Kapitalistische Keimzellen? – Bemerkungen zu Defiziten der Commons

Ich werde versuchen, auf einige Fehlentwicklungen in den Keimformen hinzuweisen. Die Gemeinschaften der Peerökonomie scheitern daran, einen Kurs in eine nicht-kapitalistische Ökonomie einzuschlagen. Die Gründe dafür sind, dass ihre Theorie keinen prinzipiellen Widerspruch zwischen der commonistischen und der kapitalistischen Ökonomie erkennt, eine Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln nicht vorsieht und eine Überwindung der Herrschaft einer Klasse und des Staates nicht anstrebt. Entsprechend fehlt auch eine revolutionäre Praxis. Eine Kritik der Commons scheint mir angebracht, weil die Commons als emanzipatorische Bewegung in den dominierenden kulturellen Modus unserer Zeit eingepasst sind. Diese Bewegung ist zu aussichtsreich geworden, um über ihre Nachlässigkeiten noch hinwegzusehen. Derzeit dürfte mit den Commons eine alternative Ökonomie gedacht und praktiziert werden, die das Potenzial hat, revolutionären Charakter anzunehmen.

Mit Marx begann die Erforschung einer möglichen ökonomisch-sozialen Transformation im Hinblick auf die bewusste Überwindung des Kapitalismus. Wir können die Commons den kapitalistischen Gemeinschaften im Feudalismus gegenüberstellen, um Erkenntnisse über Transformationspfade zwischen Gesellschaftsformen zu gewinnen. Eine Untersuchung würde darüber Aufschluss geben, welche Rolle den Commons zukommt und ob sie eine Transformation zum Sozialismus – einer Übergangsgesellschaft mit dem Kommunismus als Ziel – begonnen haben und wie sie sie vollziehen können.

In „The Transition to Socialism“ (aus Sweezy und Bettelheim 1972) skizziert Sweezy die Ursprünge des Kapitalismus, um daraus Lehren für eine mögliche sozialistische Revolution zu ziehen. Die Keimformen der Commons weisen zu den aufkeimenden Zentren des Kapitalismus des 15. Jhs. innerhalb des Feudalismus einige Ähnlichkeiten auf: Sie

  • sind lokal begrenzt, koexistieren mit der sie umgebenden Ökonomie;
  • konzentrieren sich auf gewisse Sparten der Produktion;
  • korrespondieren mit einer neuen Denkweise bei ihren Befürwortern und Beteiligten;
  • ringen mit der alten Ökonomie, erfahren teils Siege, teils Niederlagen;
  • stehen in Konkurrenz mit der alten Produktionsweise.

Die heutigen Keimformen unterscheiden sich jedoch auch in wesentlichen Aspekten. Die kapitalistischen Zentren stritten mit den etablierten feudalen Kräften um die Vorherrschaft im Staat und um die richtige Herrschaftsmethode. Eine Klasse trat an, eine andere als herrschende Klasse abzulösen und obsolet zu machen, was nach Jahrhunderten der Verbreitung und Festigung der kapitalistischen Strukturen gelungen ist. Der Kapitalismus wurde zudem im Schoß des Feudalismus vorbereitet. Beide Ökonomien existierten nebeneinander und standen in keinem fundamentalen Widerspruch. Beide beförderten die Bereicherung einer Klasse durch die Unterjochung einer anderen.

Die Transformation zum Sozialismus wird, nach Sweezy, nicht in einer ähnlichen Weise erfolgen können. Betrachtet man die gescheiterten Sozialismusversuche des 19. Jhs., Kommunen, die eine sozialistische Produktion als Alternative in einer kapitalistischen Umwelt zu etablieren suchten, wird klar, dass es nicht unbedingt erfolgversprechend ist, die „keimförmigen“ Ursprünge des Kapitalismus zu adaptieren. Ursächlich für den Misserfolg war der fehlende Beitrag jener Kommunen zum herrschenden System. Anders als kapitalistische Keimformen waren die sozialistischen den Zwecken der bestehenden Ökonomie diametral entgegengesetzt. Sie konnten mit dem Kapitalismus in keinem Bereich konkurrieren. Diese Beobachtungen deuten auf eine grundsätzliche Unvereinbarkeit sozialistischer Gemeinschaften mit dem Kapitalismus, auf einen tiefen Antagonismus zwischen diesen ökonomischen Systemen, hin.

Für die heutigen Keimformen ergibt sich ein anderes Bild. Sie sind eine konkurrierende Alternative zur kapitalistischen Produktionsweise, jedenfalls im Sektor der Informationsproduktion im weitesten Sinne. Die Innovationen der Informationstechnologie ermöglichen es seit einigen Jahren, dass Information dezentral mit geringem Aufwand kopiert werden kann. Weil dadurch die Exklusivität aller digitalen Informationsgüter angreifbar geworden ist, kann Information immer schwieriger kapitalistisch, als Ware, produziert werden. Die Keimformen machen dem Kapitalismus aber auch insofern Konkurrenz, als sie selbst kapitalistisch agieren. Die Gefahr besteht, dass in den Keimformen die kapitalistische Ausbeutung wieder eingeführt wird. Aufgrund einer innovativeren Produktionsweise könnte sie in manchen Projekten sogar effizienter und aggressiver auftreten als außerhalb.

Die Rolle und das Ziel der Keimformen bei der Umgestaltung der Ökonomie der Gesellschaft sind überhaupt recht ungewiss. Bewirkten die kapitalistischen Keimzellen im Feudalismus noch einen Umbau der Klassenstruktur, so ist eine entsprechende Ausrichtung bei den aktuellen Keimformen nicht zu erkennen. Wollten die Keimformen in eine nachkapitalistische Gesellschaft überleiten, so müssten sie im Klassenkampf für das Proletariat Partei ergreifen. Im Unterschied zu vergangenen Transformationen ist jetzt das Streben nach einer beherrschenden Stellung keine verfügbare Option, da nur noch die eine herrschende Klasse des Kapitals übrig ist. Entweder diese kapitalistische Klassengesellschaft wird fortgeschrieben oder das Proletariat entscheidet den Kampf für sich und eine klassenlose Gesellschaft bahnt sich an. Eine dritte Möglichkeit kann es logischerweise nicht geben.

Die Keimformen folgen anscheinend der ersten Möglichkeit. Sie fügen sich relativ reibungslos in den Kapitalismus ein. Unwissentlich fällt ihnen die Funktion zu, den krisenhaften Kapitalismus zu stärken und zu erneuern. Folgende Beobachtungen über die Keimformen stützen diese These:

  • Die Geldlogik wird in den Commons beibehalten. In Commons wird investiert, sie beziehen Spenden. Sie kaufen und verkaufen Güter in ihrem kapitalistischen Umfeld.
  • Die Commons produzieren teilweise Waren für den Markt. Das impliziert eine kapitalistische Ausrichtung ihrer Produktionsweise.
  • Die Commons problematisieren den Staat und seine Gewalt nicht.
  • Die Aufhebung des Eigentums, mithin die Enteignung der Kapitalistenklasse, ist nicht vorgesehen.
  • Der gegenwärtige Klassenkampf durch das Kapital und ein mögliches Einschreiten der Commons werden nicht thematisiert.

Die Keimformen der Peerökonomie verbreiten tatsächlich ein neuartiges Bewusstsein der Kooperation und der wertfreien Informationsproduktion. Jedoch ist sehr fragwürdig, ob diese Gedanken einen antikapitalistischen Fortschritt markieren. Wie gezeigt, stellen die Keimformen die kapitalistische Logik nicht fundamental infrage. Eine gewisse Kontinuität mit den Praktiken des Neoliberalismus (Überblick über seine Ideologie und Wirklichkeit in Harvey 2005) und eine Affinität mit der kapitalistischen Ökonomie sind nicht von der Hand zu weisen. In vielen Commons wird unter (selbst-)ausbeuterischen Bedingungen gearbeitet. Die Commons kommen dem neoliberalen Ideal der deindustrialisierten, ausgelagerten, unkoordinierten, handwerklichen Produktion durch ein Prekariat aus digitalen Nomaden sehr nahe. Der Kapitalismus selbst wirft Proletarier in solche prekären Arbeitsbedingungen. Die Grenze zwischen der eine neue Gesellschaft antizipierenden Peerproduktion und einem sich ständig neu erfindenden Kapitalismus verschwimmt immer mehr.

Die angeblich revolutionären Ideen der Commons, wonach die ubiquitäre Reproduzierbarkeit von Information im Widerspruch mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen stünde und diese sprengen könnte, werden plötzlich vom Kapital aufgegriffen und zu Geschäftsmodellen. Diese Entwicklung kommt m. E. nicht unerwartet. Einerseits berühren die Commons nur den Sektor der Informationsproduktion. Weil sie das Problem des Eigentums an Produktionsmitteln nicht angehen, weisen sie keine nennenswerten Erfolge in der materiellen Produktion vor und können somit in diesem Bereich den Kapitalismus auch nicht ersetzen. Andererseits wurde die Entwicklung, in die sich die Commons einfügen, lange vorbereitet. Die „Kulturrevolution“ der Postmoderne – losgetreten vor bald 40 Jahren –, die zugehörige Reform des Kapitalismus, der Neoliberalismus, sowie die (bis heute fortschreitende) Digitalisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche haben einen Wandel in Kultur und Bewusstsein vorbereitet. Die Kinder dieser inzwischen abgeschlossenen Epoche, prototypisch vom „Digital Native“ verkörpert, finden heute in der aktuellen kulturellen Dominante des Digimodernismus (Kirby 2009) ihre geistige Heimat. Die postmoderne kritische Distanz gegenüber „Metaerzählungen“ ist im Digimodernismus gewendet worden: Sie ist einem Minimalkonsens der infantilen Ernsthaftigkeit gewichen, der nur gelten lässt, was subjektiv-emotional oder intersubjektiv-konsummäßig real ist bzw. als real inszenierbar (scripted reality) ist.1 Die besonderen Ideen der Commons sind mit den allgemeinen Ideen des Digimodernismus kompatibel. Bisweilen übernehmen die Commons bloß Lebensstile, die sie nicht erfunden haben und die in der Gesellschaft schon verbreitet waren, wie etwa die Vernetzung von Peers zur Informations(re)produktion. Insofern bewegen sie sich im Rahmen der Gewaltverhältnisse, die sich die herrschende Klasse als „Recht und Gesetz“ kodifiziert hat. Es gibt zwar, besonders in Deutschland, ein strenges Urheberrecht, doch ein Gesetz gilt de facto nur, solange es durchsetzbar ist.

Angesichts dieser Konformität der Commons stellt sich die Frage, welchen revolutionären Beitrag die Commons überhaupt leisten können oder wollen. Ihr Selbstbild als kapitalismuskritische Keimformen einer kommenden Ökonomie der Fülle blamiert sich an ihrer konformistischen und bisweilen offen kapitalistischen Praxis. Wie die Commons die Peerökonomie auf alle Produktionszweige ausdehnen wollen, wenn schon die Informationsproduktion trotz des reduzierten Warencharakters von Information immer noch (und z. T. wieder) kapitalistisch organisiert wird, lassen sie unbeantwortet. Da sie sich dem Klassenkampf des Kapitals nicht stellen und in der Frage der Vergesellschaftung des Eigentums keinen Handlungsbedarf sehen, werden sie eine Verallgemeinerung der Peerproduktion so nicht einleiten können.

Wenn sich die Keimformen in eine kapitalismuskritische Richtung entwickeln sollen, so muss sich ihr (Klassen-)Bewusstsein radikal ändern. Sweezy argumentiert, – da eine sozialistische Bewegung ihre neue Ökonomie nicht innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft erproben kann – dass es für sie keine neue ökonomische Praxis gibt, die ihr als Schmiede eines sozialistischen Bewusstseins dienen könnte. Zudem disqualifiziert die Commons ihre Affinität zum Kapitalismus derzeit als oppositionelle Bewegung. Eine solche Bewegung müsste nämlich erkennen, dass (1) kapitalismuskritische Theorien und Handlungsanleitungen nicht aus der Affirmation des Kapitalismus erwachsen können und dass (2) eine Revolution des gedanklichen Überbaus die Revolution der ökonomischen Basis erfordert. Die Unkenntnis über diese Fragen in den Bewegungen der Peerökonomie ist ein virulentes Problem.

Abhilfe könnte geschaffen werden, indem Experten der Kapitalismusforschung, also Marxisten, ihre Agitationsanstrengungen auf eine existierende Bewegung, auf die Menschen in Keimformen, richteten. Einige prominente Vertreter einer wissenschaftlichen Erforschung der Ökonomie sind etwa David Harvey, Michael Hardt, Antonio Negri und Michael Heinrich. Claus Peter Ortlieb, der sich um eine mathematische Widerlegung der VWL verdient gemacht hat, ist hier auch zu erwähnen. Und schließlich weise ich besonders auf Andrew Kliman hin, dem gelungen ist, die logische Konsistenz der Marxschen Theorie nachzuweisen (Kliman 2007). Diese Tatsache macht die Theorie für viele von antikommunistischen Dogmen bzw. bürgerlicher „Wissenschaft“ Manipulierte erst wieder befassungswürdig. Zu diesen Experten kann jeder aufschließen, der in Kenntnis der Marxschen Theorie und mit der Absicht, „alles in Zweifel [zu] ziehen“ (Marx), den Kapitalismus untersucht.

Idealiter werden die Proletarier, die täglich im Klassen- und Produktionskampf die Bedingungen ihrer Ausbeutung „untersuchen“, zu Experten in eigener Sache. So könnte eine Ansteckung der Keimformen mit marxistischen Gedanken für beide Seiten fruchtbar werden. Der Theoretiker trifft auf die unentbehrlichen Praktiker einer revolutionären Bewegung und die Praktiker erhalten eine Anleitung in der unentbehrlichen Theorie. Wer als Marxist sein Wissen weitergibt, Proletarier agitiert, handelt in der besten marxschen Tradition. Nur weil Marx selbst so gehandelt hat – sich Erkenntnisse erworben und sie in die proto-revolutionären Bewegungen getragen hat –, gibt es überhaupt eine Marxsche Theorie.

Mit der Agitation eng verwoben ist die Lösung des zweiten Problems, also der fehlenden ökonomischen Basis. Zur Festigung kommunistischer Ideen muss die kapitalistische Basis zurückgedrängt werden. Derzeitige Peerprojekte leisten diesbezüglich außer bei der Entwertung von Information nichts. Die kapitalistische Basis kann nur angegriffen werden, indem alle Elemente kapitalistischen Wirtschaftens konsequent aus den Keimformen verdrängt werden. Eigentum, Geld, Tausch und Märkte müssen bei allen Beteiligten aufs Äußerste bekämpft werden. Sie sollten in den Keimformen nicht toleriert werden. An einigen Beispielen sei gezeigt, wie sehr es Peerprojekten an Vorstößen in diese Richtung mangelt, wie verlogen – im Hinblick auf ihre prätentiösen Selbstbeschreibungen – und wie immanent kapitalistisch sie sind:

  1. Um die Jahrtausendwende setzte durchaus vielversprechend P2P-Filesharing mit einer breiten Beteiligung über das Internet ein. Seit der Mitte des letzten Jahrzehnts wandern die Prosumenten auf zentrale Dateispeicherdienste ab und spalten sich auf in gewerbsmäßige Uploader und in zahlende Downloader. Wer den Dienst nicht direkt bezahlt, zahlt über die „Konsumsteuer“ des Kapitals, die Werbung. Was als freier Austausch unter Gleichen begann, wurde vom Kapital okkupiert und in eine asymmetrische Beziehung zwischen mehreren Ebenen von Datenhehlern und Datenkäufern verwandelt. Das Kapital hat zurückgeschlagen und die Peers haben sich willig in seinen Dienst gestellt. In der kapitalistischen Vernunft ist das eine Erfolgsgeschichte. Das Kapital hat einen neuen Markt für bisher unverkäufliche Daten geschaffen, indem es sie ohne Rücksicht auf ohnehin kaum mehr durchsetzbare Urheberrechte zum Discountpreis anbietet. Und es hat eine Antwort auf die Probleme mancher Filesharer mit dem Gesetz gefunden: Als Verkörperung der „drei weisen Affen“ hat dieses Kapital Anbietern und Konsumenten den Mantel der Scheinheiligkeit umgehängt, wie es für viele bürgerliche Geschäfte, die auf eine Mittlerrolle angewiesen sind, üblich ist. Es hat sich einen Teil jener Personen, die ansonsten in P2P-Netzen beigetragen hätten, zu Lumpenproletariern erzogen, zu gewerblichen Beschaffern geschützer und begehrter Inhalte für seine Datenschleudern. Wer gerne in P2P-Netzen heruntergeladen (und notwendigerweise hochgeladen) hätte, ist nun immer häufiger auf die zentralen kommerziellen Dienste angewiesen. Er ist wieder Konsument und bezahlt die Speicherdienste direkt oder indem er die Werbung, die einem Download vorgeschaltet wird, durch seinen Konsum finanziert.
  2. Peerprojekte wiederholen den Fehler des Ökonomismus, der den Realsozialismus geprägt hatte. Ökonomismus bedeutet, die bestehende Ökonomie effizienter zu gestalten und die Produktivkräfte zu „entwickeln“. Es heißt sich wie jeder Kapitalist und Arbeiter dem Wachstumszwang unterzuordnen und dabei sich einzubilden, man sei revolutionär. Der Fehler ist in der Ideologie verwurzelt, dass die Produktivkräfte im Kapitalismus auf ein nicht näher bestimmtes und nicht begründetes Niveau gehoben werden müssten, damit eine sozialistische Revolution erleichtert oder möglich werde. Klar ist, dass mit dieser Strategie niemals der Sozialismus erreicht werden kann, weil die Produktivkräfte immer optimiert werden können. Der Ökonomismus leistet nichts, außer den Kapitalismus zu perpetuieren und ihn auch bei seinen Gegnern als alternativlos zu konsolidieren.
  3. Dezentrale Produktion ist nicht immer der zentralen Produktionsweise vorzuziehen. Sie kann ressourcenintensiver sein, weil Produktionsstätten an vielen Orten vorhanden sein müssen und der Transport zwischen vielen Orten aufwändiger ist. Sie kann kapitalistische Produktionsformen nachbilden oder mit ihnen identisch sein. Daher ist dezentrale Produktion nicht notwendig revolutionär gegenüber kapitalistischen Produktionsverhältnissen. Die Einbildung, allein durch Dezentralisierung und Kommunalisierung könne der Kapitalismus zurückgedrängt werden, ist besonders tief in der Commonsbewegung verankert. Für bestimmte Güter kann eine dezentrale Her-/Bereitstellung sinnvoll sein, etwa in der Energieversorgung. Sie ist dann adäquat, wenn Ressourcen (wie Körper-, Erdwärme, Sonnenlicht) fast überall verfügbar sind, wo sie verbraucht werden, oder Transportwege für Zu- und Abfuhr von Stoffen, Gütern und Abfällen möglichst kurz gehalten werden können oder die Produktionsstätte optimal mit ihren Lieferanten und Abnehmern in eine Infrastruktur einzubinden ist. Wie sinnvoll Dezentralisierung ist, muss jeweils für einzelne Industriebereiche beurteilt werden. Windkraftanlagen konzentriert man besser regional an besonders geeigneten Standorten, anstatt in jeden Garten ein Windrad zu stellen. Bei anderen Technologien sprechen sachliche Gründe stark gegen eine Dezentralisierung, wie z. B. beim Bergbau und bei der Schwerindustrie. Die zentrale, sachgerechte, Anwendung der Produktivkräfte ist ein Merkmal der Industrie. Dezentralisierung würde eine partielle Deindustrialisierung bedeuten.

    Der seit einigen Jahrzehnten – ganz ohne Commons – anhaltende Hype der Dezentralisierung verdankt sich im Wesentlichen der Leistungssteigerung durch Mikroelektronik. Vor etwa 100 Jahren vollzog sich eine ähnliche Entwicklung, als innovative Kleinelektrik es gestattete, einen Teil der Produktion ins Heim und an kleine Handwerker auszulagern. Die technische Miniaturisierung verlängerte und belebte die Fortexistenz vorindustrieller, rückschrittlicher, Produktionsweisen. Dasselbe geschieht heute unter der Ägide der neoliberalen Doktrin: Die Großindustrie soll möglichst viel Maschinerie beim Endkunden absetzen, egal ob diese dort produktiv genutzt wird oder verrottet. Und die Verbraucher sollen zu ineffizienten Kleinproduzenten werden, die auf einem noch so kleinen Markt sich um Minimalprofite kaputtkonkurrieren. Die von der Industrie Ausgestoßenen müssen sich ihr Lebensrecht erarbeiten, indem sie auf die ineffizienteste Weise sich als Kleinstkapitalisten vermarkten und so ihr eigenes Elend kapitalisieren. Dies hat ein Millionenheer gut gebildeter PR-, Medien- und IT-Spezialisten und -Generalisten hervorgebracht, die sich als ihre eigenen Kapitalisten selbst ausbeuten, sofern ihre Dienste überhaupt entlohnt werden. Nur blinde bis zynische Anhänger des Neoliberalismus und Commons-Optimisten können in diesem Massenelend den Reichtum einer neuen Gesellschaft erblicken.

  4. Zum Beleg der Realität der Dezentralisierung und damit auch der Vergesellschaftung materieller Produktion wird alle Hoffnung in eine Technologie gesetzt, die noch längst nicht ausgereift und verbreitet ist, das Fabbing oder 3D-Drucken. Blicken wir besser auf eine ähnliche dezentrale Technologie, die schon verbreitet ist und überraschenderweise nicht zum Ausbruch des Kommunismus geführt hat, das 2D-Drucken. Es ist ein gutes Beispiel für die dezentralisierte Ineffizienz. Millionen Exemplare verkleinerter Druckereien stehen in etwa 99% der Zeit ungenutzt bei Verbrauchern herum. Die industriellen Hersteller solcher vorindustriellen Werkzeuge freut es. Und die Kapitalisten, die Druckereien betreiben, haben keinen Rückgang ihrer Profite erlitten, weil die Minidrucker nicht konkurrenzfähig sind.

    Dieselbe kapitalistische Erfolgsgeschichte sage ich den 3D-Druckern voraus. Bald werden in vielen Haushalten 3D-Drucker stehen, mit teuren Granulaten befüllt werden, selten verwendet werden und keine Produkte drucken, die den industriell produzierten Konkurrenz machen könnten. 3D-Drucker sind nicht Replikatoren grenzenloser Fülle, sie erschließen vielmehr für das Kapital eine Nische in der Herstellung lokal benötigter kleiner Gegenstände in kleiner Auflage. Auch hier werden die Peers wieder die Rolle der nützlichen Idioten für die Kapitalexpansion spielen.

  5. Ein großes Rätsel der Commonsbewegung ist ihr widersprüchliches Verhältnis zum Eigentum. Es verwundert, dass sie, obwohl sie Eigentum ablehnt, keinen Versuch unternimmt, es zu beseitigen und in eine gemeinsame Verwaltung zu überführen. Stattdessen wird das Eigentum affirmiert, indem es in den ökonomischen Beziehungen zur kapitalistischen Umwelt anerkannt und vorausgesetzt wird.

    Der „Commoner“ verhält sich gerade wie ein Jude, der einen Schabbes Goi bezahlt. Obwohl Commoner wie Jude nicht die Arbeiten – d. h. die Arbeit fürs Kapital oder die Arbeit am Sabbat – verrichten, die ihnen ihre Ökonomie oder ihr Glaube untersagt, werden sie verrichtet. Ein Mittler tritt zwischen den Commoner oder den Gläubigen und die Arbeit. Häufig ist der Commoner eine gespaltene Persönlichkeit, einmal Commoner, einmal sein eigener „Schabbes Goi“. Er pflegt den Glauben, das kapitalistische Wirtschaften, das er immer voraussetzt, durch sein Commoning kompensieren zu können, sich mit Geld vom Kapital freikaufen zu können. Doch in Wahrheit verdankt er den commonistischen Freiraum, den er genießt, allein der Ausbeutung seiner selbst oder, sofern vorhanden, seinen Geldgebern. Sein Commoning lebt davon, dass es eine Welt ohne Commoning gibt. Ein Peerprojekt wird entweder von Proletariern über die eigene Ausbeutung durch das Kapital finanziert oder das Projekt ist selbst ein Unternehmen und lebt von der Ausbeutung der Peers oder es trifft beides zu. Vornehm ist dann von Finanzierung durch Spenden die Rede. So wird verschleiert, dass Commons für einen Markt im Tausch für Geld produzieren.

    Gleichgültig, woraus sich ein Commons speist, es setzt den Kapitalismus notwendig voraus und perpetuiert ihn. Durch ihre Commons schreiben die Proletarier unwissentlich, aber mit voller Überzeugung, ihre eigene Ausbeutung fort. Ein in der Psyche dieser Klasse tief verankerter Warenfetisch verhindert anscheinend, dass ihre linke Hand weiß, was die rechte tut.

Die heutigen Keimformen zeigen sich bezüglich der Fragen, die ihr Verhältnis zum Kapitalismus aufwirft, unschlüssig bis ignorant. Mit dieser Einschätzung der Commons sollte eine Reflexion darüber angestoßen werden, welche Ziele sich die Commons setzen und ob ihre aktuellen sozialen Formationen geeignet sind, diese zu verwirklichen. Die vorgeschlagenen Lösungsansätze können direkt von Marxisten und von Keimformen gemeinsam erprobt werden.

Literatur:

  • Harvey, David: A Brief History of Neoliberalism. New York : Oxford University Press, 2005
  • Kirby, Alan: Digimodernism: How New Technologies Dismantle the Postmodern and Reconfigure Our Culture. New York : Continuum, 2009
  • Kliman, Andrew: Reclaiming Marx’s „Capital“: A Refutation of the Myth of Inconsistency. Lexington Books, 2007
  • Sweezy, Paul M. ; Bettelheim, Charles: On the Transition to Socialism. New York : Monthly Review Press, 1972

1  Im Abschnitt „The Death of Competence“ arbeitet Kirby vielleicht einen essenziellen Zug des Digimodernismus heraus, der gerade die Commons berührt:

The digimodernist era, inheriting postmodernism’s critique of power/knowledge, its desire to “dismantle thought” and “expose reason,” is distinguished instead by a bogus valorization of these failings by electronic-digital culture. (They’re “cool,” “democratic,” “antielitist,” “young.”) It’s a lie: socioeconomically, now and here as always, power, wealth, and independence accrue to the highly literate, numerate, and articulate. Only the naïve are fooled: you might almost suspect a conspiracy (the competent few own and run society, while the inept masses are told they’re “cool” by the “culture” the competent control). Democratic government, if self-serving and short-termist, reduces all education to what will boost economic growth, since the latter reelects politicians; consumerism finds innumeracy especially useful, of course. In such a society knowledge and cleverness are inherently radical, subversive. (Kirby 2009, S. 244)

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