Keimform und gesellschaftliche Transformation
[Alle »Keimformen«-Artikel in Streifzüge 60/2014]
Der analytische Begriff der „Keimform“ hat eine gewisse Karriere hinter sich, und wie bei so manchen Karrieren ist nach einer Weile nicht mehr so recht klar, was damit eigentlich gemeint ist. Eine Klärung sei versucht.
Das Keimform-Konzept will die Frage beantworten, wie eine neue gesellschaftliche Form in der Entwicklung entstehen und sich schließlich durchsetzen kann. Das traditionelle Transformationskonzept des Marxismus-Leninismus versuchte den Widerspruch zwischen Ökonomie und Politik zu lösen, indem eine Klasse geleitet durch eine Avantgarde die Macht ergreift. Historisch konnten auf diese Weise zwar die Notwendigkeiten der Warenproduktion etabliert werden (etwa in Russland nach der Revolution), eine kommunistische Produktionsweise ließ sich so jedoch nicht durchsetzen. Das Keimform-Konzept hingegen betrachtet die Spaltung in Ökonomie und Politik, von Warenproduktion und gesellschaftlicher Steuerung, selbst als das Problem. Es kann nicht darum gehen, die Ökonomie mittels der Politik zu verändern, sondern darum, eine neue gesellschaftliche Form durchzusetzen, in der lokale Produktion und gesellschaftliche Zwecksetzung nicht mehr auseinanderfallen. Was ist der Unterschied?
Gesellschaft
Gesellschaft ist der Vermittlungszusammenhang, in dem wir vorsorgend unsere Lebensbedingungen herstellen. Dazu gehören alle Tätigkeiten, die die Menschen für notwendig erachten. Ökonomie ist ein Sonderbereich in der Gesellschaft, in dem bestimmte Güter und Dienste in einer bestimmten, vom Rest der Gesellschaft getrennten Form der Vermittlung produziert werden. Diese Form ist die der getrennten Produktion von Waren, die getauscht werden. Wert, Markt, Staat usw. sind abgeleitete Formen dieser Sondervermittlung, in der etwa ein Drittel der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten erledigt werden. Die anderen zwei Drittel der nötigen Tätigkeiten werden nicht-ökonomisch durch personale Vermittlung der Menschen selbst geschaffen. Gesellschaftliche Transformation heißt, die Sphärenspaltung aufzuheben und nicht, die Ökonomie in der Spaltung mittels der abgespaltenen Politik zu modifizieren.
Ausgangspunkt des Keimform-Ansatzes ist die Gesellschaft, nicht die abgespaltene Ökonomie, ist ein unreduziertes Verständnis der schlichten Tatsache, dass die Menschen ihre Lebensbedingungen selbst herstellen. Das gilt für alle Lebensbedingungen, soziale wie stoffliche, und für alle Epochen. Das begründet auch die Notwendigkeit einer Geschichtsphilosophie. Diese fragt danach, wie die unterschiedlichen historischen Formen, die Lebensbedingungen vorsorgend herzustellen, auseinander hervorgehen. Denn dass sie zusammenhängen, bestreiten auch jene nicht, die eine Geschichtsphilosophie ablehnen.
Notwendig und automatisch
Der Schock des Untergangs des Realsozialismus hat in der Linken zur vehementen Ablehnung von Geschichtsphilosophie geführt. Tatsächlich wähnte man sich im Staatssozialismus auf der Seite der Geschichte und mochte die Notwendigkeit der Aufhebung einer Gesellschaftsformation durch eine folgende aus Legitimationsgründen als Automatismus ausgeben. Was jedoch notwendig ist, folgt noch lange nicht automatisch. Es sind die Menschen, die ihre Geschichte machen, kein Mechanismus außerhalb. Eine Notwendigkeit kann nur auf der Grundlage ihres Menschseins gründen. Aber wie das? Es sind die menschlichen Bedürfnisse nach freier und unbeschränkter Entfaltung ihrer Potenzen, die am Ende alle beschränkenden Regimes hinweg räumen. Und das kapitalistische Regime haben wir uns bis zum Schluss aufgehoben. Ob es gelingt, ist ungewiss.
Die Ablehnung einer Geschichtsphilosophie rührt vermutlich aus der unreflektierten Gleichsetzung mit einem Geschichtsautomatismus. Geschichte verläuft jedoch nicht automatisch, sondern sie wird von den Menschen gemacht. Dieses Machen ist jedoch nicht beliebig, sondern das Tun der jeweiligen AkteurInnen hängt von den bereits entwickelten historischen Möglichkeiten wie auch Begrenzungen ab. Der Keimform-Ansatz beantwortet die Frage, ob denn heute die Möglichkeiten für eine freie Gesellschaft vorhanden sind, mit einem Ja. Eine Garantie, ob diese Möglichkeiten auch ergriffen werden und zum Erfolg führen, gibt es dennoch nicht.
Fünf Schritte
Die Transformation zu einer freien Gesellschaft lässt sich in fünf Schritten denken. Mit diesen fünf Schritten soll begriffen werden, wie in einem betrachteten System qualitativ Neues aus einem vorherrschenden Alten entstehen und sich schließlich durchsetzen kann. Es handelt sich eigentlich um ein retrospektives Verfahren, bei dem das „Ergebnis“ des Entwicklungsprozesses bekannt ist und den Ausgangspunkt bildet, um den Werdens- und Durchsetzungsprozess zu rekonstruieren. Für die hier diskutierte Frage versetzen wir uns gedanklich an die Stelle des abgeschlossenen Transformationsprozesses, um die fünf Schritte dorthin zu rekonstruieren. Wir nehmen also an, wir kennen die Elementarform einer neuen Vergesellschaftung (vgl. dazu den Artikel „Keimform und Elementarform“).
1. Keimform
Etwas Neues entsteht zuerst immer in Nischenbereichen der Gesellschaft. Als Keimform wird nun nicht die konkrete Nischenerscheinung bezeichnet, sondern nur das soziale Prinzip, das sie verkörpert. Im hier betrachteten Fall ist das die Form der Herstellung der Lebensbedingungen, die keinen Tausch erfordert, also keine Warenproduktion ist. Dafür hat sich der Begriff der Peer-Commons verbreitet, es gibt aber auch andere Bezeichnungen (etwa commons-basierte Peer-Produktion). Die Keimform als neues soziales Prinzip der Re-/Produktion kann sich in verschiedener Gestalt zeigen. Das muss auch so sein, hat sie doch allgemeinen Charakter. Das soziale Prinzip ist also nicht wie noch im Kapitalismus begrenzt auf einen Sonderbereich der Gesellschaft – jenen, den man Ökonomie nennt –, sondern Realisationen der Keimform (kurz: Keimformen im Plural) zeigen sich überall in der Gesellschaft. Das empirische Faktum, dass neue Commons in allen Bereichen entstehen, wo Menschen gemeinschaftlich Lebensbedingungen schöpfen, ist ein starker Indikator für ihre Potenz zur gesamtgesellschaftlichen Verallgemeinerung. Aber dazu kommt es nur, wenn eine zweite Bedingungen hinzutritt: die Krise des alten Prinzips.
2. Krise
Solange das alte soziale Prinzip – Warenproduktion in einer ökonomischen Sondersphäre plus Politik plus Restproduktion in der nichtökonomischen, abgespaltenen Sphäre – funktioniert, jedenfalls im Sinne der Erhaltung der Systemkohärenz, gibt es keinen Grund, dass sich ein neues soziales Prinzip durchsetzt. Geht die Kohärenz aufgrund von Krisen verloren, so können die Keimformen eine neue Rolle spielen. Die Multi-Krise des globalen Kapitalismus ist handgreiflich, ihre Verlaufsformen unbekannt.
Doppelte Funktionalität
Jede Tätigkeit in den herrschenden Formen reproduziert eben diese Formen. Durch Teilhabe an der Warenproduktion wird nicht nur die eigene, sondern auch die Existenz des Systems bestätigt. Das ist die doppelte Funktionalität, der alle unterliegen. Tätigkeiten im Kontext der Peer-Commons brechen diesen Nexus auf. Sie reproduzieren nun nicht mehr die dominante soziale Form der Warenproduktion, obwohl sie im Ergebnis zu dieser beitragen, sondern sie reproduzieren die neue soziale Form der Peer-Commons, die inkompatibel zur Warenform ist. Während also die soziale Form inkompatibel bleibt, können die Ergebnisse durchaus kompatibel zur Marktlogik in den Warenzyklus eingehen (etwa als kostenlose Ressource). Die Inkompatibilität der Sozialform hingegen ermöglicht neues Handeln und neue Erfahrungen jenseits der Verwertung. Die „freie Entwicklung der Individualitäten“ (Marx, Grundrisse, 601) ist das Neue.
3. Funktionswechsel
Die Keimformen machen nun einen Funktionswechsel durch. Dieser Schritt ist der eigentlich interessante und der für das Denken herausfordernde. Ohne Dialektik ist hier kein Durchblick möglich. Funktionswechsel heißt, dass die Keimformen ihren Nischenstatus schrittweise verlieren und zur überlebensrelevanten Dimension in der alten Form der Systemerhaltung werden. Gleichzeitig gehen sie nicht in der alten Form der Warenproduktion auf, sondern erhalten ihr qualitativ andersartiges soziales Prinzip aufrecht, weil sie sonst nicht funktionieren würden. Ihre doppelte Funktionalität besteht also in der Gleichzeitigkeit von Nutzbarkeit für das Alte und Inkompatibilität zur sozialen Logik des Alten.
Unfruchtbar sind Diskussionen, die entweder die völlige Inkompatibilität zur alten Warenlogik fordern oder ihr völliges Aufgehen in der Warenproduktion bereits für ausgemacht halten. Es kann nicht anders sein, als dass die konkreten Realisationen des neuen Prinzips stets beide Momente enthalten: Sie können ihre neue Funktion zum Vorteil der alten Logik nur erfüllen, weil sie diese nicht sind, weil sie aufgrund ihrer qualitativ anderen sozialen Funktionsweise produktive und innovative Quellen erschließen, die der normalen Warenlogik verschlossen sind. Sonst würden sie nicht gebraucht werden, doch der Kapitalismus kann nicht mehr ohne sie existieren.
Mehr noch: Die neuen Möglichkeiten werden nicht nur von außen aus den Nischenbereichen in das Zentrum hineingetragen, sondern auch das Kapital als Zentrum der Warenproduktion entdeckt und entwickelt die neue soziale Logik in den eigenen Mauern. Es importiert damit auch jene Formen, die der Kapitalverwertung nicht mehr bedürfen und sie in den Schranken der Verwertung bereits überschreiten. Der Forscher Michel Bauwens spricht vom „vernetzten Kapital“, das sich aufgrund der Konkurrenz zur offenen Kooperation mit Akteuren außerhalb der Warenproduktion genötigt sieht. Für sie gilt: Offenheit schlägt Geschlossenheit. Wer offen ist, kann mehr Wissen und menschliche Ressourcen an sich ziehen als diejenigen, die sich zwar gerne einseitig das Wissen aneignen wollen, aber die Ergebnisse wegschließen und proprietär vermarkten.
Aber auch in den Kernbereichen der Warenproduktion werden immer mehr Formen der (limitierten) Offenheit, Beteiligung und Selbstgestaltung der Arbeit eingeführt, die gleichwohl – und das macht ihre Widersprüchlichkeit aus – unter den Imperativen der Verwertbarkeit stehen. Wer aber hier nur die (auto-)repressive Seite der Entwicklung wahrnimmt, übersieht, dass das Kapital damit gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Warenform schafft: jene Individualitäten, die sich ohne fremde Logik auf eigener Grundlage unbeschränkt entfalten könnten. Das Kapital schafft mit den „Produktivkräfte(n) und gesellschaftlichen Beziehungen“ als „verschiedene(n) Seiten des gesellschaftlichen Individuums“ jene „materiellen Bedingungen, um sie [die bornierte kapitalistische Produktionsweise, SM] in die Luft zu sprengen“, formuliert Marx zugespitzt (Grundrisse, 602).
Peer-Commons
Commons sind gemeinschaftlich hergestellte und gepflegte Güter. Dabei geht es vor allem um das Commoning, das heißt die sozial selbstgeregelte Commons-Praxis. Peer bedeutet „gleichrangig“ und verweist auf die Peer-Produktion, also eine Produktionsform, an der sich alle gleichrangig beteiligen können. Merkmale der Peer-Commons sind: (1) Beitragen statt Tauschen, (2) Besitz statt Eigentum, (3) Selbstentfaltung statt Selbstverwertung und (4) Selbstorganisation statt Fremdbestimmung.
4. Dominanzwechsel
„Bricht die auf dem Tauschwert ruhnde Produktion zusammen“ (ebd., 601), dann kommen jene Seiten des Widerspruchs zur Geltung, die bisher sich nur in den Schranken der fremden Logik der Verwertung entwickeln konnten, und es kommen jene Peer-Commons zur Geltung, die sich bislang der alten Marktlogik unterordnen mussten, und es kommt jene Selbstentfaltung der Individuen zur Geltung, die sich bislang im heftigen Widerspruch zur Selbstverwertung beschränken lassen musste. Wie der Dominanzwechsel, der qualitative Umschlag zur Durchsetzung einer globalen Peer-Commons-Produktion verläuft, kann niemand voraussagen, noch ihn überhaupt garantieren. Die Potenz zur globalen Vergesellschaftung durch globale Produktivkräfte jenseits der Warenform ist eben gleichzeitig die Potenz zur globalen Zerstörung der Überlebensgrundlagen der Menschheit.
Polyzentrisch und stigmergisch
Braucht es die Indirektion des Marktes und die Vermittlung über das Geld, um Produziertes und Gebrauchtes zusammen zu bringen? Nein, es geht auch anders, und ein Zentralplan ist dafür nicht erforderlich. Für zwei zentrale Funktionen des Geldes gibt es Alternativen. Die informationelle Funktion kann durch Stigmergie abgelöst werden. Stigmergie ist Selbstauswahl anhand von „Zeichen“ (Stigmata). Ein roter Link in Wikipedia z.B. signalisiert, dass hier ein Artikel fehlt. Kenne ich mich gut zum Stichwort aus, klicke ich auf den Link und schreibe den Artikel. Stigmergie funktioniert mit sehr vielen Menschen mit unterschiedlichen produktiven Bedürfnissen, etwa einer ganzen Gesellschaft. Dann findet jede Aufgabe auch ihre Lösung. Das funktioniert nicht nur mit Einzelnen, sondern auch mit Projekten, zum Beispiel mit Commons. Die koordinierend-verteilende Funktion des Geldes kann durch polyzentrische Selbstorganisation abgelöst werden. Um viele Commons-Projekte zu verbinden, eignen sich Netzwerkstrukturen. In diesen bilden sich spezialisierte Zentren heraus, die Koordinationsaufgaben übernehmen. Polyzentrisch und stigmergisch – und alles selbstorganisiert.
5. Umstrukturierung
Haben sich einmal die polyzentrisch strukturierten, stigmergisch vermittelten Peer-Commons (vgl. Kasten) durchgesetzt und hat sich die gesamte Gesellschaft nach diesem Prinzip umstrukturiert, wird es schwerfallen, den nächsten Generationen den Irrwitz der Warenproduktion auch nur ansatzweise verständlich zumachen. Wird einmal gemeinschaftlich vernetzt und bedürfnisorientiert alles geschaffen, was Menschen brauchen und wünschen, und dies auch noch in einer Weise, mit der nicht die Zukunft irreversibel zerstört wird, dann kann niemand mehr verstehen, warum vor die Bedürfnisse das Geld gesetzt wurde und warum die Menschen eine Umweginstitution wie den Markt brauchten, um die Verteilung von künstlich verknappten Befriedigungsmitteln zu bewerkstelligen. Jede Normalität ist eine historisch-spezifische. In einer freien Gesellschaft wird der Freiheitsimperativ überall greifen. Freiheit bedeutet, durch nichts anderes mehr bestimmt zu sein als durch sich selbst, Freiheit ist universelle Selbstbestimmung.
Sinnlich-vital und produktiv
Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, und wenn man die Menschen nicht zwingt, tun sie freiwillig nichts mehr. Die so ausgedrückte Inhumanität der kapitalistischen Kernlogik unterstellt, dass Menschen nur konsumtive, sinnlich-vitale Bedürfnisse haben, Essen und Sex. Das ist Unsinn. Tatsächlich ist das Bestreben, über die eigenen Lebensbedingungen verfügen zu können, ein produktives Bedürfnis. Ich kann am besten darüber verfügen, wenn ich an ihrer Herstellung beteiligt bin. Im Kapitalismus ist diese Teilhabe über die Lohnarbeit möglich. Deren Entfremdung trennt viele Menschen von ihren eigenen produktiven Bedürfnissen, sodass viele sogar über sich selbst sagen: Wenn man mich nicht zwingt, mach ich nichts. Einmal befreit von Entfremdung und Zwängen finden fast alle heraus: Die Entfaltung meiner persönlichen Möglichkeiten ist eine unglaublich produktive Angelegenheit. Je besser ich meine produktiven Bedürfnisse umsetzen kann, desto schöner auch die Befriedigung meiner sinnlich-vitalen.
Die fünf Schritte beschreiben nicht notwendig eine zeitliche Abfolge, sondern geben die logischen Komponenten einer qualitativen Transformation eines ganzen Systems an. Der Dominanzwechsel kann zwar logisch und damit auch zeitlich nicht vor dem Funktionswechsel stattfinden, aber das Auftreten von Keimformen, die Krise des alten Systems und der Funktionswechsel können einander durchaus zeitlich durchdringen. So sind Keimformen als konkrete Realisationen eines neuen sozialen Prinzips in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft unterschiedlich weit entfaltet. Nicht zufällig traten Formen der Peer-Commons zuerst im Kontext von Immaterialgütern (Software, Wissen, Kultur etc.) auf, die mit geringem Aufwand kopierbar sind. Aber weil es sich um ein verallgemeinerbares neues soziales Prinzip der Re-/Produktion handelte, um die Keimform einer neuen Produktionsweise, weiteten sich die Peer-Commons auch auf den Bereich der stofflichen Güter aus.
Exklusions- und Inklusionslogik
Der Kapitalismus ist eine riesige Separationsmaschine mit dem Privateigentum im Zentrum. Das Privateigentum kodiert eine soziale Beziehung, in der die Eigentümer die Nichteigentümer von der Verfügung über eine Sache ausschließen. Die Exklusionslogik wird dynamisch, wenn es um Produktionsmittel geht. Dieses Eigentum ist dazu da, aus Geld mehr Geld zu machen. Dynamisch müssen jene von der Verfügung über die produzierten Waren ausgeschlossen werden, die kein monetäres Äquivalent hergeben können. Die Exklusionslogik schreibt sich auf allen Ebenen fort und in alle Beziehungen ein. Ihre Alternative ist die Inklusionslogik. Sie muss bewusst organisiert und strukturell verankert werden. Commons können nur erfolgreich sein, wenn sich genug Menschen beteiligen. Inklusion heißt hier: einladen, integrieren, kooperieren, wertschätzen, verbinden. Sie gegen die nahegelegte Exklusionslogik durchzusetzen, kostet Kraft, sie zu verallgemeinern, enthält die Potenz, eine ganze Gesellschaft danach zu bauen.
Machtfragen
Der Keimform-Ansatz bietet ein analytisches Repertoire zum Verstehen konkreter Situationen. Für unsere Situation ist der Begriff der doppelten Funktionalität zentral (siehe Kasten). Er vermeidet Dichotomisierungen und bleibt scharf für das Wahrnehmen der Widersprüche. Einer der meist geäußerten Einwände gegen den Keimform-Ansatz ist die „Machtfrage“. Dabei gibt es sie nicht, „die“ Machtfrage, sondern es gibt sie nur im Plural: Machtfragen.
Die wesentliche Handlungsmacht der Privilegierten beruht auf dem Funktionieren der alten Waren- und Geldlogik und der Aneignung der Ergebnisse fremder Arbeit. Wenn diese Logik und damit auch die Aneignung und Ausbeutung nicht mehr funktionieren, nutzen auch Gewaltapparate nicht mehr viel. Wenn der Sold nicht mehr fließt oder Geld keine existenzsichernde Funktion mehr hat, lösen sich Gewaltapparate auf. Die wesentliche Macht ist dann die Handlungsmacht derjenigen, die auf neue Weise die Lebensbedingungen herstellen.
Keine Frage: Zerfallende Regimes ziehen auch immer viele Menschen mit in den Untergang. Und auch die Wiederentstehung archaischer Formen von Herrschafts- und Gewaltstrukturen (etwa der Islamismus) angesichts der zurückgehenden Integrationskraft zerfallender „normaler“ kapitalistischer Warenproduktion bedroht kooperativ-solidarische Formen der Produktion von Lebensbedingungen. Das ist jedoch kein Prozess, der notwendig mit dem Entstehen von Keimformen zu tun hat, und er lässt sich auch heute schon kaum noch aufhalten in der alten Form der „nachholenden Modernisierung“. Hier gibt es keine einfachen Antworten.
Schöner Artikel! Abgesehen von gewissen Details des Fünf-Schritt-Modells (womit ich mich in meinem eigenen Streifzüge-Artikel auseinandersetze), habe ich allerdings auch mit der Geschichtsphilosophie so meine Schwierigkeiten. Du unterscheidest zwischen notwendig und automatisch: eine Gesellschaft muss „notwendigerweise“ in eine (bestimmte?) andere übergehen, jedoch ist dies kein Automatismus, sprich die Transformation kann steckenbleiben — die Gesellschaft tritt dann auf der Stelle oder entwickelt sich temporär sogar zurück.
Das erinnert mich an ein Computerspiel, in dem der Spieler jeweils ein ganz bestimmtes Rätsel lösen muss, um weiterzukommen. Schafft er diese Herausforderung nicht, kann er höchstens wieder zurückgehen oder auf der Stelle treten, kommt aber nicht weiter. Insofern ist der Pfad in linearen Computerspielen notwendigerweise vorgezeichnet (man kann keinen anderen einschlagen), aber einen Automatismus, dass man weiterkommt, gibt es nicht. Interessanter und mehr dem echten Leben entsprechend sind jedoch Open-World-Spiele, wo dem Spieler zahlreiche unterschiedliche Pfade und Bewegungsmöglichkeiten offen stehen, es also nicht den einen „notwendigen“ Pfad gibt.
Warum glaubst du, dass die wirkliche Geschichte linear verlauft statt eine „offene Welt“ zu sein? Ich verstehe, dass es tröstlich ist, wenn man glauben kann, dass wir früher oder später — vielleicht verzögert durch eine Phase der Stagnation oder Regression — beim Kommunismus ankommen müssen. Aber einleuchtend finde ich es nicht. Wer, wenn nicht ein göttlicher Spieledesigner (an den wir wohl beide nicht glauben), sollte denn die alternativen Entwicklungspfade verschlossen haben?
Es handelt sich eigentlich um ein retrospektives Verfahren, bei dem das „Ergebnis“ des Entwicklungsprozesses bekannt ist und den Ausgangspunkt bildet, um den Werdens- und Durchsetzungsprozess zu rekonstruieren. Für die hier diskutierte Frage versetzen wir uns gedanklich an die Stelle des abgeschlossenen Transformationsprozesses, um die fünf Schritte dorthin zu rekonstruieren.Das finde ich eine interessante Inversion der Keimform, nämlich dass jemand aus einer hypothetischen Zukunft zurückblicken und so die Keimform im Jetzt erkennen kann.
Gibt es bei K. Holzkamp Hinweise auf diese inverse Denkform?
Das Standardbeispiel mit der Anatomie des Affen habe ich bislang immer so gelesen, dass gerade diese Inversion abgelehnt wird. Ich merke allerdings auch hier, wie schlecht ich bewandert bin, nachdem ich die GdP nur einmal gelesen habe.
Ich habe „Geschichtsphilosophie“ immer nur als Narrativ gelesen, also als zufällige „Geschichte“, die sich gerade nicht um Keimformen kümmert, sondern einfach gut erzählbar ist. Etwa: Wie ist der Kapitalismus entstanden? Dann wird eine Geschichte aus England erzählt … B. Brecht erzählt dazu auch Geschichten (vergl. Argument 313, S.390f)
wie ich sie bei K. Holzkamp gelesen habe
@Rolf:
Soweit ich weiß: nein. War nicht sein Thema.
danke, gibt es anderswo, beispielsweise hier im Blog eine theoretische Reflexion oder Begründung für diese Inversion. Ich dachte, Keimform sei ein Konzept von K. Holzkamp, aber einleitend wird ja gesagt:
Der analytische Begriff der „Keimform“ hat eine gewisse Karriere hinter sich, und wie bei so manchen Karrieren ist nach einer Weile nicht mehr so recht klar, was damit eigentlich gemeint ist.
Ich würde diese Karriere gerne etwas besser kennen. W. Haug hat geschrieben Marxistsein bedeute immer auch über Marx hinaus zu gehen. Vielleicht muss ich als potentieller Holzcamper ja auch etwas über K. Hozkanp hinausgehen.
In diesen beiden Artikeln findest du eine theoretische Reflexion, einmal als Darstellung und dann als Frage-Antwort:
http://keimform.de/2011/fuenfschritt-methodische-quelle-des-keimform-ansatzes/
http://keimform.de/2011/faq-zum-fuenfschritt-und-zum-keimform-ansatz/
besten Dank. Das hat mir sehr geholfen, die Sache deutlicher zu sehen. Allerdings stehen da zwei Fragen, die meiner Frage entsprechen – und eben auch nur Fragen sind:Wenn wir also die Freie Gesellschaft denken wollen, dann brauchen wir einen Begriff davon. Den gewinnen wir nicht durch den Fünfschritt. Wir können den Fünfschritt aber als Unit-Test benutzen, wenn wir eine Hypothese für einen Begriff der Freien Gesellschaft entwickelt haben — nämlich: kommt man da irgendwie plausibel nachvollziehbar auch hin.
WENN ich einen Begriff der künftigen Gesellschaft (schon bevor diese besteht) HÄTTE, dann wäre der 5Schritt ein sehr guter Test.
17. Hängt das Erkennen einer Keimform nicht davon ab, welche Vorstellung man von einer zukünftigen Gesellschaft hat?Ja. Der Keimform-Ansatz funktioniert ja fiktiv-retrospektiv. Gedanklich setzen wir uns in die zukünftige Gesellschaft und fragen uns, wie diese entstehen konnte und was früher einmal die Keimform war. Damit ist es notwendig, einige Rahmenbestimmungen der neuen Gesellschaft zu entwickeln.
Meine Frage bleibt: WIE kann ich eine künftige Gesellschaft vorweg sehen? Die Antwort, die ich HIER bekomme, beschreibt das Verfahren etwa so:
Ich merke innerhalb der alten/jetztigen Gesellschaft, dass etwas Bestimmtes (zb peer-production) gemacht wird, was nicht zu den Verhältnissen passt, aber trotzdem geschieht.
Wenn Menschen etwas tun, was der aktuellen gesellschaftlichen Logik widerspricht und ich trotzdem annehmen kann/muss, dass sie sich damit bewusst rational verhalten,
DANN kann ich einen Erfolg hochrechnen und so in die Zukunft sehen.
WENN dieses Verfahren so gemeint ist, dann scheint mir empirisch gerade das Bedingungslose Grundeinkommen auch als Keinform in Frage zu kommen und aktuell mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Ich würde aber das Verfahren insgesamt anders sehen. Da der 5Schritt auf gesellschaftlicher Stufe nicht darwin-evolutionär, sondern im Sinne des historischen Materialismus gesehen werden sollte (was in den beiden verlinkten Artikeln gut erläutert ist), würde ich die Keimform einer künftigen Entwicklung eher in den analytisch erkannten Widersprüchen der aktuellen Gesellschaft lokalisieren. Mit Marx sehe ich dann die notwendige Aufhebung der Lohnarbeit.
Diese Funktion und deren Wechsel sehe ich weder in den mir bekannten peer-Projekten noch im bedingungslosen Grundeinkommen explizit thematisiert. Aber vielleicht kann mir ja mit weiteren Links geholfen werden? Ich wäre dankbar.
@Rolf:
Aus den Widersprüchen ergibt sich ein Problem, aber noch nicht dessen Lösung.
Aus einer solchen analytischen Untersuchung kann man aber in der Tat Schlüsse ziehen, wie eine andere Gesellschaft beschaffen sein müsste, um wirklich eine andere zu sein und nicht nur eine Variation der heutigen oder von früheren Gesellschaftsformen. Ich habe dafür am Ende meines Artikels Wie der Kapitalismus entstand drei Merkmale benannt:
Da steckt die Aufhebung der Lohnarbeit mit drin, da sie das wesentliche Moment der essenziellen Konkurrenz ist, der sich heute alle unterwerfen müssen (Punkt 2). Aber das alleine reicht noch nicht, denn essenzielle Konkurrenz kann ja auch auf andere Weisen entstehen, und die anderen beiden Punkte sind auch nicht zu vernachlässigen.
Solche analytisch erkannten Merkmale einer anderen Gesellschaftlichkeit sind allerdings selbst noch keine Keimform — auf welche Weise sie konkret umgesetzt werden können, bleibt schließlich offen. Sie sind also eher Prüfsteine, an denen potenzielle Keimformen wie Peer-Produktion und Commoning oder (von mir aus) auch Grundeinkommen gemessen werden können.
hmmm … Konkurrenz unter Lohnnehmern?? Ich dachte, die Kapitalisten seinen Konkurrenten.
Und das Wortpaar Politik/Wirtschaft bezeichnet für mich die kapitalistische Gesellschaft.
Der Widerspruch bezeichnet KEIN Problem (weil Probleme eine Lösung haben). Im Widerspruch sagt mir ein anderer, dass er nicht das Gleiche will wie ich. Ein Kapitalist etwas sagt mir, dass er Lohn geben will. Dazu gibt es KEINE Lösung. (Es sei denn, eine utopische Gesellschaft, die das Lohngeben – wie etwa das Sklavenhalten – als Verbrechen taxiert und deshalb die Lohngeber ins Gefängnis steckt).
Wenn ich das Lohngeben als MEIN Problem sehe, sehe ich, dass ich keinen Lohn geben darf. Wenn ich also mit anderen Menschen zusammenarbeite, darf ich diesen keinen Lohn geben. Darin liegt eine – denkbare – Keimform, wenn Keimform überhaupt in die Zukunft extrapoliert werden kann.
Das ganz konkrete Beispiel ist also (beispielsweise) in unserer Gesellschaft ein Unternehmen, bei welchem niemand Lohnarbeit macht. Ich habe diesen Fall anhand eines Softwarehauses beschrieben, das die Arbeit nicht so organisiert, dass einfache Tätigkeiten anfallen, für die ein schlechtbezahlter „Mit(lohn)arbeiter“ – typischerweise etwa eine SekretärIN oder eine PutzFRAU – hinreichend sind.
Dazu braucht es weder „Wirtschaft“ noch „Politik“
@Rolf:
Die auch, aber nicht nur. Die Nicht-Kapitalisten konkurrieren v.a. um die Gelegenheit, zu Lohnnehmerinnen zu werden, d.h. überhaupt einen (möglichst guten) „Arbeitsplatz“ zu finden — was heutzutage bekanntlich keineswegs trivial ist.
Innerhalb von Firmen ist die Konkurrenz unter den dort Angestellten nominell zwar aufgehoben — alle arbeiten mehr oder weniger zusammen. Trotzdem gibt’s auch da natürlich in vielen Fällen Konkurrenz, z.B. um Aufstiegsmöglichkeiten. Und wenn Entlassungen drohen, muss man der Chefin beweisen, dass man selber so gut ist, dass man davon kommt — auch wenn klar ist, dass es dann stattdessen andere trifft.
Im Kapitalismus kann man der Konkurrenz nur entkommen, wenn man reich genug ist, um gar kein Geld verdienen zu müssen — und das sind natürlich die wenigsten (und wenn, dass wurde dieses Geld meist wiederum auf Kosten anderer erworben).
Das ist eine moralisierende Sichtweise, mit der ich nichts anfangen kann. Das Problem ist doch nicht das Lohngeben — wenn eine Firma z.B. Praktikanten ohne Bezahlung ausbeutet oder Angestellte um den eigentlich vereinbarten Lohn prellt, ist das schlimmer und nicht besser! — sondern dass man überhaupt sich selbst (d.h. die eigene Arbeitskraft oder deren Ergebnisse) verkaufen muss, um leben zu können.
Deshalb sehe ich auch die (tatsächlich unrealisierbare) Fiktion einer marktkooperativen Gesellschaft — wo nur genossenschaftlich organisierte Unternehmen am Markt agieren, aber die Produktion weiterhin marktvermittelt ist — nicht als theoretisch denkbare Keimform. Da alle weiterhin ihre Arbeitskraft verkaufen müssten (nur diesmal in genossenschaftlich organisierter Form) und da die Genossenschaften weiterhin andere Genossenschaften niederkonkurrieren müssten, um am Markt erfolgreich zu sein, wäre das nur eine andere Variante der gleichen Scheiße.
hmmm … ich glaube, ums mit Holzkamp zu sagen, wir sprechen von verschiedenen Standpunkten aus. Es gibt die Beobachtung von Aussen, die Lohnarbeiter und Kapitalisten beobachtet, ohne das eine oder das andere zu sein. Und es gibt den JE MEINEN subjektorientieten Standpunkt.
Wenn ich als Lohnarbeiter gegen andere Lohnarbeiter kämpfe, mache ich das in der Not, weil Lohnarbeiter nicht über ihre Lage verfügen und untereinander verhandeln können. Das als kapitalistische Konkurrenz zu bezeichnen, geht nur von einem neutralen dritten Standpunkt aus.
Wenn ich Kapitalist sage, dann meine ich das nicht moralisierend, obwohl ich sehr dagegen bin, dass es Kapitalisten gibt. Und wenn ich sage, dass ich keinen Lohn gebe (und geben würde), hat das auch nichts mit moralisieren zu tun, sondern beschreibt eine ganz einfache Haltung.
Lohngeben ist für mich wie Sklavenhalten in einer etwas anderen Formation. Ich habe keine Ahnung, weshalb Du das mit unbezahlter Arbeit und real existierende Genossenschaften verbindest (eines der weltweit grössten Kapitalunternehmen, die Swisslife, ist eine Genossenschaft, der Schweizer Aldi, die Migros, ist eine Genossenschaft).
Wenn ich meinen Mitarbeitern keinen Lohn gebe, heisst das für mich ganz einfach, dass sie Miteigner der Produktionsmittel sind. Und ob sie und ich Geld für unsere Tätigkeit bekommen, ist davon unberührt.
Was schliesslich Keimform war, werden wir in der Zukunft sehen. Jetzt aber ginge es noch darum, die aktuellen Verhältnisse adäquat zu analysieren. Mit dem Keimform-Holzkamp kann das nur subjektorientiert passieren. Ich muss mir also überlegen, welche Verhältnisse ich als vermeintliche Konkurrenz über denselben Leisten ziehe. Aber natürlich muss sich das jede(r) selbst anschauen oder wegschauen.
@Rolf: Holzkamp würde dir antworten, dass du die interpersonale mit der gesellschaftlichen Ebene vermischst oder gar verwechselst.
Es geht nicht um Arbeiter*innen oder Kapitalist*innen, sondern um den systemischen Zusammenhang, in dem sie ihre notwendigen Rolle einnehmen, um auf diese Weise ihre Existenz zu sichern. Kein Lohn zu geben ist die interpersonale Ebene, eine Gesellschaft ohne Lohn zu haben, in der dennoch alle Menschen ihre Existenz gut sichern können, wäre die systemische. Zu klären wäre dann nämlich wie diese Gesellschaft beschaffen sein müsste, so dass sie auch ohne Lohn funktioniert. Kapitalismus ohne Lohn geht nicht, aber bloß Lohn abschaffen schafft den Kapitalismus noch lange nicht ab. Eine Produktionsweise kann nur durch eine andere abgelöst werden.
Stefan, ich höre da Dich sprechen, nicht Holzkamp. Aber das macht für mich keinen grossen Unterschied, weil ich höre, WAS gesagt wird.
Das Problem besteht in der Projektion einer Zukunft. Ich kann sagen, was ich schön finden würde, aber nicht wie die Zukunft aussehen wird.
In der Vergangenheit – etwa im amerikanischen Bürgerkrieg – wurde die Sklavenhaltung moralisiert, weil ein immer mächtiger werdender Teil der amerikanischen Bevölkerung realisierte, dass Sklaven nicht rentabel sind. Marx sagt im Manifest, das die Lohnnehmer unrentabel werden. Es spielt keine Rolle ob Marx das gesagt hat, wichtig ist, dass dies die Grundlage einer neuen Gesellschaftsformation ist, auch wenn ich noch nicht weiss, wie sie aussehen wird.
Aktuell aber kann ich sehen, dass es nicht mehr so viele Sklavenhalter gibt und dass die Lohngeber in der perfiden Situation sind, die im Manifest beschrieben ist.
Deshalb nochmals – ohne irgendwelche herbeiabstrahierten Verwechslungen: Wenn ich mit anderen Menschen zusammenarbeite, ohne ihnen Lohn zu geben, machen wir unter aktuellen Bedingungen etwas, was dem Kapitalismus im Wesen widerspricht. Und wir können davon hier und jetzt leben. Ob ALLE Menschen so leben könn(t)en, weiss ich nicht, weil ich die Zukunft nicht kenne. Aber ich sehe nichts, was im Sinne einer Oikonomik dagegen spricht.
Auch wenn ich sehe, dass das Dominantwerden einer neuen Form sehr oft mit kriegerischen Revolutionen verbunden ist, und dass die Kapitalisten vor gar nichts zurückschrecken.
Die Produktionsweise, die mir vorschwebt und die in Keimform realisiert ist, besteht darin, dass die jeweils Zusammenarbeitenden ihre Produktionsmittel zu gleichen Teilen besitzen und den erwirtschafteten Ertrag zu gleichen Teilen teilen.
Das kann man in einer Aussensicht als interpersonal oder sonstwie bezeichnen. Aber Menschen können das jetzt und hier tun.
Kapitalismus ohne Lohn geht nicht, aber bloß Lohn abschaffen schafft den Kapitalismus noch lange nicht ab.
Hier kommt die je meine TheoriA ins Spiel: Begrifflich verwende ich den Ausdruck Kapitalismus für die Gesellschaftsformation, die durch LOHNARBEIT bestimmt ist, in welcher Lohnarbeit dominant geworden ist, auch wenn in dieser Formation viele feudale Verhältnisse rezent geblieben sind. Kapital beruht – in je meinem Verständnis (marxsche Theorie) nicht auf Renten oder Zinsen, sondern ausschliesslich auf Mehrwert, der ausschliesslich in der Lohnarbeit anfällt.
Wenn es keinen Lohn mehr gibt, gibt es keinen Kapitalismus mehr, was aber nur eine negative Bestimmung ist.
Eine Produktionsweise kann nur durch eine andere abgelöst werden.
Genau, wenn niemand mehr Lohn gibt, hat sich die kapitalistische Produktionsweise aufgelöst, aber natürlich nicht das Prodzuzieren der Lebensverhältnisse. Ich habe keine Ahnung, was kommen wird, aber ich sehe deutlich, was jetzt bereits funktionieren kann.
@Rolf:
Das ist fast richtig — tatsächlich basiert Kapitalismus auf der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, und wenn keine menschlicher Arbeitskraft mehr ausgebeutet werden kann, dann gibt es auch keinen (funktionierenden) Kapitalismus mehr. Lohnarbeit ist allerdings lediglich die üblichste Form, in der sich Kapitalistinnen Arbeitskraft aneignen, nicht unbedingt die einzige. Andere Formen sind etwa Scheinselbstständigkeit, in denen Menschen das Produkt ihrer Arbeitskraft an eine Firma verkaufen, ohne bei dieser angestellt zu sein — eine Zeitlang war dafür der Begriff „Ich-AG“ populär. Auch Crowdsourcing-Plattformen wie Amazon Mechanical Turk ermöglichen Ausbeutung — de facto wird ein geringer Stücklohn für geleistete Arbeiten gezahlt, aber ein offizielles Angestelltenverhältnis zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern besteht nicht.
Formale Lohnarbeitsverhältnisse können also auch durch prekäre (Schein-)Selbständigkeit und erzwungene Selbstausbeutung zugunsten anderer ersetzt werden, ohne dass der Kapitalismus dadurch ins Wanken käme. Im Gegenteil, so manche Kapitalistin mag auf eine Zukunft hoffen, in der keine Formalitäten wie Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mehr die Mehrwertproduktion behindern.
Darüber hinaus ist es auch wichtig, über rein negative Bestimmungen hinaus zu einer positiven Bestimmung einer möglichen besseren postkapitalistischen Zukunft zu kommen. Dafür habe ich in Was muss sich ändern, damit alles anders werden kann? einige Vorschläge formuliert.
Also, lass es uns so versuchen: Kapitalismus beruht ab der Abschöpfung von Mehrwert. Das ist ganz genau in der Lohnarbeit der Fall. Aber es gibt auch versteckte Formen der Lohnarbeit, die nicht durch einen Lohnarbeitsvertrag geregelt sind, sondern allerlei juristische Tricks verwenden.
Ich kann in diesen Fällen von SCHEIN sprechen, etwa von Schein-Selbständigkeit usw. Hinter diesem Schein steckt dann doch Lohnarbeit.
Empirisch sind sehr viele verschiedene Verhältnisse zu finden, die sich nicht ohne weiteres einordnen lassen. Es sind aber quantitativ total unbedeutende Fälle. Und die Steuerbehörden (zumindest in der Schweiz führen sehr genaue Kataloge darüber. Ich konnte beispielsweise an unseren Hochschulen nie als Selbständiger unterrichten, obwohl ich ein „ich-AG-ler bin, mit einer eingetragenen Firma bin).
Das Kriterium ist: Wenn ich meine Dienstleitung nur einem spezifischen Kunden anbiete, ist das keine Selbständigkeit.
Diese Verhältnisse sind nicht nur marginal, es handelt sich auch immer um Dienstleistungen, die auf dem Markt gar nicht angeboten werden können. Wenn es die gewöhnliche und offensichtliche (durch Arbeitsverträge geregelte) Lohnarbeit nicht mehr gibt, gibt es auch diese Scheinformen alle nicht mehr.
Das ist die Theorie. Die Gesellschaft verändert sich praktisch oder gar nicht.
Praktisch haben wir die Möglichkeit Unternehmen zu gründen, die auf Lohnarbeit verzichten, ohne dass sie SCHEIN-Lohnarbeit machen. Jedes Unternehmen wird gegründet und muss sich am Markt behaupten. Manchen Unternehmen gelingt es in Gang zu kommen und anderen eben nicht. Das ist aber nicht davon abhängig, ob im Unternehmen Lohnarbeit geleistet wird oder nicht, auch wenn Lohnnehmer natürlich im Durchschnitt den Erfolg des Lohngebers begünstigen. Jeder Unternehmer kann auf Lohnarbeit verzichten, indem er sein Unternehmen mit allen Mitarbeitern zu gleichen Teilen teilt. Das geht auch im Kapitalismus (und könnte Keimform sein)
Mir ist die Theorie von Marx sehr am Herzen, viel mehr als praktische Versuche, die ohne Theorie fungieren. Ich glaube, ohne Theorie werden wir die Naturwüchsigkeit nicht verlassen. Wer Marx nicht so gut findet, sollte eine andere Theorie haben.
ich denke nicht. wenn ich das richtig verstehe, ist dein Transformationskonzept, dass immer mehr Firmen auf dein Modell des Lohnarbeitsverzichts einsteigen.
Mir geht da durch den Kopf: was ist mit anderen Strukturprinzipien wie Dem Markt, Konkurrenz usw ?
Deine Unternehmen, die nur ein Eigentümer_innen bestehen, erinnern mich an die Welle von Alternativbetrieben in den 70er Jahren. Läuft dein Vorschlag etwa auf dieses Idyll vom „wenn alle Unternehmer sind, gibt es endlich fairen Wettbewerb“ hinaus?
Aber müssen diese Eigentümerinnen nicht immer noch ein Produkt/Dienstleistung herstellen und in der Marktkonkurrenz gegen die anderen Eigentümerunternehmen verkaufen?
Befürchtete Folge: Konkurrenz um niedrige Preise (wie heute auch), durchaus auf verschiedenen Qualitätsstufen und mit Nischen, und dann müssten sich wohl die Eigentüner der weniger erfolgreichen Unternehmen selbst präkere Umsatzanteile auszahlen oder gehen ganz pleite (wie heute auch). Und dann die ganzen Maßnahmen und Folgen, die sich auch in handelsüblichen VWL-Lehrbüchern finden lassen (Kosten senken, Produktivität erhöhen).
Ich hoffe mein Punkt wird deutlich. Ich halte Lohnarbeit auch für ein wichtiges Moment des Kapitals und seiner Fetische, aber es als das Einzige oder Hauptsächliche zu nehmen, kommt mir zu kurz vor.
Ähnlich wie auch eine alleinige Abschaffung Des Marktes (zB durch Den Plan), des Zinses oder des Finanzkapitals, des Geldes (zB durch Zeitscheine), der endlich das Gute hervorbringenden Technik etc nicht die Funktionslogik der kapitalistischen Produktionsweise beenden würde (zumindest nach meinem Verständnis).
Und daran geht es doch hier, oder?
@yonna
ich fühle mich sehr gut verstanden und ich teile auch Dein, worum es hier geht.
Ich stell(t)e mir die Frage etwas anders: Was sind mögliche, sofort umsetzbare, unkomplizierte ERSTE Schritte?
Wenn ich HIER und JETZT ein kapitalistisches Unternehmen gründe, also Lohn GEBE, hat dieses Unternehmen alle die von Dir geschilderten Probleme. Es gelingt oder es gelingt nicht. Ganz viele kapitalistische Unternehmen machen nach kurz oder lang Pleite. Alle Menschen die dort als Eigentümer oder als LohnNEHMER gearbeitet haben, sind blossgestellt. Ich habe beispielsweise einmal als LohnNEHMER in einem Softwarehaus gearbeitet, dessen Eigentümer und LohnGEBER sich etwas verspekuliert hatte, weil sie die Software dann doch nicht so wie geplant verkaufen liess. Er hat deshalb vorgeschlagen, dass alle Mitarbeiter auf einen Teil des Lohns verzichten sollen, bis das Geschäft wieder besser geht. Das war für alle mehr oder weniger prekär. Das alles hat im reinsten Kapitalismus in HIER und JETZT stattgefunden.
Ich sehe nicht, wie sich HIER und JETZT so etwas vermeiden lässt. Es gelingt oder es gelingt nicht. Ich sehe aber, dass es oft gelingt. Und WENN es gelingt, dann ist das nicht davon abhängig, OB Lohn gegeben wird oder nicht. Deshalb kann das auch OHNE Lohn gelingen.
Googles Geschäftsmodell besteht im Wesentlichen darin, gelingende Startups aufzukaufen. Google macht das sehr oft, wenn nicht täglich. Und nicht nur Google macht das. Es gibt also offenbar recht vieles, was gelingt. Ich beobachte DIESE Fälle als mögliche Transformationsereignisse. Es ist ganz einfach, ein Unternehmen zu teilen.
Ich habe keine Meinung zu Markt und Konkurrenz, ich habe mit Marx nur eine Meinung zum Lohn. Wenn wir den Lohn loswerden, ergibt sich eine neue Situation, die ich jetzt noch nicht ansatzweise analysieren kann. Aber die kapitalistische Logik haben wir dann definitiv gesprengt.
@Rolf: Was ist daran transformativ, wenn Google ein Startup aufkauft? Mir scheint, du hast dich da in deiner Suche nach „sofort umsetzbaren, unkomplizierten ERSTEN Schritten“ gewaltig verrannt.
Es ist auch keineswegs so, dass Marx nur das Lohnarbeitsverhältnis kritisiert hätte. Marx kritisiert vielmehr „Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht“ (sprich: kapitalistische Gesellschaften). Dazu gehört, und dass ist für die Marx’sche Kritik ganz zentral, dass ein Großteil der Dinge und Dienstleistungen als Waren, d.h. als für den Verkauf bestimmte Güter, hergestellt werden. Dazu gehören Kapitalisten und Lohnarbeiterinnen. Dazu gehören Markt und Konkurrenz sowie das Geld als allgemeines Äquivalent.
Der Glaube, es gäbe in diesen komplexen Zusammenhängen nur einen Hebel, den man umlegen müsste, während alles andere im Wesentlichen unverändert bleiben kann, ist weitverbreitet, aber leider falsch.
@Christian Dass Google Startups kauft, zeigt, dass HEUTE in dieser Welt relativ kleine Unternehmen gegründet werden, die sich in dieser Welt behaupten. Ich folgere daraus, dass es Unternehmen OHNE Lohnarbeit geben kann (das war oben der Kontext).
Im Kapital lese ich, dass Marx den Kapitalismus kritisiert, indem er zeigt, dass Kapitalismus auf der vermeintlichen Ware Arbeitskraft beruht. Alles andere ist ohne Relevanz und zufällig. Ware ist nur problematisch, wenn Arbeitskraft die DOMINATE Form der Warenproduktion darstellt.
Jeder umgelegte Hebel (und sei es ein Schmetterlingsflügel am andern Ende der Erde) verändert die Welt, ob diese nun komplex ist oder nicht. Ich meine aber keinen Hebel, wenn ich vom Abschaffen der Lohnarbeit spreche. Ich meine damit eine konkrete und komplizierte Handlung im Rahmen eines Unternehmens, das sich in unserer aktuellen Umwelt bewähren muss. Ich meine insbesondere das Aufheben der INNERBETRIEBLICHEN Arbeitsteilung. Man kann beispielsweise der Wikipedia-Firma gut nachlesen, dass sie von einem CEOin geleitet wird und dass da allerlei kleines Personal arbeitet, weil ein CEO offenbar nötig ist und nicht alles alleine machen kann. So argumentierten bereits die antiken Sklavenhalter, die heute noch als Philosophen verehrt werden.
@Rolf
ich bin keine große Marx-Expertin, aber was ich meine bei ihm verstanden zu haben ist, dass er in seinem Hauptwerk das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis kritisiert. Und Lohnarbeit sieht er als einen wichtigen Teil dieses Verhältnisses.
Du schreibst zu meiner skizzierten Entwicklung (nur Abschaffung der Lohnarbeit) selbst:
„Es“ kann gelingen, ob mit oder ohne Lohnarbeit. Aber was ist dieses ES? Nach meinem Verständnis ist das auch ohne Lohnarbeit, ob im reinen Eigentümer_innen-Unternehmen oder als Selbstständige oder noch anders, Kapitalverwertung. Der Unterschied wäre zunächst hauptsächlich, dass alle Beteiligten gleiches Mitspracherecht hätten (was ja tatsächlich einigen Auswirkungen der jetzigen Hierarchien entgegenwirken mag). Das Ziel ist doch aber weiterhin, dass der Betrieb seine Waren absetzen kann, um hinterher möglichst besser dazustehen. Wie sich das Unternehmen intern organisiert, ändert doch nichts an dem Rahmen, in dem sie das tun. oder?
Du schreibt weiter:
dem würde ich widersprechen. es gibt doch Betriebe, die so organisiert sind zB Kollektive, aber kapitalistische Logik herrscht immer noch. Oder meinst du, wenn alle(tm) so organisiert wären.
Ich denke, solange diese Eigentümer-Unternehmen weiterhin für gegeben halten, dass sie ihre privat (im eigenen Betrieb) produzierten Waren gegen andere (bzw Geld) Tauschen müssen, können wir die Kapitallogik nicht sprengen.
Du insistierst darauf, dass bei Marx die Lohnarbeit zentral zur Abschaffung des Kapitalismus ist. Selbst wenn das so im Kapital stehen sollte, müsste dieser Punkt doch mit der Wirklichkeit abgeglichen werden. Ich habe versucht ein Gegenargument zu schildern.
Vllt magst du erläutern, wie du dir die Sprengung bei Abschaffung von Lohnarbeit vorstellst.
und in Kommentar #27 sprichst du von „vermeintlichen Ware Arbeitskraft“. Es gibt auch Autoren, etwa Karl Polanyi, die neben der Behandlung von Arbeitskraft als Ware auch Boden und Geld als „fiktiv“, als unechte Waren bezeichnen. Nur wird dabei vergessen, dass Boden, Arbeit und Geld (ihrem Wesen nach) nicht einfach Waren SIND, sondern eben in unserem gesellschaftlichen Verhältnis dazu GEMACHT WERDEN (gilt ja genauso für jeden anderen Gegenstand, Wasser oder auch Immaterielles wie die Entwicklungen im deutschen Bildungs- und Gesundheitssystem zeigen).
Dieses gemacht werden ist für mich der Knackepunkt. Statt das wir(tm) Waren machen, besser was anderes, zB Commons wie hier im Blog nahe gelegt wird.
ich stoppe hier mal…
@yonna ich halte nichts von Marx-ExpertInnen. Mich interessiert, wie DU Marx liest, mich interessieren Leseweisen.
Und offenbar formuliere ich sehr undeutlich, weil ach Christian mich ganz eigenartig interpretiert hat.Ich sagte (oder meine geschrieben zu haben), dass es in unserer aktuellen Gesellschaft möglich ist, Unternehmen zu führen, die hier bestehen können, egal ob sie Lohnarbeit vergeben oder nicht. Dabei müssen sie ihre Produkte am Markt verkaufen (können).WENN ein Unternehem keinen Lohn gibt, ist es am Markt in Kokurrenz mit Unternehmen, die auf Lohnarbeit setzen. Aber es ist kein kapitalistisches Unternenehmen, weil darin kein Mehrwert abgeschöpft wird.
Keimform heisst, dass solche Unternehmen vereinzelt auftreten (können), auch dann, wenn die DOMINATE Form der Unternehmen Lohnarbeit-Unternehmen sind. Es kann sein, aus welchen Gründen auch immer, dass solche Unternehmen sich allmählich durchsetzen und schliesslich dominant werden. Jeder einzelne Mensch kann sich diesbezüglich verhalten. Keiner MUSS Lohn geben, und viele können auf Lohn verzichten, indem sie Miteigentümer werden. (Ob diese Unternehmen im Einzelfall Erfolg haben, ist ungewiss, das spielt aber keine Rolle, die Frage ist, ob sie dominant werden).
Eigentum an Boden ist ein feudales Verhältnis. Es muss abgeschaft werden, hat aber deshalb mit Kapitalismus so wenig zu tun wie die Sklaverei, die auch abgeschaft werden muss.
Meine These ist, dass wenn wir den Kapitalismus (=Lohnarbeit) abschaffen, schaffen wir quasi automatisch auch die feudalen Verhältnisse ab. Es genügt, wenn wir uns auf die Lohnarbeit konzentrieren, alles andere folgt „automatisch“.
Ohne Lohnarbeit gibt es keine Waren. Eine Firma, die keine Löhne gibt, stellt Produkte her, die sie an Markt gegen Geld verkauft. In diesem Fall ist weder der Markt noch das Geld das geringste Problem. Aber offenbar haben wir diesbezüglich eine Differenz, die ich nicht erkennen kann.
Ich wäre also froh etwas darüber zu hören, warum der Markt und das Geld auch jenseits der Warenproduktion ein Problem sein könnten, wobei ich natürlich feudale Zustände wie Rente ausschliesse.
@Rolf
Unsere Differenz scheint mir darin zu liegen, dass ich den Satz „Ohne Lohnarbeit gibt es keine Waren“ in der Form nicht teile.
Wenn ein Produkt privat für DEN Markt produziert wird, um es dort gegen Geld zu tauschen, um ein Einkommen für die eigene Reproduktion zu erhalten, – deren Güter von anderen privat für DEN Markt hergestellt werden, um sie gegen mein Geld zu tauschen, für deren Reproduktion etc, – dann ist dies nach meinem Verständnis Warenproduktion. (Etwas anderes ist der Verkauf von Überschuss aus Subsistenzproduktion auf lokalen Märkten, wie im Feudalismus, zu dem wir ja beide nicht zurückwollen.) Der Verkauf meines Produktes ist notwendig, da ich – solange die Warenproduktion allgemein ist – nur so (im gesellschaftlichen Durchschnitt) an Geld für meine Bedürfnisbefriedigung wie Nahrung komme.
Die „Motivation“ für jedes Unternehmen, den Profit zu steigern um die eigene Konkurrenzfähigkeit auf diesem Markt zu erhalten bleibt doch bestehen. Wie im Kapitalismus üblich laufen alle Gefahr sonst in der Konkurrenz zu verlieren (ein großer „Anreiz“, vllt doch wieder Angestellte zu holen, die dank geringerem Einkommen die Produkte billiger machen, ergo Konkurrenzfähigkeit steigern und damit das eigene Fortbestehen vllt sichern; jetzt beim Übergang, nicht von Ende gedacht).
Dein Vorschlag erinnert mich auch an die sogenannte „einfache Warenproduktion“ die es so in gesamtgesellschaftlicher Form aber wohl nie gegeben hat. Eine Welt voller freier und gleicher Warensubjekte, die aber wohl nicht existieren kann, wenn die gesamtgesellschaftlichen Effekte durch die Konkurrenz auf dem Markt (vgl. zB Nadja Rakowitz: Einfache Warenproduktion. Ideal und Ideologie) zum tragen kommt. Wie würdest du dir denn die gesellschaftliche Reproduktion vorstellen?
Jedenfalls denke ich, der Zwang zum Geldbekommen und -nutzen muss verschwinden, um die kapitalistische Logik anzutasten. Nur-Eigentümer-Unternehmen können imho nur eine Nische besetzen, aber ich befürchte als eine Keimform für gesamtgesellschaftliche Transformation fehlt da was. Aber was weiß ich schon 🙂
@yonna – die Differenz zwischen uns müssen wir noch finden, weil wir ja beide nach Keimformen für eine Gesellschaftsformation nach dem Kapitalismus suchen.
Keimform heisst für mich, etwas, was es bereits in der aufzuhebenden Formation gibt und mithin geben kann, auch wenn eben andere Formen DOMINANT sind.
In der kapitalistischen Formation ist die Warenproduktion, die auf Lohnarbeit beruht, DOMINANT. Deshalb erscheinen alle Produkte, die am Markt getauscht werden als Waren, weil sie ja gegen eigentliche Waren getauscht werden.
Wenn jemand auf Lohngeben verzichtet, und deshalb nicht konkurrenzfähig ist, kann er natürlich wieder ins Lohngeben zurückfallen. Dann verschwindet die Keimform wieder, weil sie sich nicht halten kann.
Wenn jemand aber konkurenzfähig bleibt, obwohl er auf Lohngeben verzichtet, dann bleibt die Keimform vorhanden 😉 – falls sich je zeigen wird, dass das eine Keimform war.
In der Vergangenheit hat es – so weit ich sehe – noch nie eine Formation gegeben, in welcher die Produzenten Eigentümer der Produktionsmittel waren. Das ist unsere Zukunft, nicht etwas, was wir verloren haben.
Ich kann einfach weder im Markt noch im Geld ein Problem erkennen. Markt bedeutet natürlich, dass ich etwas bringen MUSS, wenn ich etwas holen will. Ob dieses Tauschen durch Geld vermittel ist, spielt meines Erachten keinerlei, nicht die allergeringste Rolle.
Die Vorstellung, dass am Markt Konkurenz herrsche, finde ich auch eigenartig. Wenn jemand ein Produkt, sagen wir einen Tisch oder ein Auto viel effizienter herstellen kann als ich, kann er am Markt deswegen doch gleichwohl nur sein Produkt gegen andere Produkte tauschen. Natürlich muss er dann weniger lang arbeiten als ich, aber das ist doch gut für ihn.
Für mich ist dann – aber nur vergleichsweise – schlecht, dass ich länger arbeiten muss. Aber was macht das?
Mir scheint, dass „Markt“ oft mit einem Finanzmarkt identifiziert wird, an welchem Schulden und Renten gehandelt werden. Auch „Geld“ wird oft mit Dahrlehen und Zinsrenten identifiziert. Ich sehe schon, dass die Keimform „ohne Lohn“ in einem mit Gewalt durchgesetzten Feudalimus (Renten) nicht über Nacht oder einfach so DOMINANT werden kann. Mir geht es aber darum, was ich JETZT und HIER schon tun und bezeichnen kann. Ich bezeichne das so: Lohngeben ist wie Sklavehalten!