Allmendesalon: Gemeingüter jenseits des Wachstumszwangs

Gestern fand der achte Salon »Zeit für Allmende« in der Heinrich-Böll-Stiftung statt, zu dem ich eingeladen war. Wie schon der vorhergehende Salon, bestimmte das Thema »Wirtschaft« die Diskussion, zumal die Wirtschaftsvertreter_innen in der großen Überzahl vertreten waren. Entsprechend waren die Beträge von Überlegungen bestimmt, wie man Commons und Wirtschaftslogik verbinden könne. Allein Christian und ich sprachen uns für eine deutliche Trennung der beiden Logiken aus.

Im Anschluss an den Salon gab es einen Fragebogen, mit dem wir um ein Feedback gebeten wurden. Ich beantworte die Fragen einfach gleich mal öffentlich — Transparenz ist ja ein wichtiges Element der Commons 🙂

1) Was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie aus dem Salon mitnehmen?

Nach der Free Culture Conference kam auch beim Salon eine Frage auf, von der ich denke, dass sie die Debatte in naher Zukunft bestimmen wird: Können Commons skaliert werden und wenn ja, wie? Bislang werden Commons in der Regel mit kleinen Gemeinschaften identifiert, und das ist auch nicht falsch. Aus zwei Richtungen kommt nun die Frage der Skalierung: von der Seiten der Politikfähigmacher_innen und von Seiten der Verallgemeiner_innen.

Die erste Gruppe möchte gerne die Politik mit Commons-Konzepten zu einer Richtungsänderung bringen. Dazu müssen auch die »großen Themen« commonifiziert werden: Wie können neue Regeln für die Wirtschaft formuliert werden (zum Beispiel Re-Internalisierung von externalisierten Kosten mit Hilfe von Gesetzen)? Wie können auch große Unternehmen Commons-Praxen übernehmen und sich so in Richtung »Nachhaltigkeit« und »Ende des Wachstums« verändern? Wie können neue commons-basierte Wirtschaftskreisläufe erzeugt und politisch unterstützt werden?

Die zweite Gruppe, zu der ich eher gehöre, will die Commons verallgemeinern. Diese Sicht geht zuerst nicht in Richtung Politik und Wirtschaft, sondern fragt danach, was — jenseits von Markt und Staat — getan werden kann, um immer mehr gesellschaftliche Bereiche nach dem Prinzip der Commons zu organisieren. Dazu gehören sowohl bisher »wirtschaftlich« dominierte Sphären wie auch jene zwei Drittel, die nicht-wirtschaftlich organisiert sind. Politik und Staat kommen in dieser Sicht nicht als Gestalter, sondern bestensfall als Ermöglicher vor. Langfristig gehört dazu die Frage, die zunächst theoretisch zu bewegen ist, wie eine commons-basierte Gesellschaft organisiert sein kann, die alle für das Leben notwendigen Dinge produziert — ohne Markt und Staat.

2) Welchen Beitrag kann Ihrer Meinung nach der Blick auf Gemeingüter für die Wachstumsdebatte leisten? Weist die Diskussion um die Peer-to-Peer Ökonomie einen Weg aus dem Wachstumszwang und Übernutzung natürlicher Ressourcen? Wenn ja, welchen? Wenn nein, warum?

Die Commons-Debatte weist einen Weg aus dem Wachstumszwang, wenn sie sich keine Tabus auferlegt. Der Wachstumszwanz ist ein systemischer Effekt, der nicht durch einzelne Modifikationen beendet werden kann. Beim Salon brachte ich folgende knappe Argumentation: Eine wachsende Wirtschaft minimiert den Arbeitsaufwand, wodurch Arbeitsplätze wegfallen. Will man dies nicht, muss Wirtschaft den Rationalisierungseffekt überkompensieren, d.h. sie muss stärker wachsen. Das somit notwendige exponentielle Wachstum ist logisch begrenzt (endliche natürliche Ressourcen), und diese Grenzen erreichen wir derzeit (Peak-Anything). Ergo: Wirtschaft kann nicht nicht wachsen, will sie kein soziales und ökologisches Desaster auslösen (was für weite Teile der Welt bereits der Fall ist).

Die Diskussion war davon bestimmt, den systemischen Effekt (den man auch noch fundierter begründen kann) in eine Frage der persönlichen Haltungen, Ethiken und Handlungen umzudeuten. Diese gehen der Wirtschaft jedoch nicht voraus (um Wirtschaft zu gestalten etwa), sondern sie sind Resultat der wirtschaftlichen Systemlogik. Abweichungen sind möglich, aber nur dort, wo ein Unternehmen eine luxuriöse Marktposition und daher genug Spielgeld hat, um diese Abweichungen zu finanzieren. Commons repräsentieren hingegen tatsächlich jene personal steuerbaren Strukturen, die sich die gutmeinenden, sozial und ökologisch engagierten Wirtschaftsvertreter_innen vorstellen. Wer an systemische Elemente von Wirtschaft nicht ran will, wird den Wachstumszwang nicht stoppen.

Es ist jedoch vielmehr zu befürchten, dass sich das Ende des Wachstums als gigantische Krise auf katastrophale Weise Geltung verschafft. Das ist ein Prozess, der im für viele Regionen der Welt schon Realität hat, der aber in wesentlich größerer Dimension auch die bislang privilegierten Sektoren treffen wird. Der Wirtschaftswissenschaftler Franz Hörmann hat den systemischen Aspekt tatsächlich in den Blick genommen und kommt zu dem Schluss, dass das System Wirtschaft noch etwa drei Jahre hat, bevor es zusammenbricht. Nun wird nicht einer den richtigen Kristallkugelblick haben, aber die Tendenz scheint mir eindeutig zu sein.

3) Welche Rolle spielen Gemeingüter (als produktive „setting“) für Wohlstandsmehrung? Für den Einzelnen und die Gesellschaft? Was heißt das für die Rolle der Wirtschaft?

Wie Silke Helfrich auf dem Salon ausführte, spielen Commons für 3,5 2,5 Millarden Menschen eine entscheidende Rolle beim Überleben. Doch ist hier zu fragen, ob es sich weitgehend und zunehmend um Elends-Commons handelt, über die sich die aus Wirtschaft ausgespuckten Menschen versorgen. Tatsächlich könnten Commons die zentrale Rolle bei der Wohlstandserhaltung und -mehrung für sehr viele Menschen spielen, allerdings nur, wenn das globale Enclosure der Commons beendet wird. Dies kann jedoch nur zu Lasten von Wirtschaft geschehen: Wenn Hybrid- oder Terminator-Saatgut kein Verwertungsgut ist, dann werden dort in dem entsprechenden Wirtschaftssektor keine Einnahmen mehr erzielt, es werden keine Gewinne mehr gemacht und es gehen Arbeitsplätze verloren. Darüber muss man sich klar sein. In der Bilanz könnte freie Commons jedoch für wesentlich mehr Menschen den Wohlstand mehren, da Commons direkt die Güter produzieren, die benötigt werden und nicht über den Umweg des »Geldverdienens« gehen.

In der Salon-Diskussion wurde darauf verwiesen, dass Unternehmen auch substanzerhaltend agieren könnten und darüber hinaus keinen Gewinn machen müssten (also schon Gewinn: aber nur für die Erhaltungsinvestitionen). Aus Gründen der Marktkonkurrenz bezweifele ich, dass das eine verallgemeinerbare Möglichkeit ist, aber gehen wir einmal davon aus — im Einzelfall geht es sicherlich (das wird dann Philanthropie genannt). Faktisch heisst das, dass Unternehmen auf einen Teil des Gewinns verzichten und ihn zu anderen Zwecken abgeben. Sie könnten dieses Geld in Commons-Projekte geben (ich kenne da ein paar FabLabs, die was brauchen — bitte melden!). Das wäre ein sinnvolles Setting, und für die Gesellschaft wäre das »produktiv«. Spätestens wenn die geförderten Commons allerdings den Markt ersetzen, der von dem Unternehmen bedient wird, wird mit der Philanthropie Schluss sein.

4) Gibt es Bereiche der Wirtschaft, die von der erstarkenden Diskussion um Gemeingüter profitieren können? Wenn ja, welche, wie und warum?

Diese Bereiche wird es sicherlich geben. Wie unter 3) dargestellt, wird es auch Bereiche geben, zu deren Lasten die Ausweitung der Commons geht. Ich kann nicht spekulieren, in welchen Bereichen welche Entwicklung geschehen wird.

5) Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Fragen 1-4 für die Politik? Wo besteht politischer Gestaltungsbedarf? Wenn Sie zwei Sofortmaßnahmen vorschlagen könnten, welche wären das?

Die Politik könnte sich als Ermöglicher der weiteren Ausdehnung von Commons-Projekten verstehen. Hier gibt es sicher eine Reihe von Möglichkeiten: Räume und Flächen in staatlicher Verwaltung könnten Commons-Projekten treuhänderisch zur Verfügung gestellt werden (mit Existenzgarantie), Enclosures könnten zurückgenommen werden (in sehr vielen Bereichen: vom Saatgut bis zu Kulturgütern), Patente und Urheberrechte begrenzt werden etc.

Erste Sofortmaßnahme: Das (kurz vor der Verbschiedung stehende) ACTA-Abkommen wird in Europa und Deutschland nicht umgesetzt.

Zweite Sofortmaßnahme: S21 wird nicht umgesetzt, sondern das Vorhaben wird in ein Commons-Projekt umgewandelt, in dem die Beteiligten selbst entscheiden, welches Konzept realisiert wird.

6) Raum für Sonstiges

Ich bin auf die nächsten Salons gespannt.

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