Der alte Marx und die Probleme des Kapitalismus
In einem seiner letzten Artikel hat Stefan den jungen Karl Marx lobend zitiert:
Marx geht hier von einem “menschlichen Wesen” aus, das unter den Bedingungen der Privatproduktion nicht zur Geltung kommen kann und dadurch sich selbst fremd werde. In der Entfremdung sieht Marx den Antrieb für die Aufhebung des (frühen) Kapitalismus.
Später hat Marx diese frühe Auffassung als idealistisch und idealisierend kritisiert (und damit immer auch normalisierend – wie geht man mit Menschen um, die dem postulierten “menschlichen Wesen” nicht entsprechen oder entsprechen wollen?). In seinen späteren Texten hat Marx es deshalb konsequent vermieden, überhaupt mit irgendwelchen Annahmen über ein “menschlichen Wesen” zu argumentieren (abgesehen von tautologischen Annahmen wie dass Menschen so leben möchten, wie sie leben möchten, oder dass sie möglichst wenig von dem tun wollen, was sie nicht tun wollen).
Stefan kritisiert, dass dieser Verzicht auf ein postuliertes Menschenbild dazu führt, dass nicht mehr klar wird, warum man den Kapitalismus überhaupt überwinden solle. Eine positive “Quelle der Veränderung” könne “nur die entfaltete Individualität des Menschen sein”, die es (gemäß dem angenommenen Menschenbild) genießen, gemeinsam für andere zu produzieren und dabei deren Bedürfnisse zu befriedigen, wie das bei der freiwilligen Entwicklung Freier Software der Fall ist. Wenn es darum gehen soll, andere zu überzeugen, hat diese Argumentation allerdings einen doppelten Haken.
Zum einen funktioniert sie nicht, wenn mein Gegenüber davon überzeugt ist, nichts mehr zu genießen, als faul in der Sonne zu liegen und überhaupt nicht zu produzieren. Und zum anderen ist auch Lohnarbeit Produktion für andere – Produktion, die die Bedürfnisse anderer befriedigt. Andernfalls (wenn kein Gebrauchswert für andere produziert wird) scheitert der Verkauf der produzierten Waren, und die angestrebte Kapitalverwertung ist zur Kapitalvernichtung geworden. Warum diese Produktion für andere nur aufgrund der Tatsache, dass dafür Lohn bezahlt wird, zwangsläufig weniger befriedigend sein sollte, ist erstmal nicht gesagt und dürfte auch nicht in allen Fällen gelten. Wie also erklärt man Menschen, die mit ihrer Lohnarbeit durchaus glücklich und zufrieden sind und sie keineswegs als “entfremdet” empfinden, warum der Kapitalismus abgeschafft gehört?
Die Argumentation von Stefan bzw. dem jungen Marx hilft hier nicht weiter. Dabei gibt es diverse gute Gründe, die aber vor allem der ältere Marx herausarbeitet:
- Die Borniertheit (oder Indirektion): der Profit, nicht die Bedürfnisse bestimmen, was produziert wird und was nicht. Wessen Bedürfnisse sich nicht profitabel befriedigen lassen oder wer nicht hinreichend zahlungsfähig ist, hat Pech gehabt. Bedürfnisbefriedigung ist kein hinreichendes und im engeren Sinne (da sich Bedürfnisse auch erst erwecken oder verstärken lassen) nicht einmal ein notwendiges Kriterium für die Produktion.
- Der Fetischismus: die Verhältnisse im Kapitalismus erscheinen als systematisch verzerrt, Dinge und Beziehungen erscheinen als anders als sie sind. Insbesondere erscheinen die Beziehungen zwischen Personen (mir und den anderen Produzent/innen) als Beziehungen zwischen Dingen (den Waren, die wir produzieren oder die wir haben möchten, und dem Geld, das wir haben oder nicht haben), und andersherum. Dabei handelt es sich nicht um Irrtümer, sondern um reale Verzerrungen – reale Illusionen, die uns vorschreiben, wie wir uns verhalten müssen, und die unsere Handlungsspielräume bestimmen und beschränken.
In Anlehnung an den Film War Games könnte man sagen: “Wenn wir das Spiel durchschauen würden, würden wir aufhören es zu spielen” – letztlich ist die Unendlichkeit der Wertverwertung ja auch für die Kapitalist/innen selbst sinnlos. Aber nicht nur, dass die kapitalistische Realität es sehr schwer macht, diese realen Illusionen zu durchschauen – selbst wenn wir sie durchschauen, können wir dennoch nicht aufhören, uns am kapitalistischen Spiel zu beteiligen (sofern es uns nicht gelingt, ein alternatives ökonomisches System aufzubauen, das uns das Überleben und die Befriedigung unserer Bedürfnisse ermöglicht), denn es handelt sich ja um reale Illusionen. - Die Krisenhaftigkeit: ein dauerhaft reibungsloser Kapitalismus ist nicht möglich. Die unvermeidlichen zyklischen Krisen (die typischerweise etwa alle 10 Jahre auftreten) erzeugen nicht nur immer wieder verstärkt Not und Elend, sondern machen auch alle erkämpften Zugeständnisse und Errungenschaften prekär und vergänglich, da diese in Krisenzeiten leicht wieder beseitigt oder abgebaut werden können. Das macht Kämpfe um Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus zwar nicht per se sinnlos, aber zur Sisyphosarbeit.
- Die Destruktivität: aufgrund der Spielregeln der kapitalistischen Konkurrenz (die alle zwingt, die Konkurrenz zu unterbieten oder zumindest mitzuhalten) und der Notwendigkeit zum möglichst weitgehenden und potenziell unbegrenzten Wachstums (um das akkumulierte Kapital jeweils erneut verwerten zu können), ist der Kapitalismus notwendigerweise destruktiv gegenüber den Arbeitskräften (den Menschen) und der Natur, die beide soweit es jeweils nur geht ausgebeutet werden müssen (oft bei Strafe des ökonomischen Untergangs für die Unternehmen, die bei dieser doppelten Ausbeutung weniger weit gehen als die anderen).
- Die Ausbeutung: Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, müssen grundsätzlich mehr/länger/härter arbeiten, als notwendig ist, um die Bedürfnisse zu befriedigen, die sie sich mittels des so verdienten Gelds befriedigen können. Diese zusätzliche Arbeit ist die Quelle des Mehrwerts und damit des Profits – ohne sie würde sich kein/e Kapitalist/in für den Kauf der Arbeitskraft interessieren. Würde die Produktion auf nichtkapitalistische Weise organisiert, hätten die Menschen also entweder mehr Zeit für andere Dinge oder sie könnten sich zusätzliche Bedürfnisse befriedigen (selbst wenn der Charakter der Arbeit sich inhaltlich nicht ändern würde). Außerdem müssen sich Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, permanent den Zielen anderen Menschen unterordnen (bzw. dem ganz abstrakten und sinnfreien Zweck der Wertverwertung, der Verwandlung von Geld in mehr Geld).
Sofern die Ausbeutung funktioniert (was im Allgemeinen der Fall sein dürfte), nimmt auch die gesellschaftliche Ungleichheit immer weiter zu, da sich bei den Geldbesitzer/innen immer mehr Mehrwert ansammelt. Schlimmer noch, als ausgebeutet zu werden, ist es unter kapitalistischen Verhältnissen allerdings, nicht ausgebeutet zu werden – ist man (mangels eigener Produktionsmittel) zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft gezwungen, findet aber keinen Käufer (man ist für den kapitalistischen Produktionsprozess “überflüssig”), dann bleiben nur Hartz IV, Elend und Not. - Die Tendenz des Kapitalismus zur Normierung und Normalisierung und dadurch zur Ausgrenzungen und Abspaltung des “Unnormalen” und nicht Passenden. Das kann sich äußern in der modernen Konstruktion des “Weiblichen” (dem abgespaltenen Bereich dessen, was sich nicht unmittelbar in die Verwertungslogik einpassen lässt), in der Normierung und Reglementierung der Sexualität und der Körper, und in der Psychiatrisierung derjenigen, die mit dem Verwertungszwang und der kapitalistischen Logik nicht klarkommen.
Da der Kapitalismus aufgrund seines Fetischcharakters schwer zu durchschauen ist, führt verkürzte und irregeleite Kritik zudem immer wieder zu Ausgrenzung, Diffamierung und Verfolgung mutmaßlicher “Sündenböcke” (struktureller oder unmittelbarer Antisemitismus); und die permanente Notwendigkeit, mit anderen in Konkurrenz zu treten und sich mit anderen messen zu müssen, führt leicht dazu, sich vermeintlich unterlegene Menschengruppen herbeizureden, auf die man meint herabsehen zu können (Rassismus, Ausländer- und Frauenfeindlichkeit etc.). (Dieser Punkt taucht bei Marx selbst vielleicht noch weniger auf, er wurde aber von Autor/innen in seiner Tradition wie Roswitha Scholz und Andrea Trumann entwickelt.)
Also sechs gute Gründe für die Überwindung des Kapitalismus – Gründe, die auf die einen oder andere Weise alle treffen oder betreffen. Wem die nicht reichen, dürfte sich wohl auch durch weitere, letztlich spekulativ bleibende Argumente über die Natur des Menschen nicht umstimmen lassen…
Bei mond warns noch sieben Gründe: http://qummunismus.at/p/article27.html
Welcher ist da jetzt verloren gegangen?
Meine Anmerkungen dazu damals:
http://bedeutungswirbel.wordpress.com/2008/01/15/die-fehler-des-kapitalismus/
Vielleicht noch ein paar Gründe mehr:
Der Interessensgegensatz zwischen Menschen; indem jeder davon abhängig gemacht wird, mit seinen ökonomischen Mitteln durchzukommen, wird schon in der abstraktesten Form des warenproduzierenden Subjekts ein sehr ungemütlicher Zustand hergestellt. Marx hat das in seinen James Mill Exzerpten sehr schön rausgearbeitet, ohne wirklich auf ein idealistisches Menschenbild rekurrieren zu müssen. Ein jeder arbeitet für sich, produziert zwar gezwungenermassen für andere, aber diese Produktion für andere ist eine raffinierte Form des Ausplünderns. Jede gesellschaftliche Beziehung steht unter diesem Generalvorbehalt, jede menschliche Lebensäußerung spaltet sich in den „schönen Schein“, den ich anderen vormache, und dem davon abgespaltenen „wahren Motiven“. Es kann einem ja wirklich stinken, dass eine gesamte Gesellschaft deswegen auf strukturierter Unwahrheit und struktureller Gewalt aufgebaut ist. Es geht nicht ohne Heuchelei, Moral, Höflichkeit, Verstellung, Berechnung, Erpressung, Enttäuschung, Rache, Weltschmerz etc. p.p. – um nur die harmlosen Verlaufsformen zu nennen – und das ist eine Leistung die von jedem permanent gefordert ist.
Die Staatsgewalt die diesen Interessensgegensatz institutionalisiert und so das Bedürfnis aller auf berechenbaren Ansprüchen aneinander erfüllt, kann einem ja von sich aus ein Ärgernis sein – und zwar nicht erst dann wenn sie das Volk offensichtlich als Material ihrer Souveränität hernimmt, im Kriegsfalle. Ein junger Hegel etwa liess sich zu der These hinreissen: „“Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören.“ Wenn der aufhören soll dann wohl auch der Grund der ihn notwendig macht.
Ein vielleicht elitärer Grund ist der universelle Hang zur Dummheit , der diesem System zu eigen ist. Fetischismus ist nämlich nur so lange Fetischismus, als er nicht auf das unbedingte Interesse der Menschen trifft, sich das System, unter dem sie leiden, zu erklären. Ohne das Zurechtlegen falscher Gründe für das, was einem tagtäglich wiederfährt, ist eine funktionelle Existenz nicht zu haben – vom tautologischen „was sein muss muss sein“, „Geld regiert die Welt“, „immer gehts auf die Kleinen“ zieht sich da ein weites Spektrum von Scheinbegründungen durchs tagtägliche Denken, ständig genährt und gefüttert durch eine Wissenschaft, die sich auf hohem Niveau an das methodisch korrekte Konstruieren von Begründungen macht. Wer kann denn wirklich sagen, ob es einen inhaltlichen Unterschied gibt zwischen dem Urteil „Ordnung muss sein“ und der politologischen Begutachtung aller Gewalten in der Geschichte, ob sie „das Problem der Balance zwischen Effizienz und Legitimität“ lösen? Oder zwischen dem Spruch „was wär denn wenn jeder täte was er will?“ und der soziologischen Sorge, ob das „Problem der Orientierung sinnhaften Handelns am generalisierten Anderen“ jemals auch nur annähernd in den Griff zu kriegen ist….also auch an einem schreienden Widerspruch zwischen der Form der Wissenschaftlichkeit und dem Inhalt der Geisteswissenschaften könnte so mancher irre werden. Es soll aber auch Leute geben, denen ihr eigenes Denkvermögen reicht und die die Dummheit auch im Alltag unerträglich finden….
Wie gesagt nur 3 Vorschläge mehr, und prinzipielle Zustimmung zu Christians Argument. Wem übrigens die obigen Gründe bekannt vorkommen, dem sei trotzdem noch gesagt, dass es keineswegs überflüssig ist, sich Rechenschaft darüber abzulegen, dass und wie eine andere Gesellschaft aussieht. Auch ein Adam Smith konnte seine Propaganda für den Kapitalismus nur so erfolgreich betreiben, weil es Keimformen dieser Gesellschaft in Oberitalien und in Flandern eben schon gab . Der schönste Gegenstandpunkt ist aufgeschmissen, wenn er sich rein auf die Möglichkeit einer anderen Gesellschaft beruft, und zu ihrer konkreten Gestalt nichts zu sagen weiss.
Womit wir aber bei einem weiteren, wichtigen und entscheidenden Punkt gelandet wären. Auch wenn wir kein Menschenbild brauchen, so treffen wir mit der Extrapolation dessen was ist und dessen was in Entstehung begriffen ist doch auch Aussagen darüber, wie wir besser, angenehmer, glücklicher, sicherer, reichhaltiger und tiefer leben können. Ohne Utopistik keine Kapitalismuskritik, und die Wahrnehmung dieses Jenseits – in der Phantasie, in der Extrapolation, in der punktuellen Erfahrung – ist für sich genommen schon ein weiterer, sehr wichtiger Grund.
Andererseits nützt auch der schönste alternative Gesellschaftsentwurf nichts, wenn es einem nicht gelingt, klarzumachen, WIE die Leute im Kapitalismus, der Nation und der Demokratie (= nationalistischen Politik) vorkommen. Und ein alternativer Gesellschaftsentwurf ergibt sich zu einem nicht geringen Teil aus der konsequenten Kritik des Bestehenden. Denn was man nicht kritisiert und überwunden hat, hält man nach wie vor für unproblematisch. Beginnt man also nicht mit der Kritik, sondern mit der Utopie, ist es fürs gegenüber wahlweise eine schöne Idee, die sich „leider nicht umsetzen lässt“ oder sie muß sich an Notwendigkeiten und Sachzwängen zur Unkenntlichkeit gesundschrumpfen. Wenn man gegenüberstellt, was materiell möglich ist (siehe z.B. Darwin Dante) und wie der Kapitalismus diese Möglichkeiten systematisch und tagtäglich vernichtet, ist das aber doch ein recht überzeugendes Argument.
Im folgenden will ich den Versuch unternehmen, meine provokativ gemeinte Position, dass der späte Marx nicht wirklich begründen konnte, warum je ich für die Abschaffung des Kapitalismus sein solle, fortzuführen. Ob ich das alles wirklich so weiterdenken will, weiss ich noch nicht, auf jeden Fall will ich mich an deiner Darstellung reiben und das Folgende dagegen setzen.
Stichpunktartig. Es wird allerdings ein wenig philosophischer.
1. Ich habe in dem von dir angeführten Artikel über den jungen Marx bewusst nicht von »Menschenbild« geschrieben. Das hast du dort — ich unterstelle in bester Absicht — reingelesen. Steht aber nicht drin. Ich wollte in der Tat das vermeiden, was du mir dann vorwirfst: Wer ein Menschenbild setzt, argumentiert normativ. Dem würde ich auch zustimmen. Aber die Sache ist nicht so einfach.
2. Marx‘ Begriff ist der des »menschlichen Wesens« oder des »Wesens des Menschen«. Ich habe darauf hingewiesen, dass in der frühen Zeit Hegel eine große Rolle für Marx spielte, bis in die Wortwahl hinein. Der Begriff »Wesen« kommt aus der Hegelschen Logik und stellt einen Schritt in der Erkenntnis dar. Hegel unterschiedet Seinslogik, Wesenslogik und Begriffslogik. In der Seinslogik wird der Gegenstand genommen »wie er ist«, undifferenziert und undifferenzierbar. In der Wesenslogik wird der Gegenstand genommen »wie er sich widerspricht«, also seine Negation als Entgegensetzung. Von daher ist es in der Tat ein wesenslogisches Argument, wenn die Setzung eines Menschenbildes die Setzung seines Gegenteils (eben, was nicht dazu gehört) mit einschließt. In der Begriffslogik schließlich wird erkannt, dass diese Entgegensetzung nicht der ganzen Wahrheit entspricht, sondern dass es sich in Wirklichkeit immer um eine Bewegung von widersprüchlichen Momenten des Gegenstands handelt, die aber alle den Gegenstand ausmachen und ihn in seinem Sein bestimmen. Hier wird also die wesenslogische äußerliche Entgegensetzung im Begriff aufgehoben, in dreifacher Bedeutung von »aufgehoben«: abgeschafft, bewahrt und hochgehoben — gleichzeitig.
3. So verstanden geht es mir also um einen »Begriff des Menschen«. Mein Argument: Ohne ein Begriff vom Menschen kann man nicht begründen, warum der Kapitalismus durch die Menschen aufgehoben werden kann.
4. Weil der späte Marx keinen Begriff vom Menschen hatte, sondern nur unvollkommen eine Zeit lang mit einem »menschlichen Wesen« herumdachte, konnten Marx und fast alle, die ihm nachfolgten, nicht wirklich begründen, warum der Kapitalismus aufgehoben gehört. Denn, was heisst das: begründen?
5. Begründen heisst nicht, auf die objektive Scheissigkeit (deine Punkte 1 und 3-5) oder Verblödung (Argument 2) des Kapitalismus zu verweisen. Denn das läuft letztich immer wieder in ein Verelendungstheorem zurück: Wenn erst die Bornierung, Krise, Destruktion und Ausbeutung groß genug sind, dann lassen sich das die Leute nicht mehr bieten und schaffen den Kapitalismus ab (allerdings spreche häufig 2 dagegen, aber mal egal). — Erstens funktioniert das nicht und zweitens ist das im Kern ein wesenslogisches Argument! Es setzt die Leute und den Kapitalismus in ein äußerliches Verhältnis zueinander. Dabei ist es in Wahrheit so, dass es eben jene Leute sind, die den Kapitalismus als historisch-besondere Form, ihr Leben zu sichern, herstellen. Die Leute »sind« der Kapitalismus. Da führt auch nicht der Verweis auf den »hinter-dem-Rücken«-Charakter des Kapitalismus dran vorbei.
6. Begründen hieße, dass je individuelle Antriebsmoment zu bestimmen, das dafür sorgt, dass die Menschen die Veränderung wollen. Gründe sind immer erster Person! Wollen die Gründe eine Veränderung in historische Größenordnung erreichen, müssen sie allerdings die bloß individuelle Ebene überschreiten. Zugespitzt lautet die Frage: Wenn die Leute der Kapitalismus sind, warum sollten sie gegen sich sein? Ein Verweis auf die objektiven Probleme des Kapitalismus nutzt hier gar nichts.
7. Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn man davon ausgeht, dass die Leute zwar der Kapitalismus »sind«, weil sie ihn herstellen, diese Beziehung »Leute-Kapitalismus« aber dennoch keine Identität darstellt. Kurz: Die Menschen gehen als Menschen nicht im Kapitalismus auf. Diese Nicht-Identität kann man nun meiner Meinung nach nicht von der Seite der Objektivität des Systems her darstellen, sondern nur von der Seite der Subjektivität der Menschen. Man muss also erklären können, warum die Subjektivität der Menschen nicht im Kapitalismus aufgehoben ist oder jemals aufgehoben werden kann. Dazu braucht man unumgänglich einen Begriff vom Menschen.
8. Am Begriff vom Menschen war Marx dran, nur hat er leider, wie dargestellt, diesen Nachdenkpfad kaum weiterverfolgt. Jetzt den späten Marx als den großen Überwinder des eigenen frühen Idealismus hinzustellen, ist zwar gängiges Interpretationsschema, trotzdem aber tendenziell falsch oder sagen wir zahmer: irreführend.
9. Schaut man sich nämlich die wirkliche Geschichte an, so hat Marx mitnichten mit dem Idealismus Hegels abgerechnet, den er in jungen Jahren übernommen habe, sondern mit dem Idealismus der Junghegelianer, die Hegel in idealistischer missinterpretiert hatten. Und mit den Junghegelianern hatte es Marx mal eine Zeit lang. Sofern hat er in der Tat mit sich abgerechnet, aber bloß mit seiner eigenen idealistischen Lesart von Hegel. Vergleicht man nämlich Hegel und den jungen Marx miteinander, so muss man heute konstatieren, dass Hegel der Materialist war und Marx der Idealist (überzeugend dargestellt in: Sahra Wagenknecht, Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx…). Nur schade, dass Marx nicht zum materialistischen Hegel zurückgekehrt ist, sondern mit seinem eigenen Junghegelismus gleich den ganzen Hegel ausgekippt hat. Na ja, nicht den ganzen Hegel, aber von nun an meinte Marx, das Hegeldenken immer schön verstecken zu müssen. Damit hat er sich und uns keinen Gefallen getan.
10. Und weil all dem so ist, ist Marx auch nicht über das »Wesen des Menschen« hinausgekommen, sondern hat sich »nur« mit seinen ökonomischen Studien einen Begriff vom Kapitalismus verschafft, an dem wir uns immer noch laben dürfen. Immerhin. Kritik ist aber nur die halbe Miete.
Noch eine kleine Randbemerkung: Zur »entfalteten Individualität« gehört es sehr wohl auch, »faul in der Sonne zu liegen und überhaupt nicht zu produzieren«. Um das zu verstehen, braucht man allerdings einen Begriff vom Menschen. — Christian, alles vom Seminar zur Kritischen Psychologie schon wieder vergessen?
@stefan:
Da wäre ich gespannt, ob du das noch ausführen magst, was sich da denn genau für ein Mensch draus ergibt. Die beiden an Marx anknüpfenden Menschenbilder, die mir da so einfallen:
einmal das von Holzkamp in der Grundlegung entwickelte, wobei da der klassische Vorfwurf der einer ontologischen Setzung wäre.
Als zweites denke ich an Kropotkin, der wiederum seine Konzeption auch als Antwort auf den Sozialdarwinismus formulierte, wie Holzkamp sich gegen den „homo oekonomicus“ der rational choice-ler wendet.
Was beiden gemeinsam ist, ist m.E. der Gedanke das menschliche Gesellschaft ihr konstituierendes Moment in der Kooperation der Menschen hat.
Konkurenz vereinzeilt m.E. die durch, wenn du so willst je ihre Bedürfnisse zur Kooperation angehaltenen Menschen und macht sie zu zusammenarbeitenden Gegenern. Um was ein Menschenbild nicht herumkommt ist, dem Menschen eine erste Absicht zu unterstellen und das ist eine ontologische Setzung.
Zu 5&7: die Leute sind nicht einfach der Kapitalismus. Ich würde nicht hinter die Unterscheidung zwischen Lohnabhängigen oder Mittellosen und dem Kapital und seinen Charaktermasken zurückfallen wollen. Der Kapitalismus stellt sich doch je nach Position ganz anders da. Mehrheitsaktionäre & Aufsichtsratsvorsitzende, Dozenten, Erwerbslose und verreckende Bewohner der Peripherie leiden doch nicht alle gleich und auch nicht alle einfach am Kapitalismus, der sie selbst sind.
Klassengegensätze kann man doch nicht einfach ignorieren. Es ist doch wohl was anderes ob sich einer in seiner Funktion als Ausbeuter und Akkumulationsbeauftragter unwohl fühlt oder ob jemand in der Konsequenz ganz konkret verreckt oder verelendet.
Also ich weiß ja nich…
Stefan will die Menschen mit Hegeleien überzeugen ihr Menschenbild zu ändern. Christian will sie überzeugen einzusehen, dass der Kapitalismus einfach irrational ist…
Ich meine: Das einzige was Menschen nachhaltig überzeugt ist eine veränderte Praxis. Nur wenn man konkret und im Alltag erfährt, dass Selbstentfaltung funktionieren kann, wird man sein Menschenbild ändern. Nur wenn man konkret und im Alltag erfährt, dass es auch ohne die ganzen vermeintlich unausweichlichen „Nebeneffekte“ des Kapitalismus funktionieren kann, wird man einsehen, dass der Kapitalismus einfach ein bodenloser Bullshit ist. Das fängt klein an, bei einer gemeinsam organisierten Party wo jeder (der will) mit anpackt und wo das mit dem Geld sich von selbst regelt und geht über den Versuch Kinder als vollwertige Menschen zu betrachten bis hin zu global agierenden Projekten, die den transnationalen Konzernen Konkurrenz machen, wie bei freier Software.
Damit will ich jetzt natürlich nicht sagen, dass das alles nicht wichtig ist, was ihr da schreibt. Aber es wird niemals der erste Schritt sein. Das ist – ja durchaus wichtiges – „preaching to the converted“. Darüber muß man sich klar sein. Wenn man einmal erfahren hat, dass es auch anders gehen kann, will man natürlich wissen, warum das so ist. Nicht zu letzt um das dann auch wieder offensiver leben zu können gegen all die alltäglichen Widerstände. Dafür sind diese Reflexionen enorm wichtig!
Aber sich zu überlegen mit welchen Theorien man jetzt am besten Menschen überzeugt ist glaube ich eine enorme Selbstüberschätzung. Nix für ungut…
@Irgendwer#6: Wie geschrieben spreche ich nicht von »Menschenbildern«, sondern vom Begriff des Menschen. Ich denke in der Tat an den von Holzkamp in der »Grundlegung« entwickelten Begriff, der gerade keine ontologische Setzung ist. Allerdings kenne ich diesen »klassischen Vorwurf« auch nicht, vielleicht hast du eine Referenz? Weiter ausführen kann ich das mal eben in einem Kommentar nicht, sorry, das braucht mehr Platz. Ich überlege, ob ich genau für dieses Thema einen eigenen Blog aufmache. Aber wie ich mich kenne, dauert das noch.
Selbstverständlich ist es ein subjektiv bedeutender Unterschied, »ob sich einer in seiner Funktion als Ausbeuter und Akkumulationsbeauftragter unwohl fühlt oder ob jemand in der Konsequenz ganz konkret verreckt oder verelendet«. Mein Punkt war nur: In allen Rollen produzieren diese Menschen den Kapitalismus, in allen Rollen »sind« sie der Kapitalismus. Das schließt ein, dass jede Rolle ihre subjektive Funktionalität birgt (die im einzelnen zu untersuchen wäre), denn sie ist nun mal die Art und Weise, wie die Menschen ihr Leben in der Welt reproduzieren. Es gibt kein außen.
@benni#7: Grr! Ich will überhaupt niemanden überzeugen, sein »Menschenbild« zu ändern — unterstell‘ mir nicht so ein Scheiss. Das macht mich wütend! Das ist auch völlig unnötig, weil ich nämlich das, was du dann schreibst, unterstütze: »Das einzige was Menschen nachhaltig überzeugt ist eine veränderte Praxis«.
Aber was wir hier treiben, ist Reflexion von Praxis, jene Reflexion, die du ja auch für »enorm wichtig« hältst. Und dazu gehört aus meiner Sicht nun mal auch, dass wir auch über die Art zu reflektieren, reflektieren (was im übrigen auch Praxis ist). Immer wieder in die Fallen des wesenslogischen Denkens zu tappen (wovon ich mich nicht ausschließe), blockiert uns selbst. Aus meiner Sicht führt Christians Beitrag genau das wieder mal vor.
a.) also die 6 Punkte haben entfernte ähnlichkeit mit meinen 7 punkten. wobei die punkte 2 (fetischismus) und 6 (normierung) nicht wirklich vorkommen. andererseits die punkte. anderseits ist das was hier destruktivität (4) genannt wird bei mir etwas genauer (in 3 punkten) aufgeschlüsselt.
b.) zur obigen diskussion wie weit ein begriff vom „wesen des menschen“ notwendig ist um den kapitalismus ueberhaupt kritisieren zu können:
ich denke das mit dem „wesen“ ist tatsächlich ein sehr dünnes eis und es verwundert nicht dass marx sich davon später lieber ferngehalten hat. anderseits sind die probleme des kapitalismus so gross dass es wenig subtiler „wesensdefinitionen“ bedarf um sagen zu koennen dass da etwas nicht simmt:
* wenn der kapitalismus krieg, tot und zerstörung unserer lebensgrundlagen bewirkt. dann ist in das jedem falle gegen das „wesen des menschen“ weil es gegen den menschen als lebewesen ist.
* ich kenne kaum leute die so in dem „fetischismus“ aufgehen, dass sie sich nicht ein besseres leben vorstellen könnten. die meisten sehen allerdings die probleme nur partiell und die allerwenigsten verbinden die punkte dann zu einer radikalen systemkritik. und dort wo systemkritik betrieben ist ist es meist eine verkuerzte und falsche: siehe die wahlerfolge der rechtesextrmen.
* es ist also IMHO nicht notwendig an menschenbildern herumzuidealisieren sondern die real existierende kritik aufzugreifen und in den in die aktuellen kaempfen die sich daraus entwicklen den „blick aufs ganze“ hineinzutragen.
* extrem hilfreich dabei ist es natuerlich zeigen zu koennen, dass es auch ganz anders geht. die funktioniernden alternativen aufzeigen zu koennen: freie software, wikipedia… und noch besser solche alternativen zu schaffen…
lg mond.
@stefan:
1.naja klassisch aus meiner eigenen erfahrung bei der diskussion um holzkamps begriff vom menschen gedacht. der einwurf der immer sicher kam, wenn ich mit anderen darüber diskutiert habe, ging dann meist so: holzkamp unterstellt eine bestimmte quasi evolutionäre in der geschichte steckende logik, die sich bei ihm von der frühgeschichte an in einer menschwerdung entfaltet. das ist wiederum problematisch, da er ja seinen raum der handlungsmöglichkeit ontogenetisch setzt. geschichtsdeterminismus also, ein klassischer ml-denkfehler. so ungefähr.
2. es gibt zwar kein außen, aber das innen ist – wenn du so willst – klar ausdifferenziert qua teilhabe an der kapitalvermehrung. was diese teilhabe betrifft, so gibt es durchaus ein außen und ein innen. das ist ein wesentlicher bestandteil der funktionsweise des kapitalismus. ich denke diese aneignung, diesen ausschluss und diese ausbeutung sollte man mitdenken. der großteil der menschen muss die eigene haut zu markte tragen um sich selbst zu reproduzieren und reproduziert so auch den kapitlismus und es gehört immerhin ein riesiger geweltapparat dazu, sie auch dazu zu bringen. in dem sitzen natürlich auch menschen aber eben in einer etwas anderen sozialen position.
@benni:
mag ja alles sein, nur glaube ich nicht, das eine wirklich andere praxis ohne eine vorherige kritik überhaupt möglich ist. und diese muss vermittelbar sein, um den raum für neue möglichkeiten zu öffnen.
Stefan: Braucht’s zur Erklärung der Aufhebung feudaler Strukturen auch den Rekurs auf das Gattungswesen oder ist die Aufhebung des Kapitalismus in dieser Hinsicht etwas qualitativ anderes?
@stefan: tut mir leid, wenn ich Dich wütend gemacht hab. Aber wir sind uns ja scheinbar einig was die Bedeutung von Überzeugungsversuchen angeht. Christian hatte diesen Punkt halt so stark gemacht, da hab ich Dich – vielleicht unfairerweise – gleich mit reingeschmissen.
Was ich wirklich noch nicht verstanden hab: Scheinbar unterscheidest Du zwischen „Menschenbild“ und „Begriff vom Menschen“. Ich hab den Unterschied noch nicht verstanden. Das eine einfach als „Wesenslogisch“ zu bezeichnen hilft da nicht weiter, finde ich. Das muß man dann schon konkret zeigen, was den Begriff vom Bild unterscheiden soll. Oder hab ichs nur überlesen?
Zum „eigenen Blog“: Warum sollte das hier nicht reinpassen? Wir können ja auch noch neue Kategorie dafür machen oder so, wenn Du das Thema getrennt haben willst. Oder hast Du Angst wir schreiben Dir unqualifiziert dazwischen? 😉
@Irgendwer: Wir sollten da jetzt nicht einen unproduktiven Streit draus machen, was zu erst da war, die Henne (Theorie) oder die Praxis (Ei). Ich errinnere immer nur gerne an die Henne, wenn alle aufs Ei starren (und umgekehrt).
@benni:
das hatte ich keineswegs vor, ich sehe das eher komplementär. ich dachte eher daran, analyse & kritik in die zusammenhänge zu tragen, in denen die möglichkeit einer anderen praxis aufscheint. eben um eine emanzipative wendung zur ermöglichen, die sich aus den partikularen problemen, die dort artikuliert werden, ja nicht unbedingt ergibt.
@stefanmz#9
Klar gegen eine Unterstellung von Motiven soll man sich jederzeit verwahren. Daher versuche ich mal zu beschreiben, was ich sehe: In dieser Diskussion gibt es für meinen (und Bennis) Geschmack zu viel Reflexion der Reflexion (und wenig Gegenstand der Reflexion). Eine Gruppe von mehr als drei Leuten auf diesem Metaniveau auf ein gemeinsames Verständnis verpflichten zu wollen erscheint mir in der Tat recht praxisfern. Aus „Reflexion der Reflexion“ wird leider nicht automatisch besseres Denken (geschweigedenn Handeln), ebensowenig wie Reflexion der Reflexion der Reflexion (das was ich gerade mache) noch besseres Denken/Handeln produziert – eher im Gegenteil.
Bennis Gegenmodell:
Abweichende Praxis (nichtkommerzielle Party…) => Gratifikation (…war schön) => Reflexion der Abweichung (Warum war die Party eigentlich schön?) => Reflexion der Normalität (Die Party war u.a. schön weil sie nichtkommerziell war und hat auch sonst gut funktioniert) => Noch mehr abweichende Praxis (jede Menge nichtkommerzielle Parties)
stimmt besser mit meiner Erfahrung überein. Das gilt allerdings leider auch in dieser Version:
Vermeidung von abweichender Praxis => Gratifikation => Reflexion der Norm => Reflexion der Abweichung => Noch mehr nicht abweichende Praxis
Als Modell für Änderung taugt es daher wohl leider nur begrenzt 🙁
@Irgendwer: Das tun wir ja seit Jahren. Die Erfolge sind bescheiden würd ich mal vorsichtig formulieren. Wenn auch sicherlich nicht gleich null. Das gilt im übrigen für beide „Richtungen“: Also weder lesen die FOSS-Leute jetzt scharenweise Marx noch fangen jetzt die Marxisten an scharenweise Linux zu benutzen. Ich glaube auch nicht, das beides besonders nötig ist, wenn auch sicherlich nicht falsch.
@Irgendwer#11: 1. IMHO ist das eine falsche Lesart von Holzkamp (die ich im übrigen auch noch nie hörte): Holzkamp unterstellt keine »quasi evolutionäre … Logik«, die man auch »Teleologie« nennen könnte, sondern weist diese sogar explizit zurück (GdP S. 61). Stattdessen macht er klar, dass es ihm um die begriffliche Rekonstruktion der real abgelaufenen geschichtlichen Entwicklung geht. Also gerade kein Determinismus.
2. Ich finde gerade die Kapitalvermehrung ein Beispiel dafür, dass es kein außen und innen gibt. Oder wer ist da innen oder außen? Ansonsten, wie geschrieben, sind die sozialen Positionen durchaus sehr unterschiedlich. Es gibt aber keine, die sich »draußen« befände.
@Holger#12: Schöne Frage. Implizit wird in allen Transitionsmodellen ein bestimmter Begriff vom Menschen (»Gattungswesen« sagt Marx) zugrunde gelegt. Implizit deswegen, weil retrospektiv beschreibbar ist, was geschehen ist und es somit auf der Hand liegt, dass dies offensichtlich zu den menschlichen Möglichkeiten gehörte, was die Menschen dort taten. Nun stell dir dich mitten im Feudalismus vor: Da wäre das, was danach selbstverständlich menschliche Möglichkeit war, unvorstellbar gewesen. Es ist also ein Unterschied, ob du retrospektiv denkst (mit der Gefahr der Interpretation am Maßstab heutiger Möglichkeiten) oder prospektiv (mit gleicher Gefahr der Ontologisierung).
@benni#13: Begriff und Bild sind in der Tat ein Unterschied, und ich meine es beschrieben zu haben. Ein Bild ist eine Sollvorstellung, ist eine Sammlung von Eigenschaften, der Sollmenschen haben möge. Solche Bilder, egal wie positiv sie gemeint sind, sind immer normativ. Weil, fragt Christian zurecht, was ist mit jenen, die da nicht reinpassen (wollen)? Ein Begriff hingegen versucht, alle möglichen Bilder (um im Bild zu bleiben), auch die unvereinbaren, zusammen zu denken, versucht also die ontischen Grundlagen und damit die menschlichen Potenzen und Grenzen zu bestimmen. Der Begriff der »gesellschaftlichen Natur« des Menschen ist zum Beispiel so eine ontische Bestimmung (ohne das ich es jetzt hier inhaltlich ausführen kann).
Eigener Blog: Ich denke wirklich, dass tiefer in die Kritische Psychologie einzusteigen, hier nicht reinpasst und von »Keimform« wegführt. Ist irgendwann einfach zu speziell. Zweiter Grund ist, dass ich mir den neuen Blog als Teil eines Buchprojektes »Die Grundlegung lesen« vorstelle. Und außerdem hast du schon 4 😉
@Thomas#15: Zu viel Reflexion der Reflexion? Ja, kann sein. Ich brauche das, ich kann nicht anders. Aus nichts wird ohnehin nicht automatisch irgendwas anderes. Aber es gibt genug »Automatismen« im Denken, die kritisch zu hinterfragen sind. Das geht nur mit Reflexion. Es ist kein Überzeugungsmittel, sondern ein Mittel der (Selbst-)Kritik. Und wie schon geschrieben stehe ich sehr auf Praxis — kein Gegensatz zu Benni.
#4!
Um nochmal zum alten / jungen Marx zurückzukehren:
Stefan, um es klar zu machen, es ist auch von Dir was sehr Originelles geäussert worden, in dem Marx und Freie Software“ post . Marx hat sich tatsächlich nicht mehr den Kopf gemacht WARUM die Leut den Kapitalismus abschaffen sollten, es genügte ihm die Gründe objektiv-wissenschaftlich darzustellen. Scheinbar ist wie Du schreibst das Subjekt dabei verloren gegangen, aber das ist eben nur scheinbar so.
Eine sehr gute, leider niemals veröffentlichte Arbeit von Klaus Haase stellte die Frage nach dem „emanzipatorischen Gehalt der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie“ anhand der letzten Zeilen aus „Lohn, Preis und Profit“, wo Marx dürr schreibt, dass die Arbeiter besser daran täten, „Nieder mit dem Lohnsystem“ zu ihrer Parole zu machen statt ihre Ausbeutung zu perpetuieren. Haase fragt eben so dürr zurück: „Offen bleibt warum sie dies tun sollten“.
Haases Lösung – Marx verteidigend – hat mir schon damals, vor nahezu 30 Jahren, ganz gut gefallen. Er stellt fest, dass eine Strukturanalogie besteht zwischen dem Begriff der Arbeit wie er im Biene-Baumeister Beispiel expliziert wird, und begreifenden Denken überhaupt. Man muss keine evolutionäre Teleologie postulieren, um den Widerspruch zu konstatieren zwischen einer an sich antizipative, Differenzen (soll-ist) konstatierenden und aufhebenden Grundstruktur menschlicher Praxis und einem Vergesellschaftungszusammenhang der diese Struktur negiert. Es bleibt ein ewiger Widerspruch, dass menschliche Praxis einen Zusammenhang konstituiert, der ständig die Form einer nichtmenschlichen Naturhaftigkeit annimmt. Der Hinweis auf Sein- Wesen – Begriff ist zwar irgendwie nebulos, aber er rekuriert auf genau dieselbe Grundstruktur. „Begriff vom Menschen“ könnte man auch sagen, und Marx hat ja auch angedeutet dass es um eine Verschiebung im Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit gibt: der Begriff des Menschen besteht unter anderem darin, durch seine Entäusserung als Naturkraft Bedingungen zu schaffen, unter denen die Naturhaftigkeit zur in sich reflektierten naturhaftigkeit wird. Unter anderem folgert daraus eben auch das mittlerweile bekannte Diktum, dass Arbeit als jene menschliche Tätigkeit zu begreifen ist, die ihre eigene Verminderung zum Ziel hat.
Das ist eigentlich alles, und gibt auch nicht eine geschichtliche Wirkungsmacht her wie viele gerne hätten. Dennoch war ich aus genau diesem Grund wütend über die gedankenlose Entsorgung der „Arbeitsontologie“ durch die Krisis, die das Kind der menschlichen Praxis mit dem Bad des Produktivkraftfetischismus und der Unsichtbarkeit des Weiblichen ausgeschüttet hat. Ich behaupte mal dass die Verwilderung der Sitten, die die sogenannte „Wertkritik“ mit sich gebracht hat, insbesondere die Antideutschtümlerei (oder auch die Spaltung der Krisis selbst), ohne diese theoretische Katastrophe in diesem Ausmass nicht möglich gewesen wäre.
„Gründe sind immer erster Person“ , schreibst Du, Stefan, und sagst doch zugleich dass jeder aufgeschmissen ist der darauf beharrt. „Wenn die Leute der Kapitalismus sind, warum sollten sie gegen sich sein?“ fragst Du und meinst dass Marx das Problem nicht gesehen hätte. Warum aber spricht er an genau den inkriminierten Stellen von einem „ungeheuren Bewusstsein“, dass diejenigen bräuchten, die daraus die Konsequenzen ziehen und auch die praktische Stellung im Produktionsprozess haben, die ihnen verändernde Praxis erlaubt, also die bestimmte Negation?
Ich finde es einfach verkehrt, wie Du „die Objektivität des Systems“ der „Subjektivität des Menschen“ gegenüberstellst, Stefan. Denn auch Keimformen sind objektive Strukturen, die der Subjektivität Raum geben. Ein „Begriff des Menschen“ ist wie angedeutet schon da, und unser aller Problem ist doch allemal dass der einen neuen Rahmen seiner Entfaltung vorfinden muss!
Diese schöne Auseinandersetzung zwischen „objektiven Gründen“ und der subjektiven Lebenswirklichkeit von Akteuren und Playern weist nun eindeutig auf die Frage hin, wer denn diejenigen Players sind, welche die „agency“ (Handlungsfähigkeit) haben, das System zu verändern. Ich finde es daher in keiner Weise verkehrt, die „Objektivität des Systems“ der Subjektivität der Menschen gegenüber zu stellen. Wieso das nicht verkehrt ist, zeigt sehr eindrucksvoll als Gedankenexperiment der Film „Matrix“.
Ich habe bei einer Diskussionsrunde im Rahmen der Ringvorlesung „Ethik und Ressourcen“ dem ehemaligen ÖVP-Vizekanzler Josef Riegler ein wenig geschockt, indem ich aus Hardt/Negris „Empire“ den Kreuzestod Christi logisch hergeleitet hatte: Wer dem Zentralbegriff der „imperialen Ontologie“, nämlich die Pax Romana einen alternativen Friedensbegriff entgegen setzt (Pax Christi), landet logischer Weise am Kreuz, da dies einen Treffer in die „Hauptzeltstange“ der Reichsideologie Imperium Romanum darstellt.
(Dass man hinterher wieder aufersteht, kann diesbezüglich als Art Demonstration der Grenzen der imperialen Ontologie gesehen werden).
Dass das Imperium sich im Namen des Friedens legitimiert, obwohl das mit periphären Blutbädern verbunden ist (und das ist eine der logischen Hauptstützen des ganzen Empire-Buches) lässt sich empirisch anhand anderer „Universalstaaten“ (Empires) nachvollziehen. Vor allem der Ersatz von Politik durch Polizeiaktionen (wie von Peter Weihs dargelegt).
Obwohl sehr viele Leute gegen die Beweihräucherung von Karl Poppers „Die Offene Gesellschaft und Ihre Feinde“ sind, finde ich seine Kritik an Platons Idealstaat als totalitärer Alptraum hervorragend: Über den „methodologischen Essentialismus“ wird definiert, was objektiv erkennbare Realität ist. Soviel mal zur imperial generierten Ontologie (Seins-Lehre), das ist mein Zugang zu Hardt/Negri’s Empire über die Philosophie / Ethik der Befreiung von Enrique Dussel.
Kurz: Die objektiven Systembedingungen sind da, unerquicklich, aber aus zwei Gründen resultiert daraus keine Veränderung: Weil es am „Subjekt“ fehlt, also einer Gruppe von playern, die insgesamt eine kritische Masse bilden, die das System aufgrund ihres Impacts verändern können. Die Postmoderne hat das Subjekt bekanntlich verabschiedet, was allerdings die Postmoderne dazu verdammt, sich auf Diskussionen und Kaffeekränzchen zu beschränken.
Das Subjekt in diesem Sinne bedarf aber „Keimformen“ von neuen, der bisherigen sozioökonomischen Konfiguration potentiell überlegenen Produktionsmittel, welche dem sich aufbauenden Subjekt potentiell zur Verfügung steht. Der soziale Ort dieser Agenten des Wandels ist sehr wahrscheinlich die Semiperiphärie des Systems, da an dieser Semiperiphärie hinreichend viele Ressourcen sind aber sie nicht unter der totalen Kontrolle des Zentrums steht.
Ich habe diesbezüglich einen spannenden Artikel im Journal of World System Research gefunden:
Das bedeutet, dass Keimformen zwar objektive Strukturen sind, aber wie der Biologismus andeutet, brauchen die, um sich zu entwickeln, Boden, Wasser, Sonnenlicht usw. Daher bin ich auch gegen eine Verabstrahierung des Menschlichen, sodass in soziologischen Debatten von einem rationalen Menschenbild ausgegangen wird, wir aber trotz politisch unerquicklicher Obertöne älterer Forschung auf diesem Gebiet in diesem Zusammenhang trotzdem vom empirischen Menschen in seiner natürlichen Daseinsweise ausgehen sollten.
Andernfalls passt der Mensch nicht ins System, das hier emanzipatorisch aufkeimen soll und wie das ausgeht – frag Stalin.
Wegen meinem fehlerhaften Tag:
Der Kommentar ist erschienen im Journal of World System Research
Knapp: „Evolution, Complex Systems and the Dialectics“ http://jwsr.ucr.edu/archive/vol5/number1/v5n1a4.php
@franz#18:
Franz, mit Verlaub, das halte ich für eine geradezu klassische Ontologisierung dessen, was uns tatsächlich im Kapitalismus als »zweite Natur« entgegentritt. Du machst daraus einen menschlichen Seinzusammenhang, und das würde ich bestreiten. Es wäre allerdings drum zu diskutieren, denn das zielt schon auf eines der Kernfragen dieser Debatte.
Das ist schon interessant, dass du das so wahrnimmst. Das ist doch genau meine Kritik, die ich »wesenslogisches Denken« genannt habe. Ich geb’s zu, es ist blöd, mit so »schwammigen« Begriffen zu hantieren, aber ich hab oft keinen besseren. Vielleicht sollte ich nur »äußerliche Entgegensetzung« sagen, denn das ist das, um das es mir geht und das ich kritisiere — und was du mir komischerweise auch vorwirfst.
Mein ganzes Argumentieren geht dahin, genau diese äußerliche Entgegensetzung nicht auch nochmal zu reproduzieren, sondern deutlich zu machen, was die »Objektivisten« (Heinrichianer, Gegenstandpunktler und Co) nicht gedacht bekommen, nämlich, dass aus der objektiven Kacke rein gar nichts folgt, was das Handeln der Menschen angeht. Warum? Weil die Menschen einfach jeden Tag überleben müssen, und das geht eben nur, in dem sie all das produzieren, unter dem sie mehr oder weniger leiden. Ja, klar, das kann man analysieren und erklären, und ich gehöre ja nun wirklich auch zu denen, die das hoch und runter machen. Aber eine Erklärung und Begründung (die eben immer nur erster Person sein kann) lässt sich daraus nicht ziehen. — Hmpf, ich wiederhole mich.
Das ist ja das Gute des Keimform-Begriffes: Dort lässt sich beides, Strukturen und Handeln darin, nicht mehr trennen. Dort zwingen wir uns selbst, das zusammen zu denken.
Nee, der Begriff ist nicht da (oder nur implizit), nur der Mensch selbst. In der Praxis sind wir oft weiter als in der Theorie. Und unser Problem ist auch nicht, dass der Mensch einen neuen Rahmen seiner Entfaltung vorfinden muss, sondern wie er ihn selbst schaffen kann. Und zwar in einer Weise, dass seine Entfaltung die Voraussetzung der Entfaltung der Anderen ist und umgekehrt.
Spannende Diskussion! Habe ich gerne verfolgt. Ich habe nur ne kleine Bitte an Stefan: Könntest du vielleicht nach einem inhaltlich so wichtigen Artikel wie diesem etwas zeitlich „Platz lassen“, damit es auch zur Disko kommt? In diesem Fall hat es ja geklappt, dennoch ….
Tatsächlich schauen doch mehr Leute den obersten Artikel an – oder man schaut die darunterliegenden kürzer an, nimmt sich nicht soviel Zeit. Wenn dazu dann noch „0 Kommentare“ da steht, denkt man vielleicht, das kann ich überspringen.
Ganz eilige Sachen sind natürlich ne Ausnahme. In der Regel sollte es aber doch möglich sein, etwas zu warten. Wenn die Disko dann erstmal läuft, ist es sowieso unproblematischer.
Schnelle Antwort:
1. die flappsige Ausdrucksweise vom „ewigen Widerspruch“ bezieht sich natürlich auf die kapitalistische Epoche. „Ewig“ meint hier innerhalb aller möglichen Erscheinungsformen wiederkehrend, quälend, etc. – Sorry, wenn das Gegenteil rauskam von dem was ich gemeint habe.
2. Wieso können sich nicht *viele* erste Personen um *eine* gemeinsame Begründung ihres Handelns organisieren? Die Faschisten können das auch, und sie tun mehr als überleben, produzieren und leiden, sie schlagen ganz einfach die vermeintliche Quelle ihres Leidens tot. Willst Du politisches Agieren gegen den Kapitalismus für unmöglich erklären?
3. Das Wechselspiel von „schaffen“ und „vorfinden“ ist ja gerade das Spannende. Schon der mittlere Marx war happy dass er die Pariser Commune „vorfand“, weil „der Mensch“ ex nihilo kaum was „schaffen kann“ und auch im besten Fall eben auf die Suche nach der Aufhebungsform geht. Das ist doch der Witz, den die Keimform – Fraktion – zu der ich uns beide rechne – gegen die von Dir apostrophierten „Objektivisten“ (tu bitte die Wertkritiker auch dazu) geltend macht.
@Martin: Es gibt zwei Möglichkeiten mit denen Du verhindern kannst, Diskussionen zu verpassen:
1. Auf der Hauptseite gibt es ein Widget, dass immer die neuesten Kommentare anzeigt. Damit kann man auch noch wieder aufflammende Diskussionen bei sehr alten Artikeln mitkriegen.
2. Du kannst den Kommentar-Feed abbonieren, dann kommen immer alle Kommentare in Deinem Feedreader an.
Das hier ist halt ein Blog wo nicht nur eine Person schreibt, deswegen funktionieren hier solche redaktionellen Maßnahmen tendenziell nicht (aber zum Glück sind sie ja auch nicht nötig). Außerdem weiß man ja immer erst hinterher welche Artikel wichtig sind und welche nicht.
Kurz zur „Theorie vs. Praxis“-Debatte: ich halte das für eine falsche Trennung. Alternative Praktiken kommen nie ohne theoretische Unterfütterung aus – dass eine solche theoretische Unterfütterung spontan entsteht, sieht man ja z.B. an den Texten von Stallman und der FSF. Und wenn die Theorie zu kurz greift, beschränkt das notwendigerweise auch den Wirkungsgrad der alternativen Praxis – sei’s, dass sie auf bestimmte Bereiche wie immaterielle Güter beschränkt bleibt oder dass sie beim Versuch, solche Beschränkungen zu überwinden, in altbekannte Fallen tappt, die oft schon von Marx als solche identifiziert wurden (wie Dmytri Kleiners mutualistische Konzeption). Eine Praxis, die tatsächlich eine umfassende Alternative zum Kapitalismus darstellen soll, wird glaubich um die Erkenntnisse des alten Marx nicht herumkommen – sei’s, indem sie ihn liest, oder indem sie sie neuerfindet.
Umgekehrt ändert sich durch Theorie/Aufklärung allein erstmal natürlich noch gar nichts, denn, solange es keine Alternative zum Kapitalismus gibt, sind wir ja trotzdem alle gezwungen, weiter „den Kapitalismus zu machen“, um überleben zu können. Stefans Aussage, dass die Menschen selbst den Kapitalismus Tag für Tag neu reproduzieren, ist daher ebenso richtig wie banal. Selbstverständlich tun sie (wir) das, denn sie (wir) haben erstmal ja tatsächlich gar keine andere Wahl – darauf hatte ich ja in Punkt 2 schon hingewiesen.
@Stefan: was der tatsächliche Unterschied zwischen „Wesen des Menschen“ und „Menschenbild“ sein sollte, ist mir noch nicht klar geworden. Wenn man irgendetwas konkretes über das „Wesens des Menschen“ sagen will (konkreter als dass es zwar vermutlich existiert, man aber sonst nichts darüber sagen könne), dann muss man diesen Begriff zwangsläufig mit einem gewissen Inhalt füllen – der mag widersprüchlich sein, ist aber trotzdem Inhalt. Und dieser Inhalt, so scheint mir, ist dann eben das Menschenbild.
Aber vielleicht liegt das auch daran, dass mir eine gute Hegel-Einführung fehlt – Wochenende wär mir da zu lang, aber ein 4-stündiger Workshop oder so wär vielleicht nicht schlecht. Nur mal so als Anregung 😉
@franz: 1. ok.
2. Exakt darum geht’s: Um eine Begründung vieler Personen. Dennoch bleibt hier der Standpunkt erster Person der maßgebliche, aus dem isolierten »ich« wird ein=viele »je ich«. Siehst du den Unterschied der Verallgemeinerungen vom Standpunkt erster Person und vom Standpunkt dritter Person? Manche meinen ja, eine Verallgemeinerung ist überhaupt nur in dritter Person möglich. Das sind die berühmten objektiven Interessen der Arbeiterklasse oder sonst welcher soziologischer Gruppen. Diesen hat sich das »wir« unterzuordnen, das hat das »wir« einzusehen. Demgegenüber besteht das »je ich« auf die Unreduzierbarkeit der Individualität und gleichzeitig auf der Nichtisolierbarkeit der Gründe. Und das, die entfaltete Individualität, das »je ich«, ist die Kraftquelle von Veränderung.
3. +Wertkritik
@Christian#26: Ich mach‘ den Unterschied zwischen »Begriff« und »Bild«, »Wesen« halte ich nämlich auch nicht für ausreichend wie oben dargestellt. Zu Begriff/Bild siehe dann meine Antwort auf Benni in #17. Mit Inhalt und Form kommst du nicht weiter, weil das schon wieder (wesenslogisch) einen äußeren Gegensatz erzeugt, der in Wirklichkeit nicht da ist (ein Begriff kann man nicht mit Inhalt füllen, da er bereits Inhalt ist etc.).
Ja, wir können gerne mal einen Workshop zur Hegel-Logik machen.
@ Stefan: Goldene Worte. Es gibt keine „objektiven Interessen“, das wissen wir (oder ein paar von uns) seit mehr als 30 Jahren, es gibt aber die Möglichkeit eine Praxis die in permanenter Selbstschädigung resultiert mit Gründen zu kritisieren und das „subjektive“ (welch ein Pleonasmus) Interesse zu verändern. Übrigens auch umgekehrt: eine Praxis die in der „Armut der Begierde“ verkommt, mit Wissen um reale Möglichkeiten anzustacheln. . Diese Gründe (beide Familien von Gründen!) sind durchaus objektiver Natur, der Unterschied zum subjektiven Grund ist ein formeller. Daher gibt es auch keine chinesische Mauer zwischen einem wissenschaftlichen Urteil und einem Werturteil, auch hier ist der Unterschied ein formeller. Das „wir“ kann sich nur in realer Vereinbarung und Begegnung kostituieren, Du schreibst ja selbst dass wir es brauchen. ;-).
Anmerkung: Es ist aber selbst in Gefahr zum toten Ding zu werden. Das Wir als Totes Ding ist der Fetisch des 20. Jahrhunderts gewesen. Jetzt wird es interessant, drum rumzukommen, ohne im „je einzelnen“ zu landen.
Sicher gibt es objektive Interessen. Z.B. ist es heute klar, dass der Kapitalismus nicht das effektivste mögliche System ist (man bedenke nur den Aufwand mit der Eigentumsverwaltung und -kontrolle sowie den Zwang, unnütze oder sogar schädliche Arbeit zu „schaffen“). Damit zerstört er aber auch die Welt mehr (und gefährdet damit die Lebensqualität zukünftiger Generationen, aber auch bereits von uns) als nötig. Das gilt unabhängig davon, für welches Konsumlevel – hoch oder niedrig – wir uns entscheiden und wie stark wir die Welt belasten wollen.
Was könnte ein objektiveres, standpunkt-unabhängigeres Interesse sein?
Übrigens ist mir auch noch ein Punkt zur ursprünglichen Liste eingefallen: Ein Systemwechsel zum Kapitalismus würde – selbst von der dadurch möglichen Verbesserung abgesehen – wieder enormen Schub geben überall dort, wo Neuheit und Entwicklungsmöglichkeiten zählen, z.B. in der Kunst, der Literatur … Während sich diese derzeit (wie ja auch schon mal hier diskutiert) ein Stück weit im Kreis drehen, weil sich auch gesellschaftlich nicht viel Grundsätzliches tut, könnte man dann eine ähnliche Veränderung des Lebensgefühls und ähnliche Impulse für Kunst, Kultur und vielleicht auch Wissenschaft erwarten, wie die Einführung der Demokratie sie freigesetzt hat.
@Martin: Ein Systemwechsel zum was? Freudscher Verschreiber?
@ martin, #30
vor etwas mehr als 30 Jahren hatten wir mal einen Wortwitz: die objektiven Interessen der Arbeiterklasse sind die, die sie (noch) nicht hat. Verstehst Du den?
„Entwicklungsmöglichkeiten“: hier hab ich auf oberflächlich ähnliches abgezielt im letzte Absatz unter #2. Aber Kunst und Literatur sind doch genau die Sphären, wo sich heutzutage ohnehin alles austobt was noch Freiheit in Anspruch nehmen kann. Was man sich hier noch zusätzlich wünschen kann bleibt mir ein Schleier. De gustibus disputandum.
Vielleicht interessieren in dem Zusammenhang meine Einwände gegen Althussers Kampf gegen „sozialistischer Humanismus“ als Leitbegriff einer Theorie sozialer Emanzipation.
Ich halte diesen Versuch, das kapitalistische Elend und die Notwendigkeit seiner Überwindung zu verstehen, für entschieden zu kurz begriffen. Borniert sind letztlich alle Formen, Vermittlungsinstanzen oder Beweggründe der privateigentümlichen Aneignung gesellschaftlicher Produktion, also außer dem Profit auch die mehr oder minder komfortablen Klassenlagen und die vom Fetischcharakter der Waren verdrehte Konsumentenperspektive.
Allesamt bestimmen die nicht zuletzt auch die von den sozio-ökologischen Produktionsbedingungen bzw. -kosten „entfremdeten“ Bedürfnisse, die für sich genommen als Referenz für eine „menschlichere“ Produktion deshalb nicht unbedingt viel taugen.
Es käme wohl mehr auf die kommunistische (letztlich auch weltkommunistische) Art der Vermittlung der unterschiedlichen Bedürfnisse mit dem an. was zu ihrer Befriedigung an sozio-ökologischen Kosten (nicht) aufgebracht werden kann bzw. soll.
Das Durchschauenkönnen und dann Aufhörenkönnen ist keine realistische Perspektive. Die Nötigung zur privaten Aneignung der Ergebnisse (welt-) gesellschaftlicher Produktion verhindert die Entwicklung des Bedürfnisses, dessen soziale bzw. ökologische Voraussetzungen und Folgen durchschauen zu wollen.
Der gefallene Preis scheint Eigenschaft der Ware zu sein, und dass wir uns nun mehr davon leisten können als höhere Belohnung für die (und deshalb verbessertes Ergebnis der) eigenen Mühen.
Die einkaufsparadiesische Unschuld ist wohl die populärste Freiheit, die die kapitalistischen Interaktionsbedingungen zu bieten haben. Über die sozio-ökologischen Zusammenhänge hinreichend viel wissen zu wollen setzt letztlich voraus, dass das menschliche Miteinander auf Grundlage eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagement funktioniert.
Die interessante Frage ist für mich die der Zwischenschritte.
Siehe auch: Sind wir des Warensinns!
https://oekohumanismus.wordpress.com/2008/11/23/sind-wir-des-warensinns/
@HHH:
Ist das ein Widerspruch? Die Perspektive der preisbewussten Konsumentin, die möglichst günstig einkauft, ohne genau wissen zu können oder auch nur wissen zu wollen, was das für die direkten Produzenten, die Natur etc. bedeutet, wird ja selbst erst hervorgebracht und befördert durch die Existenz kompetitiver Märkte, auf denen profitorientierte Firmen um das Geld ebendieser Konsumenten konkurrieren.
Ein Fall von „aus dem Zusammenhang gerissen und falsch zitiert“? Ich schreibe ja selbst unmittelbar nach dem von dir zitierten Satz: „Aber nicht nur, dass die kapitalistische Realität es sehr schwer macht, diese realen Illusionen zu durchschauen …“
Was im Wesentlichen dasselbe ist wie das von dir gesagt — nur dass „sehr schwer“ nicht ganz dasselbe ist wie „unrealistisch“ im Sinne von „unmöglich“. Unmöglich ist das Durchschauen dieser realen Illusionen ganz offensichtlich nicht, denn zumindest wir beide — und wahrscheinlich die meisten, die sich hier bei Keimform tummeln oder zumindest den ersten Kapital-Band gelesen und einigermaßen verstanden haben — tun das ja sehr wohl.
Weiter schreibe ich: „… selbst wenn wir sie durchschauen, können wir dennoch nicht aufhören, uns am kapitalistischen Spiel zu beteiligen“, da von der Beteiligung an diesem Spiel ja heute unser aller Leben und Überleben abhängt. Das scheint mir in der Tat das noch gravierendere Problem — mit dem bloßen Durchschauenkönnen ist es leider nicht getan.