Commons, Nachhaltigkeit und Diskurssprung
Eine wiederkehrende Kritik an digitalen Commons (wie Freier Software, Wikipedia, Freier Kultur etc.) lautet, dass sie die Tatsache ignorierten, dass eine physikalische Infrastruktur — die Kabel, Computer, Stromversorgung etc. — die Voraussetzung für das Commoning (die Commons-Praxis) ist. Diese verbrauche ganz konventionell stoffliche Ressourcen, und das nicht zu knapp, so dass es Augenwischerei sei, auf die fast aufwandsfreie Kopierbarkeit der digitalen Güter zu verweisen. Die Praxis der digitalen Commons sei im Gegensatz zu vielen traditionellen Commons nicht nachhaltig.
Stimmt dieser Vorwurf?
Auf den ersten Blick scheint das so zu sein, denn die Fakten sind nun unbestreitbar (etwa der wachsende Energieverbrauch bei der Produktion und dem Betrieb der Digital-Infrastruktur und der Endgeräte). Dennoch halte ich den Vorwurf für nicht angebracht, und zwar je nach Diskurs in unterschiedlicher Weise. Im Verbesserungsdiskurs, so will die Variante 1 nennen, sind die Commons bloße Ergänzung zu Markt und Staat, also zum Kapitalismus. Im Aufhebungsdiskurs, Variante 2, können Commons eine wichtige Rolle bei der Überwindung von Markt und Staat spielen.
Commons im Verbesserungsdiskurs
Wenn die Commons nur eine Ergänzung zu den bisherigen Verhältnissen darstellen, dann müssen sich auch als solche, in ihrem heutigen So-Sein beurteilt werden, und zwar jedes Commons für sich. Dann kann man auf die Idee kommen, dass das lokale Brunnenbau-Projekt eine Gemeinde mit Wasser versorgt und dabei wenig Umweltschäden erzeugt. Demgegenüber erscheint der Ressourcen- und Energieverbrauch des Internet wahrhaft gigantisch und vollständg gegen jede Nachhaltigkeit gerichtet.
Auch in der eingeschränkten So-Seins-Sicht ist dieser Vergleich einer von Äpfeln und Birnen. Der lokale Brunnenbau erscheint nur deswegen so verträglich, weil er nicht (mehr) die Regel ist, sondern immer weiter zurückgeht. Würde die Bevölkerung je Gemeinde über individuelle Brunnen mit Wasser versorgt werden, dann wäre die Erdoberfläche arg zerlöchert. Würde man den Ressourcenverbrauch beim Bohren, Ausmauern, Pumpe installieren etc. für eine solche Brunneninfrastruktur berechnen, sähe das Internet dagegen vermutlich harmlos aus. Ferner, und das wird auch berichtet, treten die individuellen Brunnenbohrer in eine Verdrängungskonkurrenz zueinander, denn der Nachbar saugt einem das Grundwasser weg und der Grundwasserspiegel sinkt. Die Brunnen werden also tiefer gebohrt etc.
Das Internet hat hingegen ist von vornherein eine globale Infrastruktur, die auch globalen Aufwand erfordert, sie zu installieren und zu betreiben. Hier fällt nur auf, was bei einem lokalen Commons nicht sichtbar, aber ggf. ebenso vorhanden ist: Es werden Ressourcen in erheblichem Maße verbraucht.
Zur Klarstellung: Dies ist keine »Eigenschaft« der Commons, denn diese enthalten durchaus das Potenzial auch community-übergreifende Infrastrukturen einzurichten, nur ist das bei »traditionellen« Commons nicht (oder selten) der Fall. Sobald es um größere Maßstäbe geht, ist der Staat oder sind die Privaten am Ruder. Eine Sicht, die das unentwickelte So-Sein der Commons als gegeben hinnimmt, muss also zu falschen Schlüssen kommen.
Commons im Aufhebungsdiskurs
Der Aufhebungsdiskurs ist insofern weitreichender, als er sich keine Illusionen über die dominante Logik mehr macht, das Überleben der Menschheit langfristig mit den alten Mechnismen von Markt und Staat abzusichern: Nein, das wird nichts mehr, die zivilisatorischen Potenzen sind ausgereizt. Und historisch war es immer so, dass ein System abgetreten ist, wenn sein internen und externen Ressourcen aufgebraucht waren. Die Frage war jeweils nur: Wie lange dauert’s, bis sich endlich ein neues Paradigma durchsetzt. Wie wir wissen, kann das mitunter ziemlich lange dauern, und das doofe ist: Man kann das so schlecht absehen, was da kommen kann.
Der Aufhebungsdiskurs ist dennoch nichts völlig anderes als der Verbesserungsdiskurs, denn der eine kann in den anderen übergehen. Und das geschieht oft auch und wird zum Problem, wenn dies unreflektiert passiert. Das nenne ich das Problem des unreflektierten Diskurssprungs. Was meine ich damit?
Grob gedacht kann man mit den Commons zwei Fragen bewegen, für die die beiden genannten Diskurse stehen:
- Man kann hier und heute reale Verbesserungen durchsetzen, mit Commons kann man tatsächlich etwas praktisch verändern.
- Man kann eine commonsbasiert Gesellschaft denken, die völlig ohne Markt und Staat auskommt.
Bei beiden Fragen gibt es extrem viel zu diskutieren, man kann viele PROs und CONs für beide Annahmen finden. Bei (1) kann man bestreiten, dass es sich um »wirklliche« Verbesserungen handelt, denn eigentlich seien es nur Modifikationen des alten Untergangssystems, das nur seinen Untergang verlängert, und das ist insgesamt — schlecht. Bei (2) kann man bestreiten, dass eine Gesellschaft quasi bottom-up konstituiert werden könne, die ohne Markt- oder Staatvermittlung auskomme, und das ist — auch schlecht. Kann man alles diskutieren.
Schwierig wird’s nur — und damit zum Diskurssprung — wenn beides gleichzeitig diskutiert wird ohne sich darüber klar zu sein, ob man sich gerade die erste oder die zweite Frage bewegt. So habe ich es schon oft erlebt. In Diskussionen geschieht es manchmal, dass die Beteiligten ihre Phantasie so mobilisieren, dass sich alle eine Gesellschaft völlig ohne Markt und Staat vorstellen können, die auf freiwilligen Beträgen der Menschen basiert und in der alle ihre Bedürfnisse gut befriedigen können. Das sind »Sternstunden«. Na ja, eher »Sternsekunden«, denn regelmäßig passiert es, dass dann diverse »Abers« kommen, die aus dem Diskurs 1 stammen. Etwa das oben genannte Argument, dass digitale Commons soviel Energie verbrauchen und nicht nachhaltig sein können.
Also: Nichts gegen »Abers«, im Gegenteil, wir müssen unsere »Abers« maximieren, um tatsächlich auch in die reale komplexe Problematik umfassend einzudringen. Aber (hihi) die »Abers« müssen diskurskompatibel sein. Meine ich. So ist es durchaus sinnvoll, etwaige negative Effekte von Commons — wie den hohen Ressourcen/Energiebedarf der digitalen Commons-Infrastruktur — zu diskutieren, dies ist jedoch kein Argument gegen etwa gegen Freie Software und Wikipedia.
Was also nicht sinnvoll geht, ist zu sagen, dass etwa Freie Software auf der Ebene der gesellschaftlichen Vermittlung und Selbstorganisation sehr weit sei, so dass von hier aus durchaus vorstellbar werde, dass ein solcher Vermittlungsprozess überall in der Gesellschaft funktionieren könne, dann aber einzuwenden, die Infrastruktur sei energieaufwändig, und deswegen sei das kein Modell. Das ist ein Diskurssprung, den wir vermeiden müssen. Oder wenn der Sprung passiert, muss klar werden, dass jetzt der Diskurs 2 verlassen (»Sind Commons gesamtgesellschaftlich verallgemeinerbar…«) und Diskurs 1 betreten wird (»Was sind die Nachteile der Commons hier und heute im Angesicht der irrwitzigen Marktlogik …«).
Für die Frage der Nachhaltigkeit heisst dies: Die konkrete Nachhaltigkeitsfrage eines einzelnen Commons ist eine Frage im Diskurs 1. Sie ist keine Frage im Diskurs 2, schlicht auch deswegen, weil wir nun mal nicht in der Zukunft sind, wo wir solche Fragen dann ganz anders bewegen können (und müssen).
Im Diskurs 2 muss die Nachhaltigkeitsfrage anders gestellt werden: Kann eine commonsbasierte Gesellschaft insgesamt nachhaltig gestaltet werden? Wenn wir diese Frage nämlich nicht prinzipiell mit »ja« beantworten können und dabei auch beschreiben können, wie das — prinzipiell — gehen kann, dann können wir uns die Mühe sparen und können mit den Diskurs 1 zufrieden sein. Dann brauche wir auch den ganzen Diskursoverhead — wie die hier vorgeschlagene Bewusstheit über den Diskurssprung — nicht bewegen. Tatsächlich, machen wir uns nix vor, stellen sich die meisten die Frage 2 erst gar nicht oder sie beantworten sie mit »nein«.
Nehmen wir an, die Frage 2 wird gestellt und prinzipiel mit »ja« beantwortet — wie ist das dann mit den digitalen Commons? Die digitalen Commons könnten eine zentrale Rolle bei der globalen Koordination der Art von Produktion und Verteilung der Güter spielen, die wir haben wollen, und zwar ohne, dass so ein Irrwitz passiert wie heute (Überfluss hier, Mangel dort, Vernichtung der Hälfte der Nahrungsmittel, lineare Produktionsketten mit Müll am Ende etc. — ist alles bekannt). Dann wäre der Ressourcenverbrauch der digitalen Infrastruktur extrem gut angelegt und geradezu winzig im Vergleich zu den Einspar- und Nutzeffekten, die durch eine bedürfnisbasierte Produktion und Verteilung erreicht werden könnte (etwa so: »Alle Menschen können gut leben, und nicht nur diese, sondern auch die nächsten Generationen«).
Kurz: Die Commons lassen sich im Diskurs 2 nicht trennen. Sie müssen zwar unterschieden werden (ich hoffe, der Unterschied von unterscheiden und trennen ist klar?), dabei muss aber immer m Bick bleiben, dass sie mit den anderen Commons integriert sind. Anders geht’s auf gesamtgesellschaftlichem Niveau nicht: Da greift notwendig eins ins andere. Dieses Reflexionsniveau darf man im Diskurs 2 nicht unterschreiten. Denke ich.
Wenn uns die Commons als getrennt und damit nur im Diskurs 1 bewegbar erscheinen, dann spiegelt das nur unsere reale Getrenntheit wider, die der Kapitalismus notwendig erzeugt. Im Kapitalismus sind wir nun mal zunächst strukturell isolierte Privatexistenzen (als Produzierende oder Konsumierende) , deren gesellschaftliche Vermittlung erst im Nachinein über den Markt (und Staat) stattfindet. Die Commons kennen das grundsätzlich nicht. Dennoch erscheinen die Commons wie lauter voneinder getrennte »Privat-Commons«. Sie ersetzen nur die Individuen durch Gemeinschaften. Das ist auch ihre größte Bedrohung: Dass sie wieder aufgehen im getrennten Einerlei der atomisierten Marktteilnehmer. Ok, ich schweife ab — neues Thema.
Bei allem hier diskutierten ist vorausgesetzt, dass man überhaupt einen Unterschied in den beiden Diskursen sieht, weil sie ja tatsächlich oft ineinander übergehen. Wer keinen Begriff eines qualitativen Unterschieds zwischen 1 und 2 sieht, tja, für den/die ist vermutlich auch dieser Artikel ziemlich unverständlich.
Wichtiger Text! Wichtige Unterscheidung.
Bei mir bleibt aber ein komischer Nachgeschmack. Klingt das nicht auch irgendwie nach den alten Formeln nach denen man das realsozialistische Jammertal eben durchschreiten müsse um ins kommunistische Himmelreich zu gelangen?
Ich würde demgegenüber darauf beharren: Keimformtauglich (also Diskurs-2-ermöglichend) sind nur solche Commons, die hier und heute im Diskurs-1- Sinne positiv wirken. Freie Software bringt alte Rechner zum laufen, die sonst verschrottet würden, Wikipedia trägt zur Demonetarisierung einer ganzen Branche (und damit automatisch zu weniger Ressourcenverbrauch) bei, Openstreetmap-Projekte verbessern die Überlebensfähigkeit in Haiti, usw.
Keimformen funktionieren ja nur deswegen, weil sie im Diskurs-1-Raum überlegen sind und gleichzeitig den Diskurs-2-Raum ermöglichen.
Das soll jetzt eigentlich kein Widerspruch sein, nur ein Aufruf genauer aufzupassen und eben nicht nur die Commons sondern auch die beiden Diskurse nicht zu trennen, sondern zu unterscheiden 😉
@Benni: Volle Zustimmung. Diskurs 1 ist die Voraussetzung für Diskurs 2, keimformmäßig gedacht.
Ja, wichtige Unterscheidung und auch die Formulierung „unreflektierter Diskurssprung“ ist hilfreich. Lässt sich dann sagen, dass etwa im Werk von Elinor Ostrom Diskurs 1 bewusst „getrennt“ von Diskurs 2 geführt wird?
@Hannes: Ich würde sagen, dass sich Elinor Ostrom komplett im Diskurs 1 bewegt, weil sie sich empirisch auf existierende Commons bezieht und sich gar nicht erst die Frage stellt, ob Commons so weit verallgemeinert werden könnten, dass »jenseits von Markt und Staat« tatsächlich »ohne Markt und Staat« bedeuten könne. Ob sie das »bewusst« macht, weiss ich nicht, ich glaube nicht. Ein Diskurs 2 existiert für sie einfach nicht — ist mein Eindruck.
Ich habe das Gefühl, dass die Trennung dieser zwei Diskurse, auch wenn sie zweifellos wichtig ist, so einfach nicht ist. Einwände könnten ja so grundsätzlich sein, dass sie beide Diskurse betreffen. Wenn z.B. jemand zeigen würde, dass die für Freie Software nötige Infrastruktur (PCs, Internet, Strom etc.) so aufwändig ist, dass es grundsätzlich nicht möglich ist (unabhängig von der Gesellschaftsform), sie für alle zur Verfügung zu stellen, dann hätte das natürlich auch für Diskurs 2 Konsequenzen. Statt auf elektronischer weltweiter Kommunikation müsste eine „commonistische“ Gesellschaft dann auf irgendeiner deutlich spartanischeren Basis aufbauen. Allerdings glaube ich nicht, dass das der Fall ist, die Berechnungen, die einen immens hohen Energie- bzw. Ressourcenverbrauch des Internets postulieren, scheinen in aller Regel schlichtweg falsch zu sein.
Richtig ist auf jeden Fall, dass die Frage nach der Nachhaltigkeit insgesamt für die ganze Gesellschaft gestellt werden muss und nicht für einzelne (Gemein-)Güter separat beantwortet werden kann. x Suchen bei Google ersetzen wahrscheinlich y Fahrten in die Bibliothek, und wer nur die Energieintensität des Internets betrachtet, kriegt von diesem Ersetzungseffekt (anderswo werden Energie/Ressourcen eingespart) nichts mit. Für diese gesamtgesellschaftliche Betrachtung finde ich das Konzept des Ökologischen Fußabdrucks hilfreich, auf das ich anderswo eingegangen bin. Ich glaube, dass sehr wohl eine nachhaltige und faire Gesellschaft mit Internet, Computern und anderen modernen Technologien möglich ist — allerdings natürlich nicht unter kapitalistischen Umständen.
Interessante Anregungen. Ich habe mich auch mal mit Technik/Industriekritik befasst, im Hinblick auf Übertragbarkeit jetziger Modelle auf Diskurs 2 und bin mit Transition Towns hoffentlich inzwischen bei Diskurs 1 als Keimform gelandet 🙂
Ich habe noch interessante Texte beizusteuern,auf die ich damals gestoßen bin:
http://www.otto-ullrich.de/Texte.html
Fände ich spannend, zu hören, was ihr dazu sagt.
@Bine:
Otto Ullrich scheint mir aus einer recht idealistischen Perspektive zu argumentieren. Vieles ist inhaltlich richtig, aber die Kritik bleibt oberflächlich, weil sie den Kapitalismus und seine quasi-automatische Selbstreproduktion nicht versteht. Dementsprechend kann er, soweit ich das sehe, auch keine grundsätzliche Vision einer anderen, nichtkapitalistischen Gesellschaft entwickeln.
Seine Faible für „kleine“ (statt „großer“) Industrie und seine Betonung der Regionalisierung scheinen mir auch Ergebnis einer solchen oberflächlichen Kritik (wie sie ja weit verbreitet ist) zu sein, die nur auf die Phänomene guckt, aber nicht nach ihren Ursachen sucht. Zumindest in einigen Texten geht das in die reaktionäre Richtung eines lokalen Kapitalismus der „kleinen Produzenten“:
Also Geld soll nicht abgeschafft, sondern nur lokalisiert werden, und auch die Daten sollen nicht mehr global fließen dürfen. Na toll…
Hi Christian,
ich teile deine Kritik und ich finde es wichtig, seine Technikkritik im Auge zu behalten. Er kombiniert diese Technikkritik eben nicht mit einer grundsätzlichen Wertkritik. Was ich aber sinnvoll fände. Es ist ja eben die Schwierigkeit, sich etwas vorzustellen, was es so noch nirgends gibt, höchstens in Keimformen. Und dabei möglichst viele wichtige Aspekte im Auge zu behalten (Wertkritik, Wissenschaftskritik, Technikkritik, Herrschaftsverhältnisse…) und sie nicht nur voneinander getrennt wahrzunehmen sondern zusammen und in Wechselwirkung miteinander anzuschauen.
Dieser Beitrag mag wichtig sein für die Diskursunterscheidung; aber er krankt an einem falschen Verständnis von Nachhaltigkeit. Es geht eben nicht einfach um Ressourcensparen und einen reduzierten ökologischen Fußabdruck. Es geht um die Endlichkeit der Erde: ihrer Ressourcen, ihrer nutzbaren Flächen und ihrer Fähigkeit zur Schadstoffaufnahme. Das Konzept dazu heißt „Planetary Boundaries“.
Commons kennen diese Grenzen nicht. Dass eine faire und kreative Praxis des miteinander Lebens und Arbeitens durch die Commons gefunden werden kann: geschenkt. Das fasziniert mich und da steckt viel Potential drin und zeigt sich auch schon in vielen Projekten. Aber ich sehe bei keinem Projekt, dass es in sich Mechanismen erzeugt, die die absoluten Grenzen des Planeten respektieren. Wir sollten hier nicht den Fehler machen, von den an Umweltschutz und Ressourcensparen orientierten Zielstellungen der Mitglieder von Transition Towns, Arduino oder Open Ecology auf einen generellen Mechanismus in der Commonslogik zur Nachhaltigkeit zu schließen. Dieser Mechanismus existiert nicht.Das gilt auf Diskursebene 1, hat aber eben auch große Implikationen für die Diskursebene 2! Das eigentlich nachhaltige an den Commons ist, dass sie ein wichtiger Baustein sein können hin zu einer Einhaltung der planetaren Grenzen. Die Betonung liegt auf „können“, es existiert kein systemimmanenter Nachhaltigkeitszwang.
Wenn Stefan schreibt:
Die digitalen Commons könnten eine zentrale Rolle bei der globalen Koordination der Art von Produktion und Verteilung der Güter spielen, die wir haben wollen, und zwar ohne, dass so ein Irrwitz passiert wie heute (Überfluss hier, Mangel dort, Vernichtung der Hälfte der Nahrungsmittel, lineare Produktionsketten mit Müll am Ende etc. — ist alles bekannt).
… dann meint er genau das: Effizienzgewinne sind möglich mit den Commons. Aber Suffizienz, die Einhaltung von Grenzen, erfordert mehr. Für mich erschließt sich daraus: Nur aus Bottom-Up-Prozessen und vollkommen ohne übergeordnete Instanz wird so eine commonsbasierte globale Koordination nicht nachhaltig sein können. Es bräuchte (Diskursebene 2) irgendeine Art Rat, der die planetaren Grenzen deutlich macht, sie den einzelnen, in Commons organisierten Gemeinschaften mitteilt, ihre Einhaltung überwacht und im Konfliktfall Sanktionen verhängt.
@Daniel: Commons Based Peer Production ist an Bedürfnissen orientiert. Die wenigsten Menschen dürften ein Bedürfnis haben den Planeten zu zerstören. Trotzdem gibt es ja widerstreitende Bedürfnisse und deswegen die Notwendigkeit diese in irgendeiner Form zu koordinieren (schon jetzt müssen sich ja zB FOSS-Projekte auf gemeinsame Standards einigen).Es ist also eher umgekehrt.
Unsere jetzige Dynamik sorgt dafür, dass der Planet verbraucht wird. Wenn an die Stelle eine bedürfnisorientierte Dynamik tritt, gibt es die Chance, den Planeten nicht zu verbrauchen, Gewissheit gibt es natürlich nicht. Auch Nicht-Kapitalistische Gesellschaften haben über ihre Ressourcenverhältnisse gelebt (Osterinsel, Mayas, Wikinger in Grönland, …) aber auch da waren meistens nicht an Bedürfnissen orientierte Dynamiken im Spiel (so weit man das heute noch beurteilen kann). In dem Zusammenhang vielleicht interessant: http://de.wikipedia.org/wiki/Kollaps_%28Buch%29
@Daniel: Du bringst ein wichtiges Argument in die Diskussion, das eigentlich einen eigenen Artikel verdient hätte (ist dann später mal besser findbar)!
Zunächst mal hast du recht, dass ich in dem Artikel vorwiegend die Frage des »Diskurssprungs« im Auge hatte und Nachhaltigkeit nur als Beispiel benutzte. Daher ist diese Frage unterbelichtet.
Dennoch würde ich deiner zentralen These »Commons kennen Suffizienz nicht« widersprechen — und das auch wiederum auch mit den beiden Diskursen zu tun.
Mein Argument geht — abgekürzt — so: Wenn es zutrifft, dass die Commons bedürfnisbasiert sind, dann ist in diesen Bedürfnissen das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit also nach Suffizienz explizit oder implizit enthalten. Dies, finde ich, sieht man empirisch (explizit) an solchen häufig anzutreffenden Formulierungen von Commons-Zielen wie »Erhaltung der Ressource x, um sie verbessert an die nächste Generation zu übergeben« (sinngemäß ausm Kopf). Dies findet man v.a. bei solchen Commons, wo die Grenzen der Verfügbarkeit der Ressource spürbar werden (etwa beim Wasser).
Ich würde dennoch eher prinzipiell argumentieren: Suffizienz ergibt sich vermittelt (implizit) aus den produktiven Bedürfnissen, über die Schöpfung der Lebensbedingungen dauerhaft mit verfügen zu können: Dauerhaftigkeit ist dann nur möglich, wenn die »Boundaries« nicht eingerissen werden.
Nun kommen die Diskurse ins Spiel: Im Diskurs 1, d.h. real unter unseren Bedingungen, wo die Bedürfnisse permanent in Gegensätze zerfallen (hast du zitiert) und Produktion stets auch Produktion von destruktiven Externalitäten bedeutet, ist Suffizienz undenkbar. Das jedoch den Commons vorzuhalten, ist ein Diskursirrtum, weil die ursächlich dafür nix können, aber unter den gegebenen Bedingungen agieren müssen (wie oben gesagt: immerhin trotzdem Grenzen im Blick haben).
Im Diskurs 2, so argumentiere ich jetzt, ist zu zeigen, dass Suffizienz ein Resultat der immanenten Commons-Logik ist. Meine These ist: Das ist so, weil hier unterschiedliche Bedürfnisse so in einen Prozess der Vermittlung gebracht werden können, dass sie nicht in Gegensätze zerfallen. Dann, und nur dann, sind überhaupt erst qualifizierte Entscheidungen möglich, das eine zu tun und das andere zu lassen.
Die alternative Denkfigur, die ich bei dir rauszulesen meine, ist diejeinige, die Suffizienz als zusätzliches Kriterium einfordert. Damit stünde Suffizienz in einem äußerlichen Verhältnis zur re/produktiven Logik und hätte letztlich keine Chance auf Realisierung. Das entspricht in etwa der heutigen Situation im Falle der grassierenden Marktwirtschaft. Würde es tätsächlich für die Commons auch gelten, hätten die Commons Suffizienz also nicht strukturell eingebaut, dann könnten sie nicht für sich in Anspruch nehmen, eine prinzipielle Alternative realisieren zu können.
@Stefan: Zwischen „Commons haben Suffizienz eingebaut“ und „Commons widersprechen Suffizienz“ gibts ja auch noch „Commons widersprechen Suffizienz nicht“. Klar ist Nachhaltigkeit eines von vielen Bedürfnissen, aber es gibt ja auch noch andere und in der Commonslogik ist definitiv nicht eingebaut, dass Nachhaltigkeit das oberste Bedürfnis von allen zu sein hat.Das riecht für mich so zu sehr nach Nebenwiderspruchsthese, als müssten wir nur Commons machen und uns dann keine weiteren Gedanken machen, weil die magische Commonsdynamik alles andere unerwünschte gleich mit erledigt.
Ich würde sagen: Commons ermöglichen Nachhaltigkeit aber erzeugen sie noch nicht. Äußerlich muss das ja deswegen noch lange nicht sein, weil ja eben Nachhaltigkeit ein Bedürfnis ist (wenn auch eben nur eins unter anderen).
@Benni: Ich glaube nicht, dass man überhaupt sagen kann, dass Nachhaltigkeit ein Bedürfnis sei. Ich zitiere mich selbst:
Commons ist also eher eine Ermöglichungstruktur. Dann hast du recht, dass die Aussage „Commons haben Suffizienz strukturell eingebaut“ zu stark ist: Commons ermöglichen Suffizienz. So war’s gemeint. Es gibt kein Automatismus, aber überhaupt die Chance.
Bitte entschuldigt, die Antwort ist ein wenig länger geworden und springt ein paar mal zwischen euren Kommentaren. Das spricht dafür, es tatsächlich mal in einem Artikel zusammenzufassen 🙂
@Stefan: Inklusive deiner Ausführungen zur Nachhaltigkeit der Commons auf Ebene 1 möchte ich dir folgen. Ich könnte auch damit leben, dass du die fehlende Suffizienzorientierung der Marktlogik zusprichst, unter der auf dieser Ebene die Commons leben müssen. Aber deinen Ausführungen zur zweiten Ebene muss ich widersprechen. Die irgendwie geartete Bedürfnisvermittlung, aus der dann folgen soll, dass die Commons „nicht in Gegensätze zerfallen“: genau diese Binnenlogik sehe ich nicht aus den Prinzipien der Commons entstehen. Was ich sehe, sind widerstreitende Bedürfnisse um, sagen wir mal, Metalle. Was soll jetzt aus diesem Vermittlungsprozess, den du ansprichst, folgen? Eine freiwillige Beschränkung aller auf eine bestimmte Menge an Metallen? Wer definiert, wie viel überhaupt zu verteilen ist, wenn nicht eine externe, von den Bedürfnisträgern unabhängige Institution?
Ich möchte hier jetzt keine Lanze für den Markt brechen, denn der zeigt unter den heutigen Bedingungen auch keine Tendenz, der Endlichkeit bestimmter Ressourcen genügend Rechnung zu tragen (trotz einiger Knappheitssignale). Aber das gilt eben auch für die Commons auf globaler Ebene.
@benni: Und was die Bedürfnisse anbelangt (gilt eigentlich auch für @Stefan): Was ihr so schön als „Nachhaltigkeitsbedürfnis“ erklärt, ist eigentlich erst das Produkt eines Erkenntnisprozesses, der sich in jedem Commons vollziehen muss (also Diskursebene 1). In einem Prosumtions-Commons (Arduino, CSA) müssen die Mitglieder erst einmal Wissen um die Endlichkeit ihrer genutzten Ressourcen erlangen, wenn sie von außen kommt. Das gestaltet sich zumindest dann schwierig, wenn, wie bei Arduino, Metalle aus einem Reservoir geschöpft werden, über dessen Größe die projektinteressierten Mitglieder kaum Aussagen treffen können. Selbst wenn diese Information existiert, müssen zweitens Schlüsse aus der Erkenntnis gezogen werden. Für ein einzelnes Commons stelle ich mir das noch recht leicht vor (eine Transition Town). Bei rivalen Ressourcen und mehreren Commons wird das schwieriger. Hier kommen die Externalitäten ins Spiel, die ich auch durch die Commonslogik nicht ausgehebelt sehe. Und drittens (Diskursebene 2) müsste ein System gefunden werden, dass sicherstellt, dass auch andere Bedürfnisträger die Ressource gemäß dem globalen Limit nutzen. Ostrom redet ja immer vom gemeinsamen Regelaushandeln, aber auch sie sieht die Grenzen bei weltumspannenden Ressourcen (eigentlich eine Frage der Transaktionskosten).
Es ist also komplizierter, als einfach jedem oder zumindest vielen Commons ein Nachhaltigkeitsbedürfnis zu zusprechen. Für mich klingt das einfach ein wenig zu sehr nach LOHAS und Ablasshandelkonsum 🙂
Noch ein Punkt, der sich eher wieder an @Stefans Beitrag anlehnt. Was die implizite Nachhaltigkeitsorientierung heutiger Commons angeht: Es ließe sich ja auch argumentieren, dass sie den Wunsch nach Dauerhaftigkeit, Ressourcensparen und, ja, auch Suffizienz nur hegen, WEIL sie sich in einem marktwirtschaftlichen System bewegen. Und WEIL sie erkennen, dass das bisherigen Nutzungsniveau nicht nachhaltig ist (Diskurs 1). Wie es dann in einer commonsbasierten Peerproduktion um diese Nachhaltigkeitsorientierung bestellt ist, ist eine andere Frage (Diskurs 2). Sprich: Erst die Marktkonkurrenz erzeugt bei Commonsgemeinschaften den Wunsch nach Nachhaltigkeit (wieder Diskurs 1). Das wäre auch kongruent zu dem Erkenntnisprozess, den ich oben beschrieben habe, da ja in der heutigen Marktwirtschaft zumindest einige Knappheitssignale existieren. Diese Argumentation ginge dann in die Richtung, dass heutige Commons nur die Sklaven der Reproduktion sind, derer die Marktwirtschaft zum Überleben braucht.
und nochmal @benni: „in der Commonslogik ist definitiv nicht eingebaut, dass Nachhaltigkeit das oberste Bedürfnis von allen zu sein hat“. Sollte es aber! Zumindest als äußere Grenze der menschlichen Interaktion mit der Natur. Was ich bei dir raushöre (bitte widersprich mir), ist ein alter Hut im Nachhaltigkeitsdiskurs, nämlich, dass es eine prinzipielle Gleichheit der drei Ziele Ökonomie, Soziales und Ökologie gebe (Drei-Säulen-Modell). Gerade die Forschung um die „Planetary Boundaries“ hat aber gezeigt, dass es die Ökologische Sphäre ist, die die beiden anderen umschließt und diese sich demnach begrenzen müssen.
Es wird Zeit, denOeko-Spinnern endlich den ihnen zustehenden Tritt zu verpassen. Niemand hat etwas gegen vernünftigen Umweltschutz, der im Rahmen bleibt. Aber der Schwenk von „Soziales“ zu „Umwelt“ hat der Linken nachhaltig geschadet! Endstation ist der Neo-Puritanismus der Grünen & Co. Totale Rauchverbote, Oeko-Esoterik und Kotaus vor grünen Volkserzieherinnen! Nein! Es geht darum, die „soziale Frage“ erneut zu stellen und auf die Tagesordnung zu setzen! Ggen Elends-Kapitalismus und soziale Ausgrenzung. Kein Verzicht! Stattdesen: Ein schönes Leben, Genuss, Spass und Luxus für alle!
Stefan: Gut, dass Du das Thema aufgreifst, auch wenn der Anfang mich ganz und gar nicht belustigt hat. Ich fand einfach nur, dass Du voll in die Kerbe „archaisch“ versus „entwickelt“ haust. Was ist das denn: „das unentwickelte So-Sein der Commons“ am Beispiel von Brunnenbauern zu illustrieren die die Erde durchlöchern? Bekanntlich gibt es Wasserscheiden und sehr verschiedene Arten, Trinkwasser zu gewinnen – nicht nur durch’s Brunnenbohren. So ein Bild von der durchlöcherten Erdoberfläche zu erzeugen, wo eine community der nächsten das Wasser abgräbt, indem alle dasselbe machen (obwohl schon die geologischen und topologischen Bedingungen von Ort zu Ort unterschiedlich sind und Menschen bekanntlich miteinander kommunizieren) erinnert schon stark an Hardins Schafweide. Ich habe dann fast aufgehört zu lesen, aber dann habe ich doch durchgehalten. Bloss gut, denn hinter eine Position können wir doch alle nicht zurück: commons ernst nehmen heisst nicht nur, dass es darum geht unsere Bedürfnisse nicht auf Kosten der Bedürfnisse anderer zu befriedigen, sondern es heißt auch, sie nicht auf Kosten künftiger Generationen zu befriedigen.
Da finde ich den Ansatz zu sagen: Du kannst auf dieser 2. Ebene die commons nicht getrennt voneinander denken, sehr hilfreich. Nur argumentiert sich das natürlich mitten in eine Situation hinein, in der commons eben tatsächlich voneinander getrennt sind. Manche als Inseln gegen den Strom, manche als Halbinseln (um Friederikes Bild zu bemühen). Sagst Du ja sehr treffend. Die Individuen werden ersetzt durch Gemeinschaften, die mehr oder weniger getrennt vor sich hin gemeinschaften (deswegen wollen sich ja immer alle vernetzen) und damit ständig Abwehr- oder Abgrenzungs- oder Refinanzierungskämpfe gegenüber oder mit der anderen Welt austragen. Das schlaucht.
Was aber die Nachhaltigkeitsfrage angeht, so ist für mich die offene Frage, ob die „automatischen“ Ressourcenverbrauchsminderung durch commons (in Diskursebene 2), die Benni eingangs so flott postuliert – tatsächlich stimmt. Gibt es dazu überhaupt Forschung? Irgend einen einzigen Beleg? Mit den x Suchen im Internet (christian) kannst Du eben nicht y Fahrten zur Bibliothek vergleichen, weil wir 1000 Sachen im Netz suchen, für die wir nur einmal zur Bibliothek gefahren wären (so wie wir alle Dokumente runterladen, die wir nicht unbedingt gekauft häatten). Und womöglich wären wir noch zu Fuss zur Bibo gegangen, direkt von der Uni oder dem Arbeitsplatz aus und die Bibliothek funktioniert ja neben der Google-Suche immernoch.
Der Punkt ist, dass sich durch die Digitalisierung (egal mit welcher Software) ALLE Alltagspraktiken radikal verändern und wir Energieverbrauch in Tätigkeiten einbauen, wo es früher gar keinen gab. Die Datenautobahn ist die Verlängerung unserer Körper geworden, die jetzt nicht nur auf Kalorien, sondern auch auf permanente Stromversorgung angewiesen sind, um überhaupt in der Gesellschaft zu agieren.
Neuer Gedanke:
Daniel hat recht, wenn er sagt: „es existiert (in den commons) kein systemimmanenter Nachhaltigkeitszwang.“ Im Sinne von Suffizienz und dem Respektieren der ABSOLUTEN Grenzen (und auch hinter diesen Nachaltigkeitsbegriff können wir nicht zurück. Aber mit Bennis Formulierung „Commons ermöglichen Nachhaltigkeit aber erzeugen sie noch nicht.“ könnte ich vorerst leben. Das wäre der Ausgangspunkt für das weitere Nachdenken. (Wobei genau das die Öko-sozialen Marktwirtschaftler auch denken.)
Ich war übrigens bisher noch gar nicht auf die Idee gekommen, dass die Green New Dealer oder Öko-Sozialen Marktwirtschaftler die commons mal als par excellence Werkzeug der Effizienzrevolution entdecken könnte, aber die Kommentare hier verleiten zu diesem Gedanken. Ich werde mal überlegen, ob ich das künftige als stratgegisches Argument benutze, um sie zumindest zum Lesen zu bewegen 😉
Und was den Diskurs nach innen betrifft (innerhalb derer, die sich irgendwie mit commons labeln) Suffizienz ist eben gerade bei den digital/cultural commons nicht drin. Nicht mal ansatzweise und auch nicht in der Zielformulierung. Ich war total schockiert vom letzten creative commons summit in Warschau. Wenn die cc Leute (von ganz oben bis ganz unten) von Nachhaltigkeit reden, dann meinen sie (VÖLLIG UNZWEIDEUTIG): Wie kriegen wir mehr Nutzer und mehr Geld? Der Kern des Nachhaltigkeitsgedankens ist in der peer-to-peer Szene nicht mal punktuell verankert. Das Urteil wage ich mal zu fällen und das ist ein echtes Problem.Und deswegen gibt es unter anderem ein Forum auf Mc Planet zu genau dieser Frage: (Mit Brian Davey und Michel Bauwens) http://www.mcplanet.com/programm/panel-gemeingueter/
Kommt da hin zum Mitdiskutieren!
@Hannes und Stefan zu Ostrom: Ja, ich denke, da habt Ihr recht.
@Daniel#15: Du formulierst genau die richtige Anforderung an den Commons-Diskurs, in dem Fall an mich:
Ich habe den Fehler gemacht, zu schnell die Möglichkeit, unterschiedliche Bedürfnisse so zu vermitteln, dass sie nicht in Gegensätze zerfallen, den Commons als sozialer Struktur zuzuschreiben. Dabei sind sie »nur« eine Ermöglichungsstruktur — darauf hat mich Benni nochmal deutlich mit der Nase gestoßen.
Die eigentliche Behauptung ist also, dass die Menschen — wenn man sie denn mal lässt, sprich: wenn sie in einer entsprechenden Ermöglichungsstruktur agieren können — ihre unterschiedlichen Bedürfnisse tatsächlich so regeln und koordinieren wollen und werden, dass niemand hinten runter fällt. Das schließt zwingend Nachhaltigkeit und Suffizienz ein, weil im Scheiternsfall alle hinten runter fallen, also auch je ich.
Ich möchte noch mal die Bedeutung dieser Behauptung unterstreichen: Wenn man den Menschen allgemein nicht zutraut, ihre sozialen Verhältnisse strukturell so zu organisieren, dass sich grundsätzlich alle entfalten können und niemand zu Schaden kommt, dann hängt eine Diskussion um die Commons total in der Luft. Denn dann MUSS man auf Zwangsmaßnahmen, Staat, Repression usw. zurückgreifen — all das, was wir jetzt erleben oder als Lösungsrufe hören. Es geht also im Kern um eine Debatte der gesellschaftlichen Natur des Menschen.
Ich behaupte nun, Menschen können das prinzipiell, und Commons ermöglichen das prinzipiell. Das »prinzipiell« verweist auf den Unterschied zwischen den Diskursen. In einer Situation heute, wo auch die Commons voneinander getrennt sind und nach ihre Partialinteressen agieren (müssen), ist dies kaum bis nur ansatzweise erkennbar. Das hat aber mit den Commons als Ermöglichungsstruktur nicht viel zu tun.
Was heißt denn Vermittlung? Es heißt, Wünsche, Bestrebungen, Bedürfnisse etc. und Realisierungsmöglichkeiten abzugleichen. Dies geschieht auch heute. Durch die Getrenntheit der Realisierungen (der Unternehmen, Konsumenten etc.), produzieren die Einzelnen permanent externe Effekte, die den anderen und damit auch sich selbst schaden. Das ist die Marktvermittlung. Die Ursache für den desaströsen Effekt ist die Ex-Post-Vermittlung: Erst produzieren, dann vermitteln. Brauche ich Metalle, dann kaufe ich welche. Was ich dabei vermittelnd anrichte, ist mir weder klar, noch kann ich es wirklich beeinflussen — obwohl es mir, vermittelt, auch schadet. Marktwirtschaft ist eine Struktur der permanenten Selbstschädigung (=wechselseitige Fremdschädigung), einschließlich des Versuches, den Schaden von je mir möglichst fern zu halten und zu exportieren (via Herrschaft).
Bei den Commons ist es umgekehrt: Erst vermitteln, dann produzieren. Jetzt gibt’s die Chance, aber nicht die Garantie, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse auf den Tisch kommen und nun eine Realisierungsform gefunden wird, die niemandem schadet. Dies kann heißen, auf etwas zu verzichten oder etwas zu verschieben oder ein alternativen Weg zu gehen usw. Das kann man vorher nicht sagen. Um entscheidungsfähig zu sein, sind Informationen absolut entscheidend. Wenn klar ist, dass etwa »Metalle« bald ausgeschöpft sind, wäre es hirnverbrannt weil selbstschädigend, das zu ignorieren. Wenn es also Commons gibt, die sich mit der »Metallfrage« befassen, dann könnten sie, mal als Beispiel, einen Vorschlag entwickeln, wie »Metall« übergangsweise genutzt wird mit dem Ziel, die Metallnutzung zu substituieren. »Metall« ist hier nur ein Symbol für eine beliebige Sache.
Dies geschieht auch heute schon auf UN-Ebene z.B., nur hat das Null Konsequenzen, weil es in der Marktlogik nicht abgebildet werden kann. Der Markt kennt nur Preise, und Folgen werden externalisiert. Geht eine Resource zur Neige, steigt der Preis und damit der Anreiz, den letzten Rest auch noch auszubeuten (siehe exemplarisch die Tarsand-Sauereien in Kanada).
Commons im Diskurs 2, also in einer gedachten Situation, wo Commons die soziale Weltstruktur bestimmen, bedeutet ja nicht, dass es weiterhin nur die bloß lokalen, schwach vernetzten, voneinander getrennten Einheiten gibt. Sondern wie auch Elinor Ostrom überlegt, Commons von Commons mit polycentric governance. Solche vielzentrigen Commons hätten die Chance, einen sinnvollen Abgleich von unterschiedlichen Wünschen zu machen, bevor produziert wird. Das ist sicher eine höllisch schwierige Aufgabe, aber vielleicht auch nur deshalb, weil es das heute fast gar nicht gibt und uns die Phantasie fehlt, wie das im Weltmaßstab klappen soll. Es ist ein Prozess des Lernens und Annäherns, nur die Imperative müssen stimmen.
@Silke: Huch, wie hast du den Text gelesen? Das Beispiel mit den Brunnen war fiktiv, um die Kurzsichtigkeit des Vorwurfs gegen die »digitalen Commons«, sie seien im Gegensatz zu den »natürlichen Commons« unnachhaltig, zu illustrieren. Ich wollte überhaupt nicht die realen Verhältnisse beim Wasser diskutieren. Es ging mir darum zu zeigen, dass die reale Getrenntheit der Commons zu falschen Schlüssen verleiten kann. Auch die simple Formel »lokal=gut« ist ein Kurzschluss. Nix archisch vs. entwickelt, aber eben auch nicht umgekehrt.
Und hauptsächlich ging es mir ohnehin um die Unterscheidung der Diskurse, die da meist noch reingemischt wird.
Genau damit springst du aber auch wieder. Und wenn du danach Belege einforderst, die »Ressourcenverbrauchsminderung durch commons (in Diskursebene 2)« zu belegen, dann geht das doch gar nicht! Die Ebene 2 ist eine ausschließlich theoretische Diskursebene. Da geht es darum, logisch zu überlegen, was eine commonsbasierte Gesellschaft mit verallgemeinertem Commons-Prinzip leisten kann und was nicht. Etwa das, was wir hier tun.
Und ich finde, diese Diskussion muss stattfinden, um sich nämlich nicht zu sehr durch solche Erlebnisse beeindrucken zu lassen, wie du sie vom Commons-Summit in Warschau beschreibst. Dass die Commons-Leute heute immer wieder ans Geld machen denken, ist doch kein Wunder! Deswegen geht doch mein Bestreben immer wieder dahin, klarzumachen, dass »Geld verdienen« keine neutrale Angelegenheit ist (vgl. ICC in Berlin), sondern strukturell das reproduziert, was den Commons entgegengesetzt ist, nämlich die Logik des »market state«, wie Quilligan immer sagt. Für die digitalen Kulturcommons ist es viel einfacher, von der schmutzig-erdigen Basis ihrer Aktivitäten abzusehen, nämlich der technischen Infrastruktur, als etwa diejenigen, die in der Erde stehen und sie umgraben oder Löcher in sie bohren, um Wasser zu fördern. Daraus ist aber dennoch keine prinzipielle größere Nachhaltigkeit ableitbar (s.o.).
Sondern ableitbar ist, dass die Commons (wie die Warenmonaden generell) derartig voneinander getrennt sind, dass gar keine Chance besteht, wirklich über ihren Tellerrand hinauszugucken.
Das heißt für uns, und das machen wir ja auch, die Vernetzung und Verständigung zwischen den unterschiedlichen Commons voranzutreiben — anstatt jeweils auf die andere Seite herabzublicken, um sich selbst zu erhöhen (denn offen ausgesprochen werden die Vorbehalte eher selten).
Das ist ja eine äußerst spannende Diskussion hier. Ich sehe das so, dass der Blick auf – natürlich – fehlende Nachhaltigkeit bestehender Commonsinseln / -projekte (im unendlich scheinenden kapitalistischen Immmermehr) eben auch notwendig ist, um auf Ebene 2 weiter zu kommen, also in Richtung globale Ermöglichungsstrukturen weiter zu denken.
Die können eben auch nicht entstehen, wenn deren Entwicklung nicht zum Bedürfnis hinreichend vieler Menschen werden. Und das setzt auch eine ernsthafte (und stets nach noch besseren Lösungen suchende) Beschäftigung mit den Problemen voraus, deren Bewältigung innerhalb der gegebenen Verhältnissen nicht möglich ist, weil das ja voraussetzt, dass Zwecke, Mittel, Methoden Mengen, Orte usw. der Produktion (des Einsatz menschlicher Mühen und natürlicher Ressourcen) auf Basis eines – am Ende weltgemeinschaftlchen – Nachhaltigkeitsmanagement bestimmt werden können, bei dem selbstverständlich auch diese und jene Bedürfnisse auf den Prüfstand kommen (Suffizienz).
Die aber dennoch innerhalb der alten Verhälnisse (des falschen Lebens) angepackt werden müssen. (Geht ja nicht anders)
Dass diese Sprünge zwischen den Diskursebenen geschehen, liegt m.E. auch daran, dass Marx weltkommunistische Perspektive den meisten Mitmenschen so fern liegen und erst noch gehörig entstaubt werden mussen. Es trauen sich nur wenige ran an diese Arbeit. Anderseits sind eben nicht nur „GreenNewDealer“ von der schlichten Tatsache beeindruckt, dass das Bedürfnis zum Entstauben der marx/engelschen Perspektive Weltkommunismus derzeit nicht sehr entwickelt und verbreitet ist.
Das in beiden Fällen Vertrakte ist, dass dieses Bedürfnis erst durch ernsthafte Bemühungen um Problemlösungen entstehen kann und nicht per Belehrung oder Warnungen von Illusionen aufgenötigt werden können. (Marke: Lasst die Finger von den Commens- oder GreenNewDeal-Ideologen)
Gruß hh