Mit Hilfe von Computern den Kapitalismus ablösen
Stefan Merten, Maintainer des Oekonux-Netzwerkes, wurde im Rahmen der Tour de Lorraine 2010 von Marina Bolzli interviewt [Repost aus der Oekonux-Liste].
Abstract: So wie die mechanischen Erfindungen der Aufklärung Voraussetzung für die Entwicklung des Kapitalismus waren, so ist die Entwicklung von Computern Voraussetzung für das neue System“, sagt Stefan Merten, Betreiber der virtuellen Plattform Oekonux, die sich der wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas verschrieben hat. Das neue System heisst Peer Production und soll dereinst den Kapitalismus ablösen.
Stefan Merten betreibt die virtuelle Diskussionsplattform Oekonux, die er 1999 gegründet hat. Die Plattform hat sich dem Ziel verschrieben, Peer Production und dessen gesamtgesellschaftlichen Potentiale auf wissenschaftlicher Basis zu erforschen und zu verstehen. Oekonux besteht ausschliesslich aus Freiwilligen. Konkret gibt es einige Mailing-Listen, von denen die englischsprachige die wichtigste ist. Ausserdem gab es bislang vier internationale Konferenzen. Ein wichtiges aktuelles Projekt, das von Oekonux ins Leben gerufen wurde, ist ein wissenschaftliches Journal, das gerade in der Aufbauphase ist. Stefan Merten wird am Alternativenmärit am 23. Januar einen Workshop durchführen. Mehr Infos finden sich auf http://www.oekonux.org/
Das Interview
Stefan Merten, die Peer Ökonomie ist eine Weiterentwicklung der Freien Software auf andere Bereiche – aber was ist Freie Software überhaupt?
Freie Software ist auf zweierlei Arten frei: Erstens sind die Quellen der Software verfügbar, veränderbar und weitergebbar. Diese Verfügbarkeit der Freien Software hat zur Folge, dass sie in der Praxis nicht verkauft werden kann, sich also nicht als Ware eignet. Diese Freiheiten werden in der Regel durch spezielle Lizenzen juristisch abgesichert.
Was ist die zweite Art Freiheit?
Auf der Seite des Produktionsprozesses ist es so, dass auch heute noch Freie Software zu einem ganz erheblichen Teil von Freiwilligen geschrieben wird. Von Menschen also, die für ihre Tätigkeit kein Geld bekommen. Diese Freiwilligkeit ist ein ganz wichtiges Anzeichen dafür, dass hier Selbstentfaltung stattfindet. Platt gesagt: Menschen tun gesamtgesellschaftlich sinnvolle Dinge und haben Spass dabei. So sind zum Beispiel Linux, aber auch Thunderbird, Firefox und OpenOffice entstanden – das sind Programme, die heute auch von normalen Windows-UserInnen problemlos angewandt werden können.
Inwiefern ist Freie Software also mit Ideologien verbunden?
Die kurze Antwort ist: Gar nicht.
Und die lange?
Die lange Antwort ist, dass sich mit Freier Software die unterschiedlichsten Ideologien verbinden. Richard Stallman, einer der Urväter Freier Software, ist im US-amerikanischen, linksliberalen Sektor zu verorten. Eric S. Raymond, einer der Erfinder des Begriffs „Open Source“ gehört meines Wissens zu den Libertarians, die man am besten als rechte AnarchistInnen beschreiben kann. Linus Torvalds, der Erfinder von Linux, ist zwar sozialdemokratisch vorgeprägt, folgt aber recht explizit keiner politischen Ideologie. Diese Haltung wichtiger Köpfe der Community setzt sich in der Community ungebrochen fort. Auch dort sind alle Ideologien zu finden. Diese Neutralität gegenüber politischen Ideologien kann ein wichtiger Hinweis darauf sein, dass es sich bei Freier Software eben nicht um ein politisches Projekt, sondern um etwas anderes handelt. Viele TeilnehmerInnen der Plattform Oekonux sind davon überzeugt, dass wir hier einen grossen Schritt in der historischen Produktivkraftentwicklung live und in Farbe beobachten können.
Wie sieht dieser Schritt aus? Welche Produktivkraftentwicklung? Erzählen Sie weiter.
Unter Produktivkräften versteht man das, was einer bestimmten Gesellschaft und ihrer Produktionsweise an Möglichkeiten zur Verfügung steht. Im Kapitalismus ist dies gegenüber früheren Systemen vor allem die Möglichkeit industrialisierter Produktion mit all ihren Konsequenzen wie z.B. Massengesellschaften. Von Produktivkraftentwicklung sprechen wir, wenn eine bestimmte, historische Konstellation von Produktivkräften sich so verändert, dass eine neue Produktionsweise und damit auch neue Produktionsverhältnisse möglich werden. In Peer Production sehen wir das geschehen: Selbstentfaltung als in dieser Weise neue, wichtige Produktivkraft verändert die Art und Weise wie produziert wird ganz offensichtlich nachhaltig.
Das heisst, keine politische Ideologien, aber politischer Wandel?
Wenn wir hier tatsächlich einen Schritt in der Produktivkraftentwicklung erleben, dann ist das natürlich hochpolitisch. Der letzte Schritt in dieser Größenordnung – die Entstehung des Kapitalismus – hat die Welt verwandelt wie nichts vorher. Insofern ist das Konzept, dass wir hinter Freier Software zu erkennen glauben, ein absolut Politisches. Es ist allerdings kein Konzept, wie weite Teile der Linken sich das immer vorgestellt haben.
Das heisst?
Auf dem Feld der Produktivkraftentwicklung war die Linke in ihrer Geschichte fast nie unterwegs. Das ist insofern auch nicht weiter verwunderlich, als dass erst die modernen technischen Möglickeiten einen solchen Schritt überhaupt erst möglich machen. So wie die physikalischen Erkenntnisse und mechanischen Erfindungen der Aufklärung Voraussetzung für die Entwicklung des Kapitalismus waren, so ist die Entwicklung von Computern und universeller Fernkopiereinrichtungen – auch bekannt als Internet – Voraussetzung für Peer Production.
Das klingt nach schöner Theorie. Ist hier auch Realpolitik im Spiel?
Nun, mit Realpolitik ist das Thema insofern verbunden, als dass Freie Software für heutige politische Akteure zunehmend ein Feld wird, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen. Gerade in Europa aber auch in vielen Ländern der Dritten Welt gibt es auf der politischen Ebene durchaus Bemühungen, sich Freier Software anzunähern. Dabei spielen Themen wie die Unabhängigkeit von US-amerikanischen Quasimonopolen eine erhebliche Rolle.
Was meinen Sie damit?
In einer Zeit, in der Computer-basierte Infrastruktur für Staaten überlebenswichtig wird, steigen ganz einfach die Sicherheitsbedenken, wenn einzelne US-amerikanische Firmen wie beispielsweise Microsoft große Teile der Computer-Landschaft mit ihren Betriebssytemen und anderen Programmen beherrschen. Da kommt Freie Software als Alternative äußerst gelegen – denn im Zweifelsfall kann sich wegen der Verfügbarkeit der Quellen jeder davon überzeugen, ob sie sicher ist. Daneben bietet Freie Software auch wirtschaftliche Möglichkeiten, da die Services rund um Freie Software sehr wohl verkauft werden können. Dies stärkt den heimischen Arbeitsmarkt und fördert die Konkurrenzfähigkeit. Für ärmere Länder kommt noch hinzu, dass Freie Software kostenlos zur Verfügung steht.
Ich kann mir das immer noch nicht genau vorstellen – erklären Sie mir bitte, wie die Peer Production in der Realität funktioniert.
Tatsächlich haben wir uns in Oekonux darauf geeinigt, den Begriff Peer Production als Verallgemeinerung dessen zu verwenden, was wir in Freier Software in konkreter Form sehen können. Ein prominentes anderes Beispiel für Peer Production ist Wikipedia, die auf ganz ähnlichen Prinzipien beruht wie Freie Software. Hier wie dort sind es Freiwillige, die es als ihre selbstgewählte Aufgabe betrachten, Dinge zu tun, die für andere nützlich sind. Nicht, weil sie dazu gezwungen sind, sondern weil sie die Tätigkeit selbst lieben, weil sie es als ihr Ding verstehen, Programme oder Wikipedia-Artikel zu schreiben. Diese Prinzipien der Selbstentfaltung kennen wir übrigens nicht erst seit Peer Production. Vielmehr beruhen wichtige Teile der Gesellschaft schon immer darauf. Neu ist lediglich, dass diese Prinzipien, die gleichzeitig die Prinzipien eines erfüllten Lebens sind, heute gesamtgesellschaftlich immer mehr dazu in der Lage sind, das bestehende, auf Entfremdung und damit Entmenschung beruhende Prinzip des abstrakten Tauschs zu ersetzen. Wie eine weitere Verallgemeinerung von Peer Production hin zu einer Gesellschaft, die zum überwiegenden Teil auf deren Prinzipien beruht, konkret aussehen kann, betrachte ich allerdings als offenes Forschungsthema. Oekonux widmet sich diesem Thema seit einiger Zeit verstärkt.
Konkreter können Sie nicht werden?
Generell ist zu sagen, dass es nicht leicht ist, hierzu seriöse Aussagen zu machen. Wir befinden uns am Beginn einer Umbruchsphase zwischen zwei gesellschaftlichen Großsystemen und wenn auch Ausgangs- und Endpunkt einer solchen Phase einigermassen präzise beschrieben werden können, so ist die Umbruchsphase selbst doch durch chaotische Abläufe geprägt, die kaum konkret vorhergesagt werden können. Das sehe ich aber auch grosse Chance: Schon kleine Aktionen können in einem chaotischen System zu grossen Wirkungen führen.
Kann die Peer Production als Modell für die Gesellschaft dienen?
Wenn wir sagen, dass mit Peer Production ein neues Produktivkraftmodell entsteht, dann sagen wir letztlich, dass dieses in der Lage ist, den Kapitalismus – das aktuelle Produktivkraftmodell – zu überwinden.
Ist das realistisch?
Absolut.
Oder anders: werden wir das noch erleben?
Kommt ein bißchen auf Ihr Alter an 😉 . Was wir heute erleben, ist, dass wir Produkte aus Peer Production heute schon nutzen können. Diese Produktion setzt heute schon Kapitalismus stellenweise außer Kraft. Wir sehen weiter, dass dieses Prinzip, das mit der Freien Software vor nicht mal 30 Jahren geboren wurde, sich ausbreitet. Ich sehe derzeit keinen Grund, warum diese Ausbreitung nicht kontinuierlich weiter gehen sollte. Wann es „den ganzen Laden“ übernehmen kann, ist sicher nicht seriös zu beantworten. Aber wir sollten auch nicht vergessen, wie schnell letztendlich der Ostblock zusammengebrochen ist…
Weshalb setzen Sie sich für die Peer Production ein?
Ich habe mich sehr lange als Linker verstanden. Mit der Entdeckung des Potentials Freier Software und später des Konzepts von Peer Production habe ich allerdings eine ganz neue Dimension entdeckt, die zwar mit Marx’schen Kategorien recht gut beschrieben werden kann, die aber mit dem, was ich aus der Linken kenne, nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Und die viel, viel aussichtsreicher für eine grundlegende Veränderung ist als das, was normalerweise unter linker Politik verstanden wird. Diese Kraft kommt eben genau aus dem neuen Produktivkraftmodell. Bei Peer Production ist das Konzept der Selbstentfaltung ganz entscheidend. Für mich ist der Knaller an diesem Konzept, dass es individuelles Glück mit gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeiten harmonisch verbindet. Mir ist kein anderes Konzept bekannt, bei dem das so ideal und in der Praxis überprüfbar gelänge.
Wo ist das denn in der Praxis überprüfbar?
Nun, im Grunde in jedem Peer-Production-Projekt. Freie Software und Wikipedia hatte ich schon genannt. OpenAccess (Freie Wissenschaft) wäre ein weiteres Beispiel, aber auch auf dem Gebiet der Musik gibt es zahlreiche Initiativen. Um es nochmal an der Freien Software deutlich zu machen: Wir reden innerhalb der Software-Branche hier von keinem kleinen Phänomen. Mittlerweile spielt Freie Software überall mit und ist nicht mehr wegzudenken. Tatsächlich befindet sich nach meinem Dafürhalten Peer Production in der Software-Branche schon sehr weit. Hier ist die „Übernahme des ganzen Ladens“ nicht mehr abwegig.
Und weshalb ist das nötig?
Nötig ist das, weil der Kapitalismus am Ende ist. Spätestens die Finanzkrise macht das überdeutlich. Wichtiger aber noch: Die Finanzkrise wird genau mit den Mitteln bekämpft, die sie erst ausgelöst haben. Jetzt werden die Grundlagen für die nächste, noch grössere Krise gelegt. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine systemimmanente Lösung auf dem heutigen Entwicklungsstand nicht mehr möglich ist. Der Grund dafür liegt darin, dass der Kapitalismus einfach zu erfolgreich geworden ist. Die Verwertung menschlicher Arbeit – die Grundlage dieses Systems – funktioniert auf Grund der ständig steigenden Automatisierung immer schlechter. Das führt zur Paradoxie, dass ein gutes Leben für ganz viele heute von der Seite der Produktionsmittel her leicht möglich wäre, leider dieses gute Leben aber nicht durch das sich verkleinernde Nadelöhr der Kapitalverwertung passt. Deswegen existieren unerhörte Potentiale direkt neben tiefster Armut.
Wie könnte die Peer Production dem Abhilfe schaffen?
Peer Production ändert das Koordinatensystem. Ein Äquivalententausch ist unter Bedingungen der Peer Production nicht nur nicht üblich, sondern sogar tendenziell schädlich. Wenn aber gesellschaftlich nützliche Dinge nicht mehr wegen des Profits geschaffen werden, sondern weil sie nützlich sind, dann haben wir es mit ganz neuen Bedingungen zu tun. Wir haben dann ein neues Koordinatensystem, bei dem nicht mehr das Geld im Mittelpunkt steht, sondern der Mensch – und selbstverständlich auch die natürliche Umwelt. Das ist für heutige Menschen sicher schwer vorstellbar. Aber für einen mittelalterlichen Menschen wäre unsere geldzentrierte Lebensweise ebenfalls unvorstellbar gewesen.
Geht das Prinzip Peer Ökonomie nicht von einem zu guten Menschenbild aus?
Nein, Peer Production geht eben gerade nicht von einem guten Menschenbild aus – eine weitere, wesentliche Stärke. Das ist schon daran zu sehen, dass die unterschiedlichsten Menschen sich an Peer-Production-Projekten beteiligen – und das sind nicht alles bessere Menschen. Das Konzept der Selbstentfaltung beruht darauf, dass Menschen ihre Interessen verfolgen. Allerdings tun sie das unter Bedingungen der Selbstentfaltung nicht unter entfremdeten Bedingungen wie im Kapitalismus, sondern unter ihren eigenen, je konkreten. Dafür braucht es keine guten Menschen, sondern die richtigen Bedingungen. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir heute in einer Zeit leben, in der die Bedingungen für Selbstentfaltung auf einer gesamtgesellschaftlichen Basis nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch heranwachsen. Oder anders: Wir leben in spannenden Zeiten!
Der Kapitalismus ist doch viel älter als die Industrialisierung. Da liegen 3-4 Jahrhunderte dazwischen. Die Industrialisierung ist nicht Ursache sondern Folge des Kapitalismus. Die Industrialisierung entspricht vielmehr dem Schritt von der formellen zur reellen Subsumtion unter das Kapital (bei Marx).
@Benni: Wenn man mit Marx den Kapitalismus als „Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht“ betrachtet, dann glaube ich nicht, dass der Kapitalismus viel älter ist als die Industrialisierung. In den Jahrhunderten davor wurde die kapitalistische Produktionsweise zwar bereits praktiziert, war aber keinesfalls die Regel – vorherrschend dürften damals eher Subsistenz- und feudalistische Produktion gewesen sein. Erst mit der Industrialisierung gelang es der kapitalistische Produktionsweise, diese anderen Produktionsweisen nach und nach an den Rand zu drängen und selbst zur vorherrschenden Produktionsweise zu werden – Kapitalismus eben.
Allerdings würde ich zustimmen, dass die kapitalistische Produktionsweise (nicht: der Kapitalismus) die Industrialisierung hervorgebracht hat – ich sehe aber auch nicht, wo StefanMn etwas Gegenteiliges sagt.
Das kann ich nicht (mehr) erkennen. Nur die Erhöhung der Produktivkraft wird m.E. nicht viel bewirken, so lange sie im Rahmen der bürgerlichen kollektiven Deutungsmuster von Berufsarbeit erfolgt.
Bisher wird die Freiheit der Quellen m.E. primär genutzt, um kostenlose Produktionsmittel zur Erhöhung der privaten Produktivkräfte zu erhalten. Alles weiterhin schön im Rahmen des bürgerlichen Arbeitskräfte-Wettbewerbs.
Um den Kapitalismus zu überwinden, reicht das noch lange nicht. Für die Entstehung des Kapitalismus war ja schließlich auch sowas wie das Leitbild des Berufs-Arbeiters notwendig. So ein neues kollektives Deutungsmuster wie es der Berufs-Arbeiter für den Kapitalismus war, wird peer-economy auch benötigen um „den Kapitalismus zu überwinden“. Und dafür ist m.E. jede Menge Ideologie nötig.
@Torsten:
An was denkst du da? Ist nicht gerade die Abwesenheit von Uniformität ein Merkmal der Peer-Produktion?
@Christian: Im England des 17. Jhdts war Subsistenzproduktion schon nicht mehr wirklich möglich. Deswegen ja die Digger-Bewegung. Industrialisierung hat da erst viel später angefangen (Ende 18. Jhdt). Auch die Bauernkriege wendeten sich gegen ein immer unmöglicher werden von Subsistenzproduktion (u.a. durch Einhegung der Commons), auch wenn das da noch in den Anfängen war. Auch wenn bis ins 20. Jhdt die Mehrheit der Bevölkerung in der Landwirtschaft gearbeitet hat, heisst das ja nicht, dass die alle Subsistenzproduktion gemacht haben. Wie gesagt, es geht um die bloß formelle Subsumtion. Die Leute werden also bezahlt für ihre Arbeit und haben keine Kontrolle über Produktionsmittel. In den Städten war das schon im Mittelalter in Großen Teilen so und je mächtiger die Städte wurden um so wichtiger wurde das.
behauptet hat das Stefan hier: „So wie die physikalischen Erkenntnisse und mechanischen Erfindungen der Aufklärung Voraussetzung für die Entwicklung des Kapitalismus waren, so ist die Entwicklung von Computern und universeller Fernkopiereinrichtungen – auch bekannt als Internet – Voraussetzung für Peer Production.“
@Thorsten: Es geht um eine qualitative Änderung der PKE, nicht bloß um eine quantitative. Also um Selbstorganisation und Selbstentfaltung als Triebkraft anstatt Geld und Markt.
@Torsten: Die neue Produktionsweise und ihre Lebensbedingungen schaffen sich schon die neue, dazu passende Denkweise. Ideologie ist das aber noch nicht – jede Produktionsweise (und die darauf basierende Lebensweise) haben das bisher getan. Es war ja auch nicht Ideologie, dass die Menschen im Kapitalismus als vereinzelte, konkurrierende Individuen erschienen, die in allen Bereichen ihren Marktwert im Auge behalten mussten – sondern schlicht der Ausdruck der realen Verhältnisse. (Ideologisch wird es erst, wenn das dann unter Verschleierung der ja durchaus sichtbaren Widersprüche zu einem geschlossenen Weltbild ausgebaut wird, wie es heute tw. in der WiWi geschieht.)
Wegen Ideologie:
Okay, da hatte ich noch eine andere (nicht negativ konotierte) Bedeutung von Ideologie im Hinterkopf. Etwas in die Richtung wie Ideengebäude, dass einem hilft Sinn zu finden und sinnvoll zu agieren und in dem man sich mit Leuten bewegt, deren Ideologie man teilt.
@Martin:
Naja, die Produktionsweisen können nicht denken und handeln. Ich denke, es werden eher Menschen sein, die sich Lebensbedingungen und Denkweisen schaffen. Es ist nur fraglich, ob es ihre Lebensbedingungen und ihre Denkweisen sein werden. Bzw. das hängt davon ab, welche Menschen sich an diesem Streben nach neuen Lebensbedingungen und Denkweisen beteiligen.
@Benni
Prima, das wäre für mich eine Beschreibung der Ideologie der Peer-Ökonomie. Aber Selbstorganisation und Selbstentfaltung klingt in meinen Ohren gerade nach FDP. Nicht falsch verstehen: Ich will Peer-Ökonomie nicht diskreditieren, aber mich würde der Unterschied zur (Ideologie der) unsichtbaren Hand schon interessieren. So wie ich es verstanden habe, ist ja bei der unsichtbaren Hand gemeint, dass sich das Wohl Aller automatisch einstellt, wenn jeder nach seinem Gutdünken tätig wird um sein Wohl zu erreichen. Klingt für mich nach Selbstentfaltung und Selbstorganisation.
@ StefanMZ:
Eher nein, ich habe schon das Gefühl, dass Peer-Produzenten prinzipiell erlebnisorientiert sind (Spaß am Programmieren, Spaß am Basteln und Bauen) und wachstumsorientiert sind (etwas machen, etwas schaffen). Daraus ergeben sich dann auch Ideen darüber, wer auszuschließen ist.
Leute die nichts machen beispielsweise: Ich weiß nicht, ob das noch so ist, aber vor ’nem Jahr habe ich bei Bittorrent mal den Begriff „leacher“ gesehen. Also jemand, der in einem p2p netzwerk mehr Daten von anderen saugt, als anderen an Daten zur Verfügung zu stellen. Und genausolche „leacher“ wurden in diesem p2p-Netzwerk schlechter gestellt, indem z.B. technisch ihre Download-Geschwindigkeit begrenzt wurde, oder indem sie erst etwas von Anderen saugen konnten, wenn sie Anderen eine bestimmte Anzahl von Dateien zur Verfügung gestellt hatten.
Schönes Beispiel dafür, wie sich die p2p-Ideologie materialisiert. Würde ich sagen 😉
Ooh, hab gerade gelesen, dass es „leecher“ (zu deutsch: Blutegel, Schmarotzer) heißt. Die Verbreitung des Wortes (und der damit verbundenen Bedeutung und den Konsequenzen für einige User) im Zusammenhang mit Internet-Tauschbörsen, dem „Klassiker“ der P2p-Produktion, scheint mir in der Diskussion um P2P als Überwindung des Kapitalismus etwas unterzugehen. Ich frage mich, wozu man den Kapitalismus überwinden muss, wenn es danach immernoch „Leecher“ gibt.
Habe das Interview nochmal gelesen und dabei ist mir Folgendes aufgefallen:
Ich möchte noch mal auf meinen vorletzten Kommentar (#9) zurückkommen, denn dort habe ich ein anderes Konzept erwähnt, dass die Verbindung von individuellem Glück und gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeiten thematisiert. Es ist das der unsichtbaren Hand und wenn ich mich nicht täusche, ist es ein (wenn nicht sogar das) bestimmende Denkmuster (neo)liberaler Theorien/Ideologie.
Frage Studenten der Wirtschaftswissenschaften und sie erklären Dir, ohne mit der Wimper zu zucken, dass dieses Prinzip der unsichtbaren Hand eine wunderbare Sache und in der Praxis/Realität nachweisbar ist.
@Torsten#9: Ein Leecher ist einfach nur ein Empfänger, die Bedeutung hat sich gewandelt. Bei BitTorrent ist es in der Tat so, dass Empfangen und Senden (Seed) gekoppelt sind: Wer mehr gibt, bekommt auch mehr (ein Beispiel für die Kopplung von Geben und Nehmen im digitalen Raum, auf das Christian Siefkes in seinem Buch »Beitragen statt Tauschen« hinweist).
#10:
Leecher im Sinne von Nutzern gibt es immer. Oft wird die Frage, die du vermutlich meinst, als Trittbrettfahrer-Problem diskutiert. Kann es eine Freie Gesellschaft (whatever…) geben, wenn es noch Trittbrettfahrer gibt? — Warum nicht? Wenn von der Trittbrettfahrerei nichts abhängt, ist es egal, ob und wie viele es gibt. Kann aber von der Trittbrettfahrerei das Sein oder Nichtsein der Freien Gesellschaft abhängen? — Nein, denn sie basiert darauf, dass die Menschen ihre Individualität frei entfalten und dabei das schaffen, was sie brauchen. Trittbettfahrerei ist so gesehen nur eine von unendlich vielen Entfaltungsvarianten.
#11:
Hehe, stimmt, die Marktideologie mit der unsichtbaren Hand behauptet das Gleiche. Aber StefanMn hält diese Behauptung offensichtlich für gescheitert und setzt eine gleichrangige These dagegen. Jetzt müsste man in die Details gehen, um beide Thesen zu prüfen. Das hat Christian Siefkes z.B. in dem o.g. Buch gemacht.
Dem schließe ich mich an. Allerdings: Ob von der Trittbrettfahrerei etwas abhängt oder nicht, kommt drauf an wen Du fragst. Also, ob die ganzen Leute, die bei Wikipedia nur Lesen um sich zu informieren und nichts schreiben oder die ganzen Leute, die bei Wikipedia nur schreiben um sich zu entfalten, aber kein Geld für die Server bezahlen u.s.w. also ob diese Leute Trittbrettfahrer sind oder nicht und ob von deren Trittbrettfahren etwas abhängt oder nicht, wer legt das fest?
@Torsten:
Niemand. Das ist wieder mal eine Frage, die in der Praxis entschieden wird.
Was ist diese Praxis? Ein luftleerer Raum? Wie wird in der Praxis entschieden? Von alleine? Durch Gottes Fügung? Durch die Technik? Von wem wird in der Praxis entschieden?
Was ist denn mit Pflege? Also vor allem Kinder, Alte und Kranke und ich meine weniger das Krankenhaus, als den Haushalt. Wie könnte sich hier Peer-Production ausprägen?
Und die Frage nach der Versorgung und dem Umgang mit „Untätigen“ stellt sich schon und in wie weit hier die ProtagonistInnen der Peer-Production bloß eine neue Elite darstellen, die sich ja schon heute erheblich von der Mehrheit der Bevölkerung abgrenzen.
Neue Produktionsverhältnisse ja. Aber wo wären sie besser?
@Torsten#15:
Ehm, was willst du hören? Das kommt drauf an: um was es geht, wer dort involviert ist, welche Regeln sich die Community gibt etc. Das lässt sich nicht vorhersagen oder gar als abstrakte Regel anderen vorschreiben. — Nimm etwa die Online-Enzyklopädie und gehe ins Jahr 2000. Da gab es die Nupedia, ein Vorläufer der Wikipedia. Nun stellst du, im Jahr 2000, die Frage, ob das was werden wird. Ich antworte, dass das die Praxis zeigen wird. Und sie zeigte es: Es funktionierte nicht. Dann kam die Wikipedia. Gleiche Frage, und diesmal hat’s geklappt. Hätte man das vorhersagen können? Nein. Aber jetzt kann man draus lernen.
@fortschritt:
Pflege ist Peer-Produktion par excellance. Christian Siefkes hat sich damit in seinem Buch »Beitragen statt Tauschen« befasst. Er macht dort einen Vorschlag, der noch auf einer Kopplung von Geben und Nehmen basiert.
Wir dürfen in der Diskussion zwei Dinge nicht vermischen: Peer-Produktion in Keimform wie wir sie heute unter kapitalistischen Bedingungen erleben mit all den Widersprüchen, die da dran hängen, und die Verallgemeinerung von Peer-Produktion als Grundlage für eine nicht-kapitalistische, commonistische Gesellschaft. Über letzteres können wir nur begrenzt Aussagen machen.
Mal davon abgesehen, dass es keine Untätigen gibt (hast es ja auch in Anführungsstriche gesetzt): Ja, das ist aus meiner Sicht eine Knackfrage. Maßstab für eine Freie Gesellschaft ist für mich, dass es keine entfremdete Tätigkeit mehr gibt, keine Arbeit, kein Zwang, keine Kopplung von Geben und Nehmen, kein »nur wer arbeitet, soll auch essen«.
Aus meiner Sicht sind zwei Dinge Voraussetzungen: Es gibt keine Sphärenspaltung mehr in einen Bereich der anerkannten Tätigkeiten (der Arbeit und Wirtschaft), die über Geld reguliert wird, und einem (wesentlich größeren) Bereich der angeblichen »Untätigkeit«, also von nicht anerkannten Tätigkeiten. Sprich: Alle Tätigkeiten werden anerkannt. Zweitens: Es gibt keinen Vergesellschaftungsmechanismus mehr, der sich hinter unserem Rücken vollzieht, wie das mit der »unsichtbaren Hand« des Marktes derzeit der Fall ist. Das impliziert: keine Waren, kein Geld und auch kein Staat mehr. Sondern die Menschen regeln ihre Angelegenheiten selbst, eben commons-basierte Peer-Produktion.
Ja, das wären bessere neue Produktionsverhältnisse.
@StefanMz
Nochmal zu #12:
Solange ich bei p2p-Netzwerken oder Link-Listen als jemand, der nichts oder wenig gegeben hat (keinen coolen Link gepostet, keine Daten zugänglich gemacht hat) auch nichts oder wenig bekomme, bedeutet „Leecher“ für mich immer noch, dass mein Verhalten unerwünscht ist. Und solange kann ich keinen Unterschied zwischen den Leitwerten der p2p economy und dem Kapitalismus erkennen (wie z.B. „Leistungsorientierung“)
Wenn Du meinst, dass sich die Bedeutung des Wortes „leecher“ gewandelt hat und ich das mit dem Beispiel bestreite, dass ich in der Praxis von p2p-Netzwerken als „leecher“ behandelt werde, was dann?
Ich will hier niemanden in den Wahnsinn treiben, aber ich denke, diese Diskussion ist wichtig und mich würde interessieren, für wen sich die Bedeutung des Begriffes „leecher“ gewandelt hat. Für alle oder nur für bestimmte Leute? Wenn nur für bestimmte Leute, wer sind diese? Worin unterscheiden sich ihre Erfahrungen von denen derjenigen, die immer noch die Erfahrung machen „leecher“ zu sein?
Mit anderen Worten: Auf Basis von was kommst Du zu der Aussage, dass sich die Bedeutung des Wortes „leecher“ geändert hat?
zu#17:
Deswegen denke ich, dass Trittbrettfahrerei auch in der Peer-Economy ein Problem sein wird, solange es bei den Sachen die p2p-produziert werden, Leute und Communities gibt, die manches Verhalten als Trittbrettfahren wahrnehmen und entsprechende Regeln zum Umgang damit schaffen. Wie z.B. die Begrenzung der Downloadmöglichkeiten in p2p-netzwerken für sog. leecher.
Kannst du mir das mit der Pflege par excellence zusammen fassen, bzw. die Argumentation kurz umreißen?
@StefanMz: Ich will Dich oder Deine Ideen hier nicht bashen oder mir einen Ruf als Troll einfangen, ich finde die Idee mit Überwindung des Kapitalismus durch Freie Software und peer2peer auch gut, nur fallen mir, je länger ich darüber nachdenke, mehr und mehr Widersprüche auf. Z.B. In obigem Interview steht:
Und jetzt das mit Sourceforge. Das zeigt doch, wie politisch die ganze Sache ist. Praxis geschieht nicht einfach so, sondern wird durch Menschen (in diesem Falle SourceForge-„Chefs“) gestaltet. Das Vorhandensein von p2p-Technik mag zwar eine notwendige Bedingung für p2p-Gesellschaft (was auch immer das ist) und Überwindung des Kapitalismus sein, eine hinreichende ist sie meiner Meinung nach bei Weitem nicht. (Tut mir leid, falls Du Dir das alles schon hundert mal von anderen sagen ließest.)
Vielleicht könnte man in dem Suchprozess, in dem wir uns befinden, den Focus nicht nur darauf legen, welche Technik nötig ist um Kapitalismus zu überwinden, sondern auch welche sozialen Praktiken dafür nötig wären und ob/wie man diese Praktiken für (ein paar) Menschen sinnvoll machen kann.
Zu: Trittbrettfahrerei und Leecher,
Wie wird in der Praxis entschieden? (…) Von wem wird in der Praxis entschieden?
Also aus meiner praktischen tätigkeit als Spacemaster (Hausmeister) der community c-base befasste ich mich u.a. mit diesem Thema (10Jahre). Da war auch so einer, der nur immer rum hang und irgendwie nichts beitrug. Eines Tages passierte etwas (X), wo man keine Zeit war, zu diskutieren oder umherzufragen. Ich wollte micht notgezwungen dann selbst darum kümmern, weil ich ja noch andere Aufgaben zu erledigen hatte, aber der Typ der sonst immer nur rumhang und das (X) auch bemerkte, sagte mir, das er sich darum kümmern werde.
Da erkannte ich, das keiner unnütz ist. Ok, der Typ hatte nie mit irgendwelchen leistungen geglänzt, aber in einen entscheidenen Augenblick, wo es darum ging SCHNELL zu handeln, da machte er es einfach.
Nach welchen Kreterien werden eigentlich Leute oder Dinge beurteilt und wie sind die Zeitabschnitte? Ich habe damals durch dieses kleine Beispiel gelernt, gelassener mit meinen Urteilen und Ansprüchen an Leute zu sein.
Jeder gibt schon seinen Beitrag dazu, man muss ihnen nur die Möglichkeit dazu lassen. Und genau deswegen gehen auch immer die meisten Projekte den Bach runter, weil sie sich zerdiskutieren anstatt vertrauensvoll und großzügig mit einander cooperierend aufbauen.
MfG Herr Schmidt
@Thorsten:
„Vielleicht könnte man in dem Suchprozess, in dem wir uns befinden, den Focus nicht nur darauf legen, welche Technik nötig ist um Kapitalismus zu überwinden, sondern auch welche sozialen Praktiken dafür nötig wären und ob/wie man diese Praktiken für (ein paar) Menschen sinnvoll machen kann.“
Peer Produktion ist keine Technik sondern eine soziale Praxis. Dass es darauf ankommt soziale Praxis zu verändern, da sind wir uns wohl alle sehr schnell einig. Dass Stefan Merten (von dem das Interview ist, aber nicht die Kommentare hier) manchmal so klingt, als sei das alles nur eine Frage der Technik, finde ich allerdings auch.
@Torsten#19:
Meine eigene Erfahrung und der Wikipedia-Eintrag (unter Bit-Torrent). Bit-Torrent ist ein Beispiel dafür wie mit Trittbrettfahrerei umgegangen werden kann.
Öh, vielleicht sollte ich nochmal klar stellen, dass ich nicht die im Artikel interviewte Person bin, trotz Namensähnlichkeit (wir werden öfter mal verwechselt). Daher kann ich dir immer nur aus meiner Sicht erzählen, was ich dazu denke. Fragen zu einzelnen Aussagen müsstest du an Stefan Merten richten.
Ich weiss nicht, ob eine einzelne Technik eine notwendige Bedingung ist. Ich teile, was Benni#23 dazu geschrieben hat. Eine neue Gesellschaft ist primär eine neue soziale Form der gesellschaftlichen Produktion unserer Lebensbedingungen. Auch der Begriff »Produktivkraftentwicklung« sollte nicht als Technikentwicklung vereinseitigt werden.
mmh der Wikipedia-Eintrag zu Bittorent „sagt“ doch aber m.E. genau, dass Trittbrettfahrer auch bei Bittorent existieren und ausgeschlossen werden. (Du hast oben zum Wikipedia-Eintrag „leechen“ verlinkt.) Ich kann nicht erkennen, wie sich die Bedeutung des Wortes leechen geändert hätte. M.E. ist leechen nach wie vor Thema und somit auch Ausschluss.
Ja, das mit dem Interview und den Kommentaren von Dir hier habe ich verwechselt, sorry.
@Torsten: Ob „Trittbrettfahrerei“ ein Problem ist oder nicht, hängt ja nicht von der Ideologie der Leute ab, sondern von realen Begebenheiten. Bei Wikipedia, Blogs und Freier Software kommt niemand auf die Idee, sich über „Trittbrettfahrer/innen“ zu beschweren, sondern jede/r freut sich über die zusätzlichen Leser/innen bzw. Nutzer/innen.
Beim Filesharing sieht es anders aus: wenn nur 10% der Leute Upload-Kapazitäten bereitstellen, ist die durchschnittliche Download-Geschwindigkeit nur ein Zehntel der durchschnittlichen Upload-Kapazität. That sucks! Wenn’s 20% sind, ist die Download-Geschwindigkeit immerhin schon ein Fünftel – schon besser. Insofern ist es doch ein reales Interesse aller an einem Filesharing-Netzwerk Beteiligten, möglichst viele andere zum mitmachen (uploaden) zu bewegen, denn wer will schon ewig auf seine Downloads warten.
BitTorrent hat dafür die elegante Lösung gefunden, dass man schon automatisch durchs Downloaden zum Uploader wird, ohne irgendwas besonderes tun zu müssen. Diese technische Lösung wird durch die halb technische, halb soziale Lösung verstärkt, dass Leute, die mehr uploaden, beim Download vorrangig bedient werden. Das ist schon rein technisch sinnvoll, da meist Download- und Uploadbandbreite in einem festen Verhältnis zueinander stehen — wenn meine Uploadbandbreite stark begrenzt ist, werde ich wahrscheinlich gar nicht so schnell downloaden können wie jemand mit hoher Uploadbandbreite. Aber daneben hat es natürlich auch den sozialen Effekt, dass es Leute davon abhält, ihre Software zu patchen und in einem egoistischen „Ich downloade nur“-Modus zu wechseln. Deshalb tragen bei BitTorrent nahezu 100% aller Beteiligten etwas bei, und deshalb ist das Netz so unheimlich schnell. Das ist doch cool!
Bei dir klingt’s dagegen so, also ob es hier um eine quasi-kapitalistische Ideologie ginge („Leistungsorientierung“) und es eigentlich jedem an einem Filesharing-Netzwerk Beteiligten egal sein könnte, ob die anderen beitragen oder nicht. Aber so isses halt nicht. Peer-Produktion arbeitet problemorientiert, und da wo ein bestimmtes Problem (z.B. Trittbrettfahrerei) existiert, entwickeln die Beteiligten Lösungen, damit umzugehen. Während da, wo das Problem nicht existiert (z.B. bei Freier Software), niemand auf die Idee kommt, sich darüber zu beschweren. Mit Ideologie hat das nichts zu tun.
klasse beitrag von H.Schmidt.!
btw wenn die arbeits- und lebensweise sich in eine wesentlich gemeinschaftlichere weise ändert, so reicht ja viel weniger arbeit für die versorgung. Da kann es gern viele geben die „nur nehmen“. Was heißt das schon „nur nehmen“? Ein kontakt gewisser art, sei es daß im netz ein reales profil zu sehen ist oder im reallife eine gewisse begegnung stattfindet ist schon daß was das leben lebenswert bleiben läßt.
„Wo kämen wir dahin wenn jeder arbeiten würde!!“:-P grüsse florian
@ Christian:
Das sehe ich anders. „Trittbrettfahrerei“ ist nicht nur ein reales sondern auch ein Interpretationsproblem. In manchen Umgebungen wird Trittbrettfahren großzügig gehandhabt. Da mag es noch nichtmal ein Wort dafür geben. Mit Rücksicht auf „nicht-technische“ Gegebenheiten, wie z.B. das Klima oder den sozialen Frieden werden leecher da gar nicht als solche wahrgenommen.
Auch bei Wikipedia freut sich nicht jeder über jeden zusätzlichen Nutzer. Denn jeder zusätzliche Nutzer bedeutet auch: höhere Zugriffsraten, längere Wartezeiten, höhere Kosten für die Server.
Meines Erachtens hat es insofern etwas mit Ideologie zu tun, als das Wort und das Konzept „Trittbrettfahrer“ und der Umgang mit diesem Phänomen d.h. mit Trittbrettfahrern nur innerhalb einer bestimmten kollektiven Denkgebäudes entstanden ist und sinnvoll ist. Die kollektiv geteilte Idee hinter dem Trittbrettfahrer ist m.E. „Nur wer gibt, darf nehmen.“ Um dieser Idee Nachdruck zu verleihen ist es wichtig z.B. soziale Kontrolle auszuüben in deren Folge Leute die nichts geben identifiziert und in ihren Möglichkeiten des Nehmens beschränkt werden.
Wenn es diese kollektiv geteilte Idee nicht gäbe, gäbe es auch keine Trittbrettfahrer. Oder: In Gemeinschaften in denen es diese Idee nicht gibt, gibt es wahrscheinlich auch keine Trittbrettfahrer.
Der Kommentar von Herrn Schmidt trifft den Nagel auf den Kopf. Ich suche schon seit Monaten nach einem Beispiel von der Sorte, da ich bis jetzt nie in Worte fassen konnte, *wieso* ich der Meinung bin, dass tatsächlich niemand unnütz ist. Genau das ist es doch. Viele Menschen, die lange Zeit „nichts“ tun (wobei ich es eigentlich schon als Tätigkeit ansehe, das Geschehen aufmerksam zu beobachten) haben einfach momentan keine zündenden Ideen oder besitzen keine Fähigkeiten, die gerade benötigt werden. Soll man sie dafür etwa bestrafen? Irgendwann könnte der Tag ja kommen, an dem sie plötzlich etwas beitragen. Und selbst wenn nicht, was macht das schon?
Das ist für viele Bereiche richtig, aber keineswegs für alle. Überall dort, wo Teilen keinen oder wenig Aufwand bringt (z.B. im immateriellen Bereich; s. Wikipedia, Musik o.ä.), ist „Trittbrettfahrerei“ tatsächlich ein soziales Konstrukt. Weil es Leute aussondiert und negativ konnotiert, die niemandem etwas wegnehmen.
Dass dies nicht überall so ist, zeigt das Beispiel einer gemeinsam zubereiteten Mahlzeit (z.B. auf einer Party). Dort ist es durchaus so, dass Leute, die einfach nur nehmen würden, dem Projekt schaden können – die anderen müssten für sie mitkochen, d.h. Mehraufwand betreiben, und dazu werden sie nur in einem gewissen Maß bereit sind, bevor sie selbst „den Löffel hinwerfen“. Z.B. könnten sie „forken“ und sich beim nächsten Mal woanders verabreden, ohne den Nur-Nehmern etwas davon zu sagen. Und das ist auch richtig so!
Wer könnte sie zwingen, für andere zu arbeiten? Das geht in der PÖ (im Gegensatz zum Kap. oder auch zu einer autoritär organisierten Planwirtschaft) nicht, es stehen gar keine Zwangsmittel zur Verfügung. Daher kann das Projekt durch Nur-Nehmende gefährdet werden. Natürlich kann man die anders als „Trittbrettfahrer“ nennen, aber dass es sich nicht um eine bloße soziale Konstruktion handelt, dürfte klar sein.
Eine vollentwickelte Peer-Ökonomie wird vermutlich überall dort keine Einschränkungen des Nur-Nehmens kennen, wo dies die Funktionsweise der Projekte nicht in Frage stellt. (Übrigens ist diese Frage hier schon öfters diskutiert worden, ich empfehle auch Christians Artikel zu Commonismus und dem kommunistischen Anspruch, der das ausführlich bespricht.)
zu den Trittbrettfahrern:
Ich versuche gedanklich und ansatzweise praktisch nicht nur die Koppelung von Geben und Nehmen aufzugeben, sondern die Einteilung in Geben und Nehmen überhaupt. Für mich wird immer unklarer, wer (letztlich) der Nehmende oder Gebende ist. Die Leute zB., die für wikipedia schreiben, tun das ja wohl (auch) mit der beglückenden Vorstellung, dass viele Leute was damit anfangen können. Oder Eltern von behinderten Kindern sagen oft, wie viel Glück, neue Erfahrungen und Zufriedenheit sie dabei BEKOMMEN haben – obwohl das Verhältnis von außen genau anders herum aussieht. Das Interessante und Schöne an Störenfrieden, „unproduktiv“ Nachdenklichen, Spielern usw. wird leicht (auch bei den Leistungsorientierten der freien Software) übersehen. Vielleicht liegt der Fehler schon darin, der „Gesellschaft“ (den anderen) das Urteil darüber zu überlassen, was als „Arbeit“, „Aufwand“ usw. „gilt“ (Geldlogisches Denken?)
@ Uli:
Was bestimmt nicht ganz einfach ist?
Kann ich mir gut vorstellen. Es ist eben relativ einfach die gesellschaftlichen Muster, Ideen und Moralvorstellungen einfach zu übernehmen. Oder anders gesagt: ohne ein besonderes persönliches Erlebnis (Krise, Arbeitslosigkeit z.B.) kommt man gar nicht dazu, mal darüber nachzudenken, ob diese Muster wie z.B. „der Leisungsgedanke“ oder die Idee „Nur wer gibt soll auch nehmen“ und all das was hinter der „protestantischen Arbeitsethik“ steckt, überhaupt akzeptabel sind.
Bin gespannt, ob peer2peer an solchen breit geteilten Ideen wie „Geben vs. Nehmen“ rütteln wird, oder ob diese momentan dominanten Vorstellungen durch peer2peer noch auf eine viel subtilere Art und Weise verfestigt werden. Momentan kann ich mir beides gut vorstellen. Aber auch hier läge der Fehler dann, wie Du schon sagst, darin, der „Gesellschaft“ (in dem Falle der peer2peer wirtschaftlichen Gesellschaft) das Denken zu überlassen. Aber genau deshalb „streiten“ wir uns ja hier auch, oder?
@Thorsten: „der Gesellschaft das Denken überlassen“ … ist wohl unvermeidlich. Schon die Sprache ist ja ein gesellschaftliches Konstrukt. Was uns natürlich nicht davon entbindet dieses gesellschaftliche Denken selber zu verändern zu versuchen.
Es sind zwar Menschen, die die Denkweisen aussprechen, aber sie holen sie nicht kreativ aus dem Nichts und beeinflussen damit die Gesellschaft (wie es der Idealismus glaubte), sondern sie drücken aus, was sie täglich um sich sehen und erleben. Sie können sich zwar auch ablehnend dazu verhalten, aber ganz aus dem Denken ihrer Wirtschaftsweise aussteigen können sie nicht. Wir können hier auch nur über PÖ diskutieren und ihre Prinzipien analysieren, weil sie eben schon da ist.
In der PÖ machen Ausschluss und Konkurrenz keinen Sinn – daher wird es sie nicht mehr geben. Normierung und Selektion werden keine Rolle mehr spielen. Die Kopplung von Geben und Nehmen produziert aber Ausschluss all derer, die gerade nicht geben können oder wollen. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern auch für die anderen schädlich, weil diese Leute bei nächster Gelegenheit plötzlich hilfreich sein können, vgl. Herr Schmidts Kommentar. Die Notwendigkeit von Knappheit und damit von Ausschluss im Kapitalismus ist daher eine seiner großen Schwächen.
Die PÖ hat eine Inklusionslogik: alle profitieren davon, wenn sich so viele wie möglich beteiligen. Jemand, der bei einem Wiki nur mitliest, erzählt vielleicht anderen von dem Wiki, die sich dann beteiligen – und schon ist auch für die aktiv Schreibenden ein Nutzen da. Ihn auszuschließen, wäre also völlig kontraproduktiv, selbst wenn er/sie die Downloadzeiten für alle minimal vergrößert.
Meiner Ansicht nach sind es solche praktischen Prinzipien, die das Denken und Handeln der Menschen prägen – und nicht die hehren theoretischen Ideale und Konzepte. Die PÖ wird am Ende niemanden ausschließen, weil das in ihr einfach keinen Sinn macht. Sie wird daher auch die Kopplung von Geben und Nehmen überall dort aufheben, wo sie nicht unbedingt nötig ist – und je weiter die PÖ fortgeschritten ist, desto weniger Teilbereiche wird es geben, wo sie nötig ist. In der Phase des Übergangs sollte man allerdings kein Projekt dafür „dissen“, dass es eine solche Kopplung noch hat, außer es gibt eine funktionierende Alternative, wie auf sie verzichtet werden kann. In letzterem Fall wird sich aber wohl eh bald ein Projekt finden, dass sie praktiziert – weil man damit in der PÖ einfach weiter kommt.
Klar, dem schließe ich mich an.
Das deckt sich nicht mit meinen Erfahrungen und auch nicht einer Untersuchung von Holtgrewe zur Soziologie der KDE-Entwicklung. Es sind auch in der PÖ (bei Holtgrewe eben bei der KDE-Entwicklung) nur bestimmte Leute, die aktiv und passiv mitmachen. Aus deren Sicht sieht es freilich alles schön offen und gleichberechtigt aus. Nicht zuletzt geht auch die kapitalist. Produktionsweise davon aus, dass alle mitmachen müssen und können. Nichts anders predigt der Neoliberalismus: Mach Dich zum Unternehmer und alles wird gut. Wenn sie es dann nicht tun, liegt das aus Sicht der Apologeten des Kapitalismus dann nicht am Kapitalismus, sondern an der Faulheit der Leute.
Gerade dass Martin und Tatjana sich so dolle auf Geduld mit solchen „leechern“ berufen, wie Herr Schmidt das vorführt, zeigt für mich, dass auch in der PÖ der Leistungsgedanke sehr stark vertreten ist. Man lässt den „Leecher“ nicht einfach so leechen, nein, man tut es, weil man hofft, dass er irgendwann anfängt etwas zu leisten.
Falls Du mit „dissen“ mich meinst: nichts liegt mir ferner als „dissen“. Das mit der PÖ ist auch toll, kein Zweifel, aber dass durch Computer der Kapitalismus überwunden wird, halte ich für, naja etwas blauäugig.
Was du erwähnst bezüglich der Ausschlussmechanismen, ist wichtig und ein sehr reales Problem. Es betrifft z.B. auch den Ausschluss von Frauen in der Freien Software. Ich hatte aber auch nicht gesagt, dass heutige Projekte, die in den Umkreis der PÖ gehören, niemanden ausschließen (sie tun es leider nur allzu oft und reproduzieren dabei patriarchale und kapitalistische Ausschlusslogiken). Ich hatte geschrieben, dass die PÖ an und für sich eine Inklusionslogik hat. Damit meine ich, dass dort niemand vom Ausschluss anderer profitiert, sondern dass dieser generell schadet. So schaden sich auch heutige FS-Projekte massiv, wenn sie durch Machismus und Technosprech Frauen von der Teilnahme abhalten. Dagegen ist im Kapitalismus Ausschluss konstitutiv für das System, es geht einfach nicht ohne. Warum, habe ich in meinem oben verlinkten Artikel zu Normierung skizziert. Das ist ein wichtiger Unterschied. Da ich (wie du ja schon gemerkt hast 🙂 ) materialistisch denke, gehe ich davon aus, dass Verhaltensweisen, die einer Produktionsweise widersprechen, verschwinden werden, wenn diese sich gesellschaftlich durchsetzt.
Zum tieferen Einstieg empfehle ich Christians frei runterladbarem Buch. Da werden auch (in Kap. 6) viele Fragen zu den Unterschieden zwischen PÖ und Kapitalismus diskutiert, die immer wieder aufkommen.
Hallo
„Das mit der PÖ ist auch toll, kein Zweifel, aber dass durch Computer der Kapitalismus überwunden wird, halte ich für, naja etwas blauäugig.“
Prinzipell ist der Computer keine Erlösungstechnologie. Überhaupt der Gedanke, das Technologischer Fortschritt unser Dasein mit all seiner damit implezierten Vorteilen Generationen nach uns helfen könnten, „besser zu leben“, bezweifle ich, denn sie bringen ja auch nachteile mit sich.
Aber ich denke schon, das der Computer, bzw. besser Ausgedrückt die Netztechnologie es ist, die Uns dabei unterstützt, zu kommunizieren. Kommunikation ist die ureigenste Grundlage zur Kooperation. Ohne Kommunikation keine Kooperation! Auch wenn ich ein großer anhänger der Lokalen Aktion bin, weiss ich, um bestimmte HAUPTprobleme zu lösen es wichtig ist, Global zu denken und zu Kooperieren. Und da gibts nun mal nichts, was Computer und das Internet ersetzen könnte.
Aber der Computer bzw. das Internet ist nicht der Garant daführ. Es ist die Innere Einstellung + dem Medium was Aktionen so Mächtig und erfolgreich machen kann. Die betonung liegt auf kann.
Wenn ich im Gespräch mit Technologiegläubigen und Elitedenkern mich geistig auseinander setzen muss und mit ihrer dialektischen Art in die Ecke abgeschoben werde, hole ich dann immer meinen Joker raus: der Vietnamkrieg. Wer hatte mehr Geld, mehr Soldaten und mehr Technologie? Und wer hat den Krieg verloren und warum? Weil bedingungslos Zielorientiert Kooperiert wurde! Das war damals der Schlüssel zum Erfolg! Mann/Frau + Fahrrad + Ho-chi-minh-pfad analog zu User + Computer + Internet.
Auf lokaler Ebene ist das gute alte Gespräch unschlagbar und Computer stören da mehr als sie hilfreich sind, aber auf Globaler Ebene kommt man mit analogen Gesprächen nicht weiter und dazu bedarf es nun einmal vernetzte Computer + Großzügig Handelnde Peers. Und dann hats der Kapitalismus nicht mehr so leicht! Da kann man bei Problemen dann nicht einfach so mal eben Fabriken hier schliessen und am anderen ende der Welt die ganze Sache von vorn so weitermachen. Das ging bisher nur so lange, weil kein Gegenmittel vorhanden war. Da errinere ich nur an Monsanto´s Wunsch und seinen globalen Vorhaben und den Wiederstand, der dieser Projektidee von vorn direkt ins Gesicht entgegen weht.
MfG Herr Schmidt
@Herr Schmidt (31.01.2010, 17:41 Uhr)
So ist es sicher auch nicht gemeint. Neue Technologien bedeuten immer zugleich neue Möglichkeiten und auch neue Notwendigkeiten.
Wir wären sicher auch ohne Computer in der Lage bzw. privateigentümlich genötigt , die Erdatmosphäre gefährlich aufzuheizen. Aber die Möglichkeiten, (Möglichkeiten, nicht die Tatsache) das zu sehen, die möglichen Folgen zu erkennen, davon notwendig Zu Tuendes abzuleiten und sich entsprechend zu verständigen wäre ohne Computer doch sehr begrenzt bzw. noch viel begrenzter. Produktivkräfte sind immer auch Destruktivkräfte. Sich aus der Entwicklung der technologischen und intellektuellen Fähigkeiten (beides „Produktivkräfte“) ergebende Notwendigkeiten zur Überwindung der bestehenden, kapitalistischen Produktionsverhältnisse ergeben sich grad auch aus der Notwendigkeit, die neuen Möglichkeiten von Produktion und Destruktion auf eine mitmenschliche Weise zu händeln.
Nur wer sich zusammentut genießt ein Gemeinschaftsgut
Gruß hh
Die unter kapitalistischer Regie arbeitenden Entwickler der Produktivkräfte setzen eben auch alles daran, dass Computer eben nicht mehr Computer sind, sondern Fernbedienungen.
Ein interessanter Beitrag von Ulises Mejias dazu ist die Frage, ob Werkzeuge, die unter kapitalistischen Bedingungen produziert werden, überhaupt dazu beitragen können, den Kapitalismus zu überwinden, oder ob Produktion mittels dieser kapitalistischen Werkzeuge nicht vielmehr dem Kapitalismus dabei hilft, sich alle Produkte zu unterwerfen, die mit diesen kapitalistischen Werkzeuge produziert werden.
Die Frage „ob Werkzeuge, die unter kapitalistischen Bedingungen produziert werden, überhaupt dazu beitragen können, den Kapitalismus zu überwinden, oder ob Produktion mittels dieser kapitalistischen Werkzeuge nicht vielmehr dem Kapitalismus dabei hilft, sich alle Produkte zu unterwerfen, die mit diesen kapitalistischen Werkzeuge produziert werden“ ist absurd und bestens geeignet, jegliche Überlegungen zur Überwindung kapitalistischer Behauptungsverhältnisse (Existenzbedingungen) ins Nirwana zu führen.
Man sollte sich „den Kapitalismus“ nicht als einen sich außerhalb der menschlichen Verhältnisse und deren Entwicklung herumtreibenden bösen Dämon vorstellen dem man um Himmels Willen nicht zu nahe treten dürfe. Dann ist man schon drin in der Verelendungstheoriefalle und endet im kruden Antireformismus und dass nur ein böser Kapitalismus ein guter Kapitalismus ist. Statt zu fragen „ob“ gegenwärtige Produktionsmittel „überhaupt“ in der Lage sein können, zur Herausbildung mitmenschlicher Produktionsverhältnisse beizutragen, sollte lieber danach gefragt werden, welche Möglichkeit oder auch Notwendigkeit zur Herbeiführung anderer Vergesellschaftungsweisen diese oder jene Produktionsmittel besitzen oder meinetwegen auch nicht besitzen.
Computer, Internet, regenerative Energieträger, die Tatsache, dass nicht mehr nur eine hauchdünne Schicht „humanistisch bilden“ kann beenden nicht automatisch also innerhalb der kapitalistischen Automatik (die den kapitalistischen Behauptungsbedingungen entspringen) soziale Ohnmacht, Übervorteilung und andere Erscheinungen unmenschlicher Verhältnisse. Ebenso wenig wie die prinzipielle Erkenntnis (einer Minderheit) über die Gefährlichkeit anderer Produktionsmittel wie Gentec oder AKWs automatisch den Ruf nach mitmenschlichen sozialen Mitteln und Zwecken der Entwicklung von Produktionsmittel hervor bringt. Es käme darauf an heraus zu arbeiten in wie weit das jeweils voran getrieben werden kann – und dies dann auch zu tun.
Gruß hh
Die im Interview zum Ausdruck gebrachte These der Produktivkraftentwicklung, die das Zeug hätte, die Produktionsverhältnisse zu sprengen, ist m.E. durchaus plausibel. Nicht nur bzgl. der angesprochenen peer production, sondern besonders auch im Bezug auf das BitTorrent-System. Denn gerade dort geschieht ja etwas Erstaunliches, das per se mit der kapitalistischen Verwertungslogik nicht zu vereinbaren ist: Anstatt Waren gegen Geld zu tauschen, werden Güter geteilt, und zwar so, dass nach der Teilung alle das gleiche haben – der Teilende also nicht weniger als vorher. Das widerspricht der Warentauschlogik fundamental. Und findet bereits (noch?) im großen Stil statt, dezentral und weltweit. Alles für alle und das umsonst: Die bereits massenhafte Verwirklichung eines kommunistischen Urprinzips.
(Man könnte einwenden, dass es sich dabei ja nicht um Produktion, und deshalb auch nicht um Produktkraftsteigerung handelt. Aber ich denke man sollte Distributionskräfte unter den Oberbegriff der Produktivkraft subsumieren. Bessere, effizientere Verteilungswege entsprechen ja letztlich besseren, effizienteren Produktionsmitteln.)
Aber es bleiben natürlich Fragen: Wie wirkt sich die Produktivkraftsteigerung in einem bestimmten Bereich (digitale Güter) auf andere Bereiche aus? Wie ist das Verhältnis von Produktivkraft und Produktionsweise überhaupt genau zu denken? (Wo erklärt Marx das eigentlich? Oder bleibt das bei ihm eine abstrakte historische These?)
Marx konstatiert, dass die Entwicklung von Produktivkräften stets neue Formen (Stufen) in der Teilung der Arbeit hervorbringen, die stets auch neue Eigentumsformen bedeutet also Formen „in denen sich die Menschen in Bezug auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit“ zueinander verhalten (mehr oder minder zu verhalten genötigt sind).
Deshalb die Behauptung: Damit sich die Menschen in Bezug auf die Materialien, Instrumente und Produkte (sowie dabei zu beachtende ökologisch / soziale Faktoren) zueinander als Menschheit (und somit mitmenschlich) verhalten können, müssen sie dazu technisch und intellektuell auch in der Lage sein, müssen also die technischen und geistigen Produktivkräfte hinreichend entwickelt, muss ein „Weltverkehr“ schon entstanden und alle voneinender mehr oder minder abhängig sein.
Wichtig ist, nicht auf einem technokratischen Verständnis von Produktivkraftentwicklung stehen zu bleiben. Zwar mögen die enormen Fortschritte bei der Produktions von Nutzenergie dazu beigetragen haben, dass die Menschen genug Verstand und Muße entwickeln konnten, um über die Gefahren der Atomkraft nachdenken zu können. Aber das mit den Anti-AKW Demos aufkommende kollektive Begehren nach sichereren und zukunftsfähigeren Materialien, Instrumenten und Produkten (sowie dabei zu beachtende ökologisch / soziale Faktoren) wird sicher nicht „automatisch“ zur sozialen Steuerung der Nutzenergieproduktion (also Gemeineigentum inder Frage) weiter entwickelt, und wenn , dann auch nicht eine bloße (deterministische) Funktion „der“ Produktivkraftentwicklung sein vielleicht aber die Notwendigkeit zur rationalen also diskursiven Entwicklung der einen und zum Stopp der anderen Produktivkräfte so evident machen, dass allgemein ganz verzweifelt nach entsprechenden „Eigentumsformen“ gesucht werden wird.
Es gilt also zu differenzieren und genau hinzusehen. Wie Produktivkkraftentwicklung auf Veränderungsdedarf und -begehren in Hinblick auf die Produktionsverhältnisse wirkt muss immer im Einzelnen nachvollzogen werden.
Gruß hh
@ Hans Hirschel
mmm…. der von mir erwähnte Mejias, der diese Frage stellt (und sich dabei auf das Buch Cyber-marx: Cycles and circuits of struggle in high-technology capitalism von Dyer-Witheford bezieht) , geht davon aus, dass Maschinen nicht neutral sind, sondern, dass sich in ihnen verschiedene und sich gegenüber stehende Potentiale befinden. (Bsp. Messer) Welches Potential sich entfaltet, wird durch (gesellschaftliche) Konflikte entschieden. Momentan scheint es die im Kapitalismus dominanten Kräfte zu sein, die viele dieser Konflikte für sich entscheiden.
Ich finde das nicht absurd. Es hilft mir zu erklären, warum es trotz des Potentials zur Peerproduktion, dass Computern und dem Internet zweifellos innewohnt, kein nicht-kapitalistisches StudiVZ oder kein nicht-kapitalistisches Wikipedia gibt. Die Server, der Strom, die materiellen Sachen dieser Geschichten werden trotz allem peer2peer an der Oberfläche dem Kapitalismus unterworfen.
Auch kann ich nicht erkennen, was an dieser Frage dazu automatisch dazu führt „jegliche Überlegungen zur Überwindung kapitalistischer Behauptungsverhältnisse (Existenzbedingungen) ins Nirwana zu führen.“ Ich finde die Frage durchaus geeignet, kritisch zu fragen, wie eine Überwindung aussehen soll, was überwunden werden soll und was man ändern kann, falls man merkt, dass der Kapitalismus trotz ständigem Handeln nach peer2peer-Prinzipien und trotz ständigem Commoning nicht aufhören will.
Absurd ist das Reinheitsgebot, dass von einem Werkzug verlangt wird bevor es überhaupt dazu beitragen (!) kann, unsere kapitalistischen Vergesellschaftungsweisen zu überwinden. Das können demnach nur 100 % Kapitalismus freie Werkzeuge leisten.
Ich behaupte, dass Atomkraftwerke zur Überwindung von Kapitalismus beitragen können, weil sie die Frage provozieren können, wer eigentlich nach welchen Kriterien die Mittel der Nutzenergieproduktion festlegt, und ob man das getrost so lassen kann.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Höchstens richtiges Streben.
Gruß hh
@ Hans Hirschel
Dieses Reinheits-GEBOT kann ich der von ihnen als absurd erklärten FRAGE nicht entnehmen.
Auch diese Aussage steckt nicht in obiger Frage.
Das Interview ist ein klasse Einstiegstext in das Thema für jemanden, der noch nie etwas von Peer Production gehört hat. An ein paar Punkten bin ich jedoch anderer Meinung:
Freie Lizenz: Es gibt im Internet viele Beispiele, wo Leute etwas gemeinsam machen auf freiwilliger Basis und ohne Geld, wo aber das Ergebnis unter einer halbfreien Lizenz (CC-BY-NC oder -ND) oder gar keiner Lizenz steht (wie z.B. das Interview oder die Kommentare dazu oder auch YouTube-Clips usw.). Im Interview kommt zu wenig raus, daß das nicht das gleiche ist, wie freie Software. (Ich würde fast sagen, wenn keine freie Lizenz druntersteht, war die ganze Mühe fürn Arsch, aber diese Meinung ist vielleicht auch ein wenig extrem.)
Freie Musik: Stefan erwähnt freie Musik. Das Thema sehe ich ein bißchen skeptisch. Es gibt Leute, die aus Prinzip freie Musik machen, aber das sind wenige. Auf Yamendo etc. findet man hauptsächlich die halbfreien CC-Varianten (NC und ND), und ich bin mir nicht klar, welcher Aspekt überwiegt, daß diese Lizenzen mit der echten freien Musik konkurrieren, weil die Leute sonst echte freie Musik machen würden, oder daß die halb-freie Musik eine Konkurrenz zur Musikindustrie aufbaut. Noch eins grundsätzlich zu freier Musik: Wie soll man jemandem (der vielleicht sogar selbst Musik macht, kostenlos, aber ohne Public License) den Sinn freier Musik erklären, wenn er 50.000 Raubkopien auf dem Rechner hat? Der Vorteil, daß freie Musik legal ist, entfällt da schonmal. Freie Musik ist irgendwie nicht so richtig nützlich
Übertragung auf Hardware und andere Bereiche: Weder die Free CPU noch OScar sind was geworden, OpenAerialMap hat das Licht ausgeknipst… Irgendwie scheinen manche Aufgaben (noch) zu groß zu sein für Hobbyprojekte. Ein Auto selbst zu bauen, ist viel zu teuer.
Motivation: Ob freie Software ganz ohne Altruismus funktioniert, bin ich mir nicht so sicher. Bei Linus Thorvalds war die Motivation Spaß, aber ich denke, bei Richard Stallman und bei Jimmy Wales war zumindest der erste Gedanke: Die Menschheit braucht ein freies Betriebssystem bzw. eine freie Enzyklopädie — und das ist ein altruistischer Gedanke. Und die ersten Linux-Versuche waren ja auch nicht frei…
„Links sein“: Dieser Punkt ist mir besonders wichtig. Im Interview liest es sich so, als wäre Stefan früher links gewesen, aber jetzt nicht mehr, weil Peer Production besser sei als linke Politik und Ideologie. Das ist, finde ich, ein ganz schlimmer Gedankenfehler. Für mich ist „links“ gleichbedeutend mit „egalitär“. (Der Ausdruck „links“ wird ja teilweise auch verwässert und z.B. mit einem bestimmten Lifestyle gleichgesetzt usw., deshalb finde ich den Ausdruck „egalitär“ eher besser.) Und das, was mir an freier Software gefällt, ist, daß sie deutliche egalitäre Züge aufweist: jeder darf sie kopieren, jeder darf sie ändern, jeder darf sie studieren und jeder darf sie benutzen — per Definition. Die Software gehört praktisch allen. Das ist auch mein Debian, meine Wikipedia, mein Soundtracker. Und beim Stichwort „doppelt frei“ gehts weiter: bei den Projekten kann praktisch jeder mitmachen, der etwas Sinnvolles beizutragen hat. Und die Projekte sind international. Das alles ist für mich „links“, und genau das gefällt mir an freier Software.
Noch eine Ergänzung: Ich denke, daß mit Peer Economy der „klassische“ Sozialismus mit Planwirtschaft etc. nicht unbedingt vom Tisch ist. Gerade weil im Moment noch keiner eine CPU oder ein Auto in einem freien Projekt konstruieren, geschweige denn produzieren kann, sehe ich den Sozialismus noch immer als legitimen Weg zu einer gerechteren, besseren Welt. Und die Peer Economy kann mit dem Sozialismus zumindest genauso nebenher existieren, wie heute mit dem Kapitalismus, wenn nicht sogar eher verschmelzen.
Huch, wo ist mein Kommentar (zwischen 46 und 47)?
Zu den „Trittbrettfahrern“: Die Wikipedia könnte, wenn der Traffic zu groß wird und das Spendenaufkommen zu gering, jederzeit auf eine Verteilung per Kauf-DVD umgestellt werden (Worst-Case-Szenario). Da alles frei kopierbar ist, würde es verschiedene Anbieter geben und der Preis sich etwas über dem Selbstkostenpreis einpegeln. Auch gegenseitiges Kopieren der Wikipedia-Distribution wäre natürlich möglich. Zum Lesen müßte man ein Programm zu Hause installieren. Der Wikipedia-Server würde dann nur noch zum Editieren benutzt und massiv entlastet. In der Realität würde wahrscheinlich eine intelligentere Lösung gefunden werden.
Torsten 11.02.2010, 16:13 Uhr
Die Frage “ob Werkzeuge, die unter kapitalistischen Bedingungen produziert werden, überhaupt dazu beitragen können, den Kapitalismus zu überwinden, oder ob Produktion mittels dieser kapitalistischen Werkzeuge nicht vielmehr dem Kapitalismus dabei hilft, sich alle Produkte zu unterwerfen, die mit diesen kapitalistischen Werkzeuge produziert werden” ist deshalb absurd, weil da eine Alternative aufgetan wird, die keine ist. Weil sich das eine nur aus dem anderen entwickeln kann und hier Entwicklungspotenzial mit der gegebenen Wirklichkeit (den gegenwärtigen Verhältnissen) verwechselt ist. Ziel führend kann doch nur danach geragt werden, was ein bestimmtes Know How, eine bestimmte Technik des Zusammenwirkens oder der Herstellung (von z.B. Nutzenergie oder Kommunikationsmöglichkeiten) an Potenzial in sich birgt, das (nicht nur bei einer kleinen radikalen Minderheit) den Gedanken an die Schaffung einer Produktionsweise nahe legt, die in existenziellen Dingen (weltweit) bewusstes Abstimmen von Bedürfnissen, Produktionsmethoden, -mengen -orten usw. erfordert. Dazu beitragen können alle möglichen guten und schlechten Dinge, die kapitalistisch entwickelt, hergestellt und verbraucht werden. Wenn heute alle möglichen Ansätze von Peer Production oder Produktion-Konsum Gemeinschaften usw. immer auch im allgemeinen Warensinn eingebettet sind, heißt das doch nicht, dass der Ausgang aus dem allgemeinen Warensinn für immer versperrt ist. Nehmen wir ein extremes Beispiel, nämlich die industrielle Hochseefischerei. Bestimmte Techniken, wo der Meeresgrund umgepflügt wird, sind auf Raubbau ausgerichtet und können natürlich niemals „sozialistisch angewendet“ werden. Aber selbst diese Technik kann zur Überwindung des Kapitalismus beitragen, weil sie die Notwendigkeit mitmenschlicher Produktionsweisen aufzeigt, die so was nicht zulassen würden. Gleichzeitig trägt sie dummerweise dazu bei, dass Menschen zufrieden mit „dem Kapitalismus“ werden, also hier der kapitalistischen Art, sie mit billigem Fisch zu versorgen. Das ist aber doch Gegenstand sozialer Auseinandersetzungen bzw. Bewegungen und hängt von deren Erfolgen ab. Werkzeuge sind keine Sozialautomaten. Schwimmende Fischfabriken, die nicht den Meeresboden umpflügen und 60 Prozent Beifang haben müssen, deren Technik „nur“ deshalb Raubbau bedeuten, weil mit so wenig Aufwand so große Mengen gefischt werden kann, wird man wohl kaum weltweit durch handwerkliches Fischen ersetzen können, aber man wird zu sozialen Techniken kommen müssen, die zur nachhaltigen Anwendung dieser Instrumente nötigen.
Gruß hh
Ich kann die Absurdität der Frage nicht erkennen, da sie ja genau das anspricht, was Sie und ich hier auch tun: zu schauen und zu diskutieren, ob und worin die Leistung bzw. Möglichkeit besteht, unter Bedingungen des Kapitalismus Technik zu entwickeln, die den Kapitalismus überwindet.
Ich stimme ihren Ausführungen zu den sozialen Auseinandersetzungen insoweit zu, als dass diese nicht wirkungslos sind. Dass Werkzeuge keine Sozialautomaten sind, würde ich aber bestreiten, da sie auch schon Resultat sozialer Auseinandersetzungen sind. Siehe die Beiträge (z.B. um die sozialen Auseinandersetzung bei der Entstehung des Fahrrades) in Bijker, Wiebe E., Thomas P. Hughes, and Trevor J. Pinch, eds. The Social Construction of Technological Systems: New Directions in the Sociology and History of Technology. Cambridge, MA: MIT Press, 1987.
Vielleicht könnte man sich ja darauf einigen, dass sich soziale Bewegungen und die von diesen genutzte Technik gegenseitig beeinflussen?
@Thomas Grüttmüller: Dein obiger Kommentar (#47) war aus unerfindlichen Gründen im Spamfilter hängen geblieben. Sorry!