Commonsverbünde
Von Christian Siefkes, Johannes Euler, Gunter Kramp und Nikolas Kichler
Eine Idee für die Verbindung von commonsbasierten Projekten zu einer gemeinsamen solidarisch-selbstorganisierten Ökonomie, die das Mitmachen erleichtert
[Diesen Artikel gibt es auch als PDF. / This article is also available in English.]
Die in diesem Dokument dargestellten Ideen entstammen einer Open-Space-Session, die am 23. April 2016 in Hiddinghausen im Rahmen des Frühjahrstreffens des Commons-Instituts stattfand. Initiiert wurde die Session von Gunter, weitere Teilnehmende waren Britta, Christian, Hannes, Nikolas, Sarah, Sunna.
Diese Dokumentation wurde erstellt von Christian, Hannes, Gunter und Nikolas unter Mitwirkung von Stefan T.
Kontext und Problembeschreibung
Es gibt diverse Kommunen mit gemeinsamer Ökonomie (z.B. Niederkaufungen, Twin Oaks), aber das Leben in solchen Kommunen ist nur für recht wenige Menschen attraktiv und die Einstiegshürden sind hoch. Das liegt unter anderem daran, dass in einer Kommune sehr viele Lebensbereiche mit derselben Gruppe (in unterschiedlichen Konstellationen) geteilt und gestaltet werden, dass man sich oft genau untereinander abstimmen und dass vieles ausdiskutiert werden muss. (Erkenntnis eines neuen Kommunarden: „Das ist wie 70 Leute gleichzeitig zu heiraten.“)
Es gibt auch schon so einige commonsbasierte Projekte für selbstorganisiert-solidarische Güterproduktion und -verteilung, die den Einstieg in eine gemeinsame Ökonomie erleichtern und dabei den Ausstieg aus der kapitalistischen Ökonomie zumindest in Teilen vollziehen. Ein inzwischen recht verbreitetes Beispiel sind Projekte für Solidarische Landwirtschaft (kurz: Solawis, engl. community-supported agriculture). In diesen werden die formulierten Beiträge und Bedürfnisse oft mit Hilfe von Bieterunden (Bieter_innenrunden) vermittelt, es gibt also kein Kaufen und Verkaufen und keine strenge Kopplung von Geben und Nehmen (siehe SoLaWi-Tagebuch: So funktioniert die solidarische Landwirtschaft).
Solche commonsbasierten Projekte funktionieren bislang nur im Kleinen und in einzelnen Lebensbereichen, und es ist noch relativ unklar, wie diese Begrenzungen überwunden werden können.
Unter anderem fehlt eine engere Abstimmung zwischen Projekten, die unterschiedliche Lebensbereiche abdecken („vertikale Zusammenarbeit“). Wie könnte ich mich etwa an 10 oder 20 commonsbasierten Projekten beteiligen – bzw. von ihnen versorgt werden –, ohne dass dies (in Oscar Wildes Worten) „zu viele Abende“ frisst, weil ich für jedes dieser Projekte zumindest an einer separaten Bieterunde teilnehmen und vielleicht noch weitere Verpflichtungen eingehen muss? Perspektivisch sollte es möglich werden, mehr und mehr Lebensbereiche durch solche Projekte abdecken zu können, ohne dass der Aufwand für die Beteiligten zu groß wird.
Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die Abstimmung zwischen Projekten, die Ähnliches produzieren bzw. bereitstellen („horizontale Zusammenarbeit“). Wenn es mehr und mehr Solawis gibt, könnten diese sonst womöglich irgendwann in Konkurrenz zueinander geraten – etwa um Mitglieder, die versorgt werden wollen und dafür finanzielle oder Sachbeiträge leisten, um Mitarbeiter_innen oder um Land und andere Ressourcen.
Wie lässt sich stattdessen erreichen, dass solche Projekte sich zuarbeiten und sich ergänzen? Und wie kann die Organisation gemeinsamer Unterstützungsprojekte erleichtert werden, die etwa die Produktion von Produktionsmitteln übernehmen könnten? Für Solawis geht es hier beispielsweise um Weiterentwicklung von Saatgut und die Herstellung von Landmaschinen.
Zudem ist auch der Einstieg in commonsbasierte Projekte nicht ganz trivial. So braucht man ein gewisses Vertrauen in die anderen und die Fähigkeit, die eigene Situation einschätzen zu können, um an Bieterunden teilzunehmen. Ziel ist hier, derartige Hürden soweit sinnvoll möglich abzubauen und dadurch den Einstieg in solche Projekte zu erleichtern.
Ausgehend von der obigen Analyse haben wir uns mit folgenden Fragestellungen beschäftigt:
- Wie können Verbindungen zwischen commonsbasierten Projekten geschaffen werden, die diesen Projekten die horizontale und vertikale Zusammenarbeit ermöglichen und die es erleichtern, dass immer mehr derartige Projekte entstehen?
- Wie könnten Strukturen aussehen, in denen Menschen potentiell alle Lebensbereiche nach Commons-Prinzipien organisieren können (was bei manchen bestehenden Kommunen schon weitgehend der Fall ist), ohne dies für alle Lebensbereiche auf einmal tun zu müssen (hier liegt bei Kommunen die Hürde, die viele abschreckt)?
- Und wie können die Einstiegshürden so weit gesenkt werden, dass sich immer mehr Menschen an solchen Projekten beteiligen und immer mehr ihrer Bedürfnisse in entsprechenden Projektzusammenhängen befriedigt werden?
Die Idee: Ein Verbund commonsbasierter Projekte
Die Grundidee der von uns entwickelten Antwort: Wir wollen regionale Projektverbünde von commonsbasiert-selbstorganisierten Projekten.
Im Folgenden wird die angedachte Organisation kurz als Commonsverbund bezeichnet (im Englischen könnte man von commons association sprechen). Andere Namen sind denkbar, zu den in die Runde geworfenen Ideen gehörten etwa: Commonsnetz, Commonsbund, Commonssyndikat, Common Pool, Commoning Portal, City of Workshops (für urbane Verbünde), Skalierbare Netzwerk-Kommune. Hat jemand weitere gute Ideen?
Aber zurück zum Konzept: Mitglieder dieses Verbunds sind unterschiedliche Projekte, die sich auf regionaler Ebene zusammenschließen, um sich gemeinsam um ein breites Spektrum an Lebensbereichen zu kümmern. Umfassen könnte dies etwa die Versorgung mit Lebensmitteln (per Solawi), Strom (per SolE – Solidarische Energieversorgung), Wohnraum (Haus- oder Wohnprojekt, Mietshäusersyndikat), Kinderbetreuung, Räume zum Experimentieren und zur Herstellung von Produktionsmitteln und anderen nützlichen Dingen (Offene Werkstatt/FabLab), Software und Hilfe bei Computerproblemen (Hackerspace), Ausleihmöglichkeiten für Werkzeug, Haushaltsgegenstände u.a. (Leila – Leihladen), Kleidung (Kleiderkammer, Nähwerkstatt), Umverteilung von nicht mehr gebrauchten Dingen (Umsonstladen) und vieles mehr.
Daneben soll es auch überregionale Kooperationen geben, insbesondere wenn es um die Produktion und Nutzung Freien Wissens geht (Freie Software, Freie Baupläne, freies Saatgut etc.). Für die Befriedigung unterschiedlicher sinnlich-vitaler Bedürfnisse erscheint aber eine vor allem regionale Verortung sinnvoll, die durch überregionale Kooperationen ergänzt wird (dazu unten mehr).
Als Mitglied eines einzelnen Projekts werde ich automatisch auch Mitglied im Verbund („Metamitgliedschaft“) und kann dessen Leistungen in Anspruch nehmen. (Wie das genau geht, wird unten diskutiert.)
Der Commonsverbund ermöglicht es, Lösungen für möglichst alle Lebensbereiche zu finden, ohne dass sich einzelne selbst an allen Einzelprojekten beteiligen müssen – separate Bieterunden etc. für jedes Projekt wären wahrscheinlich zu zeitintensiv. Er bietet Zugang zu den unterschiedlichen Angeboten und Beitragsmöglichkeiten der Einzelprojekte. Im Endeffekt ist er dazu da, die verschiedenen Bedürfnisse, Aktivitäten und Beiträge aller Verbundsmitglieder miteinander zu vermitteln.
Der Commonsverbund leistet dabei sehr viel mehr als eine bloße Vernetzung der unterschiedlichen Projekte. Er ermöglicht eine kollektive bedürfnisorientierte Versorgung und bringt dafür Beitragswillige/Produzent_innen und Nutzer/Konsument_innen zusammen, wobei der Übergang zwischen diesen Gruppen fließend ist und sich alle auf Augenhöhe begegnen.
Gemeinsame Ökonomie als Fluss von Beiträgen unterschiedlicher Art
Die Bereitstellung von Gütern durch den Verbund verursacht Unkosten verschiedener Art: Es gibt Dinge, die zu tun sind (Aufgaben oder „Arbeit“); in einem ansonsten noch großteils kapitalistischen Umfeld braucht es Geld, um Dinge zu kaufen oder zu mieten, die der Verbund nicht selber hat oder herstellen kann. Alternativ können solche Dinge auch direkt als Sachleistungen in den Verbund eingebracht werden, was den Finanzbedarf senkt. Wollen am Verbund beteiligte Projekte für geleistete Aufgaben Gehälter zahlen (siehe unten), erhöht sich der Geldbedarf weiter.
Zur Planung der notwendigen Beiträge erstellt jedes einzelne Projekt ein Budget, in dem es den Bedarf erfasst. Jedes Projekt fragt sich also: „Was wird voraussichtlich gebraucht an Gütern, die wir produzieren/bereitstellen können? Was für Kosten fallen dafür an? Was für Aufgaben müssen erledigt werden und wo benötigen wir Hilfe anderer?“.
Aus dem finanziellen Teil dieses Budgets wird ein Richtwert für diejenigen ausgerechnet, die die entsprechenden Güter konsumieren/nutzen wollen. Ein solcher Richtwert ist kein verpflichtender Beitrag, sondern eine Orientierungshilfe; er muss nicht absolut sein, sondern kann sich am jeweiligen Einkommen ausrichten. Das würde bedeuten, dass wer dreimal so viel verdient, gemäß Richtwert auch dreimal so viel zahlt, ähnlich der Beitragsberechnung bei den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland (siehe unten für eine Diskussion dieses Punktes). Letztlich entscheidet aber jede Person selbst, wie viel sie_er beitragen kann und will. Wichtig ist vor allem, dass das Budget am Ende gedeckt ist.
Die meisten Beteiligten werden Leistungen aus unterschiedlichen Bereichen in Anspruch nehmen wollen (vielleicht nur vegetarisches Essen? vielleicht auch Fleisch? vielleicht auch Strom? vielleicht alles, was der Pool bereitstellt?). Ihr individueller Richtwert ist dann die Summe der Richtwerte aller Projekte, an denen sie interessiert sind.
Diese finanziellen Beiträge decken dabei nur die den Projekten entstehenden Unkosten; niemand kann sich daran bereichern. Und sie sollen niemand ausschließen, deshalb sollten sie sich an der Einkommenshöhe orientieren und sind nur Richtwerte statt verpflichtend zu sein.
Perspektivisch soll so immer mehr dessen was gebraucht wird im Verbund selbst bereitgestellt werden oder durch verbundübergreifende Kooperation organisiert werden. Relativ zur Anzahl der Beteiligten sollte das benötigte Finanzbudget daher mit der Zeit immer kleiner werden (da immer weniger auf dem Markt eingekauft werden muss), bis es schließlich ganz entfallen kann. Ein einzelner Verbund dürfte dafür allerdings wohl kaum groß genug werden, aber auch Kooperation zwischen Verbünden ist möglich und erwünscht (siehe unten).
Das Rechnen mit Geld ist also eine Zwischenlösung für den Übergang, kein angestrebter Dauerzustand!
Dauerhaft erhalten bleiben soll jedoch die Möglichkeit, Beiträge in Form von ehrenamtlich und unentgeltlich übernommenen Tätigkeiten für den Verbund zu erbringen, also aktiv zu einem oder mehreren der beteiligten Projekte beizutragen (bzw. zur Verwaltung des Verbunds selbst). Solches aktives Engagement wird im Verbund gern gesehen (und in der Summe auch benötigt), jedoch niemandem individuell abverlangt – man kann sich dafür entscheiden, muss aber nicht. (Eventuell muss dieser Grundsatz ein Stück weit eingeschränkt werden, da manche Solawis Arbeitseinsätze fordern. Wie damit umzugehen ist, wird unten diskutiert.)
Ob man aktiv tätig ist, hat keinen Einfluss auf die Höhe des individuellen Richtwerts, der aber ja sowieso nicht verpflichtend ist. (Man kann den eigenen finanziellen Beitrag absenken oder streichen, wenn man den eigenen Tätigkeitsbeitrag für „ausreichend“ hält, aber das ist eine individuelle Entscheidung.)
Was gepoolt wird
Ein Commonsverbund stellt somit einen Pool dar, aus dem sich alle gemäß den vereinbarten Regeln bedienen können und zu dem alle beitragen können und sollen. Der Pool umfasst dabei im Wesentlichen drei Aspekte:
- Bereitgestellte Güter und Tätigkeiten („Dienstleistungen“): Entnahme gemäß Vereinbarungen (z.B. nach Bedarf, oder x pro Person)
- Budgets (Kosten für Einkäufe, Mieten, Steuern, bezahlte Tätigkeiten): werden per Bieterunden aufgeteilt
- Tätigkeiten: können von Freiwilligen erledigt werden oder gemäß Vereinbarungen gegen Bezahlung (siehe nächster Abschnitt)
Gepoolt wird auch das Risiko: Durch Teilnahme am Verbund können sich die einzelnen Projekte gegen Unwägbarkeiten absichern. Wenn ein Projekt in Schieflage gerät oder kurzfristig besondere Unterstützung braucht, können andere ihm zu Hilfe kommen. Allerdings sollte das Poolen von Risiken nicht bedingungslos sein: Bei aller Solidarität muss die Autonomie der Projekte auch mit Eigenverantwortung einhergehen.
Projekte müssen auch scheitern können (auch wirtschaftlich in Form einer Insolvenz), ohne den ganzen Verbund zu gefährden. Sonst dürfte es aus berechtigten Ängsten heraus mit der Autonomie bald vorbei sein, da der Verbund dann zur eigenen Absicherung den einzelnen Projekten jeweils genau „auf die Finger“ schauen müsste, was leicht zu einer kopflastigen Bürokratie führen und deshalb kaum wünschenswert sein dürfte.
Wie man dies vermeiden kann, zeigt das Mietshäusersyndikat, wo theoretisch jedes Projekt auch Pleite machen könnte, ohne dass das Syndikat mehr als die von ihm eingezahlten 12.400 € Stammkapitalanteil verliert. Andererseits sollte kein Projekt ohne extreme Not vom Verbund aufgegeben werden. (Im Mietshäusersyndikat steht über hundert erfolgreichen Hausprojekten bislang wohl nur ein gescheitertes gegenüber, und da konnte den Direktkreditgeber_innen durch Sammlungen eines Solidaritätskomitees zumindest ein Teil ihrer Einzahlungen wiedererstattet werden.)
Nicht zwingend notwendig, aber hilfreich könnte auch ein „Kapitalpool“ sein, in dem der Verband willige Direktkreditgeber_innen an Projekte vermittelt, die zur Tätigung von Investitionen Kredite brauchen. Allerdings sollte der Verbund hier aufgrund des oben beschriebenen Risikos wohl nur Vermittler sein, statt selbst die Kredite aufzunehmen und weiterzugeben und damit im Zweifelsfall für die Rückzahlung zu haften.
Zinslose oder niedrig verzinste Direktkredite zwischen Mitgliedern des Verbunds und an diesen angeschlossenen Projekten hätten für die Kreditgeber_innen aber den Vorteil, dass sie wissen, dass mit ihrem Geld etwas Sinnvolles gemacht wird und dass sie eine persönliche Vertrauensbasis zu den Kreditnehmern aufbauen können. Kredite im Umfeld von wohlhabenderen Mitgliedern und deren Bekanntenkreis aufzunehmen, sollte nicht allzu schwierig sein, da Geld verleihen den Menschen leichter fällt als es ganz herzugeben, und da die „Konkurrenz“ in Zeiten allgemeiner Niedrigzinsen nicht groß ist.
Eventuell können sich die Projekte bei Bedarf auch gegenseitig zinslose/zinsgünstige Kredite zur Verfügung stellen (auch das wird im Mietshäusersyndikat praktiziert). Das dürfte allerdings eher als kurzfristige Lösung in Frage kommen, da Projekte finanzielle Mittel ja nur zur Deckung ihrer absehbaren Ausgaben einsammeln und über keine großen finanziellen „Reserven“ verfügen dürften.
Außerdem wird durch den Verbund das politische Gewicht erhöht – wer legt sich bedenkenlos mit einem Projekt an, das zu einem Verbund mit 500 oder gar 50.000 Mitgliedern gehört?
Bezahlte Tätigkeiten in den Projekten
Alle anfallenden Tätigkeiten, die niemand ehrenamtlich übernimmt, müssen (sofern sie tatsächlich notwendig sind!) bezahlt werden, deshalb wird es in vielen der beteiligten Projekte auch bezahlte Stellen geben. Dies entspricht auch der heutigen Praxis in Solawis und ähnlichen Projekten. Das Schaffen von Stellen ist kein Zweck des Verbunds, kann jedoch unter Umständen ein angenehmer Nebeneffekt sein. Denn die so Beschäftigten können auf diese Weise besser über die Runden kommen, solange sie eben noch in einem kapitalistischen Umfeld leben, in dem dies ohne Erwerbsarbeit kaum möglich ist.
Welche Stellen gebraucht werden, wer diese ausfüllt und wohl auch wie die Bezahlung vonstatten geht, entscheiden die am Verbund beteiligten Projekte gemäß ihrer Bedarfsplanung selbst. Eventuell einigen sich zusammengeschlossene Projekte dafür auf gewisse generelle Richtlinien, die dann für alle gelten. Eingestellt werden wahrscheinlich vorzugsweise Menschen, die bereits in das Projekt bzw. den Verbund involviert sind; Externe kommen wohl lediglich dann in Frage, wenn sie sich mit dem Selbstverständnis und Kooperationsmodell des Verbunds identifizieren können.
Bewerben sich mehr geeignete Kandidat_innen um Stellen als gebraucht werden, versuchen die Beteiligten (Bewerber_innen sowie bereits im Projekt Beschäftigte) gemeinsam eine Lösung zu finden, mit der alle leben können. Im Zweifelsfall können dabei gern mehrere Teilzeitstellen statt weniger Vollzeitstellen geschaffen werden, doch sollte die Zerstückelung nicht so weit getrieben werden, dass es für die Beteiligten keinen Sinn mehr macht.
Der gezahlte Lohn könnte ein Einheitslohn sein, der z.B. dem durchschnittlichen Stundenlohn im jeweiligen Land (bzw. Region oder Stadt) entspricht, mit Zuschlägen bei besonderem Bedarf (z.B. alleinerziehend / mehrere Kinder / wohnt in teurer Gegend). Alternativ legen die einzelnen Beschäftigen ihren Lohn gemäß ihrer individuellen Bedürfnisse fest, wie in manchen Solawi-Projekten üblich (vgl. Was ist eigentlich „solidarisch“ an der „Solidarischen Landwirtschaft“?). Dieses Modell verlangt den Beteiligten allerdings einiges an Selbstbewusstsein und Selbsteinschätzungsfähigkeiten ab und ist deshalb nicht ganz unproblematisch. Auch Mischformen zwischen diesen beiden Modellen sind denkbar, z.B. bestimmte Stundensätze als Richtwerte, an denen sich die Beschäftigen orientieren können (aber nicht müssen).
In jedem Fall sollte die Bezahlung hoch genug sein, dass die Beschäftigten ordentlich krankenversichert sind (sofern sie keinen anderen versicherungspflichtigen Job haben). In Deutschland muss das Monatsgehalt dafür zur Zeit mindestens 451 € betragen (siehe Midijob). Zu der monetären Bezahlung kann der freie Zugang zu Leistungen aus dem Commonsverbund kommen.
Preisbildung
Wie gesagt richten sich die für Mitglieder berechneten Richtwerte unter anderem danach, was sie konsumieren bzw. nutzen möchten – interessieren sie sich für zusätzliche Produktkategorien, fallen höhere Herstellungskosten an, die in ihren Richtwert mit einfließen. Innerhalb einzelner Produktkategorien dürfte dagegen oft das Flatrate-Prinzip gelten: Man kann sich nach Bedarf bei den hergestellten Gütern bedienen, ohne dass die verbrauchte Menge direkt bezahlt werden müsste oder in den eigenen Richtwert einfließt. Ein Anteil dürfte dabei typischerweise dem Nutzungsanspruch einer Person entsprechen – eine Familie, WG oder Hausprojekt wird im Allgemeinen mehr verbrauchen als eine Einzelperson und daher auch einen höheren Richtwert erhalten. Kinder könnten allerdings nach Überlegungen des Berliner SolE-Projekts (Solidarische Energieversorgung) kostenlos mitversorgt werden – nur für jede im Haushalt lebende erwachsene Person wird dann ein Anteil fällig. Der tatsächliche persönliche Verbrauch wird in diesem Ansatz nicht abgerechnet.
Alternativ könnte ein Anteil den Anspruch auf die dauerhafte Nutzung eines bestimmten Guts beinhalten. Ein Anteil an einem Fahrrad-Projekt berechtigt etwa zum Erhalt eines Fahrrads oder Pedelecs, das vom Projekt auch gewartet, bei Bedarf repariert und bei endgültigem Verschleiß durch ein neues Modell ersetzt wird. Dazu können Extras wie das gelegentliche Entleihen eines Lastenanhängers kommen, die wiederum per Flatrate abgerechnet werden, also nicht separat in Rechnung gestellt werden. Ähnliches ist für Technikprojekte denkbar, die ihre Mitglieder beispielsweise mit einem Smartphone oder einem Laptop und den dazu sinnvollen Extras versorgen.
In anderen Fällen ist eine Richtwertberechnung anhand des konkreten individuellen Verbrauchs denkbar. So könnte in einem Wohnprojekt der persönliche Richtwert nicht nur vom Einkommen, sondern auch von der individuell genutzten Wohnfläche abhängen – wer ein größeres Zimmer, eine größere Wohnung belegt, zahlt perspektivisch mehr. (Wobei es sich aber ja generell nur um Richtwerte handelt, die nicht verpflichtend sind.)
Richtwert-Preise sind grundsätzlich auch gegenüber Nicht-Mitgliedern denkbar. Das linke Cafékollektiv Morgenrot in Berlin-Prenzlauer Berg berechnet etwa für ein Frühstücksbuffet keinen Festpreis, sondern gibt eine Preisspanne vor, innerhalb derer man sich nach Selbsteinschätzung einordnen kann. Eine Kneipe in einem zum Verbund gehörenden Hausprojekt könnte Ähnliches machen.
In jedem Fall dienen Preise, ob gegenüber Mitgliedern oder Externen, nur zur Kostendeckung, nicht zur Erwirtschaftung von Gewinn. Und Preise entstehen nicht in Marktkonkurrenz (als Marktteilnehmer versuche ich einen möglichst hohen Preis zu verlangen, muss ihn aber soweit absenken, dass die Kund_innen nicht zu Konkurrenzprodukten greifen). Stattdessen werden sie zwischen den Mitgliedern des Verbunds (zu denen sowohl „Konsument_innen“ wie „Produzent_innen“ gehören) in einem transparenten Prozess kollektiv vereinbart. Und statt angestrebter Profitmaximierung dienen sie nur zur Deckung der anfallenden Kosten.
Das der Preisgestaltung zugrunde liegende Prinzip kann man also auf die Formel bringen: Aufwandsteilung mittels Vereinbarungen statt Konkurrenz.
Entscheidungsfindung und Organisationsstrukturen
Die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Lebensbereichen und Projekten werden durch freie Vereinbarungen hergestellt, nicht durch formelle („basisdemokratische“) Wahlen und Abstimmungen, in denen sich eine Mehrheit auf Kosten von Minderheiten durchsetzen könnte.
Hilfreich kann hier der Soziokratie-3.0-Ansatz sein, siehe Sociocracy 3.0 in Details (und dort insbesondere Circles and Decision Making sowie Organizational Structure). Eine gute (allerdings etwas unternehmenslastige) deutschsprachige Kurzdarstellung der wichtigsten Soziokratie-Prinzipien gibt es unter 4 Basisregeln .
In diesem Ansatz übernehmen „Kreise“ die Koordinierung der Einzelprojekte miteinander (man könnte von „Koordinationskreisen“ sprechen). Diese werden nach dem Vier-Augen-Prinzip besetzt: In einen Kreis werden zwei Vertreter_innen jedes involvierten Projekts entsandt, z.B. die Maintainer_in sowie eine vom Projektteam ernannte Person.
Innerhalb eines Kreises wird per Konsent entschieden. Konsent bedeutet dabei nicht zwangsläufig, dass alle mit der Entscheidung glücklich sind, sondern dass alle mit ihr leben können. Wer schwerwiegende Bedenken hat, kann hingegen ein Veto einlegen, das begründet werden muss. Über ein begründetes Veto kann sich der Kreis nicht hinwegsetzen, eine Entscheidung wird also erst möglich, wenn die Bedenken ausgeräumt werden können und das Veto zurückgezogen wird.
Alle den Commonsverbund betreffenden Koordinationstätigkeiten, etwa die Erstellung von Gesamtbudget und Richtwerten sowie die Aufnahme neuer Projekte, werden im Rahmen von entsprechenden Kreisen erledigt.
Koordinationskreise kümmern sich auch um die Abstimmung (Vermittlung) der Einzelprojekte, die innerhalb eines Commonsverbunds für einen bestimmten Lebensbereich zuständig sind. Zu einem größeren Commonsverbund dürften etwa mehrere Solawi-Projekte gehören, die sich in einem Koordinationskreis miteinander abstimmen können.
Zur Aufgabe der Kreise gehört auch die Herstellung von Transparenz gegenüber den Einzelprojekten und den Mitgliedern. Sie kümmern sich um die Offenlegung von in Einzelprojekten und im Verbund getroffenen Entscheidungen, von anfallenden Kosten, Planungsprozessen usw.
Auch die internen Strukturen von Einzelprojekten können in Form von Kreisen organisiert werden.
Absicherung der eingesetzten Ressourcen gegen Privatisierung
Es gilt das Prinzip: Commons und Besitz statt Eigentum. Was nicht Commons ist – also gemeinsam genutzt und gepflegt wird – kann zum Besitz einzelner werden, also von diesen genutzt und ggf. verbraucht werden. Frei veräußerliches (= verkauf- oder vermietbares) Eigentum spielt hingegen keine Rolle.
Verbrauchsgüter (z.B. Essen, Strom) werden an die Mitglieder gemäß den getroffenen Vereinbarungen und den jeweiligen Bedürfnissen verteilt und von diesen verbraucht.
Langfristig nutzbare Güter (z.B. Häuser/Wohnraum) können von den Mitgliedern genutzt werden, solange sie diese brauchen (wenn nichts anderes vereinbart wird), und gehen anschließend an den Verbund zurück. Damit ist für die Zeit der Nutzung im Regelfall eine Beteiligung am Aufwand verbunden. Wie bei Wohnprojekten des Mietshäusersyndikats müssen die Beiträge („Mieten“) in der Summe reichen, um das jeweilige Gut herzustellen (bzw. zu erwerben) und langfristig zu erhalten, aber nicht für alle Nutzer_innen gleich sein. Stattdessen werden sie per Vereinbarungen etwa per Bieterunde aufgeteilt.
Solche langlebigen Güter sowie Produktionsmittel sollen dauerhaft als Commons gesichert werden. Um zu verhindern, dass sie später (etwa bei Ausstieg eines Projekts aus dem Verbund) doch wieder privatisiert werden, bietet sich eine Absicherung nach dem Vorbild des Mietshäusersyndikats an. Das heißt, die Commonsressourcen sind formell Ko-Eigentum von dem Einzelprojekt, das sie hergestellt hat oder nutzt, und dem Verbund. Nur mit Zustimmung beider Eigentümer können sie verkauft werden, und der Verbund schreibt in seinen Statuten fest, dass er diese Zustimmung nur bei individueller Zustimmung aller Mitglieder erteilen wird. Das dürfte eine drohende Privatisierung de facto unmöglich machen, da jede zum Verbund gehörende Person ein unumgehbares Vetorecht erhält.
Auf diese Weise wird das formelle Eigentum „neutralisiert“. Das jeweilige Projekt hat volle Nutzungsrechte, aber kein Recht, die genutzten Güter unter Umgehung des Verbunds zu verkaufen oder andere von der Nutzung von selbst nicht (mehr) gebrauchten Gütern auszuschließen.
Alle produzierten Wissensartefakte (Software, Baupläne etc.) werden als Freie Software/Freies Wissen freigegeben. Im Zweifelsfall werden dabei Lizenzen mit Copyleft-Klausel bevorzugt (also GPL, AGPL oder CC BY-SA), um sicherzustellen, dass auch alle Abwandlungen frei bleiben.
Regionalitätsprinzip und überregionale Kooperation
Ein Commonsverbund kümmert sich jeweils um eine bestimmte Region, typischerweise um eine Stadt (ggf. mit Umland), eine Gruppe von benachbarten Städten oder eine ländliche Region. Denkbar wäre etwa ein Verbund für Berlin-Potsdam, einer fürs Ruhrgebiet, fürs Wendland, für Wien usw.
Unterschiedliche Commonsverbünde koordinieren sich untereinander, auch dafür könnte es Kreise zur Koordinierung geben. Die Koordination muss dabei nicht nur auf der Ebene der gesamten Verbünde erfolgen, sondern auch auf der Ebene einzelner Lebensbereiche. So könnten sich z.B. Solawis überregional koordinieren und gemeinsame Zulieferprojekte etwa zur Produktion von Produktionsmitteln organisieren.
Um nicht irgendwann zu groß und schwerfällig zu werden, können sich Commonsverbünde jeweils eine Maximalgröße setzen, über sie hinaus sie nicht wachsen wollen – z.B. 300.000 Leute. Überschreitet die Mitgliederzahl diese Grenze, teilt sich der Verbund in gegenseitigem Einvernehmen in zwei bis drei kleinere Verbünde auf, die jeweils für einen Teil der vorher vom alten Verbund versorgten Region zuständig sind. Die aufgeteilten Verbünde sind unabhängig voneinander, dürften aber in manchen Aspekten weiterhin zusammenarbeiten, wie es ja auch sonst überregionale Kooperation über Verbundgrenzen hinweg gibt.
Woraus sich die Niederschwelligkeit ergibt
Erklärtes Ziel unserer Konzeption ist es, Einstiegshürden möglichst gering zu halten, um das Ganze auch für Menschen attraktiv zu machen, die sich von bisherigen Ansätzen wie Kommunen oder Solawis nicht angesprochen fühlen. Zu dieser angestrebten Niederschwelligkeit tragen mehrere Faktoren bei:
- Man entscheidet selbst, wie viel oder wenig man an der gemeinsamen Ökonomie teilnimmt – vom Wahrnehmen nur einzelner Angebote (z.B. Solawi-Essen) bis zum Wohnen in einem Wohnprojekt mit weitgehender „Gesamtversorgung“ durch den Verbund ist alles möglich.
- Ebenso entscheidet man selbst, wie intensiv und auf welche Weise man sich einbringt – ob man nur einen finanziellen Beitrag leistet (und in welcher Höhe), ob man gelegentlich als Freiwillige_r mitarbeitet oder ob man eine intensive (und zumindest in der Anfangszeit wohl häufig bezahlte) Mitarbeit in einem der Projekte anstrebt.
- In welchen Bereichen man sich engagiert, kann man sich selbst aussuchen, in Abhängigkeit von den eigenen Interessen und Fähigkeiten sowie von dem, was es zu tun gibt. Die Bereiche, in denen man sich engagiert, müssen dabei nichts mit dem eigenen Konsum zu tun haben – ich kann z.B. Solawi-Essen konsumieren und mich um die Kinderbetreuung kümmern (ohne unbedingt selbst Kinder zu haben).
- Man kann jederzeit einsteigen und später ohne Nachteile wieder aussteigen. (Während man bei manchen Kommunen das eigene Vermögen komplett einbringen muss – steigt man wieder aus, ist es weg.)
Letzteres schließt nicht aus, dass einzelne Mitglieder beteiligten Projekten oder dem Verbund finanzielle Mittel in Form von zinsgünstigen oder zinslosen Krediten zur Verfügung stellen und dabei durch längere Laufzeiten für Planungssicherheit sorgen. Hierbei kann eine feste Laufzeit vereinbart werden (kein vorzeitiger Ausstieg möglich) oder alternativ können die Kündigungsfristen so festgelegt werden, dass (einzelne/wenige) Aussteiger das Projekt nicht in Gefahr bringen können, um ein Erpressungspotenzial bei Entscheidungen zu verhindern. (Andernfalls könnten Kreditgeber_innen drohen: „Wenn ihr nicht macht, was ich will, steige ich aus und ziehe mein Geld ab.“)
Kurz-Zusammenfassung wesentlicher Merkmale des skizzierten Konzepts
Es entsteht ein Commonsverbund mit gemeinsamer Bedürfnis- und Beitragsökonomie. Die Beteiligten erhalten in erster Linie nichtmonetäre Leistungen: Güter aller Art, die sie zum Leben brauchen oder möchten.
Geld fließt soweit nötig, aber niemand sollte mangels ausreichender finanzieller Mittel draußen bleiben müssen. Fair bezahlte Stellen kann es auch geben, aber nur soweit sie zur Erledigung der anfallenden Tätigkeiten nötig sind. Ziel ist, dass sie mit der Zeit ganz wegfallen.
Getauscht wird nicht, stattdessen werden Beiträge erbracht und Kosten sowie Nutzen gemäß kollektiver Vereinbarungen aufgeteilt („Beitragen statt tauschen“). Dafür erstellen die beteiligten Projekte ihre eigenen Budgets, die dann in ein verbundweites Gesamtbudget kombiniert werden (Geldbedarf sowie anfallende Tätigkeiten).
Wer wie viel und was beiträgt, entscheidet sich in projektübergreifenden Bieterunden. Ziel ist ein bedürfnisorientiertes Wirtschaften im alten griechischen Sinn von „oikonomia“: die Bereitstellung der notwendigen und nützlichen Güter (siehe Aristoteles macht aus der Ökonomie eine Wissenschaft).
Ziel ist auch, ein Vertrauen in Reziprozität zu organisieren, das es den Einzelnen ermöglicht, sich ohne Zwang, ohne Konkurrenz und ohne die Angst, zu kurz zu kommen, an der kollektiven Versorgung zu beteiligen.
Punkte, zu denen Diskussionsbedarf besteht
Dieser Vorschlag kann und will nicht alle Details der Organisation eines Commonsverbunds „vorgeben“, vieles wird sich erst in der praktischen Entstehung und Verbreitung solcher Verbünde klären lassen. Im Folgenden wird kurz auf einige Punkte eingegangen, bei denen noch Diskussionsbedarf besteht oder die vielleicht auf andere als die hier vorgeschlagene Weise gelöst werden könnten.
Ein noch nicht genau geklärter Punkt ist die Durchführung von Bieterunden im Rahmen eines Verbunds, der ja perspektivisch Tausende bis hin zu einigen Hunderttausend Mitgliedern haben könnte. Dass alle in einem Raum zusammenkommen, wird da klarerweise schnell unmöglich. Eine im Rahmen des SolE-Projekts entwickelte Lösungsidee sind geschachtelte Bieterunden: Ein Verbund mit 10.000 Mitgliedern könnte etwa 100 separate Bieter_innengruppen („Kleingruppen“) haben, die je 100 Mitglieder umfassen. Von jeder Kleingruppen wird erwartet, dass sie kollektiv die Summe der für ihre Mitglieder berechneten Richtwerte zusammenbekommt, aber die konkrete Verteilung zwischen den Einzelpersonen wird im Rahmen eines persönlichen Treffens aller Mitglieder der Kleingruppe vereinbart. Der von den einzelnen Kleingruppen erwartete Beitrag wäre dann allerdings starr und nicht verhandelbar.
Eine Variante dieses Konzepts besteht darin, den von den Kleingruppen geforderten Beitrag ebenfalls als Richtwert zu begreifen, von dem jede Kleingruppe bei Bedarf nach unten oder oben abweichen kann. Jede Kleingruppe schickt dann gemäß Soziokratie-Prinzip zwei Vertreter_innen in einen Kreis, in dem festgestellt wird, ob die Beiträge der Kleingruppen in der Summe ausreichen, und bei Bedarf nachverhandelt wird. Hier wird das Konzept der solidarischen Selbstorganisation konsequenter umgesetzt, jedoch mit dem Nachteil, dass alle Kleingruppen evt. mehrmals zusammengerufen werden müssen, wenn sich ihre Beiträge in der Summe als zu niedrig erwiesen haben.
Alternativ ist es denkbar, die Bieterunde für den gesamten Verbund per Internet durchzuführen statt in persönlichen Treffen. Die einzelnen Mitglieder würden dann per Software ein „Gebot“ abgeben. Sobald alle geboten haben, erfahren sie, ob zu wenig/genug/zu viel zusammenkommen ist, und können ihr Gebot dann nochmal nach unten oder oben modifizieren – solange, bis es reicht. Ebenso wie bei anderen Verfahren können die individuellen Beiträge (Gebote) dabei vertraulich bleiben. Alle müssen nur wissen, dass die Gesamtsumme ausreicht, aber nicht, wie viel andere Einzelne beitragen.
Ein relativ innovatives Element in unserem Konzept ist die Idee von einkommensabhängigen Richtwerten. Offene Fragen dazu sind, ob die Idee nicht mit der angestrebten Niedrigschwelligkeit kollidiert, schließlich müssen dafür alle ihr Einkommen offenlegen – wenn auch nicht unbedingt öffentlich, sondern nur gegenüber einer vertrauenswürdigen Personengruppe im Verbund, die aus diesen Daten die individuellen Richtwerte ausrechnet und sie anschließend wieder löscht. Ob dieser Punkt sich trotzdem als abschreckend erweist, müsste man sehen. Denkbar ist, dass die Einkommen nicht genau, sondern nur in fünf oder zehn Stufen abgefragt werden.
Oder der Verbund verzichtet ganz auf das Abfragen der Einkommen und berechnet stattdessen einkommensunabhängige Richtwerte. Die Bieter_innen könnten den Vorschlag dann entweder nach eigenem Gutdünken anpassen: Wer mehr hat, gibt mehr, wer weniger hat, gibt weniger. Allerdings dürften die dabei herauskommenden Abweichungen wahrscheinlich in beide Richtungen deutlich schwächer ausfallen, als wenn die realen Einkommensunterschiede zugrunde gelegt werden.
Um eine fairere Annäherung der bezahlten Beiträge an die realen Einkommensunterschiede zu erreichen, könnte der Verbund zwar auf die konkrete Abfrage der Einkommenshöhen verzichten, aber dennoch eine Hilfe bei der Selbsteinschätzung mitliefern: „Das Durchschnittseinkommen in unserer Region ist XY €. Wenn dein Einkommen doppelt/halb so hoch ist, magst du vielleicht doppelt/halb so viel beitragen?“
Ein weiterer offener Punkt ist, ob neben der Beteiligung an Bieterunden noch weitere Mitwirkungspflichten eingefordert werden könnten. Oben wurde dies verneint: „aktives Engagement wird im Verbund gern gesehen …, jedoch niemandem individuell abverlangt.“ Es gibt jedoch Solawis, die ihre Mitglieder zu Arbeitseinsätzen in gewissem Umfang verpflichten. Wie geht das zusammen – müssen solche Projekte ihre Praxis zwingend ändern, um in einem Verbund mitzumachen?
Die Idee von Arbeitseinsätzen in einzelnen Projekten ist unter anderem deshalb problematisch, weil sie schlecht „skaliert“. Nutze ich die Produkte von einem Dutzend Projekten, kann ich nicht bei jedem dieser Projekte einen oder mehrere Arbeitseinsätze pro Jahr ableisten, ohne mich hoffnungslos zu verzetteln und wohl an der ganzen Sache die Lust zu verlieren. Klar ist also, dass solche Pflichteinsätze die Ausnahme bleiben müssen. Grundsätzlich wäre es aber denkbar, dass sich ein Verbund darauf einigt, dass seine Mitglieder an ein bis zwei der beteiligten Projekte aktiv mitarbeiten statt sich nur finanziell zu beteiligen. Welche Projekte es im Einzelfall werden und was genau sie dort machen, wäre dann aber weiterhin den Einzelnen überlassen.
Solche Regelungen sind denkbar, aber letztlich ist fraglich, ob eine Ermunterung zum Mitmachen („wir freuen uns, wenn …“) nicht angenehmer und womöglich auch motivierender ist als eine verpflichtende Regelung („als Mitglieder müsst ihr …“). Eventuell könnten die notwendigen Aufgaben, die nicht von bezahlten Mitarbeiter_innen übernommen werden sollen, auch nach dem Bieterunden-Prinzip aufgeteilt werden: Individuell muss niemand bestimmte Aufgaben übernehmen, aber kollektiv muss sich für alle Aufgaben jemand finden, die oder der sie übernimmt.
Bei manchen Kommunen wird auch das Vermögen der Beteiligten kollektiviert (d.h. der Kommune überschrieben), zumindest nach und nach. So gibt es bei einigen jüngeren Kommunen die Regelung, dass zehn Prozent des eigenen Vermögens pro Jahr kollektiviert/umverteilt werden. Wer länger als zehn Jahre dabei war und dann wieder aussteigt, nimmt dann im einfachsten Fall so viel Vermögen mit wie dem Durchschnitt der eingezahlten Vermögen entspricht. Alternativ kann es bedarfsgerechtere Lösungen geben (Ausstiegsverträge), was allerdings viel diskussionsaufwändiger ist.
Für einen Commonsverbund, der für die meisten Beteiligten zunächst nur ein Standbein sein dürfte – einen Teil der genutzten Güter erhalten sie aus dem Pool, den Rest kaufen sie weiterhin auf dem Markt ein – dürfte eine solche Kollektivierung eher nicht praktikabel sein. Denkbar ist aber, dass einzelne zum Verbund gehörende Wohnprojekte eine solche Vermögens-Kollektivierung vornehmen und dann auch eine gemeinsame Kasse für alles, was nicht aus dem Verbund kommt, führen.
Update: Es gibt jetzt eine Mailingliste, in der Commonsverbünde diskutiert und ihre Umsetzung vorangetrieben werden kann.
Verwandte Konzepte
- Die Cooperativa Integral Catalana (CIC) ist eine katalanische Kooperative, die die umfassende Versorgung ihrer Mitglieder anstrebt.
- Zeitbanken und Stundentauschringe sind ein simpler, allerdings nur sehr begrenzt solidarischer Ansatz zur Organisation einer gemeinsamen Ökonomie. Wir wollen die dort praktizierte individuelle Abrechnung (die von mir erbrachten Beiträge werden gegen die von mir konsumierten aufgerechnet – ohne ausreichend eigene Beiträge kann ich auch nichts konsumieren bzw. nutzen) so nicht, aber man sollte Unterschiede und Ähnlichkeiten im Auge behalten.
- Martin Siefkes hat letztes Jahr im Keimform-Blog „Peer-Netzwerke“ vorgeschlagen (siehe Eine Idee für den Übergang und 10 Prinzipien des Übergangs), die einige Kernideen der hier skizzierten Commonsverbund-Idee vorwegnehmen, auch wenn es in den Details viele Unterschiede gibt.
Verbünde sind untereinander exklusiv, oder? Kann ein Projekt gleichzeitig zu mehreren Verbünden gehören?
Was sind Bieterunden? Sind das Bieterrunden, die Arbeit und Produkte anbieten? Bieten sie das dem Verbund an? Wie soll das funktionieren? Genauere Ausführungen dazu habe ich in dem Konzept nicht gefunden bzw. nicht als solche verstanden.
@plomlompom: Dass ein Projekt zu mehreren Verbünden gehört, dürfte eher die Ausnahme sein, weil Verbünde ja als lokal verortet gedacht sind und Projekte typischerweise ebenfalls lokal/regional sein dürften.
Dass ein überregional aktives Projekt zu mehreren Verbünden gehören möchte, wird aber sicherlich manchmal vorkommen und sollte auch hinzukriegen sein. Dann muss das Projekte eben seine Unkosten und die produzierten Güter so auf beide Verbünde verteilen, dass beide mit der gefundenen Lösung leben können, sprich dass niemand das Gefühl hat, von den anderen „über den Tisch gezogen“ zu werden.
Innerhalb einer bestimmten Region sollte es idealerweise immer nur einen Verbund geben. Per Chat diskutierten wir noch, was passiert, falls einige Projekte aus dem Verbunds-Konsens ausscheren und stattdessen lieber einen Alternativ-Verbund gründen — ob dann andere Projekte Mitglied in beiden Verbünden werden könnten und so quasi eine Brücke zwischen diesen bilden.
In so einem Fall würde ich die Möglichkeit einer Doppelmitgliedschaft allerdings eher bei Einzelpersonen sehen — diese könnten sich natürlich von beiden Verbünden ein Stück weit versorgen lassen und an beiden Bieterunden teilnehmen. Ob das auch für Projekte möglich ist, müssten die Verbünde ausdiskutieren — ich schätze, das würde einige Diskussionen erfordern und würde sehr stark von der konkreten Situation abhängen.
Aber generell wäre meine Hoffnung eher, dass solche „Konkurrenzverbünde“ gar nicht erst entstehen oder jedenfalls nicht viele Projekte und Mitglieder anziehen, weil es den meisten doch gelingt, einen Konsens/Konsent zu erzielen, der allen die Zusammenarbeit innerhalb eines Verbunds ermöglicht.
@Alfred Fresin: In Bieterunden bzw. Bieter_innenrunden werden die erwarteten Unkosten unter allen Unterstützern bzw. Projektmitgliedern aufgeteilt. Dabei muss niemand eine bestimmte Summe zahlen, aber insgesamt muss natürlich genug Geld zusammenkommen, damit alle Rechnungen bezahlt werden können und die angestellten Mitarbeiter ihr Gehalt erhalten (solange eben vieles noch über Geld läuft).
Im verlinkten Text SoLaWi-Tagebuch: So funktioniert die solidarische Landwirtschaft wird das anhand der realen Praxis einer SoLaWi genauer beschrieben:
Von Martin erreichten mich einige Nachfragen und Kommentare per E-Mail, die ich nach Rücksprache hier öffentlich beantworte:
„Selbstkostenpreis“ würde ich nicht sagen, da es da gerade bei einkommensabhängig berechneten Richtwerten schon erhebliche Abweichungen geben dürfte. Und selbstverständlich darf man vom Richtwert nach unten oder oben abweichen, sonst bräuchte es ja keine Bieterunde.
Die freiwilligen Beiträge sind ganz bewusst freiwillig und von eigenen Konsum entkoppelt. Wenn man den eigenen Konsum „abarbeiten“ müsste (auch nur vom Vorschlag her), wäre das denke ich Gift für die Motivation und würde auch zu Konkurrenz zwischen den Beitragenden führen (weil alle gucken würden, wie sie sich auf möglichst angenehme Weise dieser „Pflicht“ entledigen können). Bei genuin freiwilligen Beiträgen gibt’s diesen Konkurrenzeffekt nicht — entweder ich sehe unter den offenen Tasks Dinge, die mir zusagen, oder ich lasse es eben.
Weder noch. Erstmal geht’s ja um die Bedarfserhebung im Mitgliederkreis, sprich wenn Leute Fahrräder produzieren wollen, würden sie erstmal abfragen, wer alles eins haben will. Anhand der Rückmeldungen lässt sich dann schon ungefähr absehen, wie groß man das Ganze sinnvollerweise aufziehen könnte — ob eher simple Werkstatt oder ganze Fabrik.
Natürlich kann es sehr gut sein, dass nicht alle (Fahrrad-)Bedürfnisse im Mitgliederkreis befriedigt werden können, dann kann das Projekt einen zweiten Call machen („Leider können wir bis nächstes Jahr voraussichtlich nur ein Drittel der gewünschten Fahrräder liefern, möchtest du trotzdem eins oder trittst du zurück?“) und anschließend unter allen, die weiterhin an ihrem Fahrradwunsch festhalten, losen.
Unabhängig davon, dass sicherlich nicht alle Wünsche auf einen Schlag gelöst werden können, weiß der Verbund dann aber immerhin schon mal, welche Wünsche bestehen, und kann dann daran arbeiten, nach und nach immer mehr davon zu befriedigen. Sprich das Fahrradprojekt kann weitere Leute anlernen, seine Produktionskapazitäten ausweiten und die Gründung von Spin-Off-Projekten fördern.
Gute Frage. Mitgliedschaft im Sinne einer Unterstützer_innenschaft — man wird mit Gütern versorgt und übernimmt im Gegenzug einen Teil der anfallenden Kosten — bezieht sich in unserem Konzept tatsächlich eher auf den ganzen Verbund statt auf einzelne Projekte. Projekte sind eher etwas Aktives, sie stellen Güter her bzw. pflegen sie — Projektmitglieder im engeren Sinne wären also die, die in einem Projekt konkret mitarbeiten, ob bezahlt oder ehrenamtlich.
Ja, klar. Sowohl bei bezahlten Angestellten als auch bei ehrenamtlich Mitwirkenden werden die Projektaktiven darauf achten (müssen), dass die Person für die Tätigkeit auch geeignet ist. Zu einem guten Teil dürfte da zwar schon die Selbstauswahl der wesentliche Filter sein — ich werde mich sicher nicht um eine Beschäftigung als Herzchirurg oder Großküchenchef bemühen! –, aber sie ist nicht der einzige Filter, das Vertrauen der anderen muss auch da sein.
Siehe oben den Kommentar zu plomlompom. Grundsätzlich halte ich den Verbund nicht für eine Instanz, die losgelöst von den Projekten Entscheidungen treffen kann, stattdessen ist der Verbund ja die Gesamtheit der Menschen, die zu ihm gehören. Ein gewisses Konfliktpotenzial besteht zwischen unterschiedlichen Projekten, die in einem Bereich aktiv sind — wenn sich die in der Lebensmittelproduktion Tätigen z.B. überwiegend einig sind, keine genmanipulierten Pflanzen anzubauen, aber einige anderer Meinung sind, müsste sich die Minderheit überlegen, ob sie ihr Vorhaben dann eben außerhalb des Verbunds durchzieht.
Naja, ich sage: „ich mache Task A“, du sagst: „OK, dann mache ich Task B“, daraufhin melden sich andere, und am Ende sind alle Aufgaben verteilt 🙂 Übrigens könnte man natürlich schon auch einen Standardbeitrag ausrechnen („Wir schätzen, dass wenn alle beitragen, jede_r im Durchschnitt 70 Stunden lang tätig sein müsste“), aber solange manche z.B. aufgrund von Lohnarbeit, Studium oder Kindern sehr wenig freie Zeit haben, andere als Arbeitslose oder Rentner_innen oder Lottogewinner sehr viel, dürfte das nur bedingt aussagekräftig sein.
Ich würde Bezahlung in diesem Konzept nicht in erster Linie als „Motivator“ auffassen, sondern als „Ermöglicher“. Solange alle lohnarbeiten müssen, ermöglicht man es damit einigen, sich ganz auf ein Verbundprojekt zu konzentrieren statt nur nebenbei ab und zu mal einen Abend ehrenamtlich mitzuwirken. Wenn aber die Notwendigkeit zur Lohnarbeit dank besserer Versorgung durch den Verbund immer weiter schwindet, dürfte dieses Schaffen von Freiräumen an Bedeutung verlieren. Wenn den Leuten nicht mehr Hunger oder Elend drohen, wenn sie sich 20 oder 30 Stunden pro Woche ehrenamtlich für den Verbund engagieren, stellt dieser vielleicht fest, dass die Bezahlung ganz wegfallen kann, weil sich auch ohne sie genügend Freiwillige für alle zu erledigenden Aufgaben finden 🙂
Ja eine gewisse Bereitschaft zur Versorgung anderer muss bei Leuten, die in dem Verbund aktiv sind, natürlich vorhanden sein. Ich denke, das ist wie der Unterschied zwischen community gardens, wo es oft im Wesentlichen um das Gärtnern und die Geselligkeit geht, und Solawis, wo beides ebenfalls wichtig sein kann, die aber auch den Anspruch haben, 100 andere Leute mit z.B. Gemüse zu versorgen. Wer nur basteln will, kann das natürlich tun, aber das dürfte dann nicht in die Budget- und Bedarfsplanung des Verbunds einfließen.
Unterschiedliche Projekte, die das gleiche produzieren, würde ich erstmal nicht als Konkurrenten, sondern als Ergänzung ansehen, sprich die sprechen sich dann eben ab, um alle Bedürfnisse zufriedenzustellen. Wenn ein Projekt gar nicht bereit sein sollte, sich mit den anderen abzustimmen und auch das eigene Know-How mit ihnen zu teilen, dürfte es im Verbund allerdings nichts verloren haben.
Wieso sollte das statisch sein? Sofern die Verbundmitglieder noch Dinge von außerhalb kaufen müssen, ist das ja immer schon ein Hinweis darauf, wo der Verbund noch aktiv werden könnte. Ob dann Leute, die schon Mitglieder im Verbund sind, ein ganz neues Projekt „für X“ gründen — oder ob sie an existierende Projekte herantreten und diese einzuladen, sich dem Verbund anzuschließen — oder ob umgekehrt Projekte, die bislang losgelöst vom Verbund existieren (mit z.B. eigener Bieterunde) diesen fragen, ob sie nicht Teil des Verbunds werden können — ich denke, das wird es alles geben.
Ja, von der Politik einfordern, besetzen, klauen, Spenden sammeln — ich denke, da gibt es einige Möglichkeiten, wenn anders nicht an die benötigten Ressourcen ranzukommen ist 😉 Grundsätzlich würde ich aber erstmal erwarten, dass man schon mit den eigenen Mitteln recht weit kommen kann, jedenfalls wenn die kapitalistische Produktion in der entsprechenden Region noch nicht völlig zusammengebrochen ist. Denn Rohstoffe und Vorprodukte kosten oft nur einen Bruchteil im Vergleich zu den fertigen Endprodukten, deren Produktion der Verbund dann hoffentlich mehr und mehr übernehmen kann.
@Christian Siefkes: Wären die Aufgabenversteigerung und die Verfahren zur Zuteilung von Produkten, die du in deinem Buch vorgeschlagen hast, hier nicht anwendbar? Dann bräuchte man gar kein Geld innerhalb der Commonsverbünde.
Wie real ist das? Klarer Fall gute Idee! Die Seite von diesem Commonsinstitut sieht irgendwie unfertig aus. Wär aber schön, wenn sich da was tut. Also mit Commonsverbünden und so.
@libertär:
Geld wird ja nicht in erster Linie innerhalb des Verbunds gebraucht, sondern nach außen hin — Rohstoffe, Vorprodukte, Mieten etc. müssen gezahlt werden; Leute, die dem Verbund einen Großteil ihrer Zeit zur Verfügung stellen, brauchen Geld zum Leben, solange der Verbund eben noch nicht alles Lebensnotwendige und -wünschenswerte bereitstellen kann.
Eins der Probleme an meinem Verteilungspool-Modell war, dass es für einen Zustand gedacht ist, wo alles auf diese Weise organisiert wird. Als Denkmodell fand ich das OK, aber dass ich nie Übergangsmodelle gefunden habe, wie man von hier nach dort kommen könnte, ist einer der Gründe, weshalb ich das Modell nicht mehr propagiere. Das hier skizzierte Konzept ist hingegen explizit als Übergangsmodell gedacht, das aus der heutigen Welt heraus eine Transformationsperspektive eröffnen kann.
Guenter:
Das Commons-Institut existiert seit einigen Jahren und ist sehr real. Eine bessere Website ist in der Tat dringend nötig und auch seit einiger Zeit in Arbeit — hoffen wir, dass sie bald live gehen kann 🙂
Die Commonsverbünde sind vorerst nur als Brainstorming-Konzept entstanden, ich hab aber schon einige Rückmeldungen erhalten, die darauf hoffen lassen, dass es nicht dabei bleiben wird 🙂 Letztlich kommt es jetzt darauf an, ob sich in der einen oder anderen Region Projekte in Anlehnung an die hier skizzierten Ideen zusammenschließen und praktische Lösungen zur Umsetzung entwickeln. Allein wird unsere kleine, über zwei Länder und zahlreiche Orte verteilte Brainstorming-Gruppe das Konzept jedenfalls nicht verwirklichen können.
Vielen Dank für den Beitrag! Wie alle neuen und großen Vorstellungen gibt es natürlich jede Menge Haken. Hier mal einige Gedanken von mir:
1 zu bezahlter Arbeit
„Fair bezahlte Stellen kann es auch geben, aber nur soweit sie zur Erledigung der anfallenden Tätigkeiten nötig sind. Ziel ist, dass sie mit der Zeit ganz wegfallen.“
– Wir leben im Kapitalismus und dazu brauchen die meisten Leute Geld. Dieses Geld will ich am liebsten auf sinnvolle und schöne Art verdienen, also bspw. in einem Commons-Projekt. Ich glaube es gibt eine starke Motivation der Mitglieder Stellen zu schaffen. Aufgrund von Größe, Unübersichtlichkeit und Mitgefühl kann es hier viel Postengeschacher geben. Im Kapitalismus führt Preiskonkurrenz dazu, dass Arbeit gespart wird. Gibt es eine Logik, kann es eine Logik geben, dass in Commons-Projekten bezahlte Arbeit gespart wird?
Natürlich kann es keine zwanghafte Logik sein, da wir unsere Verhältnisse ja selbst gestalten wollen. Geld kann (bei Vergrößerung), durch Beiträge substituiert werden, aber ich weiss nicht ob das ausreicht.
2 zur Expansion
Bis jetzt scheint Expansion nur für Projekte zu gelten, die von anfang an Commons sind. Da scheint mir eine commonistische Zukunft nicht möglich. Es muss eine Möglichkeit geben Projekte die jetzt kapitalistisch sind einzubinden oder zu übernehmen. U.a. öffnet diese Möglichkeit auch eine neue Zusammenarbeit mit sozialem Kämpfen bspw. Fabrikübernahmen. Wir können nicht die ganze Welt neu schaffen, aber wir können sie übernehmen.
3 zur Organisation „Soziokratie“ und Verbund
Vom Organisationsprinzip „Soziokratie“ klingt das bis jetzt für mich eig nur nach Rätedemokratie. Die haben auch Entsendung und Staffelung. Ist das das Gleiche? Denn an Rätedemokratie gibt es einige Kritik.
Ich schließe mit Martins Sorgen bei der Vorstellung von „einem Verbund pro Region“ an. Das geht für mich ganz schnell Richtung Autoritarismus: „Du willst dich jenseits von Geld, selbstbestimmt organisieren? Dann nur hier.“ – Das passt nicht. Verbünde können natürlich gestaltet werden, aber umso größer umso schwieriger und schwerfälliger. Ich glaube es muss darüber nachgedacht werden, wie ein Projekt in verschiedenen Verbunden Mitglied sein kann (ich glaube wir hatten diesen Punkt schon mal bei der Diskussion um Martins Netzwerkidee). Und wie man sicherstellt, dass sich zwischen den Verbünden keine Konkurrenz ergibt.
4 zu Gewinn und Preisbildung
„Diese finanziellen Beiträge decken dabei nur die den Projekten entstehenden Unkosten; niemand kann sich daran bereichern.“
Ind. Bereicherung wird schwierig – check. Aber das mit „nur Deckung von Unkosten“ ist mir unklar. Zuerst mal gibt es genügend (kleine) projekte/Unternehmen die im kap „nur“ kostendeckend arbeiten wollen, ich glaube bei unternehmen geht das nur solang sie in nischen sind, oder halt klein. Aber was bedeutet „nur Unkosten“? Was ist mit besseren Maschinen, die die Arbeit erleichtern oder reduzieren? Die müssen gebaut und beforscht werden. Dann müssen die Projekte vielleicht größer werden um mehr Mitglieder zu versorgen oder (kommt aufs gleiche raus) neue Commonsprojekte gründen und unterstützen um mehr Bedürfnisse durch den Verbund zu befriedigen? Es gibt also keinen Profitzwang, aber sehr viel gut begründete Motivation welchen zu machen
„Perspektivisch soll so immer mehr dessen was gebraucht wird im Verbund selbst bereitgestellt werden oder durch verbundübergreifende Kooperation organisiert werden. Relativ zur Anzahl der Beteiligten sollte das benötigte Finanzbudget daher mit der Zeit immer kleiner werden (da immer weniger auf dem Markt eingekauft werden muss), bis es schließlich ganz entfallen kann“
Ich glaube ich hätte eine andere Prognose: zuerst wird das Finanzvolumen des Verbund ganz schön steigen (v.a. wenn wer sich mal an kapitalintensive Bereiche wie ressourcenproduktion traut), und dann iwann mal senken. Oder könnt ihr das genauer ausführen wie ihr euch das vorstellt?
„Und Preise entstehen nicht in Marktkonkurrenz (als Marktteilnehmer versuche ich einen möglichst hohen Preis zu verlangen, muss ihn aber soweit absenken, dass die Kund_innen nicht zu Konkurrenzprodukten greifen). Stattdessen werden sie zwischen den Mitgliedern des Verbunds (…) in einem transparenten Prozess kollektiv vereinbart.“
Wenn ein Commonsprojekt mehr Geld braucht (bspw. aufgrund der oben ausgeführten Gründe) wird es auch tendenziell lieber ein größeres Budget haben. Und das Projekt will trotzdem gewährleisten, dass die Leute beim Commonsprojekt dabeibleiben statt sich (wieder) an den Markt zu richten. Ehrlich gesagt ist es glaub ich auch nur noch eine Frage der Zeit, bis Unternehmen ihre Preisbildung offen legen um mehr Konsument*innen zu gewinnen. Aber ja, bei Commons-Projekten können auch „Konsument*innen“ mitdiskutieren, ich befürchte aber das die Vorstellungen von „Konsument*innen“ und „Produzent*innen“ ganz schön divergieren werden.
5 zu Eintrittsbarrieren
„Im Endeffekt ist er dazu da, die verschiedenen Bedürfnisse, Aktivitäten und Beiträge aller Verbundsmitglieder miteinander zu vermitteln.“
Und gleichzeitig soll er möglichst wenig Zeit beanspruchen? Ich glaube hier müsste sich schon der Verbund mit gesellschaftlichen Kämpfen um mehr Freizeit verbinden. Sonst werden diese gesellschaftlichen Zeitrestriktionen zu weitgehend akzeptiert.
6 Skalikerungsprobleme
Wird es nicht um so tauschförmiger, abstrakter bei umso mehr Projekten ich dabei bin bzw. umso größer der Verbund ist? Diese kann ich dann weniger und weniger mitgestalten, und nehmen manche Qualitäten von einfachen Marktanbietern an. Gleichzeitig wird diese abstrahierende Dynamik kontrastiert von der Möglichkeit immer weniger Dinge über Geld regeln zu müssen.
alles liebe und vielen dank an alle die bei der entstehung des textes mitgewirkt haben!
simon
@Simon: Danke für deine Kommentare!
Also dieses Risiko, dass Commons-Projekte und -Verbünde sich als „Wohlfühlraum“ sehen, in dem man sich dank der Generosität der Beiträge zahlenden Mitglieder fair bezahlte Stellen schafft, und zwar nicht nur für eine_n selbst, sondern am liebsten auch noch für alle Freund_innen, sehe ich durchaus. Aber meine Prognose ist da ganz klar: Wenn das passiert, ist der Verbund eben tot bzw. zu einem Nischendasein verdammt. Denn aus Mitgliedersicht muss sich das Ganze ja auch „rechnen“ — manche werden vielleicht allein um des Wohlfühl-Faktors mitmachen, aber die meisten Leute, die der Verbund gerne als Mitglieder gewinnen möchte, werden zweifellos die Richtwerte im Blick behalten und vermutlich gar nicht erst einsteigen, wenn ihnen diese im Vergleich zu den Preisen der kapitalistischen „Konkurrenz“ allzu ausufernd erscheinen. Solange es noch ein kapitalistisches Umfeld gibt, kommt man um eine gewisse Konkurrenzsituation mit diesem nicht herum, ob einem das gefällt oder nicht.
Anders als Martin in einem seiner Artikel meine, halte ich Effizienzfragen sehr wohl für zentral. Das heißt nicht, dass man die kapitalistischen Billiganbieter nun um jeden Preis unterbieten und sich selbst und die Natur maximal ausbeuten müsste — aber wenn die Kosten höher sind als bei der kapitalistischen Konkurrenz, werden die Projekte zumindest überzeugende Gründe haben müssen, warum das so ist.
Erfolgreiche Solawis sind denke ich typischerweise teurer als Aldi, aber billiger (oder jedenfalls nicht teurer) als zertifizierte Bio-Lebensmittel, bieten aber inoffiziell meist Bio-Standard oder mehr. Und die SolE (Solidarische Energieversorgung) plant, selbstorganisiert Ökostrom zu liefern zu Preisen, die im Schnitt unter denen anderer Ökostrom-Anbietern (wenn auch nicht unter den billigsten Atom/Kohlestrom-Angeboten) liegen. Möglichkeiten, effizienter zu sein als die kapitalistische Konkurrenz, ohne sich auf deren Schweinerei einzulassen, gibt es denke ich genug, weil der ganze Overhead für Zwischenhandel, Marketing, Dividendenzahlungen etc. wegfällt und weil Projekte ihr gesamtes Wissen frei miteinander teilen können statt dass jedes seine eigene „Forschungsabteilung“ braucht etc. Aber der Wille, diese Möglichkeiten zu nutzen, muss auch da sein.
Was die Lohnarbeit betrifft, können Commons-Projekte logisch gesehen in zwei Richtungen geben: „keine (Lohn-)Arbeit für niemand“ — also alle Arbeit entweder wegautomatisieren oder so umgestalten, dass sie freiwillig gemacht wird — oder „gute, fair bezahlte Arbeit im jeweils gewünschten Maße für alle“, wie es den Gewerkschaften vorschwebt. Letzteres ist logisch unmöglich, daher werden Projekte/Verbünde, die diese Richtung einschlagen, scheitern.
Ich sehe da keinen echten Widerspruch. Natürlich könnte eine besetzte Fabrik Teil des Verbunds werden, warum denn nicht? Dass der Verbund ein kapitalistisches Unternehmen mit Mitarbeiter_innen und allem drum und dran einfach „aufkauft“, kann ich mir hingegen kaum vorstellen, denn was sollte dann mit den Mitarbeiter_innen werden?
Ich denke es gibt da viele Ähnlichkeiten und einige Unterschiede, bei den Kritikpunkten müsste man also jeweils konkret gucken, inwiefern sie passen bzw. wie man da ggf. mit umgehen kann.
Diese Diskussion kommt mir voreilig vor. Allzu große Verbünde sollten sich ja auch nach den Vorstellungen des Entwurfs teilen, und bei der Schwerfälligkeit müsste man erstmal sehen, ob sie auftritt und woran sie liegt. Aus Nutzersicht wären zu viele unterschiedliche Verbünde jedenfalls ein großer Nachteil, denn die Verbundidee ist ja gerade „eine Bieterunde für alles“. Wenn ich nun an fünf Projekten interessiert bin, die aber Mitglied fünf unterschiedlicher Verbünde sind, wäre für mich aus Nutzersicht ja gar nichts gewonnen, ich müsste zu fünf Bieterunden gehen und könnte das dann auch direkt bei den Einzelprojekten machen.
Die konkret für mich zu klärende Frage, wenn die Idee alternativer Verbünde in der selben Region im Raum steht, wäre für mich eher: Wo hakt es eigentlich, was spricht konkret gegen die Zusammenarbeit? Vielleicht gibt es ja tatsächlich unausräumbare Differenzen, die dann unterschiedliche Verbünde zwingend notwendig machen, aber besser fände ich es, eine gemeinsame Lösung zu finden, mit der alle leben können. Also aus meiner Sicht sollte das Ziel klarerweise sein, lieber einen flexiblen und generösen Verbund zu schaffen, in dem sich eine große Anzahl ganz unterschiedlicher Projekte wohlfühlt, anstatt mehrerer sehr starrer und enger Verbünde, in denen sich jeweils nur wenige Projekte wohlfühlen.
Es gibt ja auch nur ein Mietshäusersyndikat. Natürlich ist kein Hausprojekt gezwungen, Teil des Mietshäusersyndikats zu sein, aber bislang gab es offensichtlich nicht viele, die die Notwendigkeit gesehen haben, gemeinsam ein anderes Mietshäusersyndikat zu gründen.
Das wäre dann ja kein Profit, sondern Kosten, die eben für weitergehende Ziele — Forschung, Prozessverbesserungen, Neugründungen — eingeplant werden. Ich sehe kein grundsätzliches Problem damit, diese Kosten ebenso wie andere im Rahmen einer Bieterunde einzuwerben bzw. für größere Vorhaben Direktkredite aufzunehmen –, nur müsste den Mitgliedern gegenüber transparent gemacht werden, welche Ausgaben wofür vorgesehen sind — und später dann, was mit dem Geld passiert ist.
Ja, ich denke das Sinken ist eher die langfristige Perspektive.
Dagegen ist nichts einzuwenden 🙂
Ob etwas „tauschförmig“ ist, hat für mich erstmal nichts mit der Größe zu tun. Abstrakter in dem Sinne, dass mehr und mehr einfach läuft, ohne dass ich mich individuell einbringe(n muss), würde es sicher werden, aber das würde ich eher als Feature sehen statt als Bug.
Es gibt jetzt auch eine Mailingliste, in der Commonsverbünde diskutiert und ihre Umsetzung vorangetrieben werden kann: https://lists.schokokeks.org/mailman/listinfo.cgi/commonsverbuende/
Obwohl wir dabei sind, den Artikel ins Englische zu übersetzen, möchte ich jedenfalls einige kritische Punkte erwähnen, die mir eingefallen sind. Natürlich finde ich die Idee im Allgemeinen sehr spannend!
Wenn mehr Produktkategorien innerhalb des Verbundes hergestellt werden, führt das nicht automatisch dazu, dass das Geld weniger gebraucht wird, denn es wird immer noch in den neuen Projekten bezahlte Stellen geben. Das Verwenden von Geld wird nur dann geringer, wenn die bezahlten Stellen weniger bezahlt bzw. durch freiwillige Arbeit ersetzt werden. Diesen Prozess könnte man vorstellbar als „normale kapitalistische Ausbeutung“ kritisieren (obwohl ja niemand davon profitiert). Oder im Bezug zur angestrebten Niederschwelligkeit könnte man das auch als „abschreckend“ ansehen.
Zweitens bin ich ebenfalls von der Idee eines strikt „territorialen“ Verbundes nicht so begeistert. Bei vielen Projekten wie z.B. Computers, Autos und Smartphones gibt es notwendigerweise globale Produktionsketten und auch einen globalen Bedarf (d.h. von allen Commonsverbünden gebraucht). Ich denke, ein globaler Commonsverbund oder zumindest ein „Verbund der Verbünde“ wäre irgendwann dafür eine Notwendigkeit.
Hallo Justin, so ganz nebenbei bringst du da die zentralen Probleme der Vorstellungen eines „Verbundes“ zusammen, wenn Du schreibst:
„Zweitens bin ich ebenfalls von der Idee eines strikt „territorialen“ Verbundes nicht so begeistert. Bei vielen Projekten wie z.B. Computers, Autos und Smartphones gibt es notwendigerweise globale Produktionsketten und auch einen globalen Bedarf (d.h. von allen Commonsverbünden gebraucht). Ich denke, ein globaler Commonsverbund oder zumindest ein „Verbund der Verbünde“ wäre irgendwann dafür eine Notwendigkeit.“
Wie soll das denn alles überhaupt gehen ohne eine systematisierten Arbeitsprozess, also ohne Industrie, ohne ein organisiertes Sozialwesen, ohne politische Auseinandersetzungen über eine Mehrproduktion, die immer nötig ist, um Gesellschaft zu erhalten und die Generationen zu versorgen? Das ist ja gerade das, was der Begriff Verbund umgehen will und was auch nicht durch die schräge Begrifflichkeit von Eigentum versus Besitz gelöst ist.
Ich verstehe die Commonsverbünde als genau einen Schritt in diese Richtung.
Aber nur durch den Rückfall in den ganz kapitalursprünglichen Finanzbedarf, der durch einen ebenso uralten Begriff von Besitz (also von Besetzen) und also aus der vorhandenen Vorratshaltung der Finanzen „der anderen“, aus dem besessenen Geld verdummbeutelt wird, der nun mal für einem „Geldbedarf“ nötig ist, der ja „nur den Besitzer wechselt“:
„Die Bereitstellung von Gütern durch den Verbund verursacht Unkosten verschiedener Art: Es gibt Dinge, die zu tun sind (Aufgaben oder „Arbeit“); in einem ansonsten noch großteils kapitalistischen Umfeld braucht es Geld, um Dinge zu kaufen oder zu mieten, die der Verbund nicht selber hat oder herstellen kann. Alternativ können solche Dinge auch direkt als Sachleistungen in den Verbund eingebracht werden, was den Finanzbedarf senkt. Wollen am Verbund beteiligte Projekte für geleistete Aufgaben Gehälter zahlen, erhöht sich der Geldbedarf weiter.“
Es wäre sehr viel besser für eine gesellschaftliche Veränderung, die bisherigen Formen des Sozialwesens, der Gesellschaft als Gemeinwesen auf ihre Fehler hin zu analysieren und durch die hieraus entwickelten politischen Strategien die herrschende Formen zu bekämpfen und ihre Inhalte durch Aneignung zu übernehmen, als in dieser Wursterei von neuen Keimen und Keimformen zu reden, die doch nichts anderes als bloße Entzündungen mit sich bringen, durch die das Feuer nur verpuffen wird.
@Justin #13:
Ja, theoretisch ist es denkbar, dass dann immer mehr Geld innerhalb des Verbundes zirkuliert — mehr und mehr Leute werden vom Verbund bezahlt, geben aber einen größer werdenden Teil ihres Gehalts an den Verbund zurück, um von diesem mit immer mehr Gütern versorgt zu werden. Aber ich schätze, dass diese Wechselbeziehung in vielen Fällen geldlos erfolgen wird — Verbundbeschäftigte verzichten auf einen Teil ihres Gehalts und erhalten stattdessen direkten Zugriff auf die produzierten Güter. Das ist dann keine Ausbeutung.
Ebenso ist es keine Ausbeutung, wenn Tätigkeiten automatisiert werden oder wenn Leute sie freiwillig übernehmen, weil sie Lust darauf haben (die Wikipedia bezahlt ihre Autor_innen ja auch nicht und beutet sie trotzdem nicht aus).
Ja, so etwas sehe ich als Anlass für verbundübergreifende Kooperationsprojekte, aber welche Größenordnungen diese sinnvollerweise haben werden, hängt stark von den jeweiligen Produktionsprozessen ab. Dass es einen „Weltverbund“ gibt, dem alle Verbünde angehören müssen, finde ich eine eher unheimliche Vorstellung und auch nicht wirklich plausibel.
Und außerdem finde ich es eine wichtige Frage, welche Ebene im Konfliktfall die Oberhand gewinnt — aus einem Kooperationsprojekt unterschiedlicher Verbünde können letztere aussteigen, wenn sie sich mit den anderen Beteiligten gar nicht mehr einigen können. Bei einem globalen Commonsverbund wäre das offensichtlich nicht mehr möglich, hier müssten sich also die einzelnen lokalen Verbünde im Konfliktfall einer global getroffenen Entscheidung unterordnen. Auch das finde ich eine unheimliche Vorstellung.
Wolfram #16:
Das machen wir hier ja. Ich halte es aber für illusorisch, zu glauben, dass man aus einer „Fehleranalyse“ heraus zu einer puritanischen Form einer gesellschaftlichen Transformation kommen kann, die die als Fehler/Probleme erkannten Merkmale von Anfang an komplett vermeidet. Das Geld einerseits überwinden zu wollen, andererseits mit ihm hantieren zu müssen, gehört nun man zu den notwendigen Widersprüchen eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses, der ja nicht um luftleeren Raum oder in den Köpfen der Analysierenden seinen realen Anfang nehmen kann, sondern nur in der alten Gesellschaft.
Eine „Wursterei“, die Elemente des Alten mit Elementen des Neuen verbindet, dürfte für jede reale Transformation deshalb ganz unvermeidlich sein. Und ob die Transformation gelingt, hängt dann davon ob, ob sich das Alte oder das Neue in dieser Gemengelage als das Stärke erweist. Da gibt es keine Erfolgsgarantie, aber dieser Widersprüchlichkeit aus dem Weg zu gehen und es bei rein theoretischer Analyse zu belassen, ist ein Garant dafür, nichts zu verändern.
Danke! Mit der esten Antwort bin ich völlig einverstanden. Natürlich ist es wirklich keine Ausbeutung.
Und ebenfalls find ich die Idee regionaler Verbünde auch nicht wirklich plausibel, wenn man überregionale oder globale Produktionsketten braucht. Wie funktioniert ein verbundübergreifendes Projekt? Wie teilt man den Aufwand unter den beteiligten Verbünden auf? Gemäß der Bevölkerung der Region? Gemäß ihrem Verbrauch? Gemäß dem jeweiligen Durchschnittseinkommen? Muss ein verbundübergreifendes Projekt auch Mitglied von allen betroffenen Verbünden sein, und deshalb eventuell der Regeln zehn oder zwanzig verschiedener Verbünde unterworfen werden? Und wenn nicht, wie trägt man zu einem solchen Projekt bei? Wenn es kein Mitglied deines Verbundes ist, dann kommt es bei den Bieterunden nicht in Frage.
In Verbund X wird z.B. Kupfer produziert. Steigt er aus, dann bricht die ganze Produktion von Elektronik zusammen. Aber wir können nicht alle Kupfer produzieren.
@Justin:
Da müssen sich die beteiligten Verbünde untereinander einig werden. Naheliegend wäre eine proportionale Aufteilung (wenn Verbund A 2/3 der vom Kooperationsprojekt hergestellten Güter abnimmt, trägt er auch 2/3 der Kosten) oder eine Flatrate-Aufteilung (jeder der x beteiligten Verbünde trägt 1/x der anfallenden Kosten, unabhängig davon wie viel der jeweilige Verbund entnimmt) oder etwas dazwischen. Letztlich müssen die beteiligten Verbünde einen Modus finden, den sie jeweils als fair empfinden, damit die Kooperation zustande kommen kann.
Die finanziellen Kosten würden ja wie oben skizziert auf die eine oder andere Weise zwischen den Verbünden aufgeteilt und dann im Rahmen von deren jeweiligen Bieterunden an die einzelnen Mitglieder weitergegeben. Davon können auch bezahlte Stellen in dem Kooperationsprojekt bezahlt werden, soweit nötig.
Zu freiwilligem Engagement in dem Kooperationsprojekt können alle beteiligten Verbünde aufrufen; hier gibt es ja eh keine formelle Aufteilung. Wenn allerdings ein Kooperationsprojekt räumlich innerhalb eines bestimmten Verbundes angesiedelt ist — weil hier z.B. die Fabrik oder das Bergwerk steht — werden sich vermutlich vor Ort wohnende Leute aus diesem Verbund sehr viel stärker engagieren als Auswärtige aus den anderen Verbünden. Ob dieser Verbund dann für dieses freiwillige Engagement — das ja Freiwillige von seinen anderen Projekten abzieht — irgendwie „entschädigt“ wird durch z.B. Senkung des von ihm erwarteten finanziellen Anteils, werden die Verbünde wiederum untereinander vereinbaren müssen.
Wie immer gilt: Fairness rules, wobei als fair akzeptierte Lösungen aber nur von den konkret Beteiligten gefunden werden können — dass wir uns da abstrakt allzu sehr den Kopf zerbrechen, hat vermutlich wenig Sinn.
Kupfer würde ja nicht ein Verbund produzieren, sondern ein von mehreren Verbünden betriebenes Kooperationsprojekt. Steigt einer dieser Verbünde aus, weil er mit dem vereinbarten Kooperationsmodell nicht mehr zufrieden ist und eine bessere Quelle für Kupfer gefunden hat, können die verbleibenden Verbünde das Kooperationsprojekt trotzdem weiter betreiben.
Sollte das Kooperationsprojekt räumlich im Einzugsbereich des ausgestiegenen Verbunds angesiedelt sein, wäre das für die verbleibenden natürlich ausgesprochen unpraktisch, weil sie dann niemand mehr vor Ort hätten. Wahrscheinlich sollten die Verbünde Ausstiegsverträge vereinbaren, in denen vorab geklärt wird, wie mit solchen Szenarien umgegangen wird — langfristige Kündigungsfristen von 5 bis 10 Jahren dürften sinnvoll sein, um den anderen Verbünden im Falle eines Ausstiegs genug Zeit zur Umorientierung zu geben und um sicherzustellen, dass bereits getätigte Investitionen kollektiv abbezahlt werden. (Nach 10 Jahre ist das meiste technische Equipment sowieso veraltet.)
Generell solltest du nicht vergessen, dass die hier entwickelten Ideen ein Übergangsmodell für die weitere Ausbreitung der peercommonistischen Produktionsweise dargestellt. Wir haben hier gar nicht den Anspruch, im Detail zu beschreiben, wie eine fertig entwickelte peercommonistische Produktionsweise aussehen können; entsprechende Antworten sollte man von dem Modell daher nicht erwarten.
@ Christian #18:
Ich bestreite nicht, dass es heute wie vor 40 Jahren auch sinnvoll ist, alternative Produktionsformen, Gemeinschaften, Kommunikationswege usw. zu entwickeln. Wir hatten in den späten 70er Jahren Selbsthilfe gegen die psychiatrischen Repression und in den 80er Jahren eigene Logistik als eigene Presse und Druckerei den Fehlinformationen entgegenstellen können (z.B. 10 Tage nach Tschernobyl die Zeitung „Atomzeit“ in 40.000er Auflage kostenlos verteilt). Ich halte es aber für irreführend, zu denken, dass „eine bessere Produktionsgemeinschaft“ irgendetwas Wesentliches am Geldverhältnis ändern wird, solange die Rechtsform des Privateigentums fortbesteht. Mit „politischen Strategien die herrschende Formen zu bekämpfen und ihre Inhalte durch Aneignung zu übernehmen“ sollte vor allem auf die politische Form deutlich machen, die ich für den Grund und Hebel zur Subversion der Verhältnisse erachte. Sollten viele Menschen davon zu überzeugen sein, dass eine Subsistenzindustrie für alle grundlegend und politisch auseinandergesetzt sein muss, die von den Ländern, Regionen und Kommunen eine entsprechende Rechtsform bekommen und entsprechend ausgestattet wird und erst darauf die Reichtumsbildung von freien (und änderbaren) Vertragsbündnissen (siehe Vertragswirtschaft ) aufsetzen kann, so wäre es durchaus möglich auch die Institutionen der repräsentativen Demokratie „umzupolen“, bevor das die Nationalisten übernehmen,die schon jetzt „im Vorteil“ sind.
Und: Geld darf dabei nicht als Tauschmittel unbenommen bleiben, was es ist. Es muss als Kaufmittel eingeschränkt und als Zahlungsmittel kontrolliert werden.
@Wolfram: Mir scheint, du gehst davon aus, dass zuerst passende „Rechtsformen“ durch den Staat geschaffen werden müssen – sprich man erstmal die Macht übernehmen und Gesetze ändern muss –, bevor sich irgendetwas anderes ändern kann. Das wurde ja nun schon oft versucht und das Problem mit diesem Ansatz ist, dass der Machtgewinn irgendwann zum Selbstzweck wird und diejenigen, die schließlich an die Macht kommen, längst vergessen haben, warum und zu welchem Zweck sie diese eigentlich wollten. Vergleiche den Werdegang der SPD, der Grünen etc.
Deshalb erscheint es mir vielversprechender, die Rechtsformen nicht von oben herab ändern zu wollen, sondern im Kontext der existierenden Rechtsformen kreative Lösungen zu finden, die diese anderen als den offiziell intendierten Zwecken zugänglich machen. Siehe etwa das Copyleft, das das Copyright quasi „umdreht“ und den Nutzer_innen zusätzliche Rechte gibt, statt diese zu beschränken. Oder der vom Mietshäusersyndikat praktizierte und hier aufgegriffene Ansatz, nicht auf die Abschaffung des Privateigentums zu warten, sondern dieses durch vertraglich festgeschriebene kollektive Lösungen gerade so umzudrehen, dass eine spätere Re-Privatisierung ausgeschlossen wird.
@Christian #25
Wo hab ich denn geschrieben, dass die Rechtsformen von oben herab zu ändern seien und man die Abschaffung des Privateigentums abzuwarten hätte? Mir ging es um die Frage, wie einzelne Aktionen einen allgemeinen politischen Hebel bekommen, der spätestens, wenn die Konfrontationen Tat-Sächlich werden, entscheidend sein werden. Da können die „Kreationen“ noch so hübsch sein, am Ende steht das Privatrecht, das nicht nur dem Einzelfall Grenzen zeigt, sondern den allgemeinen Zweck vereinzelter „Enteignungen“ aushebeln wird. Immerhin steht ja ein ganzer „Gesellschaftskörper“ (z.B. durch Ausbildung, Freizeit, Fürsorge und Konsum) zur Verfügung, bevor die Ideen, die hier gebracht werden und still über sich zu verfügen scheinen, überhaupt politisch relevant werden können.
Das wird durch den Staat auch mit Macht in entsprechender Form in Rechnung gestellt, was immer der auch sonst noch sein soll. Es geht nicht drum, die „Staatsmaschine“ (Lenin) zu übernehmen. Aber ohne eine allgemeinere gesellschaftlich Zustimmung mit der politischen Kraft aus bestehenden Verhältnissen der arbeitenden Bevölkerung wird man so nicht sehr weit kommen. Und die wollen ihre Existenz nicht schönen Einfällen überlassen.
Die in den 80ern in München schon gut ausgestattete und über das Netzwerk Selbsthilfe verbundene und gesponserte alternative Szene ist aus vielen Gründen „eingeschlafen“: Chronischer Geldmangel mit permanenter Unterversorgung der Beteiligten, die ohne Bankkredite nicht sinnvoll investieren konnten; Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Ressourcen (Zulieferungen, Rohstoffkosten, Ausbildung, Krankenkassen, Kinderbetreuung usw.); innere Zerwürfnisse in sachlichen und zwischenmenschlichen Sinnfragen, Isolation von den „sonstigen Bedürfnissen“, welche die Bürgerinnen und Bürger auch so haben und dafür bezahlen.
@Wolfram:
Ja, wobei die allgemeinere Zustimmung aber ja nicht vom Himmel fällt oder durch reine Theoriearbeit erreicht werden könnte. Da braucht schon schon praktische Demonstrationen, dass es im Kleinen und Mittelgroßen anderes funktionieren kann, damit die allgemeine Zustimmung zu einem „anders wirtschaften“ wachsen kann.
Das Risiko, einfach nur die gescheiterten Versuche der vorigen Generation zu wiederholen, besteht natürlich immer. Den wesentlichen Unterschied würde ich darin sehen, dass sich die Szene in den 80er Jahren vor allem auf „Alternativbetriebe“ konzentrierte, die aber weiterhin am Markt erfolgreich sein mussten. Während es hier ja gerade darum geht, Alternativen zum Markt zu schaffen und diesen so zunehmend überflüssig zu machen.