Sozialistische Lizenzen?

Michel Bauwens hat einen Vorschlag für einen „Mittelweg sozialistischer Lizenzen“ eingebracht, der im Kern auf der Copyfarleft-Lizenz von Dymtri Kleiner beruht (wie Christian Siefkes richtig erkannt hat). In diesem Beitrag versuche ich, den Vorschlag kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Bauwens stellt zu Beginn eine These auf: „je kommunistischer die von uns benutzten Lizenzen sind, umso kapitalistischer ist die Praxis“. Als prominentes Beispiel wird die GNU GPL hierbei als „kommunistische Lizenz“ tituliert. Ist da was dran?

Zunächst muss man sich klar machen, welchen Charakter Lizenzen unter den gegenwärtigen Bedingungen haben. Es sind Erlaubnisvergaben, also Verträge, mit denen „der Inhaber eines geschützten Rechts dem Lizenznehmer ein definiertes Nutzungsrecht“ (Wikipedia) erteilt. Vorausgesetzt ist die Exklusion aller anderen durch den „Rechteinhaber“. Die rechtsförmig erteilte Exklusionsmacht kann nun durch trickreiche Konstruktion in eine „Erlaubnis für alle“ umgewandelt werden, verbunden mit einzuhaltenden Bedingungen — bei der GPL etwa die Pflicht, abgeleitete Werke ebenfalls unter die GPL zu stellen (Copyleft-Prinzip).

Hieran ist nichts kommunistisches. Die Logik der Exklusion wird partiell umgedreht und kann damit neue Räume commonsorientierter Praktiken schaffen. Immerhin. Die Lizenz selbst hat dabei nur Schutzcharakter gegen proprietäre Zerstörung dieser Praktiken. Aus meiner Sicht kann da unter den gegebenen Bedingungen auch nicht mehr sein. In der Welt rundrum gilt die Verwertungs- und Exklusionslogik, und jeder Freiraum zur selbststimmten Setzung anderer Praktiken muss diesen Logiken abgerungen werden. Keimformen eben.

Der zweite Teil der These „…umso kapitalistischer ist die Praxis“ geht ebenso fehl. Es gibt keine Steigerungsform von „kapitalistisch“. Setzt man für „kapitalistisch“ etwa „warenförmig“ ein, dann wird das deutlicher: Etwas ist eine Ware oder nicht. Freie Software etwa ist keine Ware. Sie kann folglich auch von jedem angeeignet und genutzt werden — auch von großen Konzernen. Diese können die Freie Software jedoch nicht in eine Ware umwandeln, das verhindert die GPL. Sie können sie aber nutzen, um anderweitig ihre Geschäftsmodelle umzusetzen. Dieses freie Nutzen ist Bauwens ein Dorn im Auge. Er möchte, dass nur jene ein Commons kommerziell verwenden können, die auch vorher dazu beigetragen haben.

Die wie dargestellt aus meiner Sicht irrige Darstellung der GPL als „kommunistisch“ hat die Funktion, eine scheinbar mildere Variante, die dann als „sozialistisch“ bezeichnet wird, zu propagieren: die PPL (Peer-Production-License). Diese erlaubt den Zugriff auf die Ressourcen extern nur jenen, die die entnommenen Ressourcen nicht kommerziell nutzen, während intern die volle Verwertung erlaubt ist. Die Grenze intern/extern bezieht sich in der Regel auf eine Firma. Wollen Externe die Ressourcen zu Zwecke der Verwertung nutzen, müssen sie eine Lizenzgebühr zahlen oder anderweitig Beiträge leisten.

Ist nur Tausch reziprok?

Zur Rechtfertigung wird das Argument der Reziprozität (Gegenseitigkeit) geltend gemacht. Die „kommunistische“ GPL sei nicht-reziprok, während die „sozialistische“ PPL die Reziprozität einfordert. Das Wort Reziprozität ist eine hübsche Verschleierung für das eigentlich gemeinte Tauschen. Tatsächlich bricht die GPL mit der Tauschlogik, während die PPL sie voraus- und durchsetzt — und zwar nicht nur die Tauschlogik als solche, sondern die gesellschaftlich gültige Form des Äquivalententausches. Wer den „Mehrwert innerhalb der Commons-Sphäre (…) halten“ will, muss so handeln — wobei „Commons-Sphäre“ ein Euphemismus für ein gewöhnliches Unternehmen ist.

Der Begriff der Reziprozität wird hier ideologisch verschleiernd missbraucht. Lizenzen sind niemals reziprok, allein Menschen können dies in ihrem Verhalten zueinander sein. Die Frage kann also nur sein, ob Lizenzen Reziprozität zwischen den Menschen fördern oder nicht, und in welcher Weise sie das ggf. tun. Dann sieht die Bewertung für die GPL und die PPL ganz anders aus.

Die GPL erzeugt und fördert die direkte Reziprozität zwischen den Menschen, denn kein Tauschakt und auch kein erzwungener Beitrag tritt zwischen sie. Die PPL hingegen schränkt die direkte Reziprozität ein, indem sie für jene den Tausch oder Zwangsbeitrag zwischen die Menschen setzt, die die Ressourcen kommerziell nutzen wollen. Doch was ist kommerziell? Hier geht die gleiche Diskussion los, die seit Jahren um die NC-Bestimmung bei den Creative-Commons-Lizenzen geführt wird. Dort ist eine Erkenntnis: Die NC-Bestimmung unterminiert das Teilen, und genau das Gleiche gilt für die PPL (obwohl sich diese von der CC-NC abgrenzen will).

Um es zuzuspitzen: Beide Lizenzen unterstützen reziprokes Verhalten der Menschen. Bei der GPL ist es eine positive Reziprozität, da hier allein zählt, wie sich die Menschen sozial verhalten und welche Regel sie selbstbestimmt vereinbaren, um die Beteiligten in einem Prozess zusammenzubringen. Bei der PPL ist es eine negative Reziprozität, da ein Teil von Menschen der fremden Form des Tausches von Gegenwerten (Geld) unterworfen und zu diesem Zweck zunächst aus der Kooperation ausgeschlossen werden. Die GPL entspricht also eher dem Commons-Gedanken der selbstbestimmten Setzung eigener Regeln als es die PPL tut.

Wie funktioniert die PPL?

Kernvorschrift der PPL ist diese Klausel (eigene Übersetzung):

Sie können die in Abschnitt 3 gewährten Rechte [Nutzen, Verteilen, Verändern] für kommerzielle Zwecke nur nutzen, wenn:
i. sich der Betrieb oder das Kollektiv in Arbeiterhand befindet und
ii. aller durch den Betrieb oder das Kollektiv produzierter finanzieller Ertrag, Mehrwert, Profit und Vorteil zwischen den Arbeitereigentümern verteilt wird.

Hier drückt sich die aus meiner Sicht verkürzte Kritik am Kapitalismus aus, die ich anderenorts ausführlich kritisierte. Kurz: Kritisiert wird nicht die Produktionsweise selbst, die Warenproduktion, sondern die Verteilung innerhalb der (akzeptierten) Warenproduktion. Insofern ist die Bezeichnung als „sozialistisch“ durchaus angemessen, versteht man Sozialismus als eine Form der Warenproduktion, in der die Verteilung anders organisiert ist als im freien Kapitalismus. Damit allerdings werden alle basalen kapitalistischen Formen wie Tauschlogik und Geld unangetastet gelassen (auch ein Staat ist in diesem Szenario zwingend). Dieses Problem — manchmal kurz als Fetischismus bezeichnet — wird schlicht ignoriert.

Aber was bedeutet die Vorschrift nun praktisch? Mit Betrieben oder Kollektiven in Arbeiterhand sind offensichtlich Genossenschaften und solche Unternehmen gemeint, deren Eigentümer gleichzeitig die Arbeiter sind. Der Ertrag/Mehrwert/Profit/Vorteil soll zwischen den Arbeitern aufgeteilt werden. Das ist erstens unmöglich und zweitens nicht entscheidend. Unmöglich ist es, weil ein Teil der Einnahmen re-investiert werden muss, um den Betrieb konkurrenzfähig zu halten. Dem Warenfetisch muss gehuldigt werden, und damit kann bei unproduktiven Betrieben schon mal der ganze Ertrag und mehr (=Schulden) draufgehen. Nicht entscheidend ist es, weil eben genau der Zwang zur Verwertung und damit die Logik der Exklusion in keiner Weise angetastet wird.

Mehr noch: Die PPL erlaubt es generell Genossenschaften oder Arbeiterbetrieben, sich aus dem Ressourcen-Pool zu bedienen. Die Genossenschaft A ist jedoch Konkurrent der Genossenschaft B, erlaubt es jedoch B, A auszunutzen und möglicherweise A vom Markt wegzukonkurrieren. Es wird hier also völlig ausblendet, dass Genossenschaften oder Arbeiterbetriebe ganz normale Unternehmen sind, die den Kriterien der Markt- und Konkurrenzlogik entsprechen müssen. Unternehmen sind keine Commons, egal ob Genossenschaft oder Arbeiterbetrieb. Das eigentlich beabsichtigte Ziel — Ressourcen innerhalb der Commons-Sphäre zu halten — kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

Das ist im Prinzip auch Michel Bauwens klar, dennoch träumt er davon, „die Commons mit einer Entrepreneur-Koalition ethischer Marktteilnehmer (Genossenschaften und andere Modelle)“ zu verbinden, die „den Mehrwert vollständig innerhalb der Sphäre der Commoners/Genossenschaftler [halten], anstatt ihn an mulitnationale Konzerne abfließen zu lassen“. Elegant werden Commons und Genossenschaften über die Personen zusammengemischt. Auf diese Weise wird eine „Sphäre der Guten“ definiert. Gut ist, was dieser Sphäre zu Gute kommt, und das ist das Ziel der PPL, „in dem sie es den Commonern erlaubt, ihre eigenen Marktbeteiligungen zu gründen und den Mehrwert innerhalb der Commons-Sphäre zu halten“. Verkürzt gesagt: Nicht die Großen, sondern die Kleinen sollen den Profit kriegen — eine andere Verteilung eben.

Diese Sphäre ist jedoch keine Commons-Sphäre, sondern schlicht eine Unternehmenskoalition der selbst definierten „Guten“ und „Ethischen“. Sich gut und ethisch verhalten zu wollen, ist eine schöne Sache. Das übersieht jedoch die Wirkmächtigkeit der harten ökonomischen Funktionsweise der Warenproduktion. Wenn du dich als Unternehmen der Logik nicht beugst, bist du raus — Ethik hin oder her. Ethik ist kein funktionaler Kern der Marktlogik, sie muss der Exklusionslogik des Marktes äußerlich bleiben und zieht damit am Ende immer den Kürzeren. Gravierend finde ich dabei, dass oft die Wirkmächtigkeit der Exklusionslogik nicht erkannt oder unterschätzt wird, so dass strukturelle Probleme häufig als persönliche Defizite oder Konflikte verbrämt werden. Wenn die Frau mit dem Kind den Betrieb verlassen muss, dann nicht, weil das zu betreuende Kind die Leistung der Frau senkt, sondern weil sie angeblich als Typ nicht ins Team passt — so läuft das dann (persönlicher Bericht über einen handwerklichen Alternativbetrieb).

Transformation durch Gegen-Ökonomie?

Schließlich ist auch das Transformationskonzept von Michel Bauwens zweifelhaft. Er möchte eine „Gegen-Ökonomie“ schaffen, in der eine „nutzenorierte Zirkulation des Werts“ stattfindet. Doch diese Gegen-Ökonomie ist eine Ökonomie, und der Wert ist nichts anderes als eben das: Wert als gesellschaftlicher Maßstab der konkurrenzfähigen Produktivität, hinter die auch die Gegen-Ökonomie nicht zurückfallen darf, will sie „Wert“ überhaupt realisieren.

Aus meiner Sicht kann eine gesellschaftliche Transformation nicht über den Aufbau einer Gegen-Ökonomie stattfinden. Es ist nicht möglich, den Kapitalismus (oder die Bösen) auszukonkurrieren, also auf dem Terrain des Kapitalismus besser sein zu wollen (und zu müssen) als dieser selbst, um ihn am Ende loszuwerden. Das ist ein Widerspruch in sich.

Es geht eben nicht um Verteilung, sofern die Transformation das Ziel ist, sondern es geht um die Durchsetzung einer neuen Produktionsweise, einer neuen sozialen Logik der Produktion der Lebensbedingungen. Diese neue soziale Logik kann nicht in den Formen der alten sozialen Logik, der Exklusionslogik der Warenproduktion, aufgebaut werden. Dabei ist es unvermeidbar, dass die alte Logik die Ergebnisse der neuen Logik ausbeutet, weil sie sich aneignen kann. Doch das ist ein äußerliches Verhältnis, die konträren Logiken bleiben für sich bestehen. Mehr noch: Der Kapitalismus muss selbst für die neue Logik Freiräume schaffen und diese so befördern, dass er sie ausbeuten kann. Sobald aber neue Ansätze in die alten Formen der Verwertung, also in ein inneres Verhältnis, gebracht werden, gehen sie zugrunde.

Die PPL ist daher aus meiner Sicht kein Einstieg in eine Gegen-Ökonomie, sondern ein Einstieg in die Ökonomie. Das ist legitim, doch hat nicht mehr viel mit gesellschaftlicher Transformation zu tun. Oder besser gesagt: Es hat genauso viel mit der gesellschaftlichen Transformation zu tun wie eine Aktiengesellschaft, die aus Gründen der zu steigernden Konkurrenzfähigkeit die Peer-Produktion in den Mauern des Unternehmens einführt (das geschieht tatsächlich). Hier werden Praktiken eingeübt und etabliert, die im Falle eines Komplettausfalls des alten Systems wichtig sein werden und dann auch außerhalb der Verwertungslogik funktionieren könnten. Könnten.

Um dennoch einen Ausblick zu bieten, wie die Ökonomie, die reproduziert wird, wieder verlassen werden kann, bietet Bauwens an:

„In dem Maße wie dieser Prozess verstärkt wird und von ein Wachstum sozialer und politischer Macht begleitet ist, kann die Zirkulation von Kapital durch eine volle Zirkulation von Commons ersetzt werden. Die Transformation hat dann tatsächlich stattgefunden.“

Am Ende soll es also die Politik richten. Denn wie anders soll die Zirkulation von Kapital durch die Zirkulation von Commons (was soll das überhaupt sein?) ersetzt werden? Der Staat führt per Beschluss den Commonismus ein? Wohl kaum.

Ist die PPL also schlecht? Nein. Sie ist schlicht eine Möglichkeit der Koalitionsbildung unter kleinen Unternehmen und Solo-Selbstständigen. Wenn sie damit Produkte in die freie Nutzbarkeit für viele Menschen geben, die sie sonst nicht erhalten könnten, ist das fein. Das tun jedoch auch andere, etwa Microsoft. Insofern liegt das im allgemeinen Trend, in dem Offenheit zu einem Wettbewerbsfaktor wird. Es bietet Unternehmen und Solo-Selbstständigen die Möglichkeit, auf einen gemeinsamen Pool von Ressourcen zuzugreifen, um die eigene Existenz in der alten Warenlogik besser absichern zu können. Das ist indirekt auch für die Commons gut, mehr aber auch nicht.

Eine neue Produktionsweise entsteht aus diesen Praktiken nicht. Eine gesellschaftliche Transformation wird die PPL nicht voranbringen oder indirekt nur soviel, wie es auch die normalen Unternehmen tun, die Methoden der Peer-Produktion nutzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Da werden wir noch ganz andere Modelle erleben.

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