Ein Softwarekonzept für ununterbrochenes Commoning – Commoning-Prozesse, Prozessanalyse, Tätigkeitsmuster
Es gilt weiter eine konkrete Möglichkeit herauszuarbeiten, wie Vermittlungsformen einer Gesellschaft nach Bedürfnissen und Fähigkeiten mit dem Stand der heutigen Mittel gedacht und realisiert werden können. Vorausgesetzt hierbei ist, dass es sich bei den Gesellschaftsteilnehmern um Gleichrangige („Peers“) handelt und eine herrschaftliche Planungsinstanz ausgeschlossen wird. Nachdem im ersten Teil der Reihe die Struktur eines vermittelten Bedürfnisses bis zu seiner Befriedigung umrissen wurde, soll der Prozess des Commonings hier näher betrachtet werden. Der Fokus liegt dabei auf komplexen Prozessen, also solchen, die Kooperation voraussetzen.
Kooperation – die gemeinsame Tätigkeit zu einem bestimmten Zweck – ist Teil jeder Gesellschaftsform, darin aber verschieden begrenzt und organisiert. Wieder ein kurzer Rückgriff auf die kapitalistische Produktionsweise, um Commoning, wie es in diesem Softwarekonzept verstanden wird, besser greifen zu können: Ein kapitalistisches Unternehmen ist generell in einzelne Abteilungen gegliedert, welchen jeweils eine Geldmenge zur Verfügung gestellt wird, durch welche Mitarbeiter*innen bezahlt und die notwendigen Mittel (Technik, Material, etc.) gekauft werden. Diese Abteilungen sind meist hierarchisch durch Abteilungsleiter, Vorarbeiter, etc. organisiert, während es meist aber auch notwendig ist, dass sich Mitarbeiter*innen untereinander absprechen und organisieren, um das gemeinsame Abteilungsziel zu erreichen. Die Abteilungen eines Unternehmens selbst stehen wieder in einem ähnlichen, meist hierarchisch organisierten, Kooperationszusammenhang und wirken zusammen, um ein gemeinsam geschaffenes Produkt bzw. eine Dienstleistung am Markt anbieten zu können. Dieses Produkt bzw. diese Dienstleistung muss mindestens kostendeckend verkauft werden, damit von diesem Geld die für die weitere Produktion notwendigen Mittel gekauft und die Mitarbeiter*innen bezahlt werden können. Für Unternehmer und Investoren ist der Zweck des Unternehmens allerdings nicht diese Kostendeckung, sondern der Profit – also der Verkaufsteil des Produktes, welcher nicht zur Kostendeckung angewendet werden muss. Je höher dieser Profit schließlich im Verhältnis zu den aufgewendeten Kosten ist, desto effizienter ist das Unternehmen im Sinne der Geldverwertung. Ob das am Markt verkaufte Produkt dann von dem Käufer konsumiert wird oder ob es in der Kooperationsstruktur eines anderen Unternehmens angewendet bzw. weiterverarbeitet wird, braucht das Unternehmen, welches es verkauft hat, selbst nicht mehr zu interessieren. Da sich allerdings in dieser Sphäre des Marktes (und der damit einhergehenden Konkurrenz) die kapitalistische Dynamik entfaltet, ist es keineswegs irrelevant, dass die Kooperation von in Unternehmen organisierten Personengruppen am Markt endet und es damit keine gesamtgesellschaftliche Kooperation zur Herstellung und Erhaltung der gemeinsamen Lebensbedingungen gibt.
Commoning dagegen ist eine ununterbrochene gesellschaftliche Kooperation zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung. Jedes (Zwischen-) Resultat im Commoning hat einen klaren Adressaten und wird überhaupt nur erzeugt, weil es ein vermitteltes Bedürfnis gibt, welches befriedigt werden soll. Weil damit Re-Produktionsprozesse allerdings auch erst begonnen werden, sobald ein Bedürfnis (vorsorgend) vermittelt wird, ist Commoning auch problematisch. Aus der Logik des Commonings heraus gibt es keine Warenhäuser und damit auch keine Möglichkeit, Bedürfnisse kurzfristig zu befriedigen, wenn dies die Tätigkeit von anderen Personen voraussetzt. Problematischerweise kommt noch hinzu, dass eine Bedürfnisbefriedigung mitunter enorm zeitaufwendig sein kann: Nicht nur das Bedürfnis selbst muss befriedigt, sondern auch jedes einzelne dafür notwendige Mittel muss hergestellt bzw. (orts-)verändert werden. Unter Formen der kollektiven Verfügung ist das zwar nicht immer notwendig, da potentiell sämtliche vorhandene Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen verwendet werden können, aber trotzdem wird kein Weg daran vorbeiführen, dass neue Lösungen gefunden werden müssen, wie Commoning im Sinne der Bedürfnisbefriedigung effizienter werden kann. Zumindest nicht, wenn es unser erklärtes Ziel ist, Commoning als gesellschaftlich-bestimmende Re-Produktionsweise zu etablieren.
WICHTIGE ANMERKUNG: Bis zum Abschluss nach sieben oder acht Teilen ist die Textreihe im Wandel und wird besonders seit Mai 2020 vollständig neu erarbeitet und strukturiert. Dieser Text ist nicht länger aktuell!
Die neuesten Versionen der Texte finden sich als pdf/odt immer auf https://marcusmeindel.wordpress.com/ bzw. online im Discourse-Forum. Hier finden sich auch Einführungen zum Thema. Wenn du Interesse an einer Beteiligung am Projekt hast, kannst dich dort gerne auch vorstellen und einbringen.
Commoning-Prozesse
Commoning hat immer den Zweck einer direkten Befriedigung von Bedürfnissen. Weiterhin wird hier von den sozialen Prozessen abstrahiert und sich nur auf (1) die Selbstzuordnung und Selbstorganisation, (2) die Zuordnung von Mitteln und (3) die Herstellung, Erhaltung und (Orts-)Veränderung von Mitteln beschränkt. Zur vereinfachten Lesbarkeit wird auch weiterhin „Bedürfnis bzw. Bedarf“ mit „Bedürfnis*“ und „Befriedigung bzw. Deckung“ mit „Befriedigung*“ abgekürzt.
Ein Commoning-Prozess zur Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses wird immer über eine konkrete Tätigkeit abgeschlossen. Diese den Commoning-Prozess abschließende Tätigkeit kann entweder die Herstellung eines Mittels sein (vermittelte Bedürfnisbefriedigung) oder auch unvermittelt das Bedürfnis befriedigen („Dienstleistung“). Im Regelfall ist dabei jede Tätigkeit abhängig von der Verfügbarkeit bestimmter Mittel – unabhängig ob diese gegenständlicher, sozialer oder symbolischer Natur sind. Können die für die Tätigkeit notwendigen Mittel nicht selbst organisiert werden, kann ein Bedarf danach vermittelt werden. Dieser Bedarf kann wiederum durch eine andere Tätigkeit gedeckt werden, welche ebenfalls wieder bestimmte Mittel benötigt und von welcher aus damit wieder Bedarf vermittelt werden kann usw. Wird also über eine Tätigkeit kein Bedürfnis direkt befriedigt, hat sie immer den Zweck der Herstellung, Erhaltung oder (Orts-)Veränderung von Mitteln, welche zu einer Bedürfnisbefriedigung notwendig sind.
In der Grafik ist T1 eine mögliche Tätigkeit, um ein Bedürfnis (B-) zu befriedigen. Würde es sich um eine Bedürfnisbefriedigung handeln, welche über ein Mittel erreicht wird, würde das Bedürfnis direkt auf dieses Mittel (B- → M-) verweisen und Tätigkeit T1 sich auf dieses Mittel beziehen. Von der Tätigkeit 1 ausgehend wird ein Bedarf (a) nach einem Mittel (M1a-) vermittelt. T1a1 ist eine mögliche Tätigkeit, um den Bedarf (M1a) zu decken. Nachdem das Mittel hergestellt wurde (M1a+), kann es für die abschließende Tätigkeit (T1) verwendet werden und das anstehende Bedürfnis kann unvermittelt (B+) bzw. vermittelt (M+ → B+) befriedigt werden.
In diesem Moment der Argumentation wird angenommen, dass noch keine Person Erfahrung hat, wie einzelne Tätigkeiten funktionieren und die verschiedenen möglichen Tätigkeiten zur Befriedigung* eines Bedürfnisses* immer wieder neu erschlossen werden müssen. Die Realität ist selbstverständlich eine andere und im weiteren Verlauf dieser Konzeption werden auch Möglichkeiten besprochen, wie diese Erfahrungen geteilt werden können. Diese Vorgehensweise ist allerdings notwendig, um die Logik des Commonings, mit all den Problemen, welche sie mit sich bringt, zu erschließen. Die folgende Darstellung eines Commoning-Prozesses gilt dabei sowohl für die interpersonale wie auch für die transpersonale Vermittlung.
Der allgemeine Ablauf zur Erschließung einer neuen Tätigkeit: Eine Person bekommt ein Bedürfnis* vermittelt und entschließt sich, sich diesem anzunehmen. Die Person überlegt sich eine Möglichkeit, wie sie dieses Bedürfnis* befriedigen* kann. Nachdem sie eine Möglichkeit für sich gefunden hat, überlegt sie, welche Mittel sie für den Prozess der Bedürfnisbefriedigung* benötigt. Die Person überprüft, welche notwendigen Mittel sie selbst besorgen kann und welche nicht. Die Bedarfe (notwendigen Mittel), welche sie nicht selbst decken kann, vermittelt sie an andere. Sobald die Mittel für diese Person verfügbar werden, d.h. der Bedarf durch andere gedeckt wurde, kann sie tätig werden und ihrer Planung nach das Bedürfnis* befriedigen*.
Zur Befriedigung* eines bestimmten Bedürfnisses* kann es immer mehrere mögliche Tätigkeiten geben. Um den Fokus auf die innere Logik eines Commoning-Prozesses zu richten, wird das nicht an einem gegenwärtigen Beispiel verdeutlicht, sondern auf die Produktion eines Mittels zurückgegriffen, welches Marx in seiner Wertformanalyse verwendet hat: Die 20 Ellen Leinwand. Da Leinwand (das Gewebe) alleine aber selten ein Bedürfnis befriedigt, werden diese als Bedarf zu einem Bedürfnis nach auf Keilrahmen gespannten Leinwänden betrachtet. Die auf Keilrahmen gespannten Leinwände können so zur Befriedigung eines Bedürfnisses nach künstlerischer Auslebung beitragen. Ob dieses Bedürfnis schließlich von einer einzigen oder unterschiedlichen Personen in lokaler Nähe vermittelt wurde, ist an dieser Stelle irrelevant. Weiter werden auch nicht sämtliche mögliche Commoning-Prozesse angeführt – also in Zusammenhang stehende Tätigkeiten zum Zweck der Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses -, sondern nur ein kleinerer Ausschnitt davon.
Die erste Möglichkeit, wie das notwendige Mittel „Leinwand“ zur Befriedigung des vermittelten Bedürfnisses zu den Personen geraten kann, welche das Bedürfnis vermittelt haben, ist eine schlichte Ortsveränderung bestehender Leinwände durch einen PKW (T1). Die Bedingung hierfür ist selbstverständlich, dass (a) solche Leinwände, (b) ein PKW und (c) auch Treibstoff zur Verfügung stehen.
Die zweite mögliche Tätigkeit (T2) kann die Produktion einer solchen Leinwand in Handarbeit sein. Der Bedarf dafür wäre: (a) ein Handtacker, (b) Leinengewebe, (c) Keilrahmen, (d) Tackerklammern. Das Leinengewebe selbst kann wieder entweder über Ortsveränderung besorgt (T2b1) oder neu hergestellt werden (T2b2). Die Ortsveränderung T2b1 hat dabei denselben Bedarf wie T1, wenn auch mit der Bedingung, dass Leinengewebe statt Leinwände zur Verfügung stehen. Zur Herstellung von Leinengewebe werden (a) ein Webstuhl, (b) ein Scherbaum, (c) Leinengarn und (d) Patronenpapier benötigt. Von hier ab weiter zu dem Bedarf an Keilrahmen (T2c): Der Bedarf kann wieder über Ortsveränderung des Mittels gedeckt werden (T2c1), wobei im Unterschied zu T1 und T2c1 selbstverständlich Keilrahmen statt Leinwand bzw. Leinengewebe benötigt werden. Der Bedarf kann weiter darüber gedeckt werden, dass Keilrahmen aus nicht mehr benötigten, aber bereits verbrauchten Leinwänden gelöst werden (T2c2) – was einen Bedarf nach (a) nicht mehr benötigten Leinwänden hervorbringt. Schließlich kann der Bedarf nach Keilrahmen natürlich auch über deren Produktion gedeckt werden (T2c3) – der Bedarf wäre in etwa: (a) eine Winkelsäge, (b) Holzleisten und (c) Nägel.
Anmerkung: Ein notwendiges Mittel für die meisten Tätigkeiten ist ein entsprechender „Arbeitsraum“. Um diesen nicht ständig neu aufzuführen und somit den Lesefluss zu behindern, wird in der gesamten Textreihe davon abstrahiert.
Prozessanalyse
Die benannten Tätigkeiten sind immer nur in Zusammenhang stehende Möglichkeiten, wie ein Bedürfnis* befriedigt* werden kann und nicht alle dafür notwendig. Wenn zum Beispiel über T1, also die Ortsveränderung, sprich den Transport, 20 Leinwände besorgt werden können, gibt es keine Notwendigkeit zur Produktion von Leinwänden (T2). Oder wenn 20 Keilrahmen aus lokal vorhandenen, verbrauchten Leinwänden gelöst werden können (T2c2), gibt es keine Notwendigkeit für einen Transport dieser Keilrahmen (T2c1). Die einzelnen Tätigkeiten auf selber Ebene im selben Zweig müssen sich aber auch nicht widersprechen: Ein Bedarf nach 20 Keilrahmen kann auch gedeckt werden, wenn die Hälfte aus Leinwänden gelöst (T2c2) und die andere Hälfte neu produziert wird (T2c3).
Je mehr solcher möglichen Commoning-Prozesse es gibt, desto wahrscheinlicher (und tendenziell auch effizienter) ist diese Bedürfnisbefriedigung. Ein Commoning-Prozess kann zum Beispiel heißen: T2+T2b2+(T2c2+T2c3). Das würde bedeuten, dass die 20 Leinwände produziert werden (T2), dafür Leinengewebe neu hergestellt wird (T2b2), ein Teil der benötigten Keilrahmen aus verbrauchten Leinwänden gelöst (T2c2) und ein Teil davon neu hergestellt wird (T2c3). Wäre das der vollständige Commoning-Prozess würde es auch bedeuten, dass etwa die Person, welche Tätigkeit T2 nachgeht, sich den Handtacker und Tackerklammern selbst organisiert hat, genauso wie die Person von T2c3 sich selbstständig um Holzleisten, die Winkelsäge und Nägel gekümmert hat, also kein Bedarf danach vermittelt wurde.
Die Frage ist jetzt: Wann kann mit einem Commoning-Prozess begonnen bzw. wann kann ein spezifischer Commoning-Prozess aktiviert werden? Die einfache Antwort: Wenn alle Bedarfe eines Commoning-Prozesses auf allen Ebenen zuverlässig gedeckt werden können. So lange nicht alle Bedarfe gedeckt werden können, laufen einzelne Tätigkeiten, und damit natürlich auch der gesamte Commoning-Prozess, immer in Gefahr nicht beendet zu werden und die getätigte Arbeit der an einzelnen Prozessen Beteiligten war nicht sinnvoll. Für den Regelfall heißt das somit: Bevor der erste Handgriff gemacht wird, muss klar ersichtlich sein, dass auch der letzte Handgriff gemacht werden kann.
Weiterhin angenommen jede Tätigkeit müsste neu erdacht, die Verfügbarkeit von Mitteln jedes Mal neu geprüft, ein Bedarf jedes Mal neu vermittelt werden usw. usf.; In diesem Fall könnte im Nachhinein festgestellt werden, wie ein Commoning-Prozess aussah, was er verbraucht hat, welche Fähigkeiten benötigt wurden usw. usf. Das alleine hilft allerdings wenig, wenn Commoning effizient gemacht werden soll. Was daher idealerweise benötigt wird ist eine Lösung, wie mögliche Commoning-Prozesse – unabhängig von menschlicher Beteiligung und gleichgültig welcher Komplexität – in dem Moment erstellt werden können, in dem ein Bedürfnis vermittelt wird. Um solche Prozesse herausstellen zu können, müsste der Software zuerst einmal bekannt sein, welche Tätigkeiten es für die Herstellung, Erhaltung und (Orts-)Veränderung bestimmter Mittel gibt und welche Mittel hierfür benötigt werden. Weiter müsste die Software überprüfen können, welche Mittel verfügbar sind oder auch zeitnah verfügbar gemacht werden können – was natürlich voraussetzt, dass die potentiell verwendbaren Mittel mit ihren Meta-Daten (Verfügbarkeitsplanung, Lokalität, Zustand, Menge, etc.) in ein System eingespeichert wurden, auf welche die Software Zugriff hat und Veränderungen dort entsprechend aktualisiert werden. Wäre das aber gegeben, könnte die Software Vorschläge an möglichen Commoning-Prozessen anbieten, deren einzelnen Tätigkeiten sich Personen mit den dafür notwendigen Fähigkeiten zuordnen können – in dem Fall natürlich, dass klar definiert ist, welche Tätigkeiten welche Fähigkeiten verlangen.
Die Grafik zeigt eine vereinfachte Form der Bedarfsprüfung, bei welcher lediglich die Verfügbarkeit der notwendigen Mittel (gelb=verfügbar) abgefragt wird und sich daraus ein möglicher Commoning-Prozess (türkis) ergibt. In welcher Menge das Mittel vorhanden ist, in welcher Reichweite es liegt oder ob es tendenziell schnell erzeugt werden kann, wird daraus nicht ersichtlich. Ebenfalls wird bisher nur die Verfügbarkeit von Mitteln analysiert, wodurch aber noch nichts darüber gesagt wird, ob sich Personen mit den benötigten Fähigkeiten den Tätigkeiten annehmen wollen bzw. werden.
Im weiteren Verlauf dieser Textreihe wird sich mit dieser Möglichkeit der automatischen Prozessgenerierung, Möglichkeiten der freiwilligen Selbstzuordnung und damit der Aktivierung von Commoning-Prozessen beschäftigt. Um hierbei allerdings sinnvolle Aussagen treffen zu können, muss die Struktur des Commonings auf Softwareebene noch sehr viel tiefer durchdrungen werden. Zuerst wird daher auf →Tätigkeitsmuster als Grundbaustein der Methode eingegangen, mit welcher über die Erfassung sinnvoller Tätigkeiten zur Bedürfnisbefriedigung schon eine einfache Analyse möglicher Commoning-Prozesse anhand der Verfügbarkeit von Mitteln möglich wird. Im Kapitel → Qualität und Bewertung von Tätigkeitsmustern wird schließlich die Möglichkeit einer sinnvollen Sortierung dieser an sich zahllosen Tätigkeitsmustern angedacht. Im Verlauf dieser Textreihe werden schließlich die → Fähigkeiten auf Softwareebene anhand von Tätigkeitsmustern definiert und eine tendenziell zeitnahe Bedürfnisbefriedigung* über bestehende und entstehende → Commons auswertbar gemacht. Commons werden auf Softwareebene als auf Dauer angelegte interpersonale Kooperationen definiert, welche zum Zweck der direkten Bedürfnisbefriedigung in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten kontinuierlich nachgehen.
Tätigkeitsmuster
Der Grundgedanke zu Tätigkeitsmustern ist, dass einzelne Tätigkeiten nicht einmalig sind, sondern sich im gesellschaftlichen Kooperationsprozess wiederholen. Im bisher gewählten Beispiel ähneln sich dabei drei Tätigkeiten: Die Ortsveränderung von vorhandenen Leinwänden, die Ortsveränderung von Leinengewebe und die Ortsveränderung von Keilrahmen (jeweils durch einen PKW). Wenn sich auch das zu transportierende Mittel voneinander unterscheidet, ist die Tätigkeit und die notwendige Fähigkeit (einen PKW fahren zu können) immer dieselbe. Durch ein Tätigkeitsmuster soll diese wiederkehrende Tätigkeit einheitlich festgehalten werden. Das Tätigkeitsmuster ist dabei der konstruierte Rahmen einer konkreten Tätigkeit, welche darin beschrieben wird.
Definiert wird ein solches Tätigkeitsmuster dabei nicht durch die Tätigkeit selbst, sondern durch die Bedarfe einer Tätigkeit, der dafür notwendigen Fähigkeiten und das Resultat des Prozesses – also entweder ein erzeugtes/(orts-)verändertes/erhaltenes Mittel oder eine direkte Bedürfnisbefriedigung. Die einzelnen Tätigkeitsmuster werden miteinander verbunden, indem ein spezifischer Bedarf immer das Resultat eines nachfolgenden Tätigkeitsmusters ist. Hierdurch wird eine Tätigkeit, welche durch ein Tätigkeitsmuster beschrieben wird, zu einem Baustein im Kooperationsprozess des Commonings. Und weiter gedacht kann jeder einzelne Commoning-Prozess auf Re-Produktionsebene durch verschiedene Kombinationen aus Tätigkeitsmustern beschrieben werden. Die Ebene der sozialen Prozesse – wie also Menschen miteinander umgehen und etwa Konflikte untereinander klären können – wird dadurch nicht bestimmt.
Bisherige Tätigkeitsmuster sind z.B.: „Herstellung einer Leinwand mit einem Handtacker, Leinengewebe, Keilrahmen und Tackerklammern“ (T2), „Herstellung von Keilrahmen aus verwendeten Leinwänden“ (T2c2) oder „Ortsveränderung durch einen PKW und Treibstoff“ (T1, T2b1, T2c1). Anmerkung: Die „Ortsveränderung“, sprich: der Transport, ist dabei ein Sonderfall, da das Mittel, welches aus dem Prozess hervorgeht, gleich einem Mittel ist, welches für den Prozess benötigt wird (z.B. M2b=M2b1a).
Wie entsteht ein solches Tätigkeitsmuster? Angenommen eine Person vermittelt ein Bedürfnis bzw. über die Software wird automatisch ein Bedarf vermittelt, und eine Person nimmt sich diesem Bedürfnis* an. In dem Fall, dass es kein Tätigkeitsmuster gibt, welches die Person, welche sich dem Bedürfnis annimmt, als für sich sinnvoll zur Befriedigung betrachtet, dann muss sie überlegen, wie sie aus ihrer eigenen Erfahrung heraus das Bedürfnis* befriedigen* würde. Findet sie eine Möglichkeit, kann sie dieser nachgehen. Wird das vermittelte Bedürfnis* anschließend als befriedigt* gekennzeichnet, gilt die aus eigener Erfahrung heraus angegangene Tätigkeit als prinzipiell sinnvoll im Prozess zur Bedürfnisbefriedigung. Die Person, welche der Tätigkeit nachgegangen ist, kann daher ein Tätigkeitsmuster erstellen, ihre Tätigkeit darin beschreiben und definieren, welches Bedürfnis* dadurch befriedigt* wird und welche Mittel dafür notwendig sind. Das so erstellte Tätigkeitsmuster wird so dem Tätigkeitsmusterspeicher hinzugefügt, in welchem sämtliche Beschreibungen von Tätigkeiten, welche jemals im Prozess zur Bedürfnisbefriedigung sinnvoll waren, gesammelt sind.
Steht dasselbe Bedürfnis* ein weiteres Mal an, kann die neu beschriebene Tätigkeit – neben allen anderen Tätigkeitsmustern mit demselben Resultat – abgerufen werden und eine Person, welche diese als sinnvoll zu dieser bestimmten Bedürfnisbefriedung* ansieht, kann es innerhalb eines anderen Commoning-Prozesses verwenden. Falls ein bestehendes Tätigkeitsmuster verwendet wird, braucht es hier zusätzlich die Möglichkeit, dass Beschreibungen verbessert werden bzw. Alternativversionen angelegt werden können. Zur Qualität eines einzelnen Tätigkeitsmusters kann an dieser Stelle allerdings noch keine Aussage getroffen werden.
Anmerkung 1: Die Beschreibung von Tätigkeitsmustern ist in dieser Textreihe nicht von Anfang an vollständig. Besonders der relevante Teil der dafür notwendigen Fähigkeiten wird an dieser Stelle noch ausgeblendet und im dritten Teil näher behandelt.
Anmerkung 2: Was einem Tätigkeitsmuster heute sehr ähnlich kommt, sind die einzelnen Artikel auf wikihow.com. In Text-, Bild und Videoformat teilen auch hier Personen freiwillig und unter Creative-Commons-Lizenz ihre Lösungen zu immer wiederkehrenden Problemen. Damit eine solche Tätigkeitsbeschreibung ein Tätigkeitsmuster werden kann, braucht es einerseits eine genaue Bestimmung der verwendeten Mittel und des hervorgehenden Resultates und die Tätigkeit müsste sich mindestens einmal erfolgreich in einem Commoning-Prozess integriert haben.
Qualität und Bewertung von Tätigkeitsmustern
Je besser eine bestimmte Tätigkeit Bedürfnisse befriedigen kann und je weniger neue Bedürfnisse durch diese Tätigkeit entstehen, desto höher ist die Qualität des entsprechenden Tätigkeitsmusters. Hier allerdings müssen zwei Qualitäten unterschieden werden: Die sinnlich-vitale Qualität einer Tätigkeit und die Prozessqualität. Die sinnlich-vitale Qualität des Tätigkeitsmusters ist dabei umso höher, je vollständiger und dauerhafter das Resultat der Tätigkeit das Bedürfnis befriedigt bzw. den Bedarf deckt. Die Prozessqualität ist schließlich umso höher, je weniger neue Bedürfnisse (z.B. durch körperliche und geistige Anstrengung), je weniger neue Bedarfe (z.B. durch Verbrauch von Mitteln) entstehen und je weniger Zeit die Tätigkeit in Anspruch nimmt. Einen Teil der Prozessqualität macht die Kontextrelevanz aus. Durch diese wird keine allgemeingültige Aussage über das Tätigkeitsmuster getroffen, sondern diese verändert die Prozessqualität des Musters an dem Ort bzw. zu der Zeit, an welchem es angewendet werden soll. Die Kontextrelevanz richtet sich nach der lokalen Verfügbarkeit der für die Tätigkeit notwendigen Mittel und der Gesamtzahl lokaler Commoning-Prozesse, in welche sich die einzelne Tätigkeit integrieren kann.
Die Bewertung der sinnlich-vitalen Qualität (svQ) geschieht dabei nicht über diejenigen, welche am entsprechenden Prozess tätig sind, sondern über diejenigen, welche das Resultat verwenden bzw. deren Bedürfnis direkt über den Prozess befriedigt wird. Da diese allerdings nicht unbedingt wissen, aus welchen Prozess das Resultat hervorgegangen ist, erfolgt die Bewertung der sinnlich-vitalen Qualität eines Tätigkeitsmusters über den Umweg, dass die Beschaffenheit eines Mittels bewertet wird, welches selbst schließlich auf das Muster verweist, aus welchem es resultiert.
Die Bewertung der Prozessqualität (Pq) erfolgt dagegen auf drei verschiedene Weisen: 1. Durch eine Bewertung der am Prozess beteiligten Personen. 2. Durch eine Analyse des Kontextes, in welchem das Muster angewendet werden soll. 3. Durch eine Analyse der Gesamtheit damit in Verbindung stehender Tätigkeitsmuster.
Zu 1.: Personen, welche sich der Tätigkeit angenommen haben, können bewerten, wie körperlich bzw. geistig erschöpfend die Tätigkeit war und wie viel Zeit die Tätigkeit in Anspruch genommen hat. Weitere Kriterien können etwa sein, als wie nachhaltig die Tätigkeit wahrgenommen wird, wie sinnvoll die Tätigkeit für die eigene Entwicklung war, etc. Die Prozessqualität ist allgemeingültig für jedes Muster, jedoch sollten Anwender*innen bei ihrer Auswahl Kriterien ein- und ausblenden können. Wichtig für diese Bewertung ist dabei die Abstrahierung von den sozialen Prozessen, in welche die Tätigkeit eingebettet war und damit die Fokussierung auf die konkrete Tätigkeit selbst.
Zu 2.: Der zweite Aspekt der Prozessqualität ist seine Kontextrelevanz. Die Kontextrelevanz selbst setzt sich wiederum aus der lokalen Verfügbarkeit der für den Prozess notwendigen Mittel und dem Maß an Integrierbarkeit einer konkreten Tätigkeit in verschiedene lokale Commoning-Prozesse zusammen. Während die Integrierbarkeit innerhalb der Software selbst nur durch die Kenntnis der Lokalität von Bedürfnissen und Bedarfen erfasst werden kann, muss zur Verfügbarkeitsprüfung der Mittel die Datenbank dieser Mittel samt ihren Meta-Daten (Ort, Menge, Reservierungen, Zustand, etc.) regelmäßig gepflegt und aktualisiert worden sein. Ist das gegeben, kann die Kontextrelevanz automatisch berechnet werden.
Zu 3.: Je vollständiger der Re-Produktionsprozess einer Gesellschaft über Tätigkeitsmuster beschrieben werden kann, desto genauer kann aus dem Bedarf eines bestimmten Tätigkeitsmusters heraus geschlossen werden, welche Anstrengungen im Allgemeinen notwendig sind, um diesen Bedarf decken. Der Aspekt der Bedarfsanalyse innerhalb der Prozessqualität ist dabei in dem Sinne allgemeingültig, dass er sich nicht auf die materiellen Verhältnisse im lokalen Raum bezieht, in welchem das Tätigkeitsmuster angewendet werden soll. Da die Anstrengungen zur Bedarfsdeckung sich aber durch klimatische, politische, kulturelle, etc. Gegebenheiten selbst lokal unterscheiden und je nachdem bestimmte Tätigkeitsmuster zu bestimmten Bedarfsdeckungen häufiger angewendet werden, hat auch dieser Aspekt der Prozessqualität eine lokale Abhängigkeit (näher hierzu: → Prozessanalyse II).
Was aber hat es mit der Qualität von Tätigkeitsmustern auf sich? Da im Commoning weder die Software noch eine andere Instanz Menschen zuteilen kann, hilft die Musterqualität bei einer Vorauswahl von möglichen Tätigkeiten, einer Sortierung, für diejenigen, welche sich in Re-Produktionsprozesse einbringen wollen. Das Ziel ist es, dass Anwender aus den potentiell unbegrenzten Möglichkeiten des sich-Beteiligens, die Tätigkeiten zuerst vorgeschlagen bekommen, welche einerseits zu ihren jeweiligen Interessen und Fähigkeiten passen und anderseits sinnvoll für den Gesamtprozess der gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung sind. Welchem Muster sich also eine tätig werdende Person annimmt liegt dabei außerhalb des Einflusses der Personen, welche Bedürfnisse vermittelt haben. Die Selbstauswahl der Tätigkeit ist das bestimmende Moment dieser Produktionsweise.
Wichtig ist schließlich, dass die verschiedenen Qualitäten quantifiziert, also als Zahlen dargestellt werden können. Auch wenn es bei der Softwareentwicklung selbst Sinn ergeben kann, die Qualitäten genauer aufzuschlüsseln, werden sämtliche Aspekte der Prozessqualität und der sinnlich-vitalen Qualität im weiteren Verlauf der Textreihe als Wert zwischen 0 und 1 beschrieben. Dieser Wert wird als allgemeine Qualität verstanden und gibt den Durchschnittswert von beiden Qualitäten an. In der Entwicklung selbst kann es Sinn ergeben, einen anderen Schlüssel zur Ermittlung der allgemeinen Qualität anzuwenden.
Schlussbemerkung
Der dritte Teil der Reihe dreht sich um die Kategorie der „Fähigkeiten“ und einer Gewichtung von Tätigkeiten nach anstehenden Bedürfnissen. Wer sich jetzt schon mit den eigenen Fähigkeiten in die Softwareentwicklung und alles dies Betreffende einbringen möchte, kann sich auf unserer Discourse-Instanz einbringen: https://meta.allmende.io/c/transcomm/
Vielleicht liege ich daneben, aber soweit ich
dieses Modell für „transpersonales Commoning“ verstanden habe, wird hier in
eine Fachsprache übersetzt, was ich anderswo versucht habe in Allgemeinsprache
darzustellen, wobei es legitim ist, Sachverhalte in beliebige Fachsprachen zu
übersetzen, sofern damit neue Adressaten erreicht werden.
Anderswo ist das: „Kommune Bochum“: https://marx-forum.de/Forum/index.php?thread/121-kommune-bochum-mein-modell-einer-solidarischen-und-bedarfsgerechten-planwirtscha/
Gruß Wal
Hallo Wal. Also ich kannte deinen Text zuvor nicht, aber würde von meiner Seite aus sagen: Ein ähnliches Ziel, aber eine ganz
andere Struktur, welche sich aus den einzigartigen Möglichkeiten des
Internets und den Zugriffsmedien daraus ergibt.
Um meine Perspektive stichpunktartig zu verdeutlichen:
Diese „kommunale Rechenstelle“, sofern sie als mit Menschen besetzt gedacht wird, soll vollständig vermieden werden. Ein Grund dafür ist die mangelnde Transparenz der anstehenden Bedürfnisse, dass also nicht potentiell jeder herausfinden kann, was es gerade zu tun gibt bzw. dass diese Transparenz auch nur über die Rechenstelle vermittelt wäre. Das meine ich, ist heute, durch das Internet, nicht mehr notwendig.
Da wäre für mich wieder die Frage, was dieses „gemeinsam“ bedeutet. In dem beschriebenen Softwarekonzept gibt es nicht die Vorstellung von Räten o.ä. welche gemeinsame Entscheidungen treffen müssen. Auch das ist wieder nur dadurch möglich, dass die Verfügbarkeit, Lokalität, aktuelle Verwendung etc. von potentiell zur Bedürfnisbefriedigung anwendbaren Mitteln transparent ist und selbstständig Prozessen zugeordnet werden können – was wiederrum auch erst über das Internet möglich geworden ist.
Was ich jetzt beim Überfliegen nicht gesehen habe: Wer nimmt sich in deinem Konzept dann den notwendigen Aufgaben an? Sind die Personen z.B. vertragsmäßig in den Genossenschaftsbetrieben verpflichtet und unterstehen damit den gemeinsam gesetzten Aufgaben? Wenn das so ist – wofür es gute Gründe gibt – exisitiert hier auch noch ein gewaltiger Unterschied zum Softwarekonzept, bei welchen sich selbst Tätigkeiten zugeordnet wird, welche sich eben aus der Prozessanalyse ergeben.
Aber das jetzt wirklich nur angerissen.
okay, ich ging vielleicht von breiteren Überschneidungen aus als du. Vielleicht liegen die unterschiedlichen Schwerpunkte auch in unseren verschiedenen Vorkenntnissen und Vorerfahrungen. Ich bin kein Informatiker oder Software-Ingenieur, sondern (umgeschulter) Werkzeugmacher mit Berufserfahrung in der Metallverarbeitung. Ich bin aber auf jeden Fall dafür, dass die Leute möglichst viel ausprobieren, auch das „transpersonale Commoning“.Gruß Wal
Ich bin genauso weder Informatiker noch studierter Geisteswissenschaftler, sondern gelernter Elektroniker und Medienschaffender – auf eine Weise treffen wir uns also ganz gut 🙂
Und auch deinen letzten Satz kann ich nur unterstützen. Wir müssen einfach etwas finden (und schließlich verbreiten), das der kapitalistischen Produktionsweise ihre Notwendigkeit nimmt.