The Timeless Way of Re-Production

Commoning als ununterbrochener Prozess auf gesamtgesellschaftlicher Ebene

Eine Gesellschaft, welche sich ausschließlich den menschlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Interessen nach gestaltet, ist bisher bloße Sehnsucht, könnte aber durch das im Internet liegende Potential realisiert werden. Aber wie kann sich dieses Potential – diese Möglichkeit eines jeden Menschen mit potentiell allen Menschen auf Augenhöhe Informationen auszutauschen – dahingehend verwirklichen, dass diese von uns zwar noch nicht vollständig begriffene, aber doch bereits angestrebte Gesellschaftsform erreicht wird? Und wie kann die Kooperation von Tätigkeiten innerhalb komplexer Re-Produktionsprozesse auf Augenhöhe koordiniert werden, wenn deren gemeinsamer Zweck als möglichst weitreichende Befriedigung von Bedürfnissen definiert ist? Wie es der Zufall will, könnten es die Arbeiten eines Architekten – Christopher Alexander – sein, über welche sich diese Fragen beantworten lassen.

Silke Helfrich und David Bollier waren es, die, inspiriert von der Arbeit Helmut Leitners und Franz Nahrada, in „Die Welt der Commons – Muster des gemeinsamen Handelns“ zum ersten Mal Alexanders Theorie mit Commoning in Verbindung brachten und diesen Weg in „Frei, Fair und Lebendig – die Macht der Commons“ konsequent weitergingen. Helfrich und Bollier erforschten hierfür die Praxis des Commonings und schlossen dabei durch Alexanders Methode auf wiederkehrende Muster, welche in langlebigen Prozessen der freiwilligen Selbstorganisation unter Gleichrangigen immer wieder in Erscheinung treten. Diese Muster sind praxisnahe Hilfsmittel, um Commoning zu verstehen, anzuwenden und zu verbreiten. Wenn dieser vorliegende Text auch in anderer Weise mit Alexanders Theorie umgeht, wäre er ohne die gemeinsamen Forschungsergebnisse von Helfrich und Bollier kaum möglich gewesen.

Was also ist das Besondere an Christopher Alexanders Arbeit? Alexander hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, was Lebendigkeit bedeutet, wie diese entstehen kann und wie er – in seiner Rolle als Architekt – unterstützend wirken kann, damit diese Lebendigkeit von jedem einzelnen Menschen aus selbstständig verbreitet werden kann. Was er zu diesem Zweck herausgestellt hat, nennt er eine „Mustersprache“ und wie eine solche Mustersprache entstehen kann, beschreibt er in seinem Werk „The Timeless Way of Building“. Anhand direkt zitierter Abschnitte wird nachfolgend der Struktur dieses Werkes gefolgt werden. Hierdurch wird nicht nur auf die Grundstruktur einer Software für ununterbrochenes Commoning geschlossen, sondern auch dargestellt, wie Formen softwareunabhängiger Selbstorganisation aus dieser Vermittlungsform entstehen bzw. sich in diese Struktur integrieren können. Ziel dieser Arbeit ist es herauszustellen, wie diese Software tatsächlich zeitlos werden und ihre Funktion als Werkzeug zur Herstellung und Erhaltung einer von Commoning bestimmten Gesellschaft immer effizienter erfüllen kann.

Die Textreihe „Ein Softwarekonzept für ununterbrochenes Commoning“ ist die Konkretisierung dieser Interpretation.

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THE TIMELESS WAY

„There is one timeless way of building. […] It is so powerful and fundamental that with its help you can make any building in the world as beautiful as any place that you have ever seen. It is so powerful, that with its help hundreds of people together can create a town, which is alive and vibrant, peaceful and relaxed, a town as beautiful as any town in history. And there is no other way in which a building or a town which lives can possibly be made.“ (7-8)

Die Eröffnungssätze aus „The Timeless Way of Building“ verdeutlichen sehr klar, dass Christopher Alexander absolut überzeugt von dem historischen Wert seiner Entdeckung ist. Dass jemand von seinen eigenen Ideen überzeugt ist und sie für weltgeschichtlich bedeutend hält, ist dabei nichts Besonderes. Aber als These angenommen, dass Alexander mit seiner Einschätzung Recht hat – vielleicht sogar damit, dass es der einzige Weg ist –, und weiter angenommen, dass diese vorliegende Interpretation auf die Re-Produktionsweise nach Commons-Prinzipien sinnvoll ist; dann stünde uns die Gesellschaft nach Bedürfnissen und Fähigkeiten als konkrete Möglichkeit gegenüber, dann müssten wir sie „nur noch“ realisieren. Und auch wenn dieses „nur noch“ in Anführungszeichen steht, hätten wir statt einer vagen Hoffnung ein konkretes Ziel und eine konkrete Handlungsmöglichkeit, mit welcher diese neue Gesellschaftsform aus der Alten heraus entstehen kann. Und die Software selbst, zu deren Konzeption diese Interpretation dient, ist ein Werkzeug zu diesem Zweck.

Noch zwei Anmerkungen zu diesem ersten Zitat:

  1. Wenn Alexander über Architektur redet, wird hier Commoning verstanden. Das erscheint erst einmal ungewohnt. Der Gedanke dazu ist, dass Alexander zwar Architekt ist, aber die Architektur nur der ihm naheliegende Gegenstand zur Anwendung einer allgemeingültigen Methode war. Die Methode selbst wird allerdings erst nach dieser Interpretation, im Anhang, erläutert.
  2. Wenn auch die Analyse des Bestehenden im Bezug auf das Commoning für die Sache der Transformation unbedingt notwendig ist, wird in diesem Text ausschließlich die Struktur des ununterbrochenen Commonings betrachtet. Die Abstraktion geht so weit, dass auch von bestehenden Eigentumsverhältnissen abgesehen wird und sämtliche Mittel als allgemein verfügbar und als dem Zweck der Bedürfnisbefriedigung untergeordnet verstanden werden.

„This one way of building has always existed. But it has become possible to identify it, only now, by going to a level of analysis which is deep enough to show what is invariant in all the different versions of this way.” (10-11)

Commoning ist das miteinander-Teilen, das Beitragen, das Konflikte-auf-Augenhöhe-klären, das füreinander-Dasein. Es ist nichts Neues, ganz im Gegenteil: Die Kooperation zur Herstellung und Erhaltung der gemeinsamen Lebensbedingungen ist das, was uns als Spezies seit jeher ausmacht, aber in einer unbegrenzten Form noch nie gesellschaftlich bestimmend sein konnte. In gewissen Sinne ist diese Form des Commonings, welche mit der Entstehung des Internets überhaupt erst denkbar wurde, damit die Rückbesinnung auf eine vor-gesellschaftliche Beziehungsform, die romantisch verklärt sein könnte, aber jetzt in einem grenzenlosen Maßstab realisiert werden kann.

„At this level of analysis, we can compare many different building processes. And it turns out that, invariant, behind all processes which allow us to make buildings live, there is a single common process. But though this method is precise, it cannot be used mechanically. Indeed it turns out, in the end, that what this method does is simply free us from all method.“ (12-13)

Zweck des Commonings ist die Befriedigung vermittelter Bedürfnisse. Welche Bedürfnisse eine Person hat, genauso welchen Bedürfnissen sich eine Person annehmen möchte, kann diese dabei nur selbst wissen. Es gibt keine Autorität – sei es ein Planungskomitee, sei es ein Computer-Algorithmus –, welche eine Gesellschaft nach Bedürfnissen einrichten kann. Die zu entwickelnde Software ist daher auch keine Entscheidungsinstanz. Es ist ein Werkzeug, das ununterbrochene gesellschaftliche Kooperation zur generellen Bedürfnisbefriedigung ermöglichen soll. Aber die Software selbst ist nur die vermittelnde Instanz. Davon abstrahiert bleiben nur Menschen, die sich gegenseitig unterstützen, weil das gute Leben des einen abhängig ist von dem guten Leben des anderen.

„To purge ourselves of these illusions, to become free of all the artificial images of order which distort the nature that is in us, we must first learn a discipline which teaches us the true relationship between ourselves and our surroundings.” (15-16)

Über die Software sollen die gesellschaftlichen Kooperationsprozesse von der Verwendung des Naturvermögens und deren Erhaltung bis zur komplexen Produktion und dem Bereich der Fürsorge transparent werden. Und was bei Alexander das Erlernen einer Disziplin ist, wird hier zur Funktion einer Software. Wenn es an etwas fehlt, dann muss einsichtig sein, wo sich eingebracht werden kann, um diesen Mangel zu beheben. Wenn etwas gelernt werden will, dann muss einsichtig sein, wo es gelernt und ausgelebt werden kann. Die eigenen Bedürfnisse mögen auf den eigenen Körper begrentzt sein, aber sind bezogen auf sämtliche Orte, an denen wir sind, die Natur, die uns umgibt und auch auf das Wohlbefinden der Menschen, mit denen wir zu tun haben. All das umfasst die Struktur des ununterbrochenen Commonings in der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. Ob das die „wahre Beziehung“ („true relationship“) zwischen uns und unserer Umwelt ist oder nicht – es ist diejenige, welche wir anstreben.

“Then, once this discipline has done its work, and we pricked the bubbles of illusion which we cling to now, we will be ready to give up the discipline, and act as nature does. This is the timeless way of building: learning the discipline – and shedding it.“ (16)

Zuletzt zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zwischen des über die Software vermittelten Commonings und Alexanders Vorstellung einer Utopie: Diese auf dem technischen Fortschritt basierende Form des Commonings ermöglicht komplexe Strukturen zur generellen Bedürfnisbefriedigung und ermöglicht darin auch Räume der Selbstorganisation, welche Teil des Gesamtprozesses bleiben, in denen die Vermittlung über die Software allerdings nicht bestimmend ist. Die gesamtgesellschaftliche Koordination beruht allerdings auf dem Medium selbst, kann also nicht „erlernt“ und das Werkzeug kann nicht abgeworfen werden („shedding it“). Sobald keine Werkzeuge wie die hier beschriebene Software mehr verwendet werden, verliert sich auch die gesellschaftliche Transparenz. Und mit ihr nehmen die Möglichkeiten ab, wie sich in die gesellschaftliche Struktur eingebracht werden kann. Und mit ihr nimmt die Anzahl an Menschen ab, die sich prinzipiell den eigenen Bedürfnissen annehmen können und immer mehr Bedürfnisse bleiben dadurch wieder unbefriedigt. Ein wesentlicher Unterschied in der Vision – aber irrelevant für die Vorgehensweise an sich.

THE QUALITY

“We have been taught that there is no objective difference between good buildings and bad, good towns and bad. – The fact is that the difference between a good building and a bad building, between a good town and a bad town, is an objective matter. It is the difference between health and sickness, wholeness and dividedness, self-maintenance and self-destruction. In a world which is healthy, whole, alive, and self-maintaining, people themselves can be alive and self-creating. In a world which is unwhole and self-destroying, people cannot be alive: they will inevitably themselves be self-destroying, and miserable. – But it is easy to understand why people believe so firmly that there is no single, solid basis for the difference between good building and bad. – It happens because the single central quality which makes the difference cannot be named” (25)

Christopher Alexander macht sich folgend auf die Suche nach dieser Qualität ohne Namen, wie Marx sich auf die Suche nach dem Wert macht. Und wie Marx den Wert in den Dingen sucht, die nicht für einen selbst, sondern für den Markt und damit für andere produziert werden, sucht Alexander die Qualität als Essenz von Orten, an denen sich Menschen lebendig fühlen. Für beide ist schließlich das Resultat ihrer Suche der Ausgangspunkt, von welchem aus sie ein vollständiges System beschreiben können. Doch während der Wert bei Marx die Ware als einen äußeren Träger hat, ist die Qualität ohne Namen bei Alexander ein innerer Zustand.

„And [the quality] happens when our inner forces are resolved – And when a person’s forces are resolved, it makes us feel at home, because we know, by some sixth sense, that there are no other unexpected forces lurking underground. He acts according to the nature of the situations he is in, without distorting them. There are no guiding images in his behavior, no hidden forces; he is simply free. And so, we feel relaxed and peaceful in his company“ (51)

Im parallel zu „The Timeless Way of Building“ entstanden Werk „The Pattern Language“ hat Christopher Alexander architektonische Muster herausgestellt, welche diese Qualität ohne Namen hervorbringen sollen. Diese Qualität entsteht, indem diese Muster schrittweise angewendet werden um innere Spannungen („inner forces“) aufzulösen.

Für das Commoning wird die Qualität ohne Namen als Zustand interpretiert, in welchem alle eigenen Bedürfnisse befriedigt sind. Die Spannungen werden dabei als Aufwand betrachtet, welcher für die Bedürfnisbefriedigung notwendig ist. Ein Bedürfnis „hat“ daher nicht eine bestimmte Spannung, sondern diese ergibt sich erst durch die Möglichkeiten der Befriedigung und ist umso höher, je aufwendiger die Bedürfnisbefriedigung ist. Und jede Tätigkeit im Commoning hat den Zweck der Bedürfnisbefriedigung, sprich, der Auflösung von solchen Spannungen. Auf Softwareebene sind diese Tätigkeiten dabei als Tätigkeitsmuster beschrieben. Als solche Tätigkeitsmuster lassen sie sich über die Software abrufen und können potentiell jeder Person beschreiben, wie eine bestimmte Spannung abgebaut werden kann. Die Qualität eines Tätigkeitsmusters sagt dabei aus, inwiefern eine darin beschriebene Tätigkeit dazu geeignet ist, im jeweiligen Umfeld das Bedürfnis zu befriedigen und außerdem, welcher Aufwand dazu notwendig ist.

[…]

Anmerkung Keimform.de: Auf Grund seiner Länge wird der Essay hier nicht vollständig veröffentlicht, kann aber sehr gerne an dieser Stelle diskutiert werden.

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