Ein Softwarekonzept für ununterbrochenes Commoning – Fähigkeiten, Qualifikation, Tätigkeitsgewichtung
Auf reiner Prozessebene kann das Ideal der hier beschriebenen Vermittlungsform zur effizienten Bedürfnisbefriedigung folgendermaßen ausgedrückt werden: Möglichst wenig Aufwand. Dieser ergibt sich aus möglichst wenigen unterschiedlichen Mitteln, die möglichst vielfältig verwendet werden können und möglichst lange haltbar sind. Weiter auch aus möglichst geringen Anforderungen an Fähigkeiten und Qualifikationen bei den Tätigkeiten, welche für die Herstellung und Erhaltung der Gesellschaft notwendig sind, damit möglichst viele Personen sich diesen annehmen, sprich: zuordnen können.
Aber was sind diese Fähigkeiten überhaupt und was ist ihr Bezug zu den Bedürfnissen? Und wer kann sich welchen Tätigkeiten annehmen? Wie überhaupt können Bedürfnisse sinnvoll vermittelt werden, damit schließlich ein effizienter Gesamtprozess möglich wird? Und wenn die Qualität einer Tätigkeit sich nur auf ein einzelnes Bedürfnis bezieht, wie lässt sich herausstellen, welche Tätigkeiten für den Gesamtprozess sinnvoll sind? Dieser dritte Teil der Textreihe beantwortet die Fragen in ihrer Reihenfolge.
Eine Anmerkung noch zur Frage, ob „möglichst geringer Aufwand“ wirklich das Ideal sein sollte und nicht etwa „Tätigkeiten, die Lust bereiten“ o.ä.: Denken wir zurück an die Kritische Psychologie, dann besteht das Bedürfnis aus zwei Teilen: Dem unmittelbar erfahrbaren „sinnlich-vitalen Bedürfnis“ und dem „produktiven Bedürfnis“, welches nicht (!) das „Bedürfnis nach Arbeit“ ist, sondern das Bedürfnis zur Verfügung über den gesellschaftlichen Re-Produktionsprozess. Und über diese Verfügung, bzw. den Zugriff auf die Quellen der Bedürfnisbefriedigung, soll eine möglichst dauerhafte Befriedigung der sinnlich-vitalen Bedürfnisse hergestellt werden können. Tätigkeit hat damit nicht nur den Zweck sinnlich-vitale Bedürfnisse direkt zu befriedigen, sondern die Befriedigung sinnlich-vitaler Bedürfnisse dauerhaft abzusichern und je geringer der Aufwand zur Befriedigung eines bestimmten sinnlich-vitalen Bedürfnisses ist, desto tendenziell mehr solcher Bedürfnisse können insgesamt befriedigt werden bzw. desto höher ist die Sicherheit, dass diese Bedürfnisse dauerhaft befriedigt werden. Ob die jeweiligen Tätigkeiten dann „Spaß machen“ ist erstens zweitrangig, zweitens zu individuell verschieden und drittens ist das grundlegende Prinzip die Selbstzuordnung und wenn auch Tätigkeiten mit geringem Aufwand nahegelegt werden, entscheiden die Beteiligten selbst, welchen Tätigkeiten sie sich annehmen wollen. Es braucht hierfür keine allgemeinen „Lustindikator“ o.ä.
WICHTIGE ANMERKUNG: Bis zum Abschluss nach sieben oder acht Teilen ist die Textreihe im Wandel und wird besonders seit Mai 2020 vollständig neu erarbeitet und strukturiert. Dieser Text ist nicht länger aktuell!
Die neuesten Versionen der Texte finden sich als pdf/odt immer auf https://marcusmeindel.wordpress.com/ bzw. online im Discourse-Forum. Hier finden sich auch Einführungen zum Thema. Wenn du Interesse an einer Beteiligung am Projekt hast, kannst dich dort gerne auch vorstellen und einbringen.
Fähigkeiten (und komplexe Tätigkeitsmuster)
Im Gegensatz zur im nächsten Kapitel beschriebenen Qualifikation, sind Fähigkeiten auf Softwareebene keine Bedingungen, um bestimmte Tätigkeiten ausführen zu können. Die Definition von Fähigkeiten hilft vielmehr dabei, den Gesamtprozess übersichtlicher zu gestalten und die Selbstzuordnung zu vereinfachen.
Fähigkeiten werden dabei als Tätigkeiten verstanden, deren Ablauf verinnerlicht ist. Auf Softwareebene werden sie daher auch durch Tätigkeitsmuster definiert. Welche Tätigkeit dabei als verinnerlicht betrachtet wird, liegt ganz im Ermessen des jeweiligen Anwenders bzw. der jeweiligen Anwenderin. Diese Markierung als „verinnerlicht“ wird dabei in der sogenannten Bibliothek vorgenommen. In der Bibliothek werden dabei sämtliche Tätigkeitsmuster gespeichert, denen sich prinzipiell angenommen werden kann. Einerseits können diese manuell ausgewählt und dort abgespeichert werden, anderseits können sämtliche Tätigkeitsmuster automatisch dorthin übertragen werden, welchen sich mindestens einmal erfolgreich angenommen wurde.
Diese Bibliothek hat neben der Definition von Fähigkeiten noch eine weitere relevante Funktion: Tätigkeitsmuster können entsprechend markiert werden, ob ihnen gerne oder nicht gerne nachgegangen wird. Je nachdem kann die Person durch die Software benachrichtigt werden, sobald eine Tätigkeit in einem (lokalen) Commoning-Prozess ansteht, an welcher Interesse besteht oder sie wird, wenn überhaupt, erst benachrichtigt, wenn es für die Tätigkeit eine hohe Dringlichkeit gibt (→Tätigkeitsgewichtung). Neben der Möglichkeit, sich den Gesamtprozess des Commonings bzw. einzelne Commoning-Prozesse zu bestimmten Bedürfnisbefriedigungen anzusehen und sich entsprechend Tätigkeiten zuzuordnen, gibt es damit eine zweite Möglichkeit, sich in das Commoning einzubringen. Diese kann als halb-automatische Selbstzuordnung bezeichnet werden.
Auf Fähigkeiten können komplexe Tätigkeitsmuster aufbauen. Um das verständlich zu machen, wird wieder auf das veraltete, aus der marxschen Wertformanalyse entnommene Beispiel der Herstellung von Leinwand bzw. Leinengewebe zurückgegriffen. Immer noch gilt, dass durch das nicht-zeitgemäß gewählten Beispiel der Fokus auf die dahinterstehende Logik gelegt und damit keineswegs angedeutet werden soll, dass Commoning der heutigen Komplexität nicht standhält.
Die Herstellung eines Leinengewebes durch einen Webstuhl stark vereinfacht dargestellt (Die Anmerkungen in Klammern verweisen dabei auf nachfolgende Abbildung): Damit das Leinengarn (a) im Webstuhl verarbeitet werden kann, müssen die Fäden des Garns erst die gleiche Länge und die richtige Reihenfolge erhalten. Dafür wird es auf den Scherbaum (b) aufgespannt (Muster g). Das so bearbeitete Leinengarn wird schließlich als Kette (a) bezeichnet. Diese Kette wird schließlich auf den bisher unbespannten Webstuhl (b) gespannt (Muster f). Im Webprozess werden aus dieser Kette die vertikal verlaufenden Fäden des Gewebes entstehen. Ein weiteres Leinengarn (a) wird schließlich gemäß einer Leinwand-Bindungspatrone (b) durch die Litzen und Blätter des mit Kette bespannten Webstuhls (c) gestochen. Die Leinwand-Bindungspatrone gibt dabei vor, wie die Fäden durch den Webstuhl verlaufen müssen, damit am Ende das gewünschte Gewebemuster herauskommt (Muster e). Durch den damit vollständig bespannten Webstuhl (a) kann das Leinengewebe hergestellt werden (Muster d). Falls notwendig, wird die Leinwand-Bindungspatrone zuvor erst mit Hilfe eines Patronenpapiers (a) erstellt (Muster c).
Was bedeutet es, wenn das im letzten Teil der Textreihe verwendete Tätigkeitsmuster „Herstellung eines Leinengewebes durch (a) unbespannten Webstuhl, (b) Scherbaum, (c) Leinengarn und (d) Patronenpapier“ (T2b2 / Muster a) heißt? Es bedeutet, dass sämtliche gerade angerissenen Tätigkeiten im selben Muster enthalten sind. In der Grafik sind dabei die Tätigkeitsmuster d-g im komplexen Muster b zusammengefasst, aber erst Muster b ergibt zusammen mit Muster c die uns bereits bekannte Tätigkeit T2b2 bzw. Muster a. Ein komplexes Tätigkeitsmuster besteht damit ausschließlich aus der Kombination einfacher Tätigkeitsmuster. Es kommen darin keine neuen Informationen vor – es ist die Zusammenfassung der Informationen der untergeordneten Muster. Und falls neue Informationen doch notwendig sind, dann müssen diese in Form eines vorläufigen Tätigkeitsmusters angelegt werden, in welchem Resultat und Bedarf klar ersichtlich werden und für welches außerdem der Aufwand gesondert herausgestellt werden kann.
Hierzu eine kurze Anmerkung zum →Muster-Design: Dasselbe durch Resultat, Bedarf und Aufwand definierte Muster hat im besten Fall eine Vielzahl von unterschiedlichen Beschreibungen für denselben Prozess. Die Sprache ist dabei natürlich ein wesentlicher Punkt, aber genauso die Form der Darstellung (als Textbeschreibung, Video, etc.) oder etwa das Detailreichtum der Beschreibung. Gibt es etwa sehr knappe Beschreibungen von Mustern und sind diese entsprechend definiert, kann die Beschreibung eines komplexen Tätigkeitsmusters automatisch generiert werden, indem diese knappen Beschreibung aneinander gehängt werden.
Über Fähigkeiten werden Tätigkeiten also auf Softwareebene in kleinere Schritte geteilt bzw. werden einzelne Tätigkeiten zusammengefasst. Da prinzipiell jedes Tätigkeitsmuster als Fähigkeit markiert werden kann, kann sich prinzipiell auch jedem komplexen Tätigkeitsmuster zugeordnet werden. Vorausgesetzt ist hier jeweils, dass die definierten Qualifikationen der darin enthaltenen Tätigkeitsmuster gegeben sind. Die Definition von Fähigkeiten hilft dabei den Beteiligten den Gesamtprozess einerseits schneller erfassen und sich leichter einbringen zu können, anderseits den organisatorischen Aufwand zu minimieren, welcher mit der Selbstzuordnung zu vielen kleineren Tätigkeiten unbedingt zusammenhängt.
Da ein komplexes Tätigkeitsmuster lediglich eine Verschachtelung von einfacheren Tätigkeitsmustern ist, ist sowohl der Bedarf als auch Aufwand genau gleich. Der Aufwand eines komplexen Tätigkeitsmusters ist daher auch die Summe des Aufwandes der darin enthaltenen einfachen Tätigkeitsmuster. Und da ein Tätigkeitsmuster immer die eindeutige Beschreibung eines Prozesses ist, sind weiter auch die Tätigkeitsmuster, welche als dessen Fähigkeiten definiert sind, immer eindeutig. Tätigkeitsmuster M(a) aus dem Beispiel wird immer die in den Tätigkeitsmustern M(b) und M(c) beschriebenen Prozesse beinhalten, wie auch M(b) immer die in den Tätigkeitsmustern M(d-f) Prozesse beinhaltet. Einzelne Tätigkeitsmuster selbst können dagegen als Fähigkeiten in unterschiedlichen anderen Tätigkeitsmuster definiert sein.
Qualifikation
Während Fähigkeiten frei gesetzt werden können, braucht es bei der Qualifikation eine äußere Instanz, welche die Erlaubnis erteilt, sich bestimmten Tätigkeiten überhaupt annehmen zu dürfen. Notwendig kann das in unterschiedlichen Situationen sein: Eine Tätigkeit kann den Umgang mit sensibler Technik beinhalten, deren Beschädigung einen großen Aufwand zur Wiederinstandsetzung nach sich ziehen würde. Oder die Tätigkeit ist an sich nicht schwierig, aber beinhaltet gefährliche Chemikalien, welche bei fehlerhafter Handhabung zu erheblichen Gesundheitsproblemen führen können. Genauso sollte sichergestellt werden können, dass sich bei Tätigkeiten an Menschen – wie etwa in der Chirurgie oder der Erziehung – nur Personen mit dem notwendigen medizinischen oder pädagogischen Verständnis zuordnen können. Aber auch im Bereich der Produktion symbolischer Mittel kann es problematisch sein, wenn Personen sich Tätigkeiten zuordnen, welche ihre eigene Kompetenz überschreiten: Ein ganzer Commoning-Prozess kann aufgehalten werden, wenn etwa ein Programmierer sich selbst überschätzt und die Tätigkeit anderer Personen auf dessen Code aufbaut.
Die Definition von notwendigen Qualifikationen für Tätigkeitsmuster scheint daher unerlässlich, wirft aber Fragen auf, welche Autorität und welche Strukturen die Qualifikationen innerhalb einer Gesellschaftlichkeit von Gleichrangigen möglichst allgemeingültig zertifizieren können. Innerhalb dieser Softwarekonzept-Reihe sollen diese Fragen nicht beantwortet werden. Was auf Vermittlungsebene nur gesagt werden kann: Es ist möglich – und notwendig – bestimmte Tätigkeitsmuster mit einer allgemeingültigen Qualifikation als Voraussetzung dafür zu beschreiben. Auf Seite der Beteiligten muss es in diesem Fall eine Bibliothek von Qualifikationen geben, in welcher die eigenen Qualifikationen festgehalten sind. Auf Peer-Ebene (Peer: „Gleichrangige“) ist außerdem möglich, dass Beteiligte Anfragen zum Erlernen bestimmter Qualifikationen stellen und diese Anfragen durch Personen ausgelesen werden können, welche die Qualifikation besitzen und autorisiert sind – in welcher Weise auch immer – diese Qualifikation weiterzugeben.
Anmerkung: Eine ähnliche Bedingung um sich einer Tätigkeit annehmen zu können, kann eine bestimmte Personenzahl sein. So ist es etwa nicht möglich, eine Kette alleine auf einen Webstuhl aufzuspannen (Grafik: Muster f). Auch das sollte bei der Entwicklung der Software berücksichtigt werden, um einen sinnvollen Commoning-Prozess zu gewährleisten.
Tätigkeitsgewichtung
Eine beteiligte Person hat tendenziell eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten, wie sie sich in das ununterbrochene Commoning einbringen kann. Und je mehr Fähigkeiten sie angegeben hat und je mehr Qualifikationen sie besitzt, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich für sie. Über die Qualität einer Tätigkeit lässt sich weiter zwar feststellen, wie sinnvoll eine Tätigkeit zur Befriedigung eines einzelnen Bedürfnisses ist, allerdings nicht, wie sinnvoll eine Tätigkeit für den Gesamtprozess ist. Der Indikator hierfür ist das Gewicht einer Tätigkeit.
Um sich dem Gewicht anzunähern, muss zuerst die Vermittlung von Bedürfnissen näher betrachtet werden. Damit Commoning-Prozesse überhaupt angestoßen werden, braucht es zuerst vermittelte Bedürfnisse und jeder Anwender und jede Anwenderin kann unterschiedlich viele solcher Bedürfnisse vermitteln. Nur, weil ein Bedürfnis vermittelt wurde, heißt es aber noch nicht, dass sich jemand diesem Bedürfnis auch annehmen wird – das ist Vor- und Nachteil einer Gesellschaftlichkeit ohne strukturellem Zwang. Wichtig bei der Vermittlung von Bedürfnissen ist allerdings eine Fairness zwischen den Gesellschaftsteilnehmern. Das heißt, eine Person, welche versucht möglichst viele Bedürfnisse zu vermitteln, sollte keinen Vorteil gegenüber einer Person haben, welche sehr bewusst angibt, was sie braucht. Und das heißt auch, dass Personen, die für andere tätig sind, auch tendenziell etwas zurückbekommen – das also durch das Einbringen in das Commoning eine gewisse Sicherheit zur Absicherung der eigenen Lebensbedingungen entsteht. Diese Koppelung zwischen Beteiligung und individuellen Vorteil wird über die Transformationsvariable, kurz: Trava, hergestellt. Die Trava wird in weiteren Teilen der Textreihe sowohl näher vorgestellt als auch offen diskutiert. Sie ist dabei das gesamte Gewicht, welche eine Person auf ihre einzelnen Bedürfnisse verteilen kann.
Folgend wird als Bedürfnisgewichtung der Teil der Software bezeichnet, in welchem Beteiligte ihre angegebenen Bedürfnisse verschieden priorisieren können. Durch diese Gewichtung wird bestimmt, welche dieser vermittelten Bedürfnisse einer Person besonders wichtig sind. Das heißt, wenn eine Anwenderin vier Bedürfnisse vermittelt hat, können diese entweder gleichermaßen mit 25% gewichtet sein, oder die Beteiligte hebt etwa ein Bedürfnis mit 40% hervor, was eine Abwertung der anderen drei Bedürfnisse auf 20% des insgesamt verteilbaren Gewichtes mit sich bringt.
Von dem Bedürfnis ab wird dieses Gewicht auf sämtliche Tätigkeiten des Commoning-Prozesses verteilt. Das Gewicht der einzelnen Tätigkeiten innerhalb des Commoning-Prozesses wird dabei durch ihren Anteil am gesamten Aufwand bestimmt. Angenommen also das Gewicht eines bestimmten Bedürfnisses wäre 100 und die Konfiguration besteht aus nur drei Tätigkeitsmustern, welche mit einem Aufwand von 50 (T1), 150 (T1a1) und 200 (T1b1) beschrieben sind. Der Aufwand insgesamt beträgt also 400. Die Gewichtung der einzelnen Tätigkeiten wäre dementsprechend: 12,5, 37,5 und 50.
Soweit bestimmt sich also das Gewicht einer Tätigkeit durch ihr Verhältnis zu den anderen Tätigkeiten im selben Prozess. Weiter aber schließlich noch durch Anzahl bzw. das Gewicht anderer Bedürfnisse, welche auf dieselbe Tätigkeit verweisen. Denn selbstverständlich können einzelne Tätigkeiten den Bedarf von Tätigkeiten verschiedener Commoning-Prozesse decken: Das ist die Essenz des ununterbrochenen Commonings. Hierbei muss allerdings unterschieden werden, ob sämtlicher Bedarf gedeckt wird, indem die Tätigkeit einmal ausgeführt wird oder ob der gesamte Bedarf nur durch die kontinuierliche Ausführung der Tätigkeit gedeckt wird. Das heißt angenommen bei verschiedenen Commoning-Prozessen kommt es zu einem Bedarf nach einer bestimmten wissenschaftlichen Forschung, dann kann sämtlicher Bedarf durch ein und dieselbe Forschung gedeckt werden. Wenn dagegen in verschiedenen Commoning-Prozessen ein Bedarf nach demselben Typ Schrauben entsteht, dann kann dieser Bedarf nur durch wiederholte, kontinuierliche Tätigkeit gedeckt werden. In diesem Fall ist es für Beteiligte sowohl relevant zu wissen, welches Gewicht die Tätigkeit für die Deckung eines Bedarfes hat, als auch welches Gewicht die Tätigkeit hat, wenn durch die kontinuierliche Ausführung sämtliche darauf verweisende Bedarfe gedeckt werden. Bei einer kontinuierlichen Tätigkeit braucht es dabei die Funktion, dass bei der Selbstzuordnung angegeben werden kann, welchen Bedarfen sich insgesamt angenommen wird.
Die Software ist eine Vermittlungsform, welche Selbstorganisation unterstützen soll. Trotzdem gibt es in ihr einen bestimmten Fluss, einen roten Faden, welchem nicht gefolgt werden muss, der aber sowohl bestimmte Tätigkeiten (→ Konfigurationsprozess) als auch eine bestimmte Verteilung nahelegt. Bei einer kontinuierlichen Tätigkeit wird dabei nahegelegt, dass das erste Resultat der Tätigkeit zuerst den Commoning-Prozess unterstützt, welcher das höchste Gewicht hat und von da ab jeweils an den Nächsthöchsten verteilt wird. Ein hohes Gewicht eines Prozesses ist schließlich ein Indiz dafür, dass die entsprechenden Tätigkeiten verhältnismäßig sinnvoll zur Herstellung und Erhaltung der gemeinsamen Lebensbedingungen sind. Wie bereits gesagt, wird die Reihenfolge der Verteilung aber nur nahegelegt und wird durch die Personen, welche die Tätigkeit ausführen, selbst festgelegt. Wenn eine andere Reihenfolge der Verteilung für diese sinnvoll erscheint – ein Grund wäre etwa, dass bei einer höher gewichteten Tätigkeit noch weitere notwendige Mittel fehlen und diese auch nicht zeitnah bereitgestellt werden -, dann kann diese Reihenfolge selbstverständlich geändert werden. Wichtig ist hier die einfache Möglichkeit einer Kommunikation zwischen den Personen, welche durch ihre Tätigkeiten in Zusammenhang stehen.
Abschließend
Im Konzept werden Möglichkeiten angedacht und Vorschläge vermittelt, welche oft diskutierbar sind. Möglicherweise bessere Ideen zum Gewicht u.ä. können jederzeit in den Kommentaren oder unsreer Discourse-Instanz diskutiert werden: https://meta.allmende.io/c/transcomm/
Sämtliche Icons entstammen dem noun-project (thenounproject.com) und unterliegen einer Creative Commons Namensnennung Lizenz (CC-BY). Verwendet wurden „linen“ von Rineesh, „thread“ von Anton und „weave“ von Claire Jones. Vielen Dank.
Ich finde es eineseits grandios, wie hier endlich Perspektiven eröffnet werden, die davon ausgehen, dass die innere Logik des Arbeitsprozesses durch die kapitalistische Überformung kulturell enorm deformiert wurde und daher rekonstruiert gehört. Damit haben sich ja in den letzten 20 Jahren nur kleine Zirkel beschäftigt, es ist aber m.E. unabdingbar für eine Systemtransformation.
Auf der anderen Seite, und ich hab jetzt noch nicht genau reingelesen, aber es springt mich einfach an, stört mich die Rede von „der Software“. Die klingt für mich ähnlich versachlicht wie die Rede von den Gemeingütern.
In Wahrheit handelt es sich um revolutionäre (und zugleich uralte) kulturelle Konzepte, die nicht nur duch 500 Jahre Kapitalismus, sondern vielleicht sogar durch 5000 Jahre Megamaschine gründlich verschüttet und an ihrer Weiter – Evolution gehindert wurden.
Diese verlangen auch einen anderen Zugang zu den mittlerweile verfügbaren Techniken der Informationsverarbeitung und automatisierbaren Prozessgestaltung – und eben auch die Abbildung in Software.
So wird für mich ein Schuh draus.
Aber bitte das nicht als Gemecker nehmen. Der Ansatz ist echt vielversprechend!
Hallo Franz Nahrada. Keine Sorge, ich sehe das absolut nicht als Gemecker an!
Der Punkt ist, dass es sich bei dem Prozess des Commonings auch meiner Meinung nach um das sehr alte Konezept der gegenseitigen und bedürfnisorientierten Unterstützung handelt, welches sich im gesellschaftlichen Raum verloren hat. Und das meiste, das hier beschrieben wird, ist ganz banal: Probleme können auf unterschiedliche Weisen gelöst werden, die unterschiedlichen Problemlösungen haben unterschiedliche Bedarfe, manche Probleme sind „(ge)wichtiger“ als andere, da sie mehr Menschen betreffen usw. usf.
Es geht hier aber nicht nur darum, das alles irgendwie „fassen“ zu können, sondern den Prozess auf eine solche Weise zu beschreiben, dass eine Software konstruiert werden kann, in denen Menschen, die sich gegenseitig nicht kennen und sich vielleicht niemal sehen werden, sich trotzdem gegenseitig unterstützen können und das daraus auch solche komplexen (Re-)Produktionsprozesse entstehen können, wie sie die moderne Arbeitsteilung hervorgebracht hat. Und diese Software schließlich ist ein Ding, ein Werkzeug, eine konkrete „Sache“. Die Software schließlich bildet damit nicht nur Prozesse ab, sondern ermöglicht Prozesse, die ohne diese Software nicht entstehen könnten und die trotzdem die Handlungsweise dieser „verschütteten Kultur“ in sich tragen.
Vielleicht hilft das ein wenig im Verständnis von dem, was ich hier mache 🙂
Ich glaube ansatzweise zu verstehen was Du machst bzw. meinst. Die Formalisierung ist so meine Sache nicht, aber ich habe selbst Software entwickelt und es „hat mich gepackt“, wie man so schön sagt, obwohl ich der Mathematik, Formelsprache und all dem drumherum abhold bin. Wahrscheinlich war das nur möglich, weil sich im HyperTalk die Programmiersprache der natürlichen Sprache angenähert hatte. Aber ich begriff mit einem Schlag, dass hier das in reinster Form vorliegt, was Marx in den Grundrissen als „Allgemeine Arbeit“ bezeichnet. Es stellt unseren üblichen Arbeitsbegriff so sehr auf den Kopf, dass viele Leute und auch ich anfangs damit Schwierigkeiten hatten. Aber das was ich praktisch tat hat mir ein völlig neues Verständnis von gesellschaftlicher Transformation ermöglicht.
Ich versuche also – meinem Naturell gemäß – in natürlicher Sprache einige Bemerkungen zu machen, einfach in Form einer Punktation.
1. reduzieren sich die „verschütteten Kulturen“ nicht auf „gegenseitige und bedürfnisorientierte Unterstützung“, sondern sie hatten, wenn Du so willst darüber hinaus und im wesentlichen noch einen zusätzlichen Zug, der genau das, was Du intendierst, auch schon immer enthielt. Es gab ein paar Regeln, die weit über den einzelnen Stamm hinaus universelle Gültigkeit hatten und von den allermeisten eingehalten wurden; Ausnahmen bestätigten eher die Regel. Eine dieser Regeln, die wir von den indianischen Stammesgemeinschaften genauso kennen wie von mongolischen Nomaden, war: Verlasse einen Platz so wie Du ihn vorgefunden hast, hinterlasse keine Duftmarken, Gebäude, Konstruktionen, mit denen andere nichts anfangen können. Unabhängig davon ob man dem jetzt beipflichtet oder nicht (dazu vielleicht später): es ist interessant, wie ein quasi „anonymer“ Zug diese traditionalen Mikro – Gesellschaften miteinander verband.
2. Vielleicht verhält sich in der Realität noch einiges andere etwas anders als wir es zu sehen gewohnt sind. Vieleicht waren die traditionalen Gesellschaften gar nicht so sehr auf die empathische gegenseitige Hilfe gebaut, sondern auf die bewusste Herstellung persönlicher und gemeinschaftlicher Autarkie unter Wahrung „anonymer“ Regeln; und vielleicht – so argumentiert zum Beispiel der politische Anthropologe James Scott – (Against The Grain, The Art of Not being Governed, Seeing like the State) ist die höherskalierte staatlich organisierte Gemeinschaft sogar zunächst auf Kosten von Wohlstand und Fortschritt gegangen (den sie dann zwar in einer gewissen Weise dann doch geschaffen hat, was aber kein Argument dagegen ist dass ein solcher weit mehr auch ohne das staatlich organisierte Interludium stattgefunden hätte können). Vielleicht könnte man sogar von „Zwangsvergemeinschaftung“ sprechen, wo dann das Bedürfnis nach „gegenseitiger und bedürfnisorientierter Unterstützung“ dann erst so richtig treibhausmäßig gedeiht – mitsamt der unvermeidbaren sozialen Konflikte, die dadurch entstehen und deren erste und bekannteste Erscheinungsform die „Verbrechen aus Liebe“ im Familienverband sind, denen Karl Held und seine MitautorInnen in der „Psychologie des Bürgerlichen Individuums“ ein unnachahmliches literarisches Denkmal geschaffen haben. (Siehe hier und hier, jeweils Punkt 8)
3. Vielleicht sind genau deswegen auch die höchste Form der Commons etwas, was man als „partizipative Ressourcen“ bezeichnen könnte, also genau jene Verfahren, Regeln, Algorithmen, derer sich jeder bedienen kann. Auch wenn wir im Anthropozän mit der Tatsache konfrontiert sind, dass unsere natürlichen Ressourcen endlich sind, so existiert doch eine Fülle von Möglichkeiten, mit diesen endlich vielen Ressourcen und in ihrer beständigen Reproduktion durch Nachwachsen, Energieeintrag etc. unendlich viel Reichtum zu schaffen, genauso wie es die Sprache macht, die aus ihrem endlichen Bestand an Syntax und Worten eine unendliche Vielfalt von sinnvollen Sätzen macht. Vielleicht wäre so ein System von Partizipativen Ressourcen gleichzusetzen mit eine Welt von Automaten, die miteinander kommunizierend einen gesellschaftlichen Gesamtautomaten bilden. Auf der anderen Seite erforderte das eine wirklich auf Vermehrung von Autarkie gerichtete Bildung, deren erstes Merkmal das Abwerfen von jeder Menge Ballast prätendierter Empathie wäre. Die wahre Liebe wäre dann die Fokussierung auf das Operationale, das gar nicht erst auf Bedürfnisse spekuliert, sondern deren Struktur und Ausprägungen erschöpfend beschreiben gelernt hat und daher auch Verfahren ihrer in allen Dimensionen erfolgreichen Erfüllung implementiert. (Man merkt übrigens schon beim Meditieren über das Wort „Erfolg“ in welcher klebrigen Scheiße wir gefangen sind).
Hallo Franz,
danke für Deinen Beitrag. Ich kannte zum Beispiel das (frühe) Konzept der allgemeinen Arbeit noch gar nicht (die ja, soweit ich das jetzt verstanden habe, durchaus Ähnlichkeit mit Mustern hat) und habe mir äußerst gerne das achte Kapitel von Karl Held durchgelesen.
Ich habe da auch gar nichts hinzuzufügen oder zu widersprechen – ich glaube, deine Perspektive ist auch zu anders als meine. Für mich zeigt sich das hier zum Beispiel:
Würde ich zum Beispiel nie so sagen bzw. in so eine Richtung denken. Meine Hoffnung liegt darin, eine Alternative zur Lohnarbeit zu ermöglichen, wie ich mich in den/einen gesellschaftlichen Re-Produktionsprozess einbringen kann und dass diese Möglichkeit für mich sinnvoller ist als eben lohnarbeiten zu gehen. Und in der Selbstorganisation (die mit der Software auf größerer und tieferer Ebene unterstützt werden soll) gibt es diese Mehrarbeit nicht, die ich in einem kapitalistischen Unternehmen leisten muss. Und weiter fällt sehr viel Aufwand weg, der nur durch Markt und Konkurrez entsteht – Produkte die hergestellt werden, nur um anschließend unverkauft verschrottet/verbrannt zu werden. Oder, als alter Hut, Produkte die hergestellt werden, um bald wieder Schrott zu werden, um ersetzt werden zu müssen. Überhaupt, ganz allgemein, soll die Möglichkeit entstehen, dass komplex (arbeitsteilig) produziert werden kann, sich aber der Arbeitsprozess nicht verselbstständigt und es immer weniger zu tun gibt, je fortschrittlicher die Technik wird.
Das ist so „alles um was es mir geht“. Ich hoffe, auf den individuellen Vorteil durch transpersonales/ununterbrochenes Commoning und möchte den unterstützen. Dass bestimmte Bildung auch wichtig ist kann gut sein (und das meine ich nicht im Geringsten abwertend), aber das wäre jetzt so eine Sphäre, mit der ich einfach nichts zu tun habe/zu tun haben will und in der ich persönlich auch keine Ansprüche formulieren würde.
Das nur als Begründung, warum ich nicht viel dazu erwidern kann. Spannend fand ich es allemal zu lesen.