Friederike Habermann: Aus Commons wurde Eigentum
Wird mit Vergesellschaftung aus Eigentum Commons?
Abstract: Noch vor wenigen Jahren schien eine breite öffentliche Debatte zu Enteignung undenkbar. Dabei ist unser heutiges Verständnis von Eigentum als das Recht, auszuschließen von ausreichenden Ressourcen, einerseits sowie als Recht zu zerstören andererseits historisch jung. Das Konzept davor – so vielfältig, wie es sich ausgestaltete – kann als Commons gefasst werden. Erst vor gut 300 Jahren wurde Eigentum jenseits von Gewalt oder Religion in aufklärerischem Sinne begründet. Diese Begründung hatte es in sich: Sie diente der Enteignung der Bäuer*innen und der Legitimierung der kolonialen Eroberung.
Nicht selten traf dies sehr demokratische Gesellschaften. Wenn jetzt im Zuge der Kampagne von »Deutsche Wohnen & Co enteignen« (DWE) das Ziel der Vergesellschaftung ein doppeltes ist – Enteignung und Demokratisierung –, dann ist es kein Zufall, dass als Commons-public-Partnership wieder der Begriff Commons ins Spiel kommt. Denn Commons als das Konzept vor Eigentum sind mehr als gemeinsame Güter: Sie entstehen durch materielle Inklusion und letztlich durch demokratisches Miteinander.
Vergesellschaftung kann für eine sozialökologische Transformation insofern ein wesentliches Element darstellen; denn die Marktwirtschaft basiert auf dem modernen Verständnis von Eigentum, und erlaubt nicht nur den Ausschluss Bedürftiger, selbst von überreichlichen Ressourcen, sondern erfordert ihn. Entsprechend wird in diesem Beitrag auf der einen Seite die historische Entstehung des Eigentums skizziert sowie auf der anderen Seite Wege zu seiner Überwindung. Dies wird letztlich nur möglich sein als Überwindung der Marktwirtschaft hin zu einem wirklich demokratischen Wirtschaften: dem Commoning.
Der Text ist ein Beitrag im Sammelband »Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage« von Tino Pfaff (Herausgeber). Die Veröffentlichung als Druck sowie die zusätzliche Freigabe unter einer Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0) ging mit erheblichen Kosten einher. Falls Du die Möglichkeit hast, bitten wir Dich die Crowdfunding-Kampagne zur Finanzierung des Projektes zu unterstützen: https://www.startnext.com/vergesellschaftungs-sammelband
It’s the market, stupid!
»Jeder kann Millionär werden. Aber nicht alle. Den Unterschied zwischen alle und jeder intellektuell zu durchdringen, gelingt nicht vielen«, spitzt der Kaba-rettist Volker Pispers den Glauben an die gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten zu. Ähnlich verhält es sich mit Umweltproblemen: Theoretisch kann jede Umweltkrise von der Marktwirtschaft gemeistert werden. Aber nicht alle. Die weitere Verschärfung der Erderwärmung könnte womöglich durch einen Umstieg auf emissionsfreie Technologien abgewendet werden – doch selbst wenn (was, wie gesagt, so wahrscheinlich ist wie, dass die Autorin dieser Zeilen oder Sie Millionär*in werden), würden sich das Artensterben und andere Krisen unserer Mitwelt beziehungsweise von uns allen »im Lebensnetz« dramatisch zuspitzen, solange wir in einem System leben, das Wachstum erzwingt: die Marktwirtschaft. Denn empirisch ist eindeutig belegt: Jedes Wirtschaftswachstum geht mit steigendem Umweltverbrauch einher.
Insgesamt ist mit Marktwirtschaft keine emanzipatorische Gesellschaft möglich – aus vielerlei Gründen, die ich in anderen Publikationen ausführe. Hier wird lediglich die Schlussfolgerung benannt, welche auch das Netzwerk Oekonomischer Wandel – Network Economic Transformation (NOW NET) vereint: Mit Markt, das heißt mit Konkurrenz als handlungsleitendem Prinzip, können wir die Welt nicht retten.5 Darum gilt es, in allen möglichen Bereichen Markt abzubauen. Das ist wörtlich gemeint: immer und überall dort, wo es erreicht werden kann.
Die Berliner Aktivist*innen von DWE erreichten 2021 einen Volksentscheid über die Enteignung und Vergesellschaftung privater Unternehmen, die mehr als 3 000 Wohnungen besitzen. Sie betonen, dass Vergesellschaftung nicht Verstaatlichung bedeutet. Vergesellschaftung ist weder Staat noch Markt, sondern da »steckt Demokratie drin«. Die Initiative macht konkrete Vorschläge, wie die 243 000 vergesellschafteten Wohnungen in Zukunft gemeinwirtschaftlich verwaltet werden sollten. Das vorgeschlagene Modell einer Anstalt öffentlichen Rechts ist derzeit die rechtlich größtmögliche Annäherung an eine Commons-public-Partnership, das heißt eine staatlich bereitgestellte Ressource, die von den sie Nutzenden gemeinschaftlich verwaltet wird.
Auch das ist ein Weg, Markt in einem Teilbereich abzubauen. Der Möglichkeiten sind viele, doch beim Eigentum anzusetzen, ist ein zentrales Element, wie im folgenden Abriss der historischen Entstehung von Eigentum dargelegt wird. Anschließend folgt verstärkt der Bezug auf damit verbundene Identitätskonstruktionen. Abschließend werden die anhand von Vergesellschaftung in verschiedenen Sektoren erhofften Veränderungen kurz beleuchtet. Hieran verdeutlicht sich die Komplexität einer Demokratisierung, die auch bestehende Privilegien infrage stellt – und damit erst eine umfassende gesellschaftliche Emanzipation ermöglicht.
Wie Eigentum in die Welt kam
Es überrascht nicht, dass Vergesellschaftungsinitiativen wie DWE mit der rechtlichen Logik des Eigentums ringen, da bereits John Locke als wesentlicher Begründer des modernen Rechtsstaats sowie als derjenige, der das Eigentum erstmals in aufklärerischem Sinne begründete, den Schutz des Letzteren als Grundmotiv für Ersteren bezeichnete.
Tatsächlich dienten rechtliche Fiktionen historisch nicht zuletzt dazu, die Allmende zu zerstören – wie es noch Karl Marx in seinen Prozessbeobachtungen zum Holzdiebstahlgesetz beschreibt. Allmende ist das alte deutsche Wort für Commons; allerdings in der heutigen Bedeutung, zum Beispiel definiert vom Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache als »Gemeindeeigentum an Feldern, Wiesen und Wäldern«, doppelt verkürzt. Denn in der mittelalterlichen Vorstellung war nicht nur Land, sondern alles von Gott geliehen. Aus diesem Grund war es nicht erlaubt, etwas, das jemandem gehörte, zu zerstören. Auch war es nicht erlaubt, andere von etwas auszuschließen, was selbst nicht genutzt wurde. Mit anderen Worten: Es gab kein Eigentum. Im Grunde war alles Commons. Oder zumindest Besitz.
Im Unterschied zu Eigentum zeichnet sich Besitz auch heute juristisch gesprochen dadurch aus, dass es in Gebrauch ist. Dies kann zusammenfallen: Der Pullover, den ich trage, ist auch mein Eigentum. Aber auch auseinander: Die Wohnung, in der ich wohne und darum rechtlich als Besitzer*in gelte, kann das Eigentum anderer sein. Commons liegt wesentlich näher an Besitz, der lateinische Wortstamm verweist jedoch darüber hinaus: Munus bedeutet »Gabe«, aber auch »Aufgabe«; cum »mit«, was Commons-Forschende als »miteinander« auslegen. John Lockes Legitimation des Eigentums geschah scheinbar durch einen einzigen Absatz in seiner Zweiten Abhandlung über die Regierung von 1690. Ausgangspunkt war auch bei ihm, die Natur als Allmende zu verstehen: Dass »die Erde und alle niedrigeren Geschöpfe den Menschen gemeinschaftlich gehören«, schrieb er; weiter argumentierte er jedoch: Wenn jemand etwas dem Zustand der Natur entrücke, schließe dies das gemeinschaftliche Recht anderer Menschen aus. Denn da der eigene Körper und damit dessen Arbeit Eigentum des Arbeitenden seien, könne niemand als der Arbeitende selbst ein Recht darauf haben. Allerdings mit einer Einschränkung: »wenigstens da, wo genug und ebenso Gutes für den gemeinschaftlichen Besitz anderer vorhanden ist«. Im Grunde legitimierte dies immer noch nur Besitzrecht und entsprach damit dem Commons-Prinzip, so viel zu haben, dass alle gut leben können.
Dagegen ist neu am modernen Eigentumsbegriff, den Ausschluss von der Nutzung eines Gutes auch dann zu rechtfertigen, wenn andere darben. Ein Verständnis, wonach heutzutage wenigen Einzelpersonen so viel wie der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung gehören kann (von denen knapp eine Milliarde Menschen durch Unterernährung in ihrem Recht auf Leben und gesunde, auch geistige Entwicklung bedroht sind); ein Verständnis, das auch der Wegbereiter des Eigentums hätte von sich weisen müssen.
Doch nimmt John Lockes Argumentation noch eine Wendung. Zum eigenen Eigentum – nun wechselt er von der dritten Person auf die erste – gehört für ihn auch »Das Gras, das mein Pferd gefressen, der Torf, den mein Knecht gestochen«. Damit wird der Mythos, Eigentum sei im Kapitalismus der Lohn für Arbeit, schon in seinem Ursprung als solcher entlarvt, wie es die Politikwissenschaftlerin Sabine Nuss auf den Punkt bringt. Stattdessen gibt es für Locke Menschen, die »zu keinerlei Eigentum fähig sind, so können sie in diesem Zustand auch nicht als Teil der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet werden, da deren Endzweck die Erhaltung des Eigentums ist«. Dafür benennt er versklavte Menschen und Knechte; doch für Indigene sowie europäische Frauen egal welchen Standes sollte nichts anderes gelten. Mit anderen Worten: Der Staat ist dafür da, das Eigentum zu schützen, und dieses Eigentum gehörte nicht allen Identitätskategorien – all jenen nicht, die in dieser Zeit zu den Anderen gegenüber dem weißen männlichen Bürger konstruiert wurden.
Der Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit hängt wesentlich mit diesem Paradigmenwechsel von Commons zu Eigentum als vorherrschendem Prinzip zusammen. Dafür gilt es zunächst, das Wissen aus Mittelalterspielen zu vergessen. Denn mit Ritterrüstungen, Hexenverbrennungen und dem Wort »Leibeigener« hat Eigentum gemeinsam, eben kein Phänomen des Mittelalters zu sein, sondern erst für, in oder nach dem Übergang in die Neuzeit Bedeutung erhalten zu haben. Die herkömmliche Vorstellung vom Mittelalter als Feudalismus, der sich auf dem Eigentum an Land durch den Adel begründet und in dem die Bäuer*innen als Unfreie lebten, wird in der historischen Forschung heute infrage gestellt. Unbestritten ist die gewaltsame Dominanz und Ausbeutung durch den Adel. Doch unterhalb dessen herrschten relativ egalitäre, demokratische Formen; Rosa Luxemburg sprach gar von Dorfkommunismus. Vielerorts wurde in Dorfversammlungen über die Nutzung von Wald, Wasser und Weideland sowie über die Bewirtschaftung von Ackerland entschieden; nicht selten rotierte dabei der Landbesitz. Die feministisch-marxistische Autorin Silvia Federici warnt zwar davor, diese Verhältnisse zu idealisieren, weist aber in ihrem Buch Caliban und die Hexe ebenfalls darauf hin, dass im Mittelalter auf dem europäischen Land Entscheidungen in Selbstverwaltung getroffen wurden.
Aus Commons wurde Eigentum
Für die Durchsetzung des Eigentumsgedankens wurde – zunächst vom englischen Landadel – auf das Konzept des dominium zurückgegriffen, das im Kontext der Sklav*innenhaltergesellschaft des Römischen Reichs entstanden war. Die Vorstellung unumschränkter Verfügungsgewalt und damit die Idee von dem, was wir heute unter Eigentum verstehen, entstammt dieser Gesellschaftsform. Der Begriff dominium war dort eingeführt worden, um das faktische Recht des pater familias, die von ihm versklavten Menschen töten zu dürfen, juristisch zu fassen. Denn Besitz durfte bis dato auch in Rom nicht einfach zerstört werden. Die Logik, dass Eigentum zerstört werden darf, wurde später auf Gegenstände ausgedehnt.
Mit der unumschränkten Verfügungsgewalt einher ging das Recht, etwas nicht zu nutzen, obwohl andere es brauchen. Es dauerte jedoch noch rund tausend Jahre, bis diese römische Vorstellung in ganz Europa vorherrschend wurde. Mit dem Konzept dominium wurde es möglich, Land zu Eigentum zu erklären und Pacht von den Bauern und Bäuerinnen zu verlangen, ohne dies als Raub aussehen zu lassen oder sich auf die gottgewollte Ordnung berufen zu müssen. Vertreter*innen des sogenannten Politischen Marxismus wie Ellen Meiksin Wood interpretieren dies als Anfang der Marktwirtschaft beziehungsweise des Kapitalismus. Davon zu unterscheiden sind Gesellschaften mit Markt von einer Marktgesellschaft, in welcher der Markt als Imperativ wirkt und Menschen in permanente Konkurrenz zueinander setzt.
Indem mehr Land unter die ökonomische Ordnung der Marktgesellschaft geriet, hatten zunehmend jene Pächter*innen einen Vorteil, die durch die Erhöhung ihrer eigenen Produktivität wettbewerbsfähig produzieren und gute Pachten zahlen konnten. Die wettbewerbsfähigsten bekamen Zugang zu noch mehr Land, während andere die von ihnen bebauten Äcker verloren. Denn das Einkommen der Grundherrschaft hing vom ökonomischen Erfolg der Pächter*innen ab; damit bestand der Anreiz, so weit wie möglich die Bauern und Bäuerinnen dazu zu zwingen, ihre Arbeitsproduktivität zu erhöhen.
Später kam es für die Nutzung des Landes vor allem als Schafweiden zu dessen Einzäunung durch den Adel, verbunden mit der Zerstörung von Dörfern, was die dortige Bevölkerung als zukünftiges Proletariat in die Städte trieb (vgl. Regier in diesem Band). Wood argumentiert, diese ländliche Transformation habe für Karl Marx nicht deshalb als »ursprüngliche Akkumulation« gegolten, weil sie eine kritische Masse von Reichtum schuf (wie dies oft in der Geschichte der Fall gewesen war), sondern erstens, weil der Raub der Allmende die landlos gewordene (freie) Bäuer*innenschaft zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zwang, und zweitens, weil im Zuge dessen neue ökonomische Imperative erzeugt wurden, wie insbesondere die Zwänge des Wettbewerbs und damit die systematische Notwendigkeit, die Produktivkräfte zu entwickeln. Dies führte zu Dynamiken des Wirtschaftswachstums, aber auch zu Ausbeutung und Zerstörung, wie die Welt sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Warum das Konzept Eigentum dem guten Leben für alle entgegensteht
John Lockes Argument für das Recht auf Eigentum war nicht die Arbeit, die ein Mensch aufwendet. In seiner Erörterung des Werts von einem Stück Land in Amerika interessierte er sich nicht für den Aufwand für dessen Pflege durch eine indigene Person. Er interessierte sich nur dafür, dass diese keinen Profit, keinen Tauschwert erzielte. Seine wirkliche Innovation lag also in der Nutzung von Eigentum für wirtschaftlichen Gewinn durch das Marktgeschehen.
Neu war damit die Verbindung von Arbeit und Eigentum mit der Schaffung von Tauschwert. Von hier, so wieder Wood, war es nur noch ein kleiner Schritt zur Verdrängung der Arbeit durch die ökonomische Aktivität des Kapitalisten: »So wird gleichsam der Tausch und nicht die produktive Arbeit als wesentliche ökonomische Aktivität definiert.«
Für die Eroberung der auf Commons beruhenden Kulturen und Ökonomien, Bevölkerungen und Länder, die dem westlichen Kolonialismus zum Opfer fielen, diente diese Argumentationsfigur von nun an den Weißen als Legitimation. Tätigkeiten zur kollektiven Versorgung – noch dazu in der gemeinhin weniger sichtbaren, weniger zerstörerischen Art und Weise indigener Bewirtschaftung – wurden nicht als Arbeit anerkannt. Ähnliches galt für pflegende Tätigkeiten, wobei diese zunehmend Frauen zugeordnet wurden. Mit diesem Kunstgriff überbrückten die europäischen bürgerlichen Revolutionäre vermeintlich die Kluft zwischen dem Anspruch auf Freiheit und Gleichheit aller Menschen einerseits und den eigenen klassistischen, kolonialen und patriarchalen Privilegien andererseits.
In diesem Zusammenhang spricht Eva von Redecker von »Phantombesitz« als Grundbaustein moderner Identitäten. Denn dieser Übergang leitete nicht nur den Kapitalismus, sondern ebenso das moderne Patriarchat und den modernen Rassismus ein, durch welchen als Frauen und / oder als »nicht weiß« konstruierte Menschen zum Anderen des weißen Mannes wurden. So wie der moderne Freiheitsbegriff absolute Sachherrschaft über das Eigentum verhieß, wurden weiße Männer durch Herrschaft über Frauen und zunehmend auch über »Nichtweiße« quasi für den Verlust ihrer Subsistenzgrundlagen entschädigt. »Auch nach dem Verbot der Sklaverei werden schwarze Leben als entbehrlich betrachtet, auch nach Abschaffung der patriarchalen Ehe gilt das weibliche Geschlecht als Beute, trotz Arbeitsrecht und Sozialversicherung wird Arbeitsvermögen ausgepresst. All das ist Phantombesitz und auf all das – sowie auf Rohstoffe, Energie und Schlachtvieh – baut der Kapitalismus.« Phantombesitz kann man also haben – oder sein.
Der Sinn von Eigentum als Institution liegt darin, von anderen, denen dieses Gut fehlt, Geld oder direkte Arbeitsleistungen verlangen zu können. Der US-amerikanische Umweltaktivist Gopal Dayaneni bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: »The opposite of freedom is property.« Sklaverei sei nur eine besonders sadistische Form; letztlich verletze jedes Eigentum Freiheit. Denn statt innerlich motiviert tätig zu werden, bedeutet, für andere arbeiten zu müssen, Unfreiheit. Und damit auch das Gegenteil von Demokratie. Oder wie der neomarxistische Autor André Gorz in seinem Aufsatz »Über das Altern« (1961) schreibt, dass das Leben eines nicht sein dürfe: »dass man nie tut, was man will, und dass man nie gewollt hat, was man getan hat«.
Mit Betonung auf diese Umwälzung der Lebensverhältnisse im Übergang zur Neuzeit weist Wood darauf hin, dass damit auch der Begriff »Einhegung« nicht nur in seiner wörtlichen Bedeutung als Einzäunen von Land verstanden werden dürfe, sondern vor allem als die Abschaffung gemeinsamer und gewohnheitsmäßiger Nutzungsrechte, von denen viele Menschen für ihren Lebensunterhalt abhängig waren. Silvia Federici definiert »Einhegung« noch weitgehender nicht nur als Zerstörung von Commons und als Abschaffen von Gemeinschaftsrechten, sondern auch als Zerstörung gesellschaftlicher Beziehungsweisen.
Für die sich mit Undercommons als Beziehungsweise innerhalb Schwarzer Communities auseinandersetzenden Stefano Harney und Fred Moton steht John Locke nicht nur für die Legitimierung des Eigentums und des darauf basierenden Rechtssystems, sondern auch für eine Subjektkonstitution, »beginning with the positing / positioning of a body for locating ownership, and the owned, and a mind for owning«. Das erinnert daran, wie Michel Foucault den Staat begreift: als eine Technik der Kontrolle, als dynamische Form und historische Fixierung gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Auch Identitäten seien an den Staat gebunden. Foucault beschreibt es als zentrales politisches Ziel, uns sowohl vom Staat als auch vom Typ der Individualisierung, der mit ihm verbunden ist, zu befreien. Wir müssten neue Formen der Subjektivität zustande bringen, müssten das, was wir sein könnten, ausdenken und aufbauen, um diese paradoxe Anrufung abzuschütteln, die in der gleichzeitigen Individualisierung und Totalisierung durch moderne Machtstrukturen bestehe.
Demokratisierung statt Eigentum – einfacher gesagt als getan?
Wo Markt abgebaut wird und nicht länger entscheidet – und wenn wir nicht erneut ein System wollen, in dem der Staat den Markt ersetzt und zentralisiert die Entscheidungen trifft –, braucht es mehr Demokratie. Mehr Demokratie wiederum heißt nicht einfach, öfter wählen zu dürfen, sondern das eigene Leben(sumfeld) selbst mitgestalten zu können. Geschieht dies gleichberechtigt und aus innerer Motivation, nicht aus äußerlichem Zwang heraus, entstehen Commons: Güter, die gemeinschaftlich produziert und / oder gehütet werden. Das heißt, durch konsequente Demokratie werden Commons aufgebaut. So führen die drei NOW-NET-Wege »Markt abbauen«, »Demokratie ausbauen« und »Commons aufbauen« hin zu einer Gesellschaft, in der (potenziell) alle emanzipiert leben können.
DWE ist zugegebenermaßen eines der einfacheren Beispiele. Eine Vergesellschaftung des Volkswagenkonzerns, wie von der Kampagne »VW für alle« gefordert, mit der Perspektive einer Nutzung der Produktionskapazitäten für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr* hätte vermutlich mit dem Privileg der jetzigen Autofahrenden zu kämpfen: Die durch den Individualverkehr miterzeugte Klimakatastrophe trifft kaum sie, stattdessen mit großer Wucht als »langsame Gewalt« spätere Generationen. Die Kampagne »RWE & Co enteignen« hätte bei Erfolg wohl sogar noch mehr zu kämpfen mit postkolonialen Privilegien gegenüber Regionen und Ländern des Globalen Südens, wo Menschen heutzutage nicht nur unter dem Kohleabbau, sondern ebenso unter Umweltzerstörungen für erneuerbare Energien leiden.
In diesem Sinne müssen die »Grenzen der Demokratie« (Stephan Lessenich) global überwunden werden. Und schließlich stellt sich bei der Forderung, die Tierindustrie zu vergesellschaften, die Frage: Was sagt das Huhn dazu? Denn die Einteilung in ein »kingdom of ends« und ein »kingdom of means«, in: Wer darf konsumieren, und wer ist Ressource, ist in dieser Binarität als »hyperseparation« ebenfalls erst mit der Neuzeit konstruiert worden. Im Zuge dessen stand im 16. Jahrhundert zur Debatte, ob Indigene, und im 17. Jahrhundert, »[o]b die Weiber Menschen seyn«. All diese Beispiele zeigen, dass wirkliche Demokratie auch bedeutet, Privilegien zu verlernen – und zwar in einer der postkolonialen Theoretikerin Gayatri C. Spivak zugeschriebenen Formulierung, im Sinne von »unlearning one’s privileges as one’s loss«. Solche tiefgreifenden Demokratisierungsprozesse werden nicht nur die Ökonomie, sondern die Gesellschaft als Ganzes verändern. Und jede*n Einzelne*n mit.
Wenn nach den für die Bauern und Bäuerinnen verlorenen Aufständen bis 1525 die Losung galt, »Die Enkel fechtens besser aus«, dann zeigte dagegen die Geschichte, wie sehr die Enkel*innen und Urenkel*innen vergaßen, was ihnen genommen worden war. Der Mythos der Leibeigenschaft, vor allem aber die Naturalisierung von Eigentum und mit ihr die Naturalisierung von Geld, Tausch und Arbeit lassen Kämpfe um Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen radikal erscheinen. Silvia Federici mahnt, der Verlust der historischen Erinnerung sei der Ursprung von Unterdrückung; sei gefährlich: »This is not a game.«
Friederike Habermann ist Ökonomin und Historikerin. Sie promovierte in Politischer Wissenschaft und ist seit über 40 Jahren Aktivistin sowie Autorin. Seit Jahrzehnten erforscht Friederike in Theorie und Praxis, wie eine solidarische Gesellschaft Wirklichkeit werden kann. Dieser Text ist ein Beitrag im Sammelband »Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage« von Tino Pfaff (Herausgeber). Der Sammelband steht zur freien Verfügung und enthält sämtliche Fußnoten und Querverweise, die in der WordPress-Veröffentlichung nicht übertragen wurden. Weiterhin bitten wir darum – insofern es finanziell möglich ist – das Crowdfunding zur Abzahlung der durch die Veröffentlichung entstandenen Kosten zu unterstützen: https://www.startnext.com/vergesellschaftungs-sammelband
Liebe Friederike,
(Ich bin ein Freund von Robert aus Villach, kann also ein kleines bisschen ernst genommen werden.)
Du setzt dich konstruktiv mit dem Eigentum auseinander. Ich kenne das Volkseigentum recht gut. Damals war die Hemmschwelle, sich einen Schreibblock aus dem Büro nach Hause mitzunehmen, ihn also zu Privateigentum zu machen, nicht besonders hoch, da er einem ja gewissermaßen schon teilweise gehörte. Und das gab es auch im großen Stile. Nach 1989 konnte ich miterleben, wie unser Volkseigentum ganz unspektakulär wieder in Privateigentum umgewandelt wurde.
Für unsere zukünftige postkapitalistische Gesellschaft brauchen wir etwas besseres. Wie war es denn, bevor jemand zum ersten Mal auf die Idee kam, Land einzuzäunen? Wahrscheinlich passierte das bereits im alten Mesopotamien. Davor gab es überhaupt kein Eigentum. Das Land gehörte nicht allen sondern niemandem.
Jetzt ist natürlich die große Frage, wie wir wieder genau dahin kommen könnten.
Eigentum müssen wir nicht zwingend als Subjekt sehen, denn es ist vor allem Objekt. Eigentum ist ganz konkret ein Werkzeug zur Erzielung von Profit. Auch eine selbstgenutzte Eigentumswohnung erzeugt Profit, indem du die nicht gezahlte Miete für etwas anderes ausgeben kannst. Sogar eingezäuntes Land, welches überhaupt nicht bewirtschaftet wird erzeugt Profit, indem es die restliche Fläche knapper werden lässt wodurch der Grundstückspreis steigt.
Wenn es überhaupt keinen Profit gäbe, wenn diese Sache einfach verschwinden würde, dann wäre das Werkzeug Eigentum nutzlos wie ein abgebrochenes Messer. Du lässt den Griff noch eine Weile in der Ecke liegen und wirfst ihn dann in die gelbe Tonne.
Wie aber bekommen wir den Profit zum Verschwinden? Ich denke, du weißt es ganz genau weil du ja auch die Tauschlogik vehement ablehnst. Wir müssen nur Finanzsystem und Geld verschwinden lassen, damit verschwindet der Profit und das Werkzeug Eigentum wird nutzlos.
Die Eigentümerinnen sind aber trotzdem noch für die Erhaltung verantwortlich, also sind sie bestrebt, es abzustoßen. Da sie es nicht verkaufen können, da es kein Geld mehr gibt, geben sie es also frei, lösen sich von ihm und wir haben wieder den Urzustand erreicht.
Wenn wir den Kapitalismus wirklich aufheben wollen, bevor die Welt mit Kriegen um Rohstoffe überzogen ist, dann müssen wir jetzt endlich damit beginnen, über das Undenkbare zu diskutieren.
Die Realisierung ist gar nicht so unmöglich, wie es scheint. Eigentlich hat mich das Buch „Alles für alle“ auf die Idee gebracht. In diesem Buch wird ein Generalstreik erwähnt. Allerdings soll dieser „Bruch“ dazu dienen, die Wirtschaft zu vergesellschaften. Aber was dann? Wir hätten dann wieder etwas ähnliches wie den real existierenden Sozialismus und wir wissen, dass dieser nicht zum Ziel führt.
Wir wissen auch, dass es in erster Linie das Finanzsystem ist, welches die Probleme verursacht. Warum wollen wir dann nicht gezielt gegen dieses Finanzsystem vorgehen?
Ein Generalstreik ist für alle Menschen vorstellbar. Stell dir nun noch vor, dass bei diesem Streik nicht die Arbeit niedergelegt wird sondern dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter damit beginnen, ohne Lohn zu arbeiten. Damit wird verhindert, dass die Ware über die bezahlte Arbeit einen finanziellen Tauschwert bekommt, sie kann somit gratis abgegeben werden (bitte die gesamte Kette zurückdenken bis zum kostenlosen Rohstoff). Und damit ist das Finanzsystem raus. Somit wird auch das Eigentum nutzlos und die Eigentümerinnen brauchen es nicht mehr und werden es freigeben, wie oben beschrieben.
Weiterhin sind damit die folgenden anderen Voraussetzungen erfüllt:
– Weil es dann keine Gier erzeugende „Knappheit“ mehr gibt, nehmen sich alle Menschen nur noch das Wenige, was sie für ein glückliches und zufriedenes Leben benötigen.
– Es spielt keine Rolle mehr, ob du dir viel oder wenig nimmst, also empfindest du es nicht als Verzicht, wenn du dir heute weniger nimmst als gestern.
– Alle Menschen sind automatisch abgesichert, den Schrecken „Arbeitslosigkeit“ gibt es nicht mehr.
– Somit kann die Wirtschaft problemlos schrumpfen und die Ursachen für den Klimawandel verschwinden. Kriege um Rohstoffe muss es nicht mehr geben.
– Die Entfremdung hat ein Ende, alle können sich eine ihnen passende Arbeit suchen, ohne von der Notwendigkeit zum Geldverdienen gezwungen zu werden.
Bei einer solchen Form der Wirtschaft handelt es sich um eine Geschenklogik und diese Geschenklogik verändert im Augenblick der Umstellung auf freiwillige Arbeit die gesamte Gesellschaft. Wir werden also sofort nach der weltweiten und notwendigerweise gleichzeitigen Umstellung auf freiwillige Arbeit unter vollkommen anderen Rahmenbedingungen leben. Das bedeutet, dass wir auch Entitäten respektieren, die niemandem gehören. In meinem Haushalt gibt es viele Dinge, die niemandem gehören und ich gehe genauso respektvoll damit um wie mit der Lieblingstasse meiner Tochter. Ich denke, wir können durchaus versuchen, uns unseren privaten Bereich, in dem wir uns kooperativ verhalten, als Beispiel zu nehmen, wenn wir uns vorstellen wollen, wie wir in dieser zukünftigen Gesellschaft miteinander umgehen.
Es wäre auch viel einfacher, sich die Gesellschaft unter diesen idealen Randbedingungen von alleine in die gute Richtung entwickeln zu lassen als wenn wir versuchen, heute unter dem Einfluss des Kapitalismus eine solche ideale Gesellschaft zu konstruieren.
Ich sehe einfach keine andere Möglichkeit, wie wir aus dem Kapitalismus herauskommen sollen, bevor es zu spät ist. Irgendwie habe ich den Eindruck, ihr vom Commons-Institut seid fast die Einzigen, die in der Lage sind, die Beendigung des Kapitalismus zu initiieren, weil ihr die Prinzipien des dialektischen Materialismus beachtet und in der Lage seid, über den Tellerrand zu schauen.
Wenn wir von einer Transformation träumen, sagen wir manchmal, dass es so etwas wie eine Auslöseschwelle gibt, die bei vielleicht 2 Prozent liegt, und ab der die Entwicklung zum Selbstlauf übergeht. Der Anteil freiwilliger Arbeit liegt bereits heute bei etwa 40 Prozent. Es würde wirklich nicht viel dazu gehören, um den Übergang zu vollziehen aber wir müssen damit beginnen, darüber zu reden.
Ich habe hier einen Programmentwurf vorbereitet, in dem die Zusammenhänge ein bisschen näher erklärt werden: https://LetUsBe.One/de2/Utopie.pdf (10 min Lesezeit).
Viele Grüße
Eberhard (they/them)
Eine kleine redaktionelle Anmerkung. Im Text findet sich folgender Satz:
„Mit diesem Kunstgriff überbrückten die europäischen bürgerlichen Revolutionäre vermeintlich die Kluft zwischen dem Anspruch auf Freiheit und Aus Commons wurde Eigentum Gleichheit aller Menschen einerseits und den eigenen klassistischen, kolonialen und patriarchalen Privilegien andererseits.“
In dem Satz sind offensichtliche Schreibfehler. Vermutlich hat das Schreibprogramm irgendwas an die falsche Stelle geschoben. Wenn das Buch noch nicht gedruckt ist (das Crowdfunding läuft noch), besteht die Möglichkeit, diesen Satz noch mal zu überarbeiten.
Inhaltlich ist das ein großartiger Text, der einen großen Bogen schlägt. Mir fiel das jetzt erst beim 2. Lesen auf, dass an einer Stelle etwas nicht stimmt.
Hallo Wilfried, das war offensichtlich ein Copy & Paste-Problem, wo der Artikeltitel versehentlich in den Satz gerutscht ist. Danke für den Hinweis, hab’s gefixt.