Postoperaismus meets Wertkritik
Die zwei theoretisch-praktischen Strömungen des wiki(Postoperaismus) und der wiki(Wertkritik) spielen in der einen oder anderen Weise auch im Keimform-Blog eine Rolle. Das jedoch unter der besonderen Perspektive der Keimformen, nomen est omen, was originär in beiden Strömungen sonst wenig bis gar keine Rolle spielt.
Vom 7. bis 9. Dezember 2007 veranstaltet nun das »…ums Ganze«-Bündnis in Frankfurt/M. einen Kongress mit dem Titel »No way out – (Post)Operaismus und Wertkritik«. Ich wurde gefragt, ob ich mitmache, und habe meine Teilnahme zugesagt (zum Thema Informationskapitalismus). — Vielleicht ein Anlass, sich in Frankfurt/M. zu treffen?
Auf jeden Fall! Und auch noch „daheim“. Ist notiert. Übernachtungsgäste sind willkommen (modulo Familienabsprache, aber das sollte kein Problem sein, behaupte ich mal frech).
@Stefan: Du trittst da ja als Krisis-Vertreter auf. Das seh ich zum ersten Mal 😉
@Benni:
Ja, ich auch. Hab ich eigentlich mitgeteilt, dass ich zwar Krisis-Autor bin, aber nicht für Krisis sprechen kann — ich will die KollegInnen schließlich nicht reinreiten, wenn ich Unsinn erzähle;-) Aber so ist das mit den identitären Zuordnungen…
Auf das Übernachtungsangebot komme ich ggf. zurück:-)
tja, mit mir werdet ihr es wohl auch aushalten müssen beim kongress. ich freu mich schon 🙂
Exit sagt ab.
Ein Interview: „No Way Out-Kongress“ – Warum?
Michael Heinrich beteiligt sich in der aktuellen Jungle World an der Diskussion um den Kongress. Er kritisiert beide titelgebenden Strömungen:
Auch der Rest des Artikels ist lesenswert – es geht unter anderem um Marx und die Bedeutung von Klassenkämpfen und kritischer Gesellschaftsanalyse.
@Christian: Ich fand den Artikel von Heinrich langweilig, so wie auch bisher den ganzen Rest dieser Serie. Irgendwie gehen meine Erwartungen an den Kongress gerade ziemlich in den Keller (was ja nicht schlecht sein muss nach der ersten Euphorie).
Zu Heinrichs Artikel: „gefallen sich in großen theoretischen Entwürfen“. Ja und? Darf man sowas nicht mehr? Wenn schon Theorie, dann doch bitte richtig. Ausgerechnet einer poststrukturalistisch inspirierten Theorie sowas vorzuwerfen entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie.
Er hat natürlich völlig recht mit seiner Kritik an Klassenkämpferprosa, die er danach dann breit auslegt, nur ist das halt eine Strohpuppe auf die er da einschlägt, wer macht denn sowas noch? Jetzt mal abgesehen von irgendwelchen Kommiesekten.
Zur Multitude: Wenn Heinrich das nicht versteht ist es also nebulös. Toll.
Heinrich soll ruhig die Sachen machen die er gut kann, zB Marx nachweisen, dass er nicht rechnen konnte, aber er soll doch bitte auch andere Leute die Sachen machen lassen, die sie gut können.
@benni:
Huch? Sie beschäftigen sich alle mit denselben Fragestellungen (wie der Kapitalismus funktioniert, was seine Probleme sind, was man dagegen tun) und dürfen sich trotzdem nicht gegenseitig kritisieren? Wie soll man denn dann Erkenntnisse gewinnen, verteidigen, und ausbauen, wenn man die Theorien der anderen nicht mehr kritisieren und in Frage stellen darf?
Ach, ich hatte ja vergessen: es gibt eh keine Wirklichkeit, am dem sich Theorien messen lassen müssten, also kann jede/r sein Ding machen, und irgendwie haben alle Recht. So wird Theoriebildung zur reinen Geschmackssache und über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Seufz.
@Christian: Kritisieren darf man gerne, nur tut Heinrich das ja eben gerade nicht. Deswegen sagte ich ja auch der Artikel sei langweilig.
Und was den Relativismus angeht: Mir ist alle mal jemand lieber, der nicht an Wahrheit glaubt, als jemand, der meint sie mit Löffeln gefressen zu haben. Falls Du damit auf mein letztes Posting zum Poststrukturalismus anspielen willst: Les das Buch einfach, dann wird Dir vielleicht auch klar, dass es zumindestens bei dieser Form des Relativismus nicht um die ihm immer wieder vorgeworfene Beliebigkeit geht.
Emanzipation-oder-Barbarei diskutiert mit.
@Benni: Sorry, wenn ich mich oben im Ton vergriffen habe. Michael Heinrich schlägt keineswegs auf „Strohpuppen“ ein, sondern antwortet vielmehr auf den vorigen Diskussionsbeitrag, der ganz unkritisch von den „Tageskämpfen“ der Lohnabhängigen schwärmt und in Zurückweisung jeglicher theoretischen Analyse nur den „Ausgang aus dem Universitätsgebäude“ sucht.
Man kann natürlich bedauern, dass Heinrich sich nicht stattdessen ausführlicher mit Wertkritik und (Post-)Operaismus auseinandersetzt, aber der Platz auf einer Jungle-World-Disko-Seite ist nun mal begrenzt. Und das hat er ja zumindest im Falle der Wertkritik (à la Krisis/Exit) auch schon verschiedentlich früher gemacht, siehe z.B.:
Profit ohne Ende (Jungle World, 2007, von mir seinerzeit gebloggt)
Untergang des Kapitalismus? Die Krisis und die Krise (Streifzüge 1/1999)
Neues vom Weltuntergang? (Streifzüge 2/2000)
Blase im Blindflug. Hält das „Schwarzbuch Kapitalismus“ von Robert Kurz, was der Titel verspricht? (Konkret März 2000)
Zum (Post-)Operaismus kenne ich weniger von ihm. Eine längere Kritik am (klassischen) Operaismus und dessen (Über-)Betonung der Klassenkämpfe gibt es hier: Welche Klassen und welche Kämpfe?, und ansonsten gibt es noch einige kürzere Bemerkungen zu Hardt/Negris „Empire“, z.B. in diesem Interview (Fazit: „Mir scheint, da wurde eine schiefe Theorie nur durch eine andere, genauso schiefe Theorie ersetzt“). Ansonsten scheint er sich gelegentlich, z.B. in diesem Interview zum Fordismus und seinem Ende indirekt mit postoperaistischen Vorstellungen auseinanderzusetzen (der ja den Übergang vom Fordismus zum Postfordismus wesentlich als Ergebnis sozialer Kämpfe verstehen).
Außerdem scheint mir schon, dass Heinrichs Ausführungen in der aktuellen Debatte (radikale und fundierte Kritik ist wichtig, aber sie muss auch in die Tat umgesetzt werden) neben der direkten Antwort auf den vorigen Artikel sehr wohl auch als Kritik an den beiden im Kongresstitel genannten Strömungen aufgefasst werden kann. Insbesondere am Postoperaismus, der sich (meinem Eindruck nach) oft in einem relativ unkritischen Abfeiern sozialer Kämpfe gefällt. Wohingegen Heinrich betont, dass soziale Kämpfe sich zumeist in dem theoretischen Rahmen bewegen, den der Kapitalismus aufspannt (etwa gewerkschaftliche Kämpfe für „gerechten“ oder „angemessenen“ Arbeitslohn oder die Forderungen von Frauen und anderen benachteiligten Gruppen, voll in den Kapitalismus integriert zu werden). Was nicht heißt, dass solche Kämpfe unwichtig sind, aber dem Kapitalismus gefährlich werden können sie nicht, weil sie ja schon in ihn integriert sind bzw. auf die Integration abzielen.
Umgekehrt ist seine Betonung, dass Kämpfe „ums Ganze“ (d.h. für die Überwindung des Kapitalismus) möglich und nötig sind, auch eine Kritik am Geschichtsdeterminismus der Wertkritik.
@Christian:
Also, wenn du eines der Wertkritik nicht vorwerfen kannst, dann Geschichtsdeterminismus. Das kannst du vielleicht mir vorwerfen — was ich natürlich auch zurückweisen würde;-)
@Christian: Ja, das stimmt wohl, die Strohpuppe hab ich wohl wirklich falsch interpretiert als noch auf den Postoperaismus gezielt. Weniger langweilig macht es den Artikel aber leider trotzdem nicht 😉
Deine vielen Heinrich-Links sind ja schön, ich hab ja auch garnichts gegen Heinrich und les ihn auch abundzu gerne, aber der Artikel war halt trotzdem langweilig, aber eine Kritik von langweiligen Artikeln ist vielleicht notwendig auch langweilig, kann sein.
Was den „Kampf ums Ganze“ angeht. Das ist für mich ein Widerspruch zum Keimformdenken. Keimformen sind eben gerade kein „Kampf ums Ganze“, sondern vor allem Praktiken zur konkreten Verbesserung der eigenen Situation. Die mögen sich irgendwann mal zu einem „Kampf ums Ganze“ verdichten, kann schon sein, weiss ich nicht, kann auch niemand wissen. Nur jede Praxis, die nicht ein „Kampf ums Ganze“ ist, schon alleine deswegen zu denunzieren ist halt absolut nicht hilfreich. Mit diesem hehren Masstab passiert nämlich schlicht nix mehr. Was wir hier und heute brauchen sind vielfältige Keimformexperimente und keinen „Kampf ums Ganze“. Für mich bleibt da immer der Verdacht, dass man die eigene Radikalität als Schutzschirm nimmt um nicht wirklich was verändern zu müssen, weil das ist dann ja auch riskant.
Und zum Wechsel vom Fordismus zum Postfordismus in obigem Interview: IMHO vergisst Heinrich einen wichtigen Auslöser, wenn nicht den wichtigsten: Den Vietnamkrieg. Der war nämlich so teuer, dass der Dollar nicht mehr den Goldstandard halten konnte und die Folgen davon sind die Phänomene, die wir heute mit „Globalisierung“ bezeichnen.
@Stefan:
Na, die Idee ist ja schon, dass der durch den Kapitalismus selbst hervorgebrachte technische Fortschritt (die mikroelektronische Revolution) die Wertmasse schrumpfen lässt und dem Kapitalismus damit letztlich sein Grab schaufeln wird — die Produktivkraft sprengt die Produktionsverhältnisse. Was wir dann positiv daraus machen — Kommunismus oder Barbarei — mag der »klassischen« Krisis-Idee nach von gesellschaftlicher Tat abhängen, während Du vielleicht insofern noch darüber hinaus gehst, als Du betonst, dass eben auch die positiven Bedingungen für eine postkapitalistische Gesellschaft schon durch die Dynamik des Kapitalismus selbst konstituiert werden. Das ist alles kein Geschichtsdeterminismus in dem platten ML-Sinne, dass der Kommunismus mit Notwendigkeit von ganz allein (also unabhängig von Handlung und Bewusstsein) kommen wird, aber es ist eben doch ein gewisser Technikdeterminismus.
Wenn man wie Heinrich bis auf weiteres keine strukturelle Notwendigkeit für einen Zusammenbruch des Kapitalismus sieht dann bekommt die bewusste gesellschaftliche Tat eben eine ganz andere Bedeutung als wenn man davon ausgeht, dass der Kapitalismus schon an seiner eigenen strukturellen Dynamik scheitern muss.
@Holger#14:
Was die Wertkrtik angeht: Ne‘ Krisentheorie ist kein Geschichtsdeterminismus, auch kein negativer. Genau genommen hat das eine mit dem anderen gar nichts zu tun, weil es beim Geschichtsdeterminismus ja um Aussagen der Notwendigkeit der Abfolge von Gesellschaftsformen geht, während sich die Krisentheorie mit einer gewordenen Form befasst.
Also Technikdeterminismus als die Sparversion des Geschichtsdeterminismus? Nee, das haut nicht hin. Überhaupt scheint mir schon der Begriff des Determinismus unklar, was nahe legt, das Problem dualistisch zu denken: Entweder Determinismus oder Zufall/Beliebgkeit. So kann man das nicht denken. Da kann ich Benni verstehen, wenn er sich umgekehrt gegen die umgedrehte Zuschreibung im Falle des Poststrukturalismus wehrt.
Solche externen Zuschreibungen sagen eher etwas über die Denkweise des Zuschreibers aus, als über die Theorie. Das meine ich nicht böse, sondern das ist im Grunde immer so.
Das ist in keinem Sinne „Determinismus“, sondern in meinem Verständnis dialektisches Denken — vom „schon“ mal abgesehn. Das abwertende „schon“ (im Sinne von: wir können uns drauf verlassen) soll hier eine Zwangslogik, eine Teleologie reinsuggerieren, die da nicht drin ist und auch nicht reingehört: Wie der Kapitalismus analysiert wird, hat von meinen Wünschen, wie er sein möge, unabhängig zu sein. Es zählt nur, was wahr ist. Was aber wahr ist, können wir nicht „determinieren“, weil wir selbst Teil dieser anzunäherenden Wahrheit sind.
Heinrich wiederum hat null Phantasie. Deswegen wirkt der immer so langweilig. Er sagt immer nur, man muss halt das andere wollen und dafür kämpfen. Das klingt mir dann zu, tja, beliebig. Er kann keine bewegenden Momente im Gegenwärtigen angeben, die auf Neues verweisen, kann Neues nicht diskutieren und erwägen (weil es das nicht geben kann) — und landet am Ende dort, wo alle Traditionsmarxisten landen: bei der „bewussten gesellschaftlichen Tat“, für die man agitieren muss. Gähn.
Der letzte Satz in seinem theorie.org-Buch erzählt, dass „es genug Gründe (gibt), den Kapitalismus abzuschaffen und zu mindest zu versuchen, ihn durch einen ‚Verein freier Menschen‘ zu ersetzen“. Toll, dazu brauche ich keine Analyse. — Ok, ist einfach nicht Heinrichs Ding.
@Benni#13:
Auch hier würde ich dafür plädieren, das nicht einander ausschließend zu diskutieren. Der Begriff kommt aus einer Betrachtung eines neuen Ganzen, dessen Keimform sie eben ist. Dass ich das neue Ganze nicht angeben kann, ist kein Ausschlussgrund: Ich muss es nur prinzipiell für möglich halten.
Für mich überwindet gerade der Keimformbegriff die dualistische, unvermittelte Gegenübersetzung von „Determinismus“ und „Voluntarismus“. Oder konkreter gesagt: Gerade Keimformen enthalten den „Kampf ums Ganze“, weil die Praxis auf eine konkrete Verbesserung der eigenen Situation abzielt, die eine Veränderung des ganzen Ganzen einschließt. — Na, so in die Richtung;-)
@Stefan #15:
Also jetzt muß ich Heinrich dochmal verteidigen. Generell find ich ihn garnicht langweilig. „Die Wissenschaft vom Wert“ fand ich streckenweise richtig amüsant. Und: Nur weil jemand keine Perspektive zu bieten hat, muß er nicht langweilig sein. Kurz ist das beste Beispiel. Dem kann man viel vorwerfen, aber Langweiligkeit bestimmt nicht.
@Stefan #16:
Klar, so seh ich das auch. Keimformen sind die einzige Möglichkeit einen „Kampf ums Ganze“ überhaupt zu führen, deswegen bin ich ja hier!
Ich wende mich nur dagegen, wenn man meint, diesen quasi „direkt“ führen zu können, das ignoriert glaube ich komplett die Struktur von Herrschaft, die ja immer auf vielen Ebenen ansetzt und deshalb auch nur auf vielen Ebenen angegriffen werden kann. Wie das IMHO funktioniert steht hier im Abschnitt Herrschaft.
@Benni#17: Du bist’n echter Dialektiker;-) Bei dir kann man sich echt drauf verlassen, auf eine klare Aussage eine ebenso klare Gegenaussage zu bekommen. Das ist mir sympatisch — dadurch friert nix ein!
@Stefan:
Vorsicht, nicht alles was sich widerspricht ist gleich dialektisch 😉
@Benni:
Wer das sagt, muss Dialektiker sein 😉
Diese Woche ist Ernst Lohoff in der Jungle-World-Disko-Serie dran:
Klingt sympathisch! (Das System als überflüssig zu entlarven ist ja auch durchaus auch ein Ziel meines Buches.)
Wir arbeiten dran 🙂
@Christian: Der Artikel von Lohoff ist nicht ganz so schlecht, wie die anderen, das stimmt, aber so richtig toll ist das doch auch noch nicht:
Nur weil es jetzt „repressive Entgesellschaftung“ heißt und nicht mehr „Zusammenbruchskrise“, wird die These nicht glaubwürdiger. Diese Form des Ausschlusses war schon immer Teil kapitalistischer Dynamik. Man könnte vielleicht sogar noch weiter gehen und sagen, sie war immer besonders stark dann, wenn sich der Kapitalismus in einer Phase bewegt in der die ursprüngliche Akkumulation besonders wichtig war. Und in genau einer solchen Phase bewegen wir uns. Guckt doch mal nach Afrika, was da abgeht. Das hat unheimlich viel Parallelen zum Europa des 17. Jahrhunderts (ohne dass es deswegen identisch wäre damit).
Und am Schluß die Entkopplung zu fordern ist schön und gut. Nur wie? Das ist doch die entscheidende Frage!