Wie sich Commons entfalten können

Elinor Ostrom hat vor über 20 Jahren acht Commons-Prinzipien formuliert. Eine Arbeitsgruppe auf der ersten Commons-Sommerschule hat sich entschlossen, sie neu zu formulieren. Hier ist das Ergebnis. Unten folgt ein Kommentar von mir.

[english]

Acht Orientierungspunkte für das Commoning

Elinor Ostrom und andere haben Designprinzipien für die gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen formuliert. Sie sind die Essenz unzähliger Feldstudien. Sie wurden aus einer wissenschaftlichen Perspektive verfasst und bleiben für die Commons-Bewegung von großer Bedeutung.

Unsere Perspektive ist die der aktiven Commoners, der Menschen, die Commons machen. Uns geht es weniger um Institutionen, sondern um Räume der Gemeinschaftlichkeit und Kooperation, die wir uns schaffen. An den Ressourcen interessiert uns weniger ihre Beschaffenheit, sondern wie wir sie erhalten und nutzen können. Wir beziehen uns folglich sowohl auf materielle wie nicht-materielle Ressourcen, auf traditionelle wie neue Commons.

Ostroms Designprinzipien sind für uns ein Muster für die Entwicklung der folgenden Orientierungspunkte. Wir hoffen, dass sie Anregungen für Commoners sind, die eigene Praxis zu reflektieren.

Commons existieren nicht in einer heilen Welt, sondern in einer commons-unfreundlichen Umgebung. Es ist daher wichtig, dass Commoners sich bewusst sind, welchen Schatz sie in den Händen halten, um ihn bewahren und entfalten zu können.

1. Als Commoner ist mir klar, um welche Ressourcen ich mich kümmere und mit wem ich das tue. Commons-Ressourcen sind das, was wir gemeinsam herstellen, was der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wurde oder was wir als Gaben der Natur erhalten.

2. Wir nutzen die Commons-Ressourcen, die wir schöpfen, pflegen und erhalten. Wir verwenden die Mittel (Zeit, Raum, Technik und Menge der Ressource), die jeweils verfügbar sind. Als Commoner habe ich das Gefühl, dass mein Beitrag und mein Nutzen in einem fairen Verhältnis stehen.

3. Wir treffen und verändern unsere eigenen Vereinbarungen. Jeder Commoner kann sich daran beteiligen. Unsere Vereinbarungen dienen dazu, jene Commons-Ressourcen zu schöpfen, zu pflegen und zu erhalten, die wir brauchen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen.

4. Wir achten selbst darauf oder beauftragen jemanden, dem wir vertrauen, dass die Vereinbarungen eingehalten werden. Wir überprüfen, ob die Vereinbarungen ihren Zweck erfüllen.

5. Wir verabreden, wie wir mit Missachtung von Vereinbarungen umgehen. Wir entscheiden, ob und welche Sanktionen erforderlich sind, je nach dem, in welchem Kontext und Ausmaß die Vereinbarung missachtet wurde.

6. Jeder Commoner kann einen leicht zugänglichen Raum für die Lösung von Konflikten in Anspruch nehmen. Wir wollen Konflikte unter uns möglichst auf direkte Art schlichten.

7. Wir regeln unsere eigenen Angelegenheiten selbst, und externe Autoritäten respektieren das.

8.  Wir wissen, dass jedes Commons Teil eines größeren Ganzen ist. Deswegen sind verschiedene Institutionen auf unterschiedlichen Ebenen nötig, die ihre Verantwortung und ihre Aktivitäten für die Pflege und Erhaltung koordinieren und gut miteinander kooperieren.

* * *

Kommentar

Die Neuformulierung war überfällig. In der Einleitung der neuen acht Punkte wurde einiges bereits genannt, ich will die Gründe hier noch einmal herausheben und verdeutlichen.

1. Perspektive: Ostroms Perspektive war die der Forscherin, die auf  ihren Gegenstand guckt. Bei den Commons geht es jedoch nicht vorwiegend um zu untersuchende Objekte — etwa nur die Ressourcen –, sondern vor allem um die handelnden Subjekte, die mit Ressourcen umgehen. Für die Commons-Forschung entsteht damit ein ähnliches Problem, das auch die Psychologie hat: Beim Forschungsgegenstand geht es wesentlich um unsereinen, um »mich«, sofern ich mich als Commoner verstehe. Die neuen Orientierungspunkte sind aus der Perspektive der aktiven Commoner formuliert.

2. Zweck: Daraus ergibt sich auch der neue Zweck. Die Orientierungspunkte dienen nicht dazu, Commons zu klassifizieren — sie etwa von Nicht-Commons abzuheben –, sondern dazu, dass Commoners ihre eigene Praxis reflektieren können. Implizit steckte dies auch schon in den Ostrom’schen Prinzipien drin, und großzügig wie wir sind, haben wir sie hier bei keimform.de auch als Prinzipien der Bildung von Communities interpretiert. Mit dem Perpsektivenwechsel wird der neue Zweck jedoch erst richtig deutlich: Es geht darum, dass wir lernen Commons zu machen, denn das fällt uns nicht in den Schoß. Mit dem Commoning ist der Zweck jetzt bereit in der (Unter-) Überschrift benannt.

3. Ressourcen: In den ursprünglichen Punkten ging es vorwiegend um traditionelle Allmende-Ressourcen, verstanden als »Gaben der Natur«. Zwar waren die letzten Fassungen der acht Ostrom-Punkte neutral formuliert, um auch neuere Ressourcen-Quellen einbeziehen zu können, aber die Herkunft aus der Untersuchung natürlicher Ressourcen lugte an vielen Ecken noch durch. Das ist auch ganz klar, schließlich hat sich Ostrom mit Bewässerungssystemen und nicht mit Freier Software befasst.

Jetzt sind drei Ressourcen-Quellen benannt: »das, was wir gemeinsam herstellen, was der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wurde oder was wir als Gaben der Natur erhalten«. Es geht also nicht mehr allein darum, etwas Vorhandenes zu bewahren, sondern auch Neues zu schöpfen. Genau genommen ist das der Allgemeinheit zur Verfügung gestellte (wie etwa HTML und HTTP durch Tim Berners-Lee) Teil des gemeinsam Hergestellten (nur wurde es eben nicht privat angeeignet). In einer Zeit der Dominanz von Exklusion (etwa durch Patentierung), ist es gleichwohl sinnvoll, solche expliziten Inklusionen herauszuheben.

4. Abgrenzung: Commons existieren in einer feindlichen Umwelt. Aus diesem Grund ist die Abgrenzung und die Stabilisierung von Commons immer noch ein wichtiges Motiv in den Orientierungspunkten. Sie sind aber grundsätzlich nicht commonseigen. Das wird oft übersehen. Für viele Commoners sind Commons bloß eine Ergänzung zu Markt und Staat. Sie verbinden mit Commons nicht, Markt und Staat als strukturell commonsfeindliche Institutionen einmal loszuwerden, sondern wollen Commons nur im commonsunfreundlichen Umfeld behaupten. Das ist auch völlig ok, ist aber nicht meine Perspektive. Ich denke, dass nur auf dem Wege der Verallgemeinerung Commons überhaupt eine langfristige Perspektive haben. Im Kapitalismus können sie nicht friedlich koexistieren, sondern dienen nur als Futter für neue Möglichkeiten der Verwertung.

5. Institutionen: Ostroms Forschung war theoretisch in der Neuen Institutionenökonomik verankert. Folglich ging es ihr immer wieder darum, wie die Institutionen aussehen müssen, um Commons zu erhalten. Märkte, Staat (Politik) und Recht sind danach »Institutionen«, und die Frage ist, wie sie zu gestalten sind. Der institutionenfixierte Ansatz behandelt Institutionen gleichsam als »natürliche« Institute moderner Gesellschaften. Grundlage ist der modernisierte Homo oeconomicus, dessen nutzenmaximierende Transaktionen institutionenvermittelt ablaufen (eine wichtige Kritik einzelner Elemente leistete Sabine Nuss in Copyriot & Copyright). Dieser Ansatz wird Commons nicht gerecht und ist zu überwinden. Kurz gesagt geht es nicht um Nutzenmaximierung für den Einzelnen, sondern um Bedürfnisbefriedigung für alle. Dass dabei Institutionen eine Rolle spielen können, ist nicht die Frage, nur müssen es selbst geschaffene und kontrollierte Commons-Institutionen sein (angedeutet in Punkt 8).

6. Entwicklung: Die neuen acht Punkte sind ein Zwischenschritt. Sie sind kein End-, sondern Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung. Sie fixieren kein unverrückbares IST, sondern eröffnen Möglichkeiten eines fortschreitenden WERDENs. So könnte ich mir vorstellen, dass das allgemeine Zuverfügungstellen von Geschaffenem dann keiner besonderen Erwähnung mehr bedarf, wenn es die Regel geworden ist. Genauso muss der Respekt durch externe Autoritären (Punkt 7) dann nicht mehr eingefordert werden, wenn es keine Autoritäten mehr gibt, die Commons noch zersetzen könnten. Denn darum geht’s: Commons zu entwickeln, um sie gesellschaftlich zu verallgemeinern. IMHO.

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