Demonetize: Die Kernidee
[Bisher erschienen: Einleitung]
1. Was ist die Kernidee von Demonetarisierung?
Geld ist das Problem
Die Zielperspektive der Demonetarisierung besteht darin, uns von Geldverhältnissen zu befreien: Für eine bessere Gesellschaft sind der Markt und das Kaufen und Verkaufen erheblich einzuschränken und schließlich abzuschaffen. Dies ist nur möglich durch bewusste und partizipative Formen der Kooperation.
Die theoretische Perspektive der Demonetarisierung gründet letztlich auf den Analysen von Karl Marx, ergänzt und verändert jedoch durch feministische und ökologische Blickwinkel. Eine grundlegende Einsicht des Ansatzes lautet, dass Geld, Tausch und Wert historische soziale Formen darstellen: Es handelt sich dabei um Produkte einer Gesellschaft und nicht um unabänderliche Tatsachen. Sie erscheinen bloß als solche, weil sie sich durch unsere individuelle Sozialisation und in unser Alltagsleben tief eingeschrieben haben. Verabschieden wir uns von Geldverhältnissen, so gibt es fraglos eine Reihe von Ansätzen, aus denen wir wählen können, um Ressourcen zu teilen, Arbeiten zu planen, Produkte zu verteilen und Entscheidungen zu treffen. Die Visionen einer geldfreien Gesellschaft sind vielfältig. Sie enthalten Konzepte wie die Commons, die Peer-Produktion, die Arbeiter_innen-Selbstverwaltung, die Stigmergie („Selbst-Auswahl“) und die freiwillige Kooperation ebenso wie die Geschenkökonomie und die solidarische Ökonomie.
Während Demonetarisierung als solche eng definiert ist, schätzen deren Vertreter_innen die Folgen recht unterschiedlich ein. Auch in normativen Fragen, die das Verständnis von Freiheit und Glück betreffen, die Vorstellung einer ethisch gerechten Gesellschaft und die Frage, welche Methoden des Übergangs legitim, effektiv oder machbar sind, besteht keine Einigkeit.
Demonetarisierung zielt auf eine Alternative zum Tausch sogenannter Äquivalente (von Wertgleichem) im Allgemeinen und zur Idee eines gemeinsamen Wertstandards ab. Die Argumente für eine Demonetarisierung teilen als gemeinsame Annahme, dass Geld und der Tausch von Äquivalenten (Märkte) das Potenzial einer Gesellschaft, die Bedürfnisse aller zu befriedigen, limitieren – im Gegensatz zu vielen Bewegungen, die Geld als neutrales Medium eines freien Austauschs sehen.
Märkte, Geld und Wachstum sind nicht voneinander zu trennen
Gesellschaftliche Bedürfnisse streben danach, das Produktionspotenzial auszuschöpfen, während es von anderen Faktoren – wie der begrenzten Verfügbarkeit von Rohstoffen, Technologien und Wissen sowie sozialen oder politischen Regulierungen – eingeschränkt wird. Wieviel produziert wird, unter welchen Arbeitsbedingungen sowie die Art der Produkte werden in einer Marktwirtschaft von der Kaufkraft der Konsumierenden bestimmt und von den Profiterwartungen der Unternehmenseigner_innen. Konkrete menschliche Bedürfnisse zu erfüllen, ist dann nicht das Hauptziel oder -kriterium des Erfolgs. Hunger, Wohnungslosigkeit, sozialer Ausschluss, psychische Frustration und anderes menschliches Leiden stehen nicht im Widerspruch zu einer monetarisierten Produktion. In vielen Fällen sind die materiellen und technologischen Ressourcen vorhanden, die notwendig wären, um solches Leiden – wie Hunger und vermeidbare Krankheiten – zu verhindern. Doch ist der Markt nicht in der Lage, diese Ressourcen bereitzustellen, weil die Menschen, denen diese Ressourcen nützen würden, nicht über das nötige Geld verfügen. Diese Art von Leiden ist ein unausweichliches Ergebnis einer monetarisierten Produktion, in der jene, die investieren, darüber bestimmen, was, wie und für wen produziert wird. Produktion findet nur statt durch jene, die Geld haben, und nur für jene, die Geld haben und den Wunsch, etwas zu kaufen – nicht auf der Basis realer Bedürfnisse.
In einer monetarisierten Welt ist darüber hinaus das Bedürfnis, Geld zu verdienen, „Geld zu machen“, Geld auszugeben und Einnahmen und Ausgaben in der Waage zu halten, entscheidend für unser Gefühl von Selbstwert und für unseren individuellen Status. Die Konkurrenz ist eine notwendige Eigenschaft eines freien Marktes; die darin Agierenden erzeugen Produkte nicht zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse, sondern sie sind Angestellte in privaten Firmen, die für den Verkauf und mit dem Ziel, Profit zu machen, produzieren. Ökonomische Krisen, Währungs- und Finanzkrisen sind eng mit dem Mangel an Koordination zwischen Produktion und Verteilung in einer monetarisierten Ökonomie verbunden: Dass ein Produkt hergestellt wurde, heißt nicht, dass es sich verkaufen wird. Die systematische Überproduktion führt in Marktwirtschaften zur Vergeudung von Ressourcen ebenso wie zu Bedürfnissen, die nicht befriedigt werden. Zugleich bedingt sie Zusammenbrüche, sei es von einzelnen Unternehmen, ganzen Wirtschaftssektoren oder Volkswirtschaften. Diese und damit verbundene sogenannte „Umbrüche“ und „Innovationen“ schlagen unsichtbare Wunden in das soziale Gewebe, die nur selten heilen. Auch zerstören sie die allgemeine Planungssicherheit sowie kulturelle Traditionen.
Aufgrund der monetären Bewertung und Bilanzierung des gesamten Prozesses der Produktion ist das Management in erster Linie damit beschäftigt, das eigene Einkommen zu optimieren – ungeachtet der damit verbundenen ökologischen und sozialen Folgen. Daher ist in einer monetarisierten Ökonomie Postwachstum als bewusste und sozial legitime Reduktion von Material- und Energiedurchsatz sowie ökonomischer Aktivität schwer vorstellbar, denn dies würde massive finanzielle Verluste nach sich ziehen. Gleichwohl ist Postwachstum in den fortgeschrittenen Ökonomien dringend notwendig, um eine nachhaltige Nutzung der limitierten Ressourcen des Planeten zu gewährleisten.
Die genannten Kritiken und Probleme treffen auf jede (mögliche/zukünftige) Gesellschaft zu, die auf einem System monetären Tausches (also einer Marktwirtschaft) beruht. In einer Marktwirtschaft hängt alle Produktion ab vom Kapital. Es macht keinen Unterschied, ob dieses Kapital durch Kredit bereitgestellt wird, mit oder ohne Zinsen, ob es vom Staat verwaltet wird, von privaten Unternehmen oder durch Kooperativen, oder ob es in einer Lokalwährung, einer nationalen Währung oder durch eine Weltwährung ausgedrückt wird. Gesellschaftliche Bedürfnisse werden hier wie dort ignoriert, Konkurrenz führt zu Überproduktion und Krise. Postwachstum würde zu einem finanziellen Verlust führen, der die Produktion selbst bedrohen würde. Nur eine demonetarisierte Gesellschaft ist zu Postwachstum fähig.
Visionen einer geldfreien Wirtschaft
Die Idee, das Geld abzuschaffen, ist nicht neu. Innerhalb der sozialistischen Bewegungen haben sowohl Marxist_innen als auch Anarchist_innen eine Wirtschaft ohne Geld und Tausch propagiert, ebenso wie die Zeitgeist-Bewegung heute. Sie verwendeten jedoch nicht den Begriff Demonetarisierung. Heute begünstigen beispielsweise freie und Open-Source-Software-Projekte das freie Teilen – anstelle von Tausch und monetärem Gewinn –, ohne sich als demonetaristisch zu bezeichnen. Jene, die das Label Demonetarisierung verwenden, zielen darauf ab, Geld und Tausch wieder in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken – beispielsweise indem ein Sozialismus ohne Markt gegenüber einem Marktsozialismus vertreten wird oder indem gelebte Alternativen der Demonetarisierung hervorgehoben werden.
Es gibt keine einheitliche Vision einer geldfreien Wirtschaft – wie sie aussehen und funktionieren könnte –, da Demonetarisierung vor allem eine diskursive Intervention darstellt und kein Wirtschaftssystem. So plädieren beispielsweise Anarcho-Kommunist_innen, die ihre Theorie auf Arbeiten von Peter Kropotkin, Errico Malatesta und Mikhail Bakunin gründen, dafür, Geld durch eine agro-industrielle Föderation zu ersetzen, die auf freiwilliger Kooperation zwischen den Produzierenden basiert, um gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. Ideen der Arbeiter_innen-Selbstverwaltung und rechenschaftspflichtige Systeme der Delegierung sind für diesen Ansatz entscheidend. Die Open-Source-Bewegung hingegen verfügt über keine revolutionäre Vision – wir können aber durchaus visionäre Tendenzen ableiten. So könnte eine Commons-basierte Peer-Produktion verallgemeinert werden, indem das Konzept der Stigmergie genutzt würde, um Arbeit zu verteilen. Auch die Geschenkökonomie als Wirtschaftsform, die von Gesellschaften und Gruppen damals wie heute umgesetzt wird, kann die Grundlage eines geldfreien wirtschaftlichen Systems oder eine Ergänzung dazu liefern. Die meisten Visionen von Demonetarisierung weisen Zwangsmethoden zurück und schlagen Lösungen jenseits des Staates vor. Was die richtige Balance zwischen kollektiven und individuellen Freiheiten in einer demonetarisierten Gesellschaft anbelangt, bestehen gleichwohl Meinungsverschiedenheiten.
Das unbestrittene Kennzeichen und Grundprinzip einer demonetarisierten Wirtschaft jedenfalls ist eine Produktion für den Gebrauch anstelle des Profits. Das bedeutet, dass bei Produktionsentscheidungen ökologische Faktoren beachtet werden können. Ebenso bedeutet es, dass Überproduktion vermieden wird, da die Produzierenden miteinander kooperieren, um die Nachfrage auf Grundlage menschlicher Bedürfnisse zu decken. Eine demonetarisierte Wirtschaft erlaubt außerdem, die Gesamtarbeitszeit der Menschen zu verkürzen. Denn sie werden nicht mehr das Bedürfnis haben, so viel Geld wie möglich zu verdienen, um sich sicher oder besser als andere zu fühlen. Kurz gesagt: Eine demonetarisierte Gesellschaft wird sich vom Wachstumsimperativ verabschiedet haben.
Demonetarisierung – ein Querschnittsthema
Die Notwendigkeit oder der Nutzen einer Demonetarisierung wird verschiedenartig begründet. Häufig werden Gender-Verhältnisse und das strukturelle Patriarchat hervorgehoben, das zwei Sphären der Gesellschaft voneinander trennt: ein mit dem Konstrukt „Frau“ und „Weiblichkeit“ verbundener nicht monetärer Sektor, ein mit „Mann“ und „Männlichkeit“ verbundener monetärer Sektor. Es wird also argumentiert, dass die Geldwirtschaft eng mit der Geschlechter-Zweiteilung verbunden ist. Die Geldwirtschaft benötigt demnach den Haushalt und die Sorgeökonomien, die weiblich konnotiert und Frauen – biologistisch als solche definiert – aufgezwungen werden. Dabei werden Haushalt und Sorgeökonomien beherrscht, ausgebeutet und entwertet.
Alternativ wird der Schwerpunkt auf das Potential menschlicher Ausdrucksfähigkeit gelegt, die durch die Geldwirtschaft begrenzt wird: beispielsweise durch den Zwang, Erfindungen zu kommerzialisieren, anstatt unsere Kreativität frei zu teilen und unsere Wünsche nach Kooperation, Sinnlichkeit und Freude am Leben (nicht an bezahlter Arbeit) zu erfüllen. Wieder andere fokussieren Umweltfragen, die mit der Postwachstumsdebatte verbunden sind. Und zeitgenössische „Nicht-Markt-Sozialist_innen“ verbinden die sozialen und ökologischen Grenzen und Ineffizienzen des Marktes, um für eine Gesellschaft jenseits von Geld zu argumentieren.
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