit der bezahlten Arbeit ja auch immer weiter schrumpfen würde. Auch deshalb wäre es unverantwortlich, auf die Frage „Aber wie klappt meine Bedürfnisbefriedigung denn dann?“ mit „Im Zweifelsfall immer noch per Einkauf im Supermarkt“ zu antworten.
Ergänzend: Mattis‘ Bedenken teile ich ansonsten auch.
Verzeiht die lange Abwesenheit – da war ein Umzug und eine entsprechend lange Trennung vom Internet. War nett.
@Mattis:
Wunschdenken wäre es mit der eigenen Weiterentwicklung als gesellschaftlich tragende Motivation wohl tatsächlich – dafür gibt es zu viele notwendige Tätigkeiten, die wohl kaum jemanden weiterbringen und trotzdem gemacht werden müssen. Aber durch immer mehr anstehende Tätigkeiten, den dafür notwendigen Mitteln in kollektiver Verfügung und eine zunehmende Unabhängigkeit von Lohnarbeit, habe ich auf jeden Fall mehr Handlungsmöglichkeitne außerhalb des Marktes und kann mich somit Aufgaben zuwenden, auf die ich „eher“ Lust habe bzw. einen Sinn darin sehe.
Aber weiter noch zur gesamten Struktur: Der Kapitalismus ist heute auch nicht in jeder Handlung, sondern „nur“ gesellschaftlich bestimmend. Commoning selbst findet sich ja in einer heute real vorhandenen Sphäre, die aber bis zur gesellschaftlichen Dominanz hin ausgeweitet werden soll. Sowie der Kapitalismus vom heutigen Care-Bereich abhängig ist, darf m.M.n. auch die Commons-Struktur von einem Marktbereich abhängig sein – so lange dieser eben nicht die Gesellschaft bestimmt.
Die Marktabhängigkeit ist extrem, da es an der Stelle um eine Transfomation von dem bestehenden kapitalistischen System her geht und eben kein Modell beschrieben wird. Soziale Sicherheit und Rente sind ja absolut Teil des bestehenden Systems, in welchem selbst eine neue Gesellschaftlichkeit mit einer anderen Form der sozialen Abgesichertheit heranwachsen soll. Monatliche Geldauszahlungen sind niemals Teil eines Commonings (zumindest im tauschlogik-freien Bereich, um den es hier geht. Andere Commons-Theoretiker_innen sehen das vielleicht anders).
Ja, die Frage nach Verbindlichkeit (ich meine mich zu erinnern, das es in einem anderen Thread gerade darum ging, aber weiß nicht mehr von wem – verzeih die wage Aussage) wäre ja noch offen und gerade ist das, was du beschreibst, auch für mich ein Problem. Mit dem Text und der Formel versuche ich mich diesen Problemen und möglichen Lösungen dafür anzunähern.
Es wird ja immer nur höchstens dorthin zurückfallen, wo wir uns gerade befinden. Meiner Ansicht nach ist damit also wenig verloren. Aber hier geht es ja meiner Meinung nach um das heranwachsen einer solchen Struktur – alles was ich anfangs daraus bekomme, ist zusätzlich zu dem, was ich am Markt bekomme. Umgekehrt ist natürlich auch jede Tätigkeit zusätzlich zu der, der ich am Markt nachgehe. Wenn die Gesellschaftlichkeit, die daraus hoffentlich entwächst, bestehen können soll, dann müssen die daran Teilnehmenden selbst Strukturen aufbauen, in denen ihre Bedürfnisse dauerhaft befriedigt werden und es nicht willkürlich ist – aber das kann m.M.n. nicht modelliert/geplant, sondern muss von den Teilnehmenden selbst geschaffen werden. Ansonsten wäre die Selbstbestimmtkeit tatsächlich eine Illusion. Das einzige, was „wir“ tun können, ist Werkzeuge zu entwickeln, die zu einer solchen Selbstorganisation befähigen.
Also bei meinem „Modell“ bzw. dem Programm für transpersonales Commoning, das ich versuche zu konzipieren, ist das ja wirklich die individuelle Bedürfnispriorierung derjenigen, die sich einbringen. Das ist aber natürlich nur in dieser virtuellen/transpersonalen Ebene möglich und interpersonale Strukturen, wie in einer Kommune vorhanden sind, sind schlicht nicht mein Thema. Ich vermute, da lohnt es sich bei Silke Helferich weiter zu forschen. Also ich verstehe das Problem absolut, aber bin einfach der falsche Ansprechpartner.
Was ich aber sagen kann, ist, dass durch die lokale Begrenztheit auch Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind, also die Tätigkeiten, denen ich mich selbst zuordenen kann (Stigmergie). Was meiner Ansicht nach eben noch da ist, sind sachliche Zwänge durch das Marktumfeld und damit eine Menge ungewollte Tätigkeiten, denen sich angenommen werden muss, obwohl sie außerhalb dessen sind, was ich eigentlich will und dessen, was ich begreifen kann (Tätigkeit für Geld statt Tätigkeit für konkrete mir bewusste Bedürfnisse). Und im Fall einer Kommune mit autarken Anspruch kommt ja meist eine gewisse Rückständigkeit in der Produktionssphäre mit – es gibt meist nicht weniger für alle zu tun im Gegensatz zur Lohnarbeit mit Mehrwertschöpfung, sondern tendenziell mehr Arbeit, weil die Effizienz nicht entsprechend ist. Aber das jetzt wirklich nur, um das Kommunen-Beispiel ein wenig von einer Transformation zur Commons-Struktur abzugrenzen, in welcher jede_r für sich steht und nur zusätzliche Handlungsmöglichkeiten zum Markt hat, ohne sich zwanghaft und in Abhängigkeit von anderen diesen entziehen zu müssen.
@Christian: Nur um das von Anfang an klarzustellen: Den Vorwurf der Unterkomplexität und den verwendeten Beispielen, der ja auch von Wal kommt, finde ich absurd, wenn es darum geht, eine neue Logik zu denken, aus welcher eine Struktur entwachsen soll. Ihr schlagt doch auch nicht Das Kapital von Marx auf, schaut euch das erste Beispiel an und beschwert euch, dass da jemand Leinwand gegen Rock tauscht, obwohl es ja schon längst Geld gibt. Und dann tragen die Warenbesitzer am Anfang des zweiten Kapitels ihre Ware zum Markte und ihr denkt euch doch auch nicht: „Welcher Warenbesitzer geht denn noch selbst zum Markt?! Das machen doch Angestellte; wie unterkomplex ist das denn?“
Ich will das wirklich nicht ins Lächerliche ziehen, aber unbedingt darauf hinweisen, dass es darum geht eine Logik zu entwickeln – und nicht eine vollständige Struktur. Und diese vollständige Struktur entwickelt Marx erst im Laufe seiner 2.800 Seiten, wenn er auch bei den einfachsten Handlungen anfangen muss und das, obwohl auch die kapitalistische Gesellschaft damals natürlich schon wesentlich fortgeschrittener war. Und obwohl der Kapitalismus heute noch viel wesentlich fortschrittlicher ist, müssen die Beispiele, welche eine neue Logik und Struktur darstellen sollen, einfach sein. Und das ganz besonders, da wir die Struktur ja noch überhaupt nicht kennen und entwickeln müssen. Jeder Schritt in die Komplexität ist wahnsinnig und zieht tausende Probleme nach sich, bei deren Beantwortung ein fürchterliches gepuzzle aus „die würden das dann vielleicht so und so machen“ und „man könnte sich ja denken, dass…“ nach sich, mit dem sich überhaupt nichts mehr anfangen lässt. Daher will zumindest ich wirklich und unbedingt einfach und ganz allgemein bleiben, bis die innere Logik schlüssig ist.
Aber das jetzt wirklich nur schon einmal dazu.
Also Kapitel 8.1 und 8.2 (Teil 3 der Serie) nähern sich diesem Thema schon an. Hier wird anhand der Strukturen versucht herauszufinden, wann es eben sinnvoll ist, auf welche Weise zu handeln. Ich finde den Vorwurf daher nicht gerechtfertigt, höchstens, da die Kapitel nicht im Detail ausgearbeitet wurden – aber erstens bin ich noch lange nicht soweit, das zu können, zweitens wäre dieser sowieso schon viel zu lange Artikel nochmal um einiges länger und unübersichtlicher. Ich finde es für Lesende sowieso schon schwer genug, sich darin zurechtzufinden.
Selbstverständlich. Genauso wie es zynisch und unrealistisch wäre, wenn diejenigen, die Lebensmittel angemeldet haben, sich konsequent dafür entscheiden, ihre Mitmenschen verhungern zu lassen. Die Struktur wächst ja heran – im Heranwachsen können immer mehr Menschen ihre Bedürfnisse darüber befriedigen und auch Wege finden, wie die von anderer immer besser befriedigt werden können. Das muss sich aufbauen durch die Menschen, welche Commoning betreiben und miteinander kommunizieren.
Und zu den anderen Beispielen: Du hast ja Recht – auf die Weise der Produktion, wie sie im Text bisher beschrieben ist, sind viele Probleme nicht zu lösen. Was ich versuche, ist überhaupt das Feld zu erschließen, in denen Lösungen gefunden werden müssen und was ich hier besonders mache, ist mich auf das transpersonale Commoning zu beschränken, über welches interpersonale Strukturen entstehen sollen. Es wäre natürlich Irrsinn, wenn jede Kranke ihren Beinbruch in ein System einträgt und darauf wartet, dass sich jemand findet. Aber indem sie ihren Beinbruch in ein System einträgt (nagel mich jetzt bitte nicht auf das Beispiel fest), zeigt sich, dass es keine interpersonalen Strukturen gibt, welche ihr helfen können und dass diese geschaffen werden müssen. Und wenn es eine Ärztin gibt in diesen interpersonalen Strukuren, die nicht von Lohn abhängig ist, dann taucht dieses Bedürfnis in den transpersonalen Strukturen überhaupt nicht auf.
Ich nehm sie gerne ernst, aber ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum gerade du so darauf pochst, dass der Markt keine Rolle spielen darf. Du hast doch gerade (wenn ich dich nicht falsch verstanden habe) in deiner Artikelserie zu „Geld als historische Anormalie?“ darauf hingewiesen, dass ein Markt existieren kann und existiert hat und das ohne Kapitalismus. Jetzt sagst du, es würde keinen Sinn ergeben, den Markt als Alternative zur Bedürfnisbefriedigung zu sehen – und sei es nur innerhalb der Transformation, weil das Commoning ja immer und alles bestimmen muss (sehr frei zitiert).
Ich glaube, wir kommen da auch gar nicht so richtig weiter. Ich will wirklich erst einmal diese Logik erschließen und die Problematiken, die sich daraus ergeben. Ich möchte wirklich kein Modell entwerfen, dass sämtliche fragen klärt und das dann „selbstorganisierte Gesellschaft“ nennen. Aber die Kritik und Bedenken nehme ich gerne an und helfen mir dabei auch weiter.
Dazu ist aber mein Eindruck, dass diejenigen Problematiken, die von den skeptischen Kommentaren angesprochen werden, von dir ins Schubfach „sämtliche Fragen“ beiseite geschoben werden. Es sind doch keine Sondersituationen, die da zur Klärung reklamiert wurden, sondern ziemlich normale Alltagsszenarien. Man muss doch angeben können, wie der normale Bedarf befriedigt wird. Und da sehe ich keine wirklich nachvollziehbare Antwort. Menschen in Gesellschaft brauchen eine gewisse Zuverlässigkeit, dass für ihre Nachfrage an Gebrauchswerten und Diensten ein entsprechendes Angebot organisiert wird; manches auf Ebene der Kommune (Gemeinde), anderes auf Ebene von Städten und Landkreisen (z.B. Nahverkehr), noch anderes auf Ebene von Bundesland oder noch übergreifender. Jedes alternative ökonomische Konzept, das nicht nur eine Parallelerscheinung sein soll, von der nichts wirklich abhängt, muss sich dem stellen. Im Moment sehe ich das hier nicht.
Hallo Mattis. Das ist glaube ich der Punkt, der mich hier gerade auch ein wenig kratzig gemacht hat: Selbst ein Alltagsszenario ist Teil einer definierten Struktur und eine solche Struktur zu denken ist nicht Thema dieses Textes. In diesem Text wird der kapitalistischen Produktionsweise eine allgemeine Formel des Commonings gegenübergestellt und im Vergleich der beiden wird auf bestimmte Momente geschlossen, was Commoning leisten muss, um gesellschaftlich-allgemein werden zu können. Und falls diese Notwendigkeiten erfüllt sind, welche Dynamiken zwischen einer kapitalistischen und einer commoninstischen Struktur entstehen können. Wie diese commonistische Struktur im Inneren aussieht und wie sie genau funktionieren soll, dazu wird schlicht keine Aussage gemacht und dazu kann meiner Meinung nach auch keine Aussage getroffen werden. Was aber durch den Text/die Formel möglich wird, ist auf bestimmte Problematiken zu schließen, um von dort aus überhaupt darüber nachdenken zu können, welche Werkzeuge gebraucht werden, um Commoning aus der lokalen Abgegrenztheit hinauszubringen. Das ist einiges, meiner Meinung nach und als Resultat daraus arbeite ich gerade auch mit einem Entwickler an einer möglichen Realisierung der hier angedachten zentralen Instanz zur Selbstorganisation und Zwecksetzung der Mittel. Dass hier in den Kommentaren aber immer wieder so getan wird, als würde ich ein Gesellschaftsmodell beschreiben wollen, lässt bei mir den Eindruck entstehen, dass der Text oft noch nicht einmal gelesen/vielleicht überflogen wurde und sich einfach gedacht wird, was denn darin stehen könnte. Und ich habe wirklich-wirklich-wirklich kein Problem damit, wenn den Text kaum jemand liest: Er ist richtig lang, wirklich nicht einfach und als Autor bin ich im Moment auch in keinster Weise relevant, dass sich die nähere Beschäftigung damit lohnen würde. Aber womit ich ein Problem habe und was ich frustrierend finde, ist dieser ständige Vorwurf, dass ich mit dem Text bestimmte Fragen nicht beantworte, wenn die Beantwortung dieser Fragen auch zu keinstem Zeitpunkt mein Anliegen war.
@marcus: was genau wollt ihr denn entwickeln? wir haben da wie gesagt schon mal ziemlich gehirnschmalz rein gesteckt. es gab auch schon erste ansätze zu pflichtenheften und so. leider konnten wir uns damals nicht so wirklich auf ein gemeinsames vorgehen einigen, weswegen das projekt dann stecken geblieben ist. aber vielleicht kann sich da ein austausch ja trotzdem lohnen? es gibt auch schon seit jahren immer mal wieder andere projekte, die in der richtung immer mal wieder was versuchen. da hatten wir zB damals auch gesammelt, was es da alles schon gab und gibt.
@benni: Die durch den Text hergeleitete „Zentrale Instanz zur Selbstorganisation und Zwecksetzung der Mittel“. Ich hoffe sehr darauf, dass es da zu einem Austausch bzw. vielleicht sogar zu einer gemeinsamen Arbeit kommen wird, aber noch ist das eben in einer Konzeptionsphase. Ich kenne ja noch deine Bestimmungen des USA und fand das auch einen spannenden Ansatz, wenn m.M.n. auch zu offen, um gemeinsam daran arbeiten zu können. Dass es sich so wie damals totläuft, wollen wir vermeiden, indem zuerst einen klarer Rahmen gesteckt und das Programm konzeptionell klar definiert wird, bevor wir näheres dazu veröffentlichen – was spätestens beim nächsten CI-Treffen im Februar sein wird. Wichtig ist dabei eben, dass sich die Bestimmungen des Programms wirklich aus einer allgemeingültigen Formel des Commonings ableiten lassen und somit nicht willkürlich sind. Eine Arbeit „am Programm“ ist damit gleichzusetzen mit einer Diskussion um die Allgemeingültigkeit der hier (im dritten Teil) dargelegten Formel. Dieses aber, um das zu relativieren, hat sich seit dem letzten CI im November noch etwas verändert/verallgemeinert und ich hatte noch keine Gelegenheit das nachzutragen bzw. hatte nicht das Gefühl, dass es im Moment relevant ist.
Ich schreib dir nochmal eine Mail diesbezüglich. Öffentlich will ich an der Stelle noch nichts diskutieren, da es eben selbst noch in der frühen Konzeptionsphase ist.
„Aber womit ich ein Problem habe und was ich frustrierend finde, ist
dieser ständige Vorwurf, dass ich mit dem Text bestimmte Fragen nicht
beantworte, wenn die Beantwortung dieser Fragen auch zu keinstem
Zeitpunkt mein Anliegen war“
Nun, Marcus – du musst dir das auch nicht zum Anliegen machen. Es ist nur so: Der von dir (dankenswerterweise) präzisierte Begriff einer Ausdehnung des Commonings zeigt, dass dieser so definierte Vorgang in einer modernen Industriegesellschaft ziemlich absurd ist. Jedenfalls folgt dies aus meinen Argumenten hier: http://keimform.de/2018/der-ausdehnungsdrang-moderner-commons-35/#comment-1339161 speziell Absatz 2 (zyklische und „holistische“ Struktur moderner Industrieproduktion).
Industrielle Nahrungsmittelproduktion (wo wohnen die Produzenten? Hof? Nutzgebäude?), einmal abgesehen davon, dass sie (agrar)technisch in eine Sackgasse führt, um die Produktion ihrer Produktionsmittel zu erweitern, würde bedeuten: sich eine Schlepperfabrik (mit Bodenbearbeitungs-Geräten, Anhängern usw), eine Düngemittel-Produktion, eine ziemlich breit aufgestellte chemische Fabrik zur Herbizid- und Insektizid-Produktion hinzustellen. Diese Produktionsstätten sind auf gegebnem hoch-industriellen Niveau „lohnend“ allerdings nur zu betreiben, wenn man ihren output pro Zeit auch verwenden kann. Ok, man kann natürlich 2 oder 10 oder 100 Schlepper produzieren lassen, und die Fabrik (Gebäude?) solange schliessen, wie die nicht kaputt sind (Reparatur-Kapazitäten sind oft anderer Art als Produktionskapazitäten, aber lassen wir das.). Wahrscheinlich sind bis dahin Teile der Fabrik kaputt. Oder aber, ihre Kapazität betriebsbereit zu halten, kostet Energie, Mittel, Arbeit.
Für die Produktion auch nur der 2/10/100 Exemplare meldet man aber auf der Stelle gleich weiteren Bedarf an – ein Schlepper baut sich schliesslich nicht aus Luft und Liebe. Es sei denn, man hat einen Vorrat an Vor- und Hilfsprodukten (die man freilich irgendwie aufbewahren muss; bei Energie wird das schwierig. Öl-Vorrat?). Im Endeffekt kann man seine Bedarfsanmeldung gleich verkürzen auf: „Für unsere Nahrungsmittelproduktion, bitte herstellen: 1 komplette Industrieproduktion auf gegebnem Niveau. Und zwar subito.“