Ein Beitrag zur Commons-Debatte
Ich möchte gerne die Frage nach der Definition von Commons aus dem Beitrag im CommonsBlog „Revolution ist nicht für Gemeingüter kämpfen, sondern durch sie“ wieder aufnehmen, also die Frage, dass Commons immer eine CPR (Common Pool Ressource) brauchen, eine Community, das Commoning, Regeln oder was auch immer und schließlich Produkte das Endergebnis dieses Prozesses sind.
Ich sehe das auch so, dass jedes Common schon ein Produkt von Commoning ist, auch wenn es sich um einen Rohstoff handelt, weil er eben durch eine bestimmte soziale Praxis erst zum Common wird und auch wenn es sich um soziale oder kulturelle Commons handelt. Und dass das Produkt einer Produktionsstufe wieder zur Ressource für eine nächste Produktionsstufe werden kann. Nicht mehr so ganz klar ist für mich aber, warum es dann Sinn macht, so deutlich zwischen beiden zu unterscheiden und es als linearen Prozess mit einem klaren Anfangs- und Endpunkt darzustellen, also: Es braucht einen Ausgangspunkt = CPR, eine Handlung und ein Produkt – und aus.
Denn etwas als Common zu behandeln ist ja kein einmaliger Prozess, sondern muss ein Dauerzustand werden. Damit Commons bestehen können, müssen sie ständig reproduziert werden. Die Weide, der Fischgrund und die Demokratie sind ja nie ein für alle Mal ein Common, sondern immer nur solange sie als solche (re)produziert werden, solange sich also Menschen finden, die sich darum kümmern.
Ich plädiere für die von Silke vorgeschlagene Spirale in der Form, dass ausgehend von Ressource / Produkt (als eine Einheit) über Commoning wieder Ressource / Produkt entstehen, dann wieder Commoning, usw. Dass die Ressource sich dabei vermehrt, würde ich – zumindest solange es sich um eine stoffliche Ressource handelt – bezweifeln, weil stoffliche Prozesse immer Reibungsverluste haben, aber zumindest wird der Bedarf an Nachschub des Rohstoffes stark eingeschränkt.
Von diesem Punkte aus habe ich mir ein paar Gedanken, auch an Hand konkreter Beispiele gemacht:
- Wenn wir von so einer Spirale ausgehen, davon, dass jedes Produkt im Commons-Kreislauf wieder Ressource sein kann, dann ist es aber doch so, dass an jeder dieser Stellen dieses Ding auch angeeignet werden kann, aber auch von den Herstellern verkauft werden kann. In beiden Fällen hört es auf ein Common zu sein, ich würde aber doch annehmen, dass es einen Unterschied macht, an welcher Stelle in dieser Produktionskette, also noch als Rohstoff oder schon als relativ hoch entwickeltes Produkt, ein Ding angeeignet wird. Auch die Nutzergruppe und die Regeln ändern sich vermutlich mit dem Verarbeitungsgrad. Also, wenn wir nicht zwischen Rohstoffen und Endprodukten unterscheiden (was ich, wie gesagt richtig finde), dann müssen wir möglicherweise doch zwischen Produkten mit unterschiedlich hohem Verarbeitungsgrad unterscheiden, um Unterschiede in den sozialen Auswirkungen von Aneignungsprozessen und in den Anforderungen an Regeln und an die Community unterscheiden. Und weiters wirkt sich möglicherweise die Art und die Ebene der Aneignung darauf aus, ob und wie lange es möglich ist, den Rohstoff als Common zu erhalten.
- Ich versuche das mal an einem Beispiel zu illustrieren: ein Ölfeld als CPR. Dieses Ölfeld kann als Common genutzt werden, ist also dann das erste Produkt in der Produktionskette und das Ausgangsprodukt für den nächsten Produktionsschritt. Dann kommt die Förderung des Öls, die Fraktionierung in die verschiedenen Bestandteile, die ihrerseits wieder weiter verarbeitet werden, z.B. in ein Kunststoffgranulat. Daraus wird dann irgendein Gebrauchsgegenstand gemacht und dieser wird, zumindest meistens, nach einiger Zeit, wenn er kaputt ist, oder nicht mehr gefällt, weggeworfen. Es gibt also so etwas wie ein Endprodukt, das dann in den meisten Fällen wirklich in Privateigentum übergeht, außer es ist vielleicht eine Schüssel, die in der Vokü verwendet wird. Aber es hat sicher unterschiedliche Auswirkungen ökologischer und sozialer Natur, ob bereits das Ölfeld angeeignet wird, ob erst irgend ein höheres Produkt, also z.B. die Schüssel, weil ja jedes angeeignete Produkt für die Gemeinschaft als Ressource verloren geht.
- Das enthält meiner Meinung nach auch einen wichtigen Aspekt für die Frage, wann Commons für den Kapitalismus funktional sind, nämlich, bis zu welchem Verarbeitungsniveau. Vermutlich kann es durchaus auch für die Möglichkeiten der Kapitalverwertung Sinn machen, ein Öllager als Common zu behandeln, vielleicht sogar noch das Rohöl, aber irgendwann dann muss die Aneignung erfolgen, sonst gibt’s ja keine Profitmöglichkeit. Die Verwendung der Schüssel in der Vokü ist das andre Extrem, also eine commons-based peer production bis zum Schluss, wo die Funktionalität für das Kapital maximal noch in einer Verringerung der Reproduktionskosten für menschliche Arbeit liegen kann, aber mit dem Ding selber können sie kein Geld mehr verdienen.
- Wenn ich nun an das cradle-to-cradle–Prinzip denke, dann bringt das eine wesentliche Veränderung in dieses Modell ein – es gibt kein Endprodukt. Also die Schüssel würde, wenn sie nicht mehr gebraucht wird, an einer tieferen Stelle wieder in den Produktionskreislauf eingebracht, wäre also wieder Ressource. Damit könnte dieser Kreislauf zu einem hohen Grad selbsterhaltend gestaltet werden, d.h. der Nachschub an Rohstoff von unten könnte stark verringert werden. Und, da jedes Produkt Ressource für ein weiteres ist, muss man ihm auch andere Aufmerksamkeit schenken, d.h. selbst wenn jemand diese Schüssel mit nach Hause nimmt, hat er noch kein Verfügungsrecht, sondern nur ein Nutzungsrecht und muss, wenn sie kaputt wird, diese wieder in den Kreislauf eingliedern. Das bedeutet, dass an keinem Punkt der Produktionskette Privateigentum geschaffen werden kann, und das bedeutet eine grundlegende Änderung in der Logik der Produktion: nicht mehr so billig wie möglich so viel wie möglich herzustellen und nach mir die Sintflut, sondern Dinge so zu produzieren, dass sie möglichst vollständig wiederverwertbar werden. Das ändert auch soziale Beziehungen, wie aus diesem Interview ersichtlich ist: Albin Kälin, Geschäftsführer des EPEA-Instituts sagt im Interview in der Beilage zum Standard vom 9. April 2010:
“Das Ganze erfordert einen Paradigmenwechsel in der Industrie. Sämtliche Geschäftsaktivitäten müssen verändert werden, weil Materialien bzw. Rohstoffen eine andere Bedeutung zukommt. Wir müssen andere Transparenzen und Interaktionen zu den Lieferanten im Netzwerk schaffen. Aber auch zu den Kunden und Konsumenten. Die Unternehmer wollen wissen, wo die Rohstoffe, die sie wieder benötigen, im Kreislauf bleiben”.
Nun ist das natürlich noch nicht Commoning, und die Dinge sind deswegen noch keine Commons, aber eine solche Denkweise macht es leichter – und auch logischer – Dinge als Commons zu behandeln. - Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Dinge, die grundsätzlich nicht für solche Dauerkreisläufe geeignet sind, weil sie in der Reproduktion verbraucht werden, z.B. Brot. Auch da kann man dieses Spiel spielen: Getreidefeld, Getreide, Korn, Mehl, Brot, jede dieser Stufen kann eine Schnittstelle zum Markt sein – aber egal wie ich das Brot verteile, ob nach dem Commons-Prinzip nach den Bedürfnissen oder nach dem Markt-Prinzip nach Bedarf, wenn ich es mit nach Hause nehme, ist es mein Eigentum und wenn ich es gegessen habe, ist es weg. Und hier wird für mich die Frage nach dem Geld interessant, also die Frage, ob und wie Geld beim Commoning eine Rolle spielen kann und wie ein Kopplung zum Marktsystem ausschauen kann.
- Natürlich kann man Brot, das in gemeinschaftlicher Produktion hergestellt wird, auch den Bedürfnissen entsprechend, also ohne Geld und Tausch, verteilen. Andererseits, solange die Welt in der wir leben so ist, wie sie ist, brauchen wir ja immer auch Geld, weil wir nicht alles außerhalb des Marktes produzieren können. Geld, das wir uns irgendwie aus dem System holen müssen. Wenn wir das Brot, das wir herstellen, nicht nur innerhalb der Community verteilen, sondern so viel da ist, dass es für mehr Leute reicht, wäre der Verkauf des Brotes eine Möglichkeit, zu Geld zu kommen. Wenn jetzt die Menschen die das Brot gebacken haben und diejenigen, die es kaufen wollen, sich den Preis des Brotes so aushandeln, dass es für alle passt (also diejenigen, die gebacken haben, genug dafür bezahlt bekommen und diejenigen, die kaufen wollen, es sich auch leisten können), wenn man dadurch Wettbewerb vermeidet und noch Vorkehrungen trifft, dass diejenigen, die es sich nicht leisten können, auch nicht hungern müssen (so wie z.B. in diesem Bericht vom Markt in Ecuador), dann könnte man doch diese Preisfestlegung als Teil der Commons-Regelung begreifen. Hier wird zwar getauscht, aber es handelt sich nicht um einen Äquivalententausch wie im kapitalistischen Markt, nicht wie Stefan geschrieben hat, um eine Kopplung „über Geld nach den üblichen Marktregeln“. Und da ja das Brot nach der Verteilung sowieso zu Privateigentum würde, ändert das nichts an der Gesamtsituation, unterbricht also auch nicht das Commoning.
- Und noch einen letzten Punkt: In einer Diskussion hat ein Bekannter kürzlich Bedenken geäußert darüber, dass begrenzte Ressourcen, die der engen Commons-Definition von Ostrom entspreche, die also diese klar begrenzte Benutzergruppe brauchen, mit Open-Access-Ressourcen wie freier Software oder sozialen und kulturellen Commons in einen Topf geworfen werden. Er meinte, das genau nehme der Commons-Diskussion ihre Schärfe und Treffsicherheit und würde möglicherweise eher schaden als nützen. Ich denke, dass es trotzdem Sinn macht. Begrenzte Ressourcen sind durch Übernutzung genau so bedroht, wie kulturelle und soziale Ressourcen durch Nichtnutzung, daher kann es durchaus sinnvoll sein, ein Dach zu finden, unter dem beide gemeinsam verteidigt und bewahrt werden können. Und die sozialen Prozesse und Beziehungen, die dazu notwendig sind, sind sehr ähnlich. Es geht eben in beiden Fällen um Dinge, die wir zum (guten) Leben brauchen, die sozial hergestellt sind und um die wir uns gemeinsam kümmern müssen. Dass die Regeln dafür eben unterschiedlich sind, das sollte uns daran nicht hindern, und genau darauf hinzuweisen, ist ja eine Qualität des Commons-Ansatzes. Und außerdem denke ich, dass diese beiden Aspekte möglicherweise auch in einem direkten Zusammenhang stehen, diese Idee ist mir bei einer Diskussion um Landraub in Indien beim BUKO-Kongress gekommen (also doch noch ein allerletzter Punkt 😉 ):
- Durch die Bodenreform in Indien kommt es immer wieder dazu, dass Land, das davor für Lebensmittelproduktion benutzt wurde, von der Regierung aufgekauft und an Konzerne weitergegeben wird, die dort Fabriken bauen, was zum Wirtschaftswachstum beitragen soll, aber vielen Menschen ihre Lebensgrundlagen raubt. In dem Zusammenhang beziehen sich Basisgruppen und NGOs häufig auf Menschenrechte, auf das Recht auf Ernährung um dagegen vorzugehen. Und es wurde uns klar, dass Menschenrechte als abstrakte Idee nicht in der Lage sind, solche Dinge zu verhindern, sondern dass es notwendig ist, dass es immer wieder Menschen gibt, die sich dementsprechend verhalten, die sich Dinge aneignen, die ihnen diese Rechte sichern, die diese Rechte einklagen und auch Richter, die sie ihnen zusprechen. Menschenrechte können also nur durch eine entsprechende soziale Praxis umgesetzt und erhalten werden, sind also ein soziales Common, das nur erhalten werden kann, wenn möglichst viele Menschen sich darum kümmern, dass es angewendet wird. Nur das sichert umgekehrt den Bauern die Bewahrung ihres Landes als Common, in dem Fall eben als begrenztes für jeweils eine bestimmte Nutzergruppe. Was ich sagen will: Kultur, Sprache, Gesetze, Rechte sind ein Produkt sozialen Handelns, die Bewahrung von Commons entspricht einer bestimmten Kultur und braucht besondere Gesetze und Rechte. Diese müssen von vielen Menschen durch soziale Praxis bewahrt werden, damit stoffliche Commons, wie Land, Wasser, Atmosphäre, usw. als begrenzte Ressourcen auch als Commons mit ihrer jeweiligen Nutzergruppe bewahrt werden können. Möglicherweise sind die beiden also sogar ganz konkret aufeinander angewiesen, auch wenn man diesen Zusammenhang natürlich nicht immer so deutlich zeigen kann. Möglicherweise geschieht ja die Bewahrung stofflicher Commons, also begrenzter Ressourcen sogar im gleichen Prozess wie die Erzeugung sozialer und kultureller Commons?
Erstmal nur ein Detail: Ich sehe es nicht so, dass das Brot ja eh Privateigentum wird. Privateigentum ist ja nur etwas, wenn ich es verkaufen kann. Brot, dass ich zum Verzehr kaufe, ist also keine Privateigentum. Ich bezahle das Brot also nicht um mir Privateigentum anzueignen sondern nur um mir Besitz anzueignen für die Zeit bis ich Hunger kriege.
Wenn jemand Brot mit nach Hause nimmt, wissen wir erst mal nicht, was er oder sie damit macht. Sie kann es essen, verschenken, verkaufen, wegwerfen. Das ist aber in dem Fall nicht so wichtig. Wichtig ist, dass es offensichtlich Dinge gibt, die in dieser Form nicht mehr als Ressource dienen können.
Worum es mir geht, ist diese Schnittstellen zwischen Commons und Markt genauer in den Blick zu nehmen, das finde ich auch für solidarische Ökonomie und für Peer-Produktion relevant. Wenn wir sagen, dass Commons ein Raum jenseits von Markt und Staat sind, wenn wir gleichzeitig wissen, dass auch das kapitalistische System nur mit Hilfe von Commons funktioniert, dann scheint mir das ein wichtiger Punkt zu sein und auch zu schauen, wem das jeweils nützt, wer von wem profitiert.
Und das zweite worum es mir geht ist, Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge zwischen den stofflichen und kulturellen oder sozialen Commons klarer zu bekommen, auch um dem Vorwurf zu begegnen, dass grundsätzlich alles ein Common sein kann.
„Demokratie“ oder „Menschenrechte“ würde ich nicht unter Commons fassen, sonst ist jede Organisationsweise, jedes Prinzip und jede Idee ein Commons (der Kapitalismus übrigens auch!). Dann könnte man aber mit dem Begriff wenig anfangen. Ich würde den Begriff „Commons“ (dt. „Gemeingut“) auf Güter und Ressourcen einschränken, die gemeinsam genutzt werden. Sonst sehe ich die Gefahr, dass „Commons“ nur zu einem schicken neuen Begriff für das wird, was früher „Gesellschaft“ hieß und seit gut zwei Jahrzehnten gern „Kultur“ genannt wird, nämlich alles überindividuell Konstituierte.
Ich bin sehr dafür, Commons zyklisch oder spiralig zu denken, wobei Ressource/Produkt Eingangs- und Ausgangspunkt sind. Wenn wir uns darauf verständigen würden, wäre das eine echte Neuerung, denn bisher werden Resultate/Produkte vernachlässigt. Das liegt vermutlich an der Geschichte: Historisch ging es eben häufig um »natürliche Commons« und da standen die Ressourcen und ihre Erhaltung im Vordergrund. Wollen wir die Commons zur Grundlage einer neuen Form der gesellschaftlichen Re-/Produktion machen, müssen wir Commons in dem o.g. Sinne allgemeiner fassen.
zu 1: Aneignung bedeutet nicht unbedingt »wegnehmen«, sondern auch nutzen, zu eigen machen, mit anderen teilen. Durch Aneignung hört ein Commons nicht auf eines zu sein. Im Gegenteil: Erst wenn wir uns die Commons in einem Prozess des Commoning aneignen, werden sie Commons sein. Commons hören auf Commons zu sein, wenn sie enteignet, also der Community und ihrem Commoning entzogen werden. Dies geschieht zum Beispiel, wenn die Produkte am Markt verkauft werden. Dann müssen die fremden Marktregeln befolgt werden, die an die Stelle des Commoning treten.
zu 2: Wenn wir uns also ein Ölfeld als Commons aneignen…. dann würde wir gut überlegen müssen, die Ölförderung zu betreiben oder zu beenden (vgl. die Fall Ecuador). Und wir müssten gut überlegen, was wir mit dem Öl machen, wenn wir es nicht am Markt verkaufen — denn Commons operieren jenseits des Marktes. Und noch so einiges mehr.
zu 3: Die Funktionalität der Commons hängt m.E. nicht vom Verarbeitungsniveau der Produkte ab. Die Funktionalität besteht dort, wo ein Unternehmen Kosten einspart, weil es Commons-Ressourcen gratis benutzen kann. Das sehe ich bei einem möglichen »Öl-Commons« gar nicht.
zu 4: Commons als Teil von Kreisläufen zu denken, liegt auf der Hand. Aber das muss dann auch mit den Begriff rein (s.o.).
zu 5 und 6: Wenn die Produkte auf dem Markt verkauft werden, dann beginnen die Commons sich aufzulösen. Die Preisfestlegung muss sich nach dem Markt richten und kann gar nicht willkürlich per Vereinbarung festgelegt werden. Preisfestlegung ist kein Commoning, sondern ein Wirken-Lassen der entfremdeten Marktlogik. Dort geht’s dann selbstverständlich auch um den Äquivalententausch. Es ist ja nicht davon auszugehen, dass die Commons-Produkte effizienter (=mit weniger Aufwand) hergestellt werden als die Konkurrenzwaren. Also ist der übliche Marktpreis auch der Preis des Commons-Produkts, denn wesentlich darüber wirst du die Ware nicht los.
Hier möchte ich deutlich gegen Illusionen argumentieren, man könne die Marktlogik gleichzeitig irgendwie umgehen und trotzdem nutzen. Das bedeutet, dass eine »Schnittstelle zum Markt« nur einseitig sein kann: Import von Waren und Geld in die Commons, damit sie dann intern — per Commoning — bedürfnisorientiert verwendet werden. Dass dieses Geld irgendwo her kommen muss, sprich aus dem normalen Kapitalismus, ist klar. Daran kommen wir vorerst nicht vorbei und dafür gibt es derzeit keine richtige Lösung. Durch Teilen und Solidarität kann man hier einiges machen, aber auch das ist keine Lösung. Der Widerspruch wird bestehen, solange es Kapitalismus gibt. Was aus meiner Sicht nur strikt eingehalten werden muss, ist das »jenseits von Markt und Staat«, wenn es um die eigenen Produkte geht. Macht man sie sie Waren, ist das der Einstieg ins Ende der Commons.
zu 7: Das sehe ich genauso wie du, und der Bekannte wird sich an die übergreifende Sicht der Commons schnell gewöhnen 🙂
zu 8: Was die letzte (rhetorische?) Frage angeht: Ja. Aus meiner Sicht ist der entscheidende Beitrag der Commons ohnehin sozial, gleich, um welche Ressourcen und Produkte es geht.
Wie Benni halte ich die Unterscheidung von Besitz und Eigentum für wichtig. In meinem Beitrag (PDF) für Silkes Commons-Buch schreibe ich dazu: „Etwas von den Gemeingütern nehmen kann man nur als Besitz (den man nutzen kann), nicht als Eigentum (das man nach Belieben verkaufen oder vermarkten kann).“
Beispielsweise geben die Karlshof-Leute ihre nichtkommerziellen Kartoffeln unter der Bedingung ab, dass sie gegessen oder verschenkt, aber nicht verkauft werden dürfen. Diese Kartoffeln werden also nicht mein Eigentum (ich habe kein Recht, sie zu verwerten), wohl aber mein Besitz (ich darf sie benutzen, d.h. essen). Klar kann ich sie vielleicht heimlich verkaufen, aber damit verstoße ich dann gegen die Regeln des Commoning-Prozesses.
Ein anderes Beispiel ist das von Massimo de Angelis beschriebene common water system in den Anden: man darf das Wasser benutzen (in Maßen), aber „penalties are also issued if one is found selling the community waters to the outside“.
Ich denke dass es in Zukunft noch öfters der Fall sein wird, dass Ergebnisse von Commoning-Prozessen Besitz werden können, ohne dass dadurch volle Eigentums- (also auch Verwertungs-)rechte an die Besitzer/in übergehen. In meinem aktuellen Vortrag sage ich:
@ Stefan: ob „aneignen“ oder „enteignen“ ist immer eine Frage der Seite, auf er man steht. Natürlich müssen wir uns auch die Commons aneignen. Das hab ich vermutlich nicht ganz eindeutig ausgedrückt. Und: ja, wenn Dinge verkauft werden, hören sie auf Commons zu sein.
@ Christian: dass wir zwischen Besitz und Eigentum unterscheiden müssen, ist klar, dass ist ja das zentrale Element von Commons, hab ich auch nie in Frage gestellt.
In der Theorie ist das alles ganz klar. Aber Sinn einer Theorie ist es, uns dabei zu helfen, die Praxis so zu gestalten, dass die Aneignung und der Erhalt von Commons erleichtert wird und der Bereich der Commons sich ausdehnen kann. Und in der Praxis haben wir keine „reinen“ Commons, sondern müssen uns immer über die Schnittstellen zum Markt Gedanken machen, dann dort besteht die Gefahr, dass sie vom System vereinnahmt werden. Denn wir können die Tatsache nicht einfach außer acht lassen, dass Menschen, auch wenn sie Commons herstellen und pflegen, in unserer Gesellschaft Geld brauchen, meist schon, um diese Commons überhaupt herstellen zu können, das macht sie auch so verwundbar.
Also versuche ich an Hand der Theorie mir Gedanken über die Gestaltung dieser Schnittstellen zu machen und frage mich, wie wir sie in die Regelung von Commons so einbeziehen können, dass sie den Erhalt der Commons am wenigsten gefährden und im besten Fall sogar ihre Ausweitung fördern, das war der Hintergedanke meiner Überlegungen. Mich interessiert die Auseinandersetzung mit der Theorie, weil ich hoffe, dass sie meinen Alltag erleichtert.
Der Karlhof ist ein gutes Beispiel dafür. Auch er braucht Geld. Das erhält er durch die Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit: Damit wird das Geld praktisch vom Kapitalismus reingewaschen (sie nennen das „Entschärfung“). Aber es heißt auch „Gleichzeitig verpflichten sich die NutzerInnen, auf unterschiedliche Art und Weise für den kontinuierlichen Zufluss weiterer Mittel Sorge zu tragen“. Damit der Karlhof als Common funktionieren kann, ist er auf Menschen angewiesen, die ausreichend Geld – im kapitalistischen System – verdienen, um die Infrastruktur zu finanzieren. Dafür können sie die Kartoffel gratis hergeben. In der Commons-Theorie könnte man das so fassen, dass manche Menschen eben Geld zum Projekt beitragen und andere Arbeit und manche wohl beides, d.h. Geld würde hier über das „Beitragen“ reinkommen. Aber, wenn sie nicht mehr ausreichend Geld auftreiben können, dann kann der Karlhof keine Kartoffeln produzieren. Also auch das ist eine Schnittstelle zum Marktsystem, die eine gewisse Abhängigkeit bedeutet. Eine andere Möglichkeit wäre, zu entscheiden, mehr Kartoffel herzustellen, als die Beteiligten brauchen, diese zu verkaufen und davon die Infrastruktur zu finanzieren.
Christian, ich denke, du hast recht, dass die Menschen nur die Menge an Kartoffeln bekommen, die sie selbst brauchen, muss zu den Commons-Regeln gehören. Allerdings könnten sie eben gemeinsam beschließen, einen Teil zu verkaufen und das Geld würde dann nicht einzelnen Personen gehören, sondern allen für die Weiterführung des Karlhofs. Welche Form zu Geld zu kommen dem Fortbestand eines solchen Projekts jeweils förderlicher ist, an welchen Stellen der Geldzufluss passieren kann, ohne das Common als Ganzes zu gefährden, das denke ich ist eine zentrale Frage. Dass an diesen Stellen aber die Grenzen des Commons sind, ist klar. Weder der Kauf eines Feldes noch der Verkauf der Produkte gehören zum Commoning.
„Ich denke, dass es in Zukunft noch öfters der Fall sein wird, dass Ergebnisse von Commoning-Prozessen Besitz werden können, ohne dass dadurch volle Eigentums- (also auch Verwertungs-)rechte an die Besitzer/in übergehen.“
Das halte ich für einen wichtigen Aspekt, gerade wenn wir die Idee der Commons auch für „Gebrauchsgüter“ anwenden wollen. Das Cradle-to-cradle-Prinzip ist so ein Beispiel für stoffliche Güter. Dafür wird dann auch dieser Kreislauf-Gedanke wichtig.
Mit ethischen Verpflichtungen würde ich aber vorsichtig sein. Ich teile die Sichtweise, die Stefan beim Seminar in Kassel vorgebracht hat, dass „altruistisches“ Verhalten den Regeln von Commons immanent ist und – wenn die Regeln gut sind – eben allen nützt, daher nicht als moralische Forderung auftreten muss. Und dass es auch bestimmte Gesetzesänderungen braucht um den Bereich der Commons abzusichern. Das würde z.B. bedeuten, dass eben Eigentum auch gesetzlich einen anderen Status bekommt, damit wir uns nicht mehr auf das moralische Verhalten der Nutzer verlassen müssen. Dass es dann also strafbar wird, Dinge wegzuwerfen oder verfallen zu lassen, die entweder andere Menschen noch nutzen können oder die wieder als Rohstoffe dienen können und nicht wie jetzt, dass es strafbar ist, sich solche Dinge anzueignen.
@Brigitte:
Zwischen Commons und Geld besteht ein Spannungsfeld, das IMHO keine dauerhafte „friedliche Koexistenz“ erlaubt. Historisch waren entweder die Gemeingüter dominant, und das Geld spielte nur eine untergeordnete Rolle, oder es war – bzw. ist – andersherum. Heute ist das Geld dominant, aber die Commons sind in einigen Bereichen im Kommen (gleichzeitig geht die Einhegung und Zerstörung der Commons in anderen Bereichen weiter). Ob es gelingt, mittels Commoning und Peer-Produktion die geldbasierte Produktion uberflüssig bzw. unbedeutend zu machen, ist daher die entscheidende Frage für die nächsten Jahrzehnte (Jahrhunderte?). Gelingt es nicht, dürften die Commons wieder an Bedeutung verlieren und langfristig höchstens als Schatten ihrer selbst, als Zulieferquellen für die kapitalistische Wertverwertung weiter existieren.
In der Zwischenzeit, wo beides nötig ist – Commons und Geld – würde ich dazu tendieren, die beiden Bereiche – Commoning und Geldverdienen – möglichst zu trennen, weil die Erfahrung zeigt, dass die Logik des Geldes sonst sehr leicht die Oberhand gewinnt.
Was einem nutzt, hängt aber auch von der Gesellschaft ab, in der man sich bewegt. Heute ist es natürlich attraktiv, seinen Besitz, wenn man ihn nicht mehr braucht, zu Geld zu machen, während in einer Gesellschaft, in der es gar kein Geld und kein Kaufen und Verkaufen mehr gibt, einem dazu sowohl der Anreiz als auch die Möglichkeit fehlen würde. Daher braucht es heute explizite Regeln, Vereinbarungen bzw. Verpflichtungen, für das, was später selbstverständlich sein dürfte. Ob Regelbrüche dann vom bürgerlichen Recht bestraft (Verstöße gegen Lizenzbedingungen sind Verstöße gegen das Urheberrecht) oder nur durch die Community selbst sanktioniert (Flaming, Shunning, Ausschluss) werden können, hängt neben dem Selbstverständnis von pragmatischen Erwägungen ab. Letzteres – die Community kann sanktionieren – verstehe ich unter ethischen Verpflichtungen (im Gegensatz zu gesetzlichen), und aus meiner Sicht sind’s auch v.a. pragmatische Erwägungen, die dafür sprechen, auf die ethische bzw. Community-Schiene zu setzen (dass nämlich ein solch anderer Status von Eigentum, wie Stefan ihn anspricht, im bürgerlichen Recht nicht existiert und mit bürgerlichen Rechtsmitteln wohl auch schwer herzustellen ist).