Captain Hook 2.0: oder, wie man Nachwuchsjournalisten auf Linie bringt
Die Musikindustrie lobt einen Preis für Schüler aus, die sich „mit den Folgen der Internetpiraterie beschäftigen“. 10.000 Euro Preisgelder stehen dafür zur Verfügung, dass man sagt, was die Musikbranche hören will − und dem ganzen auch noch den Anstrich der Objektivität gibt; Pro und Contra aufarbeitet usw. − alles natürlich im Rahmen der Deutung, die schon in der Wortwahl „Internetpiraterie“ eindeutig vorgegeben ist. Ein klarer Fall von Belohnung für Tendenzjournalismus.
So weit, so altbekannt. (Man denke nur an die folgenreiche Politik der Preise und immensen Forschungsgelder, die für die Leugnung des Klimawandels an Journalisten und Wissenschaftler vergeben wurden.) Aber Spiegel online nimmt diesen Wettwewerb ernst und gibt ihm einen Platz in ihrem renommierten Schülerzeitungs-Wettbewerb. Dies ist wohl der meistbeachtete Wettbewerb für jugendliche Nachwuchsjournalisten, vielleicht die einzige Möglichkeit für journalistisch interessierte Schüler, deutschlandweit wahrgenommen zu werden. Dort stößt man dann beim Durchsehen der Fotostrecke nach Kategorien wie „Heftinhalt“, „Titelbild“ und „Reportage“ auf den Gewinn-Artikel mit dem selbsterklärenden Namen „Captain Hook 2.0“, der somit quasi als Sieger einer weiteren Kategorie des Wettbewerbs erscheint (der „geistiges Eigentum propagieren“-Kategorie?).
„Captain Hook 2.0. Piraten im Internet“! Schöner Titel. Aber wozu eigentlich noch einen Artikel darunter schreiben? Der Titel sagt uns doch schon, was wir vom besprochenen Phänomen halten sollen. Das war aber offenbar ganz im Sinne der nach journalistischer Objektivität und Qualiät suchenden Jury, die hier den Tendenzjournalismus nicht nur belohnt, sondern von vornherein offen eingefordert hat. Und damit für 15jährige Nachwuchsjournalisten (die im Durchschnitt ja selbst zu den hier kriminalisierten „Piraten“ gehören dürften) überdeutlich macht, woran sie sich gewöhnen müssen, wenn sie in ihrem Traumberuf Erfolg haben wollen.
Herzlichen Glückwunsch, Spon! Ihr habt gezeigt, was Journalismus im schlechtesten Fall ist: Hörigkeits-Berichterstattung im Interesse derjenigen, die Geld und Einfluss haben und diese Privilegien verteidigen wollen. Ihr zeigt, wohin die Reise geht: Objektivität, Abwägung von Argumenten und „Bandbreite“ werden sorgfältig innerhalb des Rahmens des ideologisch Vorgegebenen und den Mächtigen (in diesem Fall: einem noch immer einflussreichen und finanzmächtigen Industriezweig) Gefälligen praktiziert − und damit wertlos, ja sogar negativ, nämlich zu Erfolgsfaktoren für die Durchsetzung der verlangten Ansicht.
Schlimmer noch, ihr habt gezeigt, wie man diese auch bei Erwachsenen schon reichlich unschönen Praktiken durch ein Belohnungssystem frühzeitig in den Köpfen junger Menschen verankert. Wie man Nachwuchsjournalisten dafür, dass sie systemkonform und brav schreiben, eine erhebliche Belohnung gibt (nicht nur das Geld, sondern vor allem einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Erreichen ihres Berufswunschs). Ihr habt die Korrumpierung auf eine neue Stufe gehoben und anschaulich demonstriert, warum man dem etablierten Journalismus zunehmend das Vertrauen entzieht. Also jammert bitte nicht demnächst wieder darüber.
Ach ja: Ihr habt auch gezeigt, dass eine schon fast vergessene linke These doch nicht ganz falsch ist: Dass nämlich die journalistischen Qualitäten, wie sie in eurem Schülerwettbewerb eingefordert werden (Objektivität, Beide-Seiten-Sehen, Hintergründe vermitteln usw.), allzuoft nur die − in demokratischen Gesellschaften für die Wirksamkeit nötige − Verschleierung der eigentlichen Aufgabe der Medien sind, nämlich den Kapitalismus zu stützen. Denn zu dessen Voraussetzungen gehört nunmal das Eigentumsregime, und daher muss heute das neue und noch umstrittene Konzept des „geistigen Eigentums“ in den Köpfen verankert werden.
So schlecht ist der Artikel ja nun nicht. Er geht zwar mehrmals relativ unkritisch auf die von der Musikindustrie beklagte „1 Milliarde Euro Verlust“ ein, erwähnt aber auch, dass die jugendlichen Nichtkäufer das Geld, dass sie nach Ansicht der Musikindustrie für ihre Produkte ausgeben sollten, ja überhaupt nicht haben. Und als Lösung spricht er sich keineswegs dafür aus, dass die jungen „Piraten“ nun Downloaderei und CD-Tausch aufgeben sollten, sondern argumentiert eher für eine Kulturflatrate und mahnt die Musikindustrie, sie müsse „endlich mit der Zeit gehen“ und sich mit der „Existenz kostenfreier Angebote“ arrangieren.
Das bleibt zwar alles brav im Rahmen des kapitalismuskonformen Diskurses und stellt die Verwertung als solche nicht in Frage, aber der Linie der Musikindustrie entspricht es nicht. Unter „Hörigkeits-Berichterstattung“ würd ich mir was anderes vorstellen…
Ich glaube das ist auch einfach ne Generationenfrage. Meiner Ansicht nach ist die Vorstellung, dass Musik, Filme, Software was Physisches sind (Ton- oder Datenträger) und als solches „geklaut“ werden können, in den Köpfen der jüngeren Generation schon überhaupt nicht mehr präsent. Anders als für den (etwas älteren) Musiker, den sie interviewen, ist für Schüler/innen Musik etc. heute etwas, was man auf Festplatte, Stick oder Speicherkarte hat und ebenso selbstverständlich weitergeben kann wie andere Daten. Daher wird der Begriff „Pirat“, der eine als selbstverständlich empfundene Praxis zu diffamieren versucht, gar nicht mehr als negativ empfunden, sondern man macht ihn sich zu eigen (so wie früher andere diffamierend gemeinte Begriffe wie „schwul“ oder „queer“ oder „schwarz“ von den Betroffenen übernommen und positiv umkonnotiert wurden).
Das Konzept des “geistigen Eigentums” ist IMHO in den Köpfen der jungen Generation überhaupt nicht mehr verankert und wird dort auch nicht mehr ankommen.
Um den Artikel geht’s mir überhaupt nicht. Meiner Ansicht nach spielt es kaum mehr eine Rolle, was im Artikel steht, weil die Signale hier hauptsächlich von der systemischen Vorgehensweise, von den Strukturen ausgehen; davon, dass der Preis der Musikindustrie in dieser Weise ausgeschrieben wurde und dennoch vom Spiegel in ihren Schülerzeitungswettbewerb integriert (oder zumindest als Einheit präsentiert) wird. Zudem wird von denjenigen, die sich über die Preisträger informieren (z.B. die Fotostrecke des Spiegels anschauen), kaum einer den Artikel lesen. Deshalb habe ich den Inhalt des Artikels in meiner Bewertung des Vorgangs auch gar nicht berücksichtigt.