Wachstum – dystopischer Wahn
[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]
Der Kapitalismus ist ein Erfolgsmodell. Dumm ist nur, dass Bestandteil dieses Erfolgs ist, die natürlichen Lebensgrundlagen – uns darin eingeschlossen – zu zerstören. Dabei geht es nicht nur um die Klimakatastrophe, die der Kapitalismus erfolgreich produzierend in die Welt gesetzt hat. Viel weniger Aufmerksamkeit bekommen andere Verherungen, etwa die geozeitlich gesehen sechste Welle des Artensterbens, die Meeresversauerung und Überfischung, das Aufbrauchen der Süßwasservorräte, die Zerstörung der Böden und Wälder, die Vergiftung der Biosphäre usw. Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass es der Kapitalismus schaffen wird, die globale Menschheit in den Kollaps zu produzieren. It’s not a bug, it’s a feature.
Der Kern des destruktiven Erfolgs ist der intrinsische Wachstumszwang des Kapitalismus. Als Treiber dafür können zwei Elemente ausgemacht werden, Geld und Eigentum. Beide sind nicht voneinander zu trennen, ich will sie hier dennoch nacheinander durchgehen.
Das Geld steht für die Spaltung von als Waren produzierten Gütern in zwei Aspekte: jenen, der die Bedürfnisse befriedigt, der Gebrauchswert, und jenen, der die gesellschaftliche Verteilung organisiert, der Wert oder eben das Geld. Verkürzt gesagt stehen damit Bedürfnisse und Geld in zwei getrennten Lagern. Wir fragen nicht, was wir für unsere Bedürfnisse brauchen, sondern was wir bezahlen können. Gleichzeitig ist beides aneinander gekoppelt: Wir bekommen die Sache für unsere Bedürfnisse nur, wenn wir sie auch bezahlen können. Soweit zur Konsumseite.
Schauen wir nun auf die Produktionsseite, können wir den Wachstumszwang verstehen. Dazu dient folgende modellhafte Skizze. Nehmen wir ein individuelles oder kollektives Kapitalgebilde, ein Unternehmen oder eine Branche, kurz: ein Kapital. Das Kapital investiert in Produktionsvoraussetzungen und Arbeitskraft, um Waren zu produzieren und zu verkaufen. Aus dem Verkauf der Waren werden die (Kredite für die) Produktionsvoraussetzungen bezahlt. Die Arbeitskraft bekommt einen Teil der verbleibenden Gewinne als Lohn. Der Rest wird vom Kapital als Profit angeeignet.
Nun kommt’s: Von dem Lohn können die Arbeitenden die von ihnen hergestellten Waren nicht komplett zurückkaufen. Sie können nur die Waren kaufen, die – mehr oder weniger, das hängt auch von sozialen Kämpfen ab – ausreichen, um ihre Arbeitskraft zu erhalten. Wer kauft den Rest? Der kann nur von weiteren entlohnten Arbeitenden gekauft werden. Dazu muss die Produktion ausgedehnt werden. Die Investition dafür wird aus dem vorherigen Profit bezahlt. Damit steht jetzt zwar mehr Kaufkraft zur Verfügung, doch gleichzeitig wird auch wieder mehr produziert – wo kommt die Kaufkraft dafür her? Dazu muss wieder mehr produziert werden, damit die neuen Beschäftigten von ihrem Lohn etc. pp. Das bedeutet, schon die Spaltung in Gebrauchswert und Wert, in Bedürfnisse und Geld, erzeugt einen inneren Expansionsdrang.
Kurzer Seitenblick: Im Sozialismus läuft es im Prinzip genauso, nur dass der Mehrwert nicht von einem Kapital angeeignet wird, sondern vom Staat. Definitorisch ist das dann zwar keine Ausbeutung, doch für die Arbeitenden bleibt es das Gleiche: Sie können nicht alle von ihnen produzierten Waren zurückkaufen, was genauso zu Wachstum nötigt. Allerdings ist der Antrieb, die Produktion auch tatsächlich auszuweiten, hier viel geringer. Denn es fehlt das zweite Element, das wir im Kapitalismus finden.
Es ist das Privateigentum, es macht den Wachstumsdrang vollends zum Wachstumszwang. Wie das? Eigentum erlaubt den Ausschluss von Anderen von der Verfügung über eine Sache. Es ist die rechtliche Basis kapitalistischer Exklusionslogik. Es trennt alle von allen, so auch die Produzent*innen voneinander. Sie produzieren jeweils für sich und konkurrieren auf dem Markt um die begrenzte Kaufkraft – siehe oben. Die Konkurrenz zwingt sie zur Innovation, zur Verbilligung der bestehenden Produktion oder zur Schaffung neuer Produkte. Beides braucht Investitionen, und wer größer ist, kann mehr Geld (oder Kredit) einsetzen. Skaleneffekte – größere Mengen zu produzieren verbilligt die Stückkosten – tragen ihr übriges dazu bei. Wer es nicht schafft, den eigenen Marktanteil durch Innovation zu halten oder zu vergrößern, wird von der Konkurrenz verdrängt, die dem gleichen Zwang unterliegt. Nur wer wächst, überlebt. Q.e.d.
Die Exklusionslogik hat auch eine sachliche Seite, die Externalisierung. Um die Produktion zu verbilligen, wird alles rausgeworfen, was sie potenziell verteuert: Menschen- und Umweltschutz. Und es muss potenziell alles einverleibt werden, was verwertbar ist: Erdkruste, Biosphäre, Menschen. Die Ironie ist, dass die kapitalistische Warenproduktion damit genau jene Produktionsfaktoren zerrüttet, die sie eigentlich braucht.
Weil jedoch die Grundlagen der Produktion geschützt werden müssen, es die einzelnen Unternehmen jedoch nicht hinbekommen, ist der Staat notwendig. Auflagen und Einschränkungen sind für das Kapital kein Problem, solange sie für alle gleichermaßen gelten. Das Kapital flehte im 19. Jahrhundert den Staat an, die überbordenden Arbeitszeiten rechtlich zu begrenzen, weil sonst die kollektive Arbeitskraft ruiniert werde. Aufgrund der Konkurrenz brachten sie das selbst nicht zu Stande. Damals ging es um die Konkurrenz innerhalb eines Nationalstaats, heute geht es um die globale Ebene. Hier verhindert die Konkurrenz der Nationalstaaten untereinander den globalen Rettungseingriff.
Das bringt manche auf die Idee, dass ein Weltstaat den Kapitalismus bändigen könnte. Sie übersehen jedoch, dass staatliche Eingriffe meist erst im Nachhinein erfolgen. Das kann halbwegs funktionieren, solange die Auswirkungen der Externalisierung örtlich und zeitlich begrenzt sind. Bei den oben beschriebenen multiplen Katastrophen handelt es sich jedoch sowohl um globale wie um lange nachlaufende Prozesse. Auch punktuelle weltstaatliche Eingriffe wären „strukturell zu klein“ und kämen „strukturell zu spät“. Das gilt erst recht für die wesentlich dürftigeren „internationalen Abkommen“, mit denen wir es heute zu haben.
Solange Geld und Eigentum im Spiel bleiben, ist daran prinzipiell nichts zu ändern. Das bedeutet nicht, dass die Wirkungen von Geld und Eigentum nicht abschwächbar wären. Commons und solidarische Ökonomien machen das. Sie versuchen gegen die hinter unserem Rücken wirkende ökonomische Wachstums- und Destruktionsmechanik mehr Solidarität und Mitweltschutz durchzusetzen. Besser als nichts. Nötig wäre jedoch die Aufhebung von Geld, Eigentum, Markt, Staat – des Kapitalismus.
Schöner Text, der das Wesentliche auf den Punkt bringt.
Was vielleicht noch eine Erwähnung wert gewesen wäre, ist das Thema der „Finanzialisierung des Kapitalismus“. Natürlich besteht aufgrund der inneren Mechanismen des Kapitals der Zwang zum Wachstum und Erschließen neuer Märkte. Mittlerweile hat sich das Kapital aber auch in (fast) jeden Winkel der Erde gefressen, sodass das Mehr an Waren immer schwieriger abzusetzen ist.
Wie reagiert das System? Durch das Akkumulieren immer neuer Schulden auf privater und öffentlicher Ebene. Das aktuelle Verhältnis zwischen globalen BIP und globaler Verschuldung liegt mittlerweile bei 1 : 3,56 (!) – „Tendenz“ steigend.
Da sich jetzt offensichtlich eine Stagflation auf globaler Ebene anbahnt, stellt sich die Frage, wie das System (und als dessen Exekutoren die Zentralbanken) reagieren wird:
a) Die Zinsen erhöhen, um die Inflation auszubremsen – und damit die zahlungsunfähigen Unternehmen und Konsumenten gefährden (da sie beisteigenden Zinsen sehr viel schwieriger an notwendige Liquidität herankommen), Investion & Konsum erschweren und eine Rezessionen „open end“ riskieren
b) Die „Lockere Geldpolitik“ fortsetzen, die Inflation anheizen, damit aber Investitionen und Konsum limitieren, da bei steigenden Preisen ebenfalls weniger verkonsumiert/investiert werden kann
Will sagen: Es läuft immer schneller auf die Entwertung des Geldes hinaus, da seit den 80ern Jahren immer mehr „ungedecktes“ Geld produziert wurde – Geld, dass nicht durch „Mehrwert-Arbeit“ gedeckt wird, sondern nur einen Vorgriff darauf vorstellt.
Der „Glaube“, dass irgendwann in ferner Zukunft doch noch die Rendite erwirtschaftet wird, um sowohl die Schulden abzuzahlen als auch noch Profit zu erwirtschaften, ist der Kern des „inversen“ Kapitalismus. Das Problem der Stagflation der 80er-Jahre konnte ja erst durch die Finanzilisierung (vorübergehend) gelöst werden. Da diese Art von Munition aber schon verschossen wurde, stellt sich mir die Frage, in welche Richtung sich der Kapitalismus jetzt noch entwickeln kann? Leider hat er sich in Vergangenheit als überaus anpassungsfähig erwiesen – letzten Endes wird es die Zeit zeigen, wo die Reise hingeht…
Hoffen wir das Beste!
Quellen:
http://www.konicz.info/?p=4616
https://www.wiwo.de/politik/konjunktur/weltwirtschaft-auf-dem-weg-in-die-stagflation/27111376.html
https://www.krisis.org/2015/wenn-reichtum-reichtum-vernichtet/
Auch wenn der „Wachstumsdrang“ im Kapitalismus zweifellos da ist und ihn so in die Klimakatastrophe hinein und über die planetaren Grenzen hinaustreibt, haut das mit der Begründung des „Wachstumszwangs“ so pauschal nicht hin. Du schreibst, weil die Arbeitenden nicht alle ihre Produkte kaufen können, „muss die Produktion ausgedehnt werden“. Aber warum sollten nicht einfach die Kapitalist:innen die restlichen Produkte kaufen und konsumieren? Das Geld dafür haben sie ja. Klar, einen solchen „Steady-state-Kapitalismus“, in dem kein Wirtschaftswachstum mehr stattfindet, weil der ganze Profit von den Kapitalist:innen verfrühstückt wird statt zum Teil in die Ausweitung der Produktion gesteckt zu werden, gab es nie und wird es zweifellos auch nie geben. Logisch unmöglich ist er aber nicht.
Besonders unlogisch wird es, wenn du auch dem Realsozialismus einen solchen Wachstumszwang unterstellt. Denn hier ist es ja mutmaßlich der Staat, der bestimmt, was mit den Profiten passiert – warum sollte er nicht lediglich den Teil reinvestieren, der zur Aufrechterhaltung des aktuellen Produktionsniveaus benötigt wird, und den Rest in Konsumprodukte stecken? (Ob das nun bessere Sozialleistungen für die Gesamtbevölkerung oder Datschen für die Chefgenoss:innen sind – volkswirtschaftlich wäre das egal.)
Ich bin definitiv kein Freund des Realsozialismus, aber ihm hier den spezifisch kapitalistischen Wachstumsdrang einfach so zu unterstellen und darüber hinaus noch zum Wachstumszwang zu verschärfen, haut nicht hin. (Zumindest solange man nicht die Betrachtungsebene wechselt und etwa mit der „Weltmarktkonkurrenz mit kapitalistischen Staaten“ argumentiert – was wiederum ein ganz anderer Punkt wäre.) Nein nein, die spezifischen Probleme des Kapitalismus sind spezifische Probleme des Kapitalismus. Dasselbe gilt etwa auch, wenn die Wirtschaft primär genossenschaftlich organisiert wäre statt von kapitalistischen Firmen dominiert zu werden.
Der Kapitalismus, das darf man nicht vergessen, ist eine sehr bestimmte Art und Weise die Wirtschaft (und letztlich die Gesellschaft) zu organisieren. Wenn man ihn verstehen will, tut es nicht gut, ihn bloß als „irgendwas mit Geld und Markt“ zu interpretieren.
Danke, ich mag deine Kolumne in den Streifzügen.
Auch ich verstehe nicht ganz, wie du hier den Wachstumszwang/ den „inneren Expansionsdrang“ erklärst. Du versuchst ihn ja, allein schon aus der Trennung von Gebrauchswert und Wert herzuleiten. Ich kann alles soweit nachvollziehen bis zu folgenden Worten:
„Wer kauft den Rest? Der kann nur von weiteren entlohnten Arbeitenden gekauft werden. Dazu muss die Produktion ausgedehnt werden.“
Wenn ich mir Kfz-Mechatroniker*innen vorstelle, dann stimmt es, dass sie von ihrem Lohn nicht alle Autos aufkaufen könnten, die sie täglich von Band produzieren. Und klar, diese Autos müssen von anderen Leuten gekauft werden, die dafür auch irgendwas Warenförmiges produzieren. Aber bei dir klingt es so, als müsste die eine kapitalistische Produktion allein schon deshalb ausgeweitet werden, damit die Waren von anderen gekauft werden können. Mit scheint, da fehlt was: Konkurrenz. Auf Privateigentum kommst du dann ja noch. Oder steh ich auf’m Schlauch?
@Christian: Du fragst „Aber warum sollten nicht einfach die Kapitalist:innen die restlichen Produkte kaufen und konsumieren? Das Geld dafür haben sie ja.“ – Nein, in meiner Modellbetrachtung haben sie das Geld nicht, auch sie können die Waren ihrer Produktion, die die Arbeiter:innen nicht zurückkaufen können, nicht komplett kaufen. Das Geld bekommen sie erst, wenn andere Arbeiter:innen oder Kapitalist:innen die Waren kaufen, die sie nicht kaufen können. Warum? Weil die produzierten Waren mehr Wert sind als an Wert/Geld ins konstante und variable Kapital reingesteckt wurde. Das sagt ja die Formel G-W-G‘.
Meine Betrachtung ist also ex ante, deine eher ex post. Für dich ist der Profit halt da, sprich irgendwer kauft die Waren. Ich frage hingegen danach, wo das Geld herkommt, das die Waren kauft und schließlich als Profit erscheint (den die Kapitaleigner:innen dann verknuspern können – das ist in der Tat logisch nicht ausgeschlossen). Es muss aus vorgängiger Produktion samt Verkauf kommen, also aus dem vorhergehenden G‘. Doch in der neuen Runde ist das frühere G‘ nun das aktuelle G. Wo kommt das Mehrgeld her, das den neuen Mehrwert abbilden kann? Es kommt aus Krediten, also Geldvermehrung in Erwartung auf den zu realisierenden Mehrwert. Den Kredit habe ich in meiner Betrachtung nur in einer Klammer erwähnt, tatsächlich kommt ihm eine wichtige Rolle zu.
Die Rolle der Kredits (oder der „Schulden“) scheint manchen so zentral zu sein, dass sie den Zusammenhang von Warenproduktion und Geld verkehren – sehenswert vorgeführt im Dokumentarfilm „Oeconomia“: https://www.3sat.de/film/dokumentarfilmzeit/oeconomia-100.html. Dort ist es das Geld (als Schuld) selbst, das das Wachstum bewirkt, nicht jedoch die Mehrwertproduktion (also die Vernutzung von Arbeitskraft), die erst das Geld braucht, um sich zu realisieren. Das wollte ich in meiner (zugegeben platzbedingt sehr groben, bloß modellhaften, dennoch validen) Ex-ante-Betrachtung zurechtrücken. Die gilt dann gleichermaßen für den Sozialismus wie für einen gedachten Genossenschaftskapitalismus.
Die Ursache für diesen von mir skizzierten intrinsischen Wachstumsdrang ist aus meiner Sicht eben bereits der Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit, die Gleichzeitigkeit von Wert und Gebrauchswert. Über die Wertdimension läuft die gesellschaftliche Vermittlung, über die Gebrauchswertdimension unsere Bedürfnisbefriedigung. Die beschriebene rückgekoppelte Wertverwertung dominiert dabei die Bedürfnisseite. Daraus ziehe ich den Schluss, dass ohne Aufhebung der Warenform, eben des Doppelcharakters, der Wachstumsdrang weder im Kapitalismus noch in einem gedachten Sozialismus (mit der Warenform als Grundlage) zu beenden ist. Ja, sehr schlicht gesagt: Geld abschaffen und Eigentum aufheben. Nur wenn Vermittlungs- und Bedürfnisdimension zusammenfallen (und damit der Bedürfnislogik unterliegen), kann entschieden werden: Es reicht, wir wollen nicht mehr als bisher produzieren. Nur dann.
@TWA: Tatsächlich ist es wichtig, den Wachstumsdrang bereits aus der Form der Produktion, also der Warenproduktion, selbst zu erklären. So macht es auch Marx, auf die Konkurrenz kommt er erst sehr spät im »Kapital«. In den »Grundrissen« schrieb er: „Die Konkurrenz exequiert die innren Gesetze des Kapitals; macht sie zu Zwangsgesetzen dem einzelnen Kapital gegenüber, aber sie erfindet sie nicht. Sie realisiert sie. Sie daher einfach aus der Konkurrenz erklären zu wollen, heißt zugeben, daß man sie nicht versteht.« (MEW 42, S. 644)“.
Nun, egal was Marx geschrieben hat: Stell dir nicht eine Mechatroniker*in vor, sondern eine ideelle Durchschnittarbeiter*in, die all das, was sie braucht, auch produziert. Sie kann es nicht komplett kaufen (auch mit der Kapitalist*in nicht). Das ist das „Innen“ meines Modells. Ein Verweis auf ein „Außen“ löst das Problem nicht, denn das Außen kannst du gedanklich sofort wieder an die Stelle des „Innen“ setzen. Du bräuchtest wieder ein „Außen“ etc. pp. Mein Punkt ist: Das „Außen“, auf das du hier immer wieder kommen musst, ist die noch nicht stattgefundene Produktion in der Zukunft, aka Wachstum. Ermöglicht wird es durch Kredit, sowohl für produktiven wie reproduktiven Konsum. Der Kredit ist die Erscheinungsform des Zukünftigen, des noch nicht stattgefundenen, aber erhofften Wachstums. Heute sind neue Formen dazugekommen, so etwa das fiktive Kapital an den Börsen etc.
Und die Konkurrenz exekutiert das dann, aber sie erzeugt das Zwangsgesetz des Wachstums nicht. Da folge ich Marx.
@Stefan:
Tja, das Risiko besteht natürlich, dass man die Vereinfachungen eines Modells mit der Realität verwechselt. Der Kreislauf G-W-G‘ vollzieht sich zwar (im Erfolgsfall) für die einzelne Kapitalist:in und verallgemeinert auch gesamtgesellschaftlich, aber das heißt ja nicht, dass für alle derselbe Stichtag gilt, an dem sie ihr Geld G investieren und dann später ein anderer einheitlicher Stichtag, an dem sie alle ihren Ertrag G‘ erhalten, während sie zwischendurch komplett auf ihr Geld verzichten müssten.
Stattdessen vollziehen sich all die G-W-G‘ Bewegungen der verschiedenen Unternehmen/Kapitalist:innen zeitversetzt. Immer noch vereinfacht könnte man sich etwa vorstellen, dass Kapitalist:in A einen Zyklus abgeschlossen und ihr G‘ erhalten hat, während B gerade mittendrin steckt und Waren W produziert hat, die sie jetzt verkaufen will. A hat jetzt das Geld, um ihr diese Waren abzukaufen. Ein halbes Jahr (oder so) später hat dann B ihr G‘ erhalten und hat jetzt ihrerseits das Geld, bei A auf Einkaufstour zu gehen, die mittlerweile in der Mitte des nächsten Zyklus steckt. Und so weiter.
Noch weniger vereinfacht gedacht, ist es natürlich auch nicht so, dass die einzelne Kapitalist:in während des Prozesses nun gar keinen Zugriff auf ihr Geld hat (sondern erst wieder am Ende). Ein Teil des Kapitals – Marx nennt es „zirkulierend“ – wird erst im Lauf des Produktionsprozesses nach und nach fällig (um Löhne und Vorprodukte zu bezahlen), während umgekehrt der Ertrag G‘ im Lauf des Produktionsprozesses schon nach und nach reinzutröpfeln beginnt, weil immer mehr Waren produziert und erfolgreich in den Verkauf gebracht wurden. „Die haben das Geld noch gar nicht, weil der Prozess noch läuft“, ist also eine Überlegung, die nur bei einem grob vereinfachten Modell hinhauen würde, nicht aber in der Realität.
Abgesehen davon, dass es das Problem also gar nicht gibt, ist im Übrigen auch nicht klar, wie dein Lösungsvorschlag es lösen würde. Wenn die Kapitalist:innen kein Geld haben, um selbst die produzierten Mehr-Waren zu kaufen, woher sollten sie denn das Geld nehmen, um Arbeiter:innen oder andere Kapitalist:innen zu bezahlen, die dann ihrerseits diese Waren kaufen?? Deine Antwort scheint „auf Kredit“ zu lauten, nur: Wenn die Kapitalist:innen Kredite aufnehmen können, um die Ausweitung der Produktion zu finanzieren, warum sollten sie dann nicht Kredite aufnehmen, um ihren eigenen Konsum zu finanzieren? Tatsächlich hat ja fast jede Rechnung ein Zahlungsziel von 4 Wochen oder so, das einen kleinen Kredit darstellt, ebenso wird bei jeder Kreditkartenzahlung ein mindestens kurzzeitiger Kredit gewährt. Und große und teure Konsumgüter wie Autos, Häuser, Jachten (mutmaßlich ein sehr typischer Fall für den Luxuskonsum der Kapitalist:innen, der die Alternative zur Ausweitung der Produktion ist) ist es ja gang und gäbe, dass zu ihrer Bezahlung ein Kredit aufgenommen wird, der erst über Jahre oder Jahrzehnte abbezahlt wird. Also wenn du Kredite in deine Überlegungen einbeziehst, kannst du nicht so tun, als ob diese lediglich zur Ausweitung der Produktion genutzt werden könnten.
Nun sind Kommentare sicher nicht der beste Ort, um solche komplexen Fragen zu erörtern. In meinem Prokla-Artikel „Produktivkraft als Versprechen“ habe ich mich aber ausführlicher mit der Rolle des Verhaltens der Kapitalist:innen beschäftigt und gezeigt, dass diese es durchaus selbst in der Hand haben, wie viel sie vom Mehrwert selbst konsumieren und wie viel sie neu investieren. Den Fall, dass sie den gesamten Mehrwert konsumieren, so dass es gar kein Wirtschaftswachstum mehr gibt, bezeichne ich dort als „Extremfall“, der in der kapitalistischen Realität sicherlich nicht auftreten wird. Das heißt aber nicht, dass er logisch unmöglich wäre oder einen „unverkäuflichen Warenrest“ hinterlassen würde, wie manche Marxist:innen irrtümlich geschlossen haben.
@Christian: Ich stimme dir zu, dass Kommentare kein guter Ort für die Diskussion komplexer Fragen sind. Deswegen meinerseits nur in Kürze.
Dass es sich um Zyklen handelt, es somit immer einen vorgängigen Zyklusstand, also keine „Null“ als imaginären Startpunkt gibt, liegt auf der Hand (etwas, was auch Marx beschäftigte: Wie ging die ganze Chose eigentlich los? Und mit der sog. ursprünglichen Akkumulation beantwortete). Deine Argumentation ist eine Variante des Es-gibt-immer-ein-Außen-Arguments, diesmal ein zeitlich vorgängiges Außen: Es gibt da im Zyklus immer schon jemanden, der hat dann das Geld. Ja, empirisch ist das so, ist eben ein Zyklus, doch wo kommt das Geld dieser Personen her? Das ist ein infiniter Regress, den du nur logisch aufheben kannst. Deswegen musst du den Zyklus modellhaft zerbrechen und dann die logische Validität begründen. Das macht Marx mit G-W-G‘ und ich schließe daran an, das ist auch mein Modell, das ich nur in bestimmter Weise interpretiere (ex ante). Auf der Modellebene gehst darauf nicht ein. Du schreibst nur, es entspräche nicht der Realität. Das ist ein tautologisches Argument. Modelle entsprechen nie der Realität, die stets erheblich vielfältiger ist. Die Frage muss doch sein, ob das Modell das Wesentliche der Realität einzufangen vermag. Ich behaupte, dass G-W-G‘ in a Nutshell das tut und meine Interpretation auch.
Dass der Kredit die Differenz, sprich: das im Modell „fehlende Geld“, erklärt, schreibe ich ja in meinen Antworten selber. Das hat nicht mehr in den Artikel gepasst, wo ich eine feste Zeichenzahl habe. In Antwort auf TWA schreibe ich: „Ermöglicht wird es durch Kredit, sowohl für produktiven wie reproduktiven Konsum“. Also ja, selbstverständlich auch für den reproduktiven Konsum. Auch der logische Grenzfall der kompletten Verknusperung des Mehrwerts durch die Kapitalist:innen ist nur möglich, wenn Kredit dazukommt. Ohne diesen bliebe ein „unverkäuflicher Warenrest“ – da würde ich den Marxist:innen zustimmen.
@Stefan: Du gehst davon aus, dass das G‘ am Ende dieser Produktionsperiode größer sein wird als das G‘ am Ende der vorigen Periode, sprich dass Wirtschaftswachstum stattfindet. Richtig? Nur dann stellt sich ja überhaupt das Problem, wo das „zusätzliche Geld“ herkommen kann.
Deine Argumentation scheint zu sein, dass dieses Wachstum heute nur unter der Erwartung weiteren Wachstums morgen möglich sein wird – eine Gesellschaft, die einmal wächst, verpflichtet sich sozusagen zum Wachstum für immer. Richtig?
Ich halte das für falsch (und habe oben dagegen argumentiert), aber das ist wahrscheinlich gar nicht der springende Punkt. Denn die Alternative war ja die einer Gesellschaft ohne Wachstum – einer Gesellschaft der „einfachen Reproduktion“, wie Marx das nennt. In diesem Fall bleibt das G‘ in jeder Produktionsperiode immer gleich, was impliziert (sofern es keine technologischen Veränderungen gibt), dass auch G immer gleich bleibt. Man kann G – W – G‘ auch aufschlüsseln als G – W – G + ΔG („Delta G“). Dabei ist G das in den Produktionsprozess gesteckte („investierte“) Geld/Kapital (nicht der gesamte gesellschaftliche Reichtum, wie du bisweilen irrtümlich zu denken scheinst); ΔG ist der darüber hinaus neu erwirtschaftete Reichtum, der „Return on Investment“ oder Mehrwert.
Wenn G in jeder Produktionsperiode gleich bleibt (= kein Wachstum), heißt das, dass ΔG komplett für unproduktive Zwecke ausgegeben wird statt zum Teil in die Ausweitung der Produktion zu fließen. In Marx‘ einfachem Modell, das nur Arbeiter:innen und Kapitalisten kennt, ist das dann der Privatkonsum der Kapitalist:innen. In einem komplexeren Modell, das sich der Realität mehr annähert, würden noch Ausgaben und Umverteilung durch den Staat eine wichtige Rolle spielen (durch staatliche Transferzahlungen ermöglichter Konsum von z.B. Rentner:innen und Arbeitslosen; staatliche Ausgaben für unproduktive, d.h. nicht warenproduzierende Bereiche wie Polizei, Feuerwehr, Militär etc.).
Da G‘ in jeder Produktionsperiode gleich bleibt und jeweils der produzierten Warenmenge W entspricht, stellt sich hier die Frage, wo das „zusätzliche Geld“ herkommt, erst gar nicht, weil es kein zusätzliches Geld braucht. Dass so eine Gesellschaft der „einfachen Reproduktion“ (die Marx im 21. Kapitel des 1. Kapital-Bands beschreibt) rechnerisch möglich ist, halt nie jemand ernsthaft bestritten – oder siehst du das anders?
Dass sie für den Kapitalismus ein äußerst unwahrscheinliches Szenario ist, ist allerdings auch klar, weil sich die Kapitalist:innen eben in aller Regel dafür entscheiden werden, bei aller Ausweitung ihres Privatkonsums doch auch gleichzeitig ihre Investitionen zu steigern. Das ist aber zunächst eine (für sie) naheliegende Entscheidung, kein objektiver „Zwang“ – und schon gar keiner, der sich rein aus der Mathematik der Warenproduktion ergibt.
@Christian: Ja, sowohl G wie auch G‘ sind in jedem Zyklus größer als im vorherigen, und sie müssen es sein. Das hat aber nicht ursächlich mit irgendwelchen „Erwartungen“ zu tun, sondern im Kern mit dem Doppelcharakter der Arbeit, der Aufspaltung in GW und W. Meine These ist, dass nur ein ΔW (tatsächlich ein ΔGüter, weil Ware schon Geld impliziert), nicht aber ein ΔG beschränkbar ist auf den von dir (für ΔG) sehr schön erklärten Fall einer „einfachen Reproduktion“, einer modellhaften Warenproduktion ohne Wachstum. Doch eine Gesellschaft basierend auf Wert und Geld ist nur dann „rechnerisch“ ohne Wachstum möglich, wenn du das durch das ΔG dargestellte ΔW verschenkst, auf jeden Fall unverkauft lässt. Anderenfalls brauchst du ein Mehrgeld für das ΔG, das aus Kredit kommend nur durch Mehrproduktion bedient werden kann, die verkauft werden will etc. pp. Das heißt, der Fall der einfachen Reproduktion ist zwar rechnerisch, aber nicht logisch möglich – sofern wir es mit einer Waren/Wertproduktion zu tun haben. Ich würde das noch nicht „Zwang“ nennen (sondern „Drang“ als Konsequenz der „inneren Gesetze“), zum Zwang wird es erst, wenn die Konkurrenz die inneren Gesetze der Verwertungslogik dem einzelnen Kapital gegenüber exekutiert (so Marx, s.o.).
@stefan: ich muss sagen ich checks auch nicht. Im Realsozialismus wurde doch sehr viel „verschenkt“ (bzw stark subventioniert) von Nahverkehr über Grundnahrungsmittel, Gesundheitssystem bis Mieten. Wo war jetzt da der „Drang“?
@Benni: Ich verstehe deine Frage nicht – im regulierten Kapitalismus wird auch viel „verschenkt“. Im Realsoz als noch stärker regulierter Form halt noch mehr. Offensichtlich kannst du politisch gegen den immanenten Drang bzw. Zwang anregulieren. Was sagt das jetzt?
Den Drang zu permanenten Wachstum kannst du in jedem ML-Ökonomielehrbuch nachlesen (kontinuierliche Steigerung der Planziele) und konntest du in jeder Sendung der „Aktuellen Kamera“ (die Ost-Tagesschau) verfolgen, wo die Steigerungen im noch so kleinen Bereich abgefeiert wurden. Doch was sagt das jetzt?
@Christian: Eine Person hat mich darauf hingewiesen, dass meinen Überlegungen eine unexplizierte Prämisse zugrunde liegt, nämlich dass es stets ein Mehrprodukt, ein ΔP, gibt. Das stimmt. Gibt es kein ΔP, also kein ΔW im Kapitalismus, dann gibt es auch kein ΔG, dann wäre der Zyklus ein G-W-G – ohne Strich. Dann würde die umlaufende Geldmenge ausreichen, um alle Waren zu kaufen und das Invest des nächsten Zyklus zu bilden (Zeiteffekte ausgeklammert), und es würde sogar den Erhalt der Arbeitskraft einschließen, da das variable Kapital ja ein Teil des G ist. So wäre ein Genossenschaftskapitalismus möglich (alle lohnarbeiten, kein Durchfüttern unproduktiver Kapitalist:innen). – Implizit hast du das jedoch auch verworfen, weil es in jeder Gesellschaft stets kapitalunproduktive Bereiche gibt, die mitversorgt werden müssen (selbst wenn man einen rabiaten Minimalkapitalismus ohne Sozialleistungen annimmt). So ein Kapitalismus würde also nicht nur nicht wachsen, sondern zerfallen. Ergo: Es braucht immer ein ΔG, selbst für den Fall eines Erhalts auf bleibendem Niveau. Dieser Fall (steady state), so mein Kernargument, funktioniert im Kapitalismus (im Ware-Geld-System) jedoch nicht. Es kann zwar auftreten, aber das ist dann eine Krise. Noch kürzer: Wenn es ein ΔG gibt, dann ist es unbegrenzbar. Nur ökonomisch betrachtet.
@stefan: Niemand zweifelt doch daran, dass der historische Staatssozialismus wachsen wollte. Es geht doch hier nur darum, warum. Finde es eigentlich historisch ziemlich eindeutig, dass das weit überwiegend durch die Systemkonkurrenz zu Stande kam. Aber wichtiger: Das ist einfach kein Argument für ein schon aus dem Tausch als solchen entspringenden Wachstumsdrang weil Du das gar nicht empirisch begründen kannst, weil es ja nicht strittig ist dass die Gesellschaften gewachsen sind ökonomisch und das auch so wollten.
Nochmal anders erklärt: Es gibt genügend Gründe für das empirisch beobachtete Wachstum im Staatssozialismus, die unstrittig sind. Neben der Systemkonkurrenz ja auch noch einfach die Notwendigkeiten, die sich aus der gewollten Abschaffung bitterer Armut ergeben. Wenn Du jetzt einen zusätzlichen Grund einführen willst, dann liegt nach Occams Razor die Beweislast da ziemlich hart bei Dir. Und dieses jonglieren mit den Deltas klingt für mich ehrlich gesagt gerade eher so als suchst Du nach einem Grund, weswegen das Wachstum schon aus dem Tausch kommen muss, weil es halt besser in Deine Theorie passt.
Dank an Stefan für den Text in den Streifzügen. Den Satz „Wer kauft den Rest?“ hatte ich mir eingerahmt und an den Rand geschrieben „Die Frage Rosa Luxemburgs“. Eigentlich hatte ich das für erledigt gehalten. Ich war nicht mehr meiner Meinung.
Dank allen anderen, die sich an der Diskussion beteiligen, besonders Christian, der hier seine die-Kapitalist:innen-können-den-Rest-kaufen-These nochmals auf den Prüfstand stellt. Meine Meinung dazu ist bekannt.
Im Verlauf der Diskussion spielt der Kredit eine immer wichtigere Rolle. Anfangs wird bereits von Lutz auf den inversen Kapitalismus verwiesen (siehe Ernst Lohoff und Norbert Trenkle).
So, wie ich Stefan verstehe, gibt es kein Außen (29.12.21). Damit bleibt Luxemburgs dritte Personengruppe (damals Kolonien) doch beerdigt. Meine naive Frage: Woher kommt der Kredit? (Nicht heute, sondern am Start).
Auf S. 505 im 2. Band startet Marx die Erklärung der erweiterten Reproduktion (Summe dort: 9.000). Zwei Seiten später, nach dem ersten Zyklus ist die Summe auf 9.800 angestiegen. Also ∆ = 800. Die Antwort auf die Frage „Wer kauft den Rest?“ lautete ja, der Kredit zahlt. Woher kommt der Kredit? Doch von außen? Stammt der Kredit aus der ursprünglichen Akkumulation („von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“)? Oder ist es doch so, wie Christian an einer Stelle (3.1.22) schreibt: „nicht der gesamte gesellschaftliche Reichtum“ wird in den Produktionsprozess gesteckt?
Ich gehe noch mal zu Rosa Luxemburg zurück und zitiere Brie und Schüttrumpf (Kap. 8 ihrer Biografie):
„Eine Frage konnte Marx mit seinem vereinfachenden Herangehen allerdings nicht beantworten: woher das Wachstum, woher der ständig steigende Absatz, die gewinnbringende Rückverwandlung des in Waren angelegten Kapitals in mehr Kapital komme. Luxemburg (…) ging davon aus, dass in einer Gesellschaft, die nur aus Kapitalisten und Lohnarbeitern bestünde, eine Ausdehnung des Absatzes unmöglich ist. Sie (…) nahm (Marx‘) Erkenntnisse und begab sich auf den Rückweg – von der Abstraktion zur Wirklichkeit. Dort stieß sie auf einen dritten Akteur neben Kapital und Lohnarbeit: die Akteure auf nichtkapitalistischen Absatzmärkten“ (Brie/Schüttrumpf (2021): Rosa Luxemburg, S. 154). Die Autoren zitieren Luxemburg (GW 5: 429): „So musste sich von Anfang an zwischen der kapitalistischen Produktion und ihrem nichtkapitalistischen Milieu ein Austauschverhältnis entwickeln.“
@Benni: Nein, das Wachstum kommt nicht aus dem Tausch, das ist nicht mein Punkt. Es kommt aus der Warenform, also aus dem Doppelcharakter von Nützlichkeit (GW) und Vermittlung (TW). Nicht exakt dazu, sondern mehr grundsätzlich: https://www.krisis.org/2021/beziehungsstoerung-kapitalismus/
Und was die Beweislast angeht: Was wäre denn ein Beweis? Ich habe meine Argumente dargelegt. Basis ist ein Modell, das ich von Marx nehme und diskutiere. Darauf mit Empirie zu antworten, könnte hilfreich sein, wenn denn die Empirie so eindeutig wäre. Ist sie aber nicht. Du führst Punkte an, warum der Sozialismus willentlich wachsen wollte. Die bestreite ich überhaupt nicht (im Gegenteil). Doch das widerlegt meine Diskussion nicht. Aus meiner Sicht müsstest du mein (=Marxens) Modell als verfehlt kritisieren oder meine Diskussion des Modells als fehlerhaft nachweisen. Das hat Christian mit guten Argumenten versucht (er hat übrigens die Deltas eingeführt), die ich IMHO dennoch alle zurückweisen konnte. Nicht ausgeschlossen, dass ich falsch liege. Doch wo bitte?
@Wilfried: Doch, empirisch gibt es ein Außen. Was Rosa Luxemburg allerdings meinte, ist ein Außen, das der Kapitalismus braucht, um sein Wachstumsdrang realisieren zu können – also einen noch nicht der Verwertungslogik unterworfenen Bereich. Worum es mir hingegen geht, ist logisch zu zeigen, woher dieser Wachstumsdrang überhaupt kommt, der sich dann empirisch zum Beispiel als territoriale Expansion zeigt (es gibt ja weitere Expansionsformen).
In meiner Antwort auf TWA ging es mir darum, dass der Verweis auf ein Außen die Problematik, woher die fehlenden Käufer:innen kommen, nur verschiebt, weil sich in diesem „Außen“ das Problem genauso stellt, also wiederholt. Für mein Modell schlage ich daher vor, zwei Dinge wegzulassen: ein Außen (also auch den Staat) und die Zeit.
Ja, der Kredit erklärt IMHO die Lücke. Woher der kommt? Nicht von Außen, sondern aus dem Nichts. Kreditvergabe durch Banken bedeutet Geldschöpfung aus dem Nichts. Doch irgendwann will der Kredit zurückgezahlt sein, spricht das geschöpfte Geld, das Waren gekauft oder Investitionen bezahlt hat, wird wieder gelöscht. Was dann? Neuer Kredit in neuer Größenordnung, denn inzwischen wurde ja die Produktion ausgeweitet. Und wenn wir jetzt mal die Zeit hinzunehmen (die ich in meinem Modell draußen hielt), dann landest du beim fiktiven Kapital der Finanzsphäre, das auf Verwertung in einer imaginären Zukunft hofft, die u.U. nie eintritt. – Das nur als empirischer Ausflug nebenbei.
@Stefan:
Nun hast du ja selbst eingeräumt, dass meine „guten Argumente“ deine mathematische Argumentation widerlegen („der Fall der einfachen Reproduktion ist … rechnerisch … möglich“). Was ja auch logisch ist, da deine Argumentation auf der Annahme beruhte, dass G‘ am Ende einer Produktionsperiode größer ist als das G‘ am Ende der Vorperiode – aber im Falle einer Gesellschaft ohne Wachstum ist das ja gerade nicht der Fall.
Was bleibt dir dann noch? Nur deine eigene Erkenntnis sofort wieder zu vergessen, wie mir scheint. Denn wenn du schreibt,
hast du ja schon wieder vergessen, dass das G‘ der letzten Produktionsperiode dem aktuellen G‘ gleicht, das nötige „Mehrgeld“ also schon vorhanden ist. Im Falle des minimalen Modells, das nur Arbeiter:innen und Kapitalist:innen kennt, gehört es den Kapitalist:innen, die diesen Teil ihres Vermögens eben nach Vorannahme nicht in den Produktionsprozess gesteckt haben (sonst würde ja Wirtschaftswachstum stattfinden), sondern sich damit ihren Privatkonsum finanzieren.
Im Falle der (sicherlich realistischeren) Annahme eines Realsozialismus ohne Wachstum würde das nötige „Mehrgeld“ hingegen dem Staat gehören, der daraus Wohltaten für die Bevölkerung finanzieren kann.
@Wilfried: „Die Frage Rosa Luxemburgs“ hat mit der Argumentation Stefans gar nichts zu tun. Stefan fragt ja nach der Möglichkeit einer warenproduzierenden Gesellschaft ohne Wachstum und versucht zu zeigen (nicht wirklich erfolgreich), dass das zu unauflösbaren Widersprüchen führen würde. Luxemburg hingegen geht von einer kapitalistischen Gesellschaft mit Wachstum aus und fragt sich, wie dieses Wachstum überhaupt stattfinden kann – wobei ihrer Annahme nach eben ein nichtkapitalistisches Außen als „Käufer“ benötigt wird.
Luxemburg fragt also gerade nach dem Fall, mit dem sich Stefan nicht beschäftigt, und andersherum. Gemeinsam ist beiden Argumentationslinien nur, dass sie nicht hinhauen – für die Widerlegung Luxemburgs siehe etwa diesen Artikel von Ingo Stützle.
@stefan:
Wegen der Beweislast: Haben wir etwa ganz unterschiedliche Vorstellungen wozu Theorie überhaupt nötig ist? Ich dachte es geht in dieser Diskussion gerade darum die Frage „Woher kommt das Wachstum im Staatssozialismus?“ zu beantworten, weil das Hinweise liefern könnte, in welchen Gesellschaften es einen Wachstumszwang oder -drang gibt und in welchen nicht.
Mein Punkt war einfach nur, dass diese Frage durch die Systemkonkurrenz und den Willen zur vermehrten Bedürfnisbefriedigung schon ausreichend beantwortet ist und es deswegen keine weitergehenden und spekulativeren Annahmen (wie eben, dass Wachstum sich auch ohne Konkurrenz automatisch bei Warenproduktion einstellt) zur Klärung dieser Frage bedarf. Dabei ist es auch komplett unerheblich ob jetzt Du oder Marx die Person ist, die da weitergehend spekuliert.
Mir geht es also hier erst mal noch gar nicht darum Deine These (Warenproduktion führt immer zu Wachstum) anzuzweifeln, sondern erst mal nur darum zu zeigen, dass der Staatssozialismus keine Begründung für sie liefern kann. Weder theoretisch noch empirisch.
Zur weiteren Verdeutlichung ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns den Staatssozialismus einfach mal kurz ohne Warenproduktion vor. Wäre er gewachsen? Natürlich! Zwar dann natürlich nur stofflich, weil es ja keinen Tauschwert mehr gegeben hätte. Aber natürlich hätte auch ein Sozialismus oder Kommunismus (sogar unabhängig davon ob es Staat oder Markt in ihm überhaupt noch gäbe) in seinem Ressourcenverbrauch wachsen müssen so lange Grundbedürfnisse unbefriedigt geblieben wären und es eine Systemkonkurrenz gegeben hätte. Daraus folgt, dass die Existenz von Wachstum in einer Gesellschaft alleine nichts darüber aussagen kann, ob Wachstum direkt aus der Warenform folgt oder zusätzlich die (innergesellschaftliche) Konkurrenz nötig ist.
@Christian (13.1.): Dass das „nötige »Mehrgeld« schon vorhanden ist“, ist der Kern des Widerspruchs in deiner Argumentation, den ich oben bereits kritisierte. Ein „Mehrgeld“ ist nicht einfach „vorhanden“, sondern muss irgendwo herkommen, aus meiner Sicht aus dem Kredit, der als Vorgriff auf zukünftige produktive Verwertung (oder reproduktiven Konsum) irgendwann bedient werden muss. Dabei ist es völlig egal, ob du quasi „nur ein Mal“ ein ΔG zulässt (deine Gesellschaft ohne Wachstum) oder kumulativ (mein erklärter Wachstumsdrang). Für das (im einfachen Modell) erzeugte Wachstum ΔW brauchst du, damit daraus ein ΔG werden kann, bereits Käufer:innen, die nur durch produktive Verwertung von Arbeitskraft über Lohn an das Geld kommen. Dito für die Kapitalist:innen, nur dass die auf der anderen Seite der Verwertung stehen. Für diese produktive Kapitalverwertung brauchst du eben das ΔG, das du als neues zusätzliches G investierst. Es ist nicht möglich, „einfach so“ das ΔG nur zu verzehren. Und daran ändert sich nichts, wenn du die Kapitalist:innen durch den Staat ersetzt.
@Benni (14.1.): Deinen Punkt (1) verstehe ich nicht. Für mich ist die Warenform und der darin liegende Doppelcharakter der Arbeit der springende Punkt. Punkt (2) kann ich nur zustimmen. Ich will argumentieren, dass der Wachstumsdrang (vor der Konkurrenz) gleichermaßen in Kapitalismus wie Sozialismus existiert. Dazu ergibt die Theorie.
Wenn das für dich durch die (System-)Konkurrenz schon ausreichend erklärt ist – okay. Für mich nicht.
Nehmen wir den hypothetischen „Staatssozialismus ohne Warenform“ oder gleich den Commonismus – ja klar würden die wachsen. Per wohl begründeter Entscheidung der Menschen, ihre Ziele umzusetzen: Bedürfnisbefriedigung, Umweltschutz, Ressourceneinsparung, whatever. Dazu ist gesellschaftliche Organisation da, und Commonismus ist genau diese realisierte Potenz. Der Punkt ist nicht „Wachstum als solches“, sondern die Frage ist, wer über das Wachstum entscheidet: die Menschen oder eine systemisch-sachliche Logik. Und die gibt es im Kapitalismus wie im Sozialismus, und das hat exakt mit der Warenform zu tun. Ja, das ist der Kern, um den es mir geht. Denn nur jenseits der Warenform gibt es überhaupt die Chance, dass sich Menschen in Abwägung ihrer Ziele auch gegen Wachstum entscheiden können. Das ist vielleicht „spekulativ“, aber wenn, dann im Hegelschen Sinne der Aufhebung widersprüchlicher Elemente in einer neuen Erkenntnis 😉
Deinem Satz „Daraus folgt, dass die Existenz von Wachstum in einer Gesellschaft alleine nichts darüber aussagen kann, ob Wachstum direkt aus der Warenform folgt oder zusätzlich die (innergesellschaftliche) Konkurrenz nötig ist“ stimme ich zu. Deswegen ja die Anstrengungen der Theorie, weil das empirisch nicht auszumachen ist. Dass wir empirisch Wachstum sehen können, ist eh klar. Doch muss das so sein? Oder kann es anders sein? Welche Bedingungen müssen mindestens gegeben sein, damit es überhaupt anders sein kann? – Meine Antwort darauf ist: Mit der Warenform hängst du am Fliegenfänger. Ja, schon allein die Form ist es. Kommt die Konkurrenz noch dazu, gibt es kein Halten mehr. Und ein Halten bräuchten wir.
@stefan:
naja, es dreht sich langsam bisschen im Kreis. „Für mich nicht“ reicht halt nicht. Du müsstest schon irgendeinen Grund nennen warum Konkurrenz und Bedürfnisbefriedigung nicht ausreichen soll als Erklärung für Wachstum im Sozialismus. Das änderst Du auch nicht dadurch, dass es jetzt auf einmal nicht mehr nur um „Wachstum an sich“ (dachte eigentlich schon, dass das hier das Thema sei) sondern um „die Frage, wer entscheidet“ gehen soll.
„Anstrengungen der Theorie“ sind kein Selbstzweck sondern sind dazu da Dinge zu erklären, die man sich anders nicht erklären kann. Dazu muss es aber überhaupt erstmal irgendwas zu erklären geben. Was soll denn das überhaupt sein?
@Stefan:
Warum nicht? Du behauptest einfach nur Dinge, anstatt sie zu belegen.
Darüber hinaus: Selbst wenn du anhand eines sehr stark vereinfachten Modells zeigen könntest, dass in diesem Modell die Warenproduktion zwangsläufig wächst, was wäre dann der Erkenntnisgewinn? Jedes Modell muss sich daran messen lassen, wie gut es die Realität erklärt.
Und in der Realität wissen wir ja, dass es in vielen Gesellschaften Warenproduktion gab – im Mittelalter, bei den alten Römern, in China schon (mindestens) seit vielen Jahrhunderten etc. Gleichzeitig ist für keine dieser Gesellschaften eine ausgeprägte Tendenz zum (Wirtschafts-)Wachstum erkennbar, jedenfalls kaum über das (ebenfalls eher langsame) Bevölkerungswachstum hinausgehend.
Wenn dein Modell recht hätte, hätte innerhalb dieser Gesellschaften die Warenproduktion aber immer weiter wachsen müssen, bis sie alle anderen neben ihr existierenden Produktionsformen verdrängt hätte. Und spätestens dann hätte auch ein starkes gesamtgesellschaftliches Wirtschaftswachstum feststellbar sein müssen. Beides ist aber nicht der Fall.
Was heißt das nun für dein Modell? Wenn die Fakten nicht zur Theorie passen, um so schlimmer für die Fakten??
Nein, wenn dein Modell die Wirklichkeit erklären will statt nur in einem rein fiktionalen Gedankenraum zu existieren, denn muss es Vorhersagen machen, die (in diesem Fall auch rückwirkend) der Realität entsprechen. Sprich was du erklären musst, ist gerade, warum es in diesen früheren Gesellschaften keinen Wachstumszwang oder -drang gab, im Kapitalismus aber schon.
@Benni: Es gibt Wachstum aus zwei Antrieben, weil die Menschen drüber verfügen oder weil sie nicht drüber verfügen können, weil eine sachliche Logik Wachstum erzeugt. Freie Verfügung oder Fetisch – das finde ich angesichts der Klimakatastrophe total relevant, weil es aus meiner Sicht nur im ersten Fall wirklich möglich ist, Degrowth als Weg der Bedürfnisbefriedigung einzuschlagen (was nicht bedeutet, vorher nicht alles zu versuchen etc.).
Und warum reicht Konkurrenz als Erklärung nicht aus? Na ja, weil sich Wissenschaftler:innen nicht mit oberflächlichen Erklärungen zufrieden geben? Das wäre für mich schon ausreichend. Doch strategisch ist es wichtig, weil die Frage steht, ob der Realsozialismus als historisch gewesene Realisierungsform ohne die Konkurrenz durch ein Außen nicht dennoch in eine nicht stoppbare Wachstumsspirale reingelaufen wäre. Diese Vermutung hab ich. Wenn sie stimmt, scheidet Sozialismus als Alternative aus, egal welcher Realisierungsform.
Das ist so ähnlich gelagert wie die Frage, ob der Autoritarismus des Staats im Sozialismus das wesentliche Problem war, wie ja einige finden. Wenn ja, dann macht man halt mehr Demokratie; das ist die Lösung moderner Staatssozis, würde gehen. Wenn aber der Staat grundsätzlich, egal welcher Form, ein Problem ist, dann ist Sozialismus keine Option.
Disclaimer: Mit Sozialismus meine ich immer die so benannte Übergangsgesellschaft, also einen Waren-Sozialismus, der auch Staat und Recht hat (so wie Marx in der Gotha-Kritik, dort aber noch als erste Phase des Kommunismus betitelt).
@Christian: Die Begründung steht im Satz davor.
Christian, du wechselst schon wieder das Terrain. Jetzt wieder Wirklichkeit. Seufz. Die spricht nun wirklich für mich, Wachstum ohne Ende ist doch nun wirklich empirischer Fakt. Wo mein Modell, das ja von Marx ist, mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ist doch gerade das Wachstum. Doch kritisch-selbstkritisch gesehen reicht es nicht aus, einfach nur „Übereinstimmung“ zu konstatieren, um als hinreichende Erklärung gelten zu können. Nur ist die Empirie nun wirklich kein Gegenargument.
Warum du das nicht in anderen Gesellschaften finden kannst, die auch schon partiell Warenproduktion hatten? Weil das keine Warengesellschaften waren, weil die Warenproduktion nicht das bestimmende Moment war, weil es keine Koinzidenz von Elementarform und Systemform gab, weil im Warenbereich W-W und W-G-W dominierte. Diese Gesellschaften sind nicht Teil des Modells. Das schlösse logisch nicht aus, dass es nicht andere Quellen sachlich-selbstreferenziellen Wachstums geben könne – nur eben nicht G-W-G‘. Implizit behauptest du, diese Gesellschaften wären Teil meines Modells und da es kein Wachstum gab, wäre mein Modell widerlegt. Ist aber nicht so, der Move funktioniert nicht.
Leute, ich fühle mich sehr in eine Rechtfertigungsecke gedrängt. Was maße ich mir an, über Dinge nachzudenken, die längst klar sind? Wie doof bin ich denn? So komme ich mir vor. Ich vermisse Neugier, nachzuforschen, was mit meinen Überlegungen auf sich hat. Stattdessen draufhauen. Das macht keinen Spaß. Ich habe richtig Angst, erneut in die Kommentare zu schauen, weil da schon wieder Attacken warten.
@ Stefan:
Das kann ich gut nachvollziehen. Der angeschlagene Ton ist manchmal ohne Mitempfinden. Am besten scheint es zu sein, nur mitzulesen und nicht mitzudiskutieren..
Für mich ist es okay, wenn es hier zwei Meinungen gibt und keine die andere dominiert. Schön wäre ein gemeinsames Papier (möglichst knapp), das die inhaltlichen Differenzen klar macht. Die werden jedenfalls nicht allen Mitleser:innen deutlich sein [vermute ich und gehe dabei von mir aus.(Solche Blößen sollte man hier vielleicht nicht zeigen.)]
Die Frage ist, ob es überhaupt noch möglich ist, aufeinander zuzugehen.
@Stefan:
Nein? Hier nochmal mit mehr Kontext zitiert:
Das ist nun ziemlich unklar. Ein Punkt, den ich auf jeden Fall zurückweisen würde, ist die Behauptung, es braucht „Käufer:innen, die nur durch produktive Verwertung von Arbeitskraft über Lohn an das Geld kommen“ – aus irgendeinem Grund scheinst du hier nur Lohnarbeiter:innen (Arbeitskraftverkäufer:innen) als Warenkäufer zuzulassen. Aber warum? Dafür gibt es auch wieder keine Begründung. Den Waren und ihren Produzent:innen ist es aber völlig egal, wer sie kauft. Nur wenn sie unverkauft bleiben, gibt es für die Produzent:innen ein Problem.
Daneben ist auch die Idee des „einmaligen“ ΔG verwirrend. Was ist damit gemeint? Auch in der einfachen Reproduktion (ohne Wachstum), von der wir hier ja ausgehen, gibt es jedes Mal ein ΔG, und dieses ist auch jedes Mal gleich groß – denn laut Vorannahme (kein Wachstum) vollzieht sich ja in jeder Produktionsperiode die Bewegung G – W – G‘ mit den immer gleichen Werten für G, W und G‘. ΔG = G‘ – G (die Differenz zwischen finanziellem In- und Output des Produktionsprozesses) ist also auch immer gleich groß.
Auch ΔW, das stoffliche Gegenstück von ΔG, ist laut Vorannahme in jeder Produktionsperiode gleich groß. Du schreibst vom „Wachstum ΔW“, aber auch dieses ΔW wächst somit nicht – kann es ja auch nicht, wenn es eine Gesellschaft ohne Wachstum sein soll. Wie kann es ein ΔW, oder wie du an anderer Stelle schreibst, ein „Mehrprodukt“ ΔP gäben, wenn die Wirtschaft nicht wächst? Das scheint dich zu verwirren, aber tatsächlich ist es nicht so mysteriös: dieses „Mehr“ ist kein Mehr gegenüber der vorigen Produktionsperiode, sondern die Differenz zwischen Input und Output des Produktionsprozesses. Stofflich betrachtet können die direkt Produzierenden mehr herstellen, als sie selbst im Laufe dieses Prozesses konsumieren und „aufessen“ müssen. Das ist ja überhaupt erst die Grundlage jeder Zivilisation: Es bedeutet, dass auch die Unproduktiven (z.B. die Alten und Kranken) von der Gesellschaft mitversorgt werden können – gäbe es kein Mehrprodukt, müssten sie verhungern oder erfrieren.
Nun stimmt es natürlich, dass das Mehrprodukt auch die Möglichkeit von Wachstum erzeugt: Nur wo ein Mehrprodukt vorhanden ist, hat die Gesellschaft die Möglichkeit, einen Teil dieses Produkts in die Ausweitung der Produktion zu stecken – wenn sie sich denn dafür entscheidet. Das Mehrprodukt ist also eine mögliche Basis für Wachstum, aber seine bloße Existenz impliziert noch kein Wachstum – weder einmalig noch immer wieder.
@Stefan: Sorry, will Dich zu gar nix drängen. Ich fände es auf ne Art sogar gut, wenn Du Recht hättest, weil es natürlich viele Argumentationen vereinfachen würde. Ich bin halt nur nicht überzeugt, aber prinzipiell ist das natürlich möglich. Und es tut mir Leid wenn meine rigorose Art zu argumentieren als Attacke wahr genommen wird, das ist gar nicht so gemeint.
@ „Doch strategisch ist es wichtig, weil die Frage steht, ob der Realsozialismus als historisch gewesene Realisierungsform ohne die Konkurrenz durch ein Außen nicht dennoch in eine nicht stoppbare Wachstumsspirale reingelaufen wäre. Diese Vermutung hab ich. Wenn sie stimmt, scheidet Sozialismus als Alternative aus, egal welcher Realisierungsform.“
Genau das macht mich halt so skeptisch. Eben weil es strategisch so gut rein passt sollten wir genau hingucken, ob das so passt. Gute wissenschaftliche Praxis: Je besser einem ein Ergebnis in die Theorie passt umso genauer muss man hingucken.
@ „Das ist so ähnlich gelagert wie die Frage, ob der Autoritarismus des Staats im Sozialismus das wesentliche Problem war, wie ja einige finden. Wenn ja, dann macht man halt mehr Demokratie; das ist die Lösung moderner Staatssozis, würde gehen. Wenn aber der Staat grundsätzlich, egal welcher Form, ein Problem ist, dann ist Sozialismus keine Option.“
Der Autoritarismus entsteht ja schon aus der Notwendigkeit die Planung durch zu setzen, dafür brauch ich gar keinen Lohn und keine Warenform. Der Kapitalismus hat übrigens die selbe Tendenz zum Autoritarismus nur ist es da die Durchsetzung des Eigentums aus dem sie kommt. Also ja, Staat ist in jeder Form ein Problem. Eins, dass man einerseits irgendwie einhegen und mildern kann durch sowas wie bürgerliche Freiheiten, Sozialstaat und Demokratie, aber andererseits auch eins, das immer wieder auftritt so lange es den Staat gibt. Auch hier wieder: Um all das zu erklären brauch ich keinen Wachstumsdrang der schon in der Warenform steckt.
Wie passt eigentlich in Deine Theorie dass es Staaten gibt, die inzwischen seit Jahrzehnten im wesentlichen Nullwachstum haben, was aber gar nichts an ihrer Stabilität ändert oder der Warenförmigkeit ihrer Gesellschaft? Sogar die Konkurrenz läuft da weiter wie bisher.
Um diese Fragen woher das Wachstum kommt zu klären fände ich es glaube ich auch generell spannender sich auch mal von diesem Dualismus Kapitalismus/Staatssozialismus zu lösen. Das ist doch Geschichte. Wo passt China da rein? Wo Russland? Wo Somalia? Wo der Trumpismus? Oder wenn Geschichte, dann auch mal richtig hin gucken. Woher kommt der Wachstumsdrang vorkapitalistischer Gesellschaften? Den es ja gab. Wirklich nur aus der bewussten Entscheidung? Oder gibt es nicht vielleicht auch ganz ohne Kapitalismus und Staatssozialismus ohne Warenform und interne Konkurrenz so etwas wie einen Wachstumsdrang, der schon in Herrschaft und Patriarchat als solchen wurzelt oder in unserem gesellschaftlichen Naturverhältnis oder oder?
Oder wenn es wirklich um die Kritik der Ökonomie des Staatssozialismus gehen soll, warum dann immer nur in einem der beiden Pole „war eigentlich Kapitalismus“ oder „war eigentlich richtig wurde nur falsch umgesetzt“? Ich finde es stimmt beides nicht. Im Kapitalismus hat die Konkurrenz die Produktivität entfesselt. Der Staatssozialismus hat alles mögliche ausprobiert um damit mithalten zu können (es gab da ja auch die unterschiedlichsten Phasen) und hat schlicht nichts gefunden was auf lange Sicht funktioniert hat. So richtig war das ja aber auch erst ab den 80ern ein Problem. Also eigentlich war es vielleicht erst der Postfordismus der dem Staatssozialismus überlegen war und gar nicht der Kapitalismus an sich? Wir müssen da übrigens auch ein bisschen aufpassen, dass uns unser Deutschtum nicht im Weg steht. Der Vergleich DDR/BRD ist halt auch wieder ein ganz spezieller und taugt nur bedingt zur Verallgemeinerung, auch wenn es ein bisschen so wirkt als sei das ein soziales Experiment gewesen wo man ein Land in zwei teilt und guckt wer besser performed.
Ich hoffe wir können das Gespräch weiter führen ohne dass Du Dich in eine Ecke gedrängt fühlst. Aber ein bisschen liegt das natürlich auch in der Logik des Aufstellens von steilen Thesen, dass man dann auch steiles Kontra kriegt 😉 Ich freu mich auf jeden Fall über die Wachstumsfrage an Hand dieser These noch mal genauer nachgedacht haben zu können, auch wenn ich kein Ergebnis hab.
@Stefan: Auch ich möchte dir nicht die Lust an der Debatte verderben, aber ähnlich wie Benni denke ich halt auch: Wer steile Thesen aufstellt, sollte sich dann auch auf eine steile Diskussion einstellen. Letztlich machen wir hier Peer-Review, wobei neue (mutmaßliche) Erkenntnisse von anderen zu ähnlichen Themen Forschenden kritisch unter die Lupe genommen werden. Das ist sicher eher ein „Stahlbad“ als ein „Bällebad“, aber Erkenntnisfortschritt geht nur so – ansonsten stünden einfach nur viele Behauptungen nebeneinander, die niemand außer der jeweiligen Urheber:in und ihren Freund:innen so richtig akzeptiert oder auch nur versteht.
Mein Eindruck ist nun tatsächlich, dass deine steile These im Peer-Review erstmal durchgefallen ist. Dass dir das nicht schmeckt, ist nachvollziehbar, allerdings ist damit ja noch nicht alles verloren. Letztlich hast du ja einen Anspruch, der, wenn du ihn einlösen könntest, eine absolute Sensation wäre: Du glaubst, in einer über 150 Jahr alten Formel von Marx, die aus einem der bekanntesten und am meisten be-forschten Bücher der Geschichte stammt, etwas Neues entdeckt zu haben, das noch niemand zuvor aufgefallen ist! Wenn das stimmte, wäre es sensationell, allerdings ist es halt leider auch so, dass die „Bayes’sche Wahrscheinlichkeit“ da erstmal deutlich gegen dich spricht: Ohne sich überhaupt inhaltlich anzugucken, was du gefunden zu haben meinst, ist die Anfangswahrscheinlichkeit, dass du dich täuscht, deutlich größer ist als diejenigen, dass das von dir Entdeckte 150 Jahre lang von Marx selbst und allen seinen Interpreter:innen übersehen wurde.
Trotzdem ist es natürlich möglich, dass du recht hast, aber um das für andere nachvollziehbar und möglichst zwingend überzeugend zu machen, müsstest du glaube ich nochmal zwei bis drei Schritte zurück gehen – nicht bloß hier in den Kommentaren weiterdiskutieren, sondern deine sensationelle These auf eine fundiert ausgearbeitete Grundlage stellen. In diesem ersten Versuch hattest du sie ja quasi nebenbei in einer Kolumne eingeführt – eine eher kurze Textform, die zwangsläufig nicht sehr in die Tiefe gehen kann – und ihre mathematisch-theoretischen Details zudem zuerst überhaupt nicht ausgeführt, sondern erst (nach kritischen Nachfragen) in den Kommentaren nachgeliefert.
Ein zweiter Anlauf würde wahrscheinlich sinnvollerweise aus einem längeren Text bestehen, der alles in einem einheitlichen Kontext entfaltet und durchargumentiert. Vielleicht fällt dir bei diesem Versuch, deine These in überzeugenderer Form darzustellen, auch selbst auf, dass dir irgendwo ein Fehler unterlaufen ist und sie nicht hinhaut? Dann wäre das halt so, aber das wäre ja auch nicht schlimm – ohne die Möglichkeit von Fehlern gibt es keinen gedanklichen Fortschritt.
Die Anwendung deiner postulierten Entdeckung auf andere Gesellschaften, in denen Warenproduktion eine Rolle spielt, könntest (und solltest) du in so einem Grundlagenpapier dann sinnvollerweise auch klären. Bis dahin können wir diese Frage ruhig zurückstellen. Auf den ersten Blick ist allerdings nicht klar erkennbar, dass eine aus Marx‘ Modell abgeleitete Erkenntnis überhaupt jenseits des Kapitalismus anwendbar ist. Denn er beschreibt da ja nicht „die Warenproduktion“ oder „die Warengesellschaft“ (was immer das sein soll) im Allgemeinen, sondern geht von ganz spezifisch kapitalistischen Voraussetzungen aus: Es gibt Kapitalist:innen und Lohnarbeiter:innen als separate Klassen und es gibt einen „Arbeitsmarkt“, auf dem erstere die Arbeitskraft letzterer kaufen wie jede andere Ware auch. (Was auch bedeutet, dass potenzielle Arbeitskraftverkäufer:innen Pech gehabt haben, wenn sie keine Käufer:in für ihre Arbeitskraft finden). Diese ganz bestimmten Voraussetzungen gelten im Kapitalismus, treffen auf andere Gesellschaften mit Warenproduktion aber nicht oder nur sehr bedingt zu. Wenn du den Anspruch hast, dass dein „Wachstumspostulat“ auch jenseits des Kapitalismus gilt, müsstest du also auch da nochmal nacharbeiten und zeigen, wie es um die Übertragbarkeit des Modells und deiner Erkenntnis bestimmt ist.
Alles nicht einfach, das gebe ich zu, aber wie gesagt: Wenn du hier weiterkommst, dann wäre das eine absolute Sensation!
@alle: Auf der Beziehungsebene habe ich von euch, Wilfried, Benni, Christian, einige verbindende Signale gelesen, danke dafür. Was ich bei euch, Benni und Christian, tatsächlich sehr wenig wahrnehme, ist der Impuls verstehen zu wollen, was ich meinen könnte. Ich habe es Neugier genannt. Stattdessen las ich vorwiegend Impulse, mir nachzuweisen, warum ich falsch liege oder warum die Frage überflüssig ist. Das wird getoppt durch die Logik: Wer steile Thesen formuliert, muss sich nicht wundern, steiles Kontra zu bekommen. – Können steile Thesen nicht auch dazu einladen, Fragen zu formulieren, die dem Verständnis diesen? Oder der Intention? Tun sie offensichtlich nicht. Warum ist das so? Was hat das mit einer männlichen Diskussionskultur zu tun, die wir damit reproduzieren? Ich schließe mich in die Frage ein.
@Christian: Du hast zwei sehr lange Kommentare geschrieben. Ich gehe nicht auf alles ein.
Zunächst zum Punkt Begründung. Aus meiner Sicht habe ich alle meine Aussagen gegründet. Es kann sein, dass sie für dich unklar sind. Dann frag bitte danach, was dir unklar ist – so wie du es jetzt getan hast: Lasse ich nur Lohnarbeiter:innen als Warenkäufer:innen zu? Die Antwort ist: nein (Ich schrieb: „Dito für die Kapitalist:innen…“). Ist es für dich damit klar?
Was meint das „einmalige ΔG“? Es war eine zusätzliche Einschränkung (sozusagen eine Herausnahme der Zeitdimension: Es gibt nur einen Zyklus), um zu verdeutlichen, dass die Annahme, dass „das nötige „Mehrgeld“ also schon vorhanden ist“ keine Erklärung, sondern selbst das zu Erklärende ist: Wo kommt das ΔG her, wenn du nicht annimmst, es sei schon da? Dass es sich in Wahrheit um Zyklen handelt, ist mir klar. Doch mit dem Denken in Zyklen liegt es nahe, anzunehmen, das Geld entstamme den Vorzyklen, sei also bereits da – so hab ich dich verstanden. Das verlagert jedoch die Frage nur in den Vorzyklus: Wo kommt dort das ΔG her? Aus dem Vorvorzyklus etc. – ein infiniter Regress. Dies gilt auch für den Fall, dass „das G‘ der letzten Produktionsperiode dem aktuellen G‘ gleicht“.
Diese letzte Annahme (G und G‘ bleiben über die Zyklen konstant) ist dir wichtig, ich habe sie nicht, im Gegenteil: Es ging mir darum zu zeigen, dass sie nicht stabil ist. Meine Argumentation ging so: Mal dein Nichtwachstum angenommen (G und G‘ bleiben konstant), dann führt auch diese Einschränkung zum dem Widerspruch, dass die Herkunft des ΔG nicht immanent erklärt werden kann. Sondern es muss der Kredit als Faktor hinzugenommen werden, der einen Vorgriff auf die Zukunft darstellt. Der Kredit muss aber irgendwann bedient, die Zukunft also eingeholt werden, und das geht nur mit erweiterter Produktion (und neuen Krediten), also Wachstum. Ergo: Das Modell führt auch unter einer Nichtwachstumsannahme notwendig dazu, trotzdem Wachstum hervorzubringen. Daran ändert sich nichts, ob ich nun einen oder viele Zyklen betrachte, da alle Zyklen strukturgleich sind.
Nun ein Versuch zur Entwirrung von ΔG (Mehrgeld) und ΔP (Mehrprodukt). Hier ist meine Argumentation: Wenn es nur ein ΔP wäre (Zustimmung: das Mehrprodukt ist unhintergehbare Voraussetzung produzierender Gesellschaften), dann könnte die Gesellschaft entscheiden, wann es wie groß wird. Wachstum ist also möglich, aber aus Gründen jenseits der Bedürfnisse nicht nötig. Ich stimme dir also zu: „Das Mehrprodukt ist also eine mögliche Basis für Wachstum, aber seine bloße Existenz impliziert noch kein Wachstum – weder einmalig noch immer wieder“. Wenn das ΔP aber die ΔG-Form annimmt, ist diese freie Entscheidung nicht mehr möglich – oder hat, wenn sie dennoch getroffen wird, schwere Konsequenzen (aka Krise). IMHO ist das – vermittelt über viele Ebenen – der wesentliche Grund, warum Politik auf Wachstum setzt und setzen muss, denn eigentlich steht Politik ja über der Konkurrenz der einzelnen Kapitale und als Weltpolitik auch über der Konkurrenz der Nationalstaaten (womit, theoretisch, Konkurrenz als Wachstumsantrieb wegfiele). Dieser Schluss ist aber, sollte meine Hypothese stimmen, eine Konsequenz und kein Teil der Argumentation zur Begründung der Hypothese.
Ist das sensationell neu? Ich dachte nicht! Es ist nur die auf die kategorialen Füße gestellte Fassung dessen, was im erwähnten Dokumentarfilm „Oeconomia“ so anschaulich beschrieben, dort aber im Wortsinne „verkehrt“ interpretiert wird: Es sei das Geld, das das Wachstum mache. Warum es bislang noch nicht diskutiert wurde? Keine Ahnung, ist dem so? Ich könnte mir einige Gründe vorstellen, warum es nahe liegt, das bisher nicht zu sehen: (1) Die Arbeiter:innenbewegung wollte Wachstum, er ging um Verbesserung der Lebenssituation; (2) das Problem war für sie nicht das ΔG, die Frage war für sie nur, wer drüber verfügt – kritisiert wurde die Ausbeutung; (3) daher waren die Diskussionen meist ex post auf die Verteilungsfrage fokussiert; (4) mit der Konkurrenz lag/liegt bereits eine super eingängige Erklärung für das Wachstum vor.
Noch eins: „Wenn du den Anspruch hast, dass dein „Wachstumspostulat“ auch jenseits des Kapitalismus gilt…“ – hab ich nicht. Für mich ist der Sozialismus (wie oben gefasst) allerdings nicht jenseits, sondern diesseits des Kapitalismus (ohne beides gleichzusetzen). Bei der von mir hypothetisch bestimmten Wachstumsquelle sind die beiden Gesellschaftsformen identisch: Auch im Sozialismus gibt es G-W-G‘, also auch das ΔG. – Ich hab das im Studienbuch „Politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus“ (Hg.-Kollektiv, 1981) nochmal nachgeschaut, dort gibt es alle Grundkategorien des Kapitalismus (außer definitorisch gesetzt die Ausbeutung), einschließlich dem „Doppelcharakter der Arbeit“, aber mit sozialistischem Vorzeichen sind die Kategorien dann okay: „Die bei der produktiven oder konkreten Arbeit verausgabte allgemeine menschliche Arbeit tritt unter Bedingungen der Warenproduktion als abstrakte Arbeit … in Erscheinung. (…) Die abstrakte Arbeit ist in der Warenproduktion im Sozialismus deshalb von praktischer Bedeutung, weil nur durch sie die Arbeitsprodukte als Waren vergleichbar gemacht und ausgetauscht werden können. (…) Im Sozialismus ist die abstrakte Arbeit ausbeutungsfreie Arbeit“ (497f). Dann ist auch G-W-G‘ eine okaye Sache – dort umbenannt in „Phasen des Kreislaufs der Fonds“ (613). Alles positiv dargestellt und unterlegt mit „Zitaten“ aus dem Kapital, alles „nach Gesetzen“, die Marx entdeckte“ (z.B. 683). – Ich finde es (heute) skuril anzunehmen, dass man mit den Kategorien des Kapitalismus positiv Sozialismus machen könne, nur weil die Arbeitsklasse das Sagen hat und meint, die besser nutzen zu können. Okay, das ist allerdings auch nur eine Konsequenz aus den Überlegungen, nicht der Kern der Sache selbst, und insofern kann man das auch erstmal beiseite lassen.
@Benni: Zustimmung, sieht verdächtig aus, wenn eine Theorie zu gut passt. Das sagt jedoch über den Wahrheitsgehalt nicht viel aus. Sehr verdächtig finde ich dann, warum die super-simple Wachstumserklärung über die Konkurrenz nicht weiter befragt wird.
Auch beim Staat stimme ich dir zu, ich brauche keine Kritik der Warenform, um den Staat zu kritisieren. Ich meinte die Analogie anders: So wie ich hier die Warenform grundlegend kritisiere und meine, eine freie Gesellschaft ist nur jenseits davon zu haben, so ist auch der Staat grundlegend zu kritisieren, und eine freie Gesellschaft ist nur jenseits dessen zu haben.
Nullwachstum und Stabilität (oder Warenform) hängen IMHO nicht direkt zusammen. Grundsätzlich verweist fehlendes Wachstum auf fehlende Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals. Staaten mit Nullwachstum sind in einer Krise, aber sie haben die Möglichkeiten der Kreditaufnahme und staatlicher Investitionen, was z.B. Japan lange so praktiziert hat. Auch die Geldflutung der Finanzmärkte durch die Zentralbanken seit einigen Jahren ist so eine Möglichkeit.
Spannend finde ich tatsächlich nach weiteren Wachstumsantrieben, die aus spezifischen Herrschaftskonstellationen resultieren könnten, zu forschen. Wenn ich mir die Frage für den Kapitalismus/Sozialismus stelle, dann schließt das andere Quellen nicht aus. Ich vermute jedoch, die wurden alle vom „modernen“ Wachstumsimperativ einverleibt und ggf. dienstbar gemacht.
Der Sozialismus ist keine Geschichte, sondern taucht seit einiger Zeit in neuen Varianten vermehrt auf. Vgl. https://keimform.de/2022/defense-of-post-wage-commonism/ Und wenn Sozialismus, dann nehme ich den gewesenen, gar nicht nur die DDR. Und da gucke ich in die theoretischen Begründungen. Denn das ist ein Vorteil des Realen: Dieser Sozialismus war gezwungen, seine eigenen theoretischen Grundlagen aufzuschreiben, und die kann man heute studieren. So ist für mich ein Sozialismus ohne Warenform fiktiv – oder es ist eben gleich der Kommunismus. Wer sich einen Sozialismus ohne Warenform und damit ohne Wachstumsdrang vorstellen möchte, kann sich den Realsozialismus hernehmen und an diesem Vorbild genau begründen, was fundamental anders sein müsste, damit es eben nicht wieder Warenproduktion mit Lohnarbeit wird. Einer der wenigen, der das so ein bißchen in die Richtung versuchen, ist Jan-Philipp Dapprich, und das finde ich hoch anerkennenswert (auch wenn ich weiter Kritik dran habe).
So, jetzt bin ich auch endlich mal dazu gekommen den Beitrag und die ganze Diskussion zu lesen. Danke erstmal an alle Beteiligten für die Auseinandersetzung! Ich finde den Gedanken, den Wachstumszwang direkt aus der Warenform herzuleiten, spannend. Dass dies davon getrieben sein mag, die eigene Position dass wir eine Gesellschaft jenseits der Warenform brauchen, zu untermauern, finde ich auch gar nicht verwerflich; schließlich ist jede theoretische Fragestellung, gerade in diesem Bereich, aus einer bestimmten Position heraus motiviert. Aber ich bin mir auch unsicher, ob das so aufgeht, wie du, Stefan, das hier versuchst. Vielleicht hab ich auch nicht alles verstanden. Ich versuche es mal zusammenzufassen:
Es wird davon ausgegangen, dass ein Mehrprodukt hergestellt wird. Dass es sinnvoll ist, davon auszugehen, hast du oben in einem Kommentar (10.1.22) begründet, deshalb zieh ich den Einwand den ich bei unserem Spaziergang geäußert habe, zurück. Mehrprodukt in Warenform ergibt dann die Formel G-W-G‘, bzw. genauer ausgeführt G-W(c+v)-W'(W+ΔW)-G'(G+ΔG). Die Frage ist dann, wo das zusätzliche Geld (ΔG) herkommen soll, um das Mehrprodukt ΔW zu kaufen. Deine Antwort ist letztlich: Aus dem Kredit („Wo kommt das Mehrgeld her, das den neuen Mehrwert abbilden kann? Es kommt aus Krediten, also Geldvermehrung in Erwartung auf den zu realisierenden Mehrwert. Den Kredit habe ich in meiner Betrachtung nur in einer Klammer erwähnt, tatsächlich kommt ihm eine wichtige Rolle zu“, 29.12.21). Und da der bedient werden muss, braucht es Wachstum, braucht es erweiterte Reproduktion („Der Kredit muss aber irgendwann bedient, die Zukunft also eingeholt werden, und das geht nur mit erweiterter Produktion (und neuen Krediten), also Wachstum.“, 24.1.22).
Das gilt aber denke ich nur für Kredite mit Zins. Wenn zinsfreie Kredite vergeben werden, wäre es theoretisch möglich, dass die Kapitalist:innen einfach so viel Kredit aufnehmen, um sich voneinander die Mehrprodukte abkaufen und konsumieren zu können. Vereinfacht dargestellt: Kapitalist:in A nimmt einen Kredit auf, um das Mehrprodukt von Kapitalist:in B kaufen zu können. Mit diesen Einnahmen kauft B das Mehrprodukt von A, A kann dadurch wieder den Kredit zurückzahlen.
De facto werden im Kapitalismus natürlich nur Kredite mit Zinsen vergeben (außer die Zinsen gehen aufgrund von Krisendynamiken o.ä. gegen 0 wie in letzter Zeit), sonst hätten die Kreditanstalten ja gar nix davon. Aber theoretisch könnte ein Staat zinsfreie Kredite ausgeben, dann würde die Rechnung auch mit einfacher Reproduktion aufgehen meine ich. Oder übersehe ich was?
Zins ist sicher ein Wachstumstreiber, aber wenn man das als Hauptursache benennt, landet man in zinskritischen Fahrwässern mit all den Problemen, die sie haben, und nicht bei einer grundsätzlichen Kritik der Marktwirtschaft. Deshalb begründe ich den Wachstumszwang bisher auch immer mit der Konkurrenz. Das würde aber bedeuten, in einem sozialistischen Weltstaat mit politisch gelenkter Warenproduktion gäbe es keinen Wachstumszwang. Dafür aber andere Probleme, und zumindest die Externalisierungsnahelegung bleibt ja überall da bestehen, wo es Warenproduktion gibt.
Eine andere Anmerkung hab ich noch: Du verweist in den Kommentaren ja darauf, dass Marx den Wachstumsdrang auch aus der Warenproduktion erklärt habe, und die Konkurrenz erst später herangezogen habe: „Tatsächlich ist es wichtig, den Wachstumsdrang bereits aus der Form der Produktion, also der Warenproduktion, selbst zu erklären. So macht es auch Marx, auf die Konkurrenz kommt er erst sehr spät im »Kapital«. In den »Grundrissen« schrieb er: „Die Konkurrenz exequiert die innren Gesetze des Kapitals; macht sie zu Zwangsgesetzen dem einzelnen Kapital gegenüber, aber sie erfindet sie nicht. Sie realisiert sie. Sie daher einfach aus der Konkurrenz erklären zu wollen, heißt zugeben, daß man sie nicht versteht.« (MEW 42, S. 644), 29.12.21“.
Ich hab selber die Grundrisse nicht gelesen, aber diese Unterscheidung zwischen „inneren Gesetzen“ und „äußerem Zwangsgesetz der Konkurrenz“ macht Marx ja auch im Kapital. Allerdings sehen die inneren Gesetze bei ihm anders aus als deine Argumentation hier. Im 4. Kapitel nennt er einerseits die Maßlosigkeit des Geldes als Faktor („Im Kauf für den Verkauf dagegen sind Anfang und Ende dasselbe, Geld, Tauschwert, und schon dadurch ist die Bewegung endlos“, MEW23, S.166) und dann tatsächlich den „Bereicherungstrieb“ des Kapitalisten (S.168) als bewusstem Träger dieser Bewegung (S.167). Finde ich nicht besonders überzeugend. An dieser Unterscheidung in „innere“ und „äußere“ Gesetze entzündet sich ja auch Simons Kritik in dieser dreiteiligen Artikelserie hier: https://keimform.de/2019/marx-darstellungslogik-im-kapital-i/ (Ich würde da trotzdem nicht in allem mitgehen, weil ich denke dass die Darstellungslogik bei Marx eine andere ist als Simon denkt, aber das ist ein anderer Punkt). Naja, jedenfalls wäre meine Frage hierzu: Beschreibt Marx die „inneren Gesetze“ des Kapitals irgendwo so ähnlich wie du hier?
Ich hoffe ich reihe mich mit diesem Kommentar nicht zu sehr in ein Bedrängen ein. Ich bin tatsächlich neugierig auf deine Argumentation und fände es ja selber richtig nice, eine Argumentation zu haben, die den Wachstumszwang (oder -drang) direkt aus der Warenproduktion erklärt. Aber damit die stichfest wird, muss sie eben hinterfragt und auf Schwachstellen geprüft werden.
@stefan: ok, ich versuch es mal mit mehr Neugier 😉
Oben schriebst Du „Und warum reicht Konkurrenz als Erklärung nicht aus? Na ja, weil sich Wissenschaftler:innen nicht mit oberflächlichen Erklärungen zufrieden geben? Das wäre für mich schon ausreichend.“
Was genau meinst Du hier mit „oberflächlich“? Und wieso ist „Konkurrenz“ als Erklärung „oberflächlicher“ als „Warenform“?
Also wenn man sich irgendwelche Vorgänge „unter der Oberfläche“ vorstellt um irgendwas zu erklären, dann doch nicht einfach aus Prinzip, sondern weil man sonst Dinge nicht verstehen kann. Die Quantentheorie wurde ja auch nicht zum Spaß erfunden sondern weil man sich anders die Schwarzkörperstrahlung nicht erklären konnte. Ich komme mir gerade vor wie ein klassischer Physiker dessen Schwarzkörper genau das macht, was seine Theorie vorhersagt und Du halt trotzdem mit völlig wildem Quantenkram kommst aus dem nichts 😉
Das ist sozusagen mein erkenntnistheoretischer Einwand zum Ganzen. Oder nochmal als neugierige Frage formuliert: Was ist hier die Schwarzkörperstrahlung, die die Konkurrenz nicht erklären kann? Und ja, politische Ökonomie ist keine Physik und Dialektik schnick schnack aber die grundlegenden Regeln sind hier trotzdem die selben. Oder zumindest würde ich dann (neugierig) gerne hören wollen warum diese Regeln hier nicht gelten sollen.
@Jonna: Guter Punkt, das mit dem Zins! Der Zins ist ja der Anteil der Bank am Wachstum, insofern ein Vorgriff darauf, spielt aber für meine Argumentation tatsächlich keine Rolle. Auch für dein Modell reicht es, wenn der Kredit im Rahmen des ΔG bleibt, geht er darüber hinaus, kommt es zu Wachstum. Ein Zins käme dann noch on top. Das finde ich schon auch in Richtung Zinskritik einen wichtigen Punkt: Es ist nicht der Zins.
Aber deine Frage verstehe ich so: Wenn der Kredit nur Vorgriff auf das Mehrgeld ΔG bleibt, also nicht darüber hinausgeht und zudem von Kapitalist:innen für unproduktiven Konsum aufgenommen wird, dann können die den Kredit am Ende der Runde zurückzahlen, und nichts musste wachsen. – Yep, das ist theoretisch möglich und logisch schlüssig. Doch das liegt aus meiner Sicht an neuen Grenzen, die du für dein Modell hinzugenommen hast:
(1) die Arbeiter:innen dürfen keine unproduktiven Kredite aufnehmen
(2) die Kapitalist:innen dürfen keine produktiven Kredite aufnehmen
(3) die Kapitalist:innen können ihren unproduktiven Konsum unbegrenzt steigern, um jede Größe von ΔG zu verzehren
Das sind drei zusätzliche Grenzen, die ich in meinem Modell nicht habe. Sobald du nur eine der drei zusätzlichen Grenzen fallen lässt, landest du im Wachstum. Alle drei mal durchgegangen:
(1) Arbeiter:innen nehmen Kredite für unproduktiven Konsum auf, die sie nur zurückzahlen können durch mehr Lohnarbeit, die es nur gibt, wenn mehr produziert wird, was nur passiert, wenn die Produktion ausgeweitet wird -> Wachstum
(2) Kapitalist:innen nehmen produktive Kredite auf, weil sie die Produktion erweitern müssen, um für das ΔW genug Käufer:innen zu finden, die sie nur in Form von erweiterten Lohnarbeiter:innen bekommen, die in der erweiterten Produktion Lohn bekommen -> Wachstum
(3) Kapitalist:innen können ihren Konsum nur begrenzt steigern, was bedeutet, dass sie gegenseitig nicht das komplette ΔG auf Basis eines rückzahlbaren Kredits verzehren können, weshalb die Lücke durch (1) oder (2) geschlossen werden muss -> Wachstum
Habe ich was übersehen oder leuchtet das ein?
Ich finde es übrigens eine gute Weise, zuerst in eigenen Worten wiederzugeben, was jeweils ich verstanden habe, um dann meine Fragen/Kritiken daran zu entwickeln. Dann erkennt die andere Person u.U. Lücken in der eigenen Darstellung oder, dass das eigene Geschriebene schlicht anders angekommen ist als intendiert.
Deine letzte Frage: „Beschreibt Marx die „inneren Gesetze“ des Kapitals irgendwo so ähnlich wie du hier?“ – habe ich nicht so richtig verstanden. Welche Ähnlichkeit meinst du? Also die Bewegung G-W-G‘, wie ich sie nehme, nennt Marx die „allgemeine Formel des Kapitals“ (170), und die ist nun offensichtlich Kernbestand (Bd. 1, 4. Kap.). Marx diskutiert das nur komplett anders: Schon die einfache Bewegung sei endlos, weil das G in G-W-G identisch sei; für G-W-G‘ müsse auch das ΔG wieder in den Zyklus zurück, weil es sonst aufhörte Kapital zu sein und nur noch Geld wäre – kulminierend in dem Satz: „Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos.“ (167) Der Wert wird „das Subjekt eines Prozesses, worin er sich unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet.“ (169). Ist wohl so, doch warum? Das Wachstum als Resultat der „inneren Gesetze des Kapitals“, als Resultat der „Selbstbewegung“ finde ich nicht überzeugend entwickelt. Und die Antwort, dass implizit hier die Konkurrenz der Kapitalien mitgedacht sei, entspricht nicht Marx‘ erklärter Intention, den inneren Selbstverwertungsmechanismus als Wachstumsmotor ohne die Konkurrenz zu erklären.
Btw: Marx macht klar, das die Kapitalist:innen nur der „bewusste Träger dieser Bewegung“ sind, nur „personifiziertes, mit Willen und Bewußtsein begabtes Kapital“. Ich lasse deren Wollen daher in der Regel weg. Ich nenne die auch lieber „Kapital“ als „Kapitalist:innen“, weil das den Sachcharakter der Bewegung deutlicher macht. Bin da aber nicht konsequent 😉
@Benni: Danke für die Neugier 🙂 Für mich ist die Konkurrenz als Erklärung „oberflächlicher“, weil sie tatsächlich an der Oberfläche erscheint und wir sie beobachten können. Würde hier mal zufällig Erscheinungsform und Wesen zusammenfallen, dann wäre tatsächlich Wissenschaft überflüssig. Doch das glaub ich bei dem Gegenstand nicht. Marx: „Bei der Analyse ökonomischer Formen kann außerdem weder das Mikroskop dienen noch chemische Reagenzien. Die Abstraktionskraft muss beide ersetzen.“ (K1, 12). Die Ware kann ich noch sehen, aber die Warenform und den Doppelcharakter der Arbeit in der Ware muss ich mir schon recht aufwändig erklären. Und den Wert sowieso. So vermute ich, ist es auch für die Konkurrenz. Dass die Bewegung der Kapitalien die Form der Konkurrenz annimmt (und annehmen muss), wäre nicht die Erklärung, sondern das zu Erklärende. Jonna hat oben einen Vorschlag gemacht für eine Bewegung von Kapitalien, die nicht die Form der Konkurrenz annehmen muss: die Kapitale kaufen gegenseitig ihre ΔW auf und realisieren sich gegenseitig ihr ΔG, womit alle ihre Kredite zurückzahlen könnten, und alle sind wachstumslos glücklich. Dass daraus sofort eine zum Wachstum tendierende Bewegung wird, wenn man die von Jonna eingeführten neuen Grenzen des Modells aufhebt (= sich mehr der Wirklichkeit annähert), habe ich versucht zu zeigen.
Die Analogie zum Plankschen Strahlungsgesetz ist so halb passend: So weit ich weiß, gab es vor Planck klassisch nur Teilerklärungen für die Strahlung schwarzer Körper, die er dann in einer neuen Erklärung aufhob (wobei das Plancksche Wirkungsquantum als neue Konstante und überhaupt die ganze Quantenphysik rauskam). Analog müsste die Konkurrenz unvollständige oder widersprüchliche Erklärungen liefern, die „meine“ Erklärung dann integrieren kann. Das überschaue ich nicht.
Folgende Überlegung: Konkurrenz entsteht doch erst dann, wenn unterschiedliche Entitäten um die gleiche Ressource ringen. Wenn die Entitäten nicht wachsen, kommt in einem umgrenzten Bereich nicht zur Konkurrenz, jedenfalls nicht notwendig. Dazu kommt es erst, wenn die Entitäten wachsen und u.U. in der dann entstehenden Konkurrenz das Wachstum des ganzen Systems antreiben, indem die Grenzen ausgeweitet werden etc. Das zuerst zu Erklärende wäre, warum die Entitäten wachsen, erst dann, warum das System wächst. Es geht also um das Verhältnis von Elementarform und Systemform auf der Ebene des Kapitals.
Ich habe ja immer noch das Gefühl, das ist gar nix Neues, sondern gibt es schon in anderer Darstellung tausendfach. Oder ich liege daneben.
@Stefan: „Das zuerst zu Erklärende wäre, warum die Entitäten wachsen, erst dann, warum das System wächst.“ Sicher? Also im Kapitalismus ist ja die Konkurrenz schon in die Warenform eingeschrieben. Weil die Waren eben Waren sind weil sie auf dem Markt in Konkurrenz zu anderen Anbietern verkauft werden. Du schließt daraus dann rückwärts das müsste in allen Gesellschaften so sein wo Leute Güter verkaufen? Oder nur in manchen?
@Stefan: Den drei von dir formulierten Grenzen und wie sie in der Realität (der Marktwirtschaft) wegfallen, würde ich zustimmen. Allerdings habe ich dich so verstanden, dass du hier eigentlich versuchst, einen Wachstumsdrang aus der Warenproduktion herzuleiten, der sich selbst dann durchsetzt, wenn diese stark politisch reguliert und gesteuert ist, wie im Staatssozialismus. Und zumindest theoretisch wäre es ja denkbar, diese 3 von dir diskutierten Grenzen durch politische Regulation festzuschreiben. Praktisch würde das in einem staatssozialistischen Modell natürlich anders aussehen, hier fällt die Kapitalseite mit dem Staat zusammen und es gibt sozusagen nur ein Kapital. Dementsprechend könnte das gegenseitige Aufkaufen wegfallen, und der Staat sich das Mehrprodukt direkt aneignen und damit die Parteifunktionär*innen versorgen und/oder Infrastruktur aufbauen. In dem Fall hätten wir tatsächlich kein G-W-G‘, sondern ein G – W – W+ΔP – G+ΔP. Warenproduktion bleibt das trotzdem, nur dass halt das Mehrprodukt keine Warenform annimmt. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die einzelnen Betriebe schon noch eher als Einzelkapitale fungieren und die Bewegung G-W-G‘ bleibt, das Mehrprodukt aber an den Staat verkauft wird, der es mit (zinslosem) Kredit kauft, den er mit Steuereinnahmen zurückbezahlt, die der Höhe von ΔG entsprechen. Das läuft letztendlich auf das gleiche hinaus wie das erste Beispiel, nur mit noch mehr Geld dazwischen geschaltet. Theoretisch denkbar wäre somit „sozialistische“ Warenproduktion ohne Wachstumszwang.
Zum zweiten Punkt: Ich hatte dich so verstanden, dass du meintest, hier eigentlich nichts neues zu entwickeln, sondern nur die Argumentation von Marx noch einmal anders ausführst – weil du mehrfach drauf verwiesen hast, dass auch Marx die Konkurrenz für einen nachgelagerten Faktor hielt und dich auf „Marxens Modell“ bezogen hast. Mit deiner Antwort meine ich jetzt aber verstanden zu haben, dass du dich mit Marxens Modell nur auf die Formel G-W-G‘ bezogst und die Erläuterung, warum das zu Wachstumsszwang führen soll, von dir neu ist und du Marx‘ Erklärung des Wachstums als Resultat der „Selbstbewegung“ nicht für überzeugend entwickelt hältst (und darin würde ich dir zustimmen).
Dass eine „sozialistische“ Warenproduktion ohne Wachstumszwang theoretisch möglich ist, heißt aber natürlich nicht, dass sie die beste Lösung wäre. Mit der Warenform verbunden bleibt immer (also auch im Staatssozialismus) das Problem der Abspaltung und die Nahelegung zur Externalisierung. Damit würde auch eine „sozialistische“ Warenproduktion ohne Wachstumsdrang oder -zwang immer noch zur Unterordnung von Care-Arbeit und Vernutzung von Natur führen. Hinzu kommen die ganzen Probleme, die Entlohnung mit unserer Motivation anstellt. Also alles in allem: Der Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Tauschwert bleiben bestehen, egal ob mit oder ohne Wachstumszwang und das alleine ist Grund genug dafür, dass die Warenproduktion aufgehoben werden muss. Dass ich das so vertrete, ist euch ja eh klar, aber ich wollte es nochmal zur Transparenz aufschreiben falls sich doch mal andere Mitlesende hierher verirren sollten, damit niemand denkt ich würde hier für Warenproduktion argumentieren 😉
@Stefan: Ich tue mich schwer mit der Nahelegung über Arbeitenden-Verhalten und Wirtschaftswachstum aus deinem vorletzten Kommentar. Du schreibst:
Meinst du damit, dass weil die Arbeiter:innen Kredite aufgenommen haben und nun mehr arbeiten wollen, um diese zurückzahlen zu können, die Wirtschaft wächst? Aber so ist es ja nicht: Arbeiter:innen können zwar versuchen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sie können aber keine Käufer:innen dafür erzeugen. Sprich wenn sich nicht gleichzeitig irgendwelche Investor:innen (Kapitalist:innen) aus welchen Gründen auch immer dafür entschieden haben, mehr zu investieren und so zusätzliche „Arbeitsplätze“ zu schaffen, hätte ein erfolgreich umgesetzter Wunsch von Arbeiter:in A nach Mehrarbeit nur den Effekt, dass Arbeiter:in B zwangsweise entsprechend weniger arbeiten und konsumieren kann. Kein Wachstum.
@Benni: Ja, stimmt, bei einem Verhältnis (von Element und System) ist es wieder zu einseitig, zu fordern, die Elementebene müsste zuerst geklärt werden. Verhältnis bedeutet ja, dass beides erst das ist, was es ist, wenn man sowohl Element und System in ihrem Zusammenhang analysiert. Deswegen glaube ich ja, dass es das Wachstum als „Zwang“ und als unhintergehbare Teilnahmebedingung an der Marktlogik auf der Einzelebene nicht gibt und die Konkurrenz auf Systemebene nicht determiniert; deswegen nenne ich es nur „Drang“. Zum „Zwang“ wird es erst im System der Konkurrenz einer komplett ausgebildeten Warenproduktion, die sie nur sein kann, weil es dafür auch schon eine Tendenz gibt. Mit der Konkurrenz findet der elementare Drang seine angemessene Bewegungsform. Ein Einzelkapital nimmt ja gerne den von anderen Kapitalien verteilten Lohn als Kaufkraft und will ihn nicht selbst ausgeben oder erhöhen, weil das den Profit schmälert. Für das Einzelkapital ist durchaus klar, dass der von ihm verteilte Lohn nicht ausreicht, damit die Arbeitenden die eigenen Waren kaufen können – sollen das doch die anderen machen. Die Konkurrenz sorgt nun dafür, dass diese Abhängigkeit „überkreuz“ nicht in die Stagnation/Krise führt (alle könnten ja auf jeweils die anderen „warten“), sondern seine nur durch Wachstum für alle befriedigende Bewegungsform findet. Deswegen ist Stagnation auch für Akteure, die die übergreifende Systemebene im Blick haben und für die die Konkurrenz ja egal sein könnte, nicht akzeptabel.
Ich würde daher nicht sagen, dass die Konkurrenz schon in die Elementform (Warenform) eingeschrieben ist, sondern, dass die Konkurrenz erst in das übergreifende Verhältnis von Element und System eingeschrieben wird, wenn der „der Antrieb zum Wachstum“ auf begrenzte Märkte trifft. Wenn die Nachfrage jedes Angebot aufnehmen würde, gäbe es kaum oder keine Konkurrenz. Konsequenz: Wachstumsdrang gibt es auch vor einer antreibenden Konkurrenz. Doch diesen Punkt haben wir eh lange überschritten.
@Jonna: Ja, mit den genannten Grenzen wäre theoretisch eine „sozialistische Warenproduktion ohne Wachstum“ möglich. Dass nur mit diesen Zusatzannahmen der Wachstumsdrang „stillgestellt“ werden kann, deute ich als Bestätigung meiner Überlegungen. Darin besteht ja häufig die Diskussion mit Neosozialist:innen: Der Staat muss solche und andere Eigendynamiken des ungezügelten „reinen“ Kapitalismus eindämmen.
Auch beim zweiten Punkt stimme ich dir zu. Neu ist nur das „konsequente“ Durchdeklinieren des Marxschen Modells. Und da seit 150 Jahren tatsächlich so viele kluge Leute draufgeschaut haben, kann das nix Neues sein, dachte ich.
@Christian: Richtig, schrieb ich ja auch, nur bei erweiterter Produktion klappt das, und das muss das Kapital per Investition auch machen. Anderenfalls kommt es zum Kreditausfall. Kreditausfall/Insolvenz bedeutet Entzug von Kaufkraft und keine neuen Kredite, die aber nötig sind, um die nicht verkaufbaren Waren loszuwerden. Das Kapital ist also selbst daran interessiert, dass die unproduktiven Kredite laufen – und hat es auch selbst in der Hand, dafür zu sorgen: Wachstum.
Empirisch kann man das beobachten, wenn das Einzelkapital nicht auf die Banken wartet, sondern die Konsumentenkredite gleich selbst vergibt.
Ergibt sich der Wachstumsdrang aber nicht auch einfach schon aus den Bedürfnissen? Ich meine klar, Bedürfnisse sind nicht unendlich, aber sie sind doch meistens größer als das, was ist. Einen „Wachstumsdrang“ hat ja schon alles lebendige. Oder vielleicht brauchts dafür auch noch nen dritten Begriff? Zwischen Lebewesen und Spezies kommt es ja übrigens auch zur Konkurrenz um begrenzte Ressourcen, aber da wird kein Wachstumszwang draus?
Naja, ich bin jetzt ehrlich gesagt verwirrter als vorher. Vielleicht lassen wirs einfach mal ne Weile sacken?
@Stefan: Willst du sagen, dass Kredite ohne Wachstum zwangsläufig zu Kreditausfällen führen? Das leuchtet mir nicht ein.
Bleiben wir mal bei den Konsumkrediten der Arbeitenden (der Menschen ohne nennenswertes Kapital). Es ist ja nicht gesagt, dass diese zwangsläufig auf künftige Mehrarbeit setzen, um den Kredit zurückzahlen zu können.
Eine Möglichkeit ist etwa, was die Ökonom:innen vielleicht „vorgezogenen Konsum“ nennen würden: Ohne Kredit würde sich die Arbeiter:in nur einmal jährlich eine innerdeutsche Städtereise leisten können. Weil sie das nicht glücklich macht, nimmt sie einen Kredit auf und fliegt für ein paar Wochen nach Ibiza. Die kommenden vier Jahre, während deren sie den Kredit zurückzahlen muss, verreist sie hingegen gar nicht. Dadurch braucht sie kein höheres Einkommen und auch keine Mehrarbeit.
Eine andere Möglichkeit ist die, dass der Kredit zu Einsparungen an anderer Stelle führt. Das klassische Beispiel dafür, das sich nur besser gestellte Arbeiter:innen leisten können, ist der Kauf einer Eigentumswohnung. Der dafür aufgenommene Kredit muss über sagen wir 25 Jahre zurückgezahlt werden; während dieser Zeit spart die Arbeiter:in aber ihre Mietzahlungen und hat dadurch im Schnitt keine höheren Ausgaben als zuvor. Nach kompletter Rückzahlung des Kredits hat sie dann ein höheres frei verfügbares Einkommen übrig als zuvor und kann so ihren anderweitigen Konsum sogar erhöhen – alles ohne Mehrarbeit. (Nur wenn sie zwischendurch ihren Job verlieren und keinen vergleichbaren anderen finden würde, dann – ja dann hätte sie natürlich ein Problem.)
Auch kleinere kreditfinanzierte Anschaffungen können denselben Effekt haben – sagen wir ein Kühlschrank, wodurch weniger Einkaufsfahrten nötig sind (niedrigere ÖPNV-Ausgaben) und Lebensmittel seltener verderben und ungenutzt weggeschmissen werden.
@Benni: „Ergibt sich der Wachstumsdrang aber nicht auch einfach schon aus den Bedürfnissen?“ Nein. Aus den Bedürfnissen kann sich genauso das Nichtwachstum ergeben. Wir können uns nur nicht dafür entscheiden. Siehe oben.
@Christian: Du bringst einen Zeiteffekt ein, den ich oben ausgeschlossen habe, und der faktisch zur einer Absenkung des Werts der Ware Arbeitskraft führt (konsumiert wird über einen gestreckten Zeitraum). In meiner Betrachtung sind die Reproduktionskosten fix. Senken der Reprokosten bedeutet weniger Warenkauf, bedeutet, dass noch schneller die Krise wg. unverkaufter Waren da ist. Ergo: Krise oder Wachstum, s.o.
@Stefan: Langsam kann ich überhaupt nicht mehr folgen, wo kommt nun plötzlich die „Absenkung des Werts der Ware Arbeitskraft“ her?
Und was meinst mit „ausgeschlossen[em] Zeiteffekt“? Meine Idee – bitte korrigier oder bestätige mich: Ich habe gesagt, dass dem durch den Konsumkredit ermöglichten Mehrkonsum in einem Jahr ja ein entsprechender Minderkonsum in den Folgejahren entgegenstehen kann – sei es durch Einspareffekte oder durch bewussten Verzicht der Konsument:in.
Du willst das „ausschließen“, sprich du gehst von einem kreditfinanzierten Mehr in einem Jahr aus, das nicht durch ein Weniger in den Folgejahren ausgeglichen wird. Richtig? Das kann dann natürlich nur gut gehen, wenn es Wachstum gibt, andernfalls kann der Kredit nicht zurückgezahlt werden. Da würde ich ja auch mitgehen, nur: Was genau ist da dann der Erkenntnisgewinn? Das absolute Mehr ohne Kompensation an anderer Stelle ist ja gerade Wachstum, sprich hinten kriegst du dann als Erkenntnis nur das Wachstum heraus das du vorne qua Vorannahme schon reingesteckt hast.
Zudem: Das Wachstum in solch einem Szenario wäre ja gerade ein gewolltes (die Konsument:in hat sich bewusst für den Kredit und den dadurch ermöglichten Mehrkonsum entschieden und rechnet auch damit, ihn durch künftige Mehrarbeit ausgleichen zu können), nichts was sich hinter dem Rücken der Menschen abspielt. Aber die Kritik, die ich und andere am Primat des Wachstums im Kapitalismus machen würden, ist ja gerade, dass es nicht bewusst kontrollier- und steuerbar ist, sondern sich (zumindest für die allermeisten) quasi „hinter dem Rücken“ der Menschen vollzieht.
Liebe Leute,
danke für eure intensive Diskussion, die ich erst jetzt mitbekommen habe. Ich werde sie noch oft durchlesen, weil ich viel daraus lernen kann. Ich fand es auch nicht schlimm, wie Stefans These angezweifelt wurde, gerade das Pro und Contra half mir zu verstehen. Christians Eindruck, wonach Stefans These im „Peer-Review“ erstmal durchgefallen sei, stimmt nicht ganz. Stefan hat alle Gegenargumente sehr überzeugend beantwortet, imho. Hut ab , sehr fruchtbare Diskussion! Ich möchte wieder ein bisschen Postone dazu zitieren. Der schrieb auf S.472 unter Bezug auf Ernest Mandel, dass die Konkurrenz unter den Kapitalien zwar zur Erklärung der Existenz von Wachstum herangezogen werden könne (Mandel 1972, 25), dass es in der Marxschen Analyse aber die zeitliche Bestimmung des Werts sei, die der Form (Form im Original hervorgehoben) dieses Wachstums zugrunde liege. Ökonomisches Wachstum würde auch bei einer Abwesenheit von Markt und Privateigentum notwendigerweise diese Form annehmen. Die besondere Logik der Form des Wachstums, erklärt Postone auf S.467f.: “ Da der pro Zeiteinheit erzielte Gesamtwert darüber hinaus nicht mit den gesellschaftlich-allgemeinen Zuwächsen der Produktivität ansteigt, stellt er eine Grenze für die Vermehrung des Mehrwerts dar: die pro Zeiteinheit erzielte Mehrwertmasse kann diese Summe nie überschreiten, unabhängig von der erreichten Stufe der Produktivität. Tatsächlich kann noch nicht einmal diese Grenze selbst erreicht werden, da, auf einer allgemeinen gesellschaftlichen Ebene betrachtet, das Kapital die notwendige Arbeitszeit niemals vollständig überflüssig machen kann.
Marx zufolge ist es genau diese Grenze – welche der Form des Reichtums innewohnt, dessen Größe von der Verausgabung abstrakter menschlicher Arbeitszeit abhängt – , die eine Tendenz zu immer höheren Zuwachsraten der Produktivität erzeugt. (…) je näher die erzielte Menge an Mehrwert an die Grenze des pro Zeiteinheit erzielten Gesamtwerts herankommt, es desto schwieriger wird, notwendige Arbeitszeit weiterhin mittels zunehmender Produktivität zu senken und dadurch eine Steigerung des Mehrwerts zu erzielen. Dies aber bedeutet: je höher die allgemeine Stufe der Mehrarbeitszeit und damit zusammenhängend der Produktivität ist, desto höher muß die Produktivität steigen, um eine bestimmte Zunahme der Mehrwertmasse pro bestimmtem Kapitalanteil zu realisieren. Die Bedeutung dieser Beziehung zwischen Produktivität und Mehrwert beschränkt sich nicht auf die Frage der Marxschen Behandlung des tendenziellen Falls der Profitrate… Sie weist zusätzlich daraufhin, daß die Wertform des Mehrprodukts nicht nur dauerhaft Produktivitätssteigerungen verursacht, sondern daß die für das Kapital notwendige Ausweitung des Mehrwerts auch eine Tendenz zu beschleunigten Zuwachsraten in der Produktivität impliziert. Kapital tendiert dazu, eine konstante Beschleunigung des Produktivitätswachstums zu erzeugen.“
Dazu noch eine Anspielung auf Politk der Gegenwart. Ja, wir sehen die immer verzweifelteren Anstrengungen, Produktivitätswachstum zu erzeugen zum Beispiel im Kampf der Nationen um die Vorherrschaft über die Technik-Republik-China Taiwan.
ganz lange her: „Den Drang zu permanenten Wachstum kannst du in jedem ML-Ökonomielehrbuch nachlesen (kontinuierliche Steigerung der Planziele) und konntest du in jeder Sendung der „Aktuellen Kamera“ (die Ost-Tagesschau) verfolgen, wo die Steigerungen im noch so kleinen Bereich abgefeiert wurden. Doch was sagt das jetzt?“
Mindestens müsste man das alles für bestimmte Phasen der historischen Entwicklung des Realsozialismus konkretisieren. Nach 1919 in der SU ging es zumindest mal um die Befriedigung dringendster Bedürfnisse, nach 1945 z.B. in der DDR darum, überhaupt erst mal ein funktionierendes Wirtschaftssystem unter den damaligen Einschränkungen aufzubauen und unter Honecker dann wurde die Bedürfnisbefriedigung direkt in den Mittelpunkt gestellt. Konkret-historisch problematisch war damals natürlich, dass die vorherrschenden Bedürfnisse sich an den Konsumverheißungen des „Westens“ maßen. Die wenigen Versuche, gegen das Bedürfnis nach Jeanshosen und Plastiktüten vorzugehen, waren dann auch dementsprechend hilflos und peinlich… Aber man kann das eben nicht alles argumentativ in einen Topf werfen…